189 Römer 5
gewaltiger Gnadenstrom unzählige Seelen von der
abschüssigen Bahn der Sünde und des Todes mitreißt und
hinaufträgt zur Quelle des unvergänglichen Lebens.
17 Denn wenn durch die Übertretung des einen der Tod
durch den einen zur Herrschaft kam170, werden vielmehr
die, welche das Übermaß der Gnade und der Gabe der
Gerechtigkeit empfangen, im Leben herrschen durch den
einen, Jesus Christus.)
Nachdem Paulus in Vers 15 gezeigt hat, dass Gottes Gnade
mehr wirkt als Adams Sünde, und dann in Vers 16 gezeigt
hat, worin dieses Mehr besteht, sagt er hier
schließlich, dass Gottes Gnade dazu führt, dass die
Begnadigten im Leben herrschen werden. Sie werden mithin
in eine höhere Stellung versetzt als die, welche Adam
mit der Sünde verlor. Er lebte, aber er herrschte nicht
im Leben; darum konnte er es verlieren. Wer aber Gottes
Gnade und mit ihr die Gabe der Gerechtigkeit empfangen
hat, herrscht, und das bedeutet, dass er das Leben nie
verlieren kann.
»Durch die Übertretung des einen« kam
der Tod zur Herrschaft und herrscht seither. Er war
schon da, als wir – du und ich – geboren wurden; wir
waren ihm unterworfen und konnten ihm nicht entrinnen.
Wer »das Übermaß der Gnade und der Gabe 171 der
Gerechtigkeit« empfängt, wird »im Leben herrschen«; er
wird absolut und ohne Ende herrschen (Offb 22,5) und nie
mehr der Sünde und dem Tod erliegen.
Lasst uns bedenken, was dieser
Vergleich zwischen Adam und Christus besagt. Durch die
Übertretung des einen, auf dessen Erschaffung und Sünde
wir keinerlei Einfluss hatten, kam der Tod zur
Herrschaft. Das bedeutet, dass wir nicht durch unsere
Willensentscheidung unter ihre Gewalt kamen. Wir stehen
von Geburt an unter ihr, ob das uns lieb ist oder nicht,
und ob wir das gerecht finden oder nicht. Nun gilt aber
das Gleiche auch für die Gerechtigkeit und das Leben.
Wir kommen zum Leben
170 Der Aorist ebasileusen wird hier am besten ingressiv
verstanden: Er hält den Punkt fest, an dem die
Herrschaft des Todes anfing. Es ergibt keinen guten
Sinn, wenn man sagt, dass der Tod »geherrscht hat«.
Herrscht er denn nicht mehr?
171 Die »Gabe der Gerechtigkeit«: Dieser Genitiv drückt
nicht ein Zughörigkeitsverhältnis aus zwischen Gabe und
Gerechtigkeit, sondern sagt, worin die Gabe besteht: in
der Gerechtigkeit. So bedeutet auch »die Erstlingsgabe
des Geistes« (Röm 8,23) so viel wie »die Erstlingsgabe,
nämlich der Geist«. Der Geist ist also diese
Erstlingsgabe.
Gottes Gerechtigkeit offenbart sich in der Bewahrung …
(5,1–8,39) 190
und zur Herrschaft in Christus, auf dessen Werk wir
keinen Einfluss hatten. Er wirkte die Erlösung, als wir
noch nicht lebten; ja, er war vor aller Zeit dazu
verordnet, als Lamm unsere Sünden zu sühnen (1Petr
1,20). Und wir wurden von Gott dem Vater in Christus
erwählt, bevor die Welt erschaffen war (Eph 1,4). Er
fragte uns nicht, ob das uns lieb war, und er versetzte
uns, ohne unsere Einwilligung abgewartet zu haben, in
seinen Sohn: »Aus ihm seid ihr in Christus Jesus, der
uns geworden ist Weisheit von Gott und Gerechtigkeit und
Heiligkeit und Erlösung« (1Kor 1,30). So sicher in Adam
der Tod ist, so sicher ist damit in Christus das Leben.
Indem der Apostel uns zu Adam und zu seiner Sünde
zurückgeführt hat (V. 12), lässt er uns daran denken,
wozu Gott Adam erschaffen hatte, nämlich zur Herrschaft
über die Schöpfung (1Mo 1,26) und zum Leben (1Mo 2,7).
Durch Christus gewinnt der Erlöste das zurück, was Adam
verloren hatte. Doch Gott versetzt uns dabei nicht
lediglich in den Stand Adams zurück. Der hatte zwar
Leben, aber er konnte es verlieren, und er verlor es
tatsächlich. Der Erlöste aber herrscht im Leben; jede
Macht, die dieses Leben anfechten könnte, ist Christus
unterworfen (siehe Eph 1,22-23). Daher wird der Erlöste
das Leben nie verlieren. Adam war als Gottes Geschöpf
gut (1Mo 1,31), aber er war wandelbar gut; er konnte
sich vom Guten zum Bösen wenden. Wir sind als in
Christus Gerechtfertigte unwandelbar gut. Wir können dem
Bösen nie verfallen und darum nie aus unserem Stand als
Erlöste herausfallen. Das drückt Johannes damit aus,
dass er sagt: »Jeder, der aus Gott geboren ist … kann
nicht sündigen« (1Jo 3,9). Mit »sündigen« meint Johannes
natürlich nicht einzelne Sünden, die man begeht (denn
solche begehen wir alle auch als Christen [siehe 1Jo
1,8]). Er meint jene eine Sünde Adams, die zum Abfall
von Gott und vom Leben führte.
Beachten wir schließlich, dass Paulus die beiden
Aussagen über die Herrschaft des Todes und die
Herrschaft des Lebens nicht parallel konstruiert hat.
Nachdem er gesagt hat, dass der Tod herrschte, sagt er
nicht, dass nun das Leben herrscht, sondern er sagt,
dass wir im Leben herrschen. Warum das? Der Tod
herrschte als ein Tyrann über uns; wir waren dessen
hilflose und blinde Sklaven. In Christus sind wir aber
zur Freiheit befreit worden (Gal 5,1); wir sind nicht
als Willenlose und Blinde dem Leben unterworfen, sondern
erkennend und mit großer Dankbarkeit stehen wir bewusst
in der Herrschaft des Lebens. |