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2. Johnnnes   Walvoord

2. Johannes (Zane C. Hodges)


EINFÜHRUNG


Der zweite Johannesbrief ist ein knappes Schreiben, das auf ein einziges Blatt Papyruspapier der Standardgröße gepaßt hätte. Daß dieser kurze Brief aufbewahrt und weitergegeben wurde, liegt zweifellos an seiner lebendigen Spiritualität und Geisterfülltheit.

Verfasserfrage


Traditionellerweise galt der Apostel Johannes als Verfasser des 2. Johannesbriefes. Der Briefschreiber selbst bezeichnet sich als "der Älteste". Aller Wahrscheinlichkeit nach ist damit nicht das Amt eines Ältesten in einer Ortsgemeinde gemeint. Möglicherweise war dieser Titel einfach ein ehrerbietiger Beiname ( presbyteros , "alter Mann, Ältester"; vgl. 1Tim 5,1-2; 1Pet 5,5; 3Joh 1,1 ), unter der der Verfasser seinen Lesern bekannt war. Es gibt jedoch auch sehr früh schon Belege dafür, daß der Terminus "Ältester" auf alle Apostel und sonstigen Augenzeugen des Lebens und Lehrens des Herrn Jesus angewandt werden konnte. Angesichts der deutlichen stilistischen und inhaltlichen Ähnlichkeiten zwischen dem 1. und dem 2. Johannesbrief lassen sich die Argumente für eine apostolische Verfasserschaft des umfangreicheren Schreibens in demselben Sinne auch für den kürzeren Brief geltend machen. Es gibt keinen Grund, an der Richtigkeit der Tradition zu zweifeln, derzufolge der 2. Johannesbrief dem Apostel Johannes zugeschrieben wurde.


Hintergrund


Der Brief ist "an die auserwählte Herrin und ihre Kinder" gerichtet (V. 1 ; vgl. V. 4-5 ). Das Schreiben enthält keinerlei Personennamen, und Annahmen, die Empfängerin habe entweder Eklekta (von eklektE , "erwählt") oder Kyria ("Herrin") geheißen, klingen wenig überzeugend. In dieser Hinsicht unterscheidet sich der 2. vom 3. Johannesbrief, in dem die Namen dreier Personen genannt werden. Es wurde deshalb vorgeschlagen, der apostolische Verfasser habe im 2. Johannesbrief eine bestimmte literarische Form übernommen, in der die Kirche als "auserwählte Herrin" und ihre Glieder als "ihre Kinder" figurieren. Die Personifizierung von Völkern und Städten in weiblichen Gestalten ist in der Bibel nichts Ungewöhnliches (vgl. "die Tochter Zion"), und die christliche Kirche wird auch andernorts häufig als "die Braut Christi" bezeichnet (vgl. 2Kor 11,2; Eph 5,22-33; Offb 19,7 ).

Die These, daß der 2. Johannesbrief an eine Gemeinde gerichtet ist, wird weiter erhärtet durch die Beobachtung, daß der Briefschreiber den singularischen Gebrauch der Pronomen ab Vers 5 aufgibt und erst in Vers 13 wieder eine Singularform verwendet. Wenn auch die Möglichkeit, daß der Brief an eine bestimmte Christin gerichtet war, nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann, so ist auf diesem Hintergrund doch die Annahme vorzuziehen, daß eine Gemeinde der Adressat war. Wenn das stimmt, so unterschieden sich die Probleme, denen sich die betreffende Gemeinde gegenübersah, nicht wesentlich von denen, mit denen die Leser des 1. Johannesbriefes zu kämpfen hatten. Auch hier wieder warnt der Verfasser vor den Antichristen ( 2Joh 1,7; vgl. 1Joh 2,18.22 ). Der Irrtum, dessen diese sich schuldig gemacht hatten, bestand wie im 1. Johannesbrief darin, daß sie die Person Christi leugneten ( 2Joh 1,7; vgl. 1Joh 2,22-23;4,1-3 ). Schließlich geht es beide Male um den Gehorsam gegenüber den Geboten Gottes, besonders gegenüber dem Gebot der Bruderliebe ( 2Joh 1,5-6; vgl. 1Joh 2,7-11;3,14-18.23;4,7.11.20-21 ).

Datierung


Es gibt keine äußeren Zeitangaben, anhand derer sich die Abfassungszeit des 2. Johannesbriefes bestimmen ließe. Doch die Situation, auf die der Brief zugeschnitten ist, gleicht der, die offensichtlich Anlaß zum 1. Johannesbrief bot. Das ermöglicht die Annahme, daß der 2. Johannesbrief möglicherweise um dieselbe Zeit entstanden ist wie der umfangreichere 1. Johannesbrief. Nach dieser Annahme würde der 2. Johannesbrief ebenfalls in die Zeit vor dem Ausbruch des jüdischen Aufstandes gegen Rom in Palästina im Jahre 66 n. Chr. gehören. Eine Datierung in die frühen 60er Jahre des 1. Jahrhunderts scheint von daher am plausibelsten.


GLIEDERUNG


I. Präambel (V. 1-3 )

II. Inhalt des Briefes (V. 4-11 )

     A. Die Praxis der Wahrheit (V. 4-6 )
     B. Der Schutz der Wahrheit (V. 7-11 )

III. Lebewohl (V. 12-13 )


AUSLEGUNG


I. Präambel
(V. 1-3 )


Der Brief beginnt so, wie Briefe der damaligen Zeit im allgemeinen begannen. Der Briefschreiber führt sich selbst ein, identifiziert den bzw. die Adressaten seines Schreibens und schließt mit einer Grußformel. Johannes nennt allerdings, wie schon in der Einführung erwähnt, die "auserwählte Herrin", an die er sich wendet, nicht näher, wobei sich der ganze Text so liest, als wäre er für eine Gemeinde bestimmt. Die Präambel macht bereits deutlich, daß, wie auch beim 3. Johannesbrief, "Wahrheit" und "Liebe" die beiden zentralen Anliegen des Briefes sind ("Wahrheit": V. 1 [zweimal]. 2 - 4 ; "Liebe": V. 1.3.5-6 [in V. 6 zweimal]).



2Jo 1,1-2


Der Älteste (s. den Abschnitt "Verfasserfrage" in der Einführung ) beginnt sein Schreiben mit der Versicherung, daß er die betreffende Gemeinde ( die auserwählte Herrin ; vgl. "Herrin", V. 5 ) und ihre Glieder (ihre Kinder ; vgl. V. 4 ) in der Wahrheit liebt - wie alle, die die Wahrheit erkannt haben . Das legt den Schluß nahe, daß die angesprochene Gemeinde in christlichen Kreisen bekannt war. (Sie wird als "auserwählt" charakterisiert, weil sie sich aus Erwählten Gottes, d. h. Christen, zusammensetzt.) Die Liebe des Apostels und der anderen zu der Gemeinde gründete sich auf Gottes Wahrheit. Sie erwuchs um der Wahrheit willen, die in uns bleibt und bei uns sein wird in Ewigkeit . Die christliche Liebe ist alles andere als bloße Sentimentalität oder Menschenfreundlichkeit, ihr Ursprung liegt vielmehr in der Erkenntnis der Wahrheit, die in Christus offenbar geworden ist. Die Wahrheit ist das Fundament der Liebe. Und gerade diese Wahrheit, um deretwillen die Gemeinde geliebt wird, muß sie in besonderer Weise zu bewahren und zu schützen suchen.


2Jo 1,3


Statt seinen Lesern nur Gnade, Barmherzigkeit, Friede zu wünschen, erweitert Johannes seinen Gruß um die Wendung "in Wahrheit und Liebe" (vgl. V. 1 ) - die Dimensionen, in der Gnade, Barmherzigkeit und Liebe für die Adressaten erfahrbar sein sollen. (Interessanterweise schließen Paulus und Petrus in den Grußworten in ihren Briefen nur "Gnade" und "Frieden" ein, mit Ausnahme des 1. und 2. Timotheusbriefes, wo ebenfalls "Gnade, Barmherzigkeit, Friede" genannt werden. Vgl. die Tabelle "Die Einleitungsworte des Apostels Paulus zu seinen Briefen" bei Röm 1,1-7 .) Die Bewahrung von "Wahrheit" und "Liebe" aber möchte Johannes seinen Lesern besonders ans Herz legen. Wenn sie sich diese beiden bewahren, dann können sie auch gewiß sein, daß ihnen "Gnade, Barmherzigkeit und Friede" von Gott, dem Vater, und von Jesus Christus zuteil wird. Daß alle diese Segnungen sowohl vom Vater als auch vom Sohn kommen, bestätigt die Gottheit Christi. Die Bezeichnung Sohn des Vaters ist ungewöhnlich (vgl. "den Vater und den Sohn"; 2Joh 1,9 ). Gottes Gaben - Gnade ( charis ), Erbarmen ( eleos ) und innere Harmonie und Ruhe ( eirEnE ) - werden da spürbar, wo "Wahrheit" und "Liebe" die Führer sind. Johannes hatte geschrieben, daß die Wahrheit "bei uns sein wird" (V. 2 ). Nun fügt er den Wunsch hinzu, daß Gnade, Barmherzigkeit und Friede mit uns sein mögen.


II. Der Inhalt des Briefes
(V. 4 - 11 )


Ohne Umschweife kommt der Apostel auf sein eigentliches Anliegen zu sprechen: (a) die Sorge, daß die Gemeinde Gott weiterhin gehorsam sein möge, und (b) die Hoffnung, daß die Gläubigen allen Angriffen von seiten falscher Lehrer standhalten werden. Beide Ziele sind im Grunde untrennbar.



A. Die Praxis der Wahrheit
(V. 4 - 6 )


2Jo 1,4


Offensichtlich war Johannes einigen Mitgliedern der Gemeinde ( unter deinen Kindern ; vgl. V. 1 ) begegnet und hatte sich sehr ( ich bin sehr erfreut ; vgl. 3Joh 1,3-4 ) über ihren Gehorsam gegenüber der Wahrheit gefreut. Er benutzt ihre Glaubenstreue, die er persönlich erlebt hatte, als positiven Ausgangspunkt für seine Ermahnungen. Ihr Wandel ( leben in der Wahrheit ; vgl. 3Joh 1,3-4 ) entspricht genau dem Gebot, das wir vom Vater empfangen haben . Ein Leben in der Wahrheit ist ein Leben im Gehorsam gegen die Wahrheit, die Gott offenbart hat. Es war Johannes' größter Wunsch, daß die ganze Gemeinde so lebte.


2Jo 1,5


In diesem letzten Hinweis auf die Adressatengemeinde in personifizierter Form (der nächste findet sich erst in Vers 13 ) spricht Johannes sie als Herrin an. Was er seinen Lesern mitzuteilen hat, ist kein neues Gebot, sondern das, was ihnen schon von Anfang an (vgl. V. 6 ) bekannt war. (Der gleiche Gedanke taucht auch in 1Joh 2,7 auf.) Es besagt schlicht, daß wir uns untereinander lieben sollen. Wie in seinem großen Schreiben ermutigt der Apostel seine Leser auch hier, bei den alten, rechten Wegen zu bleiben, und versucht ihnen in ihrem Widerstand gegen die Neuerungen der Antichristen beizustehen ( 2Joh 1,7 ).


2. Johannes

2Jo 1,6


Was heißt es aber, "sich untereinander zu lieben"? Die Antwort ist einfach: Das ist die Liebe, daß wir leben nach seinen Geboten. Wie in 1Joh 5,2-3 a definiert der Apostel auch hier die christliche Liebe als Gehorsam gegen Gott. Ein Christ, der wirklich am geistlichen Wohl seiner Brüder und Schwestern interessiert ist, kann dieses zwischenmenschliche Interesse am ehesten in die Tat umsetzen, indem er dem gehorcht, was Gott ihm aufgetragen hat. Eine Liebe, die nicht von Gottes dem Menschen offenbarten Willen geleitet ist, kann leicht zur unklugen, sentimentalen Anwandlung verkommen. Doch Gläubige, die "in der Wahrheit leben" ( 2Joh 1,4 ), d. h., deren Leben eine Antwort auf Gottes Offenbarung ist, lieben einander in einer konstruktiven Weise. Die brüderliche Liebe ist Teil der Wahrheit, die Gott den Menschen enthüllt hat und deren Befolgung er ihnen befohlen hat.

Der zweite Teil von Vers 6 ist im Urtext schwer zu enträtseln. Wenn man davon ausgeht, daß die Wiedergabe in der Lutherübersetzung stimmt: Das ist das Gebot, wie ihr's gehört habt von Anfang an, daß ihr darin lebt , so ist dieser Satz eine nochmalige Bestätigung, daß Gehorsam gegen Gottes Gebote ein Festhalten an dem bedeutet, was den Christen "von Anfang an" gesagt war. Wenn man den Text so auslegt, dann zielen die Worte des Apostels darauf ab, vor allen "Neuinterpretationen" oder Umdeutungen des Willens Gottes zu warnen, wie sie vielleicht von den Antichristen propagiert wurden.

Der Wechsel vom Plural "Gebote" (V. 6 a) zum Singular Gebot (V. 6 b) ist für den Verfasser nichts Ungewöhnliches (vgl. 1Joh 3,22-23 ). Die vielen einzelnen Ausformungen des göttlichen Willens lassen sich in einer einzigen Verpflichtung zusammenfassen.


2. Johannes

B. Der Schutz der Wahrheit
(V. 7 - 11 )


2Jo 1,7


Der Grund für die vorhergehende Ermahnung des Apostels ist, daß viele Verführer in die Welt ausgegangen (sind), die nicht bekennen, daß Jesus Christus in das Fleisch gekommen ist. Wie in seinem ersten Brief gibt Johannes auch in diesem Schreiben seiner Sorge darüber Ausdruck, daß so viele falsche Lehrer auf dem Plan erschienen sind (vgl. 1Joh 2,18;4,1 ). Diese Lehrer sind "Verführer" ( planoi ; vgl. planaO , "irreführen", in 1Joh 2,26;3,7 ). Schon allein ihre Anzahl (ganz zu schweigen von der vermutlichen Bandbreite der falschen Vorstellungen, die sie den Menschen nahezubringen versuchten) machte sie zu einer ernsten Bedrohung der christlichen Gemeinden. Was diese Häretiker untereinander verband, war ihr Unglaube und die Tatsache, daß sie die Menschwerdung Christi ablehnten.

Das Partizip Perfekt "gekommen" (in der Wendung "in das Fleisch gekommen") bezieht sich auf die Menschwerdung: Jesus, der menschliche Gestalt annimmt und als Mensch auf der Erde lebt (vgl. 1Joh 4,2 ). Diese Wahrheit über "Jesus Christus, der in das Fleisch gekommen ist", wird von den Verführern bestritten. Manche von ihnen lehrten, daß Jesus kein wahrer Mensch war, sondern nur so erschien. Das stand natürlich im Gegensatz zu der Wahrheit der Inkarnation, daß Jesus Christus beides ganz ist: ganz Gott und ganz Mensch ( Kol 2,9 ).

Das - diese Leugnung - kennzeichnet den, der sich zu ihr bekennt, als Verführer und als Antichrist (vgl. den Kommentar zu 1Joh 2,18 ). Der Artikel "der" vor "Verführer" und "Antichrist" ist vielleicht etwas mißverständlich. So kann der griechische bestimmte Artikel in manchen Fällen, wenn es um eine ungenannte Person geht, durchaus mit dem unbestimmten Artikel wiedergegeben werden. Johannes meinte also nicht, daß jeder dieser Leute die einmalige Gestalt der Endzeit, die als der Antichrist bekannt ist, verkörpert.


2Jo 1,8


Weil diese Verführer aufgetreten sind, müssen die Leser sich vor den verheerenden geistlichen Auswirkungen vorsehen, die jedes Zugeständnis an ihr verderbliches Gedankengut mit sich bringen würde. Dabei steht zwar nicht ihr Heil, aber ihr Lohn auf dem Spiel. Obwohl in den meisten griechischen Handschriften für alle drei Pronomen des Verses "wir" steht, haben die ersten Kopisten wahrscheinlich zwischen der ersten und zweiten Person Plural abgewechselt, um den Eindruck zu vermeiden, daß sich der Verfasser in der Wendung "was wir erarbeitet haben" selbst in die Bedrohung miteinbezieht. Doch der Apostel war in seiner Formulierung zartfühlend und bescheiden zugleich. Er sah sich selbst als Mitarbeiter inmitten seiner Leser, und ihr Verlust, wenn sie der falschen Lehre nicht erfolgreich widerstanden, hätte ihn genauso getroffen. Die Antichristen waren eine Gefahr für das Werk des Herrn, an dem der Apostel und die Adressaten seines Briefes gemeinsam arbeiteten. Man sollte dabei nicht aus den Augen verlieren, daß die Wendung "vollen Lohn" darauf hindeutet, daß das Versagen die Gemeinde nicht ihres ganzen Lohnes berauben würde. Gott würde das, was sie schon für ihn getan hatten, nicht vergessen (vgl. Hebr 6,10 ). Doch die ganze Fülle ihres Lohnes (vgl. 1Kor 3,11-15 ) war durch die geistliche "Wühlarbeit" bedroht.


2Jo 1,9


In diesem Vers wird die Gefahr, um die es geht, deutlich beim Namen genannt. Wer darüber hinausgeht ( proagOn ; die meisten Handschriften habendie Lesart parabainOn , "abweichen") und bleibt nicht in der Lehre Christi, der hat Gott nicht. Nach diesen Worten hat der Apostel hier den Abfall von der Wahrheit bei Leuten im Sinn, die einst an ihr festgehalten hatten. Das Wort "bleibt" gibt das griechische Verb menO wieder, das uns schon aus dem 1. Johannesbrief, wo es dreiundzwanzigmal vorkommt, vertraut ist und dort auf das "Bleiben in der Gemeinschaft mit Gott" hinweist. Ein Mensch, der nicht bei einer Sache "bleibt", war vorher offensichtlich bei dieser Sache. Die Verfasser der neutestamentlichen Schriften dachten in bezug auf die Möglichkeit, daß auch echte Christen häretischem Gedankengut aufsitzen könnten, durchaus realistisch und warnten eindrücklich vor dieser Gefahr (vgl. den Kommentar zum Hebräerbrief). Johannes hatte seine Leser schon im Zusammenhang mit dem möglichen Verlust ihres Lohnes zur Wachsamkeit aufgerufen ( 2Joh 1,8 ). Nun warnt er sie (V. 9 ), die Grenzen der heilsamen und gesunden Lehre nicht zu übertreten, sondern dort auszuharren, wo sie waren und "in der Lehre ( didachE ; vgl. V. 10 ) Christi (d. h. von Christus) zu bleiben". Von der Wahrheit abzuweichen, kommt dem Abfall von Gott gleich. Gott ist nicht mit einem Menschen, der diesen Schritt vollzieht. Auch hier geht es nicht um den Verlust des Heils, sondern um die Abweichung von der rechten Lehre, die immer von Ungehorsam begleitet ist.

Im Gegensatz zu dem, der von der Wahrheit abirrt, hat der, der in dieser Lehre bleibt, ... den Vater und den Sohn . D. h., Gott ist mit denen, die auf der wahren Lehre von Christus beharren. (Auch in dieser Stelle steckt möglicherweise eine indirekte Bestätigung der Gottheit Christi; vgl. V. 3 .) Doch es ging Johannes hier zweifellos um mehr als um bloße Bekenntnisorthodoxie. Er gebraucht zum zweiten Mal in Vers 9 das Verb menO , das in allen johanneischen Briefen für ein Leben der Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohn steht. Der Ursprung dieses Schlüsselwortes ist in Texten wie Joh 8,31 und Joh 15,1-7 zu suchen. Johannes, ein Mann, der "in der Lehre bleibt", steht in lebendiger und dynamischer Verbindung mit der Wahrheit und hat deshalb auch eine dynamische Beziehung zu Gott, dessen Geboten er gehorcht (für einen anderen Ausdruck dieser besonderen Beziehung vgl. Joh 14,21-23 ). "Bleiben" und Gehorsam sind im johanneischen Denken untrennbar.

2. Johannes

2Jo 1,10-11


Doch das Bleiben in der Wahrheit von Jesus Christus erfordert auch eine klare Absage an diejenigen, die falsche Lehren verbreiten. Deshalb setzt Johannes hinzu: Wenn jemand zu euch kommt und bringt diese Lehre nicht, so nehmt ihn nicht ins Haus und grüßt ihn auch nicht. Zu Lebzeiten des Johannes waren Wanderphilosophen und umherziehende religiöse Lehrer ein vertrauter Anblick. Auch die christlichen Prediger reisten von Ort zu Ort und waren von der Unterstützung und Gastfreundschaft der verschiedenen Ortsgemeinden abhängig ( 3Joh 1,5-8 ). Doch die Leser des 2. Johannesbriefes werden dringend dazu aufgefordert, in solchen Fällen genau hinzusehen und zu -hören. Wenn jemand (in der Rolle eines Wanderapostels) zu ihnen "kommt", ohne ihnen die gesunde Lehre ( didachEn ) zu bringen, so soll ihm keine Hilfe gewährt werden. Das griechische Verb für "bringen" ist pherO ("tragen"), ein Wort, das ebenfalls das Motiv des Reisens aufnimmt. Wenn die Wahrheit nicht zum "Reisegepäck" gehört, so soll dem Reisenden von denen, die dieser Wahrheit treu bleiben, die Gastfreundschaft verweigert werden. (Den wahren Gläubigen dagegen muß in jedem Fall Gastfreundschaft gewährt werden; 3Joh 1,5.8 .) Einem Verführer aber soll man nicht einmal den Willkommensgruß bieten, denn das würde bedeuten, an seinen bösen ( ponErois ; vgl. to ponEron , "der Böse", 1Joh 2,13-14 ) Werken teilzuhaben. "Grüßt ihn" ( 2Joh 1,10-11 ) heißt wörtlich "begrüßt ihn". Das griechische Wort an dieser Stelle ist chairein , das mit chairO , "sich freuen, glücklich sein", verwandt ist. Chairein war der übliche herzliche Willkommens- oderAbschiedsgruß, etwa im Sinne von "ich freue mich, dich zu sehen" oder "Alles Gute" (vgl. Apg 15,23; 23,26; Jak 1,1 ).

Für unsre heutigen Ohren klingt diese Anweisung unangemessen hart und engstirnig. Ein großer Teil der Probleme der modernen Welt liegen jedoch gerade darin, daß sie oft zu allzu großer Toleranz gegenüber religiösen Unterschieden neigt. Man muß der Tatsache ins Gesicht sehen, daß die Verfasser des Neuen Testamentes diese tolerante Haltung nicht teilten. Ihre Verpflichtung auf die Wahrheit und ihr Wissen um die Gefahren religiöser Irrtümer ließen sie mit äußerster Strenge gegen die Irrlehrer zu Felde ziehen. Es ist daher nicht verwunderlich, daß unsere moderne Zeit, die kein Gefühl mehr für die Gefahren der Häresie hat, auch ihre Überzeugung von der Wahrheit verloren hat.

Doch der Abschnitt darf auch nicht überinterpretiert werden. Johannes ging es um Irrlehrer, die sich aktiv dafür einsetzten, falsche Vorstellungen zu verbreiten. In dieser Tätigkeit sollen sie keinesfalls unterstützt werden. Schon ein simpler Gruß gab ihnen vielleicht ein Gefühl des Akzeptiertseins, das falsch verstanden werden konnte. Durch ihr abweisendes Verhalten sollten die Leser klarmachen, daß sie solchen Männern in keiner Weise in die Hände arbeiteten. Dieser Rat hat seine Gültigkeit bis heute nicht verloren. Johannes spricht die Frage, welche Bemühungen unternommen werden sollten, um diese Leute für die Erkenntnis der Wahrheit zu gewinnen, zwar nicht an. Doch es ist klar, daß alles getan werden muß, daß sie nicht durch eine Art Billigung ihres Irrtums noch tiefer in ihn hineingetrieben werden.


III. Lebewohl
(V. 12 - 13 )


Der Abschiedsgruß des Apostels ähnelt dem in 3Joh 1,13 (vgl. "Ich hätte dir viel zu schreiben; aber ich wollte nicht mit Tinte und Feder an dich schreiben. Ich hoffe aber, dich bald zu sehen; dann wollen wir mündlich miteinander reden"). Wie die ganze äußere Form des Briefes ist auch sein Schluß ziemlich konventionell. Das Floskelhafte dieser abschließenden Sätze bedeutet jedoch nicht, daß sie nicht durchaus ernst gemeint waren.



2Jo 1,12


Johannes deutet an, daß er der Gemeinde eigentlich noch viel zu schreiben ... hätte , daß er es jedoch vorziehe, alles weitere mündlich zu besprechen, und kündigt ihr seinen baldigen Besuch an. Eine solche persönliche Begegnung sollte seine Freude ( chara ) vollkommen machen. Was er vielleicht noch geschrieben hätte, wenn er diesen Besuch nicht vorgehabt hätte, läßt sich in ungefähr aus dem Inhalt des 1. Johannesbriefes erschließen. In mancher Hinsicht liest sich der 2. Johannesbrief geradezu wie eine verdichtete Fassung des 1. Briefes. Es ist daher wahrscheinlich, daß der Briefschreiber seine Ermahnungen in ähnlicher Weise ausführlicher gestaltet hätte, wie er es in seinem umfangreicheren Schreiben tat.

2Jo 1,13


Der Apostel bestellte auch Abschiedsgrüße von den Kindern deiner Schwester, der Auserwählten . Wenn der Brief sich tatsächlich an eine christliche Frau richtete, so würde man erwarten, daß die Grüße von der Schwester selbst und nicht von deren Kindern kommen. Wegen der Anonymität aller persönlicher Hinweise scheint es also wiederum am einfachsten, davon auszugehen, daß dies ein Gruß von den Mitgliedern ("Kindern"; vgl. V. 1 ) einer "Schwestergemeinde" der von Johannes angesprochenen anonymen Gemeinde war (vgl. die Einführung ). Beide in weiblicher Form personifizierten Gemeinden werden als von der souveränen göttlichen Gnade "auserwählt" bezeichnet. Als solche legen sie Zeugnis für das christliche Netz der Anteilnahme und Fürsorge ab, die die Glieder der verschiedenen Gemeinden in den Anfangsjahren des christlichen Glaubens einte.


BIBLIOGRAPHIE


Vgl. die Bibliographie zu 1. Johannes .