Home
Forum
Begriffserklärungen Syngrammata
Lehre
auf Youtube
Mal3.16 Website
Neben der Schrift
Betrügerin
Elizabeth Holmes
Elizabeth Holmes
galt als weiblicher Steve Jobs. Barack Obama zeichnete sich für ihre angebliche
Wundererfindung aus.
Dann flog auf, dass alles ein Schwindel ist. Jetzt drohen ihr 20 Jahre
Gefängnis.
Ende September 2015 sass Bill Clinton zusammen mit Jack Ma, dem Gründer von Alibaba, an einem Podiumsgespräch, in ihrer Mitte eine junge, blonde Frau. Sie trug einen schwarzen Rollkragenpullover und war der Star des Abends.
Die drei sprachen über Technologie und
Innovationsfreude und natürlich über die Firma der jungen Frau, die dabei war,
mit einem neu entwickelten Gerät herkömmliche Bluttests zu revolutionieren. Ihr
Unternehmen beschäftigte 700 Angestellte und war vom
Wirtschaftsmagazin «Forbes» soeben auf 9 Milliarden Dollar geschätzt worden. Das
machte Elizabeth Holmes zur «jüngsten Selfmademilliardärin der Welt».
Holmes war damals 31 Jahre alt. Auf der Bühne mit Clinton und Ma fiel ihr leicht nerdiger Enthusiasmus auf. Aber vor allem, mit welcher Selbstverständlichkeit sie sich mit dem ehemaligen US-Präsidenten und dem schwerreichen Gründer der chinesischen Version von Amazon unterhielt – ganz entspannt und auf Augenhöhe. Und noch etwas fiel auf: Holmes tiefe Stimme, die in seltsamem Kontrast stand zu ihrem mädchenhaften Aussehen mit den grossen, blauen Augen.
Irgendwann wandte sich Clinton ans Publikum, das aus
lauter klugen und einflussreichen Menschen bestand, und sagte, auf Holmes’
bahnbrechende Technologie in Sachen Blutanalysen anspielend: «Machen Sie sich
keine Sorgen um die Zukunft. Wir sind in guten Händen.»
https://www.youtube.com/watch?v=l7Be_6NEPQE
Drei Wochen später hatten ein paar schwerreiche Männer sehr wohl Grund, sich
grosse Sorgen zu machen. Darunter die ehemaligen US-Aussenminister George Shultz
und Henry Kissinger, die bei Theranos im Verwaltungsrat sassen. Und natürlich
Medientycoon Rupert Murdoch, der 125 Millionen Dollar in die Firma von Elizabeth
Holmes investiert hatte.
Nie zuvor war er ausserhalb seiner Branche mit einer solchen Menge Geld
eingestiegen. Und nun erfuhr er zeitgleich wie die staunende amerikanische
Öffentlichkeit, was das «Wall Street Journal» über Holmes’ gefeierte
Firma Theranos schrieb: Es handle sich dabei um nichts anderes als einen
einzigen, gigantischen Betrug.
Die Erfindung, mit der sie angeblich die medizinische Diagnostik revolutioniert
habe, tauge nichts. Sei ein Bluff. Sie habe ihre Investoren, also auch den alten
Haudegen Murdoch, mit ihren falschen Versprechungen genauso reingelegt wie die
Patientinnen und Patienten, die wegen der untauglichen Apparate fehlerhafte
Resultate erhalten hätten. Kurz: Theranos sei ein Kartenhaus und die Gründerin
eine abgebrühte Schwindlerin.
Zwei Jahre später war Theranos pleite. Rupert Murdoch hatte sein ganzes investiertes Kapital in der Höhe von 125 Millionen Dollar verloren. Insgesamt waren 700 Millionen Dollar pulverisiert worden, die Firma, deren Wert einst 9 Milliarden betragen hatte, war nichts mehr wert. Und Elizabeth Holmes, der Liebling der Medien und der Wirtschaft, die Frau, die man den weiblichen Steve Jobs nannte, die als Fräuleinwunder der Techszene galt, fiel tief.
Immerhin, ein Trost: Sie wurde nach wie vor in einem Atemzug mit Superlativen genannt. Elizabeth Holmes mochte nun keine Revolutionärin mehr sein. Dafür verantwortlich für den grössten Betrug, den das Silicon Valley je gesehen hat.
Ab dem 31. August muss sich die heute 37-Jährige im kalifornischen San Jose wegen Betrugs vor Gericht verantworten. Es drohen ihr bis zu 20 Jahre Haft. Der Prozess dauert voraussichtlich bis Mitte Dezember und hätte eigentlich schon vor einem Jahr stattfinden sollen. Wegen Corona musste er mehrfach verschoben werden – ein letztes Mal, weil Holmes im Juli Mutter eines kleinen Sohnes wurde.
Wie war es möglich, dass eine 19-jährige
College-Abbrecherin aus Washington D.C. es geschafft hatte, alle zu täuschen?
Barack Obama hatte sie zur «präsidiale Botschafterin für globales
Unternehmertum» ernannt und das «Forbes»-Magazine sie zu den «100
einflussreichsten Menschen» gezählt. Finanz- und Polit-Schwergewichte waren ihr
auf den Leim gegangen. Und das nicht irgendwo, sondern einer Frau im Silicon
Valley, in diesem exklusiven Boy’s Club, der Männer wie Steve Jobs, Mark
Zuckerberg, Jack Dorsey und Elon Musk hervorgebracht hatte.
Womöglich lag es just daran: dass sie genau das zu nutzen wusste. Sie war die Ausnahme, die herausstach. Die ehemalige Chemiestudentin, ein wenig nerdig, aber eben nicht zu sehr, die gleichzeitig über Charme und Empathie verfügte, wenn auch falsche, wie im Nachhinein viele sagen, die mit ihr zu tun gehabt hatten.
Und dann war ihre Geschichte einfach zu gut: Die
blutjunge Elizabeth Holmes wollte mit ihrem Produkt die Welt besser machen.
Sie verband Hightech mit Moral. Dank ihr, die selbst Panik vor Spritzen
hatte, sollten Bluttests weniger schmerzhaft, schneller, günstiger und für
alle zugänglich werden – wer wollte da
nicht von Anfang an mit dabei gewesen sein und etwas vom Glanz dieser
jungen, offensichtlich hochbegabten, charismatischen Frau abbekommen?
https://www.youtube.com/watch?v=wtDaP18OGfw
Es funktionierte hervorragend, weil Holmes sich hervorragend auf Manipulation verstand. Dass sie stets schwarze Rollkragenpullover trug und damit unweigerlich an einen anderen, weltberühmten Rollkragenpulloverträger erinnerte, nämlich Steve Jobs, war bewusst gewählt.
Genauso ihre auffallend tiefe Stimme, die
mitnichten naturgegeben ist: Im Wissen darum, dass Frauen nur schon deshalb
weniger Aufmerksamkeit erhalten, weil sie in einer höheren Tonlage sprechen,
trainierte sie sich ihre Stimme eine Oktave tiefer. Das habe sich in den
ganz, ganz seltenen Momenten des Kontrollverlusts bemerkbar gemacht – dann
habe sie mit einem Mal ganz anders geklungen als gewohnt, sagen ehemalige
Mitarbeitende.
Echt an Elizabeth Holmes waren wohl nur der unbändige Wunsch, reich und berühmt zu werden, und das Interesse an Bluttests. Sie stammt aus einer wohlhabenden Mittelklassefamilie und experimentierte bereits während des Chemiestudiums an der Elite-Uni Stanford mit einem Mikrochip, dem ein einziger Tropfen Blut reichen sollte, um mehrere Analysen vornehmen zu können.
Nach nur einem Semester liess sie das Studium sausen und gründete Theranos. Innerhalb eines halben Jahres fand sie Investoren, die ihr sechs Millionen Dollar zur Verfügung stellten für ihre angeblich bahnbrechende Erfindung: ein kleines, portables Labor, das aussah wie ein Drucker.
Holmes nannte es Edison, in Anlehnung an Thomas
Edison, den Erfinder und Förderer der Elektrizität. Und natürlich hatte sie
die passende Geschichte dazu parat, die grossartig klang, wenn sie sie
jeweils zum Besten gab: «Thomas Edison sagte einmal: Ich bin nicht
gescheitert. Ich habe bloss 10’000 Wege entdeckt, die nicht funktioniert
haben. – Deshalb gingen wir davon aus, dass
wir 10’000-mal scheitern müssten, um es beim 10’001. Mal hinzubekommen. Und
das ist uns gelungen.»
Der Edison-Apparat, behauptete Holmes, sei in der Lage, 200 verschiedene Tests durchzuführen, von Geschlechtskrankheiten bis Krebs – ein einziger Tropfen Blut nach einem Piks in den Finger genüge dafür, und Platz finden würde dieser im sogenannten Nanotainer, einer kleinen Kapsel, die aussah wie eine Pille. Der Nanotainer wiederum – der Name war eine Erfindung von Holmes, sie trug stets einen in der Hosentasche, um ihn bei jeder Gelegenheit zu präsentieren – käme in den Edison, und innerhalb weniger Stunden würde das Resultat per Mail gleichzeitig an Patienten wie Praxen übermittelt.
Zu einem viel tieferen Preis als bisher, da keine Spritzen, keine Ampullen, keine Transporte und keine Labors mehr nötig wären. Überall sollte der Edison stehen, überall sich Leute testen können, selbst zu Hause. «Nie wieder», pflegte Holmes ihre Erfindung an Gesundheitssymposien anzupreisen, «soll jemand sagen müssen: Hätte ich das bloss früher gewusst.» Es klang verrückt. Und es klang nach dem ganz, ganz grossen Geld.
Das Problem war, dass der Edison nie funktionierte. Chemiker und Technikerinnen hatten jahrelang daran getüftelt, nächtelang Versuche gemacht, es klappte einfach nicht. Mehr als 12 Analysen brachte der Apparat nicht zustande, das war weit entfernt von den vollmundigen Versprechungen Holmes’. Mitunter wurden deshalb zu Demonstrationszwecken heimlich Apparate der Konkurrenz verwendet, etwa solche von Siemens. Und sonst hatte Holmes immer glaubhafte Ausreden parat, wenn etwas nicht klappte.
Von den Problemen ahnten weder Investoren noch Öffentlichkeit etwas, und wer innerhalb der Firma kritische Fragen stellte, dem wurde die Kündigung nahegelegt. 2015 schliesslich gelang Theranos ein Coup, und es verkaufte 40 Edisons an Walgreens, die zweitgrösste Apothekenkette der USA. Es kam, wenig überraschend, zu zahlreichen Fehlresultaten, auch zu solchen mit gefährlichen Folgen für die betroffenen Patientinnen. Ab dann ging es sehr schnell mit dem Abstieg von Elizabeth Holmes.
Dass sie in
wissender, also böser Absicht gehandelt hat, hat sie bis jetzt nicht
zugegeben. Es kam zwar kurz nach dem Zusammenbruch von Theranos zu einer
Einigung mit der amerikanischen Börsenaufsichtsbehörde SEC, indem sie eine
Busse bezahlen sowie sich verpflichten musste, zehn Jahre lang, also bis
2028, keiner Firma mehr vorstehen zu dürfen. Aber ein Schuldeingeständnis
war das nicht. Beim Prozess wird erwartet, dass sie mithilfe von
psychologischen Gutachten eine Verurteilung verhindern will.
Einer der Anwälte, der die Geschädigten von Theranos vertritt, hat das ehemalige Supergirl aus dem Silicon Valley bereits einmal ausgiebig befragt. Und war von ihr beeindruckt. Im «Telegraph» sagte er: «Sie war die ganze sechsstündige Befragung über ruhig und und absolut kontrolliert. Das schaffen die wenigsten.» Ansonsten habe sie höflich jegliche Aussage verweigert.
Holmes habe ihn, sagte der erfahrene Anwalt, von Auftreten und Selbstbeherrschung her enorm an jenen Mann erinnert, den er 2009 im Zusammenhang mit dem grössten Schneeballsystem-Betrugsfall der USA vernommen hatte: Bernie Madoff.
Sie nutzte die Schwäche der anderen. Hatte ein Projekt in den Kinderschuhen, das aber tatsächlich auch hätte funktionieren können, sie nicht einmal von der Idee her erfand, es gab es bereits in mehreren SiFi-Geschichten und renommierte Firmen zuvor schon ähnliche Dinge entweder auf den Markt brachten oder daran gearbeitet haben, das sollte man schon wissen. Nur, damals wie heute ist mit erprobter und gängiger Technik in dieser Grössenordnung(Nanotainer, angel. an Vacutainer) und dem Analyse- und Rechengerät "Edison" noch nicht möglich. Zu komplex die Analytik und eine Herstellung die zertifiziert werden kann ebenso wenig. Mit Madoff kann man das aber nicht vergleichen. Sie war eine Visionärin mit enormem Geltungsdrang und raffiniertem Vorgehen, das auch gewisses Wissen voraussetzt, und so Vertrauen schaffte, Madoff surfte schlicht auf der Gier der Anleger mit einem Schneeballsystem. Hier zu Beginn bei ihr den Betrug zu erkennen war schwer, später hätte man als Investor kritischer dranbleiben müssen. Aber renommierte Firmen, jedoch im Rahmen eigener Entwicklungsprojekte, arbeiten auch an solchen Systemen. Nur geht das schon lange so und nicht hyperschnell wie die Frau vorgaukelte, und die Resultate sind solid, aber weit weg eben wie 200 Tests von sehr unterschiedlicher Art. Daher gabs ja alsbald kritische Stimmen, aber warum hörte die niemand oder wollte sie hören? Eben.