Apostelgeschichte (Stanley D. Toussaint)
EINLEITUNG
Unter den Schriften des Neuen Testaments
nimmt die Apostelgeschichte einen ganz besonderen Platz ein.
Ihre Bedeutung liegt vor allem darin, daß sie als einzige
kanonische Schrift an die historischen Berichte der Evangelien
anknüpft und uns außerdem zahlreiche Informationen über die
Hintergründe und das Umfeld der meisten Paulusbriefe liefert.
Bruce schreibt: "Lukas haben wir einen zusammenhängenden Bericht
über die missionarischen Aktivitäten des Apostels Paulus zu
verdanken. Ohne (die Apostelgeschichte) stünden wir unendlich
viel ärmer da. Selbst wenn man sie als Erklärungsgrundlage mit
heranzieht, bleibt noch vieles in den Paulusbriefen unklar;
wieviel schwieriger aber wäre unsere Situation, wenn wir die
Apostelgeschichte nicht besäßen" (F.F. Bruce, Commentary on the
Book of the Acts , S. 27).
Das Buch der Apostelgeschichte vermittelt
dem heutigen Christen einen äußerst aufschlußreichen Einblick in
das Leben der Urkirche. Lukas beschreibt die Spannungen,
Verfolgungen, Frustrationen und theologischen Probleme, mit
denen die ersten Gläubigen zu kämpfen hatten, und die Hoffnung,
aus der sie lebten. Es wäre ein unersetzlicher Verlust für die
Kirche, wenn dieses Quellenmaterial über ihre ersten Anfänge
verlorengegangen wäre.
Zugleich zeichnet die Apostelgeschichte
aber auch ein Bild des Übergangs von einem allein auf das
jüdische Volk beschränkten Wirken Gottes hin zur Errichtung
einer weltweiten Kirche. In ihren 28 Kapiteln führt sie den
Leser von Jerusalem bis in die entlegensten Regionen der
damaligen Welt.
Nicht zuletzt stellt die Apostelgeschichte
auch heute noch eine Herausforderung für die Gläubigen dar. Die
Begeisterung, der Glaube, die Freude des Engagements und der
Gehorsam der ersten Heiligen haben Vorbildcharakter für alle
späteren Christen. Wer Christus nachfolgen will, sollte sich
deshalb mit diesem Buch, dessen Bedeutung nach Ansicht von
Richard Rackham kaum überschätzt werden kann (Richard Belward
Rackham, The Acts of the Apostles , S. xiii), so vertraut wie
möglich machen.
Titel des Buches
Das älteste schriftliche Zeugnis für den
Titel "Apostelgeschichte" findet sich in einem
anti-marcionitischen Prolog zum Lukasevangelium aus der Zeit
zwischen 150 und 180 n. Chr. Wie es zu dieser Bezeichnung kam,
ist allerdings unklar.
Man muß einräumen, daß der Titel eigentlich
nicht ganz zutreffend ist, denn die Apostelgeschichte ist
keineswegs ein Bericht über alle Werke sämtlicher Apostel, sie
konzentriert sich hauptsächlich auf Petrus und Paulus. Sogar
eine so berühmte Gestalt wie der Apostel Johannes wird nur
beiläufig erwähnt, und auch vom Tod des Johannesbruders Jakobus
ist nur in einem einzigen kurzen Satz die Rede ( Apg 12,2 ).
Angemessener wäre also der Titel: "Berichte
über das Wirken einiger Apostel". Trotzdem hat sich die kürzere
Bezeichnung "Apostelgeschichte" vollkommen eingebürgert.
Intention der Apostelgeschichte
Es steht fest, daß Lukas mit seinem Bericht
eine ganz bestimmte Absicht verfolgte. Doch was genau wollte er
mit seiner Darstellung erreichen, oder anders gesagt, warum
wählte er gerade diese Personen und Fakten aus? Darauf gibt es
zwei Antworten.
Manche Forscher sind der Ansicht, daß es
Lukas in erster Linie darum ging, einen historischen Abriß einer
bestimmten Zeitspanne zu geben; andere sehen in der
Apostelgeschichte eine Apologie, eine Verteidigung des
Christentums, noch stärker aber eine Apologie des Paulus. Einig
sind sich die Wissenschaftler dagegen, daß Lukas daneben auch
noch andere, seiner Hauptintention untergeordnete, Ziele
verfolgte.
Für die erste These, daß die
Apostelgeschichte in erster Linie eine Apologie des Paulus ist,
sprechen z. B. die zahlreichen Parallelen, die zwischen dem
Wirken des Petrus und dem des Paulus gezogen werden (vgl. die
Tabelle "Die Wunder von Petrus und Paulus").
Vielleicht wollte Lukas das Apostolat des
Paulus verteidigen, indem er seinen Lesern vor Augen führte, daß
Paulus, was Macht und Autorität betraf, ganz sicher nicht hinter
Petrus zurückstand. Das würde auch erklären, warum in der
Apostelgeschichte dreimal das Ereignis der Bekehrung des Paulus
geschildert wird ( Apg 9;22;26 ). Doch trotz der vielen Hinweise
auf die Gleichstellung von Paulus und Petrus läßt die These, der
Hauptzweck des Buches liege in der Rechtfertigung des Apostolats
des Paulus, zuviel offen. Viele Sachverhalte, auf die die
Apostelgeschichte eingeht, sind für eine solche Thematik völlig
irrelevant, so z. B. die Ernennung der Sieben ( Apg 6 ) oder die
detaillierte Beschreibung des Schiffbruchs ( Apg 27 ).
Eine dritte zentrale Aussage des Buches
liegt nach Ansicht der meisten Exegeten in der Betonung der
Universalität des Christentums. Ist sie möglicherweise sogar
sein Hauptzweck? Immerhin wird das Evangelium in der
Apostelgeschichte den von den Juden verachteten Samaritern, dem
äthiopischen Kämmerer, dem Römer Kornelius, den Heiden in
Antiochia, Armen und Reichen, Gebildeten und Ungebildeten,
Frauen und Männern, angesehenen Persönlichkeiten und Angehörigen
der untersten sozialen Schichten verkündigt. Dazu würde auch der
hohe Stellenwert, der dem in Kap. 15 beschriebenen Apostelkonzil
im ganzen Buch eingeräumt wird, passen. Doch auch bei dieser
These bleiben bestimmte Elemente, wie die Wahl des Matthias in
Kap. 1 oder die Ernennung der Sieben in Kap. 6 , ungeklärt.
Was ist also der Hauptzweck der
Apostelgeschichte? F.F. Bruce, ein Vertreter der Apologie-These,
schreibt: "Lukas ist einer der ersten christlichen Apologeten.
Er ist ein Pionier der besonderen, an die weltlichen Autoritäten
gerichteten Form der Apologie, die die säkularen Herrscher der
Gesetzestreue des Christentums versichert." (Bruce, Acts, S. 24;
vgl. F.J. Foakes Jackson und Kirsopp Lake (Hrsg.), The
Beginnings of Christianity , Band II, Prolegomena II: Criticism,
Grand Rapids 1979, S. 177 - 87). In der Tat spricht vieles in
der Apostelgeschichte dafür, daß das Buch geschrieben wurde, um
das Christentum vor der römischen Obrigkeit zu verteidigen.
So haben z. B. die Verfolgungen in der
Apostelgeschichte immer rein religiöse Gründe - mit zwei
Ausnahmen in Philippi ( Apg 16 ) und Ephesus ( Apg 19 ). In
diesen beiden Städten erwuchs der Widerstand aus bestimmten
Gruppen, die im Christentum eine Bedrohung ihres Profitstrebens
sahen. Alle anderen Verfolgungen gingen auf die Initiative von
Juden zurück.
Doch auch die Einwände gegen die
Apologie-These können sich sehen lassen. Warum berichtet Lukas
z. B. so ausführlich über den Schiffbruch des Paulus ( Apg 27 )?
In eine andere Richtung weist auch die enge Verbindung zwischen
der Apostelgeschichte und dem Lukasevangelium. Allem Anschein
nach war die Apostelgeschichte des Lukas als zweibändiges Werk
angelegt (vgl. Apg 1,1 ). Der erste Teil, das Lukasevangelium,
läßt dabei nur wenig von einer apologetischen Absicht erkennen.
Es ist unwahrscheinlich, daß sich das im zweiten Buch
vollständig geändert haben sollte.
In der Forschung hat sich deshalb allgemein
die Ansicht durchgesetzt, daß die Apostelgeschichte in erster
Linie als historischer Bericht zu verstehen ist. Demnach wäre es
das Ziel des Autors gewesen, die Ausbreitung des Evangeliums von
"Jerusalem" über "ganz Judäa" bis nach "Samarien" und "an das
Ende der Erde" darzustellen ( Apg 1,8 ). Barclay notiert: "Es
war das Anliegen des Lukas, ein Werk über die Ausbreitung des
Christentums zu verfassen, d. h. zu zeigen, wie diese Religion,
die in einer winzigen Ecke Palästinas entstand, in wenig mehr
als 30 Jahren bis nach Rom gelangte" (William Barclay, The Acts
of the Apostles , S. xvii). Es geht damit in der
Apostelgeschichte um den Übergang von der Verkündigung des
Evangeliums unter den Juden - durch Petrus - zur Predigt unter
den Heiden durch Paulus. So läßt sich die zeitliche Aussage in
Apg 1,1 mit dem Prolog in Lk 1,1-4 , der der Vorrede eines
Historikers wie Herodot, Thukydides oder Polybius vergleichbar
ist, in Verbindung bringen. Lukas sah sich also in beiden
Büchern als Geschichtsschreiber.
Doch war er wirklich nur
Geschichtsschreiber? Die Apostelgeschichte des Lukas ist zwar
ein historischer Bericht, doch sie ist zugleich auch ein
theologisches Werk, und zwar in erster Linie ein
eschatologisches. Sie beginnt mit einer eschatologischen Frage (
Apg 1,6 ) und endet mit einem eschatologischen Begriff ("Reich
Gottes"; Apg 28,31 ). In einem zweiten Entwicklungsstrang zeigt
sie die absolute Souveränität Gottes bei der Ausbreitung des
Evangeliums. Trotz heftigster Widerstände verschiedenster Art
breitete sich das Wort Gottes unaufhaltsam aus und fand einen
Widerhall bei den Menschen, die es hörten. Man könnte den Zweck
der Apostelgeschichte dennoch wie folgt definieren: Sie will,
auf dem Hintergrund des Lukasevangeliums, das planvolle und von
Gott souverän gelenkte Weitertragen der Botschaft vom
Gottesreich von den Juden zu den Heiden und von Jerusalem nach
Rom erklären . Der erste Band des lukanischen Geschichtswerks,
das Lukasevangelium, begann mit der Beantwortung der Frage, wie
aus dem Christentum, dessen Wurzeln doch im Alten Testament und
im Judentum liegen, eine weltweite Religion werden konnte, und
die Apostelgeschichte ist quasi seine Fortsetzung.
In beiden Schriften spielt der
eschatologische Gedanke eine entscheidende Rolle. Der
prophetische Terminus "Reich Gottes" findet sich allein
zweiunddreißigmal im Lukasevangelium und sechsmal in der
Apostelgeschichte - dazu kommen indirekte Anspielungen auf das
Gottesreich in Apg 1,6 und Apg 20,25 (vgl. Apg 1,3; 8,12; 14,22;
19,8; 28,23.31 ) und viele andere - auch implizite -
eschatologische Hinweise ( Apg 1,11; 2,19-21.34-35; 3,19-25;
6,14; 10,42; 13,23-26.32-33; 15,15-18; 17,7.31; 20,24-25.32;
21,28; 23,6; 24,15.1.25; 26,6-8.18; 28,20 ). Auffallend ist auch
die Betonung der Rolle der Kirche im gegenwärtigen Zeitalter -
sie gilt als Erbin des Gottesreiches. All das weist darauf hin,
daß Lukas in seiner Schrift die Verbreitung der Botschaft vom
Reich Gottes zeigen wollte, die Verlagerung des Schwergewichts
vonden Juden, für die das Evangelium zuerst bestimmt war, auf
die Heiden, von Jerusalem nach Rom.
Diese Ausbreitung vollzog sich in
planvoller, von Gott gelenkter Weise. Die Souveränität Gottes
ist, wie bereits gesagt, ein weiterer "roter Faden", der sich
durch das ganze Buch der Apostelgeschichte zieht. Trotz größter
Hindernisse faßte das Wort des Herrn immer mehr Fuß und breitete
sich aus. Lukas will daran aufzeigen, daß Gott sowohl gläubige
Juden als auch Heiden aus diesem Zeitalter in sein
Tausendjähriges Reich aufnehmen will.
In diese Gesamtintention des Werkes gehen
die zuvor genannten anderen Ziele mit ein. Petrus als Apostel
für die Beschnittenen und Paulus für die Unbeschnittenen sind
die Hauptfiguren der geschilderten Ereignisse. Im Mittelpunkt
sowohl des Lukasevangeliums als auch der Apostelgeschichte steht
die Universalität des Evangeliums und die Ausbreitung der frohen
Botschaft, von der in Apg 1,8 die Rede ist.
Mögliche Quellen des Buches
Lukas zog für seinen Bericht wahrscheinlich
mehrere Quellen heran, an erster Stelle standen jedoch seine
persönlichen Erfahrungen. Der eindeutigste Beleg dafür sind die
"wir"-Passagen der Apostelgeschichte ( Apg 16,10-40;20,5-28,31
). Eine zweite persönliche Informationsquelle war wohl Paulus,
mit dem er lange Zeit zusammen war. Auf ihren langen gemeinsamen
Reisen haben die beiden zweifellos die Bekehrung des Apostels
und die Erfahrungen, die er in seinem Amt machte, eingehend
erörtert. An dritter Stelle sind die anderen Zeugen, zu denen
Lukas Verbindung hatte, zu nennen (vgl. Apg 20,4-5;21,15-19 ).
In Apg 21,18-19 wird z. B. eine Begegnung mit Jakobus erwähnt.
Jakobus wäre am ehesten in der Lage gewesen, Lukas die in den
ersten Kapiteln der Apostelgeschichte verarbeiteten
Informationen zu geben. Tatsächlich scheinen diese
Anfangspassagen auf eine aramäische Quelle zurückzugehen. Als
Paulus dann zwei Jahre lang in Cäsarea im Gefängnis lag ( Apg
24,27 ), hatte Lukas Zeit, in Palästina weitere Recherchen
anzustellen ( Lk 1,2-3 ). Nach eingehenden
Augenzeugenbefragungen schrieb er dann seinen Bericht.
Datierung Die Apostelgeschichte muß vor der
Zerstörung Jerusalems im Jahre 70 n. Chr. entstanden sein, denn
ein Ereignis von solcher Tragweite hätte der Verfasser mit
Sicherheit nicht unerwähnt gelassen. Das gilt besonders
angesichts eines der Grundthemen des Buches: Der Abwendung
Gottes von den Juden, die Jesus Christus verworfen hatten, und
seiner Hinwendung zu den Heiden.
Auch die Nachricht vom Tode des Paulus, der
gewöhnlich zwischen 66 und 68 n. Chr. datiert wird, hätte Lukas
wohl kaum verschwiegen.
Ebensowenig hätte der Historiker Lukas die
Christenverfolgungen unter Nero, die nach dem Brand Roms im Jahr
64 n. Chr. begannen, übergangen, wenn er sein Buch nach dieser
Zeit geschrieben hätte.
Eine Apologie des Christentums, die davon
handelt, wie irgendwelche unbedeutenden kaiserlichen Beamten mit
Paulus verfahren waren, wäre zu dieser Zeit wohl kaum noch von
Nutzen gewesen. Nero war damals so fest entschlossen, die Kirche
zu zerschlagen, daß eine Verteidigung, wie sie die
Apostelgeschichte darstellt, ihn auf keinen Fall von seinem
Vorhaben abgebracht hätte.
Die Forschung datiert die Entstehung der
Apostelgeschichte daher im allgemeinen zwischen 60 und 62 n.
Chr. Der Abfassungsort wäre damit Rom, möglicherweise auch
Cäsarea und Rom. Jedenfalls befand sich Paulus bereits wieder
auf freiem Fuß, oder seine Freilassung stand unmittelbar bevor.
Aufbau des Buches Die dieser Untersuchung
zugrundeliegende Gliederung stützt sich auf zwei Schwerpunkte
des Buches: Erstens auf das Leitthema der Ausbreitung des
Evangeliums, das in Apg 1,8 formuliert ist: "Aber ihr werdet die
Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird,
und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und
Samarien bis an das Ende der Erde."
Zweitens auf die Einfügung sogenannter
"Summarien" oder "Verlaufsberichte", in denen Lukas die
Entwicklung der Ausbreitung des Evangeliums zusammenfaßt (vgl.
Apg 2,47;6,7;9,31;12,24;16,5;19,20;28,30-31 ). Weil er dabei
keine feststehende Formel verwendet, besteht einige Uneinigkeit
darüber, ob und an welchen Stellen eventuell noch weitere
solcher "Verlaufsberichte" stehen (z. B. Apg
2,41;4,31;5,42;8,25.40 usw.). Auf jeden Fall fehlt diesen
anderen Aussagen entweder der summarische Charakter oder die
Eindeutigkeit.
Der Schlüsselvers Apg 1,8 und die sieben
zusammenfassenden Verlaufsberichte bilden die Grundlage für die
folgende Gliederung.
GLIEDERUNG
I. Das Zeugnis in Jerusalem ( 1,1-6,7 )
A. Die Erwartung der Erwählten ( Kap.
1-2 )
1. Einführung ( 1,1-5 )
2. Die Klausur in Jerusalem (
1,6-26 )
3. Die Geburtsstunde der Kirche (
Kap. 2 ) "Verlaufsbericht" Nr. 1: "Der Herr aber fügte täglich
zur Gemeinde hinzu, die gerettet wurden" ( 2,47 ).
B. Die Ausbreitung der Kirche in
Jerusalem ( 3,1-6,7 )
1. Widerstände gegenüber der
Kirche ( 3,1-4,31 )
2. Bestrafung innerhalb der
Kirche ( 4,32-5,11 )
3. Die weitere Entwicklung der
Kirche ( 5,12-42 )
4. Die Verwaltung innerhalb der
Kirche ( 6,1-7 ) "Verlaufsbericht" Nr. 2: "Und das Wort Gottes
breitete sich aus, und die Zahl der Jünger wurde sehr groß in
Jerusalem" ( 6,7 ).
II. Das Zeugnis in ganz Judäa und Samaria (
6,8-9,31 )
A. Der Märtyrertod des Stephanus (
6,8-8,1 a)
1. Die Gefangennahme des
Stephanus ( 6,8-7,1 )
2. Die Rede des Stephanus (
7,2-53 )
3. Der Tod des Stephanus (
7,54-8,1 a)
B. Das Wirken des Philippus ( 8,1 b. 2
- 40 )
1. In Samarien ( 8,1 b. 2-25 )
2. Das Gespräch mit dem
äthiopischen Kämmererer ( 8,26-40 )
C. Die Botschaft des Sauls ( 9,1-31 )
1. Die Bekehrung des Sauls (
9,1-19 a)
2. Sauls in Damaskus und
Jerusalem ( 9,19 b. 20-31 ) "Verlaufsbericht" Nr. 3: "So hatte
nun die Gemeinde Frieden in ganz Judäa und Galiläa und Samarien
und baute sich auf und lebte in der furcht des Herrn und mehrte
sich unter dem Bei- stand des Heiligen Geistes" ( 9,31 ).
III. Das Zeugnis bis ans Ende der Erde (
9,32-28,31 )
A. Die Ausbreitung der Gemeinde bis
nach Antiochia ( 9,32-12,24 )
1. Die Wegbereitung für ein
universales Evangelium durch Petrus ( 9,32-10,48 )
2. Die Wegbereitung für ein
universales Evangelium durch die Apostel ( 11,1-18 )
3. Die Wegbereitung für ein
universales Evangelium durch die Gemeinde in Antiochia (
11,19-30 )
4. Die Verfolgung der Gemeinde in
Jerusalem ( 12,1-24 ) "Verlaufsbericht" Nr. 4: "Und das Wort
Gottes wuchs und breitete sich aus" ( 12,24 ).
B. Die Ausbreitung der Gemeinde in
Kleinasien ( 12,25-16,5 )
1. Die Berufung und Beauftragung
von Barnabas und Sauls ( 12,25-13,3 ) (Die erste Missionsreise,
Kap. 13-14 )
2. Die Rundreise durch Kleinasien
( 13,4-14,28 )
3. Das Apostelkonzil in Jerusalem
( 15,1-35 )
4. Die Stärkung der Gemeinden in
Kleinasien ( 15,36-16,5 ) (Die zweite Missionsreise, 15,36-18,22
) "Verlaufsbericht" Nr. 5: "Da wurden die Gemeinden im Glaube
gefestigt und nahmen täglich zu an der Zahl" ( 16,5 ).
C. Die Ausbreitung der Kirche in
Griechenland ( 16,6-19,20 )
1. Der Ruf nach Mazedonien (
16,6-10 )
2. Die Konflikte in Mazedonien (
16,11-17,15 )
3. Der missionarische Kreuzzug in
Achaja ( 17,16-18,18 )
4. Der Abschluß der zweiten
Missionsreise ( 18,19-22 )
5. Die Missionirung von Ephesus (
18,23-19,20 ) (Die dritte Missionsreise 18,23-21,16 )
"Verlaufsbericht" Nr. 6: "So breitete sich das Wort aus durch
die Kraft des Herrn und wurde mächtig" ( 19,20 )
D. Die Ausbreitung der Kirche in Rom (
19,21-28,31 )
1. Der Abschluß der dritten
Missionsreise ( 19,21-21,16 )
2. Die Gefangenschaft in
Jerusalem ( 21,17-23,32 )
3. Die Gefangenschaft in Cäsarea
( 23,33-26,32 )
4. Die Gefangenschaft in Rom (
Kap. 27-28 ) "Verlaufsbericht" Nr. 7: "Paulus aber bleib zwei
volle Jahre in seiner eigenen Wohnung und nahm alle auf, die zu
ihm kamen, predigte das Reich Gottes und lehrte von dem Herrn
Jesus Christus mit allem Freimut ungehindert" ( 28,30-31 )
AUSLEGUNG
I. Das Zeugnis in Jerusalem
( 1,1 - 6,7 )
A. Die Erwartung der Erwählten
( Apg 1-2 )
1. Einführung
( 1,1 - 5 ) Apg 1,1-2
Die beiden ersten Verse der
Apostelgeschichte verweisen zurück auf das Lukasevangelium.
Jener Theophilus , von dem dort die Rede ist, war möglicherweise
ein Gönner von Lukas, der ihn während der Arbeit an seinen
Büchern finanziell unterstützte. Sicher ist, daß er Christ war
und daß Lukas ihn - und die Kirche Christi - mit seinen
Schriften im Glauben stärken und belehren wollte (vgl. Lk 1,1-4
).
Die Präposition von Anfang an besagt, daß
die Apostelgeschichte den Bericht vom Wirken und Lehren Christi
auf Erden fortsetzt. Durch sein Volk wirkt und lehrt Christus
noch heute.
Der Hinweis auf die Himmelfahrt des Herrn
in Apg 1,2 bezieht sich zurück auf Lk 24,51 .
Die Jünger erhielten bei dieser Gelegenheit
zwei Aufträge: (1) Sie sollten in Jerusalem bleiben ( Apg 1,4;
vgl. Lk 24,49 ), und (2) sie sollten als Zeugen in die Welt
gehen ( Apg 1,8; vgl. Lk 10,4;24,47 ). Diese Weisungen mögen auf
den ersten Blick widersprüchlich erscheinen, sind es jedoch
nicht, denn sie sollten der Reihe nach erfüllt werden.
Apg 1,3
Die Erscheinungen des auferstandenen Herrn
dienten als Beweise für seine Auferstehung. Der Begriff
"Beweise" ( tekmEriois ) kommt nur an dieser einen Stelle im
Neuen Testament vor; gemeint sind damit sichtbare Indizien, im
Gegensatz zu Beweisen, die sich auf Zeugenaussagen stützen. Die
Jünger konnten sich mit eigenen Augen und durch die Berührung
des Auferstandenen von der Wahrheit des Geschehens überzeugen
(vgl. Lk 24,39-40; 1Joh 1,1 ).
Vierzig Tage lang zeigte sich Jesus nach
seiner Auferstehung den Aposteln und redete mit ihnen vom Reich
Gottes . Was meint Lukas mit dem "Reich Gottes" (vgl. den
Kommentar zu Mt 3,2;13,10-16 )? War Gott nicht schon immer der
Herrscher der Welt, ganz besonders der Herr über Israel ( Dan
2,47; 3,33; 4,22-23.29.31-34; 5,21; 6,26-28; Ps 84,4;
89,7-19;103 ; usw.)? Das ist richtig, doch es wird eine Zeit -
das "Tausendjährige Reich" - kommen, in der Gott auf
spektakuläre Weise in die menschliche Geschichte eingreifen und
für alle sichtbar seine Herrschaft auf Erden errichten wird.
Obwohl Jesus seine Jünger schon vor seiner Kreuzigung immer
wieder auf dieses kommende Ereignis hinwies, hielt er es für
angebracht, noch vierzig Tage nach der Auferstehung mit ihnen
darüber zu reden.
Apg 1,4
Die Verheißung des Vaters , von der auch in
Lk 24,49 die Rede ist, bestand ganz offensichtlich im Kommen des
Heiligen Geistes (vgl. Apg 1,5; Joh 14,16;15,26;16,7 ).
Apg 1,5
Schon Johannes der Täufer hatte von einer
Taufe mit dem Heiligen Geist , die der Herr Jesus an den
Gläubigen vornehmen und durch die er sie an sich binden würde,
gesprochen. Diese Taufe war für ihn ein Zeichen der Größe des
Herrn, denn er selbst hatte nur mit Wasser getauft. Das Wort
getauft , das im strengen Wortsinn "ein- oder untertauchen"
bedeutet, hat hier die Bedeutung von "vereinigen mit" (vgl. 1Kor
10,1-2 ). Auch Jesus selbst hatte mehrmals auf die Taufe mit dem
Heiligen Geist hingewiesen ( Mt 3,11; Mk 1,8; vgl. Apg 11,16 ).
2. Die Klausur in Jerusalem
( 1,6 - 26 )
a. Die Himmelfahrt
( 1,6 - 11 )
Apg 1,6
Außerordentlich aufschlußreich ist die
Frage der Jünger: Herr, wirst du in dieser Zeit wieder
aufrichten das Reich für Israel?
Der Satz beginnt im Griechischen mit dem
Bindewort "nun" ( men oun ), das den Zusammenhang zu Vers 5
herstellt. In der Vorstellung der Jünger mußten die Ausgießung
des Heiligen Geistes und das Kommen des verheißenen
Gottesreiches zusammenfallen. Wie konnte es auch anders sein, wo
doch das Alte Testament diese beiden Ereignisse so oft zusammen
beschrieben hatte (vgl. Jes 32,15-20;44,3-5; Hes 39,28-29; Joe
3,1-4,1; Sach 12,8-10 )! Als deshalb Christus davon sprach, daß
die Taufe mit dem Heiligen Geist bevorstünde, schlossen sie
daraus sofort, daß auch die Wiederherstellung des Königreiches
Israel gekommen sei (vgl. den Kommentar zu dem Verb
"wiederherstellen" bei Apg 3,21 ).
Apg 1,7 Manche Forscher leiten aus der
Antwort Jesu die Schlußfolgerung ab, daß die Apostel sich ein
falsches Bild vom Gottesreich machten. Das ist jedoch sicherlich
nicht der Fall. Christus warf den Jüngern nicht vor, sich
falschen Hoffnungen hingegeben zu haben. Dabei wäre jetzt der
richtige Zeitpunkt gewesen, ihren Irrtum zu korrigieren. Jesus
hatte ihnen tatsächlich gesagt, daß ein irdisches, ganz
konkretes Reich kommen werde (vgl. Mt 19,28; Lk
19,11-27;22,28-30 ). Nach Apg 1,3 sprach der Herr mehrmals mit
den Jüngern über das Reich Gottes; dabei hatte er ihnen mit
Sicherheit ein richtiges Bild vom Wesen dieses Reiches
vermittelt. Hier (in V. 7 ) ging es ihm jedoch um die Zeit, zu
der das Reich kommen sollte. Das griechische Wort für Zeit (
chronous ) bezeichnet ursprünglich eine zeitliche Dauer; der
Begriff für Stunde dagegen ( kairous ) umfaßt sowohl die
zeitliche Dauer als auch ihre Qualität (wie z. B. "harte
Zeiten"). Die Jünger würden also weder die Zeit selbst, die der
Vater in seiner Macht bestimmt hat, wissen , noch wie sie werden
würde. All das würde ihnen später noch genauer offenbart werden
(vgl. 1Thes 5,1 ).
Apg 1,8
Dieser Vers beginnt mit einer
Gegenüberstellung ( alla , aber ) zu Vers 7 . Statt sich um Zeit
und Stunde zu kümmern, sollten die Apostel Zeugen Christi bis an
das Ende der Erde werden, nachdem sie auf übernatürliche Weise
die Kraft des Heiligen Geistes empfangen hatten.
Die Bedeutung des Satzes "ihr ... werdet
meine Zeugen sein" ist nicht ganz klar. Handelt es sich hier um
ein Gebot oder um eine Feststellung? Grammatisch könnte er
beides bedeuten, doch angesichts von Apg 10,42 (vgl. Apg 4,20 )
ist er wohl eindeutig als Imperativ, als Aufforderung für die
Zukunft, zu verstehen.
Wahrscheinlich ist mit dem "Ende (Singular)
der Erde" Rom gemeint, im 1. Jahrhundert das stolze Zentrum der
Zivilisation und über 2000 Kilometer (Luftlinie) von Jerusalem
entfernt.
Apg 1,9-11 Die folgenden Verse beschreiben
die Himmelfahrt des Herrn, weisen jedoch gleichzeitig auf seine
Wiederkunft voraus. Christus wird leibhaftig, vor aller Augen,
in einer Wolke auf den Ölberg ( Sach 14,4 ) zurückkehren ( Offb
1,7 ) - wie die Apostel ihn hatten zum Himmel auffahren sehen .
Die Himmelfahrt Christi war der Schlußpunkt
seines Wirkens auf Erden in menschlicher Gestalt. Er wurde
erhöht zur Rechten des Vaters ( Apg 2,33-36; Apg 5,30-31; Hebr
1,3;8,1;12,2 ). Das bedeutete, daß die Fortführung des Werkes
Christi auf Erden nun in die Hände seiner Jünger gelegt wurde (
Apg 1,1-2.8 ).
Die Himmelfahrt war notwendig, denn der
verheißene Tröster, der den Jüngern die Kraft für die
Verkündigung des Evangeliums und für das Warten auf das
Gottesreich geben sollte, konnte erst danach kommen (vgl. Joh
14,16.26;15,26; Joh 16,7; Apg 2,33-36 ).
b. Die Gebete im "Obergemach"
( 1,12 - 14 )
Apg 1,12-14
Der Ölberg lag nur einen Sabbatweg , etwa
800 Meter (vgl. 2Mo 16,29; 4Mo 35,5 ), von Jerusalem entfernt.
Die Apostel waren im Obergemach versammelt.
Größere Gesellschaften trafen sich normalerweise in den
Obergeschossen der Häuser, weil sich dort die größten Räume
befanden (vgl. Apg 20,8-9 ). Die Zimmer in den unteren
Stockwerken waren kleiner, weil die Mauern das Gewicht des
Oberstocks tragen mußten.
Bei dem Gebet (im griechischen Text hat das
Wort "Gebet" den Artikel bei sich; Apg 1,14 ) handelte es sich
wahrscheinlich um die Bitte um die Verheißung, von der in Vers 4
die Rede ist. Die Jünger befolgten also offenbar die Weisungen,
die sie von Jesus erhalten hatten ( Lk 11,13 ). Erst zu
Pfingsten wurde über die Christen der Geist ausgegossen (vgl.
Röm 8,9 ).
Offensichtlich bekehrten sich nach der
Auferstehung des Herrn auch Jesu Brüder zum Christentum (vgl.
Joh 7,5 ). Wenn das stimmt, so ist diese Erscheinung Christi
nach seiner Auferstehung die einzige, die Personen zuteil wurde,
die vor seinem Tod noch nicht an ihn glaubten.
c. Die Nachwahl des zwölften Apostels
( 1,15 - 26 )
Apg 1,15 Petrus , der führende Apostel,
trat auf unter den Brüdern und sprach zu hundertzwanzig
Menschen, die in Jerusalem versammelt waren. Insgesamt war der
Kreis der Nachfolger Christi jedoch weitaus größer (vgl. 1Kor
15,6 ).
Apostelgeschichte
Apg 1,16-17
Wie hoch Petrus das Alte Testament
einschätzte, wird an seiner Beurteilung der Psalmen deutlich: In
seinen Augen sind sie Aussagen des Heiligen Geistes, die dieser
durch den Mund Davids kundtat. Petrus war überzeugt, daß das
Wort der Schrift erfüllt werden mußte . Dieses "mußte", dei ,
ist ein Ausdruck für die logische oder göttliche Notwendigkeit
einer Sache.
Nach Petrus hatte schon David auf Judas
vorausgewiesen. Doch an welcher Stelle soll David von Judas
Iskariot gesprochen haben? Natürlich bezog er sich nicht auf ihn
persönlich und nannte auch nicht seinen Namen. Der Messias wird
in den Psalmen als der der vollkommene König beschrieben; daher
gelten die "Königspsalmen", die vom König Israels reden, häufig
als Antizipation Jesu Christi, und die Feinde des Königs werden
mit den Feinden des Messias gleichgesetzt. So gesehen kann man
Ps 69,26 und Ps 109,8 ,wie Lukas in Apg 1,20 sagt, auf Judas
beziehen. Beide Male handelt es sich um Verwünschungen der
Feinde des Königs (vgl. auch Ps 41,9 ).
Apg 1,18-19 Judas hatte den Acker zwar
nicht persönlich erworben, doch indirekt gehörte er ihm, da die
Priester ihn in seinem Namen mit dem Geld, das er für den Verrat
erhalten und in den Tempel geworfen hatte, kauften ( Mt 27,3-10
).
Der Bericht über das grauenhafte Ende des
Judas in Apg 1,18 scheint der Aussage von Mt 27,5 zu
widersprechen, wonach er sich "erhängte". Eine Erklärung dafür
könnte sein, daß seine Eingeweide, als er sich aufgehängt hatte,
so rasch anschwollen, daß sie platzten. Plausibler klingt
allerdings, daß er sich über einem Felsen erhängte und der Zweig
oder Ast des Baumes, über den er das Seil geworfen hatte, ihn
nicht trug, so daß er auf die Felsen herabfiel und mitten
entzwei brach.
Hakeldamach ist das aramäische Wort für
Blutacker . Die genaue Lage dieses Ackers ist unbekannt, doch
man nimmt an, daß er sich in der Nähe der griechisch-orthodoxen
Kirche und des Klosters St. Oniprius befand, an der
Schnittstelle zwischen dem Hinnom- und dem Kidrontal, südöstlich
von Jerusalem (vgl. die Karte).
Apg 1,20
Zu Petrus' Zitat der Ps 69,26 und Ps 109,8
vgl. den Kommentar zu Apg 1,16-17 .
Apg 1,21
Lukas benutzt auch hier die Verbform dei ,
muß , um die logische oder göttliche Notwendigkeit der
Ereignisse deutlich zu machen. Interessanterweise mußte die Zahl
der Apostel nach dem Tod von Judas ergänzt werden, doch nach dem
Tod des Apostels Jakobus ( Apg 12,2 ) wurde anscheinend kein
Nachfolger gewählt (jedenfalls haben wir keinen Bericht
darüber). Der Platz, den Judas hinterließ, mußte offensichtlich
deshalb neu besetzt werden, weil sonst einer der verheißenen
Throne, von denen in Mt 19,28 die Rede ist, leer bliebe, denn
der Herr hatte den Aposteln verheißen, daß sie nach seiner
Rückkehr auf die Erde mit ihm auf 12 Thronen sitzen und über das
Reich Christi herrschen würden (vgl. Offb 21,14 ).
Apg 1,22
Welche Bedeutung die Auferstehung Jesu für
die Jünger hatte, wird an der Forderung deutlich, daß der, der
den Platz des Judas einnehmen sollte, Zeuge seiner Auferstehung
, dem Eckstein des christlichen Glaubens (vgl. 1Kor 15 ), sein
mußte.
Apg 1,23-26
Sie stellten zwei Männer auf, Josef
(genannt Barsabbas, mit dem Beinamen Justus) und Matthias . Dann
beteten sie (das Gebet war die Anerkennung der Allwissenheit des
Herrn; vgl. Ps 139,1-6; Joh 2,24;4,29 )und warfen das Los .
Dabei wurden die Namen der Männer wahrscheinlich auf Steine
geschrieben, die dann in einen Behälter gelegt wurden. Der Name
des Mannes, der auf dem Stein stand, der dann beim Schütteln als
erster herausfiel, galt als vom Herrn selbst erwählt.
Das ist das letzte Mal in der Bibel, daß
der Wille Gottes durch das Los ermittelt wird. Dabei ist zu
beachten, daß es hier nicht um eine moralische Entscheidung
ging. Die Jünger mußten sich zwischen zwei Männern entscheiden,
die anscheinend beide die gleichen Qualifikationen besaßen. Das
Losverfahren geht wahrscheinlich auf Spr 16,33 zurück, wo
geschrieben steht, daß die Entscheidung des Loses eine
Entscheidung des Herrn ist.
Manche Theologen sind der Ansicht, daß die
Wahl des Matthias im Grunde genommen falsch war. Abgesehen
davon, daß sie das Losverfahren an sich mißbilligen, hätte in
ihren Augen Paulus den Platz des Judas einnehmen müssen.
Diejenigen, die die Wahl von Matthias für richtig halten, führen
jedoch ins Feld, daß Mt 19,28 sich an die Juden richtet, während
Paulus zu den Heiden gehen sollte ( Gal 2,9 ). Außerdem teilte
auch Lukas, Paulus' Freund und Begleiter, offensichtlich die
offizielle Anerkennung der Zwölf ( Apg 2,14;6,2 ). Die
Apostelgeschichte selbst enthält ebenfalls keinerlei Einwand
gegen die Wahl des Matthias.
3. Die Geburtsstunde der Kirche
( Apg 2 )
a. Das Kommen des Heiligen Geistes
( 2,1 - 13 )
Apg 2,1
Der Pfingsttag wurde alljährlich "eine
Woche von Wochen" (d. h. nach sieben Wochen oder 49 Tagen) nach
dem Fest der ersten Feldfrüchte gefeiert und daher auch
"Wochenfest" (vgl. 3Mo 23,15-22 ) genannt. Die Bezeichnung
Pfingsten ist griechischen Ursprungs; sie bedeutet 50, denn es
fand am 50. Tag nach dem Fest der ersten Feldfrüchte statt ( 3Mo
23,16 ).
Wo genau sich die Anhänger Christi
versammelt hatten, wissen wir nicht. Lukas schreibt einfach: Sie
waren alle an einem Ort beieinander. Vielleicht hielten sie sich
in den Vorhöfen des Tempels auf. Im nächsten Vers ist allerdings
von einem Haus die Rede ( Apg 2,2 ) - eine zwar mögliche (vgl.
Apg 7,47 ), aber unwahrscheinliche Bezeichnung für den Tempel.
Wenn sie sich also nicht im Tempel versammelten, so muß das
Haus, in dem sie sich trafen, doch auf jeden Fall in dessen Nähe
gewesen sein (vgl. Apg 2,6 ).
Apg 2,2-3
Die Hinweise auf den "Wind" und das "Feuer"
sind sehr wichtig. Das Wort für "Geist" ( pneuma ) ist verwandt
mit pnoe, dem Wort, das hier mit "Wind" übersetzt ist und auch
"Atem" bedeutet. Beide Substantive - "Geist" und "Wind" oder
"Atem" - stammen von dem Verb pneO , "blasen, atmen". Das
Brausen vom Himmel wie von einem gewaltigen Wind war ein Zeichen
für die Macht und die Fülle des Heiligen Geistes.
Die Zungen, zerteilt, wie von Feuer, stehen
für die Anwesenheit Gottes. Im Alten Testament offenbarte Gott
sich häufig in Form von Flammen ( 1Mo 15,17; 2Mo
3,2-6;13,21-22;19,18;40,38; vgl. Mt 3,11; Lk 3,16 ).
Keiner der Anwesenden war von diesem
Erlebnis ausgenommen, denn die Zungen - bzw. der Heilige Geist -
setzten sich auf einen jeden von ihnen .
Apg 2,4
Das "Erfülltwerden" mit dem Heiligen Geist
ist nicht dasselbe wie die Taufe mit dem Geist. Die Taufe mit
dem Geist erlebt jeder Gläubige nur einmal im Leben, zum
Zeitpunkt seiner Rettung (vgl. Apg 11,15-16; Röm 6,3; 1Kor
12,13; Kol 2,12 ), doch mit dem Geist erfüllt wird er auch
danach noch des öfteren ( Apg 4,8.31;6,3.5;7,55;9,17;13,9.52 ).
Die andern Sprachen ( heterias glOssais ;
vgl. Apg 11,15-16 ), die die Apostel plötzlich beherrschten,
waren ein Zeichen für die Taufe mit dem Heiligen Geist.
Zweifellos handelte es sich dabei um lebende Sprachen; in Apg
2,6 und 8 wird das Wort dialektO verwendet, es bedeutet
"Sprache", nicht "ekstatische Äußerungen". Das gibt uns auch
Aufschluß über die "Zungen" in Kap. 2,10.19 und in 1Kor 12-14 .
Das Ereignis, das hier beschrieben ist, war
praktisch die Geburtsstunde der Kirche. Bis jetzt wurde von ihr
immer nur als von etwas Zukünftigem gesprochen ( Mt 16,18 ). Die
Kirche bildet einen Leib, der durch die Taufe mit dem Heiligen
Geist ins Leben gerufen wurde ( 1Kor 12,13 ), also muß das
erstmalige Auftreten des Geistes, die Taufe mit dem Heiligen
Geist, als die Geburtsstunde der Kirche betrachtet werden. Zwar
wird in Apg 2,1-4 nicht ausdrücklich gesagt, daß die Taufe mit
dem Heiligen Geist an Pfingsten stattfand. Doch in Apg 1,5 wird
sie antizipiert, und Apg 11,15-16 ,wo von Pfingsten die Rede
ist, bezieht sich zurück auf sie. Daraus schließen wir, daß die
Kirche tatsächlich an Pfingsten gegründet wurde.
Apg 2,5-13
Während des Pfingstfestes hielten sich auch
"Diaspora"-Juden (d. h. Juden in der Zerstreuung; vgl. 1Pet 1,1;
Jak 1,1 ) in Jerusalem auf. Sie waren wahrscheinlich
zweisprachig und beherrschten neben ihrem Heimatdialekt auch die
griechische Sprache. Nun hörten sie zu ihrer maßlosen
Verwunderung galiläische Juden in den Sprachen des
Mittelmeerraums sprechen.
Unklar ist, ob nur die Zwölf oder alle 120
versammelten Gläubigen "in Zungen" sprachen. Mehreres spricht
dafür, daß es nur die Apostel waren: (1) Sie werden aus Galiläa
kommend bezeichnet ( Apg 2,7; vgl. Apg 1,11-13 ), (2) Petrus
stand auf "mit den Elf" ( Apg 2,14 ), und (3) auch das "sie" in
Apg 2,1 bezieht sich höchstwahrscheinlich auf "die Apostel" in
Apg 1,26 .Dem steht entgegen, daß in Apg 2,9-11 mehr als zwölf
Sprachen aufgezählt werden. Vielleicht konnte sich ein Apostel
jeweils in mehreren Sprachen äußern. Andererseits ist aber auch
nicht völlig auszuschließen, daß alle Einhundertzwanzig "in
Zungen" sprachen. Da die Mehrheit von ihnen aus Galiläa stammte,
wäre es immerhin denkbar, daß sie pauschal als "Galiläer"
bezeichnet wurden. Die Verweise auf die Zwölf würden sich dann
nur auf ihre Eigenschaft als Leiter der Einhundertzwanzig
beziehen.
In all diesen verschiedenen Sprachen
priesen sie die großen Taten Gottes , d. h., sie predigten an
dieser Stelle weder die Buße noch das Evangelium.
Die ungläubigen Juden, die sich dieses
Wunder beim besten Willen nicht erklären konnten, waren völlig
verwirrt. Manche nahmen ihre Zuflucht zum Spott und behaupteten:
Sie sind voll von süßem Wein.
b. Die Predigt des Petrus
( 2,14 - 40 )
Die Ansprache des Petrus kreist im Grunde
genommen um ein zentrales Thema: Jesus ist der Messias und Herr
(V. 36 ). Ihr Aufbau läßt sich wie folgt untergliedern:
I. Die Erfüllung der Prophezeiungen (V. 15
- 21 ) A. Eine Apologie (V. 15 ) B. Eine Erklärung (V. 16 - 21 )
II. Jesus - der Messias (V. 22 - 32 ) A. Zeugnis aus den Werken
(V. 22 ) B. Zeugnis aus der Auferstehung (V. 23 - 32 ) III.
Jesus, der verherrlichte Messias, als Spender des Heiligen
Geistes (V. 33 - 36 ) IV. Praktische Umsetzung des Gesagten (V.
37 - 40 )
Apg 2,14-15
Gleich am Anfang seiner Predigt wies Petrus
den Vorwurf zurück, daß sie alle betrunken seien. Es war erst
die dritte Stunde am Tage (also neun Uhr; der Tag begann um
sechs Uhr), viel zu früh für eine Gruppe betrunkener Zecher!
Apg 2,16-21
Die Gläubigen erlebten hier vielmehr am
eigenen Leibe, was bei Joe 2 geschrieben stand: Das ist's, was
durch den Propheten Joel gesagt worden ist. "Das ist's" heißt
nicht "das ist wie das", sondern bedeutet, daß das
Pfingsterlebnis tatsächlich die Erfüllung dessen war, was Joel
beschrieben hatte. Die Erfüllung der anderen Prophezeiungen
Joels, die Petrus in Apg 2,19-20 zitierte, blieballerdings noch
aus, denn Israel war nicht bereit, Buße zu tun (vgl. dazu den
Kommentar zu Apg 3,19-23 ).
Apg 2,22
Gott hatte Jesus durch seine Wunder unter
den Juden bestätigt und als Messias ausgewiesen (vgl. 1Kor
1,22;14,22 ).
Apg 2,23
Die Bedeutung dieses Verses liegt auf der
Hand: die Kreuzigung war kein Zufall. Sie entsprach vielmehr dem
Ratschluß ( boulE ) und der Vorsehung Gottes und war nicht nur
sein Wunsch, sondern sein entschiedener Wille und damit
göttliche Notwendigkeit (vgl. Apg 4,28 ). Mit ihr meinte Petrus
die Juden. Beide, sowohl Juden als auch Heiden, waren schuld an
Christi Tod. Den Juden warfen die Apostel häufig explizit vor,
Jesus gekreuzigt zu haben ( Apg
2,23.36;3,15;4,10;5,30;7,52;10,39;13,28 ), doch sie hielten auch
die Heiden für schuldig ("durch die Hand der Heiden"; Apg
2,23;4,27; vgl. Lk 23,24-25 ).
Apg 2,24
Eine der grundlegenden Aussagen der
Apostelgeschichte ist die Auferstehung des Herrn (V. 32 ; Apg
3,15.26;4,10;5,30;10,40;13,30.33-34.37;17,31; Apg 26,23 ). Sie
war ein weiterer Beleg dafür, daß er der Messias war, denn er
konnte nicht vom Tode festgehalten werden ( Joh 20,9 ).
Apg 2,25-35
Die folgenden Verse enthalten vier Beweise
für die Auferstehung des Herrn und seine Himmelfahrt: (a) Die
Prophezeiung von Ps 16,8-11 ,die sich auf den Messias beziehen
muß, da David gestorben ist ( Apg 2,29 ), (b) die Zeugen der
Auferstehung (V. 32 ), (c) die übernatürlichen Ereignisse an
Pfingsten (V. 33 ) und (d) die Himmelfahrt des Herrn Davids ( Ps
110,1; Apg 2,34-35 ).
Das in Vers 27.31 mit Tod übersetzte Wort
ist hadEs , es bedeutet entweder Unterwelt, d. i. der
Aufenthaltsort der Verstorbenen, oder, wie hier, "Grab".
Petrus will damit sagen, daß David, der
Erzvater, in Ps 16,15 nicht von sich selbst sprechen konnte,
weil er gestorben und begraben war; daher mußte an dieser Stelle
Christus ("Messias") und seine Auferstehung gemeint sein. Der
Eid, den Gott David schwur ( Apg 2,30 ), bezieht sich zurück auf
Ps 132,11 (vgl. 1Sam 7,15-16 ). Gott hat Jesus auferweckt und
erhöht (vgl. Apg 3,13; Phil 2,9 ) und ihn zu seiner Rechten
gesetzt (vgl. Apg 5,30-31; Eph 1,20; Kol 3,1; Hebr 1,3; Apg
8,1;10,12;12,2; 1Pet 3,22 ). Von dort hatte er die Macht, den
verheißenen Heiligen Geist zu senden ( Joh
1,5.8;14,16.26;15,26;16,7 ), dessen Gegenwart durch den Anblick,
der sich den Menschen bot ("Zungen von Feuer"; Apg 2,3 ), durch
das Brausen, das sie hörten ("ein gewaltiger Wind"; V. 2 ), und
durch die Fähigkeit der Apostel, in anderen Sprachen zu sprechen
(V. 4.6. 8.11 ), bewiesen wurde.
Auch in Ps 110,1 konnte David nicht von
sich selbst gesprochen haben. Er wurde nicht auferweckt ( Apg
2,29.31 ), und er ist auch nicht gen Himmel gefahren (V. 34 ).
Der HERR ist Jahwe, Gott, der zu meinem (Davids) Herrn ,
Christus, Gottes Sohn, sprach.
Immer wieder hoben die Apostel hervor, daß
sie Zeugen des auferstandenen Christus waren (in der
Apostelgeschichte insgesamt fünfmal; vgl. V. 32 ; Apg
3,15;5,32;10,39-41;13,30-31 ). Sie wußten also, wovon sie
sprachen!
Apg 2,36
Dann kam Petrus zur Schlußfolgerung aus
seinem Gedankengang. Das Substantiv Herr , hier bezogen auf
Christus, ist wahrscheinlich ein Verweis auf Jahwe. Dasselbe
Wort, kyrios , steht in Vers 21.34.39 für Gott (vgl. Phil 2,9 )
und ist damit eine Bestätigung der Gottheit Christi.
Apg 2,37
Die Verse 37 - 40 enthalten dann die
praktische Anwendung der Predigt. Das hier mit ging durch
übersetzte Verb ( katenygEsan ) bedeutet "heftig schlagen oder
stechen, verblüffen". Das Wirken des Heiligen Geistes erwies
sich als mächtig in den Herzen der Menschen (vgl. Joh 16,8-11 ).
Ihre Frage "was sollen wir tun?" hatte
allerdings einen verzweifelten Unterton (vgl. Apg 16,30 ). Wenn
die Juden ihren Messias gekreuzigt hatten und er jetzt erhöht
war, was blieb ihnen dann noch zu tun übrig?
Apg 2,38-39
Die Antwort von Petrus war klar und
eindeutig. Als erstes sollten sie Buße tun . Das Verb, das er
hier verwendete ( metanoEsate ), bedeutet ursprünglich "die
Einstellung, das Herz, die Ausrichtung des Lebens ändern". Aus
der inneren Wandlung sollte dann offensichtlich auch eine
Verhaltensänderung erwachsen, doch die Betonung liegt auf der
Änderung des Geistes bzw. der Einstellung. Die Juden hatten
Jesus verworfen; jetzt sollten sie ihm vertrauen und an ihn
glauben. Die Buße spielt in der Apostelgeschichte immer wieder
eine wesentliche Rolle in der Predigt der Apostel (V. 38 ; Apg
3,19;5,31;8,22;11,18;13,24;17,30;19,4;20,21;26,20 ).
Das Gebot "jeder von euch lasse sich
taufen" und die mit ihm in Verbindung gebrachte Sündenvergebung
wurde unterschiedlich ausgelegt: (1) Beide, Buße und Taufe,
führen zur Vergebung der Sünden. Demnach wäre die Taufe
heilsnotwendig. An anderen Stellen in der Schrift wird die
Vergebung der Sünden dagegen allein vom Glauben abhängig gemacht
( Joh 3,16.36; Röm 4,1-17; Röm 11,6; Gal 3,8-9; Eph 2,8-9;
usw.). Auch Petrus selbst verhieß später die Vergebung der
Sünden allein durch den Glauben ( Apg 5,31;10,43;13,38;26,18 ).
Apg 2,40
(3) Eine dritte Möglichkeit wäre, den Satz
"und jeder von euch lasse sich taufen auf den Namen Jesu
Christi" vom übrigen Satz abzugrenzen. Dafür spricht folgendes:
(a) Die Verben und Substantive in Vers 38 stehen zum Teil im
Singular und zum Teil im Plural. Das Verb "tut Buße" ist Plural,
ebenso wie das Pronomen "eurer" in dem Satz "zur Vergebung eurer
Sünden" ( eis aphesin tOn harmartiOn hymOn ). Daher muß das Verb
"tut Buße" zu dem Satzteil "zur Vergebung der Sünden" gehören.
Der Imperativ "jeder von euch lasse sich taufen" dagegen steht
im Singular und hebt sich damit vom übrigen Satz ab. (b) Diese
Interpretation paßt auch zu der Aussage von Petrus in Apg 10,43
, in der dieselbe Formulierung, "zur Vergebung der Sünden" (
aphesin hamartiOn ), vorkommt. Auch dort wird die Vergebung der
Sünden allein durch den Glauben gewährt. (c) In Lk 24,47 und Apg
5,31 weist Lukas darauf hin, daß es die Buße ist, die die
Vergebung der Sünden bewirkt.
Petrus' Worte in diesem Vers beziehen sich
zurück auf die Verse 23 und 36 . Israel als Ganzes hatte
entsetzliche Schuld auf sich geladen, doch als Individuen
konnten die Juden dem Gericht Gottes über dieses Geschlecht noch
entgehen, wenn sie Buße taten (vgl. Mt 21,41-44;22,7;23,34-24,2
).
c. Die Beschreibung der ersten Kirche
( 2,41 - 47 )
Apg 2,41
An diesem Tag ließen sich dreitausend
Gläubige taufen und gaben damit ihrem Wunsch Ausdruck, Christus
nachzufolgen. Unmittelbar nach der Taufe schlossen sie sich der
Glaubensgemeinschaft an.
Apg 2,42
Diese ersten Gläubigen, die die Urkirche
bildeten, taten zweierlei. Sie blieben beständig (
proskarterountes , "beharren in oder fortfahren mit"; vgl. Apg
1,14;2,46;6,4;8,13;10,7; Röm 12,12; Röm 13,6; Kol 4,2 ) in der
Lehre der Apostel , und sie schlossen sich zu einer Gemeinschaft
zusammen, die sich im Brotbrechen und im Gebet manifestierte.
Mit dem "Brotbrechen" waren wahrscheinlich
sowohl normale gemeinsame Mahlzeiten als auch das Herrenmahl
gemeint (vgl. Apg 2,46;20,7; 1Kor 10,16;11,23-25; Jud 1,12 ).
Apg 2,43
Die Apostel vollbrachten - auch später noch
( Apg 4,30;5,12;6,8;8,6.13;14,3;15,12 ) - viele Wunder ( terata
, "Wunder, die Ehrfurcht erwecken") und Zeichen ( sEmeia ,
"Wunder, die auf die göttliche Wahrheit verweisen"), die ihre
Glaubwürdigkeit bestätigten (vgl. 2Kor 12,12; Hebr 2,3-4 ).
Christus selbst hatte die Wahrheit seiner Botschaft ebenfalls
durch "Wunder", "Zeichen" und "große Taten" ( dynameis )
erwiesen.
Apg 2,44-45
Alle Mitglieder der Urgemeinde verkauften
ihr Eigentum und lebten von dem gemeinschaftlichen Besitz,
wahrscheinlich, weil sie mit der baldigen Rückkehr des Herrn und
der Errichtung des Gottesreiches rechneten. Als ihre Hoffnung
sich als Irrtum herausstellte, gaben sie diese Praxis wohl auf.
Sie war allerdings von Anfang an nicht mit dem heutigen
Sozialismus oder Kommunismus zu vergleichen, denn sowohl der
Anschluß an die Gemeinschaft der Gläubigen als auch der Verkauf
des Privateigentums geschahen freiwillig (vgl. Apg
4,32.34-35;5,4 ); außerdem wurden die Güter nicht gleichmäßig,
sondern entsprechend den Bedürfnissen eines jeden verteilt.
Apg 2,46-47
Alle diese Aktivitäten trugen dazu bei, daß
sich die Kirche mehr und mehr vom traditionellen Judentum
entfernte. Dennoch waren die Christen weiterhin täglich (vgl. V.
47 ) einmütig beieinander im Tempel .
Eine siegreiche Kirche ist eine freudige
Kirche. Diese Freude zeigte sich bei allen möglichen
Gelegenheiten ( Apg
5,41;8,8.39;11,23;12,14;13,48.52;14,17;15,3.31;16,34;21,17 ).
Gemeinschaftlich brachen die Gläubigen das Brot hier und dort in
den Häusern und hielten die Mahlzeiten (vgl. Apg 2,42 ) mit
Freude . (Der Ausdruck lobten [ ainountes ] steht nur neunmal im
Neuen Testament, davon allein siebenmal bei Lukas: Lk
2,13.20;19,37;24,53; Apg 2,47;3,8-9; Röm 15,11; Offb 19,5 ).
Der Abschnitt endet mit dem ersten der
sieben "Verlaufsberichte" (vgl. Apg
6,7;9,31;12,24;16,5;19,20;28,30-31 ): täglich wurden weitere
gerettet. Die Kirche verzeichnete also von Anfang an
verblüffende Zuwachsraten.
B. Die Ausbreitung der Kirche in Jerusalem
( 3,1 - 6,7 )
1. Widerstände gegenüber der Kirche
( 3,1 - 4,31 )
a. Der Anlass
( Apg 3 )
Apg 3,1
Offensichtlich waren im Tempel in Jerusalem
verschiedene Zeiten für das Gebet festgesetzt: neun Uhr morgens,
zwölf Uhr mittags und drei Uhr nachmittags. An dieser Stelle ist
wahrscheinlich vom Nachmittagsgebet die Rede (vgl. Apg 4,3 ).
Apg 3,2
Die Beschreibung des von Geburt an
Gelähmten, der täglich in den Tempel getragen wurde, macht
deutlich, daß sein Zustand hoffnungslos war. Er war bereits über
40 Jahre alt ( Apg 4,22 ) und wurde jeden Tag vor die Tür des
Tempels, die da heißt die Schöne (vermutlich das Osttor, das vom
Vorhof der Heiden in den Frauenhof führte), gesetzt, um dort zu
betteln.
Apg 3,3-11
Seine Wunderheilung durch Petrus und
Johannes (V. 7 ) zog, in Verbindung mit der überschwenglichen
Reaktion des Mannes (V. 8 ), eine überraschte ( Verwunderung und
Entsetzen erfüllte sie ) Menge an. Alles Volk lief zu ihnen in
die Halle, die da heißt Salomos , d. h. in den Säulengang, der
die ganze Ostseite des Tempels entlang bis zum äußeren Hof
verlief (vgl. Apg 5,12 ). Die Apostelgeschichte berichtet noch
von zwei weiteren Heilungen Gelähmter ( Apg 9,32-34; Apg 14,8-10
).
Apg 3,12
Petrus erfaßte die Situation sofort und
machte sie sich zunutze. Seine Predigt bestand aus einer
Erklärung (V. 12 - 16 ) und einer Ermahnung (V. 17 - 26 ).
Apg 3,13-15
Zunächst sagte er, daß Jesus, der Knecht
Gottes (vgl. V. 26 ; Apg 4,27.30 ), diese Heilung vollbracht
habe. Der Terminus "Knecht Gottes" erinnert an den Titel
"Gottesknecht" in Jes 42,1;49,6-7;52,13;53,11
.Interessanterweise verwendet Jesaja ( Jes 53,12; im Text der
Septuaginta) zwei Formen des Verbs überantworten , paradidOmi .
Der niedrige Gottesknecht (vgl. Phil 2,6-8 ) wurde vom Gott der
Väter Israels, Abraham, Isaak und Jakob (vgl. 1Mo
32,10;3,6.15.16; Mt 22,32; Mk 12,26; Lk 20,37 ), verherrlicht
(vgl. Joh 12,23;17,1; Apg 2,33; Phil 2,9; Hebr 1,3-4.8 ). Dann
hielt er seinen Zuhörern mit drastischen Worten ihr Verhalten
vor Augen ( Apg 3,13-15 ). Zuerst hatten sie von Pilatus
verlangt, Christus zu töten, obwohl dieser ihn loslassen wollte
. Sodann hatten sie den Heiligen und Gerechten verleugnet und
statt seiner einen Mörder befreit. Drittens hatten sie den
Fürsten des Lebens getötet. Doch Gott hat ihn von den Toten
auferweckt . Interessant sind hier vor allem die Titel, mit
denen Petrus Christus belegt: Er nennt ihn "seinen Knecht
Jesus", "den Heiligen und Gerechten" (vgl. Hebr 7,26 ) und "den
Fürsten des Lebens" (vgl. Joh 10,10 ). Vor allem dieser dritte
Titel enthält eine gewisse Ironie: Die Juden töteten den Fürsten
des Lebens , doch er wurde zum Leben auferweckt! (Zur
Auferstehung Jesu vgl. den Kommentar zu Apg 2,24 ,zu den Zeugen
der Auferstehung 2,32 .)
Apg 3,16 Der Gelähmte war geheilt worden,
weil er, wie die vielen, die Jesus geheilt hatte, an den Namen
Jesu glaubte (z. B. Mk 5,34;10,52; Lk 17,19 ). In der Zeit des
Alten und Neuen Testaments stand der Name einer Person für die
Person selbst. Lukas nennt den Namen (Jesu) in der
Apostelgeschichte mindestens dreiunddreißigmal (vgl. Apg
2,21.38;3,6.16;4,7.10.12.17-18;5,28.40-41; usw.).
Apg 3,17-18
Mit diesem Vers beginnt der ermahnende Teil
der Ansprache des Petrus. Die Juden und ihre religiösen Führer
(vgl. Lk 23,13 ) hatten insofern in Unwissenheit gehandelt (vgl.
Apg 17,30; Eph 4,18; 1Pet 1,14 ), als sie nicht erkannt hatten,
wer Jesus wirklich war. Doch Gott gab ihnen nun noch einmal die
Möglichkeit, Buße zu tun. Durch ihre in Unwissenheit begangene
Tat hatten sie zugleich dazu beigetragen, daß die Prophezeiungen
des Alten Testaments in Erfüllung gingen (vgl. Apg 17,3;26,22-23
).
Apg 3,19-21
Petrus forderte die Menschen also auch
hier, wie in seiner Pfingstpredigt ( Apg 2,38 ), zur Buße auf.
War er der Ansicht, daß das Gottesreich kommen würde, wenn
Israel bereute? Diese Frage muß aus mehreren Gründen mit "ja"
beantwortet werden: (1) Die Verbform wiedergebracht ist im
Griechischen ein Substantiv ( apokatastaseOs , Apg 3,21 ), das
mit dem Verb "wieder aufrichten" ( apokathistaneis ; Apg 1,6 )
verwandt ist. Beide verweisen auf die Wiederherstellung des
Königreichs Israel (vgl. Mt 17,11; Mk 9,12 ). (2) Der Begriff
der Wiederherstellung entspricht, wenn er sich auf das
Gottesreich bezieht, der Neuschaffung bzw. Wiedergeburt am
Jüngsten Tag (vgl. Jes 65,17;66,22; Mt 19,28; Röm 8,20-22 ). (3)
Die Satzkonstruktionen von Apg 3,19 und Apg 3,20 unterscheiden
sich voneinander. Das daß in Vers 19 ist die Übersetzung des
griechischen pros to (in manchen Handschriften steht eis to )
mit Infinitiv, das auf eine unmittelbare Absicht oder Folge
deutet. Das damit in Vers 20 gibt jedoch eine ganz andere
Satzkonstruktion wieder ( hopOs , mit Konjunktiv), die auf die
ferne Zukunft verweist. Buße führt also zuerst (und sofort) zur
Vergebung der Sünden. Wenn Israel dann als Ganzes Buße tut, wird
ein zweites, entfernteres Ziel, das Kommen des Gottesreiches (
die Zeit der Erquickung beim zweiten Kommen Christi)
Wirklichkeit werden. (4) Das Senden des Christus , d. h. des
Messias (V. 20 ), bedeutet dasselbe wie das Kommen des
Gottesreiches. (5) Bereits das Alte Testament "verkündigte diese
Tage" (V. 24 ; vgl. V. 21 ). Die Propheten des Alten Testaments
sagten zwar nicht die Kirche voraus, die für sie noch ein
Geheimnis war ( Röm 16,25; Eph 3,2-6 ), aber sie sprachen oft
vom goldenen messianischen Zeitalter, d. h. vom Tausendjährigen
Reich.
Als Zeichen seiner Gnade hatte Gott den
Israeliten ein zweites Mal die Möglichkeit zur Rettung
angeboten, doch wieder lehnten sie es ab zu glauben. Sie hatten
Jesus bereits vor der Kreuzigung abgelehnt, und auch der
auferstandene Christus konnte sie nicht zur Buße bewegen. Auch
dem "Zeichen des Jona" glaubten sie also nicht (vgl. Lk 16,31 );
es bestärkte sie eher in ihrem Unglauben.
Manche Exegeten sind allerdings der
Ansicht, daß Petrus an dieser Stelle nicht vom Kommen des
Gottesreiches sprach. Auch sie können mehrere Gründe dafür
anführen. (1) Da Gott wußte, daß Israel nicht auf ein solches
Angebot eingehen würde, handelte es sich nicht um ein Angebot im
eigentlichen Sinn. Dagegen ist zu sagen, daß dieses Angebot von
den Juden nicht mehr verlangte als die Verkündigung des
Evangeliums von den Nicht-Erwählten. (2) Damit wird das
Gottesreich in das Zeitalter der Kirche verlegt. Dazu ist zu
sagen, daß die Ursprünge des Kirchenzeitalters bereits vor der
Geburt der Kirche an Pfingsten liegen (vgl. Mt 16,18;18,17; Joh
10,16;14,20 ). (3) Die These, daß Petrus hier vom Gottesreich
sprach, führt zu einer extremen Jenseitshoffnung. Das ist jedoch
keine zwingende Folge, wenn man das Angebot Gottes als eine
Übergangszeit innerhalb der Kirchenzeit versteht. Die
Apostelgeschichte ist quasi ein Werk des Übergangs, eine Brücke,
die das Werk Christi auf Erden mit seinem Werk durch die Kirche
auf Erden verbindet.
Apg 3,17-21
stellt also zwei Verheißungen für die Buße,
die von Israel verlangt wurde, in Aussicht: (1) Für den
einzelnen die Vergebung der Sünden, und (2) für das Volk als
Ganzes die Rückkehr und Herrschaft des Messias.
Apg 3,22-23 An dieser Stelle wird Jesus als
der "Mose des Neuen Testaments" bezeichnet, als die Erfüllung
von 5Mo 18,15-19 (vgl. Joh 6,14 ). Christus wird nicht nur
kommen und die Menschen befreien, wie Mose es tat, sondern er
wird sie auch - ebenfalls wie Mose - richten (vgl. 3Mo 23,29 mit
5Mo 18,19; 4Mo 14,26-35 ).
Apg 3,24-25
Daß als nächster Prophet nach Mose erst
wieder Samuel angeführt wird (vgl. Apg 13,20 ), impliziert ganz
klar, daß Josua die Prophezeiung von 5Mo 18,15 nicht erfüllte.
Alle Propheten (vgl. Apg 3,18.21 ) sprachen
auf die eine oder andere Art über diese Tage, d. h. über das
messianische Zeitalter. Die Juden waren Söhne der Propheten und
des Bundes, den Gott mit Abraham geschlossen ( 1Mo
12,2-3;15,18-21;17,1-8;22,18 ) und den er ihren Vätern bestätigt
hatte (z. B. Isaak, 1Mo 26,3-4 ). Sie waren gesegnet, wenn sie,
wie Abraham, glaubten (vgl. Röm 3,28; Röm 4,3; Gal 3,6-7 ), ja
letztlich sollten alle Völker durch Abraham gesegnet sein (vgl.
1Mo 12,3; Röm 4,12.16; Gal 3,29; Eph 3,6 ).
Apg 3,26
Jesus, der Knecht Gottes (vgl. V. 13 ; Apg
4,27.30 ), wurde euch, d. h. den Juden, zuerst gesandt . Dieses
chronologische Muster wird auch in den Evangelien und in der
Apostelgeschichte eingehalten (vgl. z. B. Mt 10,5-6; Apg 13,46;
Röm 1,16 ), denn die Errichtung des Gottesreiches hing damals
wie heute von der Antwort Israels ab (vgl. Mt 23,39; Röm 11,26
).
b. Die Gefangennahme
( 4,1 - 22 )
Apg 4,1-2
Verantwortlich für die Festnahme von
Petrus, Johannes und dem Gelähmten (V. 14 ) waren die Priester
und der Hauptmann des Tempels und die Sadduzäer . Da es Sache
des Hauptmanns war, im Tempel für Ruhe und Ordnung zu sorgen,
ist es nicht überraschend, daß auch er einschritt, um die
Menschenansammlung auseinanderzutreiben (vgl. Apg 3,11 ).
Die Priester waren selbst größtenteils
Sadduzäer ( Apg 5,17 ); es war also in erster Linie diese
Partei, die Anklage gegen die Apostel erhob. Das
Priestergeschlecht der Sadduzäer vertrat eine Reihe besonderer
religiöser und politischer Überzeugungen: (a) Sie glaubten weder
an die Auferstehung des Leibes noch an Engel oder Geister; (b)
sie verhielten sich der römischen Verwaltung gegenüber loyal;
(c) sie wollten den Status quo aufrechterhalten; (d) sie
gehörten zu den Wohlhabenden; (e) für sie war nur der Pentateuch
maßgeblich. Die Predigt von Petrus und Johannes hatte sie sehr
verdrossen, weil sie ihrer Leugnung der Auferstehung von den
Toten explizit widersprach und außerdem das Establishment
angriff.
Apg 4,3
Die beiden Apostel wurden über Nacht
eingesperrt, denn es war schon Abend (vgl. drei Uhr nachmittags;
Apg 3,1 ) und daher zu spät für einen Prozeß.
Apg 4,4
Hier zeigte sich erstmals, daß das
Evangelium sich unaufhaltsam, gegen alle Widerstände,
durchsetzte. Die beiden führenden Apostel wurden in Ketten
gelegt, doch das Wort Gottes konnte nicht gebunden werden! (Vgl.
Apg 28,30-31; Phil 1,12-14 .)
Apg 4,5-6 Lukas' sorgfältige Beschreibung
der jüdischen Machthaber führt den Pomp und die Macht dieser
Versammlung vor Augen. Einfache Fischer standen vor den höchsten
Führern des Landes! Die Obersten und Ältesten und
Schriftgelehrten zusammen bildeten den Sanhedrin, den höchsten
jüdischen Gerichtshof (vgl. V. 15 ). Hannas , der Schwiegervater
des Kaiphas, war von 6 bis 15 n. Chr. Hoherpriester und wurde
dann abgesetzt. Sein Schwiegersohn Kaiphas trat seine Nachfolge
an (18 bis 36 n. Chr.), doch offensichtlich betrachteten die
Juden Hannas, der eine Art priesterlicher Staatsmann war,
weiterhin als ihren rechtmäßigen Hohenpriester. (Vgl. die
Tabelle zur Familie des Hannas und den Kommentar zu Lk 3,2; Joh
18,13; Apg 7,1 .) Der Hohe Rat hatte über Jesus zu Gericht
gesessen; jetzt standen zwei von Jesu berühmtesten und kühnsten
Anhängern vor ihm! Über die beiden anderen Personen, die in
diesem Zusammenhang erwähnt werden, Johannes und Alexander ,
wissen wir nichts.
Apg 4,7-10 Als Petrus und Johannes vor den
Hohen Rat gestellt und gefragt wurden, von wem sie ihre
Vollmacht hatten, wurde Petrus, der Sprecher der beiden, vom
Heiligen Geist erfüllt (vgl. Apg 2,4 ). Das ist bereits Petrus'
vierte Rede in der Apostelgeschichte. Ihr - mit beißender Ironie
vorgetragener - Inhalt lautete in etwa: "Stehen wir hier vor
Gericht, weil wir einem kranken Menschen geholfen haben?" Die
Apostel hatten das Wunder nicht aus eigener Kraft, sondern im
Namen Jesu Christi (vgl. Apg 3,16;4,7.12.17-18 ) vollbracht, den
das jüdische Volk gekreuzigt, Gott aber von den Toten auferweckt
hatte (vgl. Apg 2,23-24;3,15 ).
Apg 4,11
Der, der diesen Gelähmten geheilt hatte,
war der Stein, den die Bauleute verworfen hatten. Hier zitierte
Petrus Ps 118,22 .Die Bedeutung des Verses ist jedoch
umstritten. Der verworfene Stein ( Ps 118 ) kann (a) ein
wirklicher Stein, (b) das Volk Israel oder (c) David sein.
Möglich ist auch, daß es sich nur um ein Sprichwort handelt.
David dachte wahrscheinlich an Israel, das von allen verachtete
Volk, als er seinen Psalm dichtete. Doch auf jeden Fall ist
Jesus Christus, das "vollkommene Israel", die endgültige
Erfüllung dieses Verses (vgl. Jes 5,1-7; Mt 2,15;21,42; Mk
12,10; Lk 20,17; 1Pet 2,7 ). Der verworfene Stein (der in der
Kreuzigung durch das Volk verworfene Christus) ist der Eckstein
, der auferstandene Herr.
Apg 4,12
Auch der Begriff Heil geht auf Ps 118 ,die
Hauptquelle für diese Predigt, zurück. Die Verse 22 - 29 weisen
voraus auf die Befreiung im Tausendjährigen Reich. In Apg 4,12
sprach Petrus also nicht nur von der Rechtfertigung des
einzelnen, sondern von der umfassenden Rettung des Volkes
Israel.
Damit waren die religiösen Machthaber in
die Defensive gedrängt. Sie hatten den einzigen, der Israel
retten konnte, verworfen und sich damit der Vollendung des
Bauwerks Gottes in den Weg gestellt. Doch es gibt keinen anderen
Weg zum Heil (vgl. Joh 14,6; 1Tim 2,5 ).
Apg 4,13-14
Der Hohe Rat war erstaunt, daß Petrus und
Johannes, ungelehrte ( agrammatoi , "ungebildet") und einfache (
idiOtai ) Leute , so freimütig sprachen. Der Freimut ( parrEsia
, "Kühnheit" oder "Mut, offen und frei zu sprechen") ist ein
weiteres wichtiges Thema in der Apostelgeschichte ( Apg
2,29;4,13.29.31;28,31; vgl. das Verb "frei und offen predigen"
in Apg 9,27-28;13,46;14,3;18,26;19,8;26,26 .) Ihnen war bekannt,
daß Petrus und Johannes mit Jesus gewesen waren (vgl. Joh 7,15
), und sie wußten nichts mehr zu sagen. Die Apostel erfuhren
hier also zum ersten Mal am eigenen Leibe, was Christus ihnen
verheißen hatte ( Mt 10,19-20; Lk 12,11-12; Lk 21,15 ).
Apg 4,15-17
Es ist von großer Bedeutung, daß die
Mitglieder des Hohen Rats die Wirklichkeit des Zeichens nicht
leugnen konnten und es auch überhaupt nicht versuchten. Sie
vermieden es sorgfältig, "Jesus" zu erwähnen und sprachen nur
von diesem Namen (vgl. die Weigerung des Hohenpriesters in Apg
5,28 ).
Vielleicht hatte Lukas diese Einzelheiten,
die sich mit Sicherheit hinter verschlossenen Türen abspielten,
von Nikodemus oder Paulus erfahren. Paulus war zwar kein
Sadduzäer, doch er hatte wahrscheinlich Zugang zu derartigen
Informationen.
Der Hohe Rat (Sanhedrin), der oberste
Gerichtshof und das höchste Verwaltungsorgan der Juden, bestand
aus 71 Mitgliedern, einschließlich des Hohenpriesters. Die
meisten waren Sadduzäer. Hier stehen erstmals in der
Apostelgeschichte (vgl. Apg 5,27 : Petrus und die Apostel; Apg
6,12 : Stephanus; Apg 22,30 : Paulus) Anhänger von Jesus vor dem
Hohen Rat.
Apg 4,18-22
Auf den Befehl, keinesfalls zu reden oder
zu lehren in dem Namen Jesu , erwiderten Petrus und Johannes,
daß sie Gott mehr gehorchen mußten als menschlichen Autoritäten
(vgl. Apg 5,29 ). Sie mußten ihr Zeugnisamt ausüben, wie
Christus es ihnen geboten hatte ( Apg 1,8 ). Daraufhin verboten
die religiösen Machthaber es ihnen nochmals, offensichtlich
unter Androhung von Strafe, und ließen sie dann gehen. Sie
wagten nicht, sie zu strafen, denn alle lobten Gott für das, was
geschehen war (vgl. Apg 3,9; 5,26 ).
c. Das Gebet der Gemeinde
( 4,23 - 31 )
Dieses Gebet der Urkirche besteht aus drei
Schritten: (1) Gott ist der souveräne Herrscher (V. 24 ). (2) Es
gehört zu Gottes Plan, daß die Gläubigen bei der Verkündigung
des Evangeliums auf Widerstände treffen (V. 25 - 28 ). (3) Daher
baten sie Gott, ihnen den Mut zu offenem und freimütigem
Bekenntnis zu geben (V. 29 - 30 ).
Apg 4,23-24 Bemerkenswerterweise bestand
die erste Reaktion der Gläubigen (die Ihren, d. h. die Leute von
Petrus und Johannes) auf Verfolgungen darin, Gottes souveräne
Schöpfungskraft zu preisen.
Apg 4,25-27
Die Worte "durch den Heiligen Geist, durch
den Mund unseres Vaters David" beweisen, wie viele andere
Passagen der Apostelgeschichte, daß die Verfasser der Bibel vom
Heiligen Geist inspiriert waren (vgl. Apg 28,25 ). Vers 25.26
enthalten ein Zitat aus Ps 2,1-2 über die Zeit der großen
Trübsal. In einem vorläufigen Sinn sah Petrus im Widerstand
gegen die frühe Kirche die Erfüllung des von David in Ps 2
vorhergesagten Widerstands gegen den Messias, den Christus
Gottes ( tou christou ; vgl. "gesalbt", Apg 4,27 ). Die
Parallelen liegen auf der Hand.
Die Heiden (ethne) in Apg 4,25 entsprechen
den Heiden ( ethnesin ) in Vers 27 ; die Völker ( laoi ) in Vers
25 den Stämmen Israels ( laois I sraEl ) in Vers 27 ; die Könige
der Erde in Vers 26 Herodes in Vers 27 ; und die Fürsten in Vers
26 Pontius Pilatus in Vers 27 .
Apg 4,28-30
In dem klaren Bewußtsein, daß Gott es
vorherbestimmt hatte , daß Christi Botschaft auf Widerstand
stoßen sollte, beteten Petrus und Johannes nun um Freimut in der
Verkündigung und um die Fähigkeit, Heilungen, Zeichen ( sEmeia ;
vgl. Apg 2,43 ) und Wunder ( terata ; vgl. Apg 2,43 ) durch den
Namen Jesu vollbringen zu können.
Apg 4,31
Der Antwort des Herrn auf das Gebet der
Gläubigen um Freimut ging eine Art Erdbeben an der Stätte, wo
sie versammelt waren, voraus. Dann wurden alle vom Heiligen
Geist erfüllt (vgl. V. 8 ). Wenn Lukas, wie hier, das Kommen des
Heiligen Geistes mit einer Verbform beschreibt, führte er es
gewöhnlich allein auf das Wirken Gottes zurück. Im Gegensatz
dazu sind die Christen in Eph 5,18 , wo der Imperativ steht,
selbst dafür verantwortlich, daß sie vom Geist erfüllt werden.
2. Bestrafung innerhalb der Kirche
( 4,32 - 5,11 )
a. Die Gütergemeinschaft
( 4,32 - 37 )
Lukas hatte zwei Gründe dafür, an dieser
Stelle den folgenden Abschnitt einzuschieben. Erstens nutzte er
die Gelegenheit, seinen Lesern Barnabas vorzustellen. Es
entsprach seiner üblichen Technik, eine Person zunächst in einer
kleinen Geschichte einzuführen und sie dann später in einer
größeren Rolle auf die Bühne zu bringen.
Zweitens wollte er das Verhalten des
Barnabas und der übrigen Gemeinde dem Charakter von Hananias und
Saphira ( Apg 5 ) gegenüberstellen. Die Großzügigkeit, die unter
den anderen Christen herrschte und die vor allem Barnabas
auszeichnete, hob sich scharf von der Selbstsucht dieses
Ehepaars ab.
Apg 4,32-35
Die Gläubigen waren sich nicht nur in
geistlichen, sondern auch in materiellen Dingen (vgl. Apg
2,44-45 und den Kommentar dazu) einig ( ein Herz und eine Seele
). Sie verkauften ihre Güter, und jeder bekam zugeteilt, was er
nötig hatte . Der Herr hatte ihr Gebet um Freimut offensichtlich
erhört ( Apg 4,29 ), denn die Apostel bezeugten mit großer Kraft
die Auferstehung des Herrn Jesus . (Hier findet sich auch zum
ersten Mal das in der Apostelgeschichte so häufig vorkommende
Wort Gnade ; z. B. Apg
6,8;11,23;13,43;14,3.26;15,11.40;18,27;20,24.32; usw.)
Apg 4,36-37
Josef trug den Beinamen Barnabas, das heißt
übersetzt: Sohn des Trostes ; wahrscheinlich verdankte er ihn
der Gabe, Traurige und Entmutigte wieder aufzurichten.
Wie kam aber ein Levit zu Eigentum? War das
nicht verboten ( 4Mo 18,20.24 )? Die Antwort ist vielleicht, daß
es einem Leviten zwar in Israel, nicht aber außerhalb seiner
Heimat verboten war, Land zu erwerben. Barnabas stammte von
Zypern und besaß dort offensichtlich Grund und Boden. Möglich
ist auch, daß der Acker seiner Frau gehörte und sie ihn zusammen
verkauften. Höchstwahrscheinlich wurde die Einschränkung, die
4Mo 18,20.24 den Israeliten auferlegte, später ohnehin nicht
mehr befolgt (vgl. auch Jer 1,1;32,6-15 ).
b. Der Täuschungsversuch von Hananias und
Saphira
( Apg 5,1-11 )
Diese Geschichte erinnert an den Diebstahl
Achans in Jos 7 (vgl. 4Mo 15,32-36;16,1-35 ).
Apg 5,1-2
Die Sünde, die Hananias und Saphira
begingen, wird in Vers 3 - 4 und 9 erklärt. Selbstverständlich
hätten sie den Erlös aus dem Verkauf ihres Ackers auch offen für
sich behalten können. Statt dessen verfielen sie auf die Idee,
die Apostel zu belügen und ihnen vorzumachen, daß sie ihnen ihr
ganzes Vermögen gegeben hatten, während sie gleichzeitig etwas
von dem Geld für sich zurückbehielten .
Die Wendung "den Aposteln zu Füßen" ist
dieselbe wie in Apg 4,35.37 ; sie weist erneut auf das
unterschiedliche Verhalten von Hananias und Barnabas hin.
Apg 5,3
Petrus hielt Hananias mit den Worten "der
Satan hat dein Herz erfüllt" sein Verhalten vor. Bei dem hier
mit "erfüllt" übersetzten griechischen Wort ( eplErOsen , von
plEroO ) schwingt die Vorstellung von Kontrolle oder Einfluß
mit. Dasselbe Verb findet sich auch in dem Gebot: "Laßt euch vom
Geist erfüllen" ( Eph 5,18 ). Hananias, ein Gläubiger, stand
also unter dem Einfluß Satans, nicht des Heiligen Geistes. Mit
der Frage, warum er Satan solche Macht über sich gewinnen ließ,
spielte Petrus vielleicht auf frühere Sünden von Hananias an.
Apg 5,4 Nach Petrus' Worten hatte Hananias
den Heiligen Geist (V. 3 ) bzw. Gott (V. 4 ) belogen. Daß die
beiden Namen hier als Synonyme verwendet werden, ist ein Beweis
für die Gottheit auch des Geistes.
Die Tatsache, daß die Gläubigen das Recht
hatten, ihr Eigentum zu behalten, unterscheidet diese
Gütergemeinschaft von bestimmten Formen des Sozialismus. Die
Spende für die Gemeinde war freiwillig. Außerdem wurde diese
Praxis nur eine Zeitlang befolgt - solange die Gläubigen
dachten, Christus würde noch in ihrer Generation auf die Erde
zurückkehren.
Apg 5,5-6
Als Hananias diese Worte hörte, fiel er zu
Boden und gab den Geist auf . Petrus schrieb später, das Gericht
werde "an dem Hause Gottes" beginnen ( 1Pet 4,17 ). Was Hananias
getan hatte, war ein ganz klarer Fall einer Sünde "zum Tode" (
1Joh 5,16 ). Seine Strafe fiel so schwer aus, weil er, wie einst
Achan für die Israeliten, als abschreckendes Beispiel für die
anderen Gemeindemitglieder dienen sollte (vgl. 1Kor 10,6 ).
Apg 5,7-10
Auch Saphira, die noch nichts vom Tod ihres
Mannes wußte, belog Petrus in bezug auf den Preis für den Acker,
woraufhin Petrus ihr vorwarf, sich mit Hananias einig geworden
zu sein, den Geist des Herrn zu versuchen . "Den Geist
versuchen" heißt auszuprobieren, wie weit man ungestraft gehen
kann, wie lange Gott sich ausnutzen und herausfordern läßt (vgl.
5Mo 6,16; Mt 4,7 ).
Apg 5,11
Die Strafe, die dieses Paar ereilt hatte,
hatte dann auch zur Folge, daß über die ganze Gemeinde und auch
alle anderen Ungläubigen, die das hörten, eine große Furcht kam
(vgl. bereits V. 5 und auch Apg 19,17 ).
Mit diesem Bericht verfolgt Lukas mehrere
Absichten: (1) Dieser Fall machte Gottes Mißfallen an der Sünde
deutlich, insbesondere an der Unehrlichkeit innerhalb seines
Leibes, der Kirche. (2) Er hob die jetzige Kirche vom alten
Israel ab, denn eine solche Strafe hatte es in Israel noch nicht
gegeben. Der Begriff Kirche (er steht hier zum ersten Mal in der
Apostelgeschichte) bezieht sich sowohl auf die universale
Kirche, von der auch in Apg 9,31 und Apg 20,28 die Rede ist, als
auch auf die lokalen Gemeinden in Apg 11,26 und Apg 13,1 .(3) Er
war ein Beweis, daß Gott in dieser neuen Gruppe wirkte.
3. Die weitere Entwicklung der Kirche
( 5,12 - 42 )
a. Die Bestätigung der Apostel
( 5,12 - 16 )
Dieser Abschnitt soll den Leser auf das
Folgende vorbereiten. Was hier geschah, konnte nicht unbemerkt
bleiben.
Apg 5,12
Wieder vollbrachte Gott durch die Hände der
Apostel viele Zeichen und Wunder (vgl. den Kommentar zu Apg 2,43
). Interessanterweise versammelte die Urkirche in Jerusalem sich
ebenfalls im Tempel, in der Halle Salomos, zu der die Menschen
geströmt waren, als sie von der Heilung des Gelähmten hörten (
Apg 3,11 ).
Apg 5,13
Hier soll wahrscheinlich gesagt werden, daß
kein Heuchler oder Ungläubiger es wagte, sich der Gemeinde der
Christusgläubigen anzuschließen. Das Beispiel von Hananias und
Saphira war zu abschreckend gewesen!
Keiner heißt wörtlich "keiner von den
übrigen" ( tOn loipOn oudeis ), wobei "die übrigen" die
Verlorenen sind (in Lk 8,10 mit die "anderen" übersetzt; vgl.
Röm 11,7; Eph 2,3; 1Thes 4,13;5,6 ).
Apg 5,14
Trotz des Zögerns vieler, sich den
Gläubigen anzuschließen, wuchs die Zahl derer, die an den Herrn
glaubten . Dieses rasche zahlenmäßige Wachstum war ein Phänomen
der Urkirche (vgl. Apg 2,41.47;4,4;6,1.7;9,31 ).
Apg 5,15-16
Durch wunderbare Zeichen (vgl. V. 12 )
wurde das Wort Gottes in der jungen Kirche bestätigt. Im
Gegensatz zu der schrecklichen Strafe, die Hananias und Saphira
traf, waren die Wunder ein Beweis, daß Gott die Kirche guthieß.
Sie riefen allerdings nicht nur Vertrauen in die Fähigkeiten der
Apostel hervor, sondern auch Aberglauben: Die Menschen dachten,
daß bereits Petrus' Schatten , wenn er auf einen Kranken fiele,
diesen gesund machen könne.
Daß die Apostel tatsächlich die Macht
besaßen, zu heilen und Dämonen auszutreiben, geht auf die
Verheißung des Herrn zurück ( Mt 10,8; Mk 16,17-18 ).
b. Die zweite Festnahme und Freilassung der
Apostel
( 5,17 - 20 )
Apg 5,17-20
Aus der zweiten Festnahme und
Gefangenschaft befreite Gott die Apostel - offensichtlich wurden
diesmal alle zwölf eingekerkert - auf übernatürliche Weise und
gebot ihnen danach durch einen Engel , mit der öffentlichen
Verkündigung (im Tempel, in der Nähe des Versammlungsortes der
Kirche; vgl. V. 12 ) fortzufahren und alle Worte des Lebens
(eine ungewöhnliche Bezeichnung für das Evangelium) zum Volk zu
reden. Das war das erste von insgesamt drei Gefängniswundern,
von denen die Apostelgeschichte berichtet (vgl. Petrus, Apg
12,6-10; Paulus und Silas, Apg 16,26-27 ).
c. Das Verhör und die Verteidigung der
Apostel
( 5,21 - 32 )
Apg 5,21 a
Die Apostel gehorchten dem Gebot des Engels
(V. 20 ). Obwohl sie in der Nacht kaum geschlafen hatten, gingen
sie bereits frühmorgens in den Tempel (vgl. V. 20 ).
Apg 5,21-25
(Apg 5,21b-25)
Im folgenden Bericht steckt viel Ironie:
(1) Die Wächter hatten die - mittlerweile leeren -
Gefängniszellen sorgfältig gesichert (V. 21 b - 23 ). (2) Die
höchsten Machthaber Israels waren versammelt, um über Gefangene
zu richten, die sich in Wirklichkeit gar nicht mehr in ihrer
Gewalt befanden. (3) Während die Führer des Volkes sich noch
fragten, was mit den Männern, die sie in Gewahrsam hatten nehmen
lassen, geschehen war, erhielten sie die Nachricht, daß sie
wieder im Tempel waren und lehrten. Der Hauptmann des Tempels
(vgl. Apg 4,1 ) und die Hohenpriester waren angesichts dessen
sehr betreten ( diEporoun , wörtlich: "erstaunt, verlegen"); sie
wußten nicht, was sie von den verschlossenen, nun aber leeren
Zellen halten sollten. Wahrscheinlich befürchteten sie auch, daß
die Flucht der Gefangenen noch ein Nachspiel haben könnte (vgl.
Apg 16,27-28 ).
Apg 5,26-27 Als bekannt wurde, daß die
Apostel im Tempel waren und lehrten, ging der Hauptmann mit den
Knechten hin und holte sie , diesmal allerdings nicht mit
Gewalt, denn sie fürchtetensich vor dem Volk, und brachte sie
zum Verhör vor den Hohen Rat. (Zum Hohen Rat vgl. den Kommentar
zu Apg 4,15; vgl. auch Apg 6,12; Apg 22,30 .)
Apg 5,28
Der zweimalige Gebrauch des Pronomens
dieser macht deutlich, daß der Hohepriester es unter allen
Umständen vermeiden wollte, den Namen Jesu auszusprechen (vgl.
"dieser Name"; Apg 4,17 ). Wie sehr mußte er Jesus hassen!
Apg 5,29
Im folgenden Verhör wiederholte Petrus die
Grundsatzerklärung, die er bereits in Apg 4,19-20 abgegeben
hatte. Doch auch das Gegenteil hat in bestimmten Fällen seine
Berechtigung: Christen sollen der Obrigkeit gehorchen , es sei
denn, es würde eine Sünde von ihnen verlangt (vgl. Röm 13,1-7;
1Pet 2,13-17 ).
Apg 5,30-31
Die Aussage von Petrus und den Aposteln -
daß Jesus auferstanden war - muß die Sadduzäer mit ohnmächtiger
Wut erfüllt haben (vgl. Apg 4,1-2;5,17;23,8 ). Es war dieselbe
Botschaft, die Petrus, der stets als Sprecher der Apostel
auftrat, ihnen bereits zuvor verkündigt hatte: (a) Sie hatten
Jesus getötet, doch Gott hatte ihn von den Toten auferweckt
(vgl. Apg 2,23-24.36;3,15;4,10 ); (b) sie konnten die Vergebung
der Sünden erlangen (vgl. Apg 2,38;10,43;13,38;26,18 ), wenn sie
Buße taten und sich zu Christus bekehrten (vgl. Apg
2,38;3,16;4,12;8,22 ).
Apg 5,32
Die Apostel waren sich der Verantwortung,
die sie übernommen hatten, sehr wohl bewußt, denn sie
versicherten: Wir sind Zeugen dieses Geschehens ( rhEmatOn ,
"Worte, Sprichworte" oder "Dinge"). Der Heilige Geist bestätigte
ihr Zeugnis, indem er ihnen den Mut zu freimütiger Predigt und
die Fähigkeit, Wunder zu vollbringen, verlieh. Er ist mit allen,
die an Christus glauben ( Röm 8,9 ).
d. Die Befreiung der Apostel
( 5,33 - 42 )
Apg 5,33
Daß diese Predigt die religiösen Machthaber
in sinnlose Wut versetzte, war nichts Neues. Sie wollten die
Apostel unbedingt töten. Ihr Haß äußerte sich auf dieselbe Art
wie ihr Widerstand gegen den Herrn ein paar Wochen zuvor. Es ist
ein häufiges Erscheinungsbild, daß eine oppositionelle Haltung
sich immer mehr versteift.
Apg 5,34-35
Dem beim Volk sehr beliebten und verehrten
Gamaliel, einem Pharisäer und Schriftgelehrten , gelang es
jedoch, den Hohen Rat von einer Verfolgung der Apostel
abzubringen. Es war allerdings nicht Sympathie für die Kirche,
die ihn dazu veranlaßte, sondern Einsicht in Gottes souveränes
Wirken auf Erden (vgl. V. 39 ).
Apg 5,36
Über Theudas und die vierhundert Aufrührer,
denen kein Erfolg beschieden war, ist uns nichts bekannt. Ein
von einem gewissen Theudas angeführter Aufstand, über den
Josephus, ein jüdischer Historiker des ersten Jahrhunderts
berichtete, fand erst später, sogar nach dem in Vers 37
beschriebenen Aufstand von Judas, statt und hatte außerdem sehr
weitreichende Folgen.
Apg 5,37
Als zweites verwies Gamaliel auf die
Verschwörung von Judas dem Galiläer . Auch über diese Bewegung,
deren Anführer zwar hingerichtet wurde, die mit seinem Tod
jedoch nicht erlosch, hat Josephus ausführlich berichtet.
Apg 5,38-39
Die Quintessenz von Gamaliels Rede war, daß
die Juden abwarten sollten, was aus dieser neuen Bewegung
entstünde, dann könnten sie entscheiden, ob dies Vorhaben oder
dies Werk von Menschen oder von Gott kam . Interessanterweise
war es einer der Feinde des Christentums, der an dieser Stelle
eine Verteidigungsrede für die Kirche Jesu Christi hielt: Er
machte deutlich, daß der Versuch, das Werk Gottes aufzuhalten,
bedeuten würde, gegen Gott zu streiten !
Apg 5,40
Der Hohe Rat wollte die Apostel jedoch
nicht einfach mit einer Ermahnung davonkommen lassen; er ließ
sie geißeln und gebot ihnen, sie sollten nicht mehr im Namen
Jesu reden (zu Jesu "Namen" vgl. den Kommentar zu Apg 3,16 ).
Die Geißelung war offensichtlich als Strafe für ihren Ungehorsam
gegenüber dem früheren Verbot gedacht (vgl. Apg 4,18.21;5,28 ).
Apg 5,41-42
Trotz der blutigen Geißelung gingen die
Apostel fröhlich von dem Hohen Rat fort . Hier stoßen wir
abermals auf das Thema der Freude (vgl. den Kommentar zu Apg
2,46-47 ). Eine siegreiche Kirche freut sich am Wirken Gottes,
auch dann, wenn sie verfolgt wird - ja, sie kann sich sogar, wie
hier, über die Verfolgung freuen. Für die Apostel war es eine
Ehre, um Jesu Namen willen Schmach zu leiden (zu dem "Namen"
Jesu vgl. Apg 3,16; vgl. 1Pet 4,14.16 ). Auch später ermutigte
Petrus die Christen, sich zu freuen, wenn sie "mit Christus"
litten ( 1Pet 4,13; vgl. 1Pet 2,18-21;3,8-17 ).
In Apg 5,17-42 wollte Lukas zeigen, wie das
Volk Israel auf dem tragischen Weg der Verwerfung seines Messias
Jesus fortschritt.
4. Die Verwaltung innerhalb der Kirche
( 6,1 - 7 )
Apg 6,1
Die griechischen Juden beherrschten das
Hebräische, die Muttersprache der in Israel lebenden Juden,
nicht. Sie waren wahrscheinlich irgendwann einmal ausgewandert
und sprachen jetzt außer griechisch nur noch die Sprachen ihrer
Herkunftsländer (vgl. Apg 2,5-11 ). Dasselbe galt wohl auch für
die heidnischen Proselyten, die später zum Christentum
übertraten. Doch auch die einheimischen Juden beherrschten zwei
Sprachen (griechisch und hebräisch; vgl. Apg 21,40 ). Zwischen
ihnen und den griechischen Juden gab es immer wieder Spannungen,
die leider auch auf die christliche Kirche übergriffen.
Apg 6,2
Die zwölf Apostel hielten es für ihre
vordringliche Aufgabe, das Wort Gottes zu verkündigen und zu
beten (vg. V. 4 ).
Apg 6,3-4
Um dafür frei zu sein, wollten sie für die
anderen in der Gemeinde anfallenden Aufgaben, d. h. die
Verwaltung der Finanzen, sieben Männer einsetzen. Für diesen
Dienst wurden drei Qualifikationen verlangt: Sie mußten (a) voll
Heiligen Geistes und (b) Weisheit (vgl. V. 10 ) sein und (c)
einen guten Ruf haben , d. h. bekannt dafür sein, daß sie die
beiden ersteren Qualifikationen besaßen (der Glaube [V. 5 ] wird
nicht ausdrücklich genannt, weil er die Vorbedingung dafür ist,
"voll des Heiligen Geistes" zu sein).
Die Wahl von sieben Männern geht auf die
Tradition der jüdischen Gemeinden zurück, die sieben geachtete
Männer in einen offiziellen Rat wählten, der für die
öffentlichen Angelegenheiten zuständig war.
Durch die Delegierung dieser Aufgaben an
sieben dafür auserwählte Männer konnten die Zwölf ganz beim
Gebet und beim Dienst des Wortes bleiben (vgl. V. 2 ).
Apostelgeschichte
Apg 6,5
Dieser Vorschlag gefiel der ganzen Menge
gut . Die sieben, die gewählt wurden, trugen griechische Namen,
waren also alle Hellenisten. Nikolaus , der Letztgenannte, war
nicht einmal ein geborener Jude, sondern hatte sich zuerst zum
Judentum und dann zum Christentum bekehrt. Die Urkirche war
offensichtlich der Ansicht, das Problem der unbeabsichtigten
Vernachlässigung der Witwen der griechischen Juden am besten
durch die Ernennung von hellenistischen Juden zu
Finanzverwaltern lösen zu können; man ging davon aus, daß sie
ihrerseits die hebräisch sprechenden Witwen nicht
vernachlässigen würden.
Die Einführung der sieben (vgl. Apg 21,8 )
soll die Leser auf das Wirken von Stephanus und Philippus , die
in der Aufzählung an erster Stelle genannt werden, vorbereiten.
Daß beide Griechen waren, weist außerdem voraus auf die weitere
Verbreitung des Evangeliums über die Grenzen von Jerusalem und
Judäa hinaus. (Über die vier anderen, Prochorus, Nikanor, Timon
und Parmenas , ist uns nichts bekannt.)
Apg 6,6
Die eigentlichen Leiter der Gemeinde waren
allerdings immer noch die Apostel, die beteten und den
Neuernannten die Hände auflegten . Die Praxis des Handauflegens
war ein Zeichen der Beauftragung und Bevollmächtigung (vgl. Apg
8,17-19;13,3; Apg 19,6; 1Tim 4,14;5,22; Hebr 6,2 ). Waren diese
Männer, die als erste für eine bestimmte Aufgabe innerhalb der
Gemeinde gewählt worden waren, so etwas wie die ersten
"Diakone"? Dazu gibt es drei verschiedene Positionen:
Apg 6,7
(3) Eine dritte These lautet, daß die
Sieben nur für eine begrenzte Zeit und für eine ganz bestimmte
Aufgabe gewählt wurden. Das scheint - aus mehreren Gründen - die
plausibelste Annahme zu sein. Zum einen wurden sie tatsächlich
für eine ganz bestimmte Aufgabe ausgewählt. Zum anderen trugen
sie die Verantwortung nur für eine begrenzte Zeit, weil die
Kirche in Jerusalem gemeinschaftlich organisiert war. Doch auch
in diesem Fall könnte man sagen, daß sie die Rolle und die
Aufgabe von Diakonen erfüllten.
Hier folgt der nächste "Verlaufsbericht".
Die Kirche nahm weiterhin rasch zu (vgl. Apg
2,41.47;4,4;5,14;6,1;9,31 ); auch viele jüdische Priester traten
zum Christentum über ( wurden dem Glauben gehorsam ; vgl. Röm
1,5 ). Mit der Ernennung der Sieben waren die Leser auf das Werk
von Stephanus und Philippus und auf die Verkündigung des
Evangeliums außerhalb Jerusalems vorbereitet.
II. Das Zeugnis in ganz Judäa und Samaria
( 6,8 - 9,31 )
A. Der Märtyrertod des Stephanus
( 6,8 - 8,1 a)
1. Die Gefangennahme des Stephanus
( 6,8 - 7,1 )
Das Wirken, die Gefangennahme und der
Prozeß des Stephanus ähneln auf frappierende Weise der
Geschichte Jesu.
Apg 6,8
Wie Christus und die Apostel war auch
Stephanus voll Gnade und Kraft (vgl. Apg 4,33; Lk 2,40.52 );
außerdem besaß er Geist, Weisheit und Glauben ( Apg 6,3.5.8 )
und tat Wunder und Zeichen (vgl. Apg 2,22; Lk 24,19; vgl. auch
Apg 2,43 ). Offensichtlich war er eine hervorragende
Führerpersönlichkeit. Die Beweise der Gnade Gottes, die ihm in
so reichem Maße gegeben waren, leiteten ihn in seiner
Verantwortung für die Versorgung der Witwen.
Apg 6,9-11
Der Synagoge der Libertiner gehörten
wahrscheinlich Personen an, deren Vorfahren oder auch sie selbst
sich aus der Kriegsgefangenschaft oder Sklaverei freigekauft
hatten. Wer sie genau waren, wissen wir allerdings nicht.
Die Mitglieder dieser Synagoge stammten
jedenfalls aus ganz verschiedenenLändern - Nordafrika ( Kyrene
und Alexandria waren zwei der wichtigsten Städte dieses
Gebiets), Asien (dem Westen der heutigen Türkei) und Zilizien .
Wahrscheinlich gehörte auch Paulus dieser Kirche an, denn Tarsus
lag in der Provinz Zilizien.
Stephanus war nicht nur Mitglied der Sieben
und ein Wundertäter, er war auch ein gewandter Redner. Selbst
seine Widersacher vermochten der Weisheit und dem Geist, in dem
er redete, nicht zu widerstehen (vgl. "voll Heiligen Geistes und
Weisheit", V. 3 und "voll ... Heiligen Geistes", V. 5 und Apg
7,55 ).
Um sich eines solchen gefährlichen Gegners
zu entledigen, verleiteten die Mitglieder der Synagoge einige
Männer dazu, Anklage gegen ihn zu erheben. Wie dem Herrn wurde
auch ihm Gotteslästerung vorgeworfen (vgl. Mt 26,65 ).
Apg 6,12-14
Für die Laien und Leiter der Synagoge
genügte das, um Stephanus zu ergreifen und vor den Hohen Rat zu
führen. Zum dritten von insgesamt vier Malen in der
Apostelgeschichte stehen hier Anhänger des Herrn vor dem
jüdischen Gerichtshof; die anderen waren Petrus und Johannes (
Apg 4,15 ), Petrus und die Apostel ( Apg 5,27 ) und Paulus ( Apg
22,30 ).
Die falschen Zeugen müssen nicht unbedingt
gelogen haben. Wahrscheinlich hatte Stephanus die Dinge, die sie
ihm vorwarfen, tatsächlich gesagt, und sie hatten seine
Intention lediglich mißverstanden (vgl. Mt 26,61; Mk 14,58; Joh
2,19 ). Auch Jesus hatte die Zerstörung des Tempels prophezeit (
Mt 24,1-2; Mk 13,1-2; Lk 21,5-6 ), doch er hatte nie gesagt, daß
er ihn zerstören würde. Der zweite Teil der Anklage gegen
Stephanus betraf die zeitlich begrenzte Gültigkeit des
mosaischen Systems. Zweifelsohne waren Stephanus die
theologischen Implikationen der Rechtfertigung durch den Glauben
und der Erfüllung des Gesetzes in Christus klar. Darüber hinaus
mußte das Gesetz schon dadurch, daß das Evangelium der ganzen
Welt galt ( Apg 1,8 ), nur von begrenzter Dauer sein.
Apg 6,15
Alle, die im Rat saßen - d. h. alle 71
Mitglieder - blickten auf Stephanus und warteten auf seine
Antwort. Sie sahen sein Angesicht wie eines Engels Angesicht -
offensichtlich wurde er verklärt (vgl. das Gesicht von Mose, 2Mo
34,29.35 ).
Apg 7,1
Der Hohepriester , der diesen Prozeß
leitete, war wahrscheinlich Kaiphas - derselbe, der auch bei den
Gerichtsverhandlungen gegen Jesus den Vorsitz gehabt hatte ( Mt
26,57; Mk 14,54; Lk 22,54; Joh 18,13.24; vgl. den Kommentar zu
Apg 4,5-6 ).
2. Die Rede des Stephanus
( 7,2 - 53 )
Apg 7,2-53
Die Rede des Stephanus ist die längste Rede
in der Apostelgeschichte - ein Beweis für die Bedeutung, die
Lukas ihr beimaß. Durch sein Leben und seine Worte bereitete
Stephanus, ein griechischer Jude, den Weg für die Verkündigung
des Evangeliums außerhalb der Grenzen des Judentums.
Welche seiner Aussagen führte zu seinem
Tod? Er streifte die Vorwürfe, die gegen ihn erhoben worden
waren, zwar kurz, hielt jedoch keine offizielle
Verteidigungsrede für sich selbst. Statt dessen lieferte er
ihnen eine Apologie des Christentums auf der Grundlage von
Schriftbeweisen.
Drei rote Fäden ziehen sich durch seine
Rede:
1. Zu Gottes Plan gehören Fortschritt und
Veränderungen . Gott ist in seinem Umgang mit den Menschen,
insbesondere mit Israel, kreativ und innovativ. Stephanus
entwickelt diesen Gedanken in fünf Schritten: (a) Die Verheißung
an Abraham (V. 2 - 8 ). Aus allen Menschen erwählte der Herr
nach seinem Willen Abraham , den Stammvater der Juden, führte
ihn aus Mesopotamien in das gelobte Land und gab ihm zwölf
Söhne, die die Ahnherren der zwölf Stämme Israels wurden. (b)
Josefs Aufenthalt in Ägypten (V. 9 - 16 ). Die Reise nach
Ägypten war die Erfüllung der Verheißung Gottes, die in Vers 6 -
7 angesprochen ist. Sie bedeutete eine radikale Veränderung für
die Nachkommen Jakobs. (c) Die Befreiung durch Mose (V. 17 - 43
). Der Hauptteil der Rede galt Mose und der Flucht aus Ägypten,
einem weiteren entscheidenden Abschnitt in der Geschichte
Israels. (d) Der Bau der Stiftshütte (V. 44 - 46 ). Der Bau
einer tragbaren Stiftshütte implizierte, daß diese Hütte nicht
als dauerhafte Einrichtung dienen sollte. (Die Stiftshütte war
ein Zeichen für die Gegenwart Gottes unter den Israeliten.) (e)
Der Bau des Tempels (V. 47 - 50 ). Auch der Tempel war nur ein
Symbol für die Anwesenheit Gottes; Gott wohnte nicht wirklich
darin.
In Gottes Handeln mit dem Volk Israel von
Abraham bis Salomo gab es immer wieder Neuerungen und
Veränderungen. Die Schlußfolgerung liegt auf der Hand: Wenn Gott
im Laufe der Geschichte Israels so viele Dinge änderte, warum
sollten dann das Gesetz und der Tempel ewig sein?
2. Gottes Segnungen sind nicht auf das Land
Israel und den Tempel beschränkt . Manche der wichtigsten
Privilegien Israels waren dem Volk außerhalb des Tempels und
sogar außerhalb seines Landes verliehen worden.
Stephanus nannte vier Beispiele: (a) Die
Patriarchen und Führer Israels waren außerhalb des Landes
gesegnet worden. Abraham war in Mesopotamien berufen worden, und
seine Verheißungen wurden ihm zuteil, noch ehe er in Haran
wohnte (V. 2 - 5 ). Josef fand in Ägypten Gnade vor dem Pharao,
weil Gott mit ihm war (V. 9 - 10 ). Mose erhielt seinen Auftrag
in Midian (V. 29 - 34 ). Als Beweis dafür, daß Mose in Midian
gesegnet wurde, wies Stephanus ausdrücklich darauf hin, daß ihm
dort zwei Söhne geboren wurden. (b) Selbst das Gesetz erhielten
die Israeliten außerhalb ihres gelobten Landes: Mose traf die
Väter in der Wüste (V. 38 ). (c) Auch die Stiftshütte wurde in
der Wüste gebaut und war bei ihnen in der Wüste (V. 44 ). Die
Juden brachten sie mit Josua in das Land , das sie eroberten (V.
45 ). (d) Ja sogar der Symbolgehalt des Tempels war, obwohl er
sich im Land befand, nicht auf die Region Palästinas beschränkt.
Wie konnte er das Haus Gottes sein, wenn doch die Schrift sagt:
"Der Himmel ist mein Thron und die Erde der Schemel meiner Füße"
(V. 49 ; Jes 66,1 )?
3. Israel zeigte in der Vergangenheit stets
Widerstand gegen die Pläne und die Männer Gottes . Mit dieser
Aussage erreicht die Aussage des Stephanus gewissermaßen ihren
Höhepunkt ( Apg 7,51-53 ): "Ihr seid wie eure Väter, ihr
widerstrebt allezeit dem Heiligen Geist!" Davon war schon in der
ganzen Predigt die Rede: (a) Statt direkt von Mesopotamien in
das gelobte Land zu gehen, blieb Abraham zunächst in Haran (V. 2
- 4 ). (b) Josef wurde von seinen Brüdern in die Sklaverei nach
Ägypten verkauft (V. 9 ). (c) Die Israeliten lehnten Mose ab (V.
23 - 29 ). Daß sowohl Josef als auch Mose erst bei ihrem zweiten
Auftreten akzeptiert wurden, ist höchst bedeutsam (V. 13.35-36
). Die Parallele zu Christus kann Stephanus' Zuhörern nicht
entgangen sein. (d) Israel kehrte sich vom rechten Gottesdienst
ab und wandte sich Götzen zu (V. 39 - 43 ). Im Götzendienst, der
bei den Juden des apostolischen Zeitalters den größten Abscheu
erregte, zeigte sich der Ungehorsam des Volkes am stärksten.
Gott richtete das Volk denn auch, indem er es ins Exil nach
Babylon sandte (V. 43 ). (e) Israel hatte die Bedeutung des
Tempels falsch verstanden (V. 48 - 50 ). Stephanus' eindeutige
und klare Aussage (V. 48 ) impliziert, daß die Juden den Tempel
für den Wohnort Gottes auf Erden hielten, das jüdische
Gegenstück des Olymps der griechischen Götter. In Wirklichkeit
aber sollte er zwar ein Ort des Gottesdienstes und des Gebets
sein, nicht aber Gottes Haus (vgl. 1Kö 8,23-53 ).
In den drei Beispielen, auf die sich die
Rede stützt, wird folgender Gedankengang entwickelt: Da Gottes
Plan Fortschritte beinhaltet und seine Segnungen nicht auf den
Tempel beschränkt sind, sollte Israel sich hüten, seinen Werken
"zu widerstreben" (V. 51 ), wie es das in der Vergangenheit
getan hatte. Wenn die Juden es ablehnten, Gottes Werk in den
christlichen Gemeinden und seine Segnungen außerhalb der Grenzen
Israels zu sehen, so bedeutete das, daß sie sich dem Plan Gottes
widersetzten. Das bezog sich ganz konkret auf die
Anschuldigungen, die gegen Stephanus erhoben worden waren ( Apg
6,11-14 ).
Ein chronologisches Problem wirft
Stephanus' Aussage, daß Israel vierhundert Jahre lang geknechtet
und mißhandelt wurde ( Apg 7,6 ), auf. Nach Paulus ( Gal 3,17 )
betrug die Zeit von der Verheißung an Abraham ( 1Mo 15,13-16 )
bis zu den Ereignissen am Sinai 430 Jahre. Die dreißig Jahre
Differenz können jedoch leicht erklärt werden, wenn man davon
ausgeht, daß Stephanus einfach runde Zahlen gebrauchte. Möglich
ist auch, daß die 400 Jahre nur die Zeit der tatsächlichen
Gefangenschaft in Ägypten bezeichnen, wohingegen die 430 Jahre
von der Bestätigung des Bundes in 1Mo 35,9-15 bis zum Exodus
gerechnet sind, der im Jahr 1446 v. Chr. stattfand. Das
Hauptproblem ist jedoch die Zeit, die Israel in ägyptischer
Knechtschaft verbrachte. Wenn Gal 3,17 sagt, daß von der
Verheißung an Abraham ( 1Mo 15 ) bis zum Exodus 430 Jahre
verstrichen, hätte die Zeit der Gefangenschaft in Ägypten 215
Jahre betragen. Demgegenüber spricht die Apostelgeschichte von
400 Jahren. Am plausibelsten ist vielleicht die Annahme, daß
Paulus an Zeiträume dachte. Die Verheißungen ergingen an alle
drei Patriarchen Israels, Abraham, Isaak und Jakob. In 1Mo
46,1-4 wurden sie Jakob auf dem Weg nach Ägypten, bei Beersheba,
bestätigt. Von da an (der letzten Verheißung) bis zum Exodus
waren es noch 400 Jahre. (Vgl. Harold W. Hoehner, The Duration
of the Egyptian Bondage . Bibliotheca Sacra 126. Oktober -
Dezember 1969, 306 - 316.)
Eine weitere offensichtliche Diskrepanz in
Stephanus' Rede zeigt sich in Vers 14 . Stephanus behauptet, daß
Jakobs Familie fünfundsiebzig Menschen umfaßte, doch im
hebräischen Text sowohl von 1Mo 46,27 als auch 2Mo 1,5 steht
"siebzig". Die Septuaginta hat beides durch "fünfundsiebzig"
ersetzt. Gemeinhin wird angenommen, daß Stephanus, ein
griechisch sprechender Jude, wahrscheinlich die Septuaginta
benutzt hat und daher an dieser Stelle einen "ehrlichen Fehler"
machte. Die Diskrepanz kann jedoch auch auf andere Weise erklärt
werden (vgl. Joseph Addison Alexander, Commentary on the Acts of
the Apostles , Neuauflage, Grand Rapids, S. 226 - 267). Eine von
fast allen Forschern akzeptierte Lösung lautet, daß der
hebräische Text Jakob, Josef und die beiden Söhne Josefs,
Ephraim und Manasse, miteinschließt (das sind zusammen 70), daß
die Septuaginta jedoch Jakob und Joseph ausläßt und statt dessen
Josephs sieben Enkel aufnimmt (vgl. 1Chr 7,14-15.20-25 ). Das
wird durch den hebräischen Text in 1Mo 46,8-26 gestützt, wo 66
Namen aufgezählt werden und Jakob, Josef und die Söhne Josefs
ausgelassen werden.
Auch in Vers 16 findet sich eine
Diskrepanz. Stephanus scheint vorauszusetzen, daß Jakob in
Sichem begraben wurde, während im Alten Testament steht, daß er
und seine Frau Lea (wie auch seine Eltern Isaak und Rebekka und
seine Großeltern Abraham und Sarah) in der Höhle Machpela auf
dem Acker von Efron ( 1Mo 49,29-50,13 ) begraben wurden. In
Sichem dagegen wurde nicht Jakob, wohl aber Josef, der später
aus Ägypten dorthin überführt wurde ( 1Mo 50,26; 2Mo 13,19; Jos
24,32 ), begraben. Auch seine Brüder liegen dort, obwohl Jos
24,32 nur von den Knochen Josefs spricht (vgl. auch Josephus).
Das Pronomen sie ( Apg 7,16 ) bezieht sich nicht auf Abraham,
Isaak und Jakob, sondern auf die Worte unsre Väter in Vers 15 ,
spricht also nur von Josef und seinen Brüdern.
Stephanus' Formulierung "das Grab, das
Abraham für Geld gekauft hatte von den Söhnen Hamors in Sichem"
(V. 16 ), ist ebenfalls ein Problem. Denn in Wirklichkeit erwarb
Jakob, nicht Abraham, das Grundstück ( 1Mo 33,19 ).Das wird
vielleicht durch die Annahme erklärt, daß sein Enkel Jakob den
Acker "anstelle" seines Großvaters Abraham kaufte und ihm damit
ein Recht auf das Grab in Sichem erwarb.
Die Anspielung auf Sichem, die "Hauptstadt"
der Samariter, löste bei den Hörern von Stephanus wahrscheinlich
starkes Mißfallen aus; damit werden die Leser jedoch schon jetzt
auf den nächsten Schritt in der Ausbreitung des Evangeliums
vorbereitet ( Apg 8 ).
3. Der Tod des Stephanus
( 7,54 - 8,1 a)
Apg 7,54-56
Die Reaktion der religiösen Machthaber auf
Stephanus' Rede war leicht vorauszusehen: Als sie das hörten,
ging's ihnen durchs Herz (vgl. Apg 5,33 ) und sie knirschten mit
den Zähnen über ihn.
Statt eingeschüchtert zu sein, sah
Stephanus, voll Heiligen Geistes (vgl. Apg 6,3.5.10 ), auf zum
Himmel und sah die Herrlichkeit Gottes und Jesus stehen zur
Rechten Gottes . In allen Texten, die von dem erhöhten Herrn
sprechen, wird gesagt, daß Jesus zur Rechten Gottes sitzt ( Ps
110,1; Röm 8,34; Kol 3,1; Hebr 1,3.13;8,1;10,12;12,2; 1Pet 3,22
). Daß er hier stand , deutet vielleicht darauf hin, daß er
aufgestanden war, um Stephanus willkommen zu heißen.
Apg 7,56
ist aus mehreren Gründen der Höhepunkt
dieses Kapitels. Erstens wird der Anspruch, den Jesus in seiner
Verhandlung vor dem Hohenpriester erhob, wiederholt ( Mk 14,62
). Geradeso wie damals Jesus der Gotteslästerung angeklagt
wurde, führten auch diese Worte von Stephanus zum Ausbruch der
Gewalt gegen ihn. Zweitens ist der Terminus Menschensohn von
großer Bedeutung. Er wird an dieser Stelle zum letzten Mal im
Neuen Testament und zum einzigen Mal in den Evangelien und der
Apostelgeschichte nicht von Jesus selbst verwendet. Er
bestätigt, daß Jesus der Messias war, denn er stammt aus Dan
7,13-14 und ist definitiv eschatologisch. (Vgl. den Kommentar
zum "Menschensohn" bei Mk 8,31 .) Drittens werden an dieser
Stelle zwei große messianische Passagen verknüpft - Dan 7,13-14
und Ps 110,1 . Dan 7,13-14 betont vor allem den universalen
Aspekt der Herrschaft des Herrn. Er ist nicht nur irgendein
jüdischer König; er ist der Retter der Welt. Ps 110 beschreibt
den Messias als zur Rechten Gottes sitzend. Das ist ein Zeichen
nicht nur für seine Macht und seinen Rang, sondern auch dafür,
daß sein Opfer angenommen wurde. Christus ist der Mittler (vgl.
1Tim 2,5 ) und beweist damit, daß die Menschen auch auf anderem
Wege als durch den Tempel und die Priester Zugang zu Gott haben.
Apg 7,57-58
Die Reaktion des Hohen Rats erfolgte auf
der Stelle und war äußerst heftig. Den Ratsmitgliedern war die
theologische Implikation des Gesagten sofort klar: Israel war
schuldig; das Gesetz galt nicht für immer; der Tempel mußte
abgetan werden. Daher stießen sie Stephanus zur Stadt hinaus und
steinigten ihn . Auf Gotteslästerung stand die Todesstrafe ( 3Mo
24,16 ). Daß Stephanus ausgerechnet durch die Hände der Juden
den Märtyrertod starb, entbehrt wiederum nicht einer gewissen
Ironie, denn nach dem mosaischen Gesetz ( 3Mo 20,2 ) hätten
eigentlich ihre Väter, die den "Moloch" anbeteten ( Apg 7,43 ),
diesen Tod sterben müssen.
Ein junger Theologe namens Saulus hatte der
Steinigung offensichtlich zugestimmt, denn die Zeugen legten
ihre Kleider zu seinen Füßen ab , was bedeutet, daß er ihr Tun
billigte, indem er ihre Kleidung bewachte ( Apg 8,1; 22,20 ).
Apg 7,59-60
Mit Worten, die an die Worte Jesu erinnern,
übergab Stephanus seinen Geist dem Herrn und bat für seine
Feinde (vgl. Lk 23,34.46 ).
Apg 8,1 a
Die Worte "hatte Gefallen" ( syneudokOn )
implizieren aktive Billigung, nicht nur passive Zustimmung (vgl.
Röm 1,32 ). Sie machen Saulus' Verhalten in Apg 7,58 noch
deutlicher.
B. Das Wirken des Philippus
( Apg 8,1 b. 2-40 )
1. In Samarien
( 8,1 b - 2-25 )
a. Die Verfolgung der Kirche
( 8,1 b - 2.3 )
Das achte Kapitel steht in enger Verbindung
zum sechsten und siebten. Das Thema der Verfolgung begann
bereits im sechsten Kapitel und wird nun im achten fortgesetzt.
Auch Saulus, der bereits im siebten Kapitel eingeführt wurde,
taucht hier wieder auf. Zwischen Philippus ( Apg 8 ) und
Stephanus ( Apg 6-7 ) besteht ebenfalls ein enger Zusammenhang;
beide gehörten zu den Sieben ( Apg 6,5 ). Selbst die Anordnung
ihrer Namen in Apg 6,5 wird in der Erzählung in Apg 6,8-8,40
beibehalten.
Apg 8,1 b
Die Wendung "an diesem Tag" zeigt an, daß
die Verfolgung der Gemeinde mit dem Märtyrertod des Stephanus
einsetzte. Das impliziert, daß sein Tod noch im nachhinein die
Billigung der jüdischen Machthaber fand. Israel war dabei, seine
tragische Entscheidung - die Verwerfung des Messias - zu
bestätigen.
Daß die ganze Gemeinde in Jerusalem außer
den Aposteln in die Länder Judäa und Samarien zerstreut war, war
Gottes Methode, die Aussage von Apg 1,8 zu erfüllen. Das Wort
"zerstreut" ( ddiesparEsan , siehe auch Apg 8,4 ) stammt von dem
Verb speirO , das für das Aussäen von Saatgut verwendet wird (
Mt 6,26;13,3-4.18;25,24.26; Lk 8,5;12,24; usw.). Auch damit wird
der Leser auf das Wirken von Philippus in Samarien vorbereitet (
Apg 8,4-25 ).
Lukas spricht zwar von "allen", kann das
allerdings nicht absolut gemeint haben, denn auch in Jerusalem
bestand die Gemeinde weiter. Aus dem Kontext kann man schließen,
daß vor allem die hellenistischen Juden unter Verfolgungen
litten. Sie waren leicht zu identifizieren und man vermutete,
daß sie mit Stephanus in Verbindung gestanden hatten.
Warum die Apostel die Stadt nicht
verließen, wird nicht gesagt. Vielleicht hielt sie ihr
Pflichtgefühl gegenüber der Kirche in Jerusalem in der Stadt
zurück. Nachdem die Anhänger von Stephanus die Stadt verlassen
hatten, wurde die Jerusalemer Gemeinde zweifellos nahezu
ausschließlich jüdisch. Gleichzeitig vertieften die
Verfolgungen, unter denen die Christen litten, den Zwiespalt
zwischen den christlichen Gemeinden und dem Judentum.
Apg 8,2-3
Die beiden folgenden Verse stehen in
schroffem Kontrast zueinander. Es bestatteten aber den Stephanus
gottesfürchtige Männer und hielten eine große Klage über ihn.
Saulus dagegen suchte die Gemeinde zu zerstören. Das Wort für
"zerstören" ( elymaineto , es kommt nur an dieser einen Stelle
im Neuen Testament vor) steht in der Septuaginta noch in Ps
79,13 : ( Ps 80,13 im deutschen Text) und bezeichnet dort das
Vertreiben von Wildschweinen, die einen Weinberg zerstören.
Saulus' Eifer gegen die Christen war so groß, daß er
offensichtlich geradezu gegen sie wütete (vgl. Apg 9,1.13 ). Mit
Gewalt schleppte er Männer und Frauen aus ihren Häusern fort
(vgl. Apg 9,29;22,4-5 ) und warf sie ins Gefängnis ( Apg
22,19;26,11 ). Ein derartiges Vorgehen wirkte sich natürlich
verheerend auf die Gemeinde in Jerusalem aus ( Apg 9,21 ). Daß
Saulus später, als Apostel, selbst für Christus im Gefängnis
saß, ist dann die genaue Umkehrung seiner früheren Verfolgung
der Anhänger Christi.
Der Märtyrertod des Stephanus und die damit
zusammenhängende Verfolgung der Gemeinde waren abermals eine
Bestätigung für den Unglauben Israels und für seine halsstarrige
Weigerung, Jesus als Erlöser zu akzeptieren.
b. Die Verkündigung der Botschaft
( 8,4 - 8 )
Apg 8,4
Im Griechischen beginnt dieser Vers mit
"andererseits" ( men oun ). Die Verfolgungen führten nicht nur
zur Zerstreuung der Gläubigen (vgl. V. 1 ), sondern gleichzeitig
zur Ausbreitung des Wortes Gottes (vgl. Röm 8,28; 2Kor 2,14;
Phil 1,12-14 ). Das ist einweiterer Beweis für Gottes souveränes
Herrschen; trotz aller Widerstände breitete sich das Evangelium
immer weiter aus (vgl. Apg 12,24;19,20 ).
Apg 8,5
Philippus , ein griechischer und daher
toleranterer Jude als die hebräischen Juden in Israel (vgl. Apg
6,1 ), ging zu den Samaritern. (Samarien liegt nördlich von
Jerusalem; Lukas spricht hier von hinabkommen , weil Samarien
tiefer liegt.) Die Bedeutung seines Wirkens in der nicht mit
Namen genannten Hauptstadt Samariens wird bei einem Vergleich
zwischen Mt 10,5-6; Lk 9,52-54 und Joh 4,9 mit Apg 8,5 klar.
Apg 8,6-7
Seine Predigten wurden von Zeichen ( sEmeia
, vgl. V. 13 ) begleitet, so daß das Volk einmütig dem zuneigte
, was er sagte. Die Zeichen, die er vollbrachte (das Austreiben
unreiner Geister , d. h. Dämonen, und das Heilen von Gelähmten
und Verkrüppelten ; Apg 3,1-10 ) bestätigten seine Botschaft
(vgl. Apg 2,43 ).
Apg 8,8
Wieder einmal führte die Verkündigung des
Evangeliums zu großer Freude (vgl. den Kommentar zu Apg 2,46-47
).
c. Die Glaubensbekenntnisse
( 8,9 - 13 )
Apg 8,9-10
Um Simon, den Zauberer, ranken sich viele
Legenden: (a) Er war der Gründer der gnostischen Irrlehren, (b)
er ging nach Rom und verfälschte die dortige christliche Lehre,
und (c) er nahm an einem "Wunderwettstreit" mit Petrus teil und
verlor. Auf jeden Fall trieb Simon in der Stadt Zauberei und zog
das Volk von Samaria in seinen Bann . Weil er mit seiner
"Zauberei" die Natur und/oder die Menschen durch dämonische
Mächte beherrschte, nannten ihn die Menschen die Große Kraft
Gottes . Ob sie wirklich dachten, daß er göttlichen Wesens sei,
können wir nicht beurteilen. Simon selbst allerdings gab vor, er
wäre etwas Großes , und ließ sich die Schmeicheleien der Leute
gern gefallen.
Apg 8,11-12
Als Philippus nach Samarien kam, predigte
er von dem Reich Gottes und von dem Namen (vgl. Apg 3,16 ) Jesu
Christi . Der Terminus "Reich Gottes" bezieht sich auf das
kommende Gottesreich (vgl. Apg 1,3.6 ), "der Name Jesu Christi"
auf Jesus als den Messias (vgl. Apg 8,5 ,"der Christus",
wörtlich: "der Messias"). Mit anderen Worten, Philippus
verkündigte, daß auch die Samariter Erben des Tausendjährigen
Reiches werden konnten, wenn sie an Jesus glaubten.
Daraufhin ließen sich die Samariter, Männer
und Frauen, taufen (vgl. "Männer und Frauen" in V. 3 ). Die
Parallelen und Gegensätze zwischen Simon, dem Zauberer, und
Philippus sind frappierend. Beide vollbrachten Wunder, Simon
durch dämonische Mächte, Philippus durch die Macht Gottes. Doch
Simon prahlte und ließ sich feiern, Philippus aber verkündete
Christus. Die Menschen staunten über den Zauber, den Simon
vollbrachte, doch durch Philippus' Predigt bekehrten sie sich zu
Christus.
Apg 8,13
Überraschenderweise wurde auch Simon
gläubig und ließ sich taufen . Wie die Menschen ihm früher
gefolgt waren, so folgte er nun Philippus! Das muß seine
Anhänger sehr beeindruckt haben.
War Simon nun gerettet? Lukas geht darauf
nicht weiter ein, daher ist es schwer, das endgültig zu
entscheiden. Wir haben jedoch sieben Hinweise darauf, daß Simon
wahrscheinlich nicht wiedergeboren wurde: (1) Das Verb "glauben"
( pisteuO ) bezieht sich nicht immer auf den rettenden Glauben.
Es ist möglich, daß Simon nur wie die Dämonen in Jak 2,19 rein
vom Intellekt her glaubte. (2) Ein Glaube, der sich auf Zeichen
stützt, ist nicht zuverlässig (vgl. Joh 2,23-25;4,48 ). (3)
Lukas sagt nirgends, daß Simon den Heiligen Geist empfing ( Apg
8,17-18 ). (4) Simon hatte nach wie vor ein eigennütziges
Interesse an der Zurschaustellung von Wunderkräften (V. 18 - 19
). (5) Das Verb "Buße tun" ( metanoeO ) in Vers 22 bezieht sich
gewöhnlich auf verlorene Menschen. (6) Das Wort "verdammt" ( eis
apOleian ) in Vers 20 ist mit dem Ausdruck "verloren" in Joh
3,16 verwandt. (7) Die Beschreibung von Simon in Joh 8,23 paßt
besser zu einem Verlorenen als zu einem Geretteten (vgl. 5Mo
29,18 ). Dochtrotz allem wissen wir nicht genau, ob Simon
wirklich verloren war. Der Herr allein kennt die Seinen ( 2Tim
2,19 ).
d. Der Beweis des Werkes
( 8,14 - 17 )
Apg 8,14-17
Aus verschiedenen Gründen war es nötig
geworden, daß die Apostel in Jerusalem Petrus und Johannes nach
Samarien sandten. Normalerweise erfolgt in dem Moment, in dem
ein Mensch zum Glauben kommt, seine Taufe, Einwohnung und
Versiegelung durch den Heiligen Geist , doch in Samarien war das
noch nicht geschehen. Diese Verzögerung erwies sich jedoch als
recht sinnvoll: (1) Das Gebet von Petrus und Johannes (um das
Kommen des Heiligen Geistes) und ihre Handauflegung (die erst
bewirkte, daß die Getauften den Heiligen Geist empfingen)
bestätigte das Wirken des Philippus unter den Samaritern und
machte es für die Apostel in Jerusalem erst "rechtsgültig". (2)
Doch auch für die Samariter wurde das Werk des Philippus unter
ihnen erst durch die Apostel bestätigt. Denn erst das Kommen des
Geistes, ein Zeichen des kommenden Gottesreiches (vgl. V. 12 ;
Jer 31,31-34; Hes 36,23-27; Joe 3,1-5 ), gab ihnen die
Sicherheit, wirklich zu Christus zu gehören. (3) Am wichtigsten
war jedoch, daß die Zurückhaltung des Geistes bis zum Eintreffen
der Apostel aus Jerusalem ein Schisma verhinderte. Da zwischen
Juden und Samaritern schon so lange eine tiefe Kluft bestand,
mußten Petrus und Johannes die samaritischen Gläubigen offiziell
in die christliche Kirche aufnehmen. Auffallend ist dabei der
Gegensatz im Verhalten des Johannes hier und in Lk 9,52-54 .
e. Die Verfälschung der Wahrheit
( 8,18 - 24 )
Apg 8,18-19
Der Satz "als aber Simon sah, daß der Geist
gegeben wurde" impliziert, daß das Kommen des Heiligen Geistes
sich auch extern manifestierte, wahrscheinlich in Zungenreden
(die Schrift selbst sagt allerdings nichts darüber; vgl. Apg
2,4;10,45-46;19,6 ).
Der Terminus "Simonie", der käufliche
Erwerb von religiösen oder heiligen Dingen wie z. B. einem
kirchlichen Amt, leitet sich von dem Wunsch Simons her, die
Macht , den Heiligen Geist auf andere herabkommen zu lassen, von
den Aposteln zu kaufen.
Mit dem Bericht über diesen Zwischenfall
will Lukas die Überlegenheit des Christentums über den
Okkultismus und die dämonischen Mächte zeigen. In der
Apostelgeschichte gibt es mehrere Konflikte dieser Art; in allen
blieb Christus Sieger ( Apg 13,6-12;16,16-18;19,13-20;28,1-6 ).
Apg 8,20
Petrus reagierte sehr böse auf Simons
Ansinnen: Daß du verdammt werdest mitsamt deinem Geld!
Der Grund für diese heftige Reaktion war,
daß Simon das Wesen der Gnade, der Rettung und des Segens Gottes
nicht verstanden hatte. Petrus fügte noch hinzu: Weil du meinst,
Gottes Gabe werde durch Geld erlangt.
Apg 8,21-22
Die Wendung "du hast weder Anteil noch
Anrecht an dieser Sache" ( logO , "Wort, Sache") impliziert, daß
Simon kein Christ war. (Zu einer ähnlichen Terminologie vgl. 5Mo
12,12; 5Mo 14,27 .So wie die Leviten kein Erbteil am gelobten
Land hatten, so hatte Simon keinen Anteil an der Rettung.)
Apg 8,23-24
Die Bitterkeit Simons (wörtlich: voll
bitterer Galle , cholEn pikrias ) scheint auf 5Mo 29,17
anzuspielen, wo von Götzendienst und bitterem Abfall die Rede
ist (vgl. Hebr 12,15 ). Simon war gefangen in falscher Lehre und
in Sünde. Seine Reaktion auf Petrus' Verurteilung kann echt oder
auch einfach ein Ausruf der Furcht gewesen sein; auf jeden Fall
war er sich der tragischen Folgen seines Ansinnens ( Apg 8,18-19
) bewußt.
f. Der Fortschritt des Werks
( 8,25 )
Apg 8,25
Petrus und Johannes waren so überzeugt vom
Wirken Gottes unterden Samaritern, daß sie auf dem Weg zurück
nach Jerusalem das Evangelium in vielen Dörfern der Samariter
predigten - eine bemerkenswerte Tat für diese jüdischen Apostel!
2. Das Gespräch mit dem äthiopischen
Kämmerer
( 8,26 - 40 )
a. Das Gebot
( 8,26 )
Apg 8,26
Lukas schreibt zwar nicht, daß Gott
Philippus gebot, unter den Samaritern zu predigen (V. 5 ), doch
anscheinend führte er selbst ihn direkt nach Gaza (vgl. die
Karte bei Apg 9 ). Er sollte eine öde Straße entlanggehen
(möglicherweise bezieht "öde" sich auch auf die Stadt). Das alte
Gaza, auch das "verlassene Gaza" genannt, wurde im Jahr 93 v.
Chr. zerstört und die Stadt 57 v. Chr. näher am Mittelmeer
wiedererbaut. Man könnte das Gebot des Engels daher auch
folgendermaßen übersetzen: "Steh auf und geh nach Süden auf die
Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt. Die Stadt ist
öde." Der Verweis auf die Straße in Apg 8,36 impliziert jedoch
wohl eher, daß die Straße durch ein Wüstengebiet führte, nicht,
daß die Stadt selbst öde war.
b. Das Zusammentreffen
( 8,27 - 30 )
Apg 8,27
Der äthiopische Kämmerer wird sehr
ausführlich als Mächtiger am Hof der Kandake, der
Königin von Äthiopien , beschrieben. Das Äthiopien, von
dem hier die Rede ist, entsprach nicht dem Gebiet des heutigen
Äthiopien, es war das alte Nubien,
das Gebiet von Aswan im Süden Ägyptens bis Khartum im Sudan.
Kandake war der Titel der Königinmutter, wie Pharao die
Bezeichnung für den König von Ägypten war. Die Regierungsmacht
ruhte ganz in den Händen der Kandake, denn ihr Sohn, der
als Sohn der Sonne verehrt wurde, war der weltlichen Pflichten,
wie sie die Herrschaft über ein Volk mit sich bringen, enthoben.
Die Tatsache, daß der Kämmerer dieser Königin nach Jerusalem
gekommen war, um anzubeten , ist sehr interessant, denn Eunuchen
war es nach dem Gesetz verboten, die Versammlung des Herrn zu
betreten ( 5Mo 23,2 ). Jes 56,3-5
sagt den Eunuchen allerdings große Segnungen im Tausendjährigen
Reich voraus. Der Kämmerer war also offensichtlich ein
Anbeter des Herrn, wenn auch noch kein echter Proselyt.
Apg 8,28-30
Wie reich er war, zeigt die simple Aussage,
daß er auf seinem Wagen saß . Während des Fahrens las er den
Propheten Jesaja . Da es damals üblich war, laut zu lesen,
konnte Philippus leicht hören, mit welchem Text er sich
beschäftigte (V. 30 ). Interessanterweise wurde Philippus zuerst
von einem Engel (V. 26 ), dann vom Heiligen Geist selbst geführt
(V. 29 ).
c. Das Gespräch
( 8,31 - 35 )
Apg 8,31-35
Die Ausführungen in Jes 53,7-8 hatte den
Kämmerer verwirrt, und er ergriff nun freudig die Gelegenheit,
sich die Stelle von Philippus auslegen zu lassen. Er lud den
Apostel ein, aufzusteigen und sich zu ihm zu setzen . Der
Äthiopier wollte wissen, ob Jesaja hier von sich selber oder von
jemand anderem sprach, und Philippus nutzte seinerseits seine
Chance und predigte ihm das Evangelium von Jesus (vgl. Joh 5,39
).
d. Die Folgen
( 8,36 - 40 )
Apg 8,36-39
Diese Predigt bewirkte drei Dinge. Als
erstes ließ der Kämmerer sich taufen. Seine Antwort "was
hindert's, daß ich mich taufen lasse" ist ein Hinweis, daß die
Wassertaufe die Besiegelung der persönlichen Entscheidung,
Christus zu vertrauen, war (vgl. Mt 28,19 ). Zweitens freute er
sich: er zog aber seine Straße fröhlich . Drittens war damit
weder ein Jude noch ein Samariter, sondern ein heidnischer
(afrikanischer) Verehrer Jahwes, der nochnicht endgültig zum
Judentum übergetreten war (wahrscheinlich war er noch
unbeschnitten), für das Christentum gewonnen. (Wie die
Randbemerkung besagt, taucht V. 37 erst in späteren
Handschriften auf.)
Nach der Taufe entrückte der Geist des
Herrn den Philippus, und der Kämmerer sah ihn nicht mehr . Die
weitere Geschichte des äthiopischen Kämmerers ist unbekannt.
Apg 8,40
Philippus aber fand sich in Aschdod , einer
alten Philisterhauptstadt, wieder. Auf dem Weg von dort nach
Cäsarea predigte er in allen Städten das Evangelium (zu Aschdod
und Cäsarea vgl. die Karte bei Apg 9 ). In Cäsarea ließ er sich
dann wohl endgültig nieder, denn 20 Jahre später treffen wir ihn
immer noch dort an (vgl. Apg 21,8 ). Ein Evangelist konnte einen
festen Wohnsitz haben oder auch als Wanderapostel herumziehen;
Philippus tat offensichtlich beides.
Auch Petrus besuchte später noch das Gebiet
um Aschdod und Cäsarea ( Apg 9,32-43 ). Obwohl der Evangelist
Philippus in Cäsarea lebte, berief der Herr Petrus aus Joppe
dorthin, um den Hauptmann Kornelius zu bekehren ( Apg 10-11 ).
C. Die Botschaft des Saulus
( 9,1 - 31 )
Die Bekehrung des Saulus (Paulus) ist für
manche Theologen das einschneidenste Ereignis in der Kirche seit
Pfingsten. Auch Lukas hielt sie mit Sicherheit für sehr wichtig,
denn er berichtet in der Apostelgeschichte dreimal über sie (
Kap. 9; 22; 26 ).
An dieser Stelle soll der Leser darauf
vorbereitet werden, daß das Evangelium von nun an auch den
Heiden gepredigt wird ( Apg 10 ). Der Bekehrung des späteren
"Heidenapostels" ( Gal 2,8; Eph 3,8 ) ging die Bekehrung des
Kornelius und seines Hauses durch Petrus voran.
Paulus' Erlebnis auf der Straße nach
Damaskus steht vielleicht auch noch mit dem Märtyrertod des
Stephanus in Verbindung, denn dessen Predigt scheint Saulus in
seinen Bemühungen, das Christentum auszurotten, noch bestärkt zu
haben ( Apg 8,1-3 ). Wenn die Lehre, die Stephanus verkündigt
hatte, richtig war, dann war das Gesetz in Gefahr; daher setzte
Saulus, der Eiferer für das Gesetz, die Verfolgung der
christlichen Gemeinden mit noch größerer Härte fort (vgl. Gal
1,13; Phil 3,6 ).
Doch der Verfolger Saulus war im Begriff,
zu Paulus, dem Apostel Jesu Christi, zu werden. Durch seinen
kulturellen Hintergrund und seine Qualifikationen war er vor
allen anderen geeignet für die Aufgabe, zu der Gott ihn berief:
(1) Er war ein ausgezeichneter Kenner der jüdischen Kultur und
Sprache ( Apg 21,40; Phil 3,5 ). (2) Er war in Tarsus
aufgewachsen und daher auch mit der griechischen Kultur und
Philosophie vertraut ( Apg 17,22-31; Tit 1,12 ). (3) Er besaß
die römische Bürgerschaft und damit alle Vorrechte der Bürger
Roms ( Apg 16,37; Apg 22,23-29; Apg 25,10-12 ). (4) Er war auch
mit der jüdischen Religion mehr als vertraut ( Gal 1,14 ). (5)
Er besaß eine praktische handwerkliche Berufsausbildung, konnte
also selbst für seinen Lebensunterhalt sorgen ( Apg 18,3; 1Kor
9,4-18; 2Kor 11,7-11; 1Thes 2,9; 2Thes 3,8 ). (6) Gott hatte ihm
Einsatzfreude, Führungsqualitäten und theologisches Verständnis
gegeben.
1. Die Bekehrung des Saulus
( 9,1 - 19 a)
a. Saulus wird von seiner Schuld überführt
( 9,1 - 9 )
Apg 9,1 a
Das Adverb noch bezieht sich zurück auf Apg
8,3 .Während das Evangelium außerhalb Jerusalems rasch neue
Anhänger fand, setzte Saulus seine erbarmungslose Verfolgung der
Kirche fort.
Apg 9,1-2 (Apg 9,1b-2)
Sein Haß war so groß, daß er zum
Hohenpriester ging und ihn um Briefe nach Damaskus an die
Synagogen bat . Damaskus (vgl. die Karte) stand nicht unter
Kontrolle der Provinzen Judäa, Galiläa oder der Dekapolis.
Welche Machtbefugnis hatte dann der Hohepriester über die
Synagoge in Damaskus? Die Antwort darauf lautet, daß Rom einer
Bitte des Hohenpriesters in Jerusalem um Auslieferung gewöhnlich
nachkam. Aber auch eine andere Erklärung ist denkbar.
Wahrscheinlich stand Damaskus zur damaligen Zeit unter der
Herrschaft des nabatäischen Königs Aretas IV. (vgl. 2Kor
11,32-33 ). Um sich mit den antiömisch gesinnten Juden
gutzustellen, hätte Aretas, der die Römer ebenfalls haßte, dem
Hohenpriester mit Sicherheit fast jeden Gefallen getan.
Die Erwähnung der "Synagogen in Damaskus"
weist darauf hin, daß das Christentum noch immer eng mit dem
Judentum verbunden war (das Wort "Versammlung in Jak 2,2 ist die
Übersetzung des griechischen synagOgEn , "Synagoge"). Daß Paulus
nach Damaskus gehen wollte, zeigt im übrigen, wie weit das
Christentum bereits vorgedrungen war.
Seltsamerweise sprach Saulus vom
Christentum als von dem neuen Weg , ein Terminus, der nur in der
Apostelgeschichte steht (griech.: Apg 19,9.23;22,4;24,14.22 ).
Apg 9,3-4
Saulus hörte plötzlich die Stimme des Herrn
Jesus und sah ihn auch (vgl. Apg 9,17.27;22,14;26,16; 1Kor 9,1;
15,8 ). Es gibt zwar keine explizite Aussage darüber, was genau
Saulus sah, doch die Wendung Licht vom Himmel deutet darauf hin,
daß es Christus war. Diese Vision war die Grundlage des
Apostolats von Saulus (vgl. 1Kor 9,1 ).
Die Frage "was verfolgst du mich?" ( Apg
9,5; der Gebrauch des Personalpronomens vermittelte Saulus eine
erste Vorstellung davon, was es heißt, als Christ in Christus zu
sein) ist ebenfalls sehr wichtig, denn sie beweist die Einheit
Christi mit seiner Kirche. Der Herr fragte nicht: "Warum
verfolgst du meine Kirche?" Darauf spielte Lukas bereits am
Anfang der Apostelgeschichte an, als er schrieb, daß der Herr
sein Werk auf Erden in der Kirche fortsetzen wird ( Apg 1,1 ).
Dasselbe Verständnis drückte sich in der Episode um Hananias
aus, der mit seiner Lüge gegenüber Petrus gleichzeitig eine Lüge
gegen den Geist ausgesprochen hatte ( Apg 5,3 ). Lukas sah, wie
Paulus auch, Christus als Haupt und die Kirche als seinen Leib
an.
Apg 9,5
Manche Exegeten vertreten die Annahme, daß
die Anrede "Herr" in Saulus' Frage "Herr ( Kyrie ) , wer bist
du?" unserer heutigen Anrede "Herr Sowieso" entspricht. Das ist,
wie Mt 13,27; 27,63; Joh 4,11; Apg 10,4 und andere Stellen
zeigen, zwar durchaus möglich, doch in diesem Abschnitt
geschieht zuviel Übernatürliches, als daß diese These plausibel
erscheint. Selbst wenn Saulus den, der ihm da entgegentrat,
nicht sofort als Jesus erkannte, muß er doch gewußt haben, daß
es ein übernatürliches Wesen war. Dann offenbarte Jesus sich
Saulus: Ich bin Jesus (vgl. Apg 9,17 ).
Apg 9,6
Der auferstandene Herr gebot ihm: Steh auf
und geh in die Stadt; da wird man dir sagen, was du tun sollst .
Das bedeutet nicht, daß Saulus erst durch Hananias (V. 10 ) mit
der christlichen Lehre bekannt wurde, wie manche behaupten.
Saulus erfuhr vielmehr von Christus selbst, daß er das
Evangelium verkünden und dabei auch leiden sollte (V. 15 - 16 ;
Apg 22,10.15;26,16-20 ). Auch die Wahrheit der Rechtfertigung
durch den Glauben offenbarte ihm der Herr bereits auf der Straße
nach Damaskus; darüber läßt Apg 26,18 keinen Zweifel (vgl. Gal
1,11-12 ).
Apg 9,7
Zwischen Vers 7 und Apg 22,9 besteht
offensichtlich eine Diskrepanz. In 9,7 berichtet Lukas, daß die
Männer, die seine Gefährten waren, die Stimme ( phOnEs ) hörten
, doch in Apg 22,9 schreibt er, daß sie die Stimme ( phOnEn )
nicht hörten . Das Verb "hören" mit Genitiv bedeutet im
Griechischen jedoch "ein Geräusch hören", "hören" mit Akkusativ
dagegen ist gleichbedeutend mit "verstehen". Nun steht in Apg
9,7 der Genitiv und Apg 22,9 der Akkusativ. Also kann man davon
ausgehen, daß Paulus' Begleiter die Stimme zwar vernahmen ( Apg
9,7 ), sie jedoch nicht verstanden ( Apg 22,9 ).
Apg 9,8
Wenn der "Pfahl im Fleisch" des Paulus ein
Augenleiden war (vgl. den Kommentar zu 2Kor 12,7 ), dann ist der
Auslöser für diese Krankheit vielleicht in seinem Erlebnis auf
der Straße nach Damaskus zu suchen. Auf jeden Fall haben wir es
in Vers 8 plötzlich mit einem ganz anderen Menschen zu tun. Im
einen Augenblick stürmte er noch vorwärts, entschlossen, jeden
Christen, dessen er habhaft werden konnte, ins Gefängnis werfen
zu lassen. Im andern wird er wie ein Kind bei der Hand nach
Damaskus geführt . Die Gnade Gottes zeigt sich oft in großen
Ereignissen, ja manchmal sogar in - scheinbaren - Katastrophen.
Apg 9,9
Die drei Tage der Blindheit, des Fastens
und Betens (V. 11 ) waren eine Zeit des Wartens für Saulus. Er
hatte die Botschaft, die Gott ihm verheißen hatte (V. 6 ), noch
nicht empfangen.
b. Saulus tut Busse
( 9,10 - 19 a)
Apg 9,10-14
Als nächstes wies Gott den widerstrebenden
Hananias in einer Vision an, Saulus das Augenlicht
wiederzugeben. Er sollte zu ihm gehen, in das Haus eines Mannes
mit Namen Judas , das in der bStraße, die die Gerade hieß (eine
der beiden parallel verlaufenden, die ganze Stadt von der
westlichen zur östlichen Stadtmauer durchziehenden Straßen),
stand. Vers 11 enthält auch den ersten Hinweis auf Saulus'
Geburtsort, Tarsus (vgl. die Karte und den Kommentar zu V. 30 ).
Hier werden die Gläubigen zum ersten Mal
(V. 13 ) in der Apostelgeschichte Heilige genannt (vgl. Eph 1,1
und Phil 1,1; vgl. auch "Ausgesonderte", hagiois ; Röm 1,1 ).
Aus Apg 9,13-14 geht hervor, daß die Neuigkeit vom Eintreffen
des Saulus, dieses jüdischen Eiferers für das Gesetz, der die
Christen mit Ingrimm verfolgte, seiner Ankunft vorausgeeilt war,
und daß Hananias sich vor ihm fürchtete.
Apg 9,15
Der Herr aber versicherte ihm: Dieser ist
mein auserwähltes Werkzeug, daß er meinen Namen trage vor Heiden
und vor Könige und vor das Volk Israel. Aus Saulus sollte
Paulus, der Apostel der Unbeschnittenen, werden ( Röm 11,13; Gal
2,2.7-8; Eph 3,8 ), der vor hohen Persönlichkeiten und sogar
Königen Zeugnis ablegen würde (vgl. den Statthalter Felix, Apg
24,1-23 ,den Statthalter Porzius Festus, Apg 24,27- Apg 25,12
,Herodes Agrippa II., Apg 25,13-26,32 und vielleicht auch Kaiser
Nero, Apg 25,11 ). Doch Paulus wirkte auch unter dem "Volk
Israel" (vgl. Apg
9,20;13,5.14;14,1;17,2.10.17;18,4.19;19,8;26,17-20; Röm 1,16 ).
Daß jemand, der die Christen so haßerfüllt verfolgt hatte, zu
einem so mächtigen und beeindruckenden Zeugen des Evangeliums
werden konnte, war ein überwältigender Beweis der Souveränität
Gottes.
Apg 9,16
Diese Prophezeiung wird in Saulus'
Leidenskatalog in 2Kor 11,23 - 27 zum Teil bestätigt.
In dem Gespräch zwischen Hananias und dem
Herrn findet sich dreimal in drei Versen das Wort Name ( Apg
9,14-16; vgl. Apg 3,16 ).
Apg 9,17
Bruder Saul - wie ermutigend müssen diese
Worte in Saulus' Ohrengeklungen haben! Der erste Mensch, von dem
berichtet wird, daß er Saulus "Bruder" nannte, war Hananias. Was
er Saulus sagte, ist in Apg 22,14-16 ausführlicher
wiedergegeben. Hananias' Furcht hatte sich in Liebe zu Saulus
gewandelt, weil der Herr es geboten hatte. Indem er die Hände
auf ihn legte , identifizierte er sich mit ihm.
Dieser Vers enthält den unbezweifelbaren
Beweis, daß Saulus nach seiner Bekehrung mit dem Heiligen Geist
erfüllt wurde (vgl. Apg 4,8.31; Eph 5,18 ).
Apg 9,18
Es fiel wie Schuppen ( lepides , von dem
Verb lepO , "schälen"; Schuppen von Fischen und Krokodilen) von
seinen Augen, und er wurde wieder sehend . Nach seiner Bekehrung
unterzog Paulus sich, wie alle Christen in der Apostelgeschichte
( Apg 8,12.38 ), der Wassertaufe.
Von Hananias ist erst in Kap. 22 , wo
Paulus selbst von seiner Bekehrung berichtet, wieder die Rede.
Apg 9,19 a
Der Schock, den die Begegnung mit dem
auferstandenen Christus darstellte, und die drei Tage, die
Paulus ohne Essen und Trinken verbrachte, hatten ihn sehr
geschwächt. Doch die Begegnung mit Hananias, seine Heilung, das
Erfülltwerden mit dem Heiligen Geist, die Wassertaufe und nicht
zuletzt, daß er Speise zu sich nahm , ließen ihn wieder zu
Kräften kommen.
2. Saulus in Damaskus und Jerusalem
( 9,19 b. 20-31 )
a. Das Bekenntnis
( 9,19 b - 20-22 )
Apg 9,19-20 (Apg 9,19b-20)
Bereits nach wenigen Tagen begann Saulus,
in den Synagogen in Damaskus von Jesus zu predigen, daß dieser
Gottes Sohn sei . Diese Vorgehensweise - zuerst die Synagogen
aufzusuchen - behielt er auch auf seinen Missionsreisen bei (die
erste Missionsreise - Apg 13,5.14; 14,1; die zweite
Missionsreise - Apg 17,2.10.17; 18,4; die dritte Missionsreise -
Apg 18,19; 19,8 ). In Vers 20 findet sich zum ersten und
einzigen Mal in der Apostelgeschichte die Wendung "Gottes Sohn".
Die Gottessohnschaft Jesu war die erste Erkenntnis, die Saulus
auf der Straße nach Damaskus zuteil geworden war.
Apg 9,21
Die Juden aber waren entsetzt - angesichts
der Tatsache, daß Saulus in Jerusalem in einem schrecklichen
Verfolgungsfeldzug alle Juden, die sich zu Jesus bekannten,
vernichten wollte (vgl. Apg 8,3;22,19;26,11 ), eine völlig
verständliche Reaktion. Das griechische Verb existanto bedeutet
wörtlich "sie waren außer sich". Das Wort taucht in der
Apostelgeschichte fünfmal auf ( Apg 2,7;8,13;9,21;10,45;12,16 ).
Mit ähnlicher Fassungslosigkeit hatten zuvor viele Menschen auf
Jesus reagiert ( Mk 2,12;5,42;6,51 ).
Apg 9,22
Doch nun nutzte Saulus seine theologische
Bildung, um den Menschen sein neues Wissen - daß Jesus der
Messias war - zu beweisen. Er war nach Damaskus gegangen, um die
Kirche auszurotten - jetzt verkündete er das Evangelium. Welch
ein Gegensatz! Kein Wunder, daß die Juden in Damaskus in die
Enge getrieben ( synechynnen , "verwirrt", von syncheO , das im
Neuen Testament nur in Apg 2,6;9,22;21,27.31 steht) waren.
b. Die Verschwörungen gegen Saulus
( 9,23 - 31 )
(1) In Damaskus
Apg 9,23-25
In diesem Abschnitt wird eines der
Unterthemen der Apostelgeschichte, die Opposition der jüdischen
Machthaber gegen das Evangelium, ganz deutlich. Aus 2Kor
11,32-33 geht hervor, daß es sich bei dieser Verschwörung um
eine Gemeinschaftsaktion der Juden und des Statthalters des
Königs Aretas (eines Nabatäers) handelte, wenngleich die Juden
die Haupttriebfeder waren. Doch Saulus' Jünger hatten erfahren,
daß die Juden beschlossen hatten, ihn zu töten, und ließen ihn
in einem Korb die Mauer hinab , denn die Tore der Stadt waren
bewacht. Hatte Saulus ursprünglich vorgehabt, die Anhänger des
christlichen Glaubens in Damaskus zu verfolgen, so wurde er nun
selbst zum Verfolgten. Sein Schicksal hatte eine seltsame
Wendung genommen: Als Blinder hatte er die Stadt betreten, und
in einem Korb verließ er sie wieder.
Die Tatsache, daß Saulus schon jetzt
"Jünger" ( mathEtai ) folgten, zeigt, daß seine Predigt bereits
Erfolg gehabt hatte und daß er offensichtlich wirklich ein
begnadeter Apostel war.
Lukas übergeht in der stark gerafften
Darstellung der Apostelgeschichte Saulus' kurzen Aufenthalt in
Arabien, von dem wir aus Gal 1,17 wissen. Möglicherweise lag er
in der Zeit zwischen dem in Apg 9,22 und Apg 9,23 berichteten
Geschehen. Warum Saulus nach Arabien ging, wissen wir nicht;
unwahrscheinlich ist allerdings, daß es Missionszwecke waren,
denn das Gebiet war nur spärlich besiedelt und Saulus
konzentrierte sich im allgemeinen auf die städtischen
Metropolen. Vielleicht verließ er Damaskus, um seine Verfolger
zu beschwichtigen und dadurch auch das Los der übrigen Christen
in der Stadt zu erleichtern. Oder - und das klingt am
plausibelsten - er ging nach Arabien, um zu meditieren und zu
studieren.
Apg 9,26-28
(2) In Jerusalem ( Apg 9,26-30 )
Saulus hatte Jerusalem als unerbittlicher
Feind des Christentums verlassen, um die Kirche in Damaskus
auszurotten. Doch die souveräne Gnade Gottes machte ihn zum
Mitbruder und Mitverkünder des Evangeliums in eben dieser Stadt.
Nun schloß er sich den Christen in Jerusalem an, die sich
allerdings verständlicherweise zunächst weigerten, ihm Glauben
zu schenken (vgl. Hananias' Befürchtungen; V. 13 ). Als Saulus
in Damaskus einen Freund gebraucht hatte, war Hananias zu ihm
gekommen; in Jerusalem fand er Barnabas . Dieser Mann, dessen
Name "Sohn des Trostes" bedeutet ( Apg 4,36 ), erwies sich als
große Hilfe (Barnabas tritt danach in der Apostelgeschichte noch
viermal in Erscheinung: (a) Apg 11,22-24; (b) Apg 11,30; 12,25;
(c) Apg 13,1-2.50; 14,12; (d) Apg 15,2.12.22.25.37 ). Nachdem
Barnabas die Gläubigen in Jerusalem davon überzeugt hatte, daß
Saulus sich wirklich bekehrt hatte, erlaubten sie ihm, bei ihnen
zu bleiben. In Damaskus hatte Saulus im Namen Jesu frei und
offen gepredigt , und auch in Jerusalem predigte er im Namen des
Herrn frei und offen (vgl. den Kommentar zu "frei" in Apg 4,31
).
Apg 9,29
Er redete und stritt auch mit den
griechischen Juden und setzte so das Werk des Stephanus fort
(vgl. Apg 6,8-10 ). Daß die Juden ihn schon so bald töten
wollten, ist wohl ein Zeichen, daß sie seiner rednerischen
Begabung nicht gewachsen waren.
Apg 9,30
Daraufhin geleiteten ihn die Brüder (vgl.
V. 17 ) in Jerusalem nach Cäsarea , den etwa 100 Kilometer
entfernten Seehafen, und schickten ihn von dort in seine
Heimatstadt, Tarsus . Das schon damals über 6000 Jahre alte
Tarsus war die "Intellektuellenstadt" im römischen Reich. (Zu
einem kurzen Überblick über die bedeutenden Ereignisse in der
Geschichte von Tarsus vgl. V. Gilbert Beers, The Victor Handbook
of Bible Knowlegde , Wheaton, Ill. 1981, S. 555.)
Im neunten Kapitel werden folgende Reisen
von Saulus erwähnt:
1. Jerusalem (V. 1 - 2 )
2. Damaskus (V. 3 - 22 )
3. Arabien ( Gal 1,17 )
4. Damaskus ( Apg 9,23-25; Gal 1,17 ; 2Kor
11,32-33 )
5. Jerusalem ( Apg 9,26-29; Gal 1,18-19 )
6. Cäsarea ( Apg 9,30 )
7. Tarsus (V. 30; Gal 1,21-24 )
Apg 9,31
(3) Schluß
In dem Satz die Gemeinde in ganz Judäa und
Galiäa und Samarien steht das Wort "Gemeinde" im Singular. Lukas
sprach hier also offensichtlich von der universalen Kirche, die
im ganzen Heiligen Land verstreut war.
Der Zorn der Juden hatte sich so sehr auf
Saulus konzentriert, daß die Kirche, nachdem er fort war, eine
Zeitlang Frieden hatte .
Bis jetzt gehörten der Kirche Jesu Christi
noch ausschließlich Juden, Halbjuden (Samariter) und jüdische
Proselyten, die sich zum Christentum bekehrt hatten, an (die
einzige Ausnahme war der äthiopische Kämmerer; Apg 8,26-40 ),
doch es war schon alles für die Ausbreitung der christlichen
Kirche unter den anderen Völkern der Welt bereit.
Mit dem dritten der sieben
"Verlaufsberichte" über das geistliche und zahlenmäßige Wachstum
der Kirche (vgl. Apg 2,47;6,7;12,24;16,5;19,20;28,30-31 )
schließt Lukas diesen Abschnitt seines Buches.
Apostelgeschichte
III. Das Zeugnis bis ans Ende der Erde
( 9,32 - 28,31 )
A. Die Ausbreitung der Kirche bis nach
Antiochia
( 9,32 - 12,24 )
1. Die Wegbereitung für ein universales
Evangelium durch Petrus
( 9,32 - 10,48 )
a. Petrus in Lydda
( 9,32 - 35 )
Apg 9,32-35
Von Petrus war zuletzt in Apg 8,25 die Rede
gewesen, als er mit Johannes aus Samarien nach Jerusalem
zurückkehrte. Er arbeitete inzwischen als Wanderapostel in
Judäa, wobei er unter anderem auch nach Lydda kam. Das damalige
Lydda, das nur an dieser einen Stelle im Neuen Testament erwähnt
wird, ist das heutige Lod; im Norden der Stadt liegt der
internationale Flughafen Israels. Auch später setzte Petrus
seine ausgedehnten Missionsreisen fort (vgl. die Adressaten
seines ersten Briefes; 1Pet 1,1 ). Philippus hatte ihm im Gebiet
in und um Cäsarea den Weg bereitet ( Apg 8,40 ).
Die Wunderheilung des Äneas , eines
Gelähmten, der seit acht Jahren ans Bett gebunden war, bekehrte
viele zum Glauben an Christus. Dreimal in der Apostelgeschichte
benutzt Lukas die Worte "sich zu dem Herrn bekehren" , wenn er
von der Rettung spricht ( Apg 9,35;11,21;15,19 ). Das Evangelium
erregte allmählich die Aufmerksamkeit breiterer
Bevölkerungskreise, denn in diesem Küstengebiet lebten viele
Heiden. Scharon ist der Name der - etwa 15 Kilometer breiten und
75 Kilometer langen - fruchtbaren Ebene entlang der
palästinensischen Küste; Lydda lag im Südosten dieser Ebene. Das
Wunder, das Petrus dort vollbrachte, war seine zweite Heilung
eines Gelähmten (vgl. Apg 3,1-10; vgl. auch Apg 14,8-10 ).
Apostelgeschichte
b. Petrus in Joppe
( 9,36 - 43 )
Apg 9,36-38
Während Petrus sich in Lydda aufhielt,
starb in Joppe eine von allen geliebte Christin ( eine Jüngerin
) mit Namen Tabita , das ist aramäisch und heißt übersetzt: Reh
. Sie war bekannt für ihre guten Werke und reichlichen Almosen .
Da die Städte Lydda und Joppe nur etwa 18 Kilometer voneinander
entfernt liegen, wurden zwei Männer zu ihm gesandt, um ihn
herbeizurufen. (Zu einer kurzen Zusammenfassung der Geschichte
von Joppe s. Beers, The Victor Handbook of Bible Knowledge , S.
559.) Bis dahin war, wenn man den Berichten der
Apostelgeschichte Glauben schenken darf, in der Urkirche noch
niemand von den Toten auferweckt worden, doch der Glaube der
Christen, die Petrus bekehrt hatte, war so groß, daß sie
erwarteten, daß der Herr Tabita durch Petrus auferstehen lassen
würde.
Apostelgeschichte
Apg 9,39-41
Sobald Petrus ankam, trieb er die weinenden
Witwen und andere Gläubige aus dem Obergemach, kniete nieder,
betete für Tabita und gebot ihr, aufzustehen (vgl. Mk 5,41 ). Um
sich nicht zu verunreinigen, berührte er sie jedoch erst, als
Gott sie wieder lebendig gemacht hatte.
Apg 9,42-43
Auch dieses Wunder brachte viele zum
Glauben an den Herrn ( Apg 2,43.47;4,4;5,12.14;8,6;9,33-35 ).
Danach blieb Petrus noch lange Zeit in Joppe bei einem Simon,
der ein Gerber war und dessen Haus am Meer lag ( Apg 10,6 ).
Dieser Abschnitt ( Apg 9,32-43 ) schildert,
wie sorgfältig Petrus auf sein folgendes Erlebnis mit Kornelius
vorbereitet wurde. (1) Zwei weitere große Wunder bestätigten ihn
in seinem Amt und bewiesen, daß Gott auf ganz besondere Weise
mit ihm war. (2) Er wirkte jetzt in einem Gebiet, in dem auch
Heiden lebten. (3) Er wohnte im Haus Simons des Gerbers. Gerber
galten als unrein, weil sie ständig mit den Häuten toter Tiere
in Kontakt kamen ( 3Mo 11,40 ).
c. Petrus und Kornelius
( Apg 10 )
Auch über dieses Ereignis berichtet Lukas
in der Apostelgeschichte dreimal - hier in Apg 10 , in Kap. 11
und nochmals in Apg 15,6-9- ein Zeichen, wie wichtig es ihm war.
Mit der geographischen Ausbreitung des Evangeliums begann die
Erfüllung der Worte Jesu in Mt 8,11 : "Viele werden kommen von
Osten und von Westen und ... im Himmelreich zu Tisch sitzen."
(1) Die Vision des Kornelius ( Apg 10,1-8 )
Apg 10,1
Sowohl Petrus als auch Kornelius wurden
durch eine Vision auf ihre Begegnung vorbereitet. Lukas geht
zunächst auf die Vision des Kornelius ein. Er war ein Hauptmann
in der - sechshundert Mann starken - italischen Abteilung , also
ein römischer Offizier, der 100 Soldaten befehligte. Im Neuen
Testament erscheinen die Hauptleute häufig in vorteilhaftem
Licht (vgl. Mt 8,5-10;27,54; Mk 15,44-45; Apg 22,25-26;23,17-18;
Apg 27,6.43 ). Kornelius war einer der ersten Heiden, die nach
Pfingsten die gute Nachricht von der Vergebung der Sünden durch
Jesus Christus hörten.
Apg 10,2
Aus seiner Beschreibung als fromm ( eusebEs
, dieses Wort steht außer an dieser Stelle nur noch in V. 7 und
2Pet 2,9 ) und gottesfürchtig (vgl. V. 22 ) kann geschlossen
werden, daß er noch nicht endgültig zum Judentum übergetreten
(d. h. noch nicht beschnitten; Apg 11,3 ) war, aber Jahwe
verehrte. Offensichtlich besuchte er den Gottesdienst in der
Synagoge und befolgte nach bestem Wissen und Gewissen die Gebote
des Alten Testaments. Wie fromm dieser Soldat war, zeigen auch
seine Gebete und freigebigen Almosen . Die Rettung, von der das
Neue Testament spricht, war ihm jedoch noch nicht zuteil
geworden (vgl. Apg 11,14 ).
Apg 10,3-6
Der Hinweis auf die Zeit um die neunte
Stunde am Tage bezieht sich wahrscheinlich auf eine jüdische
Gebetsstunde (vgl. Apg 3,1 ). Wenn ja, hatte Kornelius seine
Vision, während er betete (vgl. Apg 10,9 ). Später beschrieb er
den Engel, der ihm erschien, als "Mann in einem leuchtenden
Gewand" (V. 30 ). Er sprach Kornelius an, und dieser antwortete
mit der Frage: "Herr (kyrie; wahrscheinlich nur die übliche
Anrede für Fremde, vgl. den Kommentar zu Apg 9,5 ), was ist?"
Der Engel wies ihn an, nach Simon Petrus im Haus Simons des
Gerbers zu senden (vgl. Apg 9,43 ).
Apg 10,7
Als der Engel, der mit ihm redete,
hinweggegangen war , rief der Hauptmann drei seiner Männer -
zwei Knechte und einen frommen ( eusebE , vgl. V. 2 ) Soldaten .
Zweifellos hatte Kornelius' Frömmigkeit bereits ihre Wirkung auf
seine Leute getan.
Apg 10,8
Er erzählte ihnen alles , was geschehen
war. Mit dem an dieser Stelle verwendeten griechischen Partizip
( exEgEsam ) ist das Substantiv "Exegese" verwandt. Er
"erklärte" ihnen also alles.
Die drei wurden nach dem etwa 50 Kilometer
südlich von Cäsarea liegenden (V. 24 ) Joppe geschickt, um
Petrus zu holen und zu Kornelius zu bringen.
Apg 10,9
(2) Die Vision des Petrus ( Apg 10,9-16 )
Auch Petrus betete morgens und abends zu
den normalen Gebetsstunden, zusätzlich jedoch noch um die
sechste Stunde , also mittags. Das war zwar in der Schrift nicht
vorgeschrieben, doch Petrus folgte darin dem Beispiel vieler
frommer Männer vor ihm (vgl. Ps 55,18; Dan 6,11 ). Er stieg für
das Gebet auf das (flache) Dach, um allein zu sein.
Apg 10,10-12
Als er hungrig geworden war, geriet er in
Verzückung . Gott ließ ihn eine Vision sehen, in der ein großes
leinenes Tuch auf die Erde herabkam, auf dem allerlei vierfüßige
und kriechende Tiere der Erde und Vögel herumkrabbelten.
Apg 10,13-14
Als Gott Petrus gebot, von diesen Tieren zu
essen, antwortete er erschrocken: O nein ( mEdamOs , eine
höflichere und demütigere Formulierung als das harte oudamOs ,
"unter keinen Umständen", das nur in Mt 2,6 steht), Herr. Das
war das dritte Mal in Petrus' Laufbahn, daß er sich ganz direkt
dem Willen Gottes widersetzte (vgl. Mt 16,23; Joh 13,8 ). Petrus
wußte aus dem Gesetz, daß er keine unreinen Tiere essen durfte (
3Mo 11 ). Konnte er denn nicht einfach die reinen töten und
essen und die unreinen leben lassen? Wahrscheinlich war er der
Ansicht, er solle alle essen, oder auf dem Tuch tummelten sich
ausschließlich unreine Tiere.
Apg 10,15
Was Gott rein gemacht hat, das nenne du
nicht verboten . Dieser Tadel unterstreicht die Bedeutung von Mk
7,14-23 (vgl. 1Tim 4,4 ). Es gilt als gesichert, daß Markus dort
einen Ausspruch von Petrus niederschrieb. In der Rückschau muß
Petrus erkannt haben, daß Jesus als Messias alle Nahrungsmittel
rein gemacht hatte.
Apg 10,16
Petrus dreimalige Weigerung war ein
Ausdruck für die Bestimmtheit seiner Weigerung und ein Beweis
für die Gewißheit seiner Überzeugung und Treue Gott gegenüber.
Er hatte hier Skrupel, die nicht einmal Gott selbst beseitigen
konnte. Er wollte zwar nur das Beste, war aber dennoch
ungehorsam. Außerdem besteht hier vielleicht auch eine gewisse
Verbindung zu seiner dreifachen Leugnung des Herrn ( Joh
18,17.25-27 ) und der dreifachen Bestätigung seiner Liebe zu ihm
( Joh 21,15-17 ).
Apg 10,17-22
(3) Der Besuch der Boten ( Apg 10,17-23 a)
Durch ein wunderbares zeitliches
Zusammentreffen kamen die drei Boten gerade in diesem Moment bei
Petrus an. Da der Heilige Geist Petrus bereits über die Ankunft
der drei Männer unterrichtet hatte, war er es vielleicht auch
gewesen, dessen Stimme Petrus zuvor (V. 13.15 ) gehört hatte.
Die von Kornelius gesandten Männer
schilderten Petrus ihren Vorgesetzten in einem äußerst
vorteilhaften Licht (vgl. V. 2.4 ) und teilten ihm den Zweck
ihres Kommens mit.
Apg 10,23 a
Da rief er sie herein und beherbergte sie .
Petrus war gerade im Begriff gewesen, sein Mittagsmahl
einzunehmen (vgl. V. 10 ) und lud seine Besucher nun ein, es mit
ihm zu teilen. Vielleicht begann ihm bereits der Sinn der
Lektion, die er in der Vision erhalten hatte, klarzuwerden!
Apg 10,23
(4) Der Besuch bei den Heiden ( Apg
10,23-43 )
b: Als Petrus und seine Gäste ihr Mahl
beendet hatten, muß es bereits zu spät gewesen sein, um noch
nach Cäsarea aufzubrechen. Am nächsten Tag machten sie sich dann
jedoch gemeinsam auf die beinahe zweitägige Reise. (Die Boten
des Kornelius hatten Cäsarea etwa um drei Uhr nachmittags
verlassen [V. 3.8 ] und waren zwei Tage später um die
Mittagszeit in Joppe angelangt; V. 9.19 ; vgl. "vor vier Tagen"
in V. 30 .)
Einige Brüder aus Joppe begleiteten sie.
Das paarweise Aussenden oder Reisen ist ein vertrautes Bild in
der Apostelgeschichte; die Christen gingen meistens zu zweit. In
diesem Fall wurde Petrus allerdings von mindestens sechs Männern
begleitet ( Apg 11,12 ), d. h., es gab sieben Zeugen, die
bestätigen konnten, was geschehen würde.
Apg 10,24
Kornelius war so sicher, daß Petrus kommen
würde, und so begierig darauf, seine Botschaft zu hören, daß er
bereits seine Verwandten und nächsten Freunde zusammengerufen
hatte .
Apg 10,25-26
Als Petrus ankam, fiel er ihm zu Füßen und
betete ihn an ( prosekynEsen ), doch Petrus untersagte ihm das,
richtete ihn auf und sprach: Steh auf, ich bin auch nur ein
Mensch .
Apg 10,27-29
Petrus war sich der Folgen seiner Tat - daß
er Heiden in ihrem Haus aufsuchte - wohl bewußt (vgl. Apg 11,2-3
), doch er hatte inzwischen die Bedeutung seiner Vision erkannt.
Mit dem Gebot, unreine Tiere zu essen, hatte Gott ihm sagen
wollen, daß es nicht seine Sache war, einen Menschen unrein zu
nennen . Darum weigerte er sich nicht , als er geholt wurde.
Apg 10,30-33
Nachdem Kornelius ihm die Umstände, die
Petrus in sein Haus gebracht hatten, berichtet hatte, sagte er:
Nun sind wir alle hier vor Gott zugegen, um alles zu hören, was
dir vom Herrn befohlen ist . Welch eine innerlich bereite
Zuhörerschaft fand der Apostel hier im Haus eines Heiden!
Apg 10,34-35
Die folgende Predigt von Petrus war
revolutionär. Sie wischte das Vorurteil und die Belehrungen von
Generationen jüdischer Lehrer einfach fort. Allerdings war auch
schon im Alten Testament an mehreren Stellen von der Rettung der
Heiden die Rede gewesen (vgl. Jona; 1Mo 12,3 ). Die Juden waren
zwar Gottes auserwähltes Volk, die Empfänger seiner Verheißungen
und Offenbarung, doch nun verkündigte Petrus, daß Gottes Plan
die ganze Welt umfaßte und daß seine Botschaft durch die
christliche Gemeinde in alle Winde getragen werden sollte.
Über die Bedeutung der Worte "in jedem
Volk, wer ihn fürchtet und recht tut, der ist ihm angenehm" sind
sich die Exegeten nicht einig. Sicherlich ist damit auf keinen
Fall irgendeine Art von Werkgerechtigkeit gemeint, denn die
erste und vornehmste Pflicht eines Menschen ist es, Gott zu
fürchten, und das heißt nichts anderes, als ihm zu vertrauen und
ihn anzubeten (vgl. zu dieser Stelle auch Mi 6,8 ). Gottes
Annahme der Menschen aber hängt grundsätzlich damit zusammen,
daß sie durch den Glauben an Christus zu einer richtigen
Beziehung zu Gott selbst finden (vgl. Apg 11,14 ).
Apg 10,36-37
Im Anschluß an seine ersten, aufrüttelnden
Worte gab Petrus seinen Zuhörern einen kurzen Bericht über das
Leben und Werk Christi (V. 36 - 43 ), des allmächtigen Herrn
über alle , durch den Gott den Menschen Frieden verkündigte .
Neutestamentler haben immer wieder auf die nahezu vollkommene
Übereinstimmung dieser Stelle mit dem Markusevangelium
hingewiesen. Auch Markus setzt mit seiner Darstellung bei der
Taufe des Johannes ein, verfolgt dann die Spuren des Wirkens
Jesu von Galiläa nach Judäa und Jerusalem und schließt mit dem
Kreuzestod, der Auferstehung und dem Missionsauftrag an die
Jünger.
Apg 10,38
Der Begriff "Messias" bedeutet "Gesalbter";
wenn Petrus also sagte, Gott salbte Jesus von Nazareth , meinte
er, "Gott machte ihn zum Messias" (vgl. Jes 61,1-3; Lk 4,16-21;
Apg 4,27 ). Das geschah bei der Taufe Jesu (vgl. Mt 3,16-17; Mk
1,9-11; Lk 3,21-22; Joh 1,32-34 ). Jesaja hatte prophezeit, daß
der Gesalbte große Wunder vollbringen werde ( Jes 61,1-3 ), und
Petrus sagte denn auch: Der ist umhergezogen und hat Gutes getan
und hat alle gesund gemacht, die in der Gewalt des Teufels
waren.
Apg 10,39-41
Der Apostel versicherte seinen Hörern, daß
er und seine Helfer Augenzeugen aller Werke Jesu gewesen waren.
Sie , d. h. die Juden, haben ihn an das Holz gehängt und getötet
, d. h., sie haben ihn auf schändlichste Weise umgebracht. Zuvor
hatte Petrus den Juden in Jerusalem gepredigt: "Den Fürsten des
Lebens habt ihr getötet" ( Apg 3,15 ); zu den Herrschenden sagte
er: "den ihr gekreuzigt habt" ( Apg 4,10 ); und dem Hohen Rat
warf er vor: "den ihr an das Holz gehängt und getötet habt" (
Apg 5,30 ). Auch Stephanus hatte den Hohen Rat angeklagt: "Und
sie haben getötet" ( Apg 7,52 ). Fünfmal in der
Apostelgeschichte bezeugen die Apostel, daß sie den
auferstandenen Christus mit eigenen Augen gesehen haben ( Apg
2,32;3,15;5,32;10,41;13,30-31 ). Die Jünger hatten nach seiner
Auferstehung gemeinsam mit ihm gegessen und getrunken (vgl. Joh
21,13 ) - das war der eindeutige Beweis, daß der auferstandene
Herr kein körperloser Geist war, und es erklärt, wie er sichtbar
erscheinen konnte ( Apg 10,40 ).
Apg 10,42-43
Als nächstes machte Petrus klar, daß das
Wirken Christi entweder zum Gericht (V. 42 ) oder zum Heil (V.
43 ) führt. Der Schlüsselsatz lautet: Alle, die an ihn glauben .
Im Griechischen besteht diese Konstruktion aus einem Partizip
Präsens mit Artikel, ist also substantivisch formuliert ("jeder
an ihn Glaubende"). Entscheidend für die Rettung ist der Glaube
an Christus. Schon die Propheten sprachen von der Vergebung der
Sünden (vgl. Apg 2,38;5,31;13,38;26,18 ) durch den Glauben an
den Messias (z. B. Jes 53,11; Jer 31,34; Hes 36,25-26 ).
Apg 10,44-45
(5) Die Rechtfertigung durch den Heiligen
Geist ( Apg 10,44-48 ).
Plötzlich, mitten in der Predigt, fiel der
Heilige Geist auf alle , die Petrus' Botschaft von Jesus
zuhörten und durch sie zum Glauben kamen. Die sechs (vgl. V. 23
; Apg 11,12 ) gläubig gewordenen Juden , die Petrus begleitet
hatten, entsetzten sich (exestesan, "gerieten außer sich"; vgl.
Apg 9,21 ) angesichts dieses Beweises der Gleichstellung der
Heiden mit Judenchristen.
Apg 10,46
Das Zeichen, das bestätigte, daß die Heiden
wirklich gerettet waren, war das Zungenreden . (Zur Bedeutung
des Zungenredens in der Apostelgeschichte vgl. den Kommentar zu
Apg 19,1-7 .)
Apg 10,47-48
Petrus sah in diesem Wunder mindestens drei
theologische Implikationen: (1) Er konnte Gott nicht "wehren",
d. h., er mußte den Willen Gottes, die Heiden in seine
Gemeinschaft aufzunehmen, akzeptieren ( 11, 17 ). (2) Kornelius
und sein Haus wurden, obwohl sie unbeschnitten waren ( Apg 11,3
), getauft, weil sie an Christus geglaubt hatten, wie das
Herabkommen des Heiligen Geistes auf sie bestätigte. (3) Die
Authentizität der Bekehrung des Kornelius wurde dadurch noch
bekräftigt, daß Petrus einige Tage bei ihm blieb,
wahrscheinlich, um ihn in seinem neuen Glauben zu unterweisen.
2. Die Wegbereitung für ein universales
Evangelium durch die Apostel
( 11,1 - 18 )
a. Die Anklage
( 11,1 - 3 )
Apg 11,1-2
Die Reaktionen der Judenchristen auf die
Geschehnisse in Cäsarea waren unterschiedlich. Der Ausdruck
"gläubig gewordene Juden" (vgl. Apg 10,45 ) bezeichnet
offensichtlich Christen, die sich noch am mosaischen Gesetz
orientierten (vgl. Apg 15,5;21,20; Gal 2,12 ).
Apg 11,3
Die gegen Petrus erhobene Anklage lautete,
daß er zu Männern gegangen sei, die nicht Juden sind, und mit
ihnen gegessen habe. Das Problem war also nicht, daß er vor den
Heiden gepredigt, sondern daß er mit ihnen gegessen hatte (vgl.
Mk 2,16; Lk 15,2; Gal 2,12 ), denn die Tischgemeinschaft war ein
äußeres Zeichen dafür, daß eine Person akzeptiert und in die
Gemeinschaft aufgenommen war (vgl. 1Kor 5,11 ). Angesichts der
Einwände der Judenchristen wird Petrus' Vision noch
entscheidender ( Apg 10,9-16 ), denn eine solche Kontroverse
hätte zu einem schwerwiegenden Bruch innerhalb der Urkirche
führen können.
b. Die Antwort
( 11,4 - 17 )
Apg 11,4-14
Petrus berichtete den gläubig gewordenen
Juden in Jerusalem kurz, was geschehen war (vgl. Apg 10 ): von
seiner Erscheinung ( Apg 11,5-7 ), seiner Reaktion darauf (V. 8
- 10 ) und von den Ereignissen im Haus von Kornelius (V. 11 - 14
).
Apostelgeschichte
Apg 11,15-16
Entscheidend an seinem Bericht war, daß er
darin den Pfingsttag als die Erfüllung der Prophezeiung des
Herrn über die Geisttaufe sah ( Apg 1,4-5 ). In Kap. 2 war diese
Gleichsetzung (Geistestaufe an Pfingsten) noch nicht direkt
vollzogen worden, doch Petrus wies an dieser Stelle mit der
Wendung "wie am Anfang" explizit darauf hin (vgl. Apg 10,47
,"ebenso wie wir", und Apg 11,17 ,"die gleiche Gabe gegeben hat
wie auch uns"). Damit wird Pfingsten zum Ausgangspunkt für das
Kirchenzeitalter.
Apg 11,17
Doch Petrus blieb in seiner
Verteidigungsrede nicht bei dem, was er selbst getan hatte,
stehen, sondern sprach vom Handeln Gottes. Gott hatte keinen
Unterschied zwischen Juden und Heiden gemacht, wie konnte Petrus
es dann tun?
c. Der Freispruch
( 11,18 )
Apg 11,18
Mit Petrus erkannten die Heiligen, daß die
Bekehrung der Heiden Gottes Wille war und daß sie sich ihr nicht
widersetzen durften. Daraus ergaben sich zwei entscheidende
Konsequenzen: Erstens wurde die Einheit des Leibes Christi, der
Kirche, bewahrt. Zweitens öffnete sich eine tiefe Kluft zwischen
den Gläubigen des Kirchenzeitalters und denen, die Gott
weiterhin im Tempel in Jerusalem anbeteten. Bevor die Apostel
sich den Heiden zuwandten, hatte das jüdische Volk eher
wohlwollend auf die Christen geblickt (vgl. Apg 2,47;5,13.26 ),
doch jetzt wandten die Juden sich schon bald gegen die Kirche.
Ihren Höhepunkt erreichte diese Ablehnung dann in der
Hinrichtung des Apostels Jakobus ( Apg 12,2-3; vgl. 12,11 ).
Apostelgeschichte
3. Die Wegbereitung für ein universales
Evangelium durch die Gemeinde in Antiochia
( 11,19 - 30 )
a. Das kosmopolitische Wesen der Kirche
( 11,19 - 21 )
Die folgenden Verse bilden einen der Dreh-
und Angelpunkte der Apostelgeschichte. Zum ersten Mal machte
sich die Kirche aktiv daran, Heiden zum Christentum zu bekehren.
Die Samariter aus Kap. 8 waren Halbjuden gewesen, der
äthiopische Kämmerer hatte sich aus eigenem Antrieb Jesaja
zugewandt, und auch Kornelius hatte selbst die Initiative
ergriffen, als er Petrus um die Verkündigung des Evangeliums
bat. Diesmal unternahm jedoch die Kirche selbst den ersten
Schritt, den unbeschnittenen Griechen ihre Botschaft zu bringen.
Apg 11,19
Hier wendet der Bericht sich nochmals
Stephanus zu ( Apg 8,1-2 ) und weist auf eine weitere Folge
seines Märtyrertodes hin. Er hatte dazu beigetragen, das
Evangelium nach Samarien zu tragen (vgl. die Ähnlichkeit
zwischen Apg 8,4 und Apg 11,19 ), hatte Saulus zu einer
konsequenteren Verfolgung der Kirche veranlaßt ( Apg 8,3 ) und
wurde nun auch Anlaß für die Ausbreitung des Evangeliums in die
Länder der Heiden ( Phönizien und Zypern und Antiochia ).
Apg 11,20
Der Verweis auf Antiochia in Syrien soll
den Leser auf die wichtige Rolle, die diese Stadt in der
Fortsetzung des Berichts spielte, vorbereiten. Es gab viele
Städte mit dem Namen Antiochia, doch Antiochia in Syrien war die
bedeutendste unter ihnen. Sie war die drittgrößte Metropole im
römischen Reich hinter Rom und Alexandria, lag am Fluß Orontes
(etwa 20 Kilometer landeinwärts) und war deshalb auch als
Antiochia am Orontes bekannt. In landschaftlich reizvoller
Umgebung nach sorgfältiger Planung errichtet, war sie ein
wichtiges Handelszentrum und die Heimat einer großen jüdischen
Gemeinschaft. Die Stadt war berüchtigt für ihre üblen Sitten. So
war z. B. religiöse Prostitution als Teil des
Tempelgottesdienstes an der Tagesordnung, und der römische
Satiriker Juvenal beschwerte sich einmal: "Schon lange
verschmutzen die Abwässer aus dem Orontes unseren Tiber". Er
meinte damit, daß Antiochia so verderbt war, daß seine
Schlechtigkeit sogar auf das 2000 Kilometer entfernte Rom
übergriff. Doch trotz der Unmoral, die in der Stadt herrschte,
war Antiochia dazu bestimmt, zum Ausgangspunkt für die
Missionsreisen des Paulus zu werden.
Der erstaunliche Fortschritt, den die
Heidenmission damit machte, ging natürlich auch auf die Mithilfe
zahlloser ungenannter Missionare zurück. Trotzdem war es ein
kühner Schritt für Leute von Zypern und aus Kyrene, einer Stadt
in Nordafrika, sich zum christlichen Glauben zu bekennen und ihn
zu verkünden (vgl. Mt 27,32; Apg 2,10;6,9;13,1 ).
Apg 11,21
Die Wendung "wurde gläubig und bekehrte
sich zum Herrn" muß sich nicht unbedingt auf zwei verschiedene
Handlungen beziehen. Die griechische Konstruktion (Partizip
Aorist und Aorist Verbum finitum) weist häufig auf zwei
gleichzeitige Handlungen hin. Der Satz bedeutet also wohl
einfach: "Im Glauben bekehrten sie sich zum Herrn."
b. Die Bestätigung der Gemeinde in
Antiochia
( Apg 11,22-26 )
Apg 11,22
Ein solch wichtiger Schritt von seiten der
Gemeinde konnte der Aufmerksamkeit der Urgemeinde in Jerusalem
nicht entgehen. Früher hatten die Jerusalemer Apostel Petrus und
Johannes entsandt, um das Wirken von Philippus in Samarien zu
kontrollieren. Jetzt schickten sie Barnabas fast 500 Kilometer
nach Norden, nach Antiochia . Daß sie gerade ihn wählten, war
ebenfalls von entscheidender Bedeutung, denn ihre Wahl erwies
sich aus mehreren Gründen als weise. Erstens stammte Barnabas,
wie auch andere Verkündiger der christlichen Botschaft, selbst
aus Zypern ( Apg 4,36;11,20 ). Zweitens war er großzügig ( Apg
4,37 ) und rücksichtsvoll. Drittens war er, wie schon sein
Beiname ( Apg 4,36 ) und auch Lukas' Zeugnis über ihn ( Apg
11,24 ) besagten, ein einfühlsamer Gesprächspartner.
Apg 11,23
Barnabas konnte sich der Erkenntnis nicht
verschließen, daß in Antiochia tatsächlich Gott am Werk war, und
er freute sich darüber. Gemäß seinem Beinamen "Sohn des Trostes"
( Apg 4,36 ) ermahnte er die Gläubigen, mit festem Herzen an dem
Herrn zu bleiben (vgl. Apg 14,23 ). (Barnabas wird außerdem noch
in Apg 9,27;11,25.30;12,25;13,1-2.7.43.46.50; Apg
14,3.12.14.20;15,2.12.22.25.35-37.39; 1Kor 9,6; Gal 2,1.9.13 und
Kol 4,10 erwähnt.)
Apg 11,24
Barnabas war ein bewährter Mann, voll
Heiligen Geistes und Glaubens (vgl. Stephanus, der ebenfalls
voll des Glaubens und des Heiligen Geistes gewesen war; Apg 6,5
). Da Lukas, der Paulus ja auf seinen Reisen begleitete, diese
Charakterisierung nach der Konfrontation zwischen Barnabas und
Paulus (vgl. Apg 15,39 ) schrieb, muß auch Paulus dieser Ansicht
gewesen sein.
Apg 11,25
Die Missionsarbeit in Antiochia war so
erfolgreich und nahm so großartige Dimensionen an, daß Barnabas
schon bald Hilfe brauchte, und in seinen Augen war dazu keiner
geeigneter als der inzwischen in Tarsus lebende Saulus (vgl. Apg
9,30 ). Möglicherweise war Paulus bereits in Tarsus den Leiden
und Verfolgungen ausgesetzt, von denen er in 2Kor 11,23-27
spricht, und wahrscheinlich wurde ihm auch damals schon die
Offenbarung aus 2Kor 12,1-4 zuteil. Manche Forscher sind,
gestützt auf die Aussage von Apg 22,17-21 , sogar der Ansicht,
daß Saulus bereits unter den Heiden predigte, als Barnabas ihn
nach Antiochia holen wollte.
Apg 11,26
Barnabas und Saulus arbeiteten ein ganzes
Jahr in Antiochia und lehrten viele . Die Gemeinde gewann
ständig neue Mitglieder (vgl. Apg
2,41.47;4,4;5,14;6,1;9,31;11,21.24 ).
In Antiochia wurden die Jünger Jesu zuerst
Christen genannt . Das Wort "Christen" steht nur noch an zwei
anderen Stellen im Neuen Testament: Apg 26,28 und 1Pet 4,16 .
Diese Bezeichnung, die im Griechischen noch durch die
Wortstellung hervorgehoben ist, sollte die Christen als
eigenständige religiöse Gruppe von den Juden abheben.
c. Die Barmherzigkeit der antiochenischen
Gemeinde
( 11,27 - 30 )
Apg 11,27
Aus Jerusalem kamen Propheten nach
Antiochia , die die Gabe der Prophezeiung besaßen.
Apg 11,28
Agabus , der in Apg 21,10-11 nochmals in
Erscheinung tritt, prophezeite eine große Hungersnot, die über
den ganzen Erdkreis kommen sollte . In der Regierungszeit des
Kaisers Klaudius (41 - 54 n. Chr.) wurden tatsächlich große
Teile des römischen Reiches von schweren Hungersnöten
heimgesucht. Klaudius war es auch, der später die Juden aus Rom
vertrieb ( Apg 18,2 ). (Vgl. die Liste der römischen Kaiser bei
Lk 1,2 .)
Apg 11,29-30
Als die Christen in Antiochia erfuhren, daß
ihre Glaubensbrüder in Judäa besonders unter der Hungersnot
litten, ließen sie ihnen, jeder nach seinem Vermögen (vgl. 1Kor
16,2; 2Kor 9,7 ), finanzielle Unterstützung zukommen. Diese
Zuwendung stärkte sicherlich die Verbundenheit zwischen den
beiden Gemeinden (vgl. Röm 15,27 ).
Barnabas und Saulus brachten die Gabe nach
Judäa und überreichten sie dort den Ältesten. Hier ist zum
ersten Mal in der Apostelgeschichte von Kirchenältesten die
Rede. Es handelte sich ganz eindeutig um eine Geldspende, die
die Ältesten - sicherlich nach sorgfältiger Prüfung der
Missionsarbeit der beiden - in Empfang nahmen. Einige Zeit
später übergaben Paulus und seine Mitarbeiter den Ältesten der
Jerusalemer Gemeinde auch die Kollekte der Gemeinden von Achaja,
Mazedonien und Kleinasien ( Apg 21,18 ,wenngleich in diesem Vers
nichts von der Übergabe einer Geldspende gesagt wird).
Dieser Besuch ( Apg 11,27-30 ) ist
möglicherweise derselbe, von dem auch in Gal 2,1-10 die Rede
ist.
4. Die Verfolgung der Gemeinde in Jerusalem
( 12,1 - 24 )
Im folgenden Abschnitt wird das Thema der
Verwerfung des Messias durch Israel, das immer wieder in den
Bericht der Apostelgeschichte verwoben ist ( Apg 4,1-30
,besonders Apg 4,29;5,17-40;6,11- Apg 8,3;9,1-2.29 ), erneut
aufgegriffen. Die Feindseligkeit Israels war auch der Anlaß für
die erste Missionsreise des Apostels Paulus.
a. Das Martyrium des Jakobus
( 12,1 - 2 )
Apg 12,1-2
Hier wird der Liebe der antiochenischen
Gemeinde zu den Heiligen in Jerusalem die erbarmungslose
Feindschaft des Herodes und der Juden gegenüber den christlichen
Gemeinden entgegengestellt.
Der Herodes, von dem hier die Rede ist, ist
Agrippa I., ein Herrscher, der, selbst jüdischer Herkunft - er
war ein Hasmonäer -, bei den Juden recht beliebt war. Sein
Königreich umfaßte etwa das Gebiet, über das auch sein
Großvater, Herodes der Große, geherrscht hatte. Agrippa I. war
dafür bekannt, daß er so ziemlich alles tat, um sich die Juden
geneigt zu machen, daher schien es ihm vom politischen
Standpunkt her ratsam, gegen die Christen vorzugehen. Jakobus,
den Bruder des Johannes , ließ er sogar hinrichten. Agrippa I.
starb im Jahr 44 n. Chr. Sein Sohn, Herodes Agrippa II., war von
50 bis 70 n. Chr. König von Judäa. Vor ihm und seiner Schwester
Berenike mußte sich Paulus verteidigen ( Apg 25,13-26,32 ).
(Vgl. die Tabelle zur Dynastie des Herodes bei Lk 1,5 .)
b. Die Gefangennahme und Flucht von Petrus
( 12,3 - 19 )
Dieser Zwischenfall macht deutlich, daß die
christlichen Gemeinden inzwischen zu einer eigenständigen Gruppe
geworden waren, gegen die sich der Haß und die Verachtung der
Juden richtete.
Apg 12,3-4
Die Hinrichtung des Jakobus gefiel den
Juden , daher ließ Herodes während des Festes der Ungesäuerten
Brote auch Petrus ergreifen und ins Gefängnis werfen. Er hatte
vor, ihn nach dem Fest vor das Volk zu stellen . Als "Passa"
wurde manchmal das insgesamt achttägige Fest bezeichnet, das aus
dem Passafest selbst und dem unmittelbar darauffolgenden
siebentägigen Fest der Ungesäuerten Brote bestand. Aus zwei
Gründen hatte Herodes beschlossen, Petrus ebenfalls
hinzurichten: erstens galt er als Leiter einer christlichen
Gemeinde, und zweitens hatte er Umgang mit Heiden.
Herodes stellte sicher, daß Petrus auf
keinen Fall entkommen konnte, indem er ihn vier Wachen von je
vier Soldaten überantwortete . Das bedeutet wahrscheinlich, daß
zwei Männer - auf jeder Seite einer - an Petrus gefesselt waren,
und zwei weitere vor der Tür Wache standen (vgl. V. 6.10 ). Die
vier Wachen beziehen sich wahrscheinlich auf die Wachablösung
alle sechs Stunden. Offensichtlich erinnerten sich die Juden
noch an Petrus' frühere Flucht (vgl. Apg 5,19-24 ), und Herodes
wollte verhindern, daß sie sich wiederholte.
Apg 12,5
So wurde nun Petrus im Gefängnis
festgehalten; aber die Gemeinde betete ohne Aufhören für ihn zu
Gott . Petrus war zwar gebunden, es gab nichts mehr, was die
Gemeinde noch für ihn tun konnte; das Gebet aber stand ihnen
noch offen.
Apg 12,6
Petrus vertraute dem Herrn so sehr, daß er
in der Nacht, bevor Herodes ihn vorführen lassen wollte , ruhig
schlief (vgl. 1Pet 2,23;5,7 ). Er fürchtete nicht um sein Leben,
denn Christus hatte ihm prophezeit, daß er sehr alt werden würde
( Joh 21,18 ).
Apg 12,7-10
Dies war das zweite Mal, daß ein Engel
Petrus bei der Flucht behilflich war (vgl. Apg 5,19-20 ). Er
weckte ihn auf und gebot ihm, die Schuhe anzuziehen und ihm aus
dem Gefängnis zu folgen. Gott ließ die Ketten von seinen Händen
fallen , versetzte die Wachen in tiefen Schlaf und öffnete das
eiserne Tor .
Apg 12,11
Auch in dieser Befreiung des Petrus hatte
es sich wieder erwiesen, daß es unmöglich war, dem Evangelium
Gottes Einhalt zu gebieten. Als Petrus zu sich gekommen war und
die frische Nachtluft atmete, erkannte er, daß seine Befreiung
nicht nur eine Vision gewesen war (V. 9 ), sondern daß Gott ihm
tatsächlich geholfen hatte.
Apg 12,12
In diesem Vers wird Johannes Markus
eingeführt, der eine wichtige Rolle bei der ersten Missionsreise
des Paulus spielte. Seine Mutter Maria war offensichtlich eine
wohlhabende und bedeutende Frau, denn ihr Haus, das der Gemeinde
als Versammlungsort diente, muß sehr groß gewesen sein. Aus der
Tatsache, daß sein Vater nicht erwähnt wird, kann man schließen,
daß Maria Witwe war. Markus gilt als der Verfasser des
Evangeliums, das seinen Namen trägt. (vgl. Mk 14,51-52; 1Pet
5,13 ).
Apg 12,13-17
Die Geschichte von Petrus' unerwarteter
Ankunft im Haus von Johannes Markus offenbart sehr viel Sinn für
Humor und für menschliche Schwächen. Die Freude, von der in der
Apostelgeschichte so viel die Rede ist, tritt auch hier bei der
Magd Rhode zutage, die auf das Klopfen des Petrus an die Tür kam
und seine Stimme erkannte. Die Heiligen hatten zwar ernsthaft
(V. 5 ) um die Befreiung des Apostels gebetet, doch mit einer so
raschen Erhörung hatten sie nicht gerechnet! Als Rhode ihnen
versicherte, daß Petrus vor dem Tor stünde, meinten sie: Du bist
von Sinnen. Es ist sein Engel. Daran wird deutlich, daß die
Urgemeinde noch an persönliche, d. h. den einzelnen Menschen
zugeteilte Engel glaubte (vgl. Dan 10,21; Mt 18,10 ), die
anscheinend genauso aussahen wie die Person, der sie zugeteilt
waren.
Als die Brüder Petrus sahen, entsetzten sie
sich ( exestEsan ; vgl. Apg 9,21 ). Daß Jakobus hier
ausdrücklich erwähnt wird, zeigt, daß er als Halbbruder des
Herrn eine wichtige Stellung in der Jerusalemer Gemeinde
innehatte.
Nachdem Petrus ihnen erzählt hatte, wie er
befreit worden war, ging er hinaus und zog an einen andern Ort -
wohin genau, wissen wir nicht, doch 1Pet 1,1 deutet darauf hin,
daß er sich nach Kleinasien begab. Später tauchte er dann in
Antiochia in Syrien auf ( Gal 2,11 ). Auch Paulus spricht von
der Tätigkeit des Petrus als Wanderapostel ( 1Kor 1,12;9,5 ).
Apg 12,18-19
Herodes ordnete eine Untersuchung der
Flucht des Petrus an; er verhörte die Wachen und ließ sie
abführen , d. h. hinrichten. Zweifellos rechtfertigte er diese
Grausamkeit (er verlor dadurch insgesamt 16 Männer; vgl. V. 4 )
damit, daß Wachen, deren Gefangene entfliehen konnten,
unverantwortlich gehandelt hatten und unzuverlässig waren.
Daraufhin begab er sich für eine Weile nach Cäsarea, der
Hauptstadt der römischen Provinz Judäa, von wo aus die römischen
Statthalter das jüdische Volk regierten.
c. Der Tod Herodes Agrippa I.
( 12,20 - 23 )
Apg 12,20-23
Die Städte Tyrus und Sidon , die im
Herrschaftsbereich des Herodes lagen, hatten aus irgendeinem
Grund seinen Zorn erregt. Da sie in bezug auf Nahrungsmittel von
Galiläa abhängig waren, lag ihnen jedoch viel daran, Frieden mit
Herodes zu halten. Wahrscheinlich bestachen sie Blastus, den
Kämmerer des Königs , ein gutes Wort für sie einzulegen. An dem
festgesetzten Tag, als Herodes eine Rede an das Volk hielt ,
beteten sie ihn als Gott an, doch der Herr bestrafte ihn dafür
mit dem Tod (44 n. Chr.). Das entspricht dem Bericht des
Josephus in seiner "Geschichte des Judentums" (19. 8. 2). Nach
dem Tod des Herodes wurde Felix und danach Festus Statthalter
von Judäa.
Drei der Nachkommen des Herodes spielen in
der weiteren Erzählung der Apostelgeschichte eine bedeutende
Rolle: Drusilla, die Frau von Felix ( Apg 24,24 ), Berenike (
Apg 25,13.23 ) und Herodes Agrippa II. ( Apg 25,13-26,32 ).
d. Das weitere Wachstum der Kirche
( 12,24 )
Apg 12,24
Und das Wort Gottes wuchs und breitete sich
aus (vgl. die ähnlichen Formulierungen in Apg 6,7;13,49; 19,20
). Trotz der Widerstände und Verfolgungen ließ der Herr das Werk
seiner Kirche gelingen. Mit diesem "Fortschrittsbericht"
schließt Lukas einen weiteren Abschnitt seiner Erzählung (vgl.
Apg 2,47;6,7;9,31;12,24;16,5;19,20;28,30-31 ). Von Antiochia aus
sollte das Evangelium nun nach Kleinasien gelangen.
B. Die Ausbreitung der Kirche in Kleinasien
( 12,25 - 16,5 )
1. Die Berufung und Beauftragung von
Barnabas und Saulus
( 12,25 - 13,3 )
Apg 12,25
Nachdem Barnabas und Saulus den Ältesten
die Spende für die Hungernden in Jerusalem ausgehändigt hatten (
Apg 11,27-30 ), kehrten sie nach Antiochia zurück und nahmen
Johannes Markus (vgl. Apg 13,5 ), einen Cousin von Barnabas (
Kol 4,10 ), mit sich ( Apg 12,12 ).
(Erste Missionsreise, Apg 13-14 )
Apg 13,1
Die Gemeinde in Antiochia wurde zur
Ausgangsbasis für das Wirken von Saulus. Noch war die
Jerusalemer Gemeinde die "Urgemeinde", Antiochia am Orontes aber
wurde zum Zentrum der christlichen Mission. Die Verkündigung des
Evangeliums war nun nicht mehr in erster Linie mit der Person
des Petrus verknüpft; allmählich nahm Saulus seinen Platz ein.
Der unterschiedliche kulturelle Hintergrund
der Leiter der antiochenischen Gemeinde macht den
kosmopolitischen Charakter der dortigen Kirche besonders
anschaulich. Barnabas war ein Jude aus Zypern ( Apg 4,36 ).
Simeon war ebenfalls Jude, doch sein lateinischer Beiname Niger
weist nicht nur auf seine dunkle Hautfarbe hin, sondern auch
darauf, daß er sich in römischen Kreisen bewegte. Vielleicht war
er jener Simon von Kyrene, der das Kreuz für Christus trug ( Mt
27,32; Mk 15,21 ). Luzius stammte aus Kyrene in Nordafrika (vgl.
Apg 11,20 ). Manaën hatte Umgang mit hochgestellten Personen,
denn er war gemeinsam mit dem Landesfürsten Herodes - Herodes
Antipas, der Johannes den Täufer hatte enthaupten lassen und
Jesus bei seiner Verhandlung so gedemütigt hatte - erzogen
worden (vgl. die Tabelle zur Dynastie des Herodes bei Lk 1,5 ).
Einer dieser beiden, Manaen, wurde ein Jünger, der andere,
Herodes, ein Widersacher Jesu! Am Ende der Liste stand Saulus ,
ein an rabbinischen Schulen ausgebildeter Jude, denn er war der
letzte, der zu ihnen gestoßen war. Trotz ihrer unterschiedlichen
Herkunft waren die Männer jedoch zu einer hervorragenden
Zusammenarbeit fähig.
Barnabas wird vermutlich deshalb als erster
genannt, weil er als Abgesandter der Stammkirche in Jerusalem
eine führende Stellung innehatte.
Apg 13,2
Offensichtlich tat Gott der Kirche seinen
Willen auch damals noch durch "Propheten" kund (vgl. V. 1 ).
Inder Apostelgeschichte ist es meistens der Heilige Geist , der
den von Gott erwählten Führern Anweisungen überbringt (z. B. Apg
8,29;10,19;13,2.4 ). Hier wies er die fünf, als sie dem Herrn
dienten und fasteten, an, Barnabas und Saulus abzusondern . Wie
schon in der Zeit, als Jesus noch bei ihnen war, arbeiteten auch
später stets zwei Männer zusammen. Das Verb "absondern" (
aphorizO ) wird für drei Ereignisse im Leben des Paulus
verwendet: Gleich bei seiner Geburt wurde er von Gott
ausgesondert und berufen ( Gal 1,15 ), bei seiner Bekehrung
wurde er für die Predigt des Evangeliums abgesondert ( Röm 1,1
), und in Antiochia wurde er ebenfalls für einen ganz besonderen
Dienst auserwählt ( Apg 13,2 ).
Apg 13,3
Die Leiter der Kirche legten die Hände auf
Barnabas und Saulus und ließen sie ziehen . Das Handauflegen war
ein Symbol dafür, daß ihr Wirken von der Gesamtkirche anerkannt
wurde und daß sie unter Gottes Führung standen (vgl. Hananias,
der sich mit Saulus identifizierte, indem er ihm die Hände
auflegte; Apg 9,17 ). Zwei der fähigsten Männer der Kirche
wurden also auf diese wichtige Missionsreise entsandt.
2. Die Rundreise durch Kleinasien
( 13,4 - 14,28 )
a. Auf Zypern
( 13,4 - 12 )
Apg 13,4
Geführt vom Heiligen Geist (vgl. V. 2 )
reisten sie zunächst nach Seleuzia , einem etwa 25 Kilometer von
Antiochia entfernten Seehafen, und von da zu Schiff nach Zypern
. Die Insel Zypern, im Alten Testament unter dem Namen Kittim (
1Mo 10,4 ) bekannt, war Barnabas' Heimat ( Apg 4,36 ); er war
also wohl der Leiter dieser kleinen Reisegesellschaft (vgl. die
Reihenfolge der Namen in Apg 13,2.7 ).
Apg 13,5
Salamis war die größte Stadt auf der
Osthälfte Zyperns. Dort lebten offensichtlich sehr viele Juden,
denn Barnabas und Saulus verkündigten das Wort Gottes in den
Synagogen , von denen es offenbar mehrere gab.
Ihre Vorgehensweise, stets zuerst die
religiösen Zentren der Juden aufzusuchen, stellte sich als sehr
vorteilhaft heraus: Zum einen wurde damit das Vorrecht der
Juden, als erste das Evangelium zu hören, gewahrt (vgl. Röm
1,16; Apg 13,46;17,2;18,4.19;19,8 ). Zum anderen waren die
Heiden, die an den Gottesdiensten in den Synagogen teilnahmen,
besonders empfänglich für die Botschaft des Evangeliums, weil
sie bereits mit dem Alten Testament und den Prophezeiungen des
Messias vertraut waren.
Johannes Markus, ein Cousin von Barnabas (
Kol 4,10 ), begleitete die Missionare als Gehilfe (vgl. Apg
12,25 ). Was genau dieser Ausdruck (hypereten) besagt, ist
umstritten. Wahrscheinlich unterwies er die Neubekehrten, half
bei den Taufen (vgl. 1Kor 1,14-17 ) und anderen anfallenden
Aufgaben.
Apg 13,6
Ob die Verkündigung in Salamis Erfolg
hatte, erfahren wir nicht. Das nächste Ziel der Apostel war
Paphos , etwa 150 Kilometer von Salamis entfernt, der Sitz der
Provinzialregierung. Was dort geschah, war von großer Bedeutung
für die weitere Entwicklung der Heidenmission.
In Paphos trafen Barnabas und Saulus einen
Zauberer und falschen Propheten, einen Juden, der hieß Barjesus
. Der Begriff "Zauberer" ( magos ) konnte sowohl einen Ratsherrn
oder angesehenen Mitbürger (z. B. die "Magi" in Mt 2,1.7.16 )
als auch - wie hier - einen betrügerischen Hexenmeister
bezeichnen. Magos ist mit dem Verb "Zauberei treiben" ( mageuO )
verwandt, das auch im Zusammenhang mit dem Zauberer Simon
verwendet wurde ( Apg 8,9 ).
Apg 13,7
Barjesus gehörte zum Hofstaat des römischen
Statthalters Sergius Paulus . Da dieser lebhaftes Interesse am
Evangelium zeigte, geriet das Ansehen des Zauberers in große
Gefahr. Sergius Paulus war Proconsul, d. h., er war vom
römischen Senat ernannt (im Gegensatz zu den Procuratoren, die
vom Kaiser persönlich ernannt wurden. Im Neuen Testament werden
drei Procuratoren Judäas erwähnt: Pontius Pilatus [26 - 36 n.
Chr.], Antonius Felix [52 - 59? n. Chr.] und Porcius Festus [59
- 62 n. Chr.]).
Apg 13,8
Der Zauberer Barjesus versuchte deshalb,
den Statthalter vom Glauben abzuhalten .
Ein Problem ist der Name Elymas .
Wahrscheinlich handelt es sich hier um einen semitischen
Ausdruck, der ebenfalls "Zauberer" bedeutet und den Barjesus als
Beinamen erhielt oder annahm.
Apg 13,9
In diesem kritischen Augenblick trat Saulus
, hier zum ersten Mal Paulus genannt, vor und riß die Leitung an
sich. Er war wahrscheinlich aggressiver und kannte die Heiden
auch besser als Barnabas. Von nun an war er der Leiter der
christlichen Mission, und sein Name wurde stets vor dem des
Barnabas genannt (bis auf Apg 15,12.25 und Apg 14,14 ).
Außerdem verwendet Lukas von nun an nur
noch seinen römischen Namen, Paulus; nur Paulus selbst benutzte
noch manchmal das jüdische "Saulus", und zwar dann, wenn er in
persönlichen Zeugnissen von seinem früheren Leben sprach ( Apg
22,7;26,14 ).
Apg 13,10
Barjesus ist hebräisch und bedeutet "Sohn
des Jesus". Paulus teilte ihm in Anspielung darauf mit, daß er
nicht ein Sohn Jesu ("Jesus" bedeutet "Jahwe ist das Heil"),
sondern ein Sohn ( huie ) des Teufels sei. Er bezeichnete ihn
mit scharfen Worten als Feind aller Gerechtigkeit, voll aller
List ( dolou ) und aller Bosheit ( rhadiourgias , "skrupellose
Bosheit, Täuschung"; ein Wort, das nur an dieser einen Stelle im
Neuen Testament steht), der nicht aufhörte, krumm zu machen die
geraden Wege des Herrn . Die Magie - die Ausübung von Macht mit
Hilfe dämonischer Kräfte -, der Barjesus sich ergeben hatte,
hatte dazu geführt, daß er seine Mitmenschen mit allen Mitteln
betrog und die Wahrheit entstellte. Das Okkulte kann dem
Menschen sehr gefährlich werden.
Dies ist die zweite von vier in der
Apostelgeschichte berichteten siegreich beendeten
Auseinandersetzungen mit dämonischen Mächten (vgl. Apg
8,9-24;16,16-18;19,13-17 ).
Apostelgeschichte
Apg 13,11-12
Mitten in diesem Streit mit dem Juden
Elymas über die Verkündigung des Evangeliums vor einem Heiden
verhängte Paulus eine zeitweilige Blindheit über den Zauberer.
Es ist dies das erste Wunder, das er vollbrachte.
Als Sergius Paulus dieses Wunder sah,
verwandelte sich sein Interesse am Wort Gottes (V. 7 ) in wahren
Glauben an Christus. Interessanterweise waren der Statthalter
und der Apostel Namensvettern: Beide hießen Paulus.
Der Zwischenfall mit Elymas ist aus drei
Gründen so wichtig: (1) Er markierte den Beginn der Führerschaft
des Paulus (vgl. Vers 13 : "Paulus und die um ihn waren"). (2)
Von diesem Zeitpunkt an entwickelte sich die Verkündigung des
Evangeliums in entscheidender Weise hin zur Heidenmission. (3)
Außerdem enthält die Passage zahlreiche symbolische
Anspielungen. Ein Heide mit Namen Paulus nahm die Botschaft an,
während ein Jude mit dem Namen "Sohn Jesu" sie ablehnte, und die
Blindheit des Elymas war ein Bild für die Blindheit des Volkes
Israel (vgl. Apg 28,26-27 ). Auf diese Weise betont Lukas den
Übergangscharakter der Apostelgeschichte: Die Heiden wurden
immer mehr zu den Hauptadressaten des Evangeliums, während Gott
sich (zeitweilig) von den Israeliten abwandte. Diese Abkehr war
gleichbedeutend mit dem Gericht.
b. In Antiochia in Pisidien
( 13,13 - 52 )
(1) Die Trennung des Johannes Markus von
der Missionsgruppe
Apg 13,13
Wie großzügig Barnabas war, sieht man
daran, daß er Paulus bereitwillig die führende Position in der
Gruppe überließ. Sie fuhren von Paphos ab und kamen nach Perge
in Pamphylien. Johannes (d. i. Johannes Markus) aber trennte
sich von ihnen und kehrte zurück nach Jerusalem . Über die
Gründe, die ihn dazu veranlaßten,die Reise abzubrechen, können
wir nur Vermutungen anstellen: (1) Vielleicht enttäuschte ihn
der Wechsel in der Führung, denn schließlich war Barnabas, der
ursprüngliche Leiter, sein Cousin. (2) Die neue Wendung, die das
ganze Missionsprojekt genommen hatte - die immer stärkere
Hinwendung zu den Heiden - war für einen palästinischen Juden
wie Markus vielleicht nicht so leicht hinzunehmen. (3)
Möglicherweise scheute Markus auch den gefährlichen Weg über das
Taurusgebirge nach Antiochia, den Paulus einschlagen wollte. (4)
Es gibt Hinweise, daß Paulus in Perge ziemlich schwer erkrankte
- möglicherweise hatte er einen Malariaanfall, eine Krankheit,
die in dieser Region nicht selten vorkam; jedenfalls war er, als
er in Galatien predigte, noch sehr schwach (vgl. Gal 4,13 ).
Vielleicht gingen die Missionare landeinwärts, höher hinauf, um
der verheerenden Wirkung der Malaria zu entgehen, während Markus
angesichts all dieser Beschwernisse aufgab und nach Hause
zurückkehrte. (5) Manche Forscher sind auch der Ansicht, daß
Markus unter Heimweh litt. Vielleicht sehnte er sich nach seiner
Mutter, die wahrscheinlich Witwe war ( Apg 12,12 ). Was auch
immer der Grund für seine Rückreise war, Paulus nahm sie ihm
übel. Seiner Ansicht nach ließ Markus ihn und die anderen im
Stich (vgl. Apg 15,38 ).
Apg 13,14
(2) Die Rede am ersten Sabbat ( Apg
13,14-41 )
Die Stadt Antiochia, von der hier die Rede
ist, gehörte zwar zu Phrygien, wurde jedoch allgemein Antiochia
in Pisidien genannt, weil sie so nahe an der Grenze zu Pisidien
lag. Wie viele andere Städte - Lystra, Troas, Philippi und
Korinth - war das pisidische Antiochien eine römische Kolonie.
Paulus hatte die Route über diese Städte ausgewählt, weil sie
alle an strategisch günstigen Punkten lagen.
Apg 13,15
In der Synagoge in Antiochia bot sich
Paulus und Barnabas die erste Gelegenheit zu einer Predigt. Es
war Brauch, im Gottesdienst am Sabbat zwei Stellen aus dem Alten
Testament zu verlesen - eine aus dem Gesetz (dem Pentateuch) und
eine aus den Propheten . "Das Gesetz und die Propheten" zusammen
bildeten das Alte Testament (vgl. Mt 5,17;7,12;11,13;22,40; Lk
16,16; Apg 24,14;28,23; Röm 3,21 ). Offensichtlich hatten Paulus
und Barnabas vor der Gottesdienstversammlung die Vorsteher der
Synagoge aufgesucht. Nach der Schriftlesung wurden sie
jedenfalls aufgefordert, zum Volk zu sprechen.
Apg 13,16-25
Paulus nutzte die Gelegenheit, die Menschen
darauf hinzuweisen, daß die Erwartungen des Alten Testaments -
das Kommen des Messias - in Jesus erfüllt waren. Lukas gibt in
der Apostelgeschichte eine ganze Reihe von paulinischen
Predigten wieder (vgl. Apg 14,15-17;17,22-31;20,18-35 ). Diese,
die erste und am vollständigsten erhaltene, ist ein
anschauliches Beispiel für den Aufbau einer Predigt vor Juden,
die stets auf einem Schriftbeweis aus dem Alten Testament
aufgebaut war.
Die Predigt kann - entsprechend der
dreimaligen Anrede der Zuhörer - in drei Abschnitte unterteilt
und wie folgt gegliedert werden: (1) Antizipation und
Vorbereitung auf das Kommen des Messias (V. 16 - 25 ), (2)
Verwerfung, Kreuzigung und Auferstehung des Herrn Jesus (V. 26 -
37 ), (3) Anwendung des Gesagten und Ermahnung (V. 38 - 41 ).
Der Apostel begann mit der Anrede: Männer
von Israel und ihr Gottesfürchtigen, hört zu! (V. 16 ). Damit
waren sowohl Juden als auch die am Judentum interessierten
Heiden angesprochen, die dem Gottesdienst in der Synagoge
beiwohnten. Bei diesen Heiden handelte es sich wahrscheinlich um
Leute, die noch nicht endgültig zum Judentum übergetreten waren
und, obwohl sie den Jahwe Israels anbeteten (vgl. V. 26.43 ),
der Rettung, die im Neuen Testament verheißen wird, noch nicht
teilhaftig waren. (Die in Vers 43 mit "gottesfürchtige
Judengenossen" übersetzte Wendung sollte ebenfalls, wie hier,
mit "Gottesfürchtige" wiedergegeben werden. Die sogenannten
"Gottesfürchtigen" waren keine Proselyten, sondern Heiden, die
erst zum Judentum übertreten wollten, aber noch nicht
beschnitten waren.)
In einem Überblick über die Geschichte
Israels erinnerte Paulus seine Hörer zunächst an die
Schlüsselereignisse und -personen ihrer Vergangenheit: den
Aufenthalt in Ägypten (V. 17 ), die vierzig Jahre währende
Wanderung in der Wüste (V. 18 ), die Eroberung und Besiedelung
Palästinas (V. 19 ; die sieben Völker in dem Land Kanaan, die
Gott vernichtete , werden in 5Mo 7,1 aufgezählt), die Zeit der
Richter ( Apg 13,20 ) und die Monarchie unter Saul und David (V.
21 - 22 ). Von David war der Übergang zum Heiland Jesus (V. 23 )
und zu seinem Vorläufer Johannes dem Täufer (V. 24 - 25 ) nicht
mehr schwer. (Vgl. die Botschaft des Stephanus in Apg 7,2-47 .)
Die vierhundertfünfzig Jahre ( Apg 13,20 ) umfassen die
Unterdrückung in Ägypten (400 Jahre), den Aufenthalt in der
Wüste (40 Jahre) und die Eroberung Kanaans unter Josua (10
Jahre).
Apg 13,26-37
Wie Petrus ( Apg
2,23.36;3,15;4,10;5,30;10,39 ) und Stephanus ( Apg 7,52 ) warf
auch Paulus den Juden ganz konkret vor, Jesus getötet zu haben,
stellte dieser Anschuldigung jedoch gleichzeitig die
Auferstehung gegenüber, die bei vielen Gelegenheiten bezeugt
worden war. Zum fünften Mal in der Apostelgeschichte weisen die
Apostel an dieser Stelle darauf hin, daß sie Zeugen der
Auferstehung Jesu Christi waren ( Apg
2,32;3,15;5,32;10,39-41;13,30-31 ).
Beziehen sich die Worte "indem er Jesus
auferweckte" (V. 33 ) auf die Auferstehung oder auf die
Erhöhung? Mehrere Gründe sprechen für die letztere Annahme: (1)
Im nächsten Vers wird die Auferweckung im eigentlichen Sinn
explizit mit dem Prädikat von den Toten wiedergegeben. (2)
Dasselbe Verb "auferwecken" ( anistEmi ) wird in Apg 3,22.26 und
Apg 7,37 im Sinne von "Erhöhung" gebraucht. (3) In 13,22 steht
außerdem ein Synonym für anistEmi , egeirO , das Davids
Ernennung, also Erhöhung, zum König bezeichnet. (4) Der
Hauptgrund, "Auferweckung" hier im Sinne der Erhöhung Jesu zu
verstehen, ist jedoch Ps 2,7 .Diese alttestamentliche
Textstelle, die Paulus hier zitiert ( Apg 13,33 ), beschreibt
die Salbung des Königs, deren endgültige Erfüllung im
Tausendjährigen Reich liegt.
Paulus bekräftigte die Tatsache, daß Jesus
von den Toten auferstanden war, mit einem Zitat aus Jes 55,3 und
Ps 16,10 ( Apg 13,34-35 ). Ganz ähnlich hatte Petrus diesen
Psalm verwendet (vgl. den Kommentar zu Apg 2,25-32 ).
Apg 13,38-39
Die Sündenvergebung ist ein weiteres
zentrales Thema der Apostelgeschichte (vgl. Apg 2,38;5,31;26,18
). Vers 39 nimmt die These von der Gerechtigkeit durch den
Glauben auf, die im Galaterbrief, den Paulus wahrscheinlich nach
seiner ersten Missionsreise und vor dem Apostelkonzil in
Jerusalem schrieb ( Apg 15 ), weiter ausgeführt wird. (Vgl. die
Tabelle "Briefe des Paulus von seinen Missionsreisen und aus der
Gefangenschaft".)
Apg 13,40-41
Das Habakuk-Zitat ( Apg 1,5 ) in Vers 41
warnt vor dem drohenden Gericht. Der Prophet hatte verkündet,
daß Gott beschlossen hatte, Juda in die Hände Babylons zu geben
( Hab 1,6 ). Wie das Gericht über die ungläubigen Juden in
seiner Zeit aussehen sollte, sagte Paulus nicht; er warnte nur:
Glaubt oder ihr werdet gerichtet.
Apg 13,42-43
(3) Die Diskussion am folgenden Sabbat (
Apg 13,42-52 )
Die Vorsteher der Synagoge waren an der
Botschaft des Paulus interessiert und wollten mehr darüber
hören. Manche waren sogar bereit, das Evangelium anzunehmen;
Paulus und Barnabas ermahnten sie, daß sie bleiben sollten in
der Gnade Gottes .
Apg 13,44-45
Am folgenden Sabbat wurden die Juden (d. h.
die jüdischen Machthaber) neidisch angesichts des Zulaufes, den
die Apostel hatten, und widersprachen dem, was Paulus sagte, und
lästerten .
Apg 13,46
Paulus und Barnabas aber sprachen frei und
offen: Euch mußte das Wort Gottes zuerst gesagt werden. Die
Apostel waren bekannt für ihre freimütige Predigt (vgl. den
Kommentar zu Apg 4,13 ).
Daß die Verkündigung des Evangeliums sich
zunächst an die Juden richtete, hatte mehrere Gründe. Erstens
war das Kommen des Gottesreiches von der Reaktion Israels auf
das Kommen Christi abhängig (vgl. Mt 23,39; Röm 11,26 ).
Zweitens konnte Paulus sich erst, als Israel das Evangelium
abgelehnt hatte, den Heiden widmen. Drittens ist die Botschaft
Jesu insofern grundlegend jüdisch, als das Alte Testament, der
Messias und die Verheißungen aus dem Judentum kamen. (Zu der
Wendung euch ... zuerst vgl. den Kommentar zu Apg 3,26; Röm 1,16
.)
Da die Juden das Evangelium jedoch
ablehnten, wandte Paulus sich nun den Heiden in Antiochia zu.
Dieser Vorgang wiederholte sich in jeder Stadt (vgl. Apg
13,50-51;14,2-6;17,5.13-15;18,6;19,8-9 ), zuletzt auch in Rom (
Apg 28,23-28 ).
Apg 13,47
Paulus und Barnabas sahen in der Hinwendung
zu den Heiden die Erfüllung von Jes 49,6 : Ich habe dich zum
Licht der Heiden gemacht . Diese alttestamentliche Stelle kann
man auf mindestens drei verschiedene Personen oder Gruppen
beziehen: auf Israel ( Jes 49,3 ), Christus ( Lk 2,29-32 ) und
Paulus, den Heidenapostel.
Apg 13,48
Die Heiden freuten sich über diesen Gang
der Ereignisse, und alle wurden gläubig, die zum ewigen Leben
bestimmt waren . Ein gewisser Unterton der Lehre von der
Prädestination ist an dieser Stelle nicht zu überhören; das Verb
tasso, "bestimmt waren", stammt aus dem Militärwortschatz und
bedeutet "anordnen" oder "zuteilen". Lukas benutzt es hier, um
deutlich zu machen, daß auch Heiden zu den Erwählten gehörten.
Apg 13,49-51
Und das Wort des Herrn breitete sich aus in
der ganzen Gegend (vgl. Apg 6,7;12,24;19,20 ). Als die Juden das
sahen, benutzten sie ihre Beziehungen zu hochgestellten Personen
und stifteten eine Verfolgung an gegen Paulus und Barnabas ,
doch die Apostel schüttelten - gemäß der Weisung des Herrn ( Mt
10,14 ) - den Staub von ihren Füßen und verließen die Stadt.
Apg 13,52
Wieder war das Evangelium zur Quelle der
Freude geworden (vgl. V. 48 ; Apg 2,46 ), und auch hier wurden
die Jünger vom Heiligen Geist erfüllt (vgl. Apg 2,4 ).
c. In Ikonion
( 14,1 - 6 )
Apg 14,1-2
Der folgende Abschnitt bestätigt die
Ereignisse, die in Antiochia in Pisidien geschehen waren. Ganz
eindeutig stand der Heilige Geist den Aposteln bei, denn sie
predigten so, daß eine große Menge Juden und Griechen gläubig
wurde . Doch auch hier trafen sie auf Widerstand (vgl. Wachstum
und Widerstand in Apg 13,49-50 ), dessen Folgen in Apg 14,6
beschrieben werden.
Apg 14,3
Im Durchhaltevermögen der Apostel trotz
aller gegnerischen Hetze zeigte sich erneut die
Unerschrockenheit, mit der sie das Wort Gottes verkündigten
(vgl. Apg 4,13;13,46 ).
Die Zeichen und Wunder , die sie
vollbrachten, waren eine weitere Bestätigung, daß Gott ihr Tun
guthieß (vgl. Apg 2,43;4,30;5,12;6,8;8,6.13;15,12 ). Paulus wies
den Galatern gegenüber später auf diese Wunder hin, als Beweis
dafür, daß er ihnen die Wahrheit gepredigt hatte ( Gal 3,5 ;
vgl. auch den Kommentar zu 2Kor 12,12 und Hebr 2,3-4 ). Das
setzt in bezug auf die Adressaten des Galaterbriefs die
südgalatische Hypothese voraus. (Zu einer kurzen Erörterung der
süd- und der nordgalatischen Hypothese vgl. die Einführung zum
Galaterbrief.)
Apg 14,4
Die Prediger des Evangeliums wurden
allgemein die Apostel genannt. Das waren sie auch, denn die
eigentliche Bedeutung des Begriffs "Apostel" ist:
"bevollmächtigter Stellvertreter", und diese Männer waren von
der Gemeinde in Antiochia am Orontes ( Apg 13,3 ) mit allen
Vollmachten der Kirche ausgestattet worden.
Apg 14,5-6
Als Paulus und Barnabas von einer
Verschwörung, sie zu mißhandeln und zu steinigen, erfuhren,
entflohen sie in die Städte Lykaoniens, nach Lystra und Derbe .
Hier zeigte sich wieder einmal, wie genau es Lukas in seinem
Bericht mit der Historizität nahm. Auch Ikonion war eigentlich
eine lykaonische Stadt, doch seine Einwohner rekrutierten sich
in der Hauptsache aus Phrygiern. Lystra und Derbe hingegen waren
sowohl von ihrer Lage als auch von ihrer Bevölkerung her rein
lykaonische Städte (vgl. "lykaonisch"; V. 11 ).
d. In Lystra
( 14,7 - 20 a)
(1) Der Aberglaube der Heiden ( Apg 14,7-18
)
Apg 14,7
Doch Paulus und Barnabas gingen nicht nur
aus Angst vor den Verfolgungen nach Lystra; sie hatten außerdem
vor, dort ebenfalls das Evangelium zu verkündigen. Ihr Dienst am
Wort erfuhr also keinerlei Unterbrechung.
Apg 14,8
In der römischen Kolonie Lystra trafen sie
einen Gelähmten, dessen Zustand hoffnungslos war. Wie schlimm es
um den Mann stand, zeigen die wiederholten Wendungen: schwache
Füße ... gelähmt von Mutterleib an ... hatte noch nie gehen
können . Anscheinend gab es in Lystra keine jüdische Synagoge,
daher schlug Gott einen anderen Weg ein, um den Menschen dort
das Evangelium nahezubringen. Dies ist die dritte Heilung eines
Gelähmten, von der in der Apostelgeschichte berichtet wird ( Apg
3,1-9;9,33-35 ).
Apg 14,9-10
Diese Heilung, die Paulus vollbrachte,
gleicht der Heilung, die Petrus im dritten Kapitel gelang. Beide
Male bestand die Lähmung von Geburt an ( Apg 3,2;14,8 ); sowohl
Petrus als auch Paulus sahen den Betreffenden an ( Apg 3,4;14,9
); und beide Kranken sprangen auf und gingen umher , als sie
geheilt waren ( Apg 3,8;14,10 ). Das ist ein Beleg, daß Paulus
Petrus als Apostel durchaus gleichgestellt war (vgl. die
Einführung).
Apg 14,11-13
Die Reaktion des lykaonischen Volks
entsprach der heidnischen Leichtgläubigkeit dieser Menschen.
Weil sie in ihrer Muttersprache redeten, konnten Paulus und
Barnabas sie zuerst nicht verstehen. Daß die Lykaonier Barnabas
und Paulus für Zeus und Hermes hielten, geht möglicherweise auf
eine Legende zurück, nach der diese beiden Götter eines Tages
ein altes Ehepaar in Lystra, Philemon und Baucis, besuchten, das
sie gastfreundlich aufnahm und dafür reich belohnt wurde.
Dem griechischen Göttervater Zeus und dem
Götterboten Hermes entsprachen die römischen Götter Jupiter und
Merkur. Warum sahen die Lykaonier nun aber in Barnabas Zeus,
obwohl doch Paulus der Anführer der beiden war? Weil Paulus als
Sprecher auftrat, während Barnabas, der zurückhaltendere der
beiden, mit Zeus, dem Würdevollen, in dessen Händen alle Fäden
zusammenliefen, identifiziert wurde.
In diesem Moment, in dem die Menschen
einfach überwältigt waren von dem, was geschehen war, brachte
der Priester des Zeus aus dem Tempel vor der Stadt Stiere und
Kränze vor das Tor und wollte Paulus und Barnabas Opfer
darbringen. Bei den Kränzen handelte es sich um Girlanden aus
Wolle, mit denen die Opfertiere geschmückt waren.
Apg 14,14
Als den Aposteln jedoch klar wurde, was da
vorging, waren sie soentsetzt, daß sie ihre Kleider zerrissen -
ein Zeichen heftigsten Abscheus angesichts einer
Gotteslästerung. Solche Risse waren normalerweise zehn bis zwölf
Zentimeter tief und begannen am Halsausschnitt des Gewands.
Apg 14,15-18
Die Ansprache, die die beiden Apostel
daraufhin offensichtlich gemeinsam hielten (im Griechischen
steht das Verb im Plural), ist ebenfalls eine Beispielpredigt.
Sie illustriert, wie christliche Prediger sich abergläubischen
Heiden näherten. Im Gegensatz dazu hatte sich Paulus' erste
Predigt an Juden bzw. an Leute, die das Alte Testament kannten,
gerichtet (vgl. Apg 13,16-41 ).
Nachdem sie dem Volk klargemacht hatten,
daß sie keine Götter waren, forderten sie ihre Zuhörer auf, sich
von ihren heidnischen Göttern zu dem einen wahren, dem
lebendigen Gott, zu bekehren . Dieser Gott, der Schöpfer aller
Dinge, ist über allen und allem (vgl. Apg 17,24; Röm 1,19-20 ).
Er gibt nicht nur Regen und fruchtbare Zeiten, er ernährt und
schenkt ihnen Freude .
Manche Exegeten deuten Vers 16 dahingehend,
daß die Heiden, die vor dem apostolischen Zeitalter lebten,
nicht unter dem Gericht stehen. Dieser Vers muß jedoch in
Zusammenhang mit Vers 17 gelesen werden. Bis zur Zeit der Kirche
hatte Gott den Heiden keine direkten Offenbarungen zuteil werden
lassen, sondern sich ihnen nur in den natürlichen Offenbarungen
in der Schöpfung gezeigt (vgl den Kommentar zu Apg 17,27.30 und
Röm 1,18-20 ). Für ihren Umgang mit diesen Offenbarungen waren
sie Gott durchaus verantwortlich.
Apg 14,19-20
(2) Die Steinigung des Paulus
a: Wieder einmal erwiesen sich die Juden
als Feinde des Evangeliums der Gnade. Sie überredeten das Volk ,
das soeben noch versucht hatte, Paulus und Barnabas zu Göttern
zu machen, dazu, Paulus zu steinigen . Dies ist der zweite
Vorfall, bei dem eine aufgeregte Volksmenge dermaßen heftig auf
die Predigt des Paulus reagiert (insgesamt werden in der
Apostelgeschichte fünf solcher Zwischenfälle berichtet, vgl. Apg
13,50;16,19-22; Apg 17,5-8.13;19,25-34 ). Ob Paulus dabei
wirklich gestorben war, wird nicht gesagt; wahrscheinlich war er
jedoch nur bewußtlos und halbtot geschlagen (vgl. 2Kor 12,2-4 ).
Doch er erholte sich so rasch, daß man unwillkürlich an ein
Wunder denkt. Auch Paulus selbst sprach einmal davon, daß er
gesteinigt worden sei ( 2Kor 11,25 ), und meinte damit
zweifellos dieses Ereignis (vgl. 2Tim 3,11 ).
e. In Derbe
( 14,20 b - 21 a)
Apg 14,20-21 (Apg 14,20b-21a)
Das Wirken der Apostel in dieser
abgelegensten und östlichsten Stadt, in die sie ihre Reise durch
Kleinasien führte, war ebenfalls erfolgreich. Das Evangelium
traf in Derbe auf keinen großen Widerstand, und viele wurden zu
Jüngern des Herrn Jesus (vgl. Apg 20,4 ).
f. Die Rückkehr nach Antiochia in Syrien
( 14,21 b - 22-28 )
Apg 14,21-22 (Apg 14,21b-22)
Obwohl Tarsus, Paulus' Heimatstadt, nur
etwa 250 Kilometer von Derbe entfernt lag, suchten die beiden
Apostel zunächst nochmals die Städte auf, in denen sie Gemeinden
gegründet hatten, um die Gruppen, die erst so kurze Zeit
existierten, im Glauben zu festigen.
Sie bestärkten (vgl. Apg 15,32.41 ) und
ermutigten die Gläubigen durch Warnungen und Verheißungen, wie
Barnabas es zuvor mit der Gemeinde in Antiochia in Syrien getan
hatte ( Apg 11,23 ). Zu den Warnungen gehörte die Vorhersage
vieler Bedrängnisse , während die Verheißung ihnen vor Augen
stellte, daß der, der glaubt, in das Reich Gottes eingehen wird.
Mit dem Gottesreich ist hier zweifellos die eschatologische
Herrschaft Christi auf Erden gemeint.
Apg 14,23
Doch die Gläubigen wurden nicht nur erbaut,
gleichzeitig erhielten die Gemeinden auch eine
Organisationsstruktur. Paulus und Barnabas setzten in jeder
Gemeinde Älteste ein . Bei diesen Ältesten handelte es sich
nicht um Neulinge im Glauben ( 1Tim 3,6 ); wahrscheinlich waren
es Juden, die in den Synagogen ihre Kenntnisse im Alten
Testament vertieft hatten. So wurden aus Synagogenältesten
Kirchenälteste.
Apg 14,24-28
Als die Apostel wieder in Antiochia waren
(wobei sie auf der Rückreise einfach ihren Hinweg über Pisidien,
Pamphylien und Perge zurückverfolgten; vgl. Apg 13,13-14 ),
erstatteten sie der dortigen Gemeinde, die sie ausgesandt hatte,
ausführlich Bericht über alles, was Gott durch sie getan hatte.
Der Satz "wie er den Heiden die Tür des Glaubens aufgetan hätte"
ist sehr wichtig: (a) Er beweist, daß das Evangelium nun seinen
Weg zu den Heiden genommen hatte. (b) Er zeigt, daß der Glaube,
nicht die Werke des Gesetzes, das Entscheidende war. (c) Er
besagt, daß Gott das eigentliche Werk getan hatte, indem er den
Menschen die "Tür des Glaubens" öffnete.
So endete die erste Missionsreise, die etwa
anderthalb Jahre dauerte und auf der Paulus und Barnabas über
1000 Kilometer zu Land und 800 Kilometer auf See zurücklegten.
Das Wichtigste war jedoch, daß sie die Mauer, die zwischen Juden
und Heiden bestand, niedergerissen hatten (vgl. Eph 2,14-16 ).
Die beiden Apostel waren von der Gemeinde in Antiochia der Gnade
Gottes befohlen worden (vgl. Apg 15,40 ), und die Antiochener
konnten nun sehen, daß diese Gnade tatsächlich am Werk gewesen
war (vgl. "Gnade" in Apg 13,43;14,3 ).
Wahrscheinlich schrieb Paulus kurz nach
Beendigung der ersten Missionsreise, noch bevor er zum
Apostelkonzil nach Jerusalem aufbrach ( Apg 15 ), von Antiochia
aus den Galaterbrief.
3. Das Apostelkonzil in Jerusalem
( 15,1 - 35 )
a. Die Meinungsverschiedenheit in bezug auf
die Beschneidung
( 15,1 - 2 )
Apg 15,1-2
Bei den Männern, die von Judäa herabkamen
nach Antiochia, handelte es sich wohl um dieselben, von denen
auch in Gal 2,12 die Rede ist. Sie behaupteten, daß die
Beschneidung heilsnotwendig sei. Vielleicht stützten sie ihre
Theologie auf alttestamentliche Textstellen wie z. B. 1Mo 17,14
und 2Mo 12,48-49 .
Auf jeden Fall bestand die Gefahr, daß sie
mit ihrer Lehre eine Kirchenspaltung herbeiführten, denn Paulus
und Barnabas hatten einen nicht geringen Streit mit ihnen .
Die Männer aus Judäa beharrten jedoch auf
ihrer Lehre, trotzdem sie in keiner Weise von der Urgemeinde in
Jerusalem autorisiert waren. Wie sie den Fall des Kornelius (
Apg 10 ) oder auch das Wirken des Barnabas in Antiochia ( Apg
11,22-24 ) erklärten, wird nicht gesagt. Vielleicht hielten sie
die Geschichte des ersteren für eine einmalige Ausnahme und
erachteten die Gemeinde in Antiochia ( Apg 11 ) als zu
unbedeutend, als daß man sie hätte als Beispiel anführen können,
sahen sich nun jedoch, angesichts der Größe, die die Bewegung
allmählich erreicht hatte, genötigt, Einspruch einzulegen.
Die Gläubigen in Antiochia hielten es für
geraten, die Frage mit den Aposteln und Ältesten in Jerusalem zu
besprechen. Mit dieser Aufgabe betrauten sie abermals Paulus und
Barnabas und schickten klugerweise noch einige andre aus der
Gemeinde als Zeugen mit. Diese Zeugen sollten Paulus und
Barnabas vor einer eventuellen späteren Anklage, daß sie die
Fakten verdrehten, schützen.
b. Die Diskussion in bezug auf die
Beschneidung
( 15,3 - 12 )
Apg 15,3-4
Auf dem Weg nach Jerusalem verkündigte die
Delegation die gute Nachricht von der Bekehrung der Heiden auch
den Brüdern in Phönizien und Samarien . Wieder einmal reagierte
die glaubende Kirche mit Freude (vgl. Apg 2,46 )! Die Gemeinde
und ihre Ältesten in Jerusalem hießen Paulus und Barnabas
ebenfalls willkommen - eine Reaktion, die von Gegnern wohl nicht
zu erwarten gewesen wäre.
Apg 15,5
Gläubig gewordene Pharisäer kamen dann
unumwunden auf die strittige Frage zu sprechen. Entscheidend
dabei war, daß sich die Heiden, wie Paulus später schrieb ( Gal
5,3 ), wenn sie sich beschneiden ließen, damit unter das ganze
alttestamentliche Gesetz stellten. Die Art und Weise der
Rechtfertigung aber entscheidet über die Art und Weise, wie das
Heil erlangt werden kann (vgl. Kol 2,6 ).
Apg 15,6-9
Da kamen die Apostel und die Ältesten
zusammen, über diese Sache zu beraten. Auch viele andere
Gläubige waren anwesend (vgl. V. 12.22 ). Die Entscheidung, die
hier zu treffen war, war sehr wichtig; man stritt sich (
zEtEseOs , "Nachforschungen, Debatten, Fragen"; das Wort ist in
V. 2 mit "Streit" übersetzt, in 1Tim 6,4 mit "Fragen", in 2Tim
2,23 und Tit 3,9 wieder mit "Streit") deshalb lange und heftig.
Petrus hörte sich die Debatte klugerweise eine Zeitlang an, um
den Eindruck zu vermeiden, daß es sich bei den Beschlüssen um
eine bereits vorher abgemachte Sache handelte. Was den Zeitpunkt
des Apostelkonzils angeht, so wird es im allgemeinen auf das
Jahr 49 n. Chr. angesetzt. Wenn Petrus also sagte, daß die
Erwählung des Kornelius bereits lange Zeit zurückliege, sprach
er von einem Zeitraum von zehn Jahren ( Apg 10,1-11,18 ). Die
Frage, ob Heiden überhaupt in die Kirche aufgenommen werden
sollten, war schon damals geklärt worden. Gott hatte diesen
Entschluß nach den Worten des Petrus bestätigt, indem er den
Heiden, wie den Juden auch ( Apg 2,4; 11,15 ), den Heiligen
Geist gegeben hatte ( 10,44-46 ). Gott machte also keinen
Unterschied zwischen Juden und Heiden, entscheidend ist der
Glaube.
Apg 15,10
Wenn man von den Heiden gefordert hätte,
sich beschneiden zu lassen und dem mosaischen Gesetz zu
gehorchen, so hätte das zweierlei bedeutet: (a) Die Juden hätten
Gott versucht ( peirazete ; vgl. 5Mo 6,16 ), und (b) sie hätten
ein Joch auf den Nacken der Jünger gelegt, das weder ihre Väter
noch sie selbst hatten tragen können (vgl. Mt 23,4 ). Das war
ein sehr passender Vergleich, denn das "Aufnehmen des Joches"
war eine Metapher für den endgültigen Übertritt heidnischer
Proselyten zum Judentum. Sie bedeutete eine unabänderliche
Verpflichtung.
Bei der Erörterung der Frage bezog Petrus
sich jedoch nicht nur auf die Heiden, sondern auf alle
Gläubigen. Der Terminus "Jünger" bezeichnete sowohl Juden als
auch Heiden.
Apg 15,11
Die Aussage "wir glauben, selig zu werden,
ebenso wie auch sie" ist erstaunlich. Ein gesetzestreuer Jude
hätte diesen Satz in umgekehrter Reihenfolge gesagt ("sie
glauben, ... selig zu werden, ebenso wie auch wir"). Doch
jemand, der - wie Petrus - Gottes Gnade kannte, formulierte es
nicht so. Jeder - ob Jude oder Heide - ist durch die Gnade
Gottes (V. 11 ) und durch den Glauben (V. 9 ; vgl. Gal 2,16; Eph
2,8 ) gerettet.
Apg 15,12
Als nächste Redner wandten sich Barnabas
und Paulus an die Versammlung und beschrieben die großen Zeichen
und Wunder ( sEmeia und terata ; vgl. Apg 2,43 und den Kommentar
dort, Apg 5,12;6,8;8,6.13;14,3 ), die Gott durch sie getan hatte
unter den Heiden . Das beeindruckte vor allem die Juden (vgl.
1Kor 1,22 ), die still wurden und zuhörten. Ihr Aufhorchen wies
bereits darauf hin, daß sie sich nicht gegen das Zeugnis von
Petrus, Paulus und Barnabas wenden würden.
c. Die Entscheidung in bezug auf die
Beschneidung
( 15,13 - 29 )
Apg 15,13-14
Nach ihnen ergriff Jakobus, offensichtlich
das Haupt der Gemeinde in Jerusalem, das Wort und gab eine
zusammenfassende Stellungnahme ab. Er war Jesu Halbbruder und
der Verfasser des Jakobusbriefes.
Jakobus begann mit der Erfahrung des Petrus
( Apg 10 ), wobei er seinen hebräischen Namen, Simon , benutzte,
was in dieser Umgebung, in Jerusalem, natürlich
selbstverständlich war (im griechischen Text steht S ymeOn ,
eine auch formal an das Hebräische angelehnte Schreibweise, die
im Neuen Testament nur an dieser Stelle und in 2Pet 1,1
vorkommt).
Die Wendung "zum ersten Mal" ist besonders
wichtig, weil sie bestätigt, daß Paulus und Barnabas nicht die
ersten Apostel waren, die zu den Heiden gingen. Wie Petrus
gesagt hatte ( Apg 15,7-11 ), war die Frage der Heidenmission im
Prinzip bereits gelöst worden ( Apg 10-11 ), bevor Paulus und
Barnabas zu ihrer ersten Reise aufbrachen.
Apg 15,15-18
Doch natürlich verlangte der Rat mehr als
nur das Zeugnis der persönlichen Erfahrung. Genauso wichtig war
das Zeugnis der Schrift, an dem sich letztlich alles entschied.
Zum Beweis, daß die Beschneidung der Heiden
auch nach dem Alten Testament nicht heilsnotwendig war, zitierte
Jakobus Am 9,11-12 .Dieses Zitat wirft mehrere Probleme auf.
Da wäre zunächst einmal der Text selbst.
Das Zitat ähnelte, so wie Jakobus es hier gebrauchte, in seinem
Wortlaut dem Text der Septuaginta (dem griechischen Alten
Testament), der sich vom hebräischen Text unterscheidet. Aus dem
Hebräischen könnte man Am 9,12 folgendermaßen übersetzen: "Damit
sie den Rest von Edom und alle Völker, die durch meinen Namen
berufen sind, besitzen." Doch Jakobus benutzte statt "Edom" das
Substantiv Menschen und sagte fragen statt "besitzen".
Die hebräischen Konsonanten für "Edom" und
"Adam" sind identisch ( ?Dm ). Daß die Vokale (die sehr viel
später hinzugefügt wurden) hier leicht Verwirrung stiften
konnten, liegt auf der Hand. Ähnlich fein ist der Unterschied
zwischen "besitzen" ( yAraS ) und "fragen" ( DAraS ), der im
Hebräischen an einem einzigen Konsonanten hängt. Es wäre also
durchaus denkbar, daß das Zitat in dem Wortlaut, den Jakobus
wiedergab, dem Urtext entsprach.
Ein anderes - noch größeres - Problem
betrifft die Auslegung der Stelle. Was meinte Amos mit diesen
Versen, und wie setzte Jakobus sie ein? Dazu muß man folgendes
vorausschicken: (1) Jakobus sagte nicht, daß Am 9,11-12 in der
Kirche erfüllt sei; er sagte lediglich, daß das, was in der
Kirche geschah, mit den Worten der Propheten im Alten Testament
übereinstimmte . (2) "Propheten" ist Plural; das impliziert, daß
das Amoszitat sich mit den Aussagen der anderen Propheten
deckte. (3) Worum es Jakobus eigentlich ging, ist klar: Die
Rettung der Heiden auch ohne Unterwerfung unter das Gesetz
stellt keinen Widerspruch zu den Aussagen der alttestamentlichen
Propheten dar. (4) Die Zeitangabe danach findet sich weder im
masoretischen Text noch in der Septuaginta; beide schreiben "am
selben Tag". Um die Textstelle richtig interpretieren zu können,
müssen alle diese Faktoren berücksichtigt werden.
Drei verschiedene Deutungen bieten sich an.
Die Gegner der These des Tausendjährigen Reiches sagen, die
wiedererbaute Hütte ( skEnEn , "Zelt") Davids sei die Kirche,
durch die Gott den Heiden das Evangelium predigen läßt. Das
scheint zwar auf den ersten Blick durchaus plausibel, doch es
gibt mehrere Gründe, die dagegen sprechen. (1) Das Verb wieder
zuwenden ( anastrepsO ) in Apg 15,16 impliziert eine
tatsächliche Wiederkehr. Lukas benutzt es nur in Apg 5,22
("kamen zurück") und an dieser Stelle (in seinem Evangelium
kommt es nicht vor); beide Male beschreibt es eine tatsächlich
erfolgte Rückkehr. Da der Sohn Gottes jedoch noch nicht leiblich
zurückgekehrt ist, hat dieser Wiederaufbau noch nicht
stattgefunden. (2) Christi gegenwärtiges Wirken im Himmel hat
nichts mit dem davidischen Thron, von dem sonst im Neuen
Testament die Rede ist, zu tun. Er sitzt zur Rechten Gottes ( Ps
110,1; Röm 8,34; Kol 3,1; 1Pet 3,22; Hebr 1,3;8,1;10,12;12,2; ).
Erst wenn er zurückkehrt, wird er den Thron Davids besteigen (
1Sam 7,16; Ps 89,5; Mt 19,28;25,31 ). (3) Die Kirche war ein
Geheimnis, eine Wahrheit, die den Heiligen des Alten Testaments
noch nicht offenbart war ( Röm 16,25; Eph 3,5-6; Kol 1,24-27 );
daher konnte Amos noch gar nicht von ihr sprechen.
Eine andere Ansicht vertreten die Anhänger
der Theologie, daß das Tausendjährige Reich in der Zukunft
liegt. Sie finden in dieser Textstelle vier chronologische
Ereignisse angesprochen: das gegenwärtige Kirchenzeitalter ("um
aus ihnen [den Heiden] ein Volk für sich selbst zu gewinnen";
Apg 15,14 ), die Rückkehr Christi zu den Juden (V. 16 a), die
Errichtung des davidischen Königsreichs (V. 16 b) und die
Bekehrung der Heiden zu Gott (V. 17 ). Das klingt zwar sehr
logisch, birgt jedoch auch einige Schwierigkeiten. (1) Das Zitat
beginnt mit dem Wort "danach". Nach Ansicht der Anhänger der
These, daß das Tausendjährige Reich in der Zukunft liegt, wollte
Jakobus hier seine Interpretation der Textstelle anführen. Da
das "danach" jedoch am Anfang des Zitats steht, ging es ihm hier
nicht um eine eigene These, sondern um den Sinn von Am 9,11 .Der
Satz bezieht sich daher auch nicht auf Apg 15,14 zurück, sondern
ausschließlich auf Am 9,8-10 ,wo von der Zeit der großen Trübsal
die Rede ist ("eine Zeit der Angst für Jakob"; Jer 30,7 ). (2)
Wenn das temporale "danach" sich auf die Gegenwart in Am 9,11
bezieht, hätte Amos bereits im Alten Testament die Kirche
prophezeit.
Eine dritte These, die von der gleichen
theologischen Position ausgeht, scheint plausibler. Jakobus
wollte einfach sagen, daß die Heiden im Tausendjährigen Reich,
wenn Christus zurückkehren und die zerfallene Hütte Davids
wiederbauen wird, gerettet werden und daß bei Amos nichts davon
steht, daß sie dazu beschnitten werden müssen. Für diese
Interpretation sprechen mehrere Gründe: (1) Sie paßt zu dem
Grund der Einberufung des Apostelkonzils. Wenn die Heiden in der
Zeit des Gottesreiches (dem Tausendjährigen Reich) gerettet
werden, warum sollen sie sich dann im Kirchenzeitalter
beschneiden lassen und jüdische Proselyten werden? (2) Sie paßt
zu der Bedeutung der Wendung "zur selben Zeit" in Am 9,11 .Nach
der Zeit der großen Trübsal ( Am 9,8-10 ) wird Gott das
messianische Reich errichten ( Am 9,11-12 ). Jakobus ( Apg 15,16
) interpretierte "zur selben Zeit" als "dann": zu "derselben
Zeit", in der Gott das eine (die Trübsal) schickt, wird er auch
das andere tun; daher das "danach". (3) Diese Deutung verleiht
auch der Wendung "zum ersten Mal" in Vers 14 Sinn. Kornelius und
sein Haus gehörten zu den ersten Heiden, die Mitglieder des
Leibes Christi, der Kirche, wurden. Die Rettung der Heiden wird
im Tausendjährigen Reich zur Vollendung kommen (vgl. Röm 11,12
). (4) Viele alttestamentliche Propheten sagten voraus, daß, wie
Jakobus in Apg 15,15 bemerkt, im Tausendjährigen Reich auch
gerettete Heiden leben würden (z. B. Jes 42,6; 60,3; Mal 1,11 ).
Apg 15,19-21
Aufgrund dieses theologischen Gedankengangs
kam Jakobus dann zu einer praktischen Schlußfolgerung. Er war
der Ansicht ( krinO , ich meine ), daß die Kirche den Heiden ...
nicht Unruhe ( parenochlein ; steht nur an dieser Stelle im
Neuen Testament) machen solle. Das entspricht der Meinung, der
auch Petrus in Vers 10 Ausdruck gegeben hatte. Sondern ( alla ,
"aber", beinhaltet einen starken Gegensatz) er schlug vor, ihnen
ethische Richtlinien zu geben, die diejenigen, die nach wie vor
am Alten Testament festhielten, nicht verletzten.
Die Heiden sollten sich nach dieser
Regelung dreier Dinge enthalten : (a) von Götzen , (b) von
Unzucht und (c) vom Erstickten und vom Blut . Viele Exegeten
sehen darin nur zeremonielle Vorschriften. Die "Götzen" werden
in Vers 29 näher als "Götzenopfer" beschrieben (vgl. Apg 21,25
). Folglich, so sagen sie, ging es hier um dasselbe Problem, von
dem auch Paulus in 1Kor 8-10 sprach. Die "Unzucht" bezieht sich
ihrer Ansicht nach auf die Ehegesetze in 3Mo 18,6-20 ,und das
Verbot, Blut zu essen, auf 3Mo 17,10-14 .Nach dieser Deutung
bezögen sich also alle Verbote auf das jüdische zeremonielle
Gesetz. Es scheint jedoch plausibler, sie als moralische
Anliegen aufzufassen. Der Verweis auf das Götzenopferfleisch
sollte im Sinne von Offb 2,14.20 verstanden werden. Bei den
Heiden war es üblich, die Tempel für Festmähler und Feiern zu
benutzen. Die Teilnahme an derartigen Festen wurde auch von
Paulus verurteilt ( 1Kor 10,14-22 ). Die Prostitution wiederum
war eine unter den Heiden so verbreitete Sünde, daß sie bereits
als etwas ganz Normales akzeptiert wurde. Auch die Christen
hatten nur allzuoft mit dieser Unmoral zu kämpfen, wie die
zahlreichen Warnungen im Neuen Testament beweisen (vgl. 1Kor
6,12-18 ,wo Paulus offensichtlich Argumente zu ihren Gunsten
zurückweist). Das dritte Verbot geht noch weiter zurück; es
bezieht sich auf 1Mo 9 ,wo Gott den Bund mit Noah schloß, einen
"Vertrag", der noch heute Gültigkeit hat. Dort gestattete er
seinem Volk, Fleisch zu essen, doch das Tier sollte vorher
ausbluten (V. 3 - 4 ).
Alle drei Verbote in Apg 15,20 haben also
wahrscheinlich ethische bzw. moralische Implikationen und gelten
in diesem Fall auch für die heutigen Christen, denen es dann
beispielsweise ebenfalls verboten ist, blutiges oder rohes
Fleisch zu essen. Indem sie nicht an Tempelfestmählern
teilnahmen, keine Unzucht trieben und kein Fleisch aßen, das
noch Blut enthielt, bewiesen die Heidenchristen ein hohes
moralisches Bewußtsein und erregten bei ihren jüdischen Brüdern
keinen Anstoß, denn in jeder Stadt gab es Juden, die sich von
Christen, die sich nicht an diese Vorschriften hielten, verletzt
fühlten.
Apg 15,22
Anschließend durfte sich die ganze Gemeinde
(vgl. V. 12 ) zu diesen Fragen äußern. Interessanterweise wurden
- zur Absicherung beider Parteien - Paulus und Barnabas zwei
Zeugen zur Seite gegeben (V. 2 ), die den in einem Schreiben
festgehaltenen Entschluß des Apostelkonzils mündlich bestätigen
(V. 27 ) sollten. Niemand konnte also behaupten, daß er über
diese heikle Frage falsch unterrichtet worden sei.
Einer dieser beiden Männer war Silas . Das
entspricht wieder Lukas' Methode, ganz unauffällig eine Person
in das Geschehen einzuführen, die später eine wichtige Rolle
spielen wird (vgl. V. 40 ). Diese beiden angesehenen Männer ,
die selbst Propheten waren (V. 32 ), repräsentierten die beiden
größten Gruppierungen in der Jerusalemer Gemeinde - Judas ,
wahrscheinlich ein Bruder von Josef (vgl. Apg 1,23 ), die
Hebräer, und Silas, ein römischer Bürger (vgl. Apg 16,37 ), die
Hellenisten.
Apg 15,23-29
Das Schreiben, das die Apostel und Ältesten
der Delegation aus Antiochia mitgaben, bestätigte die Beschlüsse
des Apostelkonzils. Die Verehrung, die die Urgemeinde in
Jerusalem Barnabas und Paulus entgegenbrachte, zeigt sich an den
Worten unsere geliebten Brüder und der Anerkennung, die den
beiden dafür, daß sie ihr Leben für den Namen (vgl. den
Kommentar zu Apg 3,16 ) unseres Herrn Jesus Christus eingesetzt
hatten (vgl. Apg 13,50;14,5.19 ), gezollt wurde.
Bedeutsamerweise wurde in diesem Brief der Heilige Geist als
Ursache für die Entscheidung in dieser schwierigen Frage
genannt.
d. Die Benachrichtigung der Gemeinde in
Antiochia
( 15,30 - 35 )
Apg 15,30-35
Die Gruppe brach aus Jerusalem auf und zog,
zusammen mit Judas und Silas, nach Antiochia, wo der Brief der
dortigen Gemeinde übergeben wurde. Er war eine große Ermutigung
für die Brüder in Antiochia, und auch Judas und Silas, die
selbst Propheten waren, stärkten die Gemeinde mit vielen Reden .
Die Antiochener schlossen die beiden dann
auch sehr ins Herz und ließen sie, als es Zeit war, mit Frieden
gehen . Dieser Begriff "Frieden" war ein Segenswunsch, der dem
anderen Wohlergehen in allen Lebensbereichen zudachte.
Vers 34 fehlt in vielen wichtigen
griechischen Handschriften. Vielleicht fügte ein späterer Kopist
ihn als Erklärung, warum Paulus Silas als Begleiter wählte,
hinzu (V. 40 ). In den folgenden Monaten fuhren Paulus und
Barnabas fort, unter den Heiligen in Antiochia zu lehren und zu
predigen.
4. Die Stärkung der Gemeinden in Kleinasien
( 15,36 - 16,5 ) (Die zweite Missionsreise,
15,36 - 18,22)
a. Der Streit zwischen Paulus und Barnabas
( 15,36 - 41 )
Apg 15,36-41
Als Paulus Barnabas den Vorschlag machte,
eine zweite Missionsreise zu unternehmen, um die auf ihrer
ersten Reise gegründeten Gemeinden im Glauben zu stärken, wollte
Barnabas, daß sie auch Markus mitnähmen . Damit war Paulus
jedoch nicht einverstanden, weil Markus sie auf der ersten Reise
in Pamphylien verlassen hatte (vgl. Apg 13,13 ). Sie kamen so
scharf aneinander ( paroxysmos , "provozieren, aufrühren,
aufrütteln", vgl. den Fachausdruck "Paroxysmus"), daß sie sich
trennten . Auch in diesem Streit zeigte sich, daß Gott alle
Dinge zum Guten wendet, denn dadurch kam es zu zwei
Missionsreisen statt nur zu einer: Barnabas und Markus gingen
nach Zypern , und die anderen mit Paulus und Silas nach Syrien
und Zilizien und schließlich nach Europa. Was Markus anbelangt,
so hatten wahrscheinlich sowohl Paulus als auch Barnabas recht.
Vielleicht war es wirklich zu früh für Markus, sich mit einem
Apostel wie Paulus, der seinem ganzen Selbstverständnis nach
zuallererst an die Heiden gesandt war, auf eine Reise zu wagen,
doch auch Barnabas irrte sich mit Sicherheit nicht, wenn er in
seinem Cousin Markus gute Anlagen sah (vgl. Kol 4,10; 2Tim 4,11;
Phlm 1,24; 1Pet 5,13 ). Später sprach Paulus wieder
wohlwollender von Barnabas ( 1Kor 9,6; Kol 4,10 ). Er verdankte
ihm viel, und die beiden scheinen trotz ihrer
Meinungsverschiedenheit über Markus Freunde geblieben zu sein.
Von nun an treten weder Markus noch
Barnabas in der Apostelgeschichte nochmals in Erscheinung, und
auch von Petrus ist nach dem Apostelkonzil ( Apg 15 ) nicht mehr
die Rede.
Daß Paulus sich als Begleiter Silas, dessen
römischer Name Silvanus lautete ( 2Kor 1,19; 1Thes 1,1; 2Thes
1,1; 1Pet 5,12 ), erwählte, erwies sich in mehrfacher Hinsicht
als Glücksgriff: (1) Silas war ein offizieller Repräsentant der
Jerusalemer Gemeinde; er gehörte zu denen, die der Gemeinde in
Antiochia den Beschluß des Apostelkonzils überbracht hatten (
Apg 15,22 ). (2) Er war römischer Bürger ( Apg 16,37 ). (3) Er
war ein Prophet ( Apg 15,32 ). (4) Die Gemeinde in Antiochia
kannte ihn gut. Paulus und Silas wurden also von den Brüdern der
Gnade Gottes befohlen . (5) Aus der Tatsache, daß Silas
gleichsam die Pflichten eines Sekretärs von Paulus erfüllte,
könnte man schließen, daß er der griechischen Sprache mächtig
war (vgl. 1Pet 5,12 ). Zu der Aufgabe der beiden Apostel gehörte
unter anderem die Stärkung der Gemeinden (vgl. Apg 14,22;15,32
).
b. Die Zwangsverpflichtung des Timotheus
( 16,1 - 5 )
Apg 16,1-3
Timotheus , der in Lystra zu Hause war, war
ein "Mischling": Er hatte eine jüdische Mutter und einen
griechischen Vater. Wahrscheinlich war er während Paulus' erstem
Aufenthalt in Lystra bekehrt worden (vgl. 1Tim 1,2 ). Manche
Neutestamentler vermuten, daß er durch seine Großmutter Lois und
seine Mutter Eunike ( 2Tim 1,5 ) zum Glauben kam. Doch wie auch
immer, er wurde Paulus' besonderer Schützling. Da er einen guten
Ruf hatte ( Apg 16,2 ), wollte Paulus , daß er, wahrscheinlich
als Ersatz für Markus, mit ihm ziehe . Dieser Reise stand
allerdings noch ein Hindernis entgegen. Die Juden, denen Paulus
auch jetzt wieder in jeder Stadt als ersten das Evangelium
predigen wollte, wären verletzt gewesen, wenn ein Mann, dessen
Mutter Jüdin war, sich nicht hätte beschneiden lassen. Daher
bestand Paulus darauf, daß Timotheus beschnitten wurde. Daß das
nicht schon an dem Säugling vorgenommen worden war, war
anscheinend auf den Einfluß seines Vaters zurückzuführen.
Die Beschneidung des Timotheus scheint der
Aussage von Paulus in Gal 2,3 - 5 , wo er behauptet, daß er sich
geweigert habe, Titus beschneiden zu lassen, zu widersprechen.
Dieser scheinbare Widerspruch liegt jedoch in der
Verschiedenheit der jeweiligen Situation. In Gal 2 ging es um
die paulinische Rechtfertigungslehre; hier dagegen lag Paulus
vor allen Dingen daran, bei den Judenchristen keinen Anstoß zu
erregen (vgl. 1Kor 9,19-23 ). Es besteht kein Zweifel daran, daß
auf dem Apostelkonzil in Jerusalem beschlossen worden war, daß
die Beschneidung nicht heilsnotwendig war ( Apg 15,10-11.19 );
in Apg 16 aber dachte Paulus an die Verkündigung vor den
Judenchristen und handelte deshalb klug, als er Timotheus
beschneiden ließ.
Apg 16,4
Als sie aber durch die Städte zogen,
übergaben sie ihnen die Beschlüsse, die auf dem Apostelkonzil in
Jerusalem gefaßt worden waren ( Apg 15, 23-29 ). Wenn Paulus den
Galaterbrief tatsächlich nach der ersten Missionsreise, aber
noch vor dem Apostelkonzil schrieb, so war das Dokument mit den
Beschlüssen des Apostelkonzils eine beeindruckende Bestätigung
für das Evangelium, das er predigte und über das er schrieb.
Apg 16,5
Auch diesen Abschnitt schließt Lukas mit
einem "Verlaufsbericht" (vgl. die Einführung). Die Bedeutung des
Wortes gefestigt ( estereounto , "stark gemacht werden") geht in
eine etwas andere Richtung als die seines Synonyms epistErizO
("stärken"; Apg 14,22;15,32.41 ).
C. Die Ausbreitung der Kirche in
Griechenland
( 16,6 - 19,20 )
1. Der Ruf nach Mazedonien
( 16,6 - 10 )
Apg 16,6-7
Es kam vor, daß der Heilige Geist die
Apostel von ihrer Reiseroute abbrachte. Offensichtlich planten
Paulus und seine Begleiter zunächst, nach Westen, in die
Hauptstadt der Provinz Asien , nach Ephesus, zu gehen. Da der
Geist das aber nicht zuließ, zogen sie durch Phrygien und das
Land Galatien (vgl. Apg 18,23 ). Darunter hat man sich
wahrscheinlich den von Phrygiern besiedelten Teil Galatiens
vorzustellen. Daraufhin wandten sie sich nach Norden, in den
Osten Mysiens , und versuchten, nach Bithynien zu gelangen, doch
auch daran wurden sie vom Geist Jesu gehindert. Wie das geschah,
wird nicht gesagt. Es können widrige Umstände gewesen sein, eine
Prophezeiung, eine Vision oder irgendein anderes Phänomen. Auf
jeden Fall begriffen die Missionare, daß Gott den Menschen in
Ephesus und Bithynien das Evangelium erst zu einem späteren
Zeitpunkt zugedacht hatte (vgl. Apg 18,19-21.24-19,40; 1Pet 1,1
).
Apg 16,8-9
Als sie schließlich in Troas , einer
Hafenstadt an der Ägäis, in der Nähe des antiken Troja,
angelangt waren, erhielt Paulus in einer nächtlichen Erscheinung
direkte Weisungen von Gott. Mazedonien war römische
Senatsprovinz; sie umfaßte in etwa das Gebiet des heutigen
Griechenland.
Apg 16,10
Hier beginnt die erste der "wir"-Passagen
in der Apostelgeschichte, die beweisen, daß der kleinen Gruppe,
bestehend aus Paulus, Silas und Timotheus, auch Lukas angehörte.
Wie, warum und wo er sich ihnen angeschlossen hatte, erfahren
wir allerdings nicht.
2. Die Konflikte in Mazedonien
( 16,11 - 17,15 )
a. In Philippi
( 16,11 - 40 )
(1) Die Bekehrung der Lydia ( Apg 16,11-15
)
Apg 16,11
Die Reise von Troas nach Samothrake und
Neapolis , dem Seehafen von Philippi, dauerte nur sehr kurz, was
darauf hindeutet, daß der Wind günstig stand (vgl. Apg 20,6 ,wo
die Fahrt in die entgegengesetzte Richtung fünf Tage in Anspruch
nahm).
Apg 16,12
Von Neapolis aus reisten die Missionare die
15 Kilometer nach Philippi auf der Via Egnatia. Lukas bezeichnet
Philippi als römische Kolonie und Stadt des ersten Bezirks von
Mazedonien . Schon hier zeigt sich sein Stolz auf die Stadt, die
er später so sehr lieben sollte. Manche Forscher sind der
Ansicht, daß Lukas hier aufgewachsen war und Medizin studiert
hatte. Der ursprüngliche Name der Stadt lautete Crenides
("Quellen"). Sie wurde von Philipp von Mazedonien erobert und
nach ihm benannt. 168 v. Chr. fiel sie dann an die Römer.
Nachdem Markus Antonius und Oktavian die Mörder Cäsars, Brutus
und Cassius, im Jahr 42 v. Chr. in der Nähe von Philippi besiegt
hatten, wurde die Stadt zur römischen Kolonie.
Als solche hatte sie viele Privilegien (z.
B. niedrigere Steuern) und entwickelte sich beinahe zu einem
"zweiten Rom" (vgl. den Kommentar zu Philippi in der Einführung
zum Philipperbrief). Die römischen Kolonien waren in der
Hauptsache Militärstützpunkte; die Römer sicherten ihre
neueroberten Gebiete, indem sie an strategisch wichtigen Punkten
römische Bürger und Sympathisanten Roms ansiedelten. Aus diesem
Grund schickte Oktavian (der im Jahr 27 v. Chr. römischer Kaiser
wurde) im Jahr 31 v. Chr, nach seinem Sieg über Antonius bei
Actium an der Westküste Griechenlands, weitere Kolonisten (in
der Hauptsache entlassene Soldaten) nach Philippi.
Apg 16,13
Die jüdische Bevölkerung in Philippi kann
nicht sehr zahlreich gewesen sein, denn es gab keine Synagoge in
der Stadt, obwohl bereits zehn jüdische Männer zu ihrer Gründung
ausgereicht hätten. Der Ort, den Paulus statt dessen aufsuchte
(an dem man zu beten pflegte ; vgl. V. 16 ) - wahrscheinlich
handelte es sich um ein einfaches Gebäude oder auch nur um einen
Platz unter freiem Himmel -, lag am Fluß Gangites, etwa zwei
Kilometer westlich vor der Stadt.
Den Frauen, die dort zusammenkamen ,
predigten die Missionare als erste das Evangelium.
Apg 16,14
Lydia war eine Purpurhändlerin . Der
Purpurfarbstoff, den man damals verwendete, wurde aus kleinen
Muscheln, den Purpurschnecken, oder auch aus den Wurzeln
bestimmter Pflanzen gewonnen. Lydia stammte aus Thyatira , einer
bekannten Handelsstadt in Kleinasien (vgl. den Kommentar zu
Thyatira in Offb 2,18-29 ). Sie war eine Gottesfürchtige (mit
diesem Terminus wurden Heiden [z. B. Kornelius; Apg 10,2 ],
darunter auch Einwohner Thessalonichs [ Apg 17,4 ] und Athens [
Apg 17,17 ], bezeichnet, die noch nicht endgültig zum Judentum
übergetreten waren, aber bereits Jahwe verehrten; auch der
Kirche des Neuen Testaments, dem Leib Christi, gehörten sie
nicht an). Der Herr tat ihr Herz auf (vgl. Lk 24,45 ), so daß
sie darauf achthatte, was von Paulus geredet wurde . Wieder
kommt es Lukas vor allem auf das freie Wirken Gottes bei der
Rettung an (vgl. Apg 13,48 ).
Apg 16,15
Offensichtlich wurde Lydia schon bald nach
der ersten Predigt des Paulus getauft. Mit den Angehörigen ihres
Hauses sind wahrscheinlich ihre Knechte und Kinder gemeint, denn
sie war wohl Witwe. Andere Personen im Neuen Testament, die "mit
ihrem ganzen Haus" zum Christentum übertraten, waren Kornelius (
Apg 10,24.44 ), der Gefängnisaufseher in Philippi ( Apg 16,31 ),
Krispus ( Apg 18,8 ), Aristobulus ( Röm 16,10 ), Narzissus ( Röm
16,11 ) und Stephanas ( 1Kor 1,16 ).
Daß Lydia recht wohlhabend war, sieht man
auch an der Größe ihres Hauses. Sie konnte darin - außer ihren
Angehörigen, Knechten und Sklaven - bequem noch vier Männer
beherbergen (vgl. Apg 16,40 ).
Apg 16,16-18
(2) Der Exorzismus der Magd mit dem
Wahrsagegeist
In Philippi traf Paulus auch auf eine von
einem Dämon besessene Magd, deren Herren sich ihre Fähigkeit,
die Zukunft vorauszusagen, zunutze machten. Der "Wahrsagegeist"
ist die Übersetzung der beiden griechischen Wörter: "ein Geist,
eine Python". Das Bild, das sich hinter dieser Formulierung
verbarg, geht auf die griechische Stadt Delphi zurück, wo sich
der Gott Apoll nach dem Glauben der Griechen im Körper einer
Pythonschlange manifestiert hatte. Die Priesterin von Delphi
galt als von Apoll besessen und wurde als Orakel benützt, weil
sie angeblich die Zukunft voraussagen konnte. Daher die Annahme,
daß jemand, der von einem Pythongeist besessen war, kommende
Ereignisse vorhersagen könne. Zweifellos waren die fraglichen
Personen wirklich besessen. Schon immer machten sich Dämonen den
Aberglauben der Menschen zunutze (vgl. Apg 17,23; 1Kor 10,20 ).
Die Magd folgte Paulus und den anderen
überallhin und schrie unentwegt (Imperfekt): Diese Menschen sind
Knechte des allerhöchsten Gottes, die euch den Weg des Heils
verkündigen. Obwohl das der Wahrheit entsprach, konnte eine
solche Assoziation mit einer Besessenen das Evangelium Christi
in Gefahr bringen. Daher trieb Paulus, nachdem er sich das viele
Tage lang angehört hatte, den Dämon aus. (Weitere erfolgreiche
Dämonenaustreibungen stehen in der Apostelgeschichte in Apg
8,9-24;13,6-12;19,13-20 .)
Apg 16,19-21
(3) Die Bekehrung des Gefängnisaufsehers (
Apg 16,19-34 )
Jede römische Kolonie wurde von zwei
Männern, den duoviri , verwaltet. Der Terminus Stadtrichter ist
die Übersetzung von stratEgois , des griechischen Äquivalents
des lateinischen magistrates .
Die Anklage der Herren des Mädchens gegen
Paulus und Silas war außer auf die Tatsache, daß ihre Magd durch
den Exorzismus sozusagen "wertlos" geworden war, offensichtlich
auf einen generellen Antisemitismus zurückzuführen. Kurz vor
diesem Zwischenfall hatte Kaiser Klaudius die Juden aus Rom
vertrieben ( Apg 18,2 ), ein Erlaß, der an der römischen Kolonie
Philippi mit Sicherheit nicht spurlos vorübergegangen war.
Umgekehrt erklärt diese antisemitische Stimmung zum Teil auch,
warum Timotheus und Lukas nicht vor Gericht gestellt wurden.
Timotheus war seiner Geburt nach zur Hälfte Heide ( Apg 16,1 ),
und auch Lukas war wahrscheinlich Heide.
Paulus und Silas wurde vorgeworfen, einen
verderblichen Einfluß auf die Stadt auszuüben, indem sie
Ordnungen verkündeten , die die Einwohner weder annehmen noch
einhalten durften, weil sie Römer waren. Rom gestand der
Bevölkerung in den Kolonien zwar die Ausübung ihrer eigenen
Religionen zu, doch der Versuch, römische Bürger zu bekehren,
war verboten. Für die zivile Verwaltung der Stadt machte es
keinen Unterschied, ob Juden oder Christen die Leute zu bekehren
versuchten (vgl. Apg 18,14-15 ); sie sah in der Predigt von
Paulus und Silas eine offenkundige Verletzung des kaiserlichen
Gesetzes.
Apg 16,22
Angestachelt durch das Volk, gaben die
Stadtrichter den Befehl, Paulus und Silas die Kleider
herunterzureißen und sie mit Stöcken zu schlagen ( rhabdizO ;
dieses Verb steht nur noch in 2Kor 11,25 ). Das war eine der
drei Auspeitschungen, von denen Paulus in 2Kor 11,25 spricht.
Apg 16,23-24
Die Apostel wurden hart geschlagen und ins
Gefängnis geworfen . Das war ein wenig vielversprechender
Empfang in der ersten europäischen Stadt, in der sie das
Evangelium verkündigten. Der Gefängnisaufseher , der die
Anweisung erhalten hatte, sie gut zu bewachen , wollte keinerlei
Risiko eingehen, daher warf er sie in das innerste Gefängnis
(möglicherweise ein Verlies, auf jeden Fall aber die sicherste
Zelle) und legte ihre Füße in den Block .
Apg 16,25
Daß Paulus und Silas auch in dieser Lage
noch dazu imstande waren, Gott zu loben, gibt dem Thema der
Freude in der Apostelgeschichte eine ganz besondere Bedeutung
(vgl. Ps 42,9; "und des Nachts singe ich ihm und bete zu dem
Gott meines Lebens"). Ihr Lobpreis und ihr Beten drang nicht nur
zu Gott, auch die anderen Gefangenen hörten es.
Apg 16,26
Die folgende übernatürliche Befreiung
erinnert den Leser an die ganz ähnlichen Erlebnisse von Petrus
(vgl. Apg 5,18-20;12,3-11 ). Es war mit Sicherheit eine höchst
ungewöhnlicheErfahrung, die die Insassen des Gefängnisses hier
um Mitternacht machten - die Erde bebte, die Grundmauern des
Gefängnisses wankten, alle Türen öffneten sich, und von allen
fielen die Fesseln ab .
Apg 16,27-28
Der Aufseher, der für die Gefangenen
verantwortlich war (vgl. Apg 12,19 ), zog das Schwert und wollte
sich selbst töten . Als Paulus das sah, rief er ihm jedoch zu,
daß sie alle noch da seien. Vielleicht waren die anderen
Gefangenen so beeindruckt von dem Gott, zu dem Paulus und Silas
gebetet hatten, daß sie es nicht wagten zu fliehen!
Apg 16,29-30
Daraufhin ging der Aufseher zu Paulus und
Silas in die Zelle und fragte sie zitternd: Liebe Herren, was
muß ich tun, daß ich gerettet werde? Diese Frage ist höchst
bedeutsam, denn ganz sicher wußte er, worum er da eigentlich
bat. Zweifellos hatte er von der Magd und ihrem Geschrei, daß
diese beiden Männer Knechte Gottes seien und das Heil brächten
(V. 17 ), gehört, und auch die Lobgebete von Paulus und Silas
(V. 25 ) vernommen. Das schreckliche Erdbeben und die sich
daraus ergebende Möglichkeit für die Gefangenen zu fliehen sowie
die ermutigenden Worte, die Paulus sprach, waren für ihn wohl
der letzte Anstoß, nach dem Weg zur Rettung zu fragen.
Apg 16,31-32
Vers 31 ist ein Schlüsselsatz in der
Botschaft des Glaubens. Alles, was zur Rechtfertigung eines
Menschen nötig ist, ist der Glaube an den Herrn Jesus . Der
Gefängnisaufseher hatte gefragt, was er tun solle. Die Antwort
war, daß keinerlei Werke von ihm gefordert wurden; das einzige,
was er tun mußte, war, an Jesus, der der Herr ist, zu glauben.
Die Worte "und dein Haus" bedeuteten, daß
die Mitglieder seines Haushalts, die alt genug waren, um zu
glauben, ebenfalls gerettet waren (vgl. V. 34 ), wenn sie an den
Herrn glaubten.
Apg 16,33
Daraufhin wusch ihnen der Gefängnisaufseher
die Striemen (vgl. V. 23 ) - eine erstaunliche Handlung. Dann
bezeugten er und alle die Seinen durch die Wassertaufe, daß ihre
Sünden von ihnen genommen waren.
Apostelgeschichte
Apg 16,34
Ein Gefängnisaufseher nahm seine ehemaligen
Gefangenen in sein Haus auf und gab ihnen zu essen! Wieder
einmal führte die siegreiche Verkündigung des Evangeliums bei
den Menschen, die sich von ihr erreichen ließen, zu großer
Freude.
Apostelgeschichte
Apg 16,35-36
(4) Die Befreiung von Paulus und Silas (
Apg 16,35-40 )
Anscheinend wurden Paulus und Silas danach
wieder ins Gefängnis zurückgebracht. Was die Stadtrichter dann
allerdings zu ihrer Sinnesänderung bewegte, wird nicht gesagt.
Vielleicht hatte das Erdbeben sie aufgerüttelt, oder sie hatten
nachgedacht und eingesehen, wie ungerecht sie gehandelt hatten.
Apg 16,37-40
Paulus' Forderung, zusammen mit Silas von
den Stadtrichtern persönlich aus dem Gefängnis herausgeführt zu
werden, scheint auf reiner Rachsucht zu basieren. Doch
wahrscheinlich wollte er damit nur die junge Kirche in Philippi
vor weiteren Bedrängnissen schützen, denn nach einer solchen
öffentlichen Demonstration wäre sie höchstwahrscheinlich eine
Zeitlang vor staatlichen Übergriffen sicher.
Doch warum hielt Paulus die Information,
daß er römischer Bürger sei, so lange zurück? Vielleicht konnte
er sich in dem Aufruhr bei der Verhandlung nicht verständlich
machen (V. 19 - 22 ), vielleicht wartete er aber auch nur auf
den vorteilhaftesten Zeitpunkt für diese Eröffnung. Als
römischer Bürger ( Apg 22,28 ) hatte er bestimmte Rechte,
darunter auch das Recht auf eine öffentliche
Gerichtsverhandlung. Außerdem durfte er nicht gegeißelt werden.
Nur zweimal in der Apostelgeschichte wurde
Paulus von Heiden verletzt oder bedroht - in Philippi und in
Ephesus ( Apg 19,23-41 ). In beiden Fällen ging es um
finanzielle Nachteile, die die Menschen seinetwegen erlitten
oder befürchteten, und beide Male wurde Paulus von römischen
Beamten freigesprochen. Nach ihrer Freilassung gingen Paulus und
Silas zu Lydia , in derenHaus sie sich mit den Brüdern trafen
(vgl. Apg 16,15 ).
Als Paulus abreiste, blieb Lukas in
Philippi zurück.
b. In Thessalonich
( 17,1 - 9 )
Apg 17,1
Von Philippi nach Thessalonich waren es
etwa 150 Kilometer. Der Weg führte über die Via Egnatia, an der
jeweils nach etwa 50 Kilometern die Städte Amphipolis und
Apollonia lagen. Da sie offensichtlich beide keine Synagoge
besaßen, unterbrach Paulus seine Reise nicht. Er schätzte die
Synagoge als ausgezeichneten Ort zur Kontaktaufnahme (vgl. V. 10
) und machte deshalb erst in Thessalonich , dem heutigen
Saloniki, wieder Halt, um zu predigen.
Apg 17,2
Der Hinweis auf die drei Sabbate bedeutet
nicht, daß die Missionare sich nur drei Wochen in Thessalonich
aufhielten. Es war vielmehr so, daß Paulus an den drei genannten
Feiertagen das Evangelium den Juden predigte und sich danach den
Heiden zuwandte. Darauf deutet jedenfalls folgendes hin: (1) Die
Gemeinde in Philippi schickte Paulus mindestens zweimal während
seines Aufenthalts in Thessalonich Geld ( Phil 4,15-16 ), er muß
also länger als nur drei Wochen dort gewohnt haben. (2) Außerdem
arbeitete Paulus, der eine Handwerksausbildung hatte, in seinem
Beruf und verdiente sich selbst etwas für seinen Lebensunterhalt
( 1Thes 2,9; 2Thes 3,7-10 ). Das deutet darauf hin, daß vor der
Ankunft der Unterstützung aus Philippi längere Zeit verstrich.
(3) Die meisten Bekehrten in Thessalonich waren nicht Juden,
sondern Heiden, die zuvor Götzen angebetet hatten (vgl. 1Thes
1,9 ).
Apg 17,3-4
Das Bemühen von Paulus und Silas, den
Thessalonichern den gekreuzigten und auferstandenen Jesus als
den Christus (den Messias) nahezubringen, hatte Erfolg: einige
Juden, eine große Menge von gottesfürchtigen Griechen (vgl. Apg
16,14 ,wo dasselbe griechische Wort für Lydia benutzt wird, und
Apg 17,17 ), dazu nicht wenige von den angesehensten Frauen
(vgl. V. 12 ) schlossen sich ihnen an . Die Botschaft des
Evangeliums wurde also von Menschen verschiedenster
Nationalitäten und sozialer Schichten akzeptiert.
Apg 17,5
Diesen Zwischenfall nahm Lukas wohl in
seinen Bericht auf, um ganz deutlich zu machen, daß die Juden
bei ihrer Ablehnung des Messias blieben. Wahrscheinlich hatte
Jason Paulus und Silas Unterkunft gewährt. Nun suchten die Juden
die Apostel, um sie vor das Volk zu führen . Thessalonich war
eine freie Stadt; das bedeutete, daß es in lokalen
Angelegenheiten frei entscheiden durfte und nicht der
Provinzialverwaltung unterstellt war. Es hatte, neben den
römischen Statthaltern, die dort selbstverständlich residierten,
seine eigene Ratsversammlung ( dEmos , hier mit "Volk"
übersetzt; vgl. Apg 19,30.33 ) behalten dürfen.
Apg 17,6-7
Als der Mob Paulus und Silas nicht finden
konnte, schleiften sie Jason und einige Brüder vor die Oberen
der Stadt ( politarchas , wörtlich: "Herrscher der Stadt").
Diese Magistrate bildeten in den mazedonischen Städten den
Stadtrat. Die Anklage konzentrierte sich nun in erster Linie auf
Jason (möglicherweise ein Verwandter von Paulus; vgl. Röm 16,21
), weil er Männern Obdach gewährt hatte, die den ganzen
Weltkreis - eine offensichtliche Übertreibung - erregen und
gegen des Kaisers Gebote handeln, indem sie sagen, ein anderer
sei König, nämlich Jesus . Diese letztere Beschuldigung ist vor
allem bedeutsam, denn sie zeigt, daß hinter dem ganzen Aufruhr
die Juden steckten (vgl. Apg 17,5 ). Nur sie kannten die
Theologie des Paulus gut genug, um einen solchen Vorwurf zu
erheben. (Auch Jesus hatten sie beschuldigt, zu behaupten, "ein
König" zu sein; Lk 23,2 .) Darüber hinaus gibt sie Aufschluß
über die Verkündigung des Paulus. Wie auch aus dem Brief an die
Thessalonicher hervorgeht, predigte er, daß bei der Rückkehr
Christi das messianische Reich errichtet werde ( 1Thes
3,13;5,1-11; 2Thes 1,5-10;2,14; vgl. Lk 23,2; Joh 18,33-37 ).
Apg 17,8-9
Das Volk und die Oberen waren aufgebracht (
etaraxan ; vgl. Joh 11,33; Apg 16,20 ), wahrscheinlich, weil sie
Paulus und Silas, die Urheber aller dieser Probleme, nicht
finden konnten ( Apg 17,6 ). Die Bürgschaft mußte Silas wohl
leisten, damit die beiden die Stadt wirklich verließen und nicht
etwa zurückkehrten. Wenn wieder Unruhen entstünden, würden Jason
und die anderen ihr Geld verlieren. Das wäre auch eine Erklärung
dafür, warum Paulus nicht wieder nach Thessalonich kommen konnte
( 1Thes 2,18 ). Doch trotz all dieser Schwierigkeiten fuhren die
Christen in Thessalonich fort, mit allem Freimut das Evangelium
zu verkündigen ( 1Thes 1,7-10; vgl. 1Thes 2,14-16 ).
c. In Beröa
( 17,10 - 15 )
Apg 17,10
Im Schutz der Nacht (vgl. Paulus andere
nächtliche Fluchterlebnisse; Apg 9,25 ) schickten die Brüder
Paulus und Silas nach Beröa . Entweder war Timotheus zu diesem
Zeitpunkt bereits bei ihnen, oder er stieß erst später, in
Beröa, zu den beiden (vgl. Apg 17,14 ). Beröa, von wo auch
Sopater stammte ( Apg 20,4 ), lag etwa 65 Kilometer südwestlich
von Thessalonich, an den östlichen Ausläufern eines Gebirges.
Paulus und Silas machten auf dem Weg nach Achaja, der Provinz,
die in etwa das Gebiet des heutigen südlichen Griechenlands
umfaßt, dort Station, und suchten auch hier die Synagoge auf
(vgl. Apg 17,2.17; Apg 18,4.19; Apg 19,8 ).
Apg 17,11-12
Die Juden in Beröa waren freundlicher als
die in Thessalonich. Sie nahmen das Wort bereitwillig auf und
forschten täglich in der Schrift, ob sich's so verhielte . Das
unterschied sie von ihren Glaubensgenossen in Thessalonich, von
denen nur einige wenige glaubten (V. 4 ), während die anderen
nur neidisch darauf schielten, daß Paulus nicht zuviel Einfluß
gewann, und gegen ihn hetzten. Die Aufgeschlossenheit der Juden
in Beröa dagegen führte zu vielen Bekehrungen, sowohl unter den
Juden als auch unter den Heiden. Interessanterweise nahmen auch
hier wieder einige vornehme griechische Frauen das Evangelium an
(V. 4.12 ).
Apg 17,13-14
Doch auch in Beröa forderten ungläubige
Juden (die allerdings aus Thessalonich kamen), daß Paulus aus
der Stadt vertrieben werde. Unruhe erregen ist die Übersetzung
desselben griechischen Wortes, das in Vers 8 mit "aufbringen"
wiedergegeben ist. Silas und Timotheus blieben in Beröa zurück,
um die neu gegründete Kirche zu betreuen, während Paulus nach
Süden weiterzog.
Apg 17,15
Ob er auf dem Land- oder dem Seeweg nach
Athen ging, wissen wir nicht. Auf jeden Fall wurde er um der
größeren Sicherheit willen von einigen Brüdern geleitet. In
Athen gab er ihnen dann den Auftrag, Silas und Timotheus
anzuweisen, so schnell wie möglich zu ihm zu kommen .
Aus 1Thes 3,1-2.6 geht zweifelsfrei hervor,
daß Silas und Timotheus Paulus tatsächlich in Athen trafen. Dort
erhielt Silas den Auftrag, Athen wieder zu verlassen und in
Korinth erneut zu Paulus zu stoßen (vgl. Apg 18,1-5 ).
Apostelgeschichte
3. Der missionarische Kreuzzug in Achaja
( 17,16 - 18,18 )
a. In Athen
( 17,16 - 34 )
Apg 17,16
Zur Zeit des Paulus war der Ruhm
Griechenlands, der im fünften und vierten Jahrhundert v. Chr.
seinen Zenit erreicht hatte, bereits im Schwinden begriffen.
Auch die Stadt Athen, einst Mittelpunkt des Hellenismus, hatte
ihre Blütezeit überschritten. Doch sie war noch immer ein
lebendiges kulturelles Zentrum mit einer weltberühmten
Universität. Viele ihrer bekannten Bauwerke waren in der Zeit
des Perikles errichtet worden (461 - 429 v. Chr.). So schön und
überwältigend der Eindruck der Architektur und der zahlreichen
Kunstwerke aber auch war - Paulus konnte sich nicht daran
freuen, denn sein Geist ergrimmte in ihm, als er die Stadt
voller Götzenbilder sah .Die Kunstwerke in Athen spiegelten die
Religion der Griechen: Die geistige Hauptstadt der Welt war dem
Götzendienst verfallen.
Apostelgeschichte
Apg 17,17
In dieser Stadt führte Paulus einen
geistlichen Feldzug an zwei Fronten, in der Synagoge und auf dem
Markt . In der Synagoge, in der er Juden und gottesfürchtige
Heiden antraf (vgl. V. 4 ), ging er wie gewöhnlich vor und
bewies aus dem Alten Testament, daß Jesus der Messias war (vgl.
V. 2 - 3 ). Auf dem Markt ( agora , dem Zentrum des öffentlichen
Lebens), wo Philosophen debattierten und ihre Theorien
vortrugen, redete er zu denen, die sich einfanden .
Apg 17,18
Seine wichtigsten Gegenspieler auf der
Agora waren die Epikureer und die Stoiker . Die ersteren,
Anhänger Epikurs (341 - 270 v. Chr.), behaupteten, daß der
eigentliche und wichtigste Daseinszweck des Menschen auf Erden
sein Vergnügen und sein Glück seien. Diesen Daseinszweck, so
glaubten sie, erreiche man, wenn man sich keinerlei Exzessen
hingäbe und keine Angst vor dem Tod habe, sondern Ruhe und
Freiheit von Schmerzen suche und die Menschheit liebe. Die
Epikureer waren der Überzeugung, daß die Götter, falls es sie
gab, sich nicht in die Angelegenheiten der Menschen einmischten.
Die Stoiker waren Anhänger des Philosophen
Zenon (ca. 320 - 250 v. Chr.). Ihr Name geht auf die bemalte
Säulenhalle, die Stoa, in Athen zurück, wo dieser gewöhnlich
lehrte. Als Pantheisten glaubten sie, daß ein größerer "Zweck"
die Geschichte bestimme. Der Mensch war aufgerufen, sich in
Glück und Unglück in diesen Zweck einzuordnen. Eine solche
Philosophie kann, wenn sie auch durchaus edle Eigenschaften
hervorbringt, zu unangemessenem Stolz und Selbstgerechtigkeit
führen.
Diese Philosophen begannen nun, mit Paulus
zu streiten ( syneballon , wörtlich: "sich zuwerfen", d. h.
"sich Ideen zuspielen", im Gegensatz zu den Gesprächen in den
Synagogen, wo er argumentierte: dielegeto , "erörtern,
überzeugen", V. 17 ; vgl. dasselbe Wort in V. 2 ; Apg
18,4.19;19,8 ). Einige von ihnen sprachen: Was will dieser
Schwätzer sagen? Das mit "Schwätzer" übersetzte Wort,
spermologos , heißt wörtlich "Saat-Picker". So wurde jemand
bezeichnet, der wie ein Vogel Saatgut aufpickt, hier und dort
einige Lehren aufgenommen hatte und sie dann im geeigneten
Moment als seine eigenen verkündete. Andere aber bemerkten: Es
sieht so aus, als wolle er fremde Götter verkündigen. Diese
Reaktion ging auf ihre Unfähigkeit zurück, Paulus' Lehre von
Christus und seiner Auferstehung , die ihrem Denken völlig fremd
war, zu begreifen (vgl. Apg 17,31-32 ).
Apg 17,19-21
Der Areopag (wörtlich: "Areshügel") war der
Versammlungsort des Rates des Areopags, des obersten athenischen
Gerichtshofs. In der apostolischen Zeit war seine Macht auf
religiöse und Erziehungsangelegenheiten beschränkt.
Es besteht einige Unklarheit, wo dieser Rat
zu der Zeit, in der Paulus in Athen war, zusammentrat. Manche
vermuten, daß er auf dem traditionellen Marshügel hinter der
Agora (dem Marktplatz der altgriechischen Städte), westlich
neben der Akropolis, tagte. Andere sind der Ansicht, er
versammelte sich in der Stoa Basileios, einem Gebäude auf der
Agora . Auf jeden Fall wollte die Ratsversammlung von Paulus
Näheres über seine neue Lehre , die den Griechen so fremd war,
erfahren. Sowohl die Athener als auch die in Athen, dem
intellektuellen Mittelpunkt der Alten Welt, lebenden Fremden,
waren stets begierig, etwas Neues zu hören und darüber zu
debattieren. Diese Offenheit gab Paulus Gelegenheit, seine
Botschaft zu verkündigen.
Apg 17,22
Mit diesem Vers beginnt die dritte
Beispielspredigt des Paulus (sie geht bis V. 31 ; vgl. Apg
13,16-41;14,15-17;20,18-35 ). Sie zeigt, auf welchem Wege er
versuchte, die intellektuellen Heiden für das Evangelium zu
gewinnen. Der Inhalt seiner Botschaft ist klar: Der
Schöpfergott, der sich selbst in der Schöpfung offenbart hat,
hat allen Menschen geboten, Buße zu tun, denn jeder Mensch muß
vor Jesus Christus, den Gott von den Toten auferweckte,
Rechenschaft ablegen.
Paulus' Rede bestand aus drei Teilen: (a)
Einführung ( Apg 17,22-23 ), (b) der unbekannte Gott (V. 24 - 29
), (c) die Botschaft Gottes (V. 30 - 31 ).
Es war ein kluger Schachzug von Paulus,
seine Predigt mit der lobenden Feststellung zu eröffnen, daß die
Athener die Götter in allen Stücken sehr verehrten (
deisidaimonesterous , von deidO , "fürchten oder verehren",
daimOn , "Götter, böse Geister" und stereos , "fest, hart").
Damit brachte er gleich zu Anfang seine Überzeugung zum
Ausdruck, daß die Griechen ihren Göttern standhaft und treu
dienten. Die Formulierung, die er benutzte, war sorgfältig und
mit Bedacht ausgewählt. Die Männer von Athen dachten dabei
zweifellos an ihre Götter, während in dem Wort gleichzeitig
mitschwingt, daß diese Götter böse Geister oder Dämonen seien
(vgl. den Kommentar zu Apg 16,16 ).
Apg 17,23
Da die Athener stets in großer Sorge
lebten, irgendeinen Gott, den sie nicht kannten, zu
vernachlässigen und sich so seinen Zorn zuzuziehen, hatten sie
einen Altar dem unbekannten Gott geweiht. Auf diesen Gott
spielte Paulus an. Dabei ging es ihm nicht so sehr um die
Tatsache, daß sie einen solchen Altar errichtet hatten, sondern
darum, daß ihnen der Gott, dem sie ihn errichtet hatten,
unbekannt war.
Apg 17,24
Da Gott alles gemacht hat, ist er der
Höchste - der Herr des Himmels und der Erde (vgl. Apg 14,15 und
Ps 24,1 ). Ein solcher Gott wohnt nicht in Tempeln, die mit
Händen gemacht sind , wie die Athener von ihren griechischen
Göttern annahmen (vgl. die Worte des Stephanus in Apg 7,48-50 ).
Apg 17,25
Gott steht über den von Menschen erbauten
Tempeln, er braucht niemanden und ist nicht von Menschenhänden
abhängig. Das richtete sich an die Epikureer, die glaubten, daß
Gott bzw. die Götter über den Angelegenheiten der Menschen
standen.
Der letzte Teil des Verses, in dem davon
die Rede ist, daß Gott den Menschen Leben (vgl. V. 28 ) und Odem
und alles (vgl. Apg 14,17 ) gegeben hat, knüpfte an die stoische
Philosophie an, deren Anhänger ihr Leben dem "Zweck" des Kosmos
unterstellten. Paulus ließ sich also auf den Wissens- und
Glaubensstand seiner Hörer ein und führte sie von ihren irrigen
Vorstellungen hin zur Wahrheit.
Apg 17,26
Die Wendung "aus einem Menschen" bezieht
sich zurück auf Adam. Das war allerdings ein Schlag für den
Stolz der Athener; sie sollten aus demselben Schöpfungsakt
hervorgegangen sein wie alle anderen Menschen, dessen Ziel es
war, die Erde mit Menschen zu bevölkern ( 1Mo 1,28 ).
Der souveräne Gott hat in seiner Allmacht
die Geschichte ( wie lange ) und die Grenzen der Völker
festgesetzt (vgl. 5Mo 32,8 ). Die Griechen waren also nicht das
einzige Volk auf der Erde!
Apg 17,27
Eines der Ziele der Selbstoffenbarung
Gottes in der Schöpfung und Geschichte ist es, daß die Menschen
ihn suchen (vgl. Röm 1,19-20 ). Obwohl Gott allmächtig und
völlig frei ist ( Apg 17,24 ), ist er doch auch in der Welt und
nicht so fern, daß man ihn nicht finden kann .
Apg 17,28
Paulus untermauerte seine Predigt mit einem
Zitat von Epimenides, einem kretischen Dichter (den er auch
später, in Tit 1,12 ,nochmals zitierte): Denn in ihm leben (vgl.
Apg 17,25 ) , weben und sind wir. Er zitierte den aus seiner
eigenen Heimat Zilizien stammenden Aratus: Wir sind seines
Geschlechts. Das zweite Zitat stammt aus dem Werk Phainomena .
Alle Menschen - die Athener und alle anderen - sind Kinder
Gottes, nicht in dem Sinne, daß sie alle seine erlösten Kinder
sind oder göttliche Züge tragen, sondern insofern, als sie von
Gott geschaffen sind und ihr Leben von ihm erhalten (V. 25 ).
Auch die Athener waren von diesem Gott, den sie nicht kannten,
geschaffen und hingen in ihrer Existenz von ihm ab. Keiner der
unzähligen falschen Götter, die die Griechenverehrten, konnte
einen solchen Anspruch erheben.
Apg 17,29
Die Schlußfolgerung liegt auf der Hand: Da
die Menschen von Gott, der Gottheit, geschaffen sind, kann
dieser Gott kein Götze, kein von Menschen gedachtes und
gemachtes Bild sein (vgl. Röm 1,22-23 ). ("Gottheit" ist die
Übersetzung von theion , wörtlich "göttliches Wesen", das im
klassischen Griechisch sehr gebräuchlich ist, im Neuen Testament
jedoch nur an dieser Stelle und in 2Pet 1,3-4 steht.) Das war
etwas ganz Neues für die Athener, die in einer Stadt "voller
Götzenbilder" ( Apg 17,16 ) und "Heiligtümer" (V. 23 ) lebten.
Apg 17,30
Gott hat über die Zeit der Unwissenheit der
Menschen, d. h. über ihren Götzendienst, geduldig hinweggesehen
. Obwohl die Menschen seinem Zorn verfallen sind ( Röm 1,18 )
und keine Entschuldigung haben, da ihnen die Offenbarung Gottes
in der Natur ja immer vor Augen war ( Röm 1,19-20 ), ließ Gott
"die Sünden, die früher begangen wurden in der Zeit seiner
Geduld" ( anochE , "Zurückhaltung, Verzögerung"), ungestraft (
Röm 3,25-26 ). Das entspricht Apg 14,16 : "Zwar hat er in den
vergangenen Zeiten alle Heiden ihre eigenen Wege gehen lassen"
(vgl. den Kommentar dort). Dennoch trugen sie bereits in dieser
Zeit die Verantwortung für die allgemeine Offenbarung, die ihnen
gegeben war, und jetzt, mit der weltweiten Verkündigung des
Evangeliums, sind auch sie dazu aufgerufen, auf diese besondere
Offenbarung zu reagieren. Auch ihnen gilt nun der Aufruf zur
Buße .
Apg 17,31
An diesem Punkt führte Paulus einen
spezifisch christlichen Standpunkt ein. Sein Verweis auf den
einen Mann bezieht sich ganz eindeutig auf Dan 7,13-14 , wo vom
Menschensohn die Rede ist, der von Gott Vater dazu bestimmt ist,
den Erdkreis zu richten mit Gerechtigkeit (vgl. Joh 5,22 ). Die
Bestätigung der Person und des Werkes Christi war seine
Auferstehung. Auch in dieser Predigt des Paulus steht also die
Auferstehung Jesu im Mittelpunkt, eine Vorstellung (vgl. Apg
17,18.32 ), die auf keine Weise mit der griechischen Philosophie
vereinbar war. Die Griechen sehnten sich danach, mit dem Tod
ihres Körpers ledig zu werden, sie wollten auf keinen Fall
erneut an ihn gefesselt sein. Auch der Gedanke eines
persönlichen Gerichtes war ihnen unangenehm. Die Botschaft des
Evangeliums zielte also auf das Zentrum ihrer Vorstellungen und
Bedürfnisse ab.
Interessanterweise ging Paulus in seiner
Erörterung (V. 30 - 31 ) auch auf die Themen Sünde ("Buße tun"),
Gerechtigkeit und Gericht ("er will richten") ein, von denen
Jesus gesagt hatte, daß sie der Menschheit durch den Heiligen
Geist offengelegt würden ( Joh 16,5-11 ).
Apg 17,32-34
Da es für einen Griechen völliger Unsinn
war, daß ein Toter auferweckt wurde und ewig lebte, begannen
einige von ihnen zu spotten . Andere, die höflicher waren,
sagten, sie wollten darüber ein andermal weiter hören . Nur
einige wenige schlossen sich Paulus an und wurden gläubig ,
darunter auch Dionysius, einer aus dem Rat (vgl. den Kommentar
zu V. 19 ), und eine Frau mit Namen Damaris . Weitere in der
Apostelgeschichte bekehrte Frauen waren Lydia ( Apg 16,14-15 ),
einige vornehme Frauen in Thessalonich ( Apg 17,4 ) und ein paar
vornehme griechische Frauen in Beröa (V. 12 ).
War die Predigt des Paulus in Athen ein
Mißerfolg? Das läßt sich nicht mit letzter Sicherheit
beantworten. Immerhin ist nirgends die Rede davon, daß dort eine
Gemeinde gegründet wurde, und später bezeichnete Paulus das Haus
des Stephanas ( 1Kor 16,15 ) in Korinth als den "Erstling" in
Achaja. (Auch Athen lag in Achaja.) Wie war das möglich, wenn
sich doch, laut Apg 17,34 , bereits in Athen manche zu Christus
bekehrten? Die Lösung ist, daß Paulus bei Stephanas
wahrscheinlich an den "Erstling" einer bestimmten "Gemeinde" in
Achaja dachte. Möglich ist aber auch, daß "Erstling" sich auf
mehr als eine einzige Person beziehen kann. Wenn es tatsächlich
in Athen nicht zur Gründung einer Gemeinde kam, so lag das nicht
an der Botschaft, die Paulus verkündigte, und auch nicht an der
Methode, die er anwandte, sondern an den verstockten Herzen der
Athener.
b. In Korinth
( 18,1 - 18 )
Apg 18,1
Ohne weitere Erklärungen fährt Lukas dann
einfach fort: Danach verließ Paulus Athen und kam nach Korinth.
Obwohl die beiden Städte nur etwa 75 Kilometer voneinander
entfernt lagen, waren sie doch völlig verschieden. Athen war
bekannt für seine Kultur und Gelehrsamkeit, das Handelszentrum
Korinth berüchtigt für seine Lasterhaftigkeit. Die Stadt lag im
Süden einer Landenge, die die peloponnesische Halbinsel mit dem
nördlichen Achaja verband. Sie war Knotenpunkt sowohl für den
Handel in nördliche und südliche Richtung über den Landweg als
auch für den Seehandel nach Westen und Osten. Korinth besaß zwei
Seehäfen - drei Kilometer westlich der Stadt, am Golf von
Korinth, der sich in die Adria öffnet, lag Lechäum, und neun
Kilometer südöstlich, zur Ägäis hin, lag Kenchreä. Da die
Südspitze des Peloponnes für Schiffe sehr gefährlich war, liefen
sie meistens einen der Häfen Korinths an. Dort wurde ihre Fracht
über Land in den anderen Hafen transportiert und erneut auf
Schiffe verladen.
146 v. Chr. wurde die Stadt von den Römern
erobert und geschleift, doch aufgrund ihrer strategischen Lage
hörte sie nicht ganz zu existieren auf. Doch erst 100 Jahre
später, 46 v. Chr., wurde sie wiedererbaut und gewann ihre
einstige Bedeutung zurück.
Wie man von einer Stadt, die vom Handel und
von Reisenden lebte, erwarten konnte, gab es in Korinth
Prostitution und alle möglichen Arten von Laster. Die Stadt war
ein Kultzentrum der Aphrodite, der Göttin der Liebe, so daß die
Unmoral hier im Namen einer Religion ihr Wesen trieb.
Politisch gesehen war Korinth römische
Kolonie und Hauptstadt der Provinz Achaja.
Einen Einblick in Paulus' Gefühle, als er
die Stadt betrat, gibt 1Kor 2,1-5 . Seine "Schwachheit",
"Furcht" und sein "großes Zittern" gingen wahrscheinlich auf
mehrere Faktoren zurück: (1) Paulus kam allein. (2) Die
Schwierigkeiten, denen er begegnete, seit er Mazedonien betreten
hatte, erfüllten ihn wahrscheinlich mit schlechten Vorahnungen
darüber, was ihn in Korinth erwartete (vgl. Apg 18,9-10 ). (3)
Korinth war selbst in einer Welt, die dem Laster gegenüber
völlig unempfindlich geworden war, berüchtigt für seine sexuelle
Freizügigkeit.
Die Tatsache, daß Paulus allein nach
Korinth kam, erklärt möglicherweise, warum er dort einige Leute
persönlich taufte und diese Aufgabe nicht, wie gewöhnlich,
seinen Begleitern überließ (vgl. 1Kor 1,14-17 ).
Apg 18,2
In Korinth traf Paulus Aquila und seine
Frau Priszilla . Aquila war Jude und stammte aus Pontus , einer
Provinz im Nordosten Kleinasiens, südlich des Schwarzen Meeres.
Durch einen Erlaß von Klaudius aus dem Jahr 49 n. Chr., der
allen Juden gebot, Rom zu verlassen, aus der italischen
Hauptstadt vertrieben, waren Aquila und Priszilla aus
geschäftlichen Gründen nach Korinth gekommen. (Klaudius regierte
von 41 bis 54 n. Chr.; vgl. die Liste der römischen Kaiser bei
Lk 2,1 .Sueton (69? bis 140 n. Chr.), ein Biograph der römischen
Kaiser, führte die möglichen Gründe für das Dekret an. In seinem
"Leben des Klaudius" (25.4) spricht er von den ständigen
Aufständen der Juden auf Betreiben eines gewissen Chrestos.
Dieser Name ist möglicherweise ein Hinweis auf Christus.)
Ob Aquila und Priszilla bereits Christen
waren, bevor sie Paulus trafen, wissen wir nicht. Daß Aquila als
"Jude" bezeichnet wurde, muß nicht bedeuten, daß er Christ war
(vgl. Apollos, ein Jude; Apg 18,24 ). Auch daß Paulus bei ihnen
wohnte, muß nicht zwangsläufig zu dieser Schlußfolgerung führen;
wahrscheinlich blieb er bei ihnen, weil sie - wie er -
Zeltmacher waren (V. 3 ).
Priszilla wird zweimal vor ihrem Mann
Aquila erwähnt (V. 18.26 ; Röm 16,3 ), was vielleicht darauf
hindeutet, daß sie aus einer sehr hochgestellten oder adligen
Familie stammte.
Apg 18,3
Sowohl Paulus als auch Aquila und Priszilla
waren Zeltmacher . Die Berufsbezeichnung skEnopoioi deutet nach
Ansicht mancher Wissenschaftler darauf hin, daß dieses Handwerk
auch die Bearbeitung von Leder einschloß. Möglicherweise wurde
außer Ziegenhaar, für das Paulus' Heimatprovinz Zilizien berühmt
war, auch Leder für die Herstellung von Zelten verwendet.
Wie noch heute im Nahen Osten üblich,
befand sich der Laden eines Handwerkers im Erdgeschoß und seine
Wohnung in den Stockwerken darüber.
Apg 18,4
Auch in Korinth begann Paulus mit der
Evangelisation in der Synagoge (vgl. Apg
9,20;13,5.14;14,1;17,1-2.10.17;18,19;19,8 ).
Apg 18,5
Nach der Ankunft von Silas und Timotheus
aus Mazedonien (vgl. Apg 17,14-15 ) widmete er sich ganz der
Verkündigung des Wortes ( er richtete sich ganz auf , syneicheto
, von synechO , das hier im Passiv "sich genötigt sehen" heißt).
Dazu ermutigten ihn folgende Faktoren: (1) Silas und Timotheus
brachten ihm offensichtlich finanzielle Unterstützung aus
Mazedonien mit (vgl. 2Kor 11,9; Phil 4,15 ), daher hatte er es
nicht mehr nötig, seinen Beruf auszuüben und konnte sich ganz
der Missionsarbeit widmen. (2) Die guten Nachrichten über die
Beständigkeit der Thessalonicher gaben ihm neuen Auftrieb (vgl.
1Thes 3,6-9 ). (3) Auch daß er jetzt nicht mehr allein war, war
Paulus wahrscheinlich eine Aufmunterung und Hilfe.
Seine Botschaft deckte sich mit dem, was er
auf dem Weg nach Damaskus erfahren hatte: Jesus ist der
Christus, d. h. der Messias (vgl. Apg 2,36;3,18.20;17,3;18,28 ).
Apg 18,6
Doch auch in Korinth wandten sich die Juden
gegen das Evangelium, woraufhin Paulus sich auch hier den Heiden
zukehrte (vgl. Apg 13,7-11.46;14,2-6;17,5;19,8-9;28,23-28 ).
Das Ausschütteln der Kleider entspricht dem
Abschütteln des Staubes von den Füßen (vgl. Apg 13,51 ). Mit den
Worten "euer Blut komme über euer Haupt" wies Paulus die
Korinther auf die Strafe hin, die sie erwartete, und darauf, daß
sie ganz allein für ihr Tun verantwortlich waren (vgl. Hes
33,1-6 ).
Apg 18,7-8
Nachdem Paulus die Synagoge verlassen
hatte, fand er daneben, im Haus eines Mannes mit Namen Titius
Justus , einen Ort, an dem er weiter predigen konnte. Titius
Justus war wahrscheinlich Heide, denn er wird als
Gottesfürchtiger bezeichnet (vgl. Apg 16,14;17,4 ). Auch
Krispus, der Vorsteher der Synagoge, kam zum Glauben an den
Herrn mit seinem ganzen Hause. Die Bekehrung von Krispus, der
natürlich mit dem Alten Testament vertraut war, war zweifellos
der Anlaß, daß auch viele andere Korinther gläubig wurden und
sich taufen ließen.
Apg 18,9-11
Die Erscheinung , von der im folgenden die
Rede ist, war wahrscheinlich die Antwort auf einige bedrohliche
Umstände, denen sich Paulus gegenübersah. Möglicherweise
erfolgte sie auf das Gelübde hin, das er abgelegt hatte (vgl. V.
18 und den dortigen Kommentar). Der Herr gebot Paulus in dieser
Vision, in Korinth zu bleiben und weiter zu predigen, und
versicherte ihm, daß ihm nichts geschehen werde - eine
Ermutigung, über die Paulus angesichts der dauernden Angriffe,
denen er in den anderen Städten (vgl. Apg 17,5.13 ) und auch in
Korinth selbst ( Apg 18,6 ) ausgesetzt war, zweifellos sehr froh
war. Er gehorchte der Weisung und blieb dort ein Jahr und sechs
Monate (vgl. V. 18 ); das war sein zweitlängster Aufenthalt in
einer Stadt, nur in Ephesus war er noch länger gewesen (zwei bis
drei Jahre; vgl. Apg 19,10;20,31 ).
Interessanterweise wird in Vers 10 das Wort
laos für Volk benutzt, das im allgemeinen das Volk Gottes,
Israel, bezeichnet. Es lag also offensichtlich im Plan des Herrn
für die Welt, daß die christliche Kirche eine Zeitlang denPlatz
seines erwählten Volkes, der Juden, einnehmen sollte (vgl. Röm
11,11-21 ).
Apg 18,12
Die Verse 12 - 17 sind vor allem
entscheidend für die apologetische Funktion der
Apostelgeschichte. Zunächst einmal deshalb, weil Gallio
römischer Proconsul, Statthalter in Achaja , war und ein Urteil,
das er fällte, grundsätzlich einen rechtlichen Präzedenzfall
schuf. Außerdem war er ein Bruder Senecas (4 v. Chr.? bis 65 n.
Chr.), eines berühmten Philosophen, der in Rom großen Einfluß
hatte.
Die ungläubigen Juden versuchten weiterhin,
Paulus Hindernisse in den Weg zu legen (vgl. V. 6 ). Sie
empörten sich einmütig gegen ihn und und führten ihn vor den
Richterstuhl .
Apg 18,13-15
Paulus wurde vorgeworfen, die Leute zu
überreden, Gott zu dienen dem römischen Gesetz zuwider . Rom
hatte die Einführung neuer Religionen verboten; nur das
Judentum, eine bereits etablierte Religion, wurde akzeptiert.
Nun behaupteten die Juden, das Christentum sei ein neuer Kult,
der nichts mit dem Judentum zu tun habe.
Doch Gallio sah es anders. Für ihn gehörte
das Christentum zum Judentum. Daher sah er keinen Grund, diese
Angelegenheit vor einem römischen Zivilgericht zu erörtern.
Dieser Entschluß war von großer Tragweite, denn er war vor dem
römischen Gesetz gleichbedeutend mit einer Legalisierung des
Christentums.
Apg 18,16-17
Der spontane Ausbruch der Gewalt gegen
Sosthenes, den Vorsteher der Synagoge , könnte ein Zeichen für
den Antisemitismus, der hinter der glatten Fassade der
korinthischen Gesellschaft schwelte, gewesen sein. Die Heiden in
Korinth wollten nichts mit den Streitigkeiten der Juden zu tun
haben. Sosthenes war offensichtlich als Nachfolger von Krispus
Vorsteher der Synagoge geworden und hatte die jüdische Kampagne
gegen Paulus angeführt. Möglicherweise handelt es sich hier um
denselben Mann, der später Christ wurde (vgl. 1Kor 1,1 ).
Gallio jedenfalls hatte an einem so
unbedeutenden Zwischenfall keinerlei Interesse; er mischte sich
nicht in religiöse Angelegenheiten, auch dann nicht, wenn es
zwischen den streitenden Parteien zu Gewalttätigkeiten kam.
Apg 18,18
Wie lange Paulus sich tatsächlich in
Korinth aufhielt, wissen wir nicht. Die 18 Monate, von denen in
Vers 11 die Rede war, können vom Zeitpunkt der Erscheinung, die
ihm zuteil geworden war (V. 9 - 10 ), gerechnet sein oder auch
die ganze Zeit, die er in der Stadt verbrachte (von V. 5 an),
bezeichnen.
Danach verließ er Korinth und trat die
Rückreise in die Gemeinde an, die ihn ausgesandt hatte, nach
Antiochia am Orontes in Syrien. Doch zuvor ließ er sich in
Kenchreä , dem südöstlichen Hafen Korinths, sein Haupt scheren,
denn er hatte ein Gelübde getan . Wann er dieses Gelübde
abgelegt hatte, wird nicht gesagt. Vielleicht geschah es, als er
Troas verließ, um nach Mazedonien zu gehen, vielleicht zu Beginn
seiner Predigt in Korinth oder, was am wahrscheinlichsten ist,
vor der nächtlichen Vision (V. 9 - 10 ). Jedenfalls wollte er
eine bestimmte Zeitlang sein Haar wachsen lassen. Jetzt (nach 18
Monaten) war die Zeit des nasiräischen Gelübdes abgelaufen, und
er ließ sich in Kenchreä das Haar wieder schneiden (vgl. 4Mo
6,1-21 ).
Josephus berichtete von Juden, die sich
unmittelbar nach einem Unglück den Schädel rasierten und 30 Tage
lang nicht opferten ( Jüd. Krieg 2. 15. 1). In diesem Fall hätte
Paulus sich wahrscheinlich zu Beginn seines Gelübdes die Haare
abschneiden lassen. Es ist jedoch eher unwahrscheinlich, daß es
sich um ein solches Gelübde handelte, denn an keiner Stelle ist
von einer Krankheit oder einer anderen Heimsuchung die Rede (es
sei denn, 2Kor 12,7-9 bezieht sich auf diese Stelle).
Während seines Aufenthaltes in Korinth
schrieb Paulus den 1. und den 2. Thessalonicherbrief (vgl. die
Tabelle bei Apg 13,38-39 ).
4. Der Abschluß der zweiten Missionsreise
( Apg 18,19-22 )
Apg 18,19
Priszilla und Aquila begleiteten Paulus
nach Ephesus , während Silas und Timotheus offenbar in
Mazedonien und Achaja zurückblieben, um die dortigen Gemeinden
noch etwas in ihrer Entwicklung zu überwachen. Warum Priszilla
und Aquila nach Ephesus gingen, wissen wir nicht; wahrscheinlich
wollten sie in der Mission mitarbeiten.
Wie in jeder Stadt war auch dort eine
Synagoge, die Paulus aufsuchte und in der er mit den Juden
redete (vgl. Apg 9,20;13,5.14;14,1;17,2.10.17;18,4;19,8 ).
Apg 18,20-21
Im Gegensatz zu der hartnäckigen Weigerung
der Juden in den anderen Städten, sich dem Glauben zu öffnen,
suchten die Juden in Ephesus das Gespräch mit Paulus und hätten
ihn gerne länger gehört. Ihn aber drängte es allmählich, in die
Heimat zurückzukehren. Manche griechischen Handschriften fügen
an dieser Stelle noch ein, daß er es so eilig hatte, nach
Jerusalem zu kommen, weil er an einem Fest teilnehmen wollte.
Wenn das zutrifft, so ist hier wahrscheinlich das Passafest
gemeint.
Apg 18,22
Nachdem er in Cäsarea an der palästinischen
Küste gelandet war - von Ephesus aus eine Reise von etwa 750
Kilometern - ging er hinauf nach Jerusalem und grüßte die
Gemeinde und ging hinab nach Antiochia . "Hinaufgehen" und
"hinabgehen" sind, wenn von Jerusalem die Rede ist, schon
beinahe Termini technici, die auf die hohe Lage der Stadt
anspielen.
5. Die Missionierung von Ephesus
( 18,23 - 19,20 ) (Dritte Missionsreise,
18,23 - 21,16)
a. Der Anlass für Paulus' dritte
Missionsreise
( 18,23 )
Apg 18,23
Über den ersten Teil der dritten
Missionsreise des Paulus berichtet Lukas nur ganz knapp. Es geht
ihm diesmal offensichtlich stärker um das Wirken des Apostels in
Ephesus. Auf dem Weg dorthin predigte Paulus im galatischen Land
und in Phrygien (vgl. Apg 16,6 ), wo er alle Jünger stärkte .
Zweifellos waren viele der Gläubigen dort von ihm selbst bei
seiner zweiten Missionsreise bekehrt worden. Der Zwischenfall in
Apg 18,24-28 dient daher als Einführung in seine Missionsarbeit
in Ephesus.
b. Die Unterweisung des Apollos
( 18,24 - 28 )
Diese ( Apg 18,24-28 ) und auch die
folgende Episode ( Apg 19,1-7 ) unterstreichen den
Übergangscharakter der Anfangsphase der christlichen Kirche. Aus
19,1-7 kann geschlossen werden, daß Apollos die christliche
Taufe und damit den Heiligen Geist noch nicht empfangen hatte.
Darüber hinaus ist dieser Abschnitt der
Apostelgeschichte ein Beleg dafür, daß das Christentum auf dem
Alten Testament und auf dem Wirken des Täufers aufbaut. Die
Botschaft des Paulus ist der des Johannes überlegen, so groß die
Bedeutung des Täufers auch in der Heilsgeschichte war. Obwohl
Johannes' Predigt bis nach Alexandria und Ephesus vordrang,
brachte sein Werk doch erst in Christus Früchte.
Apg 18,24
Die Ereignisse in Apg 18,24-28 fanden
statt, nachdem Paulus Ephesus verlassen hatte (V. 21 ) und vor
seiner Rückkehr dorthin ( Apg 19,1 ). In der Zwischenzeit hatte
sich, vermutlich unter dem Einfluß von Aquila und Priszilla,
eine Gemeinde gebildet. Zu dieser Gemeinde stieß Apollos, ein
Jude aus Alexandria in Nordafrika und äußerst befähigter Mann.
Als Jude war er mit der Schrift , d. h. dem Alten Testament,
bestens vertraut.
Apg 18,25
Was Apollos über Jesus lehrte, war zwar
richtig, aber er besaß noch nicht die volle Erkenntnis. Das
bedeutet wahrscheinlich, daß er noch nichts von der Taufe mit
dem Heiligen Geist wußte. Die Taufe des Johannes war ein Symbol
der Reinigung, nachdem die Menschen Buße getan hatten (vgl. 19,4
). Die christliche Taufe jedoch ist ein Sinnbild der Einheit mit
Christus in seinem Tod, seinem Begräbnis und seiner Auferstehung
durch die Taufe des Heiligen Geistes (vgl. Röm 6,3-10; 1Kor
12,13; Gal 3,27; Kol 2,12 ).
Apg 18,26
Statt Apollos in der Öffentlichkeit
zurechtzuweisen, nahmen ihn Aquila und Priszilla zu sich und
legten ihm den Weg Gottes (vgl. "den Weg des Herrn"; V. 25 )
noch genauer aus .
Apg 18,27-28
Ausgerüstet mit diesem neuen Wissen,
überquerte Apollos auf dem Weg nach Achaja (wahrscheinlich nach
Korinth, wo Gott seinem Wirken denn großen Segen zuteil werden
ließ) die Ägäis. Dort angelangt, widerlegte er kräftig die Juden
, indem er ihnen aus der Schrift bewies, daß Jesus der Christus
ist . So ging auch Paulus stets vor (V. 5 ). Apollos war so
erfolgreich, daß die parteisüchtigen Gläubigen in Korinth eine
eigene Partei des Apollos gründeten ( 1Kor 1,12 ). Es gibt
jedoch keinerlei Hinweis darauf, daß Apollos selbst die Bildung
einer solchen Splittergruppe unterstützte, und Paulus macht ihn
auch an keiner Stelle dafür verantwortlich.
c. Der Einfluss des Evangeliums
( 19,1 - 20 )
(1) Die Zwölf ( Apg 19,1-7 )
Apg 19,1-2
Für seine dritte Missionsreise wählte
Paulus Ephesus als Stützpunkt. In dieser Stadt stand der Tempel
der Artemis, eines der sieben Weltwunder der Antike.
Berechnungen anhand der Ruinen ergaben, daß er 70 Meter breit
und 127 Meter lang war, also viermal so groß wie der
Parthenontempel in Athen. Als Handelszentrum war Ephesus die
führende Stadt der Provinz Asien. Die Ruinen der Stadt zeugen
noch heute von ihrer einstigen Pracht und Schönheit. Durch den
Zufluß des Cayster kam es jedoch zu einer Verschlammung des
Hafens, und die Stadt wurde verlassen. Doch zur Zeit des Paulus
stand sie auf dem Höhepunkt ihres Ruhms.
Paulus wählte den Weg durch das Hochland
(vielleicht eine kürzere Reiseroute). Als er in der Metropole
ankam, fand er dort einige Jünger vor. Was genau Lukas mit
diesem Ausdruck meinte, wissen wir nicht. Normalerweise benutzte
er ihn für Christen; möglicherweise trifft das auch hier zu,
denn Paulus fragte sie: Habt ihr den Heiligen Geist empfangen,
als ihr gläubig wurdet?
Auch die Antwort der Jünger stellt ein
Rätsel dar. Mit den Worten "wir haben noch nie gehört, daß es
einen Heiligen Geist gibt" meinten sie vielleicht, daß sie noch
nicht davon gehört hatten, daß der Geist ausgegossen worden war
oder bei der Taufe empfangen wurde. Eine ähnliche griechische
Konstruktion findet sich in Joh 7,39 . Immerhin hatte Johannes
der Täuferganz klar das Wirken des Heiligen Geistes vorausgesagt
( Mt 3,11; Mk 1,8; Lk 3,16; vgl. Joh 1,32-33 ).
Apg 19,3-4
Wie Apollos ( Apg 18,25 ) kannten auch die
Jünger in Ephesus nur die Taufe des Johannes , das Zeichen der
Buße ( Mt 3,2.6.8.11; Mk 1,4-5; Lk 3,8 ). Paulus aber lehrte
sie, daß Johannes auf Jesus Christus als den, an den sie glauben
sollten , vorausgewiesen hatte ( Mt 3,11-12; Mk 1,7-8; Lk
3,16-17 ).
Apg 19,5
Dies ist die einzige Stelle im Neuen
Testament, in der davon die Rede ist, daß jemand sich ein
zweites Mal taufen ließ. Das Amt des Johannes war ganz eindeutig
antizipatorisch; erst Christus war die Erfüllung aller Dinge.
Apg 19,6
Die Handauflegung fand entweder während der
Taufe oder, was wahrscheinlicher ist, danach statt. Unmittelbar
darauf kam der Heilige Geist auf die Jünger herab, und sie
redeten in Zungen und weissagten . Das Zungenreden in der
Apostelgeschichte bestätigt Paulus' Behauptung, daß die "Zungen"
"ein Zeichen ... für die Ungläubigen" ( 1Kor 14,22 ) waren. Sie
sollten den Menschen helfen, ihren Unglauben zu überwinden. Die
Tabelle veranschaulicht den Gebrauch der Zungenrede in der
Apostelgeschichte und ihren jeweiligen Zweck.
Bemerkenswert ist auch, daß das Kommen des
Heiligen Geistes in der Apostelgeschichte keinem bestimmten
Schema folgt. Der Geist kommt vor der Taufe ( Apg 10,44 ),
während oder nach der Taufe ( Apg 8,12-16;19,6 ) oder auch durch
die Handauflegung ( Apg 8,17;19,6 ) auf die Gläubigen herab. Die
Apostelgeschichte, die ja nur eine Übergangszeit beschreibt,
sollte also nicht als Quelle für eine bestimmte Lehre über das
Empfangen des Heiligen Geistes herangezogen werden (vgl. den
Kommentar zum Zungenreden; 1Kor 13,8-14,25 ). Doch auf jeden
Fall lehrte Paulus ( Röm 8,9 ), daß jemand, der den Heiligen
Geist nicht empfangen hat, kein Christ ist.
Apg 19,7
Der Verweis auf zwölf Männer impliziert
nicht, wie manche Forscher annehmen, daß die christliche Kirche
das neue Israel ist. Wenn der Zahl überhaupt eine besondere
Bedeutung beizumessen ist, dann die, daß Israel die Fülle des
Geistes erst noch erfahren wird (vgl. Hes 36,26-27; Joe 3,1-5;
Sach 12,10-14 ).
Apg 19,8
(2) In der Synagoge
Gemäß seinem Versprechen ( Apg 18,21 )
kehrte Paulus in die Synagoge in Ephesus zurück und predigte
frei und offen drei Monate lang . Diese drei Monate ungestörter
Verkündigung in einer Synagoge waren ein Rekord für ihn.
Vielleicht hatte die kosmopolitische Atmosphäre der Stadt die
Juden, die dort lebten, toleranter gemacht (zum Freimut der
Apostel vgl. den Kommentar zu Apg 4,13 ).
Der Inhalt seiner Predigt war das Reich
Gottes , das die Person und das Wirken Christi einschloß, aber
offensichtlich auch seine tausendjährige Herrschaft antizipierte
(vgl. Apg 1,3.6 ).
Apg 19,9
(3) In der Schule des Tyrannus ( Apg
19,9-12 )
Doch auch in Ephesus zeigte sich wieder,
wenn auch später als sonst, der übliche Widerstand der Juden
gegen das Evangelium (vgl. Apg 18,6 ). Diesmal verleumdeten sie
die Lehre (vgl. Apg 9,2;19,23;22,4;24,14.22 ) vor der Menge.
Daher trennte Paulus sich von ihnen .
Er nahm auch die Jünger mit sich und redete
von nun an täglich in der Schule des Tyrannus . Anscheinend
hatte dieser einen Vorlesungssaal, den er reisenden Lehrern zur
Verfügung stellte. Eine griechische Handschrift fügt noch hinzu,
daß die Schule von 11 Uhr vormittags bis 4 Uhr nachmittags
zugänglich war, also dann, wenn die meisten Menschen ihr
Mittagessen einnahmen und Mittagsruhe hielten. Diese
Überlieferung ist wahrscheinlich korrekt. Den übrigen Teil des
Tages arbeitete Paulus in seinem Beruf, um finanziell unabhängig
zu sein ( Apg 20,34 ).
Apg 19,10
Zwei Jahre lang predigte Paulus in Ephesus.
Nach Apg 20,31 hielt er sich allerdings insgesamt drei Jahre
dort auf. Da nach der damaligen jüdischen Zeitrechnung eine
angebrochene Zeiteinheit als ganze gerechnet wurde, lebte er
also wohl zwischen zwei und drei Jahren in der Stadt.
Seine Arbeit war so erfolgreich, daß das
Evangelium sich in der ganzen P rovinz Asien , an der Westküste
der heutigen Türkei, ausbreitete. In dieser Zeit wurden auch die
Gemeinden in Kolossä, Laodizea und Hierapolis gegründet ( Kol
4,13 ). Manche Forscher sind der Ansicht, daß damals der
Grundstein zu allen sieben Gemeinden gelegt wurde, von denen in
Offb 2-3 die Rede ist, doch das läßt sich nicht mit Bestimmtheit
sagen.
Apg 19,11-12
Die Taten des Apostels, von denen hier
berichtet wird, gleichen den von Petrus vollbrachten Wundern
(vgl. Apg 5,15-16 ). Ganz eindeutig lag Gottes mächtige und
segnende Hand auch auf Paulus. Die wundertätigen Kräfte der
Schweißtücher und anderen Tücher versinnbildlichten offenbar die
Macht, die Gott ihm verliehen hatte. Es muß jedoch festgehalten
werden, daß sie aus sich selbst heraus keinerlei magische Kräfte
besaßen und es daher keine Grundlage dafür gibt, derartige
Wunder heute wiederholen zu wollen. Wie es auch sonst in der
Apostelgeschichte meist der Fall ist, dienten die Wunder zur
Bestätigung der Werke des Apostels ( Apg
2,43;4,30;5,12;6,8;8,6.13;14,3;15,12; vgl. 2Kor 12,12; Hebr
2,3-4 ).
Die Erwähnung der bösen Geister leitet zum
nächsten Zwischenfall über ( Apg 19,13-20 ).
Apg 19,13
(4) Exorzismus und Zauberei ( 19, 13 - 20 )
Einige reisende jüdische Exorzisten, die
offensichtlich mit den unterschiedlichsten Zaubersprüchen und
Methoden arbeiteten, versuchten, im Namen des Herrn Jesus
Dämonen auszutreiben.
Apg 19,14
Die Angabe, daß Skeva ein jüdischer
Hoherpriester war, bezieht sich wohl einfach auf eine Prahlerei
und Amtsanmaßung dieses Mannes. Wenn er jedoch tatsächlich
Hoherpriester gewesen sein sollte, so hatten seine sieben Söhne
sich von Gott abgekehrt und hatten sich exorzistischen Praktiken
ergeben.
Apg 19,15
Einige Aufmerksamkeit verdienen die
Variationen der Verben für "kennen, wissen", die der böse Geist
(d. h. der Dämon) hier verwendete. Er sagte: Jesus kenne (
ginOskO , "aus der Erfahrung kennen") ich wohl, und von Paulus
weiß ( epistamai , "wissen, verstehen") ich wohl. Aber von den
Söhnen Skevas hatte er nicht gehört.
Apg 19,16
Statt von seinem Dämon befreit zu werden,
zeigte der Besessene auf einmal übernatürliche Kräfte. Er
überwältigte alle sieben ( amphoterOn bedeutet normalerweise
"beide", kann jedoch auch "alle" heißen) und richtete sie so
schrecklich zu, daß sie nackt und verwundet aus dem Haus flohen
. Dämonen können den Menschen, von denen sie Besitz ergriffen
haben, manchmal ungewöhnliche Körperkräfte verleihen (vgl. Mk
5,3-4 ).
Apg 19,17-18
Daraufhin fürchteten sich ( phobos , kann
auch Ehrfurcht heißen) sowohl die Juden als auch die Heiden
(vgl. Apg 5,5 ), und der Name des Herrn Jesus wurde hoch gelobt
(im Gegensatz zum Versuch des Mißbrauchs seines Namens durch die
Exorzisten; vgl. Apg 19,13 ). Auch viele Christen, die der
Zauberei und spiritistischen Praktiken verfallen waren,
bekannten und verkündeten, was sie getan hatten . Das mit
"getan" übersetzte Wort, praxeis , ist ein Hinweis auf
Zaubersprüche und -formeln. Wenn Exorzisten ihre Geheimnisse
preisgaben, verloren sie ihre Macht.
Apg 19,19
Sie brachten auch die Bücher zusammen und
verbrannten sie öffentlich . In der Zauberei versuchten die
Menschen, mit Hilfe von Dämonen Macht über andere zu erlangen.
Das mit "Silbergroschen" (Drachmen) übersetzte Wort lautete
ursprünglich einfach argyriou , "Silber"; der genaue Wert der
fünfzigtausend Silbergroschen ist daher nicht mehr
festzustellen, doch es handelte sich mit Sicherheit um eine sehr
große Summe.
Apg 19,20
Die solcherart gereinigte Kirche wuchs
rasch und gewann beträchtlichen Einfluß. (Von der Ausbreitung
des Wortes Gottes ist auch in Apg 6,7;12,24; und Apg 13,49 die
Rede.) Mit dem sechsten "Verlaufsbericht" schließt Lukas diesen
Abschnitt seines Buches (vgl. Apg
2,47;6,7;9,31;12,24;16,5;28,30-31 ).
Apostelgeschichte
D. Die Ausbreitung der Kirche in Rom
( 19,21 - 28,31 )
1. Der Abschluß der dritten Missionsreise
( 19,21 - 21,16 )
a. Der Aufruhr in Ephesus
( 19,21-41 )
Apg 19,21
Dieser Vers bestimmt wie ein Leitmotiv die
folgenden Kapitel der Apostelgeschichte. Paulus' Sinnen und
Trachten ist von nun an ganz auf Rom gerichtet. Er plante, auf
dem Weg über Jerusalem nach Rom und von dort aus weiter nach
Spanien zu gehen ( Röm 1,15; Röm 15,22-24 ). Lukas erwähnt
dieses letzte Reiseziel nicht, denn ihm ging es in der
Hauptsache um die Ausbreitung des Evangeliums bis nach Rom, dem
Zentrum der damaligen Welt. Nach Ansicht mancher Exegeten ist
das Lukasevangelium ganz auf Jerusalem konzentriert, während die
Apostelgeschichte die Ausbreitung der Botschaft von Jerusalem
aus nach Rom beschreibt. In diesen beiden Städten scheint der
Anfangs- und Endpunkt der Apostelgeschichte zu liegen.
Die Worte "Paulus nahm sich im Geist vor"
scheinen sich entweder auf Paulus selbst oder aber auf den
Heiligen Geist zu beziehen. Da das Verb jedoch "er hatte vor"
und nicht "er wurde geführt" bedeutet, ist wahrscheinlich von
einem eigenen Entschluß von Paulus die Rede.
Zunächst wollte er jedoch die Gemeinden in
Mazedonien und Achaja besuchen, um sie zu stärken und um die
Spenden für die Heiligen in Jerusalem einzusammeln.
Apg 19,22
An dieser Stelle betritt erneut Timotheus ,
den wir zuletzt mit Paulus in Korinth antrafen ( Apg 18,5 ), die
Bühne des Geschehens. Er und Erastus wurden nach Mazedonien
gesandt, offensichtlich, um Paulus' Ankunft vorzubereiten.
(Erastus wird auch in 2Tim 4,20 erwähnt.)
Apg 19,23-24
Vor der Abreise des Paulus aus Ephesus -
wie um ihm den Entschluß, die Stadt zu verlassen, zu erleichtern
- gab es noch einen Aufruhr. (Zu dem neuen Weg vgl. den
Kommentar zu Apg 9,2 .)
Nur zweimal in der Apostelgeschichte traf
Paulus auf Widerstand von seiten der Heiden : an dieser Stelle
und im Fall der Magd mit dem Wahrsagegeist in Philippi ( Apg
16,16-24 ). Beide Male ging es um finanzielle Interessen.
Zwei Göttinnen in Kleinasien führten den
Namen Artemis ( Diana ). Die von den Griechen verehrte
jungfräuliche Göttin der Jagd, die römische Diana, und die
Artemis der Epheser, eine Fruchtbarkeitsgöttin, die auf ihren
Abbildungen und Statuen stets mit vielen Brüsten dargestellt
ist. Wahrscheinlich war die ursprüngliche "Statue" ein Meteorit,
der in seiner Form einer Frau mit vielen Brüsten ähnelte (vgl.
Apg 19,35 ).
Die Goldschmiede , die Statuen ( silberne
Tempel ) dieser Gottheit anfertigten, befürchteten, daß die
Macht des Evangeliums ihnen das Geschäft verderben würde.
Apg 19,25-27
Demetrius (V. 24 ), ein Goldschmied, rief
die Angehörigen seiner Zunft zusammen und appellierte sowohl aus
geschäftlichen ( unser Gewerbe droht in Verruf zu geraten ) als
auch aus religiösen Gründen ( der Tempel der großen Göttin Diana
wird für nichts geachtet werden ) an sie, Paulus das Handwerk zu
legen. Die religiösen Gründe waren allerdings wohl nur ein
Vorwand, den Beteiligten ging es in erster Linie um ihre
finanziellen Interessen. Die Diana der Epheser wurde auch in
vielen anderen Städten verehrt. Paulus' Standpunkt, daß mit den
Händen gemachte Götzen keine Götter seien, bedrohte nun
anscheinend das einträgliche Gewerbe der Goldschmiede in
Ephesus.
Apg 19,28-29
Von Demetrius aufgestachelt, stürmten sie
einmütig zum Theater , dem größten Versammlungsort der Stadt, in
dem 25 000 Menschen Platz fanden. Als Zeichen ihres Widerstands
ergriffen sie Gajus und Aristarch (vgl. Apg 20,4 ). Gajus war in
damaliger Zeit ein weitverbreiteter Name; daher wissen wir nicht
genau, ob es sich um denselben handelte, von dem in Röm 16,23
und 1Kor 1,14 die Rede ist. Aristarch wird außer an dieser
Stelle noch in Apg 20,4 und Apg 27,2 erwähnt. Offensichtlich
entkamen die beiden diesem Aufstand ohne oder mit nur geringen
Verletzungen.
Apg 19,30-31
Diese Verse sind nicht nur ihrer direkten
Aussage wegen wichtig, sondern auch wegen ihrer Implikationen.
Paulus war bereit, das Evangelium zu verteidigen und sich dem
Volk zu stellen, doch die Christen ließen ihn nicht. Auch einige
der Oberen der Provinz Asien rieten ihm davon ab. Sie waren als
Asiarchen (wörtlich "Herrscher über Asien") mit den politischen
und religiösen Angelegenheiten der Stadt betraut. Wahrscheinlich
hatten sie auch gute Beziehungen zu Rom, was wiederum beweist,
daß das Christentum durchaus nicht immer schlecht mit der
römischen Verwaltung stand.
Apg 19,32-34
In diesem Abschnitt tritt Lukas' Sinn für
Humor ganz deutlich zutage. Die meisten wußten nicht, warum sie
zusammengekommen waren . Da die Juden Monotheisten waren und
jede Form von Götzendienst heftig bekämpften, schickten sie
Alexander vor , der einen öffentlichen Widerruf vorbringen
sollte: Sie waren nicht schuld daran, daß der Handel mit den
Bildern der Artemis rückläufig war! Doch der Antisemitismus
gewann die Oberhand, der Mob weigerte sich, einem Juden
überhaupt zuzuhören, und alles schrie wie aus einem Munde fast
zwei Stunden lang: Groß ist die Diana der Epheser!
Apg 19,35-39
Der Begriff Kanzler ( grammateus , wörtlich
"Schreiber") wird der Stellung dieses Mannes ganz gut gerecht.
Er war praktisch die Exekutive der Stadt; wenn er auftrat,
hörten die Menschen zu.
Zunächst sprach er über die Stellung von
Ephesus als Hüterin der großen Diana und ihres Bildes, das vom
Himmel gefallen ist . Der Nachsatz war wahrscheinlich eine milde
Zurechtweisung angesichts der Aussage von Vers 26 , daß mit
Händen gemachte Götter keine Götter sind. Diana, so
argumentierte er, war eben nicht mit Händen gemacht. Warum
sollten sie sich also von Paulus' Worten getroffen fühlen?
Zweitens hielt er der Menge vor Augen, daß Gajus und Aristarch
unschuldig waren, womit er gleichzeitig auch Paulus von jedem
Vorwurf freisprach (V. 37 ). Drittens wies er die Menschen auf
die legalen Wege, sich Gehör zu verschaffen, hin - die Gerichte
und Statthalter und eine ordentliche Versammlung (V. 38 - 39 ).
Diese Versammlung war jedenfalls nicht legal.
Apg 19,40-41
Schließlich warnte der nicht mit Namen
genannte Beamte die Leute noch vor den politischen Folgen einer
Empörung in der Stadt. Es würde ihnen schwerfallen, Rom diesen
Aufruhr zu erklären, und die Stadt lief Gefahr, einige ihrer
Privilegien einzubüßen. So wurde Paulus von jeglichem religiösen
und auch politischen Vorwurf freigesprochen.
Während seines Aufenthalts in Ephesus
schrieb Paulus den 1. Korintherbrief sowie einen früheren Brief
an die Korinther, der nicht zum biblischen Kanon gehört (vgl.
1Kor 5,9 ). Außerdem machte er einen dritten Besuch in Korinth,
von dem in der Apostelgeschichte nicht berichtet wird (vgl. 2Kor
12,14;13,1; vgl. "Persönliche und briefliche Kontakte" in der
Einführung zum 2. Korintherbrief).
b. Die Abreise aus Mazedonien und Achaja
( 20,1 - 6 )
Apg 20,1-2
Auf diesen Teil der dritten Missionsreise
geht Lukas wieder nur kurz ein. Der 2. Korintherbrief ( 2Kor
2,12-13 und 2Kor 7,5-7 ) enthält weitere Informationen über
Paulus' Zwischenaufenthalt in Troas, wo er ebenfalls das
Evangelium verkündete, und über seinen sehnlichen Wunsch, dort
Titus zu sehen, um Nachricht über die Gemeinde in Korinth zu
erhalten. Er traf ihn jedoch erst in Mazedonien (vgl. Apg 19,21
), wo er dann auch den 2. Korintherbrief schrieb.
Auf dieser Reise gelangte Paulus
wahrscheinlich sogar bis nach Illyrien, dessen Gebiet in etwa
dem heutigen Jugoslawien entspricht ( Röm 15,19; vgl. 2Kor 10,13
), und predigte auch dort das Evangelium.
Apg 20,3
Während seines dreimonatigen Aufenthalts in
Achaja schrieb er außerdem von Korinth aus den Römerbrief (vgl.
Röm 15,23- Röm 16,2 ).
Die Juden planten offensichtlich, Paulus
auf der Schiffsreise nach Syrien zu ermorden und seine Leiche
ins Meer zu werfen. Doch irgendwie hatte er von der Verschwörung
erfahren und beschloß, nicht den direkten Weg über das östliche
Mittelmeer zu nehmen, sondern durch Mazedonien zurückzukehren .
Wahrscheinlich hatte er vorgehabt, zum Passafest in Jerusalem zu
sein; jetzt konnte er nur noch hoffen, rechtzeitig zu Pfingsten
dort einzutreffen ( Apg 20,16 ).
Apg 20,4-6
Die Erwähnung der sieben Männer, die Paulus
begleiteten, zeigt seine Sorge um die Sammlung für die Armen in
Jerusalem, von der zuvor schon die Rede war. Als Abgeordnete
mehrerer Gemeinden trugen sie eine größere Summe Geldes bei
sich. Drei der Männer ( Sopater, Aristarch und Sekundus ) kamen
aus Mazedonien und vier aus Kleinasien ( Gajus, Timotheus,
Tychikus ; vgl. Eph 6,21; Kol 4,7; 2Tim 4,12; Tit 3,12; und
Trophimus ; vgl. Apg 21,29; 2Tim 4,20 ). In Troas wollten sie
sich mit Paulus treffen. Laut Apg 19,29 stammte Gajus "aus
Mazedonien", in Apg 20,4 wird jedoch gesagt, er komme aus Derbe
. Es handelte sich also wohl um zwei verschiedene Männer (vgl.
einen dritten Gajus aus Korinth; 1Kor 1,14 ).
Die Verse 5.6 enthalten die zweite
"wir"-Passage der Apostelgeschichte. Lukas, der in Kap. 16 in
Philippi zurückgelassen worden war, hatte sich anscheinend bis
jetzt dort aufgehalten. Nun schloß er sich der Gruppe wieder an
und begleitete Paulus nach Jerusalem. Das Fest der Ungesäuerten
Brote fand im Frühling statt. Sie legten die etwa 220 Kilometer
lange Reise von Philippi nach Troas in fünf Tagen zurück.
c. Die Predigt in Troas
( 20,7 - 12 )
Apg 20,7
An dieser Stelle findet sich der
eindeutigste Hinweis im Neuen Testament, daß der Sonntag der
Versammlungstag der apostolischen Kirche war. Paulus blieb
sieben Tage in der Stadt (V. 6 ), und die Gemeinde traf sich am
ersten Tag der Woche . Lukas benutzt an dieser Stelle nicht die
jüdische Zeitrechnung, die von Sonnenuntergang zu
Sonnenuntergang, sondern die römische, die von Mitternacht zu
Mitternacht rechnet. Diesmal steht das zweifelsfrei fest, denn
der "Tagesanbruch" (V. 11 ) war der nächste Tag (V. 7 ).
Wahrscheinlich traf sich die Gemeinde
nachts, weil die meisten Leute tagsüber arbeiten mußten. Da
Paulus sie am nächsten Tag verlassen wollte, war es wohl ihr
letztes Treffen, und er predigte bis Mitternacht .
Apg 20,8-10
Die einschläfernde Atmosphäre im Raum wurde
durch die vielen brennenden Lampen und die vielen Menschen noch
verstärkt. Der Sauerstoff im Zimmer war also wohl allmählich
sehr verbraucht.
Da passierte einem jungen Mann mit Namen
Eutychus (wörtlich: "der Glückliche") ein Unglück: er stürzte
aus dem Fenster. Doch er machte dabei seinem Namen alle Ehre.
Lukas, der Arzt, bestätigt, daß er, nachdem er vom dritten Stock
hinuntergefallen war, tot aufgehoben wurde . Die größeren Räume,
in denen auch Versammlungen abgehalten werden konnten, befanden
sich normalerweise in den oberen Stockwerken (vgl. den Kommentar
zu Apg 1,13 ). Wie Elia und Elisa ( 1Kö 17,21; 2Kö 4,34-35 )
umfing Paulus Eutychus und erweckte ihn auf diese Weise wieder
zum Leben . Der glückliche junge Mann (vgl. V. 9 ) wurde "lebend
hereingebracht" (V. 12 ).
Apg 20,11-12
Das Herrenmahl ( brach das Brot und aß ;
vgl. V. 7 ) war ein Bestandteil der normalen Abendmahlzeit. Das
Treffen dauerte dann noch bis Tagesanbruch.
d. Die Predigt in Milet
( 20,13 - 38 )
Apg 20,13-15
Offensichtlich blieb Paulus länger in
Troas, als er geplant hatte (V. 7 ). Um die Verzögerung wieder
wett zu machen, sandte er den Rest der Gruppe voraus. Der
Landweg von Troas nach Assos ist sehr viel kürzer als der
Seeweg, daher konnte Paulus es sich erlauben, noch länger in
Troas zu bleiben. Von Assos, wo die Gruppe Paulus wieder traf,
fuhren sie nach Mitylene, Chios, Samos und Milet . Die drei
letzten Etappen lagen jeweils eine Tagesreise auseinander.
Apg 20,16-17
In Ephesus machte Paulus diesmal nicht mehr
Halt, denn er eilte, am Pfingsttag in Jerusalem zu sein, wenn es
ihm möglich wäre , und er wußte, daß er durch den Abschied von
seinen vielen Freunden in Ephesus viel Zeit verlieren würde.
Milet lag etwa 50 Kilometer südlich von Ephesus, daher sandte er
nach Ephesus und ließ die Ältesten der Gemeinde rufen .
Offensichtlich lag sein Schiff mehrere Tage im Hafen von Milet
fest.
Apg 20,18
Hier beginnt eine weitere Beispielspredigt
des Paulus (vgl. Apg 13,16-41;14,15-17;17,22-31 ). Diesmal
sprach er zu Gemeindeältesten, Männern, die er sehr schätzte.
Die Ansprache besteht aus drei Teilen: (a) einer Übersicht über
die vergangenen drei Jahre seines Wirkens in Ephesus ( Apg
20,18-21 ), (b) einer Beschreibung der gegenwärtigen Lage (V. 22
- 27 ) und (c) der zukünftigen Pflichten der Ältesten in Ephesus
(V. 28 - 35 ).
Apg 20,19
Wie immer hatten die Juden auch in Ephesus
eine Verschwörung gegen Paulus angezettelt (der Aufruhr, von dem
in Apg 19 die Rede ist, war allerdings unter den Heiden
entstanden). Lukas spricht hier von Nachstellungen der Juden,
geht aber nicht näher darauf ein (vgl. Paulus' Worte in 1Kor
15,30-32;16,9; 2Kor 1,8-10 ).
Apg 20,20
Das Predigen und Lehren von Paulus in den
Häusern (vgl. Apg 2,46 ) wird seinen öffentlichen Auftritten
gegenübergesetzt und bezieht sich wahrscheinlich auf die
Hausgemeinden. Wenn ja, so war jeder dieser Ältesten
möglicherweise ein Vorsteher einer solchen Hausgemeinde.
Apostelgeschichte
Apg 20,21
Im griechischen Text sind die Worte Umkehr
und Glaube dadurch zusammengefaßt, daß sie nur einen Artikel
haben. Damit soll vielleicht deutlich gemacht werden, daß sie
zwei Aspekte des Vertrauens auf Christus zum Ausdruck bringen
(vgl. Apg 2,38 ). Wer an Christus glaubt, der wendet sich von
seinem früheren Unglauben ab und kehrt um. Diese Botschaft gilt
sowohl für Juden als auch für Griechen (d. h. Heiden; vgl. Apg
19,10; Gal 3,28 ).
Apg 20,22
Hier begann Paulus mit der Schilderung der
gegenwärtigen Umstände (V. 22 - 27 ). Die Wendung "durch den
Geist gebunden" ( dedemenos...tO pneumati ), bezog sich
wahrscheinlich auf die Leitung des Heiligen Geistes, die dem
Apostel immer wieder zuteil wurde (vgl. Lk 2,27; Lk 4,1; Apg
8,29;10,19;11,12;16,6-7 ). Der Grund, warum Paulus nach
Jerusalem fahren wollte, wird zwar nicht genannt, doch
offensichtlich lag ihm daran, die Spenden der heidnischen
Gemeinden für die Armen in Jerusalem persönlich zu überbringen (
Apg 24,17; vgl. den Kommentar zu Apg 21,12-14 ).
Apg 20,24-25
Wenn diese Verse zusammen gelesen werden,
wird klar, daß die Predigt vom Gottesreich und die Predigt des
Evangeliums von der Gnade Gottes zusammengehören. Gottes Werk
der Gnade ermöglicht es den gläubigen Heiden, gerettet zu werden
und ins Tausendjährige Reich des Herrn einzugehen.
Weil Paulus vor der Reise nach Jerusalem
gewarnt worden war (V. 23 ), schloß er seine Predigt damit, daß
die Ältesten aus Ephesus ihn nicht mehr sehen würden. Die
griechische Formulierung besagt dabei nur, daß sie als Gruppe
ihn nicht wiedersehen würden ( ihr alle (als Gruppe) werdet mein
Angesicht nicht mehr sehen ). Paulus sagte also nicht , daß kein
einziger von ihnen ihn wiedersehen würde (vgl. den Plural des
Verbes in V. 38 ). Es war sein Bestreben, "den Lauf zu
vollenden", was ihm, wie er später sagte, auch gelang ( 2Tim 4,7
).
Apg 20,26-27
In Übereinstimmung mit Hes 33,1-9 erklärte
Paulus, daß er rein sei vom Blut aller (vgl. den Kommentar zu
Apg 18,6 ). Er hatte "allen" (vgl. "allen Juden und Griechen,
die in der Provinz Asien wohnten"; Apg 19,10 ) das Evangelium,
d. h. den ganzen Ratschluß ( boulEn , "Zweck, Plan", vgl. Apg
2,23;4,28;13,36; Eph 1,11; Hebr 6,17 ) Gottes gepredigt.
Interessanterweise benutzte Paulus mehrere unterschiedliche
Worte für seine Missionarsrolle: (a) verkündigen (V. 27 ), das
von anangellO ("verkündigen, ankündigen") abstammt; (b) "lehren"
(von didasko, V. 20 ); (c) "bezeugen" (V. 21.24 ), das von
diamartyromai ("feierlich Zeugnis ablegen") kommt; und (d)
bezeugen ( martyromai , "zeugen", V. 26 ).
Apg 20,28
In Vers 28 - 35 kam Paulus dann auf die
zukünftige Verantwortung der Ältesten in Ephesus zu sprechen.
Zuallererst sollten sie auf sich selbst und ihre ganze Herde
achthaben ( prosechete , "sorgen für"). Bezeichnenderweise
mußten sie, bevor sie sich um die anderen kümmern konnten,
zunächst einmal darauf achten, wie es um ihren eigenen Glauben
stand.
An dieser Stelle werden die Ältesten
Bischöfe ( episkopous , von episkopeO , "sehen nach, sorgen
für") genannt. Der Begriff "Älteste" ist jüdischen Ursprungs und
hebt die Würde des Amtes hervor, wohingegen die Bezeichnung
"Bischöfe" aus dem Griechischen stammt und die Verantwortung des
Amtes, nämlich für die Herde "zu sorgen", in den Mittelpunkt
stellt.
Paulus unterstrich den Wert der Herde, über
die die Ältesten als Hirten ( poimainein ; Infinitiv Präsens;
vgl. 1Pet 5,2 ) eingesetzt wurden, indem er sie als Gemeinde
Gottes (d. i. die Kirche, die Gott gehört) bezeichnete und
darauf hinwies, daß Gott sie durch sein eigenes Blut erworben
habe (vgl. Ps 74,2 ). Die Bibel spricht allerdings nirgendwo vom
Blut des Vaters. Der griechische Urtext erlaubt hier auch die
Lesart "durch das Blut seines Eigentums", d. h. seines Sohnes.
Apg 20,29-31
Diese Verse erklären, warum Paulus den
Ältesten ihr eigenes Wohl und das der Herde so sehr ans Herz
legen mußte (V. 28 ). Falsche Lehrer, reißende Wölfe, würden
kommen und die Herde nicht verschonen , ja sogar Männer aus
ihrer Mitte würden Verkehrtes lehren . Diese Warnung wird durch
die Verweise auf die Vorgänge in der Gemeinde in Ephesus, die
wir im Neuen Testament finden, bestätigt ( 1Tim
1,6-7.19.20;4,1-7; 2Tim 1,15;2,16-18;3,1-9; Offb 2,1-7 ).
Nochmals forderte Paulus die Ältesten auf: Seid wachsam! und
warnte sie sogar unter Tränen (vgl. Apg 20,19 ) vor falschen
Lehrern.
Apg 20,32
Danach empfahl er sie zunächst Gott und
dann dem Wort seiner Gnade . Obwohl das Vertrauen auf Gott das
Entscheidende ist, muß es doch auch von Gehorsam gegenüber
seinem Wort begleitet werden. Erst beides zusammen führt zum
Aufbau der Kirche ( euch zu erbauen ) und macht die Gläubigen
mit allen, die geheiligt sind, zu Erben (vgl. Apg 26,18; Eph
1,18; Kol 1,12; 1Pet 1,4 ).
Apg 20,33-34
Paulus hatte stets selbst für seinen und
den Unterhalt seiner Begleiter gesorgt (vgl. Apg 18,3; Eph 4,28
).
Apostelgeschichte
Apg 20,35
Diese harte Arbeit hatte es ihm auch
ermöglicht, sich der Schwachen anzunehmen (vgl. 1Thes 5,14 ).
Das Jesuswort "geben ist seliger denn nehmen" findet sich in den
vier Evangelien nicht. Es handelt sich dabei wohlum eine
mündliche Überlieferung, die auf die Urkirche überkommen war.
Apg 20,36-38
Hier zeigt sich die tiefe Liebe der
Ältesten zu Paulus. Auf der Weiterreise nach Jerusalem ( Apg
21,1-17 ) werden noch mehr Beweise der Zuneigung, die die
Menschen ihm entgegenbrachten, erwähnt. Warum verweilt Lukas so
lange bei diesen Einzelheiten? Er wollte auf diese Weise den
Gegensatz zwischen der Aufnahme, die Paulus bei den Heiden
zuteil geworden war, und dem Empfang, den er in Jerusalem fand,
deutlich machen.
e. Die Warnungen auf dem Weg von Milet nach
Jerusalem
( 21,1 - 16 )
Apg 21,1
Auch jede dieser Etappen zu Schiff - von
Kos nach Rhodos und Patara - nahm einen Tag in Anspruch (vgl.
Apg 20,13-15 ).
Apg 21,2
Statt mit einem Boot, das jeden Abend einen
Hafen anlief, reiste Paulus mit einem Schiff, das offensichtlich
größer war und ohne Unterbrechung nach Phönizien segelte.
Apg 21,3-4
Auf dem Weg nach Süden kam Zypern in Sicht
, doch sie fuhren daran vorbei nach Syrien und landeten in
Tyrus, denn dort sollte das Schiff die Ware ausladen , ein
Unterfangen, das eine Woche in Anspruch nahm (V. 4 ). Die
Verfolgungen, denen die Urkirche in Jerusalem ausgesetzt war,
hatte viele Gläubige nach Phönizien verschlagen ( Apg 11,19 ),
wo Paulus sie nun besuchte.
Die sagten Paulus durch den Geist, er solle
nicht nach Jerusalem hinaufziehen. Tat Paulus also das Falsche,
wenn er auf seinem Vorhaben bestand? Mehrere Gründe sprechen
dafür, daß er mit seiner Beharrlichkeit im Recht war: (1) Apg
20,22 und 21,14 implizieren, daß es trotz allem der Wille Gottes
war, daß er nach Jerusalem ging (vgl. Apg 19,21 ). (2) Der
Trost, den Gott ihm zukommen ließ ( Apg 23,11 ), bestätigt
ebenfalls, daß er nicht gegen seinen Willen handelte. (3) In
23,1 sagt Paulus, daß er stets ein reines Gewissen hatte.
Die Warnung seiner Glaubensgenossen ( Apg
21,4 ) bedeutete also wohl nur, daß sie "durch den Geist"
wußten, daß er in Jerusalem leiden werde (vgl. Apg 20,23 ), und
deshalb natürlich versuchten, ihn von der Reise abzuhalten.
Apg 21,5-6
Das war Paulus' erste Begegnung mit der
Gemeinde in Tyrus, und bereits nach einer Woche hatte sich ein
starkes Band der Liebe zwischen ihnen entwickelt. Die
Abschiedsszene ist zwar nicht so ergreifend wie die in Milet (
Apg 20,37 ), aber dennoch beeindruckend.
Apg 21,7
Dann fuhr das Schiff etwa 30 Kilometer in
Richtung Süden, nach Ptolemaïs , dem heutigen Akre oder Akka, wo
es einen Tag vor Anker lag. Wahrscheinlich setzte sich auch die
dortige Gemeinde, wie die in Tyrus , aus Leuten zusammen, die
den Verfolgungen in Jerusalem, von denen in Apg 11,19 die Rede
war, entronnen waren.
Apg 21,8-9
Ob sie die 60 Kilometer nach Cäsarea zu
Land oder mit dem Schiff zurücklegten, wissen wir nicht genau,
doch wahrscheinlich wählten sie das letztere, da der Landweg
sehr viel mehr Schwierigkeiten bot und Cäsarea einen günstig
gelegenen Hafen hatte.
In Cäsarea wohnte Paulus bei Philippus dem
Evangelisten. Er war einer der Sieben (vgl. Apg 6,1-5 ), die in
Jerusalem als Finanzverwalter eingesetzt worden waren. Seine
evangelistische Arbeit ist in Kap. 8 beschrieben. Offensichtlich
lebte er bereits 20 Jahre in Cäsarea, der "römischsten" Stadt
Israels (vgl. Apg 8,40 ), als Paulus dort eintraf.
Der hatte vier unverheiratete Töchter (
parthenoi , wörtlich: "Jungfrauen"), die weissagten . Diese
Geistesgabe, die in der Frühzeit der Kirche offensichtlich noch
vorkam, war nicht auf Männer beschränkt (vgl. 1Kor 11,5 ). Daß
diese Mädchen, im Gegensatz zu all den anderen Propheten, nicht
von Paulus' bevorstehenden Leiden in Jerusalem sprachen, ist
überraschend.
Apg 21,10-11
Agabus, ein Prophet , der bereits in Apg
11,28 eingeführt wurde, kam aus Judäa herab - offensichtlich aus
Jerusalem. Er demonstrierte mit einer eindrucksvollen Pantomime,
wie es Paulus in Jerusalem ergehen würde.Schon im Alten
Testament hatten die Propheten ihre Weissagungen häufig bildlich
dargestellt (vgl. 1Kö 11,29-31; Jes 20,2-4; Jer 13,1-7; Hes 4 ).
Die Tatsache, daß Paulus ins Gefängnis geworfen würde, war außer
ihm selbst also noch mehreren Menschen bekannt ( Apg 20,23 ).
Apg 21,12-14
Nachdem sie diese Prophezeiung vernommen
hatten, baten Paulus' Gefährten und die aus dem Ort ihn, daß er
nicht hinauf nach Jerusalem zöge (vgl. V. 4 ). Auch Lukas schloß
sich der allgemeinen Bitte an, wie der Gebrauch des Pronomens
wir an dieser Stelle zeigt. Doch es gelang ihnen nicht, den
Apostel zu überreden.
Lukas geht zwar nicht darauf ein, doch
einer der Gründe, warum Paulus unter allen Umständen nach
Jerusalem gehen wollte, war sicherlich, daß er den dortigen
Glaubensbrüdern die Kollekte, die für sie gesammelt worden war,
überbringen wollte (vgl. Apg 24,17; Röm 15,25-27; 1Kor 16,1-4;
2Kor 8,13-14;9,12-13; Gal 2,10 ). Diese Übergabe war ihm so
ungemein wichtig, weil sie eine sichtbare Bestätigung seiner
grundlegenden Lehre der Einheit von Juden und Heiden in Christus
sein sollte ( Eph 2,11-22;3,6 ).
Apg 21,15-16
Die Entfernung von Cäsarea nach Jerusalem
betrug etwa 100 Kilometer, zu Pferd eine Zweitagesreise. Manche
sind der Ansicht, daß das Haus des Mnason auf halbem Wege lag
und Paulus und seine Begleiter dort übernachteten.
Wahrscheinlicher ist jedoch, daß Mnason in Jerusalem wohnte.
Interessanterweise stammte er aus Zypern, von der Insel also,
auf der auch Barnabas zu Hause war.
2. Die Gefangenschaft in Jerusalem
( 21,17 - 23,32 )
a. Die Festnahme des Paulus
( 21,17 - 36 )
(1) Das Gelübde ( Apg 21,17-26 )
Apg 21,17-19
Sobald wie möglich ersuchten Paulus und
seine Begleiter um eine Audienz bei Jakobus , dem Vorsteher der
Jerusalemer Gemeinde (vgl. Apg 15,13-21 ), und den Ältesten.
Lukas schreibt hier nur, daß Paulus der Gemeinde in Jerusalem
Bericht darüber erstattete, was Gott unter den Heiden durch
seinen Dienst getan hatte (vgl. Apg 14,27 ), doch offensichtlich
übergab er bei dieser Gelegenheit Jakobus in Gegenwart der
Ältesten auch die bedeutende Kollekte für die Heiligen in
Jerusalem ( Apg 24,17 ). Lukas übergeht diesen Vorgang
wahrscheinlich deshalb, weil er nichts mit seinem Hauptanliegen
in der Apostelgeschichte, der Verkündigung des Evangeliums unter
den Heiden, zu tun hat.
Apg 21,20-21
Als die Leiter der Jerusalemer Gemeinde vom
Wirken des Paulus unter den Heiden hörten, lobten sie Gott .
Zweifellos gaben sie in diesem Zusammenhang auch ihrem Dank für
das Opfer der Heiden für die Gläubigen in Jerusalem Ausdruck
(vgl. den Kommentar zu V. 12-14 ).
Neben der Freude über seinen Bericht wiesen
sie Paulus aber auch darauf hin, daß die gläubigen Juden, die
auch als Christen noch Eiferer für das Gesetz waren, einige
Vorbehalte gegen ihn hegten, weil ihnen falsche Nachrichten über
ihn zu Ohren gekommen waren. Es war zwar richtig, daß Paulus die
Heiden lehrte, daß die Beschneidung theologisch irrelevant war,
und es traf auch zu, daß er nicht von ihnen forderte, die
jüdischen Bräuche zu halten. Doch vor den Juden hatte er niemals
den Abfall von Mose gelehrt.
Apg 21,22-24
Jakobus und die Ältesten schlugen vor, daß
Paulus sich gemeinsam mit vier Männern, die ein Gelübde getan
hatten, reinigen und die Kosten für sie, daß sie ihr Haupt
scheren konnten, übernehmen sollte, um sich auf diese Weise das
Wohlgefallen der Judenchristen zu erwerben. Ob ihm das gelang,
schreibt Lukas jedoch nicht; ihm ging es um andere Dinge.
Die Einzelheiten des Gelübdes, von dem hier
die Rede ist, kennen wir nicht; wir können also nur raten, was
genau Paulus tun mußte. Offensichtlich hatten die vier einen
nasiräischen Eid abgelegt, an dessen Abschluß einige
kostspielige Opfer erforderlich waren (vgl. 4Mo 6,13-17 ), die
anscheinend ihre finanziellen Mittel überstiegen. Nun sollte
Paulus diese Kosten tragen und auf diese Weise seine Sympathie
für die "Eiferer für das Gesetz" zur Schau stellen.
War es ein Fehler, daß er diesem Abkommen
und damit dem jüdischen Gesetz zustimmte? Aus mehreren Gründen
muß diese Frage mit "nein" beantwortet werden: (1) Paulus selbst
hatte kurz zuvor ein nasiräisches Gelübde abgelegt ( Apg 18,18
). (2) Später berichtete er dem Statthalter Felix ohne Scham von
diesem Zwischenfall ( 24,17-18 ). (3) Was er hier tat,
bestätigte nur eines der Prinzipien seines Wirkens, nämlich den
"Juden ein Jude" zu sein und sich unter das Gesetz zu stellen,
um die, die darunter standen, zu gewinnen ( 1Kor 9,20 ). (4)
Eines der Ziele seiner Reise nach Jerusalem - außer der Übergabe
der Kollekte - war es gewesen, die Einigkeit von Juden und
Heiden voranzutreiben. (5) Paulus leugnete nicht die
"ein-für-allemal" geltende Wirkung des Opfers Christi, wenn er
Tieropfer darbrachte. Die Briefe, die er zu dieser Zeit bereits
geschrieben hatte (Galater, 1. und 2. Thessalonicher, 1. und 2.
Korinther, Römer) machen das ganz deutlich. Für ihn müssen diese
Opfer nicht mehr als Erinnerungen gewesen sein, und darin liegt
wohl auch die Bedeutung der Opfer im Tausendjährigen Reich ( Hes
43,18-46,24; Mal 1,11; Mal 3,3-4 ). (6) Paulus versicherte
später, daß er ein reines Gewissen habe ( Apg 23,1 ).
Apg 21,25-26
Die Ältesten versicherten Paulus, daß ihr
Vorschlag (vgl. V. 23 - 24 ) die frühere Entscheidung nicht
aufheben solle, und bestätigten nochmals den Beschluß des
Apostelkonzils (vgl. Apg 15,20.29 ). Daraufhin folgte Paulus
ihrem Rat und reinigte sich mit den vier Männern. Das
widersprach nicht seiner Lehre, daß Juden und Heiden nicht durch
das Gesetz gerettet würden. Er unterwarf sich damit lediglich
einem jüdischen Brauch, der nichts mit der Rettung oder
Heiligung der Menschen zu tun hatte.
Apg 21,27
(2) Der Gewaltausbruch des Volkes ( Apg
21,27-36 )
Die Opposition gegen Paulus, auf die er in
Jerusalem traf, ging nicht von gläubigen, sondern von
ungläubigen Juden aus. Einige Juden aus der Provinz Asien , wo
dem Evangelium großer Erfolg beschieden war, fachten einen
Aufruhr an. Diese Männer, die zum Pfingstfest nach Jerusalem
gekommen waren, erkannten sofort ihren alten Feind im Tempel und
erregten das ganze Volk und ergriffen ihn. Das war das sechste
Mal, daß Paulus mit seinem öffentlichen Auftreten einen Aufstand
verursachte ( Apg 14,19;16,19-22;17,5-8.13;19,25-34 ).
Apg 21,28-29
Die offenkundig falschen Beschuldigungen,
die sie gegen Paulus erhoben, ähnelten denen, die sie gegen
Stephanus vorgebracht hatten ( Apg 6,11.13-14 ). Auch der
Vorwurf, Paulus habe Griechen in den Tempel geführt , war
unberechtigt. Damit hätte er in den Augen der Juden die heilige
Stätte entweiht , denn Heiden durften nur bis in den Vorhof der
Heiden kommen. Auf einer Balustrade, die diesen Vorhof vom
eigentlichen Tempel trennte, wurden zwei Inschriften gefunden,
die Heiden bei Androhung der Todesstrafe davor warnten, diese
Grenze zu überschreiten. Wer sich nicht an diese Anordnung
hielt, war selbst für die Folgen verantwortlich (vgl. Eph 2,14
).
Der Vollzug dieser Strafe war den Juden von
der römischen Besatzungsmacht in diesem Ausnahmefall sogar dann
gestattet worden, wenn es sich um einen römischen Bürger
handelte.
Apg 21,30
Die ganze Stadt war in höchste Erregung
versetzt. Paulus wurde ergriffen und aus dem Tempel
(offensichtlich aus dem Hof der Männer) hinausgezogen. Danach
wurden sogleich die Tore zugeschlossen , so daß niemand aus dem
Hof der Heiden eindringen und ihn entweihen konnte.
Apg 21,31-32
Im Norden, direkt neben dem Tempel, lag die
Festung Antonia, von der zwei Treppen in den äußeren Tempelhof
hinabführten (vgl. die Skizze des Tempelbereichs und der Burg).
In der Festung waren Soldaten stationiert, deren Zahl während
der jüdischen Festzeiten stets erhöht wurde. Sie gehörten zur
zehnten römischen Legion. Der Oberst der Abteilung , Klaudius
Lysias (vgl. Apg 23,26 ), nahm sogleich Soldaten und Hauptleute
und lief hinunter zu der aufgebrachten Menge. "Oberst" ist die
Übersetzung von chiliarchos , Führer von tausend Soldaten ( Apg
25,23 ). Der Plural "Hauptleute" ( hekatontarchas , wörtlich:
"Führer von Hundert" oder Zenturionen) beweist, daß hier
mindestens 200 Soldaten aufmarschierten.
Apg 21,33-36
Die Männer befreiten Paulus aus den Händen
des Mobs, und der Oberst ließ ihn sofort festnehmen ( epelabeto
, dasselbe Verb ist in V. 30 mit "ergreifen" übersetzt) und mit
zwei Ketten fesseln . Die Verwirrung und Ausschreitungen nahmen
ein solches Ausmaß an, daß die Soldaten Paulus tragen mußten,
denn die Menge folgte und schrie: Weg mit ihm! In derselben
Stadt hatte einige Jahre zuvor eine aufgebrachte Menschenmenge
ganz ähnliche Parolen gegen den Herrn Jesus geschrien ( Lk
23,18; Joh 19,15 ).
b. Die Verteidigung des Paulus
( 21,37 - 23,10 )
(1) Vor dem Volk ( Apg 21,37-22,29 )
Apg 21,37-38
Der Oberst war erstaunt, daß Paulus
griechisch sprach, denn er hatte geglaubt, daß der Apostel ein
aufständischer Ägypter sei, nach dem die römische
Besatzungsmacht fahndete. Dieser Ägypter beherrschte
offensichtlich das Griechische nicht oder weigerte sich, es zu
sprechen.
In den Schriften von Josephus lesen wir von
einem ägyptischen Betrüger, der vorgab, ein Prophet zu sein.
Dieser Ägypter hatte angeblich 30 000 Anhänger um sich geschart
(Lukas, der es mit der historischen Wahrheit stets sehr genau
nimmt, spricht nur von viertausend , während Josephus eher dazu
neigte, Zahlen maßlos zu übertreiben) und war im Jahr 54 n. Chr.
vor den Ölberg gezogen. Er hatte seinem Gefolge versprochen, daß
sie Jerusalem einnehmen würden. Doch die römischen
Besatzungstruppen griffen das Aufrührerheer an und töteten einen
Teil der Leute. Der Rest wurde gefangengenommen oder zerstreut.
Dem Anführer gelang es jedoch zu entkommen.
Zweifellos wäre es den Israeliten sehr
recht gewesen, wenn sie dieses Aufrührers, der ihnen so große
Schwierigkeiten gemacht hatte, habhaft geworden wären. Als
Lysias von dem Aufruhr im Tempel erfuhr, nahm er daher an, daß
der Ägypter der Anlaß dazu gewesen sei und die Juden nun ihren
Zorn an ihm ausließen.
Apg 21,39-40
Paulus versicherte dem Obersten jedoch, daß
er ein Jude (der das Recht hatte, sich im Tempel aufzuhalten)
und Bürger von Tarsus war, wo er auch Griechisch gelernt habe.
Tarsus war bekannt für seine ausgezeichneten Schulen. Daß er
auch römischer Bürger war, verschwieg Paulus zunächst (vgl. Apg
22,23-29 ).
Als er die Erlaubnis erhielt, zum Volk zu
sprechen, trat er auf die Stufen der Festung, winkte dem Volk
mit der Hand und redete sie auf hebräisch an . (Die
Verkehrssprache, die damals imganzen Nahen Osten gesprochen
wurde, war Aramäisch.)
Seine Verteidigungsrede bestand aus drei
Teilen: (a) seinem Verhalten vor seiner Bekehrung ( Apg 22,1-5
), (b) seiner Bekehrung ( Apg 22,6-16 ) und (c) seinem Auftrag,
das Evangelium zu verkündigen ( Apg 22,17-21 ).
Apg 22,1
Die Anrede " Brüder und Väter" , mit der
Paulus seine Rede begann, hatte bereits Stephanus benutzt ( Apg
7,2 ). Dessen Rede und Märtyrertod hatten also wohl doch großen
Eindruck auf ihn gemacht (vgl. Apg 8,1 ).
Apg 22,2
Als die Leute hörten, daß er hebräisch zu
ihnen redete, wurden sie noch stiller . Zweifellos waren sie
überrascht, und es gefiel ihnen auch, daß ein Jude aus der
Diaspora - wie Paulus es war - das Griechische und das
Hebräische beherrschte. Daher beruhigten sie sich und hörten zu.
Apg 22,3-9
Wieviele Jahre Paulus als Kind in Jerusalem
verbrachte (vgl. Apg 26,4 ), wissen wir nicht. Das mit
aufgewachsen übersetzte Wort stammt von anatrephO ; es bedeutet
auch "erziehen". Einer seiner Mentoren war jedenfalls der von
allen verehrte und hochgeschätzte Gamaliel (vgl. Apg 5,34 ).
Worum es Paulus hier ging, liegt auf der
Hand. Früher hatte er sich ganz dem Gesetz und der Ausrottung
des Christentums verschrieben. (Zu der neuen Lehre vgl. den
Kommentar zu Apg 9,2; vgl. auch Apg 19,9.23;24,14 .) Er war
seiner Sache damals so sicher gewesen, daß nur eine radikale,
übernatürliche Wandlung ihn auf einen anderen Weg bringen
konnte. Auf dieses einschneidende Ereignis kam er nun zu
sprechen ( Apg 22,6-9; vgl. Apg 9,1-6 ).
Apg 22,10-11
Die Aussage "dort wird man dir alles sagen,
was dir zu tun aufgetragen ist" (vgl. Apg 9,6 ), weist voraus
auf Paulus' zukünftiges Wirken und seine Worte in Apg 22,14-15 .
Apg 22,12-13
Wie sehr er sich in seiner Rede auf seine
jüdischen Hörer einstellte, sieht man an den Worten, mit denen
er ihnen Hananias beschrieb: Ein gottesfürchtiger Mann, der sich
an das Gesetz hielt und einen guten Ruf bei allen Juden hatte,
die dort wohnten . In Apg 9 war von all dem nicht die Rede.
Seine Anrede Bruder meint dasselbe wie in Apg 22,5 ,wo die Juden
in Damaskus als "Brüder" der Juden in Jerusalem bezeichnet
werden.
Apg 22,14-15
Der Verweis darauf, daß Paulus Christus,
den Gerechten, sehen sollte, ist wichtig, weil er damit zum
Apostel berufen wurde (vgl. 1Kor 9,1; Apg 15,8 ). Auch Stephanus
hatte den Terminus "Gerechter" für Jesus benutzt ( Apg 7,52 ).
Zu allen Menschen , denen Paulus das Evangelium verkünden
sollte, gehörten neben den Juden auch die Heiden und ihre Könige
( Apg 9,15 ).
Apg 22,16
Dieser Vers wirft zwei Fragen auf. Erstens:
Wann wurde Paulus gerettet - auf der Straße nach Damaskus oder
im Haus von Judas? Mehrere Gründe sprechen dafür, daß es bereits
auf der Straße nach Damaskus geschah: (1) Das Evangelium wurde
ihm direkt von Christus verkündigt ( Gal 1,11-12 ), nicht erst
später durch Hananias. (2) Seine Antwort ( Apg 22,10 ) zeigte,
daß er bereits glaubte. (3) Er wurde schon vor der Wassertaufe
mit dem Heiligen Geist erfüllt ( Apg 9,17-18 ). (4) Das
griechische Partizip Aorist, epikalesamenos , übersetzt mit:
rufe seinen Namen an , bezieht sich entweder auf eine
gleichzeitige Handlung oder eine, die vor der, von der das
Hauptverb spricht, stattfand. Seine Anrufung des Namens Christi
(um Rettung) ging also seiner Wassertaufe voraus. (Man könnte
das Partizip auch mit "nachdem er seinen Namen angerufen hatte"
übersetzen.)
Zweitens: Was bedeuten die Worte: Laß deine
Sünden abwaschen ? Beinhalten sie, daß die Rettung von der
Wassertaufe abhängig ist? Da Paulus bereits spirituell rein war
(vgl. die Feststellungen in der vorhergehenden Klammer), müssen
die Worte sich auf die Symbolik der Taufe beziehen. Die Taufe
ist ein äußerliches Bild für Gottes inneres Werk des Abwaschens
der Sünden (vgl. 1Kor 6,11; 1Pet 3,21 ).
Apg 22,17-18
Laut Apg 9,29 - 30 hatte Paulus Jerusalem
verlassen, weil ihm seine christlichen Brüder dazu geraten
hatten. Es war also eine Kombination aus göttlicher Offenbarung
( Apg 22,17-18 ) und menschlicher Führung, die Paulus nach
Tarsus gehen ließ.
Apg 22,19-20
Die Antwort, die Paulus dem Herrn gab,
zeigte, daß er der Ansicht war, daß die radikale Veränderung,
die sich in seinem Leben zeigte, die Juden beeindrucken würde;
schließlich war er zuvor einer der eifrigsten Verfolger der
Christen gewesen ( Apg 8,3;9,1-2;22,4-5;26,11 ), der sogar am
Märtyrertod des Stephanus beteiligt gewesen war ( Apg 7,58;8,1
).
Apg 22,21-22
Als Paulus dann jedoch auf seinen Auftrag,
den Heiden das Evangelium zu verkündigen, zu sprechen kam,
flackerten erneut Wut und Gewalttätigkeit in der Menge auf. Das
hing allerdings nicht allein mit der Predigt vor den Heiden
zusammen; auch die jüdischen Theologen hatten ja den Heiden
gepredigt (vgl. Mt 23,15 ). Was die Juden so aufbrachte, war
Paulus' Aussage, daß Juden und Heiden gleichgestellt waren, ohne
daß letztere das mosaische Gesetz befolgen mußten (vgl. Eph
2,11-22;3,2-6; Gal 3,28 ).
Die Reaktion der Juden in Jerusalem ist
wichtig für den Gedankengang der Apostelgeschichte. Sie beweist,
daß Israel das Evangelium Jesu Christi nun unwiderruflich
verworfen und damit sein Schicksal besiegelt hatte. Nicht ganz
20 Jahre später, im Jahr 70 n. Chr., wurde Jerusalem denn auch
völlig zerstört (vgl. Mt 24,1-2; s. auch Mt 21,41;22,7 ). Das
bedeutet natürlich nicht, daß Israel nicht in der Zukunft
wiederhergestellt werden wird (vgl. Röm 11,26 ).
Apg 22,23-24
Die Menschen warfen ihre Kleider ab und
wirbelten Staub in die Luft als Zeichen ihres Ärgers. Der
Oberst, der kein Hebräisch verstand, war verwirrt. Doch er war
entschlossen, diesen Vorfällen auf den Grund zu gehen, selbst
wenn er Paulus dafür geißeln lassen mußte.
Bei dieser Geißelung handelte es sich um
eine andere Strafe als die Schläge, die Paulus in Philippi und
bei zwei anderen Gelegenheiten bekam ( 2Kor 11,25; Apg 16,22-23
), und auch um eine andere als die 39 Peitschenhiebe, die er
fünfmal über sich ergehen lassen mußte ( 2Kor 11,24 ). Die
römische Geißel bestand aus einem starken hölzernen Griff mit
kürzeren Lederriemen, an deren Enden sich kleine Metall- oder
Knochenstückchen befanden. Die Gefahr, einen Menschen damit zu
töten oder für immer zum Krüppel zu schlagen, war sehr groß.
Auch Christus hatte diese Strafe erlitten ( Mt 27,26 ) und war
danach nicht mehr in der Lage gewesen, sein Kreuz zu tragen.
Apg 22,25-27
Ein römischer Bürger durfte erst dann
gegeißelt werden, wenn seine Schuld zweifelsfrei erwiesen war.
Durch eine Frage lenkte Paulus die Aufmerksamkeit des
Hauptmanns, der die Geißelung überwachen sollte, auf diese
Tatsache. Als man dem Oberst von seiner Aussage Bericht
erstattete, konnte er kaum glauben, daß Paulus, gegen den die
Juden einen solchen Haß gezeigt hatten, tatsächlich ein
römischer Bürger war.
Apg 22,28
In der Regierungszeit des Kaisers Klaudius
(41 - 54 n. Chr.; vgl. die Tabelle zu den römischen Kaisern bei
Lk 2,1 ) war es möglich, das römische Bürgerrecht käuflich zu
erwerben. Die Regierungsbeamten, die dieses Vorrecht verkauften,
konnten sich mit dem Bestechungsgeld, das sie bei derartigen
Transaktionen erhielten, eine goldene Nase verdienen. Paulus
jedoch war, im Gegensatz zu dem Oberst, der sich das Bürgerrecht
Roms erkaufen mußte, als römischer Bürger geboren .
Apg 22,29
Als der Oberst vernahm, daß es ein
römischer Bürger war, den er hatte festbinden lassen , fürchtete
er, daß Rom von dieser Verletzung des Gesetzes erfahren könnte.
Bei den Ketten handelte es sich wahrscheinlich um die, die ihm
für die Geißelung angelegt worden waren. Auch später wurde
Paulus, ein römischer Bürger, nochmals in Ketten gelegt ( Apg
26,29 ).
Konnte nun nicht jeder einfach eine
Geißelung umgehen, indem er behauptete, römischer Bürger zu
sein? Das ist möglich; wenn sich allerdings herausstellte, daß
er gelogen hatte,mußte er mit der Todesstrafe rechnen.
Apg 22,30
(2) Vor dem Hohen Rat ( Apg 22,30-23,10 )
Inzwischen war dem Obersten klar geworden,
daß die Juden als Ankläger gegen Paulus auftraten (vgl. V. 23-29
). Die beste Möglichkeit, Licht in diese dunkle Angelegenheit zu
bringen, war eine Anhörung vor dem Hohen Rat. Wenn sich dabei
herausstellte, daß Paulus unschuldig war, konnte er ihn
entlassen, wenn die Vorwürfe jedoch berechtigt waren, konnte der
Fall dem Procurator, dem römischen Statthalter, übergeben
werden.
Apg 23,1-2
Hier wird der Ton, in dem diese kurze
Verhandlung verlief, beschrieben. Nachdem Paulus darauf
hingewiesen hatte, daß er in der Ausübung seines Auftrags stets
ein gutes Gewissen hatte (vgl. Apg 24,16; 1Kor 4,4 ), befahl der
Hohepriester Hananias denen, die um ihn standen, ihn auf den
Mund zu schlagen . Das entspricht dem, was wir von Josephus über
Hananias wissen; er beschrieb ihn als anmaßend, jähzornig,
weltlich gesinnt und habgierig. In der Tatsache, daß ein anderer
Hananias Paulus zu Beginn seiner Laufbahn wieder zum Augenlicht
verhalf, liegt eine gewisse Ironie.
Apg 23,3-5
Auf diese Aufforderung hin, die klar der
Prozeßordnung widersprach, geriet auch Paulus in Zorn. Wie
konnte der Hohepriester das Gesetz verletzen, während er über
jemanden zu Gericht saß, der angeblich eben dieses Gesetz
übertreten hatte? Nach jüdischem Gesetz war ein Angeklagter so
lange unschuldig, bis seine Schuld erwiesen war. Wie eine
getünchte Wand bot Hananias nach außen ein makelloses Bild, war
jedoch in seinem Innern schwach und verderbt. Auch Jesus wurde
in seinen Verhandlungen auf den Mund geschlagen und hatte
ebenfalls Einspruch dagegen erhoben ( Joh 18,20-23 ).
Paulus' Aussage "liebe Brüder, ich wußte es
nicht, daß er der Hohepriester ist" stellt wieder einmal ein
Problem dar. Sie konnte kaum etwas mit seinen schlechten Augen
zu tun haben, denn er hatte den Hohen Rat doch direkt ( atenisas
, wörtlich: "ganz genau ansehen") "angesehen" ( Apg 23,1 ).
Vielleicht gab Paulus hier auf ironische Weise seiner Ansicht
Ausdruck, daß man von einem Hohenpriester ein solches Verhalten
- eine Verletzung des Gesetzes - zuallerletzt erwartete. Das
Wort "Brüder" (V. 5 ) macht diese Deutung jedoch
unwahrscheinlich. Möglicherweise herrschte tatsächlich ein
solches Durcheinander, daß der Hohepriester, der hier mit
Sicherheit nicht seine Amtskleidung trug, nicht auszumachen war.
Darüber hinaus kannte Paulus Hananias wahrscheinlich nicht
persönlich, da er lange Jahre nicht in Jerusalem gewesen war und
dieses Amt häufig neu besetzt wurde (vgl. die Tabelle zur
Familie des Hananias bei Apg 4,5-6 ).
Auf jeden Fall erkannte Paulus in seiner
Äußerung das Amt des Hohenpriesters an, wenn er ihn auch als
Menschen nicht respektieren konnte.
Apg 23,6-9
Jedenfalls war in einem solchen Umfeld
keine Gerechtigkeit zu erwarten. Als Paulus das erkannte,
änderte er seine Taktik und rief, daß er um der Hoffnung und um
der Auferstehung der Toten willen , worin er mit den Pharisäern
übereinstimmte (zu "um der Hoffnung willen" vgl. Apg
24,15;26,6-7;28,20 ), angeklagt sei. Das unterbrach den Verlauf
des Prozesses auf der Stelle, denn es brach ein Streit zwischen
den Pharisäern und den Sadduzäern aus (vgl. Apg 4,1-2 ). Es war
Paulus also gelungen, seine Feinde in zwei Lager zu spalten.
Überraschenderweise verteidigten die Pharisäer ihn nun, da er
sich als Glaubensgenosse herausgestellt hatte.
Apg 23,10
Hier, inmitten der Juden, war Paulus in
größerer Gefahr, als er es je in einem römischen Gefängnis
gewesen war. Daher wurde er von dem römischen Oberst in die Burg
Antonia zurückgebracht (vgl. Apg 21,35 ).
c. Paulus in Gefahr
( 23,11 - 32 )
Apg 23,11
Die Bedeutung der Erscheinung, die ihm in
der folgenden Nachtzuteil wurde, lag nicht nur in dem Trost und
der Ermutigung, die sie Paulus brachte (vgl. Apg 18,9-10 ),
sondern auch in der Bestätigung für seinen Plan, nach Rom zu
gehen. Das Evangelium Christi sollte also wirklich durch den
Apostel Paulus von Jerusalem nach Rom gebracht werden. Das war
die vierte Vision des Apostels (vgl. Apg 9,4-6;16,9;18,9-10 ).
Apostelgeschichte
Apg 23,12-13
Der Haß des Volkes gegen Paulus war so
groß, daß sich sogleich am nächsten Tag mehr als vierzig
fanatische Juden zusammenrotteten und schworen, weder zu essen
noch zu trinken, bis sie Paulus getötet hätten (vgl. die
Versuche der Menge, ihn zu töten; Apg 21,31 ). Das griechische
Verb für "schwören" an dieser Stelle ist anathematizO (daher das
"Anathema"); es bedeutet, daß eine Person sich unter einen Fluch
stellt, wenn sie ihren Schwur nicht erfüllt. Vermutlich wurden
diese Männer später durch Anwälte von ihrem Schwur entbunden, da
sich in einer Reihe dramatischer Ereignisse die Umstände von
Paulus' Gefangenschaft völlig änderten.
Apg 23,14-15
Die Komplizenschaft der Hohenpriester und
Ältesten in diesem Komplott zeigt, daß beide im Grunde genommen
nichts gegen Paulus vorzubringen hatten und sie ihn deshalb auf
illegale Weise beseitigen mußten. Außerdem offenbart die
Verschwörung den Charakter der Beteiligten. Auch der Fanatismus
der 40 Männer muß geradezu erschreckende Ausmaße angenommen
haben, denn falls ihr Plan gelungen wäre, wären einige von ihnen
mit Sicherheit bei dem Versuch, Paulus' Wachen zu überwältigen,
umgekommen.
Apg 23,16-22
Ein Neffe von Paulus, der nicht mit Namen
genannt wird, hörte jedoch von dem Anschlag . Es gelang ihm, in
die Festung zu kommen und Paulus und auch den Oberst davon zu
unterrichten. Auch hier gibt es viele ungelöste Fragen. War
Paulus' Neffe Christ? Wie kam er zu der Information? Lebte
Paulus' Schwester in Jerusalem? Wenn Paulus Verwandte in
Jerusalem hatte, warum wohnte er dann nicht bei ihnen?
Der Neffe war ein junger Mann (V. 17 -
19.22 ). Das griechische Wort dafür, neanias , das in Vers 17
benutzt wird, war bereits früher für Paulus ( Apg 7,58 ) und
Eutychus ( Apg 20,9 ) verwendet worden. Es bezieht sich
wahrscheinlich auf einen Mann zwischen zwanzig und dreißig
Jahren. (In 23,18.22 steht neaniskos , ein Synonym für neanios
.) Als der Oberst von dem Plan hörte, gebot er Paulus' Neffen,
niemandem zu sagen, daß er ihm das eröffnet hätte .
Apg 23,23-24
Der Oberst beschloß, Paulus aus der
Gefahrenzone herauszubringen, und traf alle Vorkehrungen für
eine sichere Überführung. Zu seiner Begleitung stellte er über
470 Männer ab - zwei Hauptleute, zweihundert Soldaten (ein
Hauptmann führte einhundert Soldaten an), siebzig Reiter und
zweihundert Schützen. Um neun Uhr abends rückten sie mit dem
Gefangenen im Schutz der Nacht aus nach Cäsarea, einer sehr viel
ruhigeren Stadt, deren Einwohner nicht so zu Aufständen neigten
wie die Jerusalemer. Zum dritten Mal (!) stahl Paulus sich
heimlich, bei Nacht und Nebel, aus einer Stadt davon (vgl.
Damaskus, Apg 9,25; Thessalonich, Apg 17,10 ).
Apg 23,25-30
Wenn ein untergeordneter Beamter seinem
Vorgesetzten einen Gefangenen überstellte, so mußte er den
Transport begleiten und einen schriftlichen Bericht über den
Fall abliefern.
Dieser Brief von Klaudius Lysias enthielt
die wesentlichen Einzelheiten der Vorfälle. Der Oberst blieb
zwar nicht ganz bei der Wahrheit, als er sagte, daß er Paulus
den Juden entrissen hatte (V. 27 ), denn in Wirklichkeit hatte
er von einem seiner Untergebenen erfahren, daß Paulus römischer
Bürger war ( Apg 22,26 ). Auch den Entschluß, Paulus geißeln zu
lassen, verschwieg er wohlweislich (vgl. Apg 22,25.29 ). Die
Bedeutung dieses Dokumentes zeigt sich in Apg 23,29 : Der Oberst
erklärte, daß Paulus seiner Ansicht nach unschuldig sei. Vgl.
dazu ähnliche Kommentare von Gallio ( Apg 18,14-15 ), dem
Kanzler in Ephesus ( Apg 19,40 ), den Pharisäern ( Apg 23,9 ),
Festus ( Apg 25,25 ) und Herodes Agrippa II. ( Apg 26,31-32 ).
Apg 23,31-32
Die Entfernung zwischen Jerusalem und
Antipatris betrug über 50 Kilometer. Es muß also ein
Gewaltmarsch gewesen sein, den die Abteilung mit ihrem
Gefangenen in dieser Nacht zurücklegte, denn sie kamen bereits
am nächsten Tag dort an. Vor allem die Strecke zwischen
Jerusalem und Lydda oder Joppe (dem heutigen Lod; vgl. Apg
9,32-43 ), etwa zehn Kilometer vor Antipatris, war sehr
schwierig und bot gute Möglichkeiten für einen Hinterhalt. Doch
als sie Antipatris erst einmal erreicht hatten, waren die
Soldaten nicht mehr nötig. Die restlichen 50 Kilometer nach
Cäsarea waren weniger gefährlich.
3. Die Gefangenschaft in Cäsarea
( 23,33 - 26,32 )
a. Paulus' Verteidigungsrede vor Felix
( 23,33 - 24,27 )
Apg 23,33-35
Als die Reiter (V. 32 ) mit Paulus zusammen
in Cäsarea ankamen, hielt Felix, der Statthalter Roms in Judäa,
eine kurze Voruntersuchung ab. Felix war von 52 - 58 n. Chr.
Procurator von Judäa. Er ist einer der drei römischen
Procuratoren, die im Neuen Testament erwähnt werden. Die anderen
sind Pontius Pilatus (26 - 36 n. Chr.) und Porcius Festus (58 -
62 n. Chr.). Felix war mit Drusilla ( Apg 24,24 ), einer
Schwester des Herodes Agrippa II., von dem in Apg 25,13-26,32
die Rede ist, verheiratet (vgl. die Tabelle zur Dynastie des
Herodes bei Lk 1,5 ).
Als Felix erfuhr, daß Paulus aus Zilizien
sei , beschloß er, sich selbst um den Fall zu kümmern.
Offensichtlich konnte ein solcher Prozeß in der Provinz des
Angeklagten oder auch in der Provinz, in der das Verbrechen
stattgefunden haben sollte, verhandelt werden. Die Frage, aus
welchem ( poias ) Land Paulus kam, war also sehr wichtig. In der
damaligen Zeit war Zilizien keine eigene Provinz, sondern war
dem Legaten von Syrien unterstellt, dessen Stellvertreter Felix
war. Der wollte den Gesandten aber nicht mit einer solchen
Lappalie behelligen und sich auch nicht den Zorn der Juden
zuziehen, indem er sie zwang, ihren Fall in Paulus' weit
entfernter Heimatstadt Tarsus vorzutragen. So blieb ihm
eigentlich nur die Möglichkeit, selbst über diese Sache zu
Gericht zu sitzen. Doch zuvor mußten Zeugen gegen Paulus
aufgetrieben werden (vgl. Apg 23,30 ).
Apg 24,1
Der Hohepriester selbst kam , zusammen mit
einigen Ältesten aus dem Hohen Rat, nach Cäsarea herab. Sie
hatten einen Anwalt ( rhEtoros , ein öffentlicher Redner, ein
Begriff, der nur an dieser Stelle im Neuen Testament vorkommt),
Tertullus , bei sich, der Felix den Fall vortragen sollte.
Apg 24,2-4
Dieser Anwalt brauchte für seine Einleitung
fast ebenso lange wie für die Anschuldigungen, die gegen Paulus
erhoben wurden. Seine Beschreibung von Felix war pure
kriecherische Heuchelei, denn dieser Statthalter war bekannt für
sein rücksichtsloses und gewaltsames Vorgehen, für seine
korrupte Haltung und seinen Hang zur Prahlerei. Er war ein
ehemaliger Sklave, der sich beim Kaiserhof lieb Kind machen
wollte. Tacitus, ein römischer Historiker, faßte seinen
Charakter in dem beißenden Kommentar zusammen: "Er übte die
kaiserliche Macht mit der Gesinnung eines Sklaven aus."
Apg 24,5-8
Drei Anklagen wurden gegen Paulus erhoben:
(1) Er habe auf dem ganzen Erdkreis Aufruhr erregt . (2) Er sei
ein Anführer der Sekte der Nazarener . (3) Er versuche, den
Tempel zu entweihen .
Die erste Beschuldigung hatte politischen
Charakter, denn den Römern lag sehr an Ruhe und Ordnung in ihrem
Reich.
In der zweiten ging es um die römische
Provinzialverwaltung, also auch um Politik, denn der Anwalt der
Juden, Tertullus, stellte es so hin, als ob die Christen sich
als eigene Religion von den Juden abgespalten hätten. Rom aber
hatte zwar dem Judentum den Status einer religio licita (einer
rechtmäßigen Religion) zugestanden, tolerierte jedoch keine
neuen Religionen. Indem der Anwalt das Christentum als "Sekte" (
haireseOs , "Fraktion, Partei, Schule"; daher "Häresie") der
Nazarener bezeichnete, stellte er den Glauben des Apostels in
eine Reihe mit den bizarren Auswüchsen mancher Mysterienkulte.
Auch in der dritten Anklage, der Entweihung
des Tempels, schwangen politische Untertöne mit, denn die Römer
hatten den Juden gestattet, jeden Heiden, der über den Vorhof
der Heiden hinaus in den Tempel eindrang, hinzurichten (vgl. Apg
21,28 ). An diesem Punkt veränderte Tertullus die ursprüngliche
Anklage ( Apg 21,28 ). War Paulus zunächst vorgeworfen worden,
einen Heiden (Trophimus, den Epheser) in den Tempel gebracht zu
haben, so wurde ihm nun zur Last gelegt, daß er versucht habe,
den Tempel zu entweihen. Der Satz "ihn haben wir ergriffen" war
eine völlige Entstellung des wirklichen Vorgangs, denn er klang
so, als hätten sie Paulus ursprünglich lediglich gefangennehmen,
nicht etwa töten wollen.
Apg 24,9-10
Nachdem die Juden bestätigt hatten, daß ihr
Anwalt die Wahrheit gesagt hatte, erhielt Paulus die Gelegenheit
zu sprechen.
Seine Einleitung war sehr viel kürzer und
blieb auch näher an der Wahrheit. Er setzte voraus, daß Felix
die Lage in Judäa gut genug kannte, um eine gerechte
Entscheidung zu fällen.
Apg 24,11
Zu seiner Verteidigung führte er mehrere
Punkte an. Zunächst einmal war er überhaupt nicht lange genug in
Jerusalem gewesen, um einen Aufruhr anzuzetteln. Er war vielmehr
in die Stadt gekommen, um anzubeten und das Pfingstfest zu
feiern ( Apg 20,16 ). In Apg 24,17 - 18 wird dann noch ein
weiterer Grund genannt.
Apg 24,12-13
Zweitens konnten seine Verleumder nicht ein
einziges Beispiel nennen, wie er mit jemandem gestritten oder
einen Aufruhr im Volk gemacht hätte .
Apg 24,14-16
Drittens diente er dem Gott Israels in
voller Übereinstimmung mit dem Gesetz und den Propheten (vgl.
Apg 26,22;28,23 ). (Zum Terminus "das Gesetz und die Propheten"
vgl. Mt 5,17 .) Darüber hinaus gehörte er nicht einer Sekte,
sondern dem Christentum an, das als der Weg bekannt war (vgl.
Apg 9,2;19,9.23;22,4;24,22 ). Seine Hoffnung auf die
Auferstehung (vgl. Apg 23,6;26,6-7 ) entsprach dem Glauben
seiner Ankläger (Paulus ging davon aus, daß auch Pharisäer
anwesend waren). Damit sagte er, daß das Christentum aus dem
Alten Testament entstanden sei. Schließlich übte er sich,
allezeit ein unverletztes Gewissen zu haben (vgl. Apg 23,1 ).
"Unverletzt" ist die Übersetzung von aproskopon (wörtlich:
"nicht zum Stolpern verführen, nicht verletzen"), das nur noch
zweimal im Neuen Testament verwendet wird, beide Male von Paulus
selbst ( 1Kor 10,32; Phil 1,10 ).
Apg 24,17
An dieser Stelle ist das einzige Mal in der
Apostelgeschichte davon die Rede, daß Paulus die Spende der
heidnischen Gemeinden nach Jerusalem brachte. Die Darstellung
des Lukas konzentrierte sich auf andere Punkte. Für Paulus
dagegen war die Kollekte ungemein wichtig, wie man aus den
zahlreichen Anspielungen in seinen Briefen ersehen kann ( Röm
15,25-28; 1Kor 16,1-4; 2Kor 8,13-14;9,12-13; Gal 2,10 ).
Was meinte Paulus mit den Worten: Ich bin
nach Jerusalem gekommen, um zu opfern? Vielleicht die Tatsache,
daß er in den Tempel ging, um zu opfern ( Apg 24,18 ).
Wahrscheinlicher ist allerdings, daß er von Opfern sprach, die
er Gott zum Dank dafür, daß er ihn in seinem Amt gesegnet hatte,
darbringen wollte.
Apg 24,18
Wieder versicherte Paulus, daß er
seinerseits nicht das Geringste mit der Entstehung des Aufruhrs
zu tun hatte (vgl. V. 12 ), wohl aber seine Ankläger.
Apg 24,19-21
Schließlich führte er noch an, daß seine
eigentlichen Ankläger, die Juden aus der Provinz Asien , die als
erste die falschen Beschuldigungen gegen ihn vorgebracht hatten
und in Wirklichkeit für den Aufruhr im Tempel verantwortlich
waren, nicht anwesend seien (vgl. Apg 21,27 ). Da der Hohe Rat
ihn keiner Schuld hatte überführenkönnen ( Apg 23,1-9 ), konnte
Tertullus also keine einzige gerechtfertigte Klage gegen ihn
vorbringen.
Apg 24,22
Auf welche Weise Felix etwas über das
Christentum erfahren hatte, können wir nur vermuten.
Möglicherweise hatte seine Frau Drusilla, eine Tochter von
Herodes Agrippa I. und Schwester von Herodes Agrippa II., ihm
davon erzählt. Als Jüdin hatte (V. 24 ) sie wahrscheinlich von
dem "neuen Weg" gehört. Doch auch Felix selbst konnte wohl kaum
mehrere Jahre in Judäa regieren, ohne etwas von dem neuen
Glauben der Urkirche zu wissen.
Statt eine für die jüdischen Ankläger
ungünstige Entscheidung zu treffen, zog Felix die Sache jedoch
hin. Er wollte erst dann eine Entscheidung fällen, wenn der
Oberst Lysias kam. Das war jedoch nur ein Vorwand, Felix lag nur
daran, den Prozeß zu verschleppen.
Apg 24,23
Felix wußte offensichtlich ganz genau, daß
Paulus unschuldig war, denn er gab ihn zwar in den Gewahrsam
eines Hauptmanns, gestattete ihm jedoch einige Freiheiten (vgl.
Paulus' Lage später in Sidon; Apg 27,3 ).
Apg 24,24-26
Danach unternahm er anscheinend eine
kleinere Reise mit seiner Frau Drusilla . Als sie zurückkehrten,
ließ er Paulus kommen und hörte ihn über den Glauben an Jesus
Christus. Als aber Paulus von Gerechtigkeit und Enthaltsamkeit
und von dem zukünftigen Gericht redete, erschrak er . Wie sollte
er nicht, wo doch Drusilla bereits seine dritte Frau war und er
sich von einer anderen hatte scheiden lassen, um sie zu
heiraten. Außerdem trat ihm angesichts der Gerechtigkeit Gottes
wohl ganz klar die Ungerechtigkeit seiner eigenen Regierung vor
Augen. Dazu mangelte es ihm vollkommen an Selbstbeherrschung.
Die Falschheit und Habgier von Felix zeigte
sich auch daran, daß er zu hoffen schien, daß Paulus ihn
bestechen werde.
Apg 24,27
Um den Juden eine Gunst zu erweisen, ließ
er Paulus , als er abberufen wurde, gefangen zurück , obwohl er
wußte, daß er unschuldig war. Felix wurde seines Amtes enthoben,
weil er einen Streit zwischen Juden und Heiden in Cäsarea mit
unvorstellbarer Grausamkeit niedergeschlagen hatte.
b. Paulus' Verteidigungsrede vor Festus
( 25,1 - 12 )
Apg 25,1
Der folgende Abschnitt (V. 1 - 12 ) ist
ganz entscheidend für den weiteren Fortgang der Ereignisse, denn
hier legte Paulus Berufung vor dem Kaiser ein. Damit ist die
Richtung für die übrigen Kapitel des Buches vorgegeben;
gleichzeitig erklärt diese Berufung, warum und wie Paulus nach
Rom gelangte.
Über Porcius Festus , der von 58 - 62 n.
Chr. römischer Statthalter von Judäa war, ist wenig bekannt,
doch das wenige, das wir wissen, läßt ihn in einem günstigen
Licht erscheinen. Daß er die Absicht hatte, seinen Pflichten
gewissenhaft und gerecht nachzukommen, zeigte sich schon daran,
daß er bereits drei Tage nach seiner Ankunft in Cäsarea hinauf
nach Jerusalem zog . Zweifellos hatte er von der Anfälligkeit
dieser Stadt für Aufruhr aller Art gehört.
Apg 25,2-3
Die Juden waren immer noch sehr daran
interessiert, daß Paulus endlich der Prozeß gemacht wurde. Es
war ihnen allerdings klar, daß sie sich rechtlich in einer
schlechten Ausgangsposition befanden und ihn nur durch einen
Hinterhalt , in den sie ihn bei der Überführung von Cäsarea nach
Jerusalem locken (und umbringen) wollten, loswerden konnten.
Apostelgeschichte
Apg 25,4-5
Offensichtlich kam Festus ihrer Bitte, den
Prozeß in Jerusalem fortzusetzen, nicht nach, doch er versprach
ihnen, den Fall in Cäsarea, wo Paulus noch immer
gefangengehalten wurde, neu aufzurollen. Festus kehrte also
wieder nach Cäsarea zurück.
Apg 25,6-7
Nochmals wiederholte sich die ganze
Szenerie der ersten Verhandlung. Lukas fügt an, daß diesmal
viele und schwere Klagen gegen Paulus vorgebracht wurden. Apg
25,8-9 : Nachdem Paulus diese Beschuldigungen zurückgewiesen
hatte, fragte Festus den Gefangenen, ob er bereit sei, hinauf
nach Jerusalem zu ziehen und sich dort in dieser Sache von ihm
richten zu lassen, denn auch ihm lag daran, sich mit den Juden
gut zu stellen. Außerdem wußte er nicht, wie er sich in diesem
religiösen Streit verhalten sollte (V. 20 ).
Apg 25,10
Paulus lehnte dieses Ansinnen aus mehreren
Gründen ab: (1) Die Reise von Cäsarea nach Jerusalem würde sehr
gefährlich werden. Die 40 Juden, die vor zwei Jahren (vgl. Apg
24,27 ) geschworen hatten, ihn umzubringen ( Apg 23,13-14 ),
waren von diesem Gelübde wahrscheinlich inzwischen befreit
worden, doch mit Sicherheit wollten sie ihn noch immer töten.
(2) In Jerusalem hatte er kaum Aussicht auf einen fairen Prozeß.
(3) Er hatte bereits zwei Jahre in Cäsarea im Gefängnis gelegen.
Außerdem gehörten die Klagen, die gegen
Paulus vorgebracht worden waren, vor ein Zivilgericht (angeblich
hatte er den Juden Unrecht getan ), daher war Festus als
Stellvertreter des Kaisers für den Fall zuständig.
Apg 25,11
Die Vorwürfe, die gegen Paulus erhoben
worden waren, verlangten die Todesstrafe. Wenn sie wahr seien,
sagte Paulus, sei er bereit zu sterben . Doch er wies Festus
darauf hin, daß sein Vorschlag, ihn nach Jerusalem bringen zu
lassen (V. 9 ), gleichbedeutend damit war, ihn den Juden
preiszugeben, und zwar auch dann, wenn Festus selbst den Vorsitz
bei dem Prozeß führen würde.
Apg 25,12
Es ist nicht ganz klar, ob Festus
gesetzlich gehalten war, Paulus' Fall vor den Kaiser (Nero, der
von 54 - 68 n. Chr. regierte) zu bringen, oder ob es ihm
freigestanden hätte, selbst ein Urteil zu fällen. Wenn er
zugunsten der Juden entschieden hätte, hätte Paulus immer noch
Berufung einlegen können. Doch wahrscheinlich hatte Festus keine
Alternative. Daher antwortete er, nachdem er sich mit seinen
Ratgebern besprochen hatte: Auf den Kaiser hast du dich berufen,
zum Kaiser sollst du ziehen.
c. Paulus' Verteidigungsrede vor Agrippa
II.
( 25,13 - 26,32 )
Apg 25,13
Der König Agrippa , von dem hier die Rede
ist, war Herodes Agrippa II., der Sohn Herodes Agrippa I. ( Apg
12,1 ) und ein Enkel Herodes des Großen ( Mt 2,1 ). (Vgl. die
Tabelle zur Dynastie des Herodes bei Lk 1,5 .) Er war damals ein
junger Mann von etwa 30 Jahren und herrschte unter dem Titel
"König" über die Gebiete im Nordosten Palästinas. Da er ein
Freund der kaiserlichen Familie in Rom war, besaß er das
Privileg, den Hohenpriester zu ernennen, und war außerdem zum
Hüter des Tempelschatzes bestellt. Von seiner Herkunft und
Erziehung her war er durchaus qualifiziert, in dem Prozeß gegen
Paulus ein gerechtes Urteil zu fällen, denn er war ein
ausgezeichneter Kenner der jüdischen Religion (vgl. Apg 25,26-27
).
Agrippa II. und seine Schwester Berenike
kamen nach Cäsarea, Festus zu begrüßen . Obwohl Berenike der
jüdischen Religion zuneigte, führte sie ein sehr lasterhaftes
Leben und pflegte unter anderem eine inzestuöse Beziehung zu
ihrem Bruder Agrippa.
Apg 25,14-21
Festus trug dem König Paulus' Fall, den
Felix ihm hinterlassen hatte, vor. Er gab offen zu, daß er nicht
genug davon verstand, um eine Entscheidung zu treffen (V. 20 ).
Vor allem war ihm unklar, warum Paulus darauf beharrte, daß
Christus auferstanden sei (V. 19 ).
Apg 25,22
Agrippa reagierte, wie Festus es gewünscht
hatte. Die Familie des Herodes war für Rom sehr nützlich, denn
die Herodianer waren mit den jüdischen Bräuchen vertraut. Festus
hoffte nun, daß Agrippa ihm behilflich sein konnte, das Ganze zu
durchschauen.
Apg 25,23-24
Der eher unbedeutende König Agrippa und
seine Schwester Berenike benutzten die Gelegenheit, ihren Rang
und ihre prächtigen Kleider in einer festlichen Zeremonie zur
Schau zu stellen. Zweifellos ging es Lukas darum, in dieser
Beschreibung den Gegensatz zwischen dem armen Gefangenen Paulus
und dem königlichen Paar mitsamt den Hauptleuten und vornehmsten
Männern der Stadt besonders deutlich herauszustellen. In Cäsarea
waren fünf Kohorten stationiert (eine Kohorte umfaßte 1000
Mann), daher waren fünf hochrangige Offiziere anwesend (
chiliarchoi ; wörtlich: "Anführer einer Tausendschaft"; vgl. Apg
21,31 ). Festus informierte Agrippa darüber, daß die Juden auf
dem Todesurteil über Paulus beharrten.
Apg 25,25-27
Die Aussage in Vers 25 ist so wichtig, weil
sie zeigt, daß Festus, wie vor ihm Felix, erkannte, daß Paulus
nichts getan hatte, was des Todes würdig war (vgl. Apg
23,9.29;26,31 ).
Es hätte einen schlechten Eindruck gemacht,
wenn Festus Paulus zum Kaiser gesandt hätte, ohne ihm etwas
Konkretes vorwerfen zu können. Er hoffte daher, daß Agrippa, der
die jüdischen Bräuche und Gesetze besser kannte als er, ihm
helfen konnte, ein Begleitschreiben zu verfassen, in dem er
rechtfertigen konnte, daß der Fall des Paulus bis vor Kaiser
Nero getragen wurde.
In diesem Kapitel finden sich zwei
interessante Ausdrücke für den römischen Kaiser: Sebastos , das
bedeutet "Verehrter" oder "Erhabener" und steht im Neuen
Testament nur in Apg 25,21.25 und Apg 27,1 .In Kapitel 25 ist es
mit "Kaiser" und in Apg 27,1 mit "kaiserlich" übersetzt.
Der andere Terminus ist kyrios , das
bedeutet "Herr". Augustus und Tiberius lehnten diesen Titel für
sich ab, weil er ihnen in ihren Augen nicht zustand. Zu Neros
Zeit war er jedoch für den Kaiser üblich geworden. Obwohl Nero
nichts gegen den Titel "Herr" einzuwenden hatte, hatte er sich
doch noch nicht den Exzessen hingegeben, die seine spätere
Herrschaft kennzeichneten. Bis jetzt war er noch als gerechter
Herrscher bekannt.
Apg 26,1
Vor Festus hatte Paulus sich bereits
verantwortet, daher wandte er sich nun an Agrippa. Es ging ihm
darum, den König darüber zu informieren, was wirklich
vorgefallen war.
Das Ausstrecken der Hand war offensichtlich
eine beliebte Geste bei den Rednern der damaligen Zeit. Die Rede
selbst besteht aus mehreren Teilen: (1) einführende Komplimente
( Apg 26,2-3 ), (2) Paulus' Jugend als Jude (V. 4 - 8 ), (3)
sein Eifern gegen das Christentum (V. 9 - 11 ), (4) seine
Bekehrung und sein Auftrag (V. 12 - 18 ), (5) sein Wirken als
Apostel (V. 19 - 23 ). Daran schloß sich das Wortgefecht mit
Festus und Agrippa an (V. 24 - 29 ).
Apg 26,2-3
Paulus' Komplimente waren durchaus
aufrichtig gemeint; er wußte, daß Agrippa tatsächlich alle
Ordnungen und Streitfragen der Juden kannte und darüber hinaus
selbst nicht nur dem Buchstaben nach Jude war, sondern sich
tatsächlich in seinem Leben nach den jüdischen Gesetzen,
Vorschriften und Bräuchen richtete.
Im Gegensatz zu Tertullus, der Felix eine
kurze Rede versprach ( Apg 24,4 ), wies Paulus von vornherein
darauf hin, daß seine Verteidigung etwas länger ausfallen würde.
Die folgende Rede ist denn auch der Höhepunkt aller
Verteidigungsreden in der Apostelgeschichte (vgl. Apg
22,1-21;23,1-8;24,10-21;25,8-11 ).
Apg 26,4-8
Zunächst versicherte Paulus, daß er von
Jugend auf nach der allerstrengsten Richtung und aus der
Hoffnung auf die Verheißung, die Gott Israel gegeben hatte,
gelebt hatte (V. 6.7 ; vgl. Apg 23,6;24,15;28,20 ). Diese
Hoffnung schloß, wie er sagte, auch die Erwartung der
Auferweckung der Toten ein (auch Christus hatte Mose zitiert [
2Mo 3,6 ], um seine Lehre von der Auferstehung zu belegen; Mt
22,32 ). Weil Jahwe der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs war und
ist, müssen die Väter der Juden auferweckt werden, um die
Erfüllung der Verheißungen, die Gott ihnen gab, zu erleben. Auch
die Verheißungen, die Israel später zuteil wurden, machen es
nötig, daß die Juden im messianischen Zeitalter auferweckt
werden.
Paulus' Bezugnahme auf die zwölf Stämme
Israel zeigt, daß es sich bei der These von der Sammlung der
"zehn verlorenen Stämme Israel" um einen Irrtum handelt (vgl. Mt
19,28; Lk 22,30; Jak 1,1; Offb 7,4-8;21,12 ).
Apg 26,9-11
Paulus war nicht nur mit Leib und Seele
Jude, sondern auch ein erbitterter Feind des Christentums
gewesen (vgl. Apg 8,3;9,1-2;22,4-5.19 ). Daß er seine Zustimmung
zur Hinrichtung gefangener Christen gab, muß nicht unbedingt
bedeuten, daß er Mitglied des Hohen Rats war. Wahrscheinlich
billigte er einfach die vom Rat beschlossenen Maßnahmen (vgl.
Apg 8,1;22,20 ).
Darüber hinaus zwang er die Gefangenen
häufig durch Strafen zur Lästerung , d. h. zum Widerruf ihres
Glaubensbekenntnisses.
Apg 26,12-18
In dem Bericht über seine Bekehrung (vgl.
Apg 9,1-19;22,1-21 ) sprach Paulus erneut von dem Licht vom
Himmel, das heller war als der Glanz der Sonne (vgl. Apg 22,6 ).
Hier erfährt der Leser erstmals, daß die himmlische Stimme, die
Paulus hörte, hebräisch sprach - eine Tatsache, die jedoch die
Aussprache seines Namens (Saulus) in Apg 9,4 und Apg 22,7
bereits vermuten ließ.
Manche Forscher sind der Ansicht, daß die
Aussage "es wird dir schwer sein, wider den Stachel zu löcken"
bedeutete, daß Paulus bei seiner Christenverfolgung von
Schuldgefühlen geplagt wurde und wider sein Gewissen gehandelt
habe. Doch Paulus schrieb später selbst, daß er trotz seiner
frevelhaften Taten und trotz der Grausamkeit, mit der er gegen
die Kirche vorgegangen war, Gnade gefunden habe, weil er in
Unwissenheit und Unglauben gehandelt hatte ( 1Tim 1,13 ). "Wider
den Stachel löcken" bezieht sich also offensichtlich auf die
Sinnlosigkeit seines damaligen Tuns.
Die Worte, mit denen er beauftragt wurde (
Apg 26,18 ), ähneln der Vorhersage des Wirkens des Messias in
Jes 35,5;42,7.16 und Jes 61,1 .Als Stellvertreter des Herrn
Jesus Christus tat Paulus auf symbolische Weise, was der Herr
Jesus eines Tages auf Erden wirklich tun wird. In geistlicher
Hinsicht hatte Paulus viele von der Finsternis der Sünde ( Joh
3,19; 2Kor 4,4; Eph 4,18;5,8; Kol 1,13 ) zum Licht Christi ( Joh
12,36; 2Kor 4,6; Eph 5,8; Kol 1,12; 1Thes 5,5 ) geführt. Diese
Rettung befreite die Menschen aus der Gewalt des Satans ( Joh
8,44; Hebr 2,14 ) und brachte ihnen die Vergebung der Sünden (
Apg 2,38;5,31;10,43;13,38; Eph 1,7; Kol 1,14 ) und ein
geistliches Erbteil ( Röm 8,17; Kol 1,12 ) samt denen, die
geheiligt , d. h. mit denen, die durch Gottes erlösendes Werk
auserwählt sind (vgl. 1Kor 1,30; Hebr 10,10;13,12 ).
Apg 26,19-23
Paulus' Aussage in Vers 20 steht im
Widerspruch zum Galaterbrief. Während er nach dem Text der
Apostelgeschichte zuerst denen in Damaskus und in Jerusalem und
im ganzen jüdischen Land das Evangelium verkündigt hat, schreibt
er dort, daß er in den Gemeinden in Judäa unbekannt sei ( Gal
1,22 ). Viele Exegeten führten das auf einen Textfehler zurück;
ihrer Ansicht nach lautete der Text im Griechischen: "Denen in
Damaskus und in Jerusalem und im ganzen Land, sowohl Juden als
auch Heiden." Der griechische Text bietet hier tatsächlich
einige Schwierigkeiten (er wechselt vom Dativ in den Akkusativ),
trotzdem ist diese Textkorrektur in höchstem Grade spekulativ
und unnötig.
Wahrscheinlich faßte Paulus zunächst sein
Wirken unter den Juden zusammen und beschrieb dann seine Taten
unter den Heiden. Seine Aussage hier ist also nicht streng
chronologisch zu verstehen, sondern als allgemeiner Überblick.
Er predigte, in Übereinstimmung mit Apg 1,8 , zuerst vor den
Juden und dann unter den Heiden. Beide sollten Buße tun und sich
zu Gott bekehren . (In der Apostelgeschichte sprechen die
Apostel häufig von der Buße; vgl. Apg
2,38;3,19;5,31;8,22;11,18;13,24;17,30;19,4;20,21 .)
Darüber hinaus, so sagte Paulus, beinhalte
seine Botschaft die Erfüllung der alttestamentlichen
Prophezeiungen ( Apg 26,22; vgl. Apg 24,14;28,23 ) über den Tod
und die Auferstehung des Messias. (Auch von der Auferstehung ist
in der Apostelgeschichte oft die Rede.)
Apg 26,24-29
Für den Griechen Festus war die Lehre von
der Auferstehung etwas völlig Unmögliches (vgl. Apg 17,32;23,6-7
), daher unterbrach er Paulus an diesem Punkt. Doch Paulus hatte
bereits das Wichtigste gesagt. Festus behauptete nun, daß er von
Sinnen sei, daß sein großes Wissen ihn wahnsinnig gemacht habe.
Doch Paulus versicherte ihm, daß er völlig
vernünftig gesprochen habe, und wandte sich dann erneut an
Agrippa. Nichts davon - d. h. nichts von Christi Tod und
Auferstehung und von den Anfängen der Kirche - konnte ihm
verborgen geblieben sein. Er kannte sich im Judentum aus, und
das Christentum war ja keineswegs eine esoterische
Geheimreligion.
Schließlich erzwang Paulus die Entscheidung
mit der ganz direkten Frage: Glaubst du, König Agrippa, den
Propheten (vgl. Apg 26,22 )? Ich weiß, daß du glaubst (vgl.
Paulus' Zeugnis vor Felix, Apg 24,24 ).
Damit war Agrippa in die Enge getrieben.
Wenn er an die Propheten glaubte, war er gezwungen zuzugeben,
daß Christus ihre Weissagungen erfüllte. Er hatte nur noch die
Möglichkeit, die Frage mit einer Gegenfrage zu parieren.
Die Lutherübersetzung von Apg 26,28 hat den
Sinn dieser Frage gut erfaßt; sie war eine humorvolle
Zurechtweisung von Paulus.
Paulus aber nahm sie ernst, denn er liebte
die Menschen um des Herrn willen. Er war bereit zu warten, wie
lange es auch dauern sollte, Agrippa für Christus zu gewinnen.
Er antwortete, daß er dafür bete, daß Agrippa und alle, die ihn
hörten, das würden, was er sei (d. i. ein Christ), ausgenommen
diese Fesseln . (Das ist seit Apg 22,29 das erste Mal, daß
Paulus' Fesseln erwähnt werden.) Damit schloß Paulus seine
Verteidigungsrede.
Apg 26,30-32
Auch andere waren bereits zu der
Überzeugung gelangt, daß Paulus unschuldig war: Die Pharisäer (
Apg 23,9 ); Klaudius Lysias, der Oberst in Jerusalem ( Apg 23,29
); und der Statthalter Festus ( Apg 25,25 ). Jetzt kam auch
Agrippa, ein mächtiger, im Judentum bewanderter und den Juden
wohlgesonnener Mann, zu dem Schluß: Dieser Mensch könnte
freigelassen werden, wenn er sich nicht auf den Kaiser berufen
hätte.
Apostelgeschichte
4. Die Gefangenschaft in Rom
( Apg 27-28 )
a. Die Seereise
( Apg 27 )
Warum beschrieb Lukas die Schiffsreise von
Cäsarea nach Rom so ausführlich? Diese Frage ist nicht leicht zu
beantworten.
(1) Es kann einfach ein Kunstgriff gewesen
sein, um den Höhepunkt seines Buches, Paulus' Reise und seine
Ankunft in Rom, ins richtige Licht zu setzen. Wie die
Evangelisten die letzte Reise des Herrn nach Jerusalem und seine
letzten drei Tage in den Mittelpunkt ihrer Berichte stellten, um
die Bedeutung seines Todes und seiner Auferstehung
herauszuarbeiten, so arbeitete Lukas auf den Höhepunkt der
Verkündigung des Evangeliums vom Gottesreich, auf die Predigt
vor den Heiden in der römischen Hauptstadt, hin.
(2) Möglicherweise griff er dabei auf das
Vorbild der großen epischen Dichter seiner Zeit zurück, in deren
Erzählungen ein Sturm und Schiffbruch häufig eine wichtige Rolle
spielen. Das Ganze entspräche dann ungefähr einer
Verfolgungsszene in einem modernen Film oder Fernsehspiel.
Dennoch fragt man sich, wie diese Geschichte in die
Gesamtkonzeption der Apostelgeschichte paßt. Daß Lukas einfach
dem Vorbild der Epiker der Antike folgte, reicht als Erklärung
nicht ganz aus.
(3) Vielleicht wollte er eine Parallele zu
Jona und dem Schiffbruch, den dieser erlebte, herstellen ( Jon
1,4-15 ). Nachdem Jona auf wunderbare Weise überlebt hatte,
predigte er in einer großen heidnischen Stadt. Der Vergleich mit
Paulus läge hier auf der Hand.
(4) Die Absicht hinter diesem Bericht ist
es zu zeigen, daß Gott Paulus beschützte und ihn führte. Es war
der Wille Gottes, daß der Apostel das Evangelium in Rom
verkündigte.
(5) Lukas will die herausragende Rolle, die
Paulus spielte, deutlich machen, und damit die Tatsache
hervorheben, daß der Plan Gottes sich nun in erster Linie auf
die Heiden konzentrierte. Paulus war Gottes Mann der Stunde. In
der Erzählung vom Schiffbruch stellte sich dann auch heraus, daß
er sowohl auf der Seereise als auch in der Gefahr, in die sie
gerieten, derjenige war, der einen kühlen Kopf behielt und alles
unter Kontrolle hatte.
(6) Manche Forscher halten den Bericht über
den Schiffbruch für eine Allegorie. Im Alten Testament wurde das
Meer stets als feindliche Macht dargestellt; hier wäre es in
diesem Fall das Sinnbild des Widerstandes gegen die Ausbreitung
des Evangeliums, das jedoch trotz aller Hindernisse überleben
und schließlich sein vorherbestimmtes Ziel erreichen wird. Eine
so stark allegorische Auslegung klingt allerdings
unwahrscheinlich.
Als Anwort auf die Frage, warum Lukas der
Reise nach Rom so große Bedeutung beimißt, könnte auch eine
Kombination von Punkt 1,3,4 und 5 sein, doch auch diese Deutung
bleibt Vermutung.
Apg 27,1
Wer und wie viele andre Gefangene Paulus
nach Rom begleiteten, ist eine weitere unbeantwortete Frage.
Auch den Grund, warum diese anderen nach Rom überführt wurden,
erfährt der Leser nicht.
Der Hauptmann Julius , der eine tragende
Rolle bei der Überstellung von Paulus nach Rom spielt, gehörte
zu einer kaiserlichen Abteilung - ein Ehrentitel, der bestimmten
Truppen verliehen wurde. "Kaiserlich" ist die Übersetzung von S
ebastEs , was "verehrt" oder "erhaben" bedeutet (vgl. den
Kommentar zu Apg 25,25 ). Ein "Hauptmann" befehligte 100
Soldaten (vgl. Apg 10,1;21,32;22,25-26;23,17.23;24,23 ).
Der Gebrauch des Pronomens wir zeigt an,
daß Lukas Paulus auf dieser Reise begleitete.
Apg 27,2-3
Adramyttion , der Heimathafen des Schiffs,
mit dem die ganze Gruppe schließlich segelte, lag südöstlich von
Troas, im Nordwesten Kleinasiens. Offensichtlich war es die
letzte Fahrt für das Schiff vor dem Anbruch der stürmischen
Wintersaison in diesem Jahr. Der Hauptmann hatte wohl vor,
entweder mit dem Schiff nach Rom zu fahren oder die Gefangenen
auf der Via Egnatia zu transportieren.
Aristarch war offensichtlich mitgekommen,
um Paulus beizustehen. Er blieb auch während seiner
Gefangenschaft in Rom bei ihm ( Kol 4,10; Phlm 1,24 ).
Interessanterweise hatte Paulus auch in
Sidon , dem ersten Bestimmungshafen des Schiffes nach dem
Auslaufen aus Cäsarea, Freunde. Die Freundlichkeit des
Hauptmanns erinnert an die eines anderen Gefängnisaufsehers von
Paulus ( Apg 24,23 ).
Apg 27,4-8
Dieser Vers belehrt den Leser darüber, wie
schwierig es war, das Mittelmeer von Osten nach Westen zu
befahren. Die Winde kamen meistens aus Westen, so daß die
Schiffe an der Ostküste Zyperns entlangsegeln mußten und an der
Westküste Kleinasiens bis nach Kreta nur mit Mühe vorankamen.
Als Paulus den umgekehrten Weg segelte, nahm sein Schiff einen
sehr viel direkteren Kurs ( Apg 21,1-3 ).
In Myra , einer Hafenstadt an der Südküste
Kleinasiens, fand der Hauptmann ein Schiff aus Alexandria, das
nach Italien ging , für die Weiterfahrt. Es war ein Kornschiff (
Apg 27,38 ), das groß genug war, 276 Passagiere zu befördern (V.
37 ). Ägypten war die Kornkammer Roms. Die Schiffe, die von dort
ausliefen, segelten gewöhnlich nach Norden, nach Kleinasien, und
versuchten dann in westlicher Richtung das Mittelmeer zu
überqueren, wobei sie sich im Schutz der Inseln
vorwärtsbewegten. Paulus' Reise auf diesem zweiten Schiff
brachte ihn von Myra bis zur Insel Knidus und dann südwestlich
an die Südküste Kretas, an einen Ort, der "Guthafen" hieß. Die
Kreter waren bekannt für ihre Faulheit und Verderbtheit ( Tit
1,12 ). Später schrieb Paulus Titus, daß er Älteste für die
Gemeinden der Insel ernennen sollte ( Tit 1,5 ).
Apostelgeschichte
Apg 27,9-12
Die Fastenzeit , von der hier die Rede ist,
bezog sich wahrscheinlich auf das Versöhnungsfest, das von Ende
September bis Anfang Oktober gefeiert wurde. Später im Jahr
machte das ungewisse Wetter auf dem Mittelmeer die Schiffahrt
sehr gefährlich, daher liefen ab November normalerweise keine
Schiffe mehr aus.
Paulus gehörte vielleicht sogar zu den
Ratgebern des Kapitäns, weil er auf seinen vielen Reisen große
Erfahrungen gesammelt hatte (vgl. 2Kor 11,25 : "Dreimal habe ich
Schiffbruch erlitten") und außerdem von seiner ganzen
Persönlichkeit her der "geborene Führer" war. Doch entgegen
seinem Rat bestanden die meisten ( Apg 27,11 ) auf dem Plan,
weiterzufahren und zu versuchen , in einem angenehmeren Hafen zu
überwintern . Die Entscheidungsgewalt lag letztlich beim
Hauptmann, weil die Kornschiffe in Staatsdiensten segelten.
Daher setzten sie ihre Fahrt entlang der Südküste Kretas fort
und hofften, Phönix zu erreichen.
Apg 27,13-17
Doch plötzlich wurden sie von einem starken
Nordost , einem Orkan, gepackt und konnten sich nicht mehr im
Schutz der kretischen Küste halten, sondern wurden auf die
offene See getrieben. Kauda , eine kleine Insel etwa 40
Kilometer vor Kreta, bot ihnen dann nochmals kurz Schutz vor der
Gewalt des Sturmes. Sie zogen das Rettungsboot, das sie
normalerweise im Schlepp hatten, das jetzt jedoch wahrscheinlich
voll Wasser gelaufen war, an Bord.
Was mit den Seilen, mit denen sie das
Schiff zum Schutz umspannten , gemeint ist, ist nicht ganz klar.
Wahrscheinlich sollten die Seile das Schiff davor bewahren,
auseinanderzubrechen oder leckzuschlagen und voll Wasser zu
laufen.
Die Sandbänke der Syrte lagen vor der
nordafrikanischen Provinz Libyen. Das griechische Wort, das hier
mit Treibanker übersetzt ist, skeuos , bedeutet wörtlich
"Kessel" oder "Maschine" und kann sich also auf jegliche
Antriebsmöglichkeit beziehen. Wahrscheinlich war es in diesem
Fall jedoch wirklich ein Anker.
Apg 27,18-26
Der Sturm tobte immer heftiger; daher
warfen sie am nächsten Tag Ladung und am dritten Tag das
Schiffsgerät ins Meer . Das Unwetter war inzwischen jedoch so
schrecklich geworden, daß sie nach vielen Tagen all ihre
Hoffnung auf Rettung aufgaben .
Die Passagiere und wahrscheinlich auch die
Besatzung hatten bereits seit langer Zeit nichts mehr zu sich
genommen. Vielleicht hatte der Sturm die meisten Lebensmittel
über Bord gespült. Manche waren aber sicherlich auch seekrank
und andere viel zu verängstigt, um zu essen (vgl V. 33 ).
Nachdem Paulus sie zuerst an seine Warnung vor der Abfahrt von
Kreta (vgl. V. 10 ) erinnert hatte, sprach er ihnen jedoch Mut
zu, denn er hatte eine Botschaft von Gott erhalten. Das war
nicht das erste Mal, daß eine Erscheinung seine Lebensgeister
weckte (vgl. Apg 18,9-10;23,11 ); tatsächlich hatte Gott ihm in
der Vision in Jerusalem ( Apg 23,11 ) nicht nur zugesagt, daß er
am Leben bleiben, sondern auch, daß er sicher nach Rom gelangen
werde. Hier bestätigte er ihm erneut (durch einen Engel ), daß
er vor den Kaiser gestellt werden würde. Zweimal forderte Paulus
seine Schiffsgenossen (insgesamt befanden sich 275 Leute an
Bord; vgl. Apg 27,37 ) auf, nicht zu verzagen (V. 22.25 ). Das
Verb "unverzagt sein" ( euthymeO ) findet sich nur dreimal im
Neuen Testament - zweimal hier und einmal im Jakobusbrief ( Apg
5,13; "seid guten Mutes"). Es hat den Beiklang von guter
Stimmung oder freudigem Erregtsein. Auch als Gefangener zögerte
Paulus nicht, von seinem Glauben an Gott zu reden.
Apg 27,27-32
Als Adria wurde in neutestamentlicher Zeit
nicht nur das Meer zwischen Italien und Griechenland, sondern
auch die Gewässer südlich Italiens, bis nach Sizilien und Malta,
bezeichnet. Nach zwei stürmischen Wochen hatten die Schiffsleute
endlich das Gefühl, sie kämen an ein Land . Das Wasser wurde
flacher (es sank von zwanzig auf fünfzehn Faden ). Sie loteten ,
indem sie eine Schnur mit einem Stück Blei daran ( bolisantes ,
"das Los nehmen", heißt wörtlich "das Blei werfen") auswarfen
und damit die Wassertiefe maßen. Als sie in noch flacheres
Wasser kamen, warfen sie hinten vom Schiff vier Anker aus .
Paulus sagte dem Hauptmann, daß die Schiffsleute, die zu fliehen
suchten, auf dem Schiff bleiben müßten (vgl. V. 24 ). Daher
hieben die Soldaten die Taue des Beibootes ab, was bedeutete,
daß alle an Bord nur noch von der Bewahrung des Herrn abhängig
waren.
Apg 27,33-35
Das Vertrauen des Paulus in Gottes
Bewahrung (V. 24 ) war so groß, daß er seine Gefährten
ermutigte, Nahrung zu sich zu nehmen (V. 33 - 34 ). Er nahm das
Brot, dankte Gott vor ihnen allen und brach's und fing an zu
essen . Obwohl diese Worte und die ganze Handlung an das
Abendmahl erinnern, hatten sie doch wohl nichts damit zu tun.
Die meisten der 276 Passagiere waren keine Christen. Dieses
Essen war wohl eher ein öffentliches Zeugnis für Paulus' Glauben
an Gott, den Vater des Herrn Jesus, und gleichzeitig eine
praktische Notwendigkeit, um die Leute für das, was vor ihnen
lag, körperlich zu stärken.
Apg 27,36
In Vers 33 werden zwei Probleme
angesprochen - die Menschen auf dem Schiff hatten bereits seit
14 Tagen nichts mehr gegessen und zudem in ständiger Anspannung
gelebt. Jetzt aber wurden sie alle guten Mutes ( euthymoi ; vgl.
V. 22.25 ) und nahmen auch Nahrung zu sich - damit waren also
die beiden Probleme aus Vers 33 gelöst.
Apg 27,37-38
Das Kornschiff führte nicht nur Fracht,
sondern auch 276 Passagiere und die Besatzung mit sich. Über die
Zahl der Gefangenen (V. 42 ) wird, wie bereits angemerkt, nichts
gesagt. Das war noch nicht einmal besonders groß; Josephus
berichtet beispielsweise, daß er mit einem Schiff nach Italien
fuhr, das 600 Passagieren Platz bot.
Apg 27,39-40
Bei Tagesanbruch erkannten sie eine Bucht
mit Sandstrand und beschlossen, das Schiff stranden zu lassen,
wenn es möglich wäre. Sie hieben die Anker ab, ... banden die
Steuerruder los und richteten das Segel nach dem Wind und
hielten auf das Ufer zu . Das Wort "Steuerruder" ( pEdaliOn )
bedeutete wörtlich Ruderblätter und bezieht sich auf die
Paddelruder an den Seiten des Schiffes. Sie waren eingezogen,
während das Schiff vor Anker lag.
Apg 27,41
Plötzlich liefen sie auf eine Sandbank auf,
die die Seeleute nicht gesehen hatten. Unter der Gewalt der
Wellen zerbrach das Hinterschiff und das Vorderschiff bohrte
sich in den Sand.
Apg 27,42-44
Da die Soldaten mit ihrem eigenen Leben für
die Gefangen haften mußten (vgl. Apg 12,19;16,27 ), hatten sie
vor, sie zu töten, damit niemand fortschwimmen und entfliehen
konnte. Dieses Vorgehen war ganz einfach eine
Selbstschutzmaßnahme.
Der Hauptmann wollte Paulus jedoch am Leben
lassen. Er hatte eingesehen, wie wertvoll und vertrauenswürdig
dieser Gefangene war und wehrte daher dem Vorhaben seiner
Soldaten. Hier war offensichtlich Gott am Werk, der Paulus
retten und nach Rom bringen und so seine Weissagung erfüllen
wollte (V. 24 ). In dem kalten Regen ( Apg 28,2 ) wurden die
Passagiere (Soldaten und Gefangene) und die Besatzung, die
schwimmen konnten , aufgefordert, ins Meer zu springen und sich
ans Land zu retten , während die anderen auf den Trümmern des
Schiffes blieben.
Wie Paulus vorhergesagt hatte, war das
Schiff verloren ( Apg 27,22 ), sie waren auf einer Insel auf
Grund gelaufen (V. 26 ), und keiner der Passagiere war ums Leben
gekommen (V. 22 ).
b. Der Aufenthalt auf Malta
( 28,1 - 10 )
Apg 28,1-2
Sie hatten vor Malta , einer kleinen Insel
etwa 90 Kilometer vor Sizilien, Schiffbruch erlitten. Malta
besaß gute Häfen und bot daher ausgezeichnete Möglichkeiten für
den Seehandel. In zwei Wochen hatte der Sturm das Schiff also
beinahe 1000 Kilometer westlich von seinem Ausgangsort, Guthafen
auf Kreta, abgetrieben. Die Leute auf der Insel wurden hoi
barbaroi (wörtlich "die Barbaren") genannt, ein griechischer
Begriff für nicht griechisch sprechende Völker. Das bedeutete
allerdings nicht, daß diese Nationen wild oder unzivilisiert
waren, sondern nur, daß ihre Kultur nicht an der griechischen
orientiert war. Sie erwiesen den Schiffbrüchigen nicht geringe
Freundlichkeit, zündeten ihnen ein Feuer an und hießen sie
willkommen.
Apg 28,3
Da es sehr kalt war (V. 2 ), waren auch die
Schlangen, die es auf der Insel gab, erstarrt und lethargisch.
Als Paulus jedoch einen Haufen Reisig zusammenraffte und aufs
Feuer legte, fuhr wegen der Hitze eine Schlange heraus und biß
sich an seiner Hand fest .
Apg 28,4-6
Als die Leute sahen, daß Paulus von einer
Schlange gebissen worden war, schlossen sie daraus, daß er ein
Mörder sein mußte, den jetzt die Gerechtigkeit ereilte. Doch als
er unverletzt blieb und seine Hand nicht einmal anschwoll,
schlug ihre Meinung um und sie hielten ihn in ihrem Aberglauben
für einen Gott . Zweifellos war Paulus' Antwort darauf, wenn sie
hier auch nicht wiedergegeben ist, dieselbe, die er den Leuten
in Lystra gegeben hatte ( Apg 14,8-18 ).
Apg 28,7-10
Publius nahm Paulus und seine Gefährten
(darunter auch Lukas) auf einem seiner Landgüter auf und
beherbergte sie drei Tage lang freundlich . Bei dieser
Gelegenheit heilte Paulus den Vater seines Gastgebers ( der am
Fieber und an der Ruhr darniederlag ) und machte auch die andern
Kranken der Insel gesund . Interessanterweise blieb Paulus nicht
nur bei dem Schlangenbiß unverletzt, sondern Gott heilte durch
ihn auch noch andere Menschen. Kein Wunder, daß die Leute auf
der Insel den Schiffbrüchigen große Ehre erwiesen und ihnen
mitgaben, was sie nötig hatten, als sie drei Monate später
abfuhren (V. 11 ). Sie taten es zweifellos aus Dankbarkeit für
die Wohltaten, die Paulus ihnen erwiesen hatte.
c. Die Vollendung des Wirkens des Paulus in
Rom
( 28,11 - 31 )
Apg 28,11
Da die Besatzung und die Passagiere Kreta
im Oktober oder November (nach der "Fastenzeit"; Apg 27,9 )
verlassen und zwei Wochen im Sturm auf dem Meer getrieben waren,
war es nach dem dreimonatigen Aufenthalt auf Malta bereits
Februar oder März, als sie weiterfuhren. Sie benutzten ein
anderes Schiff, das ebenfalls auf der Insel überwintert hatte.
Es kam aus Alexandria, war also vermutlich ebenfalls ein
Kornschiff (vgl. Apg 27,6.38 ) aus Ägypten, das die
Wintermonate, in denen das Mittelmeer quasi unpassierbar war, im
Seehafen von Malta, wahrscheinlich im Hafen von Valetta,
verbracht hatte.
Das Zeichen der Zwillinge Castor und Pollux
am Bug des Schiffes stellte die Söhne des Zeus und der Leda,
Figuren aus der griechischen Mythologie, dar; angeblich brachte
es Seeleuten Glück. Wenn diese astrologische Konstellation, die
Gemini, in einem Sturm zu sehen war, galt das als gutes Omen.
Wahrscheinlich fügte Lukas dieses Detail ein, um dem Christentum
den Aberglauben der Einwohner von Malta, Rom, Griechenland und
Ägypten gegenüberzustellen.
Apg 28,12-14
Wieder beschreibt Lukas die Reise ganz
genau: von Malta ging es nach Syrakus auf Sizilien; von dort
nach Rhegium (das heutige Reggio) auf der "Zehe" Italiens; dann
nach Puteoli (dem heutigen Pozzuoli), das 244 Kilometer südlich
von Rom liegt, und schließlich kamen sie nach Rom. Puteoli war
ein bedeutender Handelshafen auf halbem Weg zwischen Rhegium und
Rom . Paulus und seine Begleiter trafen dort einige Brüder. Das
beweist, daß das Evangelium bereits von Rom bis in diesen
italischen Hafen vorgedrungen war. Offensichtlich gab es in Rom
bereits eine christliche Gemeinde. Sie war wohl von römischen
Juden, die anläßlich des Pfingstfestes nach Jerusalem gereist
waren, dort Petrus' Predigt gehört hatten und daraufhin zum
christlichen Glauben übergetreten waren, gegründet worden ( Apg
2,10 ). Paulus nahm die Einladung der Brüder, sieben Tage da zu
bleiben , an. Vielleicht war der Hauptmann mit dem Löschen der
Fracht beschäftigt oder hatte irgendwelche anderen Formalitäten
in Puteoli zu erledigen, die ihn eine Woche festhielten.
Apg 28,15
Sobald die Christen in Rom hörten, daß
Paulus angekommen war, kamen sie ihm entgegen bis Forum Appii
(eine Marktstadt 70 Kilometer vor Rom) und Tres-Tabernae (53
Kilometer vor Rom). Das Substantiv apantEsin , hier verbal mit
"entgegenkommen" übersetzt, bezeichnete im Griechischen eine
Gruppe Abgesandter, die vor die Stadt kam, um einen offiziellen
Gast in Empfang zu nehmen. Es steht auch in 1Thes 4,17 , wo
davon die Rede ist, daß die Gläubigen "entrückt werden ... in
die Luft, dem Herrn entgegen ( apantEsin )". Wie ein solches
offzielles Begrüßungskommitee werden die Gläubigen bei der
Entrückung Jesus, ihrem Retter und Herrn, der aus dem Himmel
kommt, um sie zu sich zu holen, in den Wolken entgegengehen.
Paulus freute sich auf die Begegnung mit der Gruppe aus Rom.
Als er sie sah, dankte er Gott und gewann
neue Zuversicht ( tharsos ; das Verb tharseO wird in der
Septuaginta benutzt, wenn jemand in Zeiten des Kummers gestärkt
wird; vgl. den Kommentar zu Mk 6,50 ). So hatte Gott seinen
Apostel schließlich doch noch nach Rom gebracht. Die herzliche
Begrüßung seiner Glaubensgenossen, die er noch nie gesehen
hatte, erfüllte Paulus mit Freude. Dann gingen sie gemeinsam auf
der Via Appia, "der Königin der Fernstraßen", nach Rom hinein.
Apg 28,16
Weil er sich als vertrauenswürdiger
Gefangener erwiesen hatte, wurde Paulus erlaubt, für sich allein
zu wohnen mit dem Soldaten, der ihn bewachte . Er zog in ein
Mietshaus (V. 30 ).
Apg 28,17-20
Die folgenden Schlußverse bilden den
Höhepunkt der Apostelgeschichte. In Vers 17.24 berichtet Lukas
nochmals, daß die Juden das Evangelium verwarfen, und in Vers 28
wendet Paulus sich dann erneut in aller Deutlichkeit den Heiden
zu.
Wie gewöhnlich sprach Paulus auch in Rom
zunächst zu den Juden (vgl. Apg
9,20;13,5.14;14,1;17,2.10.17;18,4.19;19,8 ). Diesmal rief er die
Angesehensten zusammen , weil er nicht in ihre Synagogen gehen
konnte (er war ja Gefangener).
In der Rede, die er vor ihnen hielt, kam er
auf folgende Punkte zu sprechen: (1) Er hatte nichts getan gegen
sein Volk und die Ordnungen der Väter ( Apg 28,17 ). (2) Auch
die römischen Machthaber in Judäa hatten ihn für unschuldig
befunden (V. 18 ; vgl. Apg 23,9.29;25,25;26,31-32 ). (3) Ihm
blieb nur noch die Möglichkeit, sich auf den Kaiser zu berufen ,
weil er bei den Juden keine Gerechtigkeit fand ( Apg 28,19; vgl.
Apg 25,11 ). (4) Dieser vierte Punkt ist einer der wichtigsten:
er erhob keine Vorwürfe gegen Israel; er verlangte lediglich,
freigesprochen zu werden ( Apg 28,19 ). (5) Der Hauptgrund für
die Einberufung der Vorsteher der jüdischen Gemeinde war jedoch,
daß er mit ihnen über die Hoffnung Israels sprechen wollte. Auf
diesen Begriff und die Vorstellung, die sich damit verband, kam
Paulus im letzten Teil der Apostelgeschichte mehrfach zurück
(vgl. Apg 23,6;24,15;26,6-7 ). Die Hoffnung Israels ging über
die Auferstehung hinaus; sie beinhaltete die Erfüllung der
alttestamentlichen Verheißungen für das ganze Volk (vgl. Apg
26,6-7 ). Paulus glaubte ganz fest, daß Jesus der Messias
Israels war, der eines Tages wiederkommen und sich selbst als
König über sein Volk und die anderen Nationen einsetzen wird
(vgl. Apg 1,6 ).
Apostelgeschichte
Apg 28,21-22
Seine jüdischen Gesprächspartner reagierten
zwiespältig: Sie behaupteten, daß sie nichts von Paulus wüßten
und daß sie über das Christentum ( diese Sekte ) nur
Nachteiliges gehört hätten. Man fragt sich, ob sie hier
aufrichtig waren. Wie war es möglich, daß die angesehensten
Juden in Rom nichts von der Existenz einer christlichen Gemeinde
in Rom wußten, die sich aus ehemaligen Glaubensbrüdern von ihnen
zusammensetzte? Ebenso unwahrscheinlich ist es, daß keine
Nachrichten von den Spannungen, die zwischen der christlichen
Kirche in Jerusalem und den dortigen Juden entstanden waren, zu
ihnen gedrungen waren. Es ist zwar möglich, daß sie Paulus nicht
kannten, doch über das Christentum müssen sie mehr gewußt haben,
als sie hier zugaben. Doch sie waren daran interessiert, Paulus'
Standpunkt zu hören, da sie wußten, daß dem, was er verkündete,
an allen Enden widersprochen wurde.
Apg 28,23-24
Bei ihrer zweiten Zusammenkunft mit Paulus
bezogen sie klarer Stellung. Diesmal waren sie zahlreicher
erschienen, und die Diskussion dauerte länger. Den ganzen Tag
sprach Paulus zu ihnen vom Reich Gottes und predigte ihnen von
Jesus aus dem Gesetz des Mose und aus den Propheten (vgl. Apg
24,14;26,22 ).
Der Terminus "Reich Gottes" geht vom Tod
und der Auferstehung Christi aus, blickt jedoch auch voraus in
die Zeit, wenn Christus auf Erden herrschen wird, hat also ganz
eindeutig eschatologischen Charakter (vgl. Apg
1,3-6;8,12;14,22;19,8;20,25; Lk
1,33;4,43;6,20;7,28;8,1.10;9,2.11.27.60.62;10,9.11;11,2.20;12,31-32;13,18.20.28-29;14,15;16,16;17,20-21;18,16-17.24-25.29-30;19,11;21,31;22,16.18.29-30;23,42.51
). Für die Juden war die Vorstellung eines Messias, der als
Sühneopfer für ihre Sünden starb, und die Lehre von der
Rechtfertigung durch den Glauben als einziger Weg in das Reich
Gottes etwas völlig Fremdes.
Die Reaktionen seiner Zuhörer fielen völlig
unterschiedlich aus. Die einen stimmten dem zu, was er sagte,
die anderen aber glaubten nicht ( Apg 28,24 ). Im Griechischen
ist das Verb "stimmten zu" Imperfekt und könnte auch mit
"begannen zuzustimmen" übersetzt werden, d. h., sie waren noch
nicht ganz überzeugt. Dasselbe Verb ist in Vers 23 mit
"predigte" (im Sinne von "versuchte zu überzeugen") übersetzt.
Apg 28,25-27
Die Reaktion der jüdischen Oberen in bezug
auf die Botschaft des Paulus zeigte, daß sie dem Evangelium
nicht zugänglich waren. In geradezu prophetischer Voraussicht
wandte Paulus die Worte Jesajas ( Apg 6,9-10 ) auf seine eigenen
Zeitgenossen an. Mit verstockten Herzen, tauben Ohren und
blinden Augen weigerten sie sich, an das Evangelium zu glauben.
Das galt für die Zeit des Jesaja ebenso wie für die Zeit des
Paulus (vgl. Röm 11,7-10 ). Interessanterweise führte Paulus die
Worte Jesajas auf die Inspiration des Heiligen Geistes zurück
(vgl. Apg 4,25 ).
Apg 28,28
Zum letzten Mal wandte Paulus sich nun mit
seiner Verkündigung an die Heiden. Von Jerusalem bis Rom war
seine Botschaft von den meisten Juden verworfen worden, und in
einer Stadt nach der anderen hatte er das Evangelium daraufhin
den Nicht-Juden gepredigt. So geschah es auch hier, in der
Hauptstadt der römischen Welt, und so wird es sein, bis "die
Fülle der Heiden zum Heil gelangt ist" ( Röm 11,25-26 ).
Apg 28,29
Manche griechischen Handschriften fügen
hier noch ein: "Und als er das gesagt hatte, gingen die Juden
weg und stritten heftig untereinander." Dieser Vers ist jedoch
wahrscheinlich nicht authentisch, wenn er die Situation auch
zweifellos richtig wiedergibt (vgl. V. 25 ).
Apg 28,30-31
Die beiden letzten Verse der
Apostelgeschichte sind zugleich auch der letzte
"Verlaufsbericht" (vgl. Apg 2,47;6,7;9,31;12,24;16,5;19,20 ).
Mit allem Freimut predigte Paulus in seiner eigenen Wohnung das
Reich Gottes . Der eschatologische Begriff des "Gottesreichs"
weist nicht nur darauf hin, daß Juden und auch Heiden durch den
Glauben gerechtfertigt sind, sondern auch darauf, daß die Heiden
mit den Juden zusammen in das Tausendjährige Reich eingehen
werden (vgl. den Kommentar zu Apg 28,23 ).
Eine häufig gestellte Frage bezieht sich
auf das Wirken des Apostels Paulus nach dieser zweijährigen
Gefangenschaft. Welchen Verlauf nahm sein Schicksal nun?
Möglicherweise wurde er freigesprochen. Die Juden wußten, daß
sie außerhalb Judäas nichts gegenihn in der Hand hatten, und
zögerten daher sicherlich, in Rom Anklage gegen ihn zu erheben.
Wahrscheinlich kehrte er in die Provinzen
Mazedonien, Achaja und Asien zurück und ging dann, gemäß seinem
ursprünglichen Plan, nach Westen, nach Spanien ( Röm 15,22-28 ).
Danach kehrte er wieder in den ägäischen Raum zurück, wo er
erneut gefangengenommen, nach Rom überführt und diesmal
hingerichtet wurde.
In der Zeit seiner zweijährigen
Gefangenschaft in Rom schrieb Paulus den Epheser-, Kolosser-,
Philemon- und den Philipperbrief (vgl. die Tabelle "Briefe des
Paulus von seinen Missionsreisen und aus der Gefangenschaft" bei
Apg 13,16-25 ).
Während Paulus in Rom gefangen war,
breitete sich das Evangelium weiter aus. Auch dort predigte er
mit allem Freimut (vgl. den Kommentar zu Apg 4,13 ). Das letzte
Wort im griechischen und auch im deutschen Text der
Apostelgeschichte ist akOlytOs , ungehindert . Die Menschen
können die Verkünder der frohen Botschaft in Ketten legen, doch
die Botschaft selbst können sie nicht aufhalten!
So geschah es, daß die Botschaft vom
Gottesreich nach Gottes Willen von den Juden zu den Heiden und
von Jerusalem nach Rom vordrang.
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