Hesekiel
Kapitel 6
b. Zwei Botschaften des kommenden Gerichts
( Hes 6-7 )
Nachdem er seine vier dramatischen Zeichen
überbracht hatte, erhielt Hesekiel zwei Predigten, die beide mit den
gleichen Worten beginnen: "Das Wort des Herrn geschah zu mir" ( Hes 6,1;
7,1 ). Gott ist die Quelle der Worte, die Hesekiel verkündigte. Die
erste Botschaft ( Hes 6 ) behandelte Israels Götzendienst, den Grund für
das Gericht. Die zweite Botschaft ( Hes 7 ) sprach von der Art des
Gerichts.
(1) Der Götzendienst als Grund für das Gericht (
Hes 6 )
Hes 6,1-2
Gott befahl dem Propheten, sein Angesicht gegen die
Berge von Israel zu richten. Die Präposition "gegen" ( ?el ) meint eine
Bewegung auf etwas zu. Der Ausdruck "das Gesicht richten gegen" wird
benutzt, um eine Richtung ( 1Mo 31,21 ; "zog nach"; 4Mo 24,1 ), die
Bestimmung oder den Zweck ( 2Kö 12,18 ; "wandte sich gegen") oder
feindliche Absichten ( 3Mo 17,10; 20,3.5-6 ) zu bezeichnen. Hesekiel
benutzte diesen Ausdruck 14mal ( Hes 4,3.7; 6,2; 13,17; 14,8; 15,7
[zweimal]; Hes 21,2; 21,7; 25,2; 28,21; 29,2; 35,2; 38,2 ). Jedesmal
bedeutete es, sein Angesicht mit feindlicher Absicht gegen jemanden oder
etwas zu richten. Gott richtete das Werkzeug seines Gerichtes gegen sein
Ziel. Interessant ist noch, daß Hesekiel später noch einmal den "Bergen
von Israel" weissagte ( Hes 36,1-15 ). Dort jedoch ist seine Botschaft
eine Prophetie des Segens.
Hes 6,3-7
Hesekiel sollte auch gegen Israels Schluchten und
Täler weissagen. Die Bedeutung dieser Aussage kann nur im Licht der
kanaanitischen Religionspraktiken verstanden werden, die von Israel
übernommen wurden (vgl. Jer 2,20-28; 17,1-3; 32,35 ). Israel sollte den
Gott des Himmels nur in seinem Tempel in Jerusalem anbeten, aber das
Volk stellte im ganzen Land falschen Göttern Schreine auf (vgl. 2Kö
21,2-6.10-15 ). Indem sich Hesekiel hier an das Land selbst wandte,
machte er die gottlose Verwendung desselben durch die Menschen deutlich.
Gottes Schwert (vgl. Hes 5,1.12 ) würde Israels
Höhen zerstören . Eine "Höhe" ( bAmCh ) war gewöhnlich (allerdings nicht
immer; vgl. 2Kö 23,8 ) ein Ort der Anbetung auf einem Hügel oder Berg.
Die erhöhte Stellung sollte die Menschen näher zu ihren Göttern bringen.
Auf einem solchen Platz konnte zwar auch ein Tempel stehen ( 1Kö 12,31
), aber gewöhnlich bestanden Höhen nur aus Altären, auf denen man
opferte.
In Kanaan gab es schon Höhen, bevor Israel ins Land
kam, und Gott befahl, diese zu zerstören ( 4Mo 33,52 ). Israel sollte
Gott nur im Heiligtum, das in Silo stand, anbeten (vgl. 5Mo 12,2-14;
1Sam 1,3 ). Nach der Zerstörung von Silo (vermutlich durch die
Philister) und vor dem Bau des Tempels in Jerusalem hatte Israel keinen
zentralen Ort für den Gottesdienst. Der Altar und die Stiftshütte wurden
nach Gibeon gebracht ( 2Chr 1,1-3 ), und die Bundeslade kam nach
Kirjat-Jearim ( 1Sam 6,21-7,1 ). Der Tisch für das Brot der Gegenwart
stand offensichtlich in Nob ( 1Sam 21,2-7 ). Während dieser Zeit ließ
Gott den Gebrauch von Höhen als vorläufige Anbetungsorte zu (vgl. 1Kö
3,2 ). Sowohl Samuel ( 1Sam 9,12-14 ) als auch Salomo ( 1Kö 3,3 )
beteten Gott auf Höhen an.
Nachdem der Tempel in Jerusalem vollendet war,
wurde der Gottesdienst auf den Höhen erneut verboten. Die meisten noch
im Land befindlichen Höhen waren falschen Göttern geweiht ( 1Kö 11,7-10
). Der Konflikt zwischen dem wahren und dem falschen Gottesdienst zeigte
sich oft in der Behandlung dieser Höhen. Die Könige, die Gott folgten,
versuchten, die Höhen zu zerstören (z. B. Hiskia, 2Kö 18,3-4 ; Josia,
2Kö 23,8-9 ), während die Könige, die Gott nicht folgten, sie wieder
aufbauten (z. B. Manasse, 2Kö 21,1-6 ).
Zur Zeit Hesekiels gab es wieder überall in Juda
solche Höhen. Dort standen Altäre für das Schlachtopfer von Tieren für
die Götzen, Räucheraltäre für das Opfern von Räucherwerk und Statuen von
Götzen, die die Götter sozusagen physisch repräsentieren sollten ( Hes
6,4 ). Israels hartnäckiger Götzendienst war ein Krebsgeschwür, das
ausgemerzt werden mußte.
Gottes Gericht würde schnell und gründlich sein.
Sowohl die falschen Orte der Anbetung als auch ihre Erbauer und die
Menschen, die hier anbeteten, würden vernichtet werden. Gott würde
eingreifen, so daß die Höhen, Altäre, Götzen und Räucheraltäre allesamt
ausgelöscht werden. Die Menschen, die sie gebaut hatten, würden getötet
und ihre toten Körper würden neben die zerschlagenen Götzen und Altäre
gestreut werden (V. 5 ). Dann würde das Volk erkennen, daß diese Götter
falsche Götter gewesen sind. Sie würden, so sagte Gott, wissen, daß ich
der HERR bin . Dieser Ausdruck kommt im Buch Hesekiel 63mal vor. Durch
den Bundesnamen Gottes, Jahwe, richtete Hesekiel die Aufmerksamkeit auf
die Untreue und den Abfall des Volkes.
Hes 6,8-10
Inmitten des Gerichts erfolgte nun eine Verheißung
der Barmherzigkeit. Gott würde einige verschonen (vgl. Hes 5,3-5; Hes
12,16 ). Nicht alle Israeliten würden vernichtet werden, denn einige
würden dem Schwert entkommen , wenn Israel unter die Heiden zerstreut
würde. Die drohende Niederlage Israels unter Babylon war nicht das Ende
der Bundesverheißungen Gottes für Israel. Gott wandte sich nicht von
seinen Verheißungen ab.
Einige Israeliten in der Gefangenschaft würden sich
an Gott erinnern. Sie würden an sein Wesen denken - wie er über sie in
ihrem Götzendienst bekümmert war. Die Worte ihre ehebrecherischen Herzen
beziehen sich auf ihren Götzendienst, der ein Akt der Untreue ist,
ähnlich dem eines untreuen Ehegatten, der Ehebruch begeht. Sie würden
sich auch an Gottes Treue gegenüber seinen Verheißungen erinnern,
besonders an jene, in denen er versprach, Ungehorsam zu bestrafen.
Die Weggeführten in der Gefangenschaft würden sich
vor sich selbst wegen all ihrer verwerflichen Taten ekeln . Die
traurigen Folgen der Sünde würden eine späte, aber notwendige Reue
schaffen. Indem sie ihre Sünde und die Gerechtigkeit ihres Gerichts
anerkannten, würden sie wieder zu Gott zurückgebracht - sie werden
wissen, daß ich der HERR bin . Ihre persönliche Erkenntnis Gottes würde
aus dem Elend der Gefangenschaft stammen. Gott brachte die
Gefangenschaft nicht vergeblich über Israel.
Hes 6,11-12
Der letzte Abschnitt (V. 11 - 14 ) dieser Predigt
beginnt, indem Gott Hesekiel anwies, seine Hände zusammenzuschlagen, mit
seinen Füßen zu stampfen und zu rufen: Wehe ! Das Zusammenschlagen der
Hände, klatschen, war ein Zeichen der Freude ( 2Kö11,12 ) oder des
Spottes ( Hi 27,23; Kl 2,15; Hes 21,19.22; 22,13; 25,6; Nah 3,19 ). Hier
ist wohl ein Ausdruck des Spottes gemeint (vgl. Hes 25,6 ).
Hesekiel sollte diesen Spott wegen all der
gottlosen und verwerflichen Praktiken des Hauses Israel zeigen.
Zerstörung durch Schwert, Hunger und Pest war die Zusammenfassung des
Gerichtes, das bereits im vierten Zeichen des Propheten ( Hes 5 )
angekündigt worden war. Die Bewohner Jerusalems, die einem der Unheile
entronnen waren, würden durch das nächste getroffen werden ( Hes 6,12 ).
Hes 6,13-14
Das Bild in Vers 1 - 7 wiederholte sich hier, wenn
Gott ankündigte, daß er die Leute zwischen ihren Altären , auf jedem
hohen Hügel und unter jedem grünen Baum und allen dichten Eichen
erschlagen würde. Oft wurden auf den Höhen Altäre unter mächtigen Bäumen
aufgebaut, die Wachstum und vielleicht auch Fruchtbarkeit symbolisierten
(vgl. Hos 4,13 ). Die "Eiche" ( ?ElCh ) ist eigentlich die Terebinthe.
Die Terebinthe ist ein Laubbaum, der in Palästina häufig vorkommt und
etwa 10 - 12 Meter hoch wird. Das Tal Ela, wo David Goliat erschlug,
erhielt seinen Namen vermutlich durch die vielen Bäume dieser Art, die
dort wuchsen ( 1Sam 17,2.19 ).
Gott hatte Israel ein Land voller "grüner" Bäume
und "dichter" Eichen gegeben, aber die Menschen hatten seine Gabe
verdorben, indem sie diese Bilder seiner Größe und seines Reichtums zu
Orten gemacht hatten, an denen sie all ihren Götzen lieblichen Opferduft
darbrachten. Deshalb würde Gott ihr reiches Land zu Geröll und Schutt
werden lassen - verlassen und öde von der Wüste bis nach Dibla. Statt
"Dibla" lesen einige Manuskripte "Ribla" (siehe auch einige deutsche
Übersetzungen), eine Stadt am Fluß Orontes in Syrien. Wenn diese Lesart
richtig ist, dann spricht Hesekiel von dem ganzen Land, von der Wüste im
Süden bis nach Ribla im Norden. Dies scheint aus zwei Gründen zu
stimmen. Erstens kennen wir keine Stadt namens Dibla in Juda. (Obwohl
dies natürlich ein argumentum e silentio ist, scheint es doch
unwahrscheinlich, daß Hesekiel eine wenig bekannte Stadt benutzt, um das
Ausmaß des Gerichtes Gottes deutlich zu machen.) Zweitens läßt sich die
Änderung von Ribla zu Dibla durch die ähnliche Form der hebräischen
Buchstaben d und r erklären. Ein Abschreiber kann sich hier leicht
geirrt und aus Versehen die beiden Buchstaben verwechselt haben.
Zum dritten Mal in diesem Kapitel sagte Hesekiel,
daß es eine Folge des Gerichtes sein würde, daß Israel wissen würde, daß
er der HERR sei (vgl. Hes 6,7.10.14 ), daß Israel also seine höchste
Autorität anerkennen würde.
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