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17.05.2025
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1. Johannes Brief
Kapitel 03
Walvoord Zane C. Hodges
1Joh 3,1
Dieser Vers beginnt mit der Aufforderung seht (idete ). Nachdem der Apostel
seine Leser auf das Sichtbarwerden der Wiedergeburt in einer gerechten
Lebensführung aufmerksam gemacht hat, nimmt er sie nun mit hinein in das
Nachdenken über die Größe der göttlichen Liebe, die in einem solchen Leben
spürbar wird. Welch eine Liebe hat uns der Vater erwiesen, daß wir Gottes Kinder
heißen sollen. (Bei den Worten "und wir sind es auch" , die in den meisten
Handschriften fehlen, handelt es sich wahrscheinlich um einen Zusatz.) Die
Formulierung "heißen sollen" ist in der Bibel ein Ausdruck dafür, daß der
betreffende Zustand bereits Realität ist. Die Gläubigen sind die "berufenen
Kinder Gottes" (vgl. "die berufenen Heiligen"; 1Kor 1,2 ), weil sie Kinder (
tekna ) des "Vaters" sind.
Zu der Einsicht, zu der Johannes die Menschen auffordert, ist die Welt jedoch
nicht fähig. Da (die Welt) ihn (Gott oder Christus) nicht (kennt) , kann man
auch nicht von ihr erwarten, daß sie die Gläubigen als Gottes Kinder erkennt.
Eine solche Wahrnehmung ist allein den Christen selbst vorbehalten.
1Joh 3,2-3
Doch selbst für Christen ist diese Wahrnehmung nur im geistlichen Bereich
möglich. Auch wenn wir ... schon Gottes Kinder (sind) , so gibt es doch keinen
ins Auge springenden äußeren Beweis für diese Tatsache. Die äußere Verwandlung
wird erst beim Kommen Christi eintreten. Wir wissen aber: wenn es offenbar wird,
werden wir ihm gleich sein (vgl. 1Kor 15,52-54; Phil 3,21 ). Die Verwandlung,
die mit den Christen vorgehen wird, wird daher kommen, daß sie ihren Herrn
sehen, wie er ist. Bis dieses Ereignis eintreten wird, gilt jedoch auf jeden
Fall: Jeder, der solche Hoffnung auf ihn (das Pronomen bezieht sich
wahrscheinlich auf Christus, den Gegenstand der Hoffnung) hat, der reinigt sich,
wie auch jener rein ist. Hier geht es wahrscheinlich nach wie vor um die
Wiedergeburt. Wer seine Hoffnung im Glauben auf den Sohn Gottes setzt, macht
eine innerliche Reinigung durch, die so vollständig ist wie die Reinheit Christi
("wie auch jener rein ist"). Mit diesen Gedanken bereitet Johannes seine Leser
auf seine folgenden Aussagen vor ( 1Joh 3,6.9 ). Die Wiedergeburt bringt eine
vollständige Reinigung von der Sünde mit sich.
1Joh 3,4
Im Gegensatz zu dieser Reinheit steht die Sünde. Wer Sünde tut, der tut auch
Unrecht ( tEn anomian poiei ) , und die Sünde ist das Unrecht ( anomia ). Im
griechischen Neuen Testament kommt der Terminus anomia vor allem im
eschatologischen Kontext vor (vgl. Mt 7,23; 13,41; 24,12; 2Thes 2,7 ). Es ist
daher bemerkenswert, daß der Begriff an dieser Stelle so unmittelbar nach den
Hinweisen auf das Unwesen der Antichristen auftaucht. Wahrscheinlich wählte der
Briefschreiber ein besonders negatives Wort für die Sünde. Auf dem Hintergrund
von 1Joh 3,7 scheint es denkbar, daß die Antichristen die Sünde nicht ernst
nahmen - eine Auffassung, der Johannes entgegentreten wollte. Ein Mensch, der
sündigt, tut etwas Böses, und die Sünde ist böse schlechthin, macht Johannes
deutlich. (Wörtlich lautet der erste Satz von V. 4 : "Jeder, der Böses tut").
Die Sünde darf auf keinen Fall auf die leichte Schulter genommen werden.
1Joh 3,5-6
Wie schwerwiegend die Sünde ist, unterstreicht auch der Gedanke, daß Christus
erschienen ist, damit er die Sünden wegnehme, und in ihm ist keine Sünde. Mit
der Menschwerdung Christi kam einer in die Welt, der ganz und gar sündlos war
und dessen erklärtes Ziel es war, die Sünde aus dem Leben der Seinen
fortzunehmen (vgl. Joh 1,29; Hebr 9,28 a). Daraus folgt logisch, daß ein Mensch,
der in einer sündlosen Person ist ("bleibt"), selbst sündlos sein muß, denn er
hat eine sündlose wiedergeborene Natur.
Das ist der unausweichliche Schluß, den dieser Text den Lesern nahebringen
möchte. Doch auch noch etwas anderes wird aus der Aussage des Verses klar: Wer
in ihm bleibt, der sündigt nicht; wer sündigt, der hat ihn nicht gesehen und
nicht erkannt. Eine relativ weitverbreitete Erklärung dieses Satzes ist, daß ein
Gläubiger nicht "gewohnheitsmäßig" sündigt, d. h., daß die Sünde an und für sich
keinen Platz in seinem Leben hat. Im Griechischen findet sich jedoch keine
Entsprechung zu Wendungen wie "gewohnheitsmäßig" oder "laufend" oder
"weiterhin". Eine solche Übersetzung basiert lediglich auf einem speziellen
Verständnis des griechischen Präsens, das in der neutestamentlichen Forschung
mittlerweile umstritten ist (vgl. z. B. S. Kubo, "1 John 3,9: Absolute or
Habitual?", Andrews University Seminary Studies 7, 1969, 47 - 56; C. H. Dodd,
The Johannine Epistles , S. 78 - 81; I. Howard Marshall, The Epistles of John ,
S. 180). Es läßt sich an keiner anderen Stelle im Neuen Testament belegen, daß
das Präsens diese besondere Bedeutungsfärbung annehmen kann, ohne daß sie sich
auch sonst im Text nahelegt. Das aber trifft für diesen Vers nicht zu und
ebensowenig für 1Joh 3,9 .Johannes sagt weder, daß der Christ eine sündlose
Vollkommenheit erreichen muß, noch daß diejenigen, die darin scheitern, ihrer
Erlösung verlustig gehen. Ein solcher Gedanke ist dem theologischen Standpunkt
des Apostels und der ganzen neutestamentlichen Literatur völlig fremd.
Was Johannes hier sagen will, ist etwas ganz Einfaches. Die Sünde ist ein
Produkt der Unwissenheit und Blindheit in bezug auf Gott. "Wer sündigt, der hat
ihn nicht gesehen und nicht erkannt" (V. 6 b).
Aus einem Leben, das in der Schau und in der Erkenntnis Gottes geführt wird,
kann keine Sünde erwachsen. Sie hat keinen Raum in der Erfahrung des
"In-Christus-Seins". "Wer in ihm bleibt, der sündigt nicht" (V. 6 a). Die
Bedeutung des hier Gesagten wirft also eigentlich keine Fragen auf, doch auf den
ersten Blick ergibt sich eine gewisse Widersprüchlichkeit zwischen dieser
Aussage und Johannes' früherem Beharren darauf, daß ein Gläubiger nie von sich
behaupten kann, frei von Sünde zu sein ( 1Joh 1,8 ). Die Lösung des Problems
findet sich in 1Joh 3,3 ,wo die Reinigung dessen, "der solche Hoffnung auf ihn
hat", mit der Reinheit Christi selbst verglichen wird ("wie auch jener rein
ist"). Daraus folgt, daß das wiedergeborene Leben zumindest in einer Hinsicht
eigentlich ein sündloses Leben ist. Für den Gläubigen ist die Sünde etwas
Unnatürliches; seine ganze Lebensausrichtung strebt von der Sünde fort.
Dennoch bleibt die Tatsache bestehen, daß auch den Christen kein vollständig
sündloses Leben auf dieser Erde zuteil wird; die Aussage von 1Joh 1,8.10 bleibt
deshalb in Kraft. Überhaupt sind die beiden Gedanken nicht wirklich unvereinbar.
Der Christ erlebt durchausnoch einen echten Kampf mit seinen fleischlichen
Bedürfnissen und überwindet sie lediglich mit Hilfe des Heiligen Geistes (vgl.
Gal 5,16-26 ).
Das deckt sich auch mit dem paulinischen Denken. So konnte Paulus in seinem
Kampf mit der Sünde sagen: "Wenn ich aber tue, was ich nicht will, so tue nicht
ich es, sondern die Sünde, die in mir wohnt" ( Röm 7,20 ). Paulus sah also die
Sünde als etwas, was ihm im tiefsten Innern fremd war (vgl. Röm 7,25 ). Das
meint er auch, wenn er schreibt: "Ich lebe, doch nun nicht ich, sondern Christus
lebt in mir" ( Gal 2,20 ). Wenn Christus wirklich im Gläubigen lebt, so hat die
Sünde in seiner Glaubenserfahrung keinen Platz. Soweit der Gläubige Gemeinschaft
mit Gott hat, ist sein Leben sündlos. (Vgl. den Kommentar zu 1Joh 3,9 .)
1Joh 3,7-8
Diese Verse deuten stark darauf hin, daß die Lehre der Antichristen unter
anderem auch auf eine Verwirrung zwischen Sünde und Gerechtigkeit abzielte.
Vielleicht glaubten sie, daß es ihnen frei stehe zu sündigen, und leugneten
gleichzeitig ihre Schuld und gaben vor, richtig zu handeln. Vor solchen irrigen
Ideen warnt Johannes eindringlich: Laßt euch von niemand verführen (das
griechische Verb verführen, planaO , das auch in 1Joh 2,26 auftaucht, ist in
1Joh 1,8 mit "sich betrügen" wiedergegeben). Wer recht tut, der ist gerecht, wie
auch jener gerecht ist (vgl. 1Joh 1,9;2,1.29 ). Aus einer rechtschaffenen Natur
kann nur ein rechtschaffener Wandel erwachsen. Aber wer Sünde tut, der ist vom
Teufel . Es wäre falsch, diese Feststellung abzuschwächen. Jede Sünde, welcher
Art und wie groß sie auch sein mag, ist letztlich satanischen Ursprungs, denn
der Teufel sündigt von Anfang an (vgl. Joh 8,44 ). Die Sünde entstand mit dem
Satan; sie ist seine Natur und natürliche Lebensäußerung. An der Sünde
teilzuhaben heißt nichts anderes, als an den Aktivitäten Satans teilzuhaben.
Dazu gehört auch der Widerstand gegen das Werk des Sohnes Gottes , der gekommen
ist ( erschienen ; vgl. 1Joh 3,5; Hebr 9,28 a), um dieser Aktivität, den Werken
des Teufels , ein Ende zu setzen (lyse, zerstöre ). Selbst die geringfügigste
Sünde steht im Gegensatz zum Werk Christi. Deshalb sollen die Gläubigen "den
Bösen", der hier als der Teufel bezeichnet wird, überwinden ( 1Joh 2,13-14 ) und
nicht an seinem Sein und Tun teilhaben .
1Joh 3,9
Wie bereits im Zusammenhang mit Vers 6 dargelegt wurde, ist es auf der Basis des
griechischen Textes nicht vertretbar, an dieser Stelle den Aussagen des Apostels
über die Sünde Wendungen wie "fortfahren" oder "weiterhin" hinzuzufügen. Auch
hier handelt es sich um eine absolute Äußerung. Wer aus Gott geboren ist ( 1Joh
2,29;4,7;5,1.4.18 ), der tut keine Sünde; denn Gottes Kinder bleiben in ihm und
können nicht sündigen; denn sie sind von Gott geboren. "Gottes Kinder" haben
teil am Wesen Gottes, das jedem Gläubigen bei der Erlösung geschenkt wird ( Joh
1,13; 2Pet 1,4 ). Dahinter steht der Gedanke, daß das Kind in gewisser Weise am
Wesen seiner Eltern teilhat. Auch hier arbeitet Johannes wie überall in seinen
Schriften mit starken Kontrasten: Alle Sünde ist teuflisch ( 1Joh 3,8 ). Sie
kommt nicht aus dem wiedergeborenen Wesen des Gläubigen - aus seiner
Gotteskindschaft -, denn ein Kind Gottes kann nicht sündigen und tut es auch
nicht. Es geht hier um dasselbe wie in Vers 6 , und auch die Erklärung des
Verses bleibt gleich. Der "neue Mensch" (vgl. Eph 4,24; Kol 3,10 ) ist eine
völlig neue, vollkommene Schöpfung. Indem er diesen Aspekt so stark betont,
versucht Johannes, eine falsche Vorstellung von der Sünde abzuwehren. Die Sünde
kann nie etwas anderes sein als satanisch. Sie kann nie aus dem entspringen, was
der Christ in seinem inneren wiedergeborenen Selbst ist.
1Joh 3,10 a
Daran wird offenbar, welche die Kinder Gottes und welche die Kinder des Teufels
sind. Das Wort "daran" bezieht sich wahrscheinlich zurück auf das gesamte zuvor
Gesagte. Durch eine scharfe Unterscheidung zwischen Sünde und Gerechtigkeit
macht Johannes einsichtig, in welcher Hinsicht sich die Kinder Gottes
grundlegend von den Kindern des Teufels abheben. Der Schlüssel zum Verständnis
dieses Satzes liegt in dem Wort "offenbar", das die Gedanken von 1Joh 2,29 und
1Joh 3,1 wiederaufnimmt. Weil ein Kind Gottes in seinem innersten Wesen sündlos
ist, kann es nie - wie ein Kind des Teufels - durch die Sünde "offenbar" werden.
Ein unerlöster Mensch kann seine wahre Natur in der Sünde zeigen, nicht so ein
Kind Gottes. Wenn ein Christ sündigt, dann verbirgt er eher, wer er wirklich
ist, als es zu erkennen zu geben . Deshalb können die Leser des 1.
Johannesbriefes, wenn ihnen jemand begegnet, der wirklich "recht tut" - jedoch
nur in diesem besonderen Fall -, sein Handeln als Ergebnis der Wiedergeburt
betrachten ( 1Joh 2,29 ) und darin Gottes Liebe erblicken ( 1Joh 3,1 ). Diese
Überlegung ist entscheidend für die Fortführung des Gedankengangs.
C. Die brüderliche Liebe
( 3,10 b - 11-23 )
Johannes verläßt hier vorläufig das Thema der Wiedergeburt und greift es erst in
1Joh 4,7 erneut auf. Im folgenden Abschnitt geht es ihm in erster Linie darum,
den oben eingeführten Begriff der "Gerechtigkeit" im Sinne der christlichen
Bruderliebe zu definieren und zu zeigen, wie diese Liebe ihren angemessenen
Ausdruck findet.
1. Was die Liebe nicht ist
( 3,10 b - 11-15 )
1Joh 3,10 b
Statt Vers 10 a als Einführung in den zweiten Teil des Verses zu verstehen,
sollte man ihn eher als Abschluß des vorangegangenen Paragraphen betrachten.
Vers 10 b markiert damit den Beginn eines neuen Abschnitts. Wer nicht recht tut,
der ist nicht von Gott. Die griechische Wendung für den Ausdruck "von Gott" ( ek
tou theou ; noch weitere siebenmal bei Johannes: 1Joh 4,1-4.6-7; 3Joh 1,11 )
besagt hier nicht mehr, als daß ein Mensch, auf den diese Beschreibung zutrifft,
die Quelle seiner Handlungen nicht in Gott findet; er ist in dem, was er tut,
"nicht von Gott". So kann denn weder ein Mangel an Gerechtigkeit noch ein Mangel
an Bruderliebe (wer nicht seinen Bruder liebhat) nie von Gott herkommen.
Vielmehr hat Johannes bereits festgestellt, daß alle Sünde auf den Teufel
zurückgeht (V. 8 ).
Indem er den Gedanken der Gerechtigkeit (aus 1Joh 2,29-3,7 ) mit dem der Liebe
(der in den Versen 2-9 noch nicht zur Sprache gekommen ist) verknüpft, schafft
Johannes den Übergang zu einem neuen Thema. Im folgenden setzt er sich mit der
Liebe als dem angemessenen Ausdruck des Lebens nach der Wiedergeburt, von dem er
zuvor gesprochen hat, auseinander. Die Liebe ist die Praxis der Gerechtigkeit.
1Joh 3,11-12
Der Apostel macht an dieser Stelle erneut deutlich, daß seine Mahnungen sich an
Christen richten. Das ist die Botschaft, die ihr (die Christen) gehört habt von
Anfang an, daß wir (die Christen) uns untereinander lieben sollen. Bevor er
seinen Lesern genauer darlegt, was Liebe ist, führt er ihnen zunächst vor Augen,
was sie nicht ist. Sie äußert sich sicherlich nicht in einer Handlungsweise, wie
Kain sie zeigte, der seinen Bruder umbrachte ( 1Mo 4,8 ) und sich mit dieser
Handlung als jemand auswies, der von dem Bösen stammte ( ek tou ponErou ). Der
Grund für diesen Mord war Kains Eifersucht auf die scheinbar größere
Gerechtigkeit seines Bruders ( 1Mo 4,2-7 ). Mit diesem Satz berührt Johannes
einen empfindlichen Punkt, denn der Haß auf einen anderen Christen entsteht oft
aus einem Gefühl der Schuld im eigenen Leben, das im Vergleich mit dem des
anderen weniger vollkommen ist. Man tut gut daran, sich zu vergegenwärtigen, daß
eine solche Reaktion vom Satan kommt, wie Johannes hier unverblümt deutlich
macht.
1Joh 3,13
Aber Haßgefühle und Mordgelüste (V. 11 - 12 ) sind auch ein Kennzeichen der
Welt, denn die Welt ... haßt die Christen. Diese Tatsache soll die Leser (die im
1. Johannesbrief nur an dieser einen Stelle als Brüder angeredet werden) jedoch
nicht verwundern. Was kann man anderes von der Welt erwarten? Sehr viel
schlimmer und anormaler ist der Haß unter Glaubensbrüdern, vor dem Johannes die
Christen in seinem Brief so eindringlich warnt. Von daher ist es berechtigt,
Vers 13 mehr oder weniger als einen Einschub zu betrachten.
1Joh 3,14
Im Gegensatz zur Welt können die Christen sagen: Wir wissen, daß wir aus dem Tod
in das Leben gekommen sind; denn wir lieben die Brüder. Das erste "wir" in
diesem Satz ist im Urtext betont und bedeutet vielleicht "wir, die Apostel".
Doch auch in diesem Fall setzte der Schreiber sicherlich voraus, daß auch seine
Leser sich mit dieser Aussage identifizierten. Die brüderliche Liebe ist ein
Beweis für den Eintritt in ein Leben in der Gemeinschaft Gottes (vgl. Joh 13,35
).
Der Ausdruck "aus dem Tod in das Leben gekommen" taucht sonst nur noch in Joh
5,24 auf ("vom Tode zum Leben hindurchgedrungen"), wo er sich auf die Bekehrung
bezieht. Einem Satz, der nur zweimal im johanneischen Schriftgut vorkommt, kann
jedoch kaum eine solche festgelegte Bedeutung zugeschrieben werden; er muß
vielmehr vom Kontext her ausgelegt werden. Im vorliegenden Fall legen die
Aussagen von 1Joh 3,14 b- 15 nahe, daß mit "Tod" und "Leben" an dieser Stelle
Bereiche des menschlichen Lebens gemeint sind, für die der einzelne sich in
seinen Handlungen entscheiden kann. Wenn diese Deutung stimmt, dann ist hier
nicht von der Bekehrung die Rede.
Der Satz: Wer nicht liebt (die meisten Handschriften fügen hier "den Bruder"
hinzu), der bleibt im Tod , wird unter Vers 15 kommentiert.
1Joh 3,15
Dieser Vers wird gewöhnlich dahingehend ausgelegt, daß ein wahrer Christ einen
Mitchristen nicht hassen kann, weil Haß das moralische Äquivalent von Mord ist.
Diese Deutung hält einer sorgfältigen Prüfung jedoch nicht stand.
Zunächst einmal sagt Johannes ja: wer seinen Bruder haßt . Wenn er geglaubt
hätte, daß nur ein unerlöster Mensch einen anderen Christen hassen kann, so wäre
das Pronomen "seinen", das die Beziehung der beiden persönlich macht,
überflüssig (vgl. den Kommentar zu 1Joh 2,9 ). Darüber hinaus ist es illusorisch
anzunehmen, daß ein wirklicher Christ unfähig zu Haß und Mord ist. David
ermordete den rechtschaffenen Hetiter Uria ( 1Sam 12,9 ), und Petrus warnte
seine christlichen Leser: "Niemand aber unter euch leide als ein Mörder" ( 1Pet
4,15 ). Die Ansicht, daß 1Joh 3,15 sich nicht auf Christen beziehe, geht deshalb
völlig an der Realität vorbei. Die ernstzunehmende Tatsache bleibt bestehen, daß
Haß gegen einen Glaubensbruder in geistlicher Hinsicht so schlimm ist wie ein
Mord ( Mt 5,21-22 ); so wie ein begehrlicher Blick in geistlicher Hinsicht dem
Ehebruch gleichkommt ( Mt 5,28 ).
Johannes betont deshalb warnend, daß kein Totschläger das ewige Leben bleibend (
menousan ) in sich hat. Er sagt allerdings nicht , daß jemand, der seinen Bruder
haßt, das ewige Leben überhaupt nicht hat , sondern nur, daß er es nicht
bleibend hat. Da aber für Johannes das ewige Leben gleichbedeutend ist mit
Christus selbst ( Joh 14,6; 1Joh 1,2;5,20 ), so bedeutet dieser Satz zugleich,
daß kein Mörder Christus bleibend in sich hat. Auch hier geht es Johannes also
wieder um die Erfahrung des "Bleibens" in Christus und in Gott.
Haß unter Christen ist also in moralischer Hinsicht gleichbedeutend mit Mord.
Wie Johannes in 1Joh 3,14 b deutlich macht, ist er der Überzeugung, daß ein
Christ, der seinen Bruder nicht liebt, "im Tod ... bleibt" ( menei ). Er lebt
damit in der gleichen Sphäre wie die Welt (vgl. V. 13 ). Weil er in seinem
Herzen ein Mörder ist, kann er nicht den Anspruch auf eine so enge Gemeinschaft
mit Gott und Christus erheben, wie sie das Wort "bleiben" ausdrückt. Das ewige
Leben (d. h. Christus) hat keinen Raum in seinem Herzen, solange Mordgedanken
darin wohnen. Ein solcher Mensch hat in bedenklichster Weise den Kontakt zu
seinem Herrn verloren und erlebt nur den Tod. (Vgl. Paulus' Satz "denn wenn ihr
nach dem Fleisch lebt, so werdet ihr sterben müssen" in Röm 8,13 .) Das sind
harte Worte. Doch man erweist der Kirche keinen Dienst, wenn man die Gläubigen
als reine Lämmer hinstellt. Die Kirchengeschichte hat durch die Jahrhunderte
immer wieder gezeigt, wie notwendig diese Zurechtweisung ist, denn leider ist
der Haß nicht auf die "Welt" beschränkt.
2. Was die Liebe ist
( 3,16 - 18 )
1Joh 3,16
In starkem Kontrast zu einer haßerfüllten Gesinnung steht der wahre Charakter
der christlichen Liebe . Sie ist so weit von Mordgedanken entfernt, daß sie ihr
Leben eher für andere hingibt, als es einem anderen zu nehmen. Das wird in
einzigartiger Weise deutlich an Jesus Christus, der sein Leben für uns gelassen
hat . Von diesem Vorbild her sollen die Christen bereit sein, dasselbe für ihre
Brüder zu tun.
1Joh 3,17-18
Die Gelegenheit, das eigene Leben für einen anderen zu opfern, wird wohl nicht
für jeden gegeben sein, doch dieser Welt Güter (Nahrung und Kleidung) helfen
Leben erhalten, und wenn jemand wirklich von christlicher Liebe erfüllt ist, so
kann er seinen Bruder nicht darben sehen, ohne ihm sein Herz ( splanchna ist ein
Sinnbild für eine tiefe, gefühlsmäßige Sorge oder liebevolle Zuwendung; vgl.
auch Lk 1,78; 2Kor 6,12;7,15; Phil 1,8;2,1; Phim1,7.12.20 ) zu öffnen. Wahre
Liebe zeigt sich nicht in Lippenbekenntnissen ( mit Worten noch mit der Zunge ),
sondern in der Bereitschaft zu helfen und so mit der Tat und mit der Wahrheit zu
lieben.
3. Was die Liebe für die Gläubigen tut
( 3,19 - 23 )
1Joh 3,19-20
Der Satz "daran erkennen wir, daß wir aus der Wahrheit sind" bezieht sich
wahrscheinlich auf die Verse 17 - 18 zurück. Durch praktische Handlungen der
Liebe, die auf die Bedürfnisse anderer eingehen, können die Christen erfahren,
daß sie wirklich an der Wahrheit teilhaben.
Der zweite Teil von Vers 19 sowie Vers 20 sind in der Fassung des Urtextes
schwer zu verstehen. Wahrscheinlich sollten sie folgendermaßen wiedergegeben
werden: Und wir können unser Herz vor ihm dessen versichern, daß, wenn uns unser
Herz verdammt, Gott größer ist als unser Herz und erkennt alle Dinge . Gerade in
der christlichen Bruderliebe hat Christus dem Gläubigen ein so hohes Ziel
gesteckt, daß ihm seine Unzulänglichkeit und sein Versagen darin besonders zu
Bewußtsein kommen. Doch wenn ihn sein Herz verurteilt, so kann er sich daran
erinnern, daß Gott auch auf das sieht, was sein Herz im Moment nicht erkennt.
Wenn er die praktische Liebe, die Johannes seinen Lesern so dringend einschärft,
geübt hat, kann er sein schuldgeplagtes Herz durch das Bewußtsein beruhigen, daß
Gott sehr wohl um seine wirkliche Hingabe an die Wahrheit weiß. Diese Passage
gemahnt deutlich an die Antwort des Petrus auf die letzte Frage des Herrn: "Hast
du mich lieb?" Petrus antwortete: "Herr, du weißt alle Dinge, du weißt, daß ich
dich liebhabe" ( Joh 21,17 ).
1Joh 3,21-22
Wenn ein gequältes Gewissen durch das Vertrauen darauf, daß Gott alles weiß, zur
Ruhe gekommen ist, erwächst eine ganz neue Zuversicht zu Gott . Das Wort
"Zuversicht", parrEsia , taucht hier zum ersten Mal seit der Einführung dieses
Begriffes in 1Joh 2,28 wieder auf (vgl. 1Joh 4,17;5,14 ). Nun hat der Apostel
die erste Etappe seiner Argumentation erreicht. Durch aktive Teilhabe an der
Wahrheit in wirklichen Liebestaten können die Christen ihr mit sich selbst
unzufriedenes Herz beruhigen und im Gebet zuversichtlich sein. Ihre Gebete
werden erhört werden, weil sie sich als Gläubige bewußt dem Willen Gottes
unterwerfen (sie halten seine Gebote [vgl. 1Joh 2,3 ] und tun,was ihm
wohlgefällig ist ). Das setzt natürlich voraus, daß ihre Bitten im Einklang mit
dem Willen Gottes stehen ( 1Joh 5,14-15 ).
1Joh 3,23
Johannes hat ganz deutlich gemacht, daß ein vertrauensvolles und lebendiges
Gebetsleben auf dem Gehorsam gegenüber Gottes "Geboten" beruht (V. 22 ). Nun
faßt er diese Gebote in ein einziges zusammen, das Glauben und Liebe fordert.
Der Satz "daß wir glauben an den Namen seines Sohnes Jesus" enthält den ersten
direkten Hinweis auf den Glauben im ganzen Brief. Im Griechischen steht hier
kein Wort für das deutsche "an", so daß man auch übersetzen könnte: "glauben den
Namen seines Sohnes". In diesem Kontext ist damit sicherlich der Glaube an den
Namen Christi, den das echte christliche Gebet enthält, gemeint (vgl. Joh
14,12-14; Joh 16,24 ).
1Joh 3,23 bildet eine Art Höhepunkt des Abschnitts, der mit Vers 18 begann. In
dem Maße, in dem ein Christ aktiv Liebe übt (V. 18 ) und in seinem Gebet
Zuversicht zu Gott zum Ausdruck bringt (V. 21 ), erfüllt er Gottes Gebote (vgl.
1Joh 2,3;3,24;5,2-3 ): Er lebt ein Leben des Vertrauens auf den Namen Christi,
das getragen ist von Liebe ( 1Joh 3,23; vgl. V. 14 ; 1Joh 4,7.11.21 ). Da Glaube
und Liebe, wie diese Ausführungen zeigen, zusammengehören, unterstellt sich ein
solches Leben letztlich einem einzigen "Gebot".
D. Der einwohnende Gott
( 3,24 - 4,16 )
In 1Joh 2,28 hatte Johannes das Thema seines Briefes abgesteckt. Mittlerweile
hat er zwei Punkte dieses Themas behandelt: (1) Der aus Gott Geborene wird nur
durch Gerechtigkeit offenbar ( 1Joh 2,29-3,10 a), und (2) diese Gerechtigkeit
nimmt die Gestalt christlicher Liebe zu den Glaubensbrüdern an, die wiederum zu
Zuversicht im Gebet führt ( 1Joh 3,10 b - 23). In einem neuen Gedankengang legt
der Apostel nun dar, daß sich in einem solchen Leben die Einwohnung Gottes
manifestiert.
1. Der Geist der Wahrheit
( 3,24 - 4,6 )
1Joh 3,24
In diesem Vers tauchen zwei neue Motive auf: Das erste ist der Verweis auf die
Einwohnung Gottes oder Christi in jedem gehorsamen Gläubigen. Wer seine Gebote
hält (vgl. 1Joh 2,3;3,23;5,2-3 ) , der bleibt ( menei ) in Gott und Gott in ihm.
Diese wechselseitige Einwohnung in der Gemeinschaft mit Gott wird deutlich am
Gleichnis vom Weinstock und den Reben ( Joh 15,4-5.7 ).
Das zweite neue Motiv ist der erste von insgesamt sechs Hinweisen auf den Heiligen Geist (vgl. 1Joh 4,2.6.13;5,6.8; vgl. "der heilig ist" in 1Joh 2,20 ). Die Art und Weise, wie ein Christ beweisen kann, daß Gott in ihm bleibt ( menei ), liegt in der Wirkung von Gottes Geist in seinem Leben. Johannes zeigt auf, daß Gottes Geist ein Geist des Glaubens ( 1Joh 4,1-6 ) und der Liebe ist - jener beiden Aspekte des zweiteiligen "Gebotes" von 1Joh 3,23 .