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JONA
Eschatologie
Wenn man sich die Botschaft dieses
kurzen vorexilischen Buches ansieht,
fällt es einem leicht, sich auf
Jona als Hauptgestalt in
dieser Geschichte zu konzentrieren.
Wenn man dies als Leser tut,
übersieht man jedoch die wichtigste
Person, den Herrn selbst. Es ist der
Herr, der Jona
beruft (
1,2; 3,1
), den Sturm kommen
lässt (
1,4 ) und auf übernatürliche
Weise dafür sorgt, dass
Jona als derjenige
identifiziert wird, der Schuld an
dem Sturm ist (
1,7 ). Außerdem rettet er ihn
vor dem sicheren Tod und bringt ihn
mit Hilfe eines riesigen Fisches auf
das Trockene (
2,1; 2,11
). Zu ihm fleht
Jona
auch um Gnade (
2,2-10
). Danach sendet Gott ihn
mit einer Botschaft nach Ninive (
3,1-4 ; vgl.
1,2 ), lässt sich aufgrund der
Buße der Niniviten des gegen ihre
Stadt verhängten Gerichts gereuen (
3,5-10
) und sorgt dafür, dass
Jona
vor dem
sengenden Ostwind unmittelbar
geschützt wurde (
4,6 ). Er bestellt einen Wurm,
der den schattenspendenden Rizinus
verdorren lässt (
4,7 ) und erbarmt sich seiner
Schöpfung (
4,11 ). Es ist der Herr, der die
Ereignisse dieses ganzen Buches
geschehen lässt. Damit will er
Jona
und alle
späteren Leser lehren, dass er
souverän über die gesamte Schöpfung
herrscht und sich das Recht
vorbehält, alles Erschaffene und
Erwählte zu richten,
aber auch zu lieben - ob Menschen,
Tiere oder sonst irgendetwas.
Schließlich steht es biblisch
gesehen fest, dass sich Gott der
Menschheit am liebsten in Liebe
zuwendet, während man sagen könnte,
dass er ihr nur ungewollt und in
außergewöhnlichen Fällen im Gericht
begegnet (
2Mo 34,6-7
).
Bis zur Wiederkunft des Herrn werden
Bibelkritiker immer wieder
hartnäckig versuchen, die
Historizität des Buches
Jona
abzulehnen: Dass
der Prophet drei Tage im Bauch eines
»großen Fisches« war, halten einige
doch für sehr unwahrscheinlich (
2,1 ). Die Größe Ninives (die
innere Stadt maß nur ca. 3 km im
Durchmesser; während
Jona
für die
Durchwanderung der Stadt drei Tage
brauchte), ein Hinweis auf den
»König von Ninive«, die sofortige
Reaktion der Niniviten auf die
Botschaft Jonas und das rasche
Wachstum der Rizinusstaude als
Schattenspender für
Jona
scheinen
für viele Exegeten unüberwindliche
Hindernisse darzustellen.
All diese Einwände kann man leicht
folgendermaßen erklären:
(1) Übernatürliche Eingriffe Gottes
waren dem Alten Testament gewiss
nicht fremd.
(2) Außerdem sollte man ein
richtiges Bild von der ungeheuer
großen Bevölkerung in und um Ninive
bekommen und verstehen, wie lange
man brauchte, um die Stadt zu
durchwandern und dabei ihren
Bewohnern zu predigen (eine
dreitägige Verkündigung in der
gesamten »großen Stadt« konnte
leicht Städte in unmittelbarer
Nachbarschaft zu Ninive
einschließen;
1Mo 10,11-12
).
(3) Ferner muss man wissen, dass
sich Könige eines Volkes manchmal
nach ihrer Residenzstadt
bezeichneten (Ahab wird der »König
von Samaria« genannt;
1Kö 21,1
). Im Blick auf diese
Debatte halten bibeltreue Theologen
konsequent und vorbehaltlos an der
Historizität des Buches fest.
Aufgrund des Tatbestands, dass
Jona
in
2Kö 14,25
als Prophet für Israel
während der Herrschaft Jerobeams II.
erwähnt wird, sehen wir die
Anregung, die Ereignisse des Buches
Jona
zwischen 794 und 753
v. Chr. einzuordnen, als
hinreichend begründet an. Wenn man
dem die Tatsache hinzufügt, dass
Jesus die Historizität Jonas
anerkennt (
Mt 12,39-41
), bleibt einem kaum
etwas anderes übrig, als in der
Geschichte einen Tatsachenbericht zu
sehen und nach ihren Kostbarkeiten
zu suchen. Wenn man Jonas Verhalten
und Gefühle verstehen will, muss man
sich die von Grausamkeiten geprägte
Geschichte des assyrischen Reiches
und seine Vorherrschaft über die
antike Welt während des 10.-7.
Jahrhunderts v. Chr. bewusst machen.
Assyrien stellte jenes Werkzeug des
Herrn dar, das nach Aussagen von
Hosea und Amos (Jonas Zeitgenossen)
Israels Untreue bestrafen und
Samaria zerstören sollte - eine
Prophetie, die 722 v. Chr.
schließlich Wirklichkeit wurde.
Das Buch lässt eindeutig erkennen,
dass Jona
wenig Interesse
daran hatte mitzuerleben, wie die
Niniviten von ihren gottlosen Wegen
umkehrten und den Zorn Gottes
abwendeten (
4,1-11
). Er hätte viel lieber
ihr Weiterleben in ihrer
Gottlosigkeit und die von ihm
geweissagte Zerstörung gesehen (
3,4 ).
An dieser Stelle soll kurz davor
gewarnt werden, zu viel Typologie im
Jonabuch zu sehen. Dies betrifft
insbesondere den subjektiven
Charakter, der mit typologischer
Auslegung oft einhergeht. Obwohl es
faszinierend sein mag, einen engen
Zusammenhang zwischen Jonas
Verhalten und der Situation des
Volkes Israel zu sehen, muss man mit
solchen Vergleichen äußerst
vorsichtig sein, um sicherzustellen,
dass die Integrität und die aus
einer fundierten sowie gründlichen
Exegese hergeleitete Botschaft des
Textes nicht zugunsten von
theologischen Möglichkeiten geopfert
wird.
Da man Jonas Verhalten im Buch als
ungehorsam oder zumindest als nur
bedingt gehorsam bezeichnen kann,
scheint es ratsam, eine Einteilung
zu vermeiden, die sich an seinem
Ungehorsam (
Jon 1-2
) und seinem Gehorsam (
Jon 3-4
) orientiert.
Eine vorgeschlagene Gliederung, die den Grundgedanken der göttlichen
Souveränität im Bereich menschlicher
Angelegenheiten untermauert, sieht
folgendermaßen aus: Gottes beruft
- Jona
rebelliert (
Jon 1 ); Gott ist Herr der Lage
- Jona-
ist
entschlossen zu gehorchen (
Jon 2 );
Gott kündigt Gericht an
- Jona
nimmt sein Prophetenamt wahr
(
Jon 3 );
Gott erbarmt sich
- Jona
ist missmutig (
Jon 4 ).
Im Einzelnen: In seiner Souveränität
beschließt der Herr, einen Propheten
zu senden, um Ninive vor seinem
bevorstehenden Gericht zu warnen.
Der von ihm erwählte Prophet ist
Jona
- ein Mann, der seinen Dienst
gern in Israel tun (
2Kö 14,25
), aber nicht zu
seinen gefürchteten Feinden, den
Assyrern, gehen will.
Jona
begehrt gegen Gottes Plan auf
und flieht unverzüglich westwärts
nach Tarsis. Die Rebellion gegen
eine Gelegenheit, einem Feind
Gericht predigen zu können,
erscheint merkwürdig.
Eine Aussage Jonas (
4,2 ) zeigt aber, dass er die
Möglichkeit einer Umkehr Ninives
nach seiner Predigt und einer
Abwendung des Gerichts in Betracht
zog - eine Möglichkeit, die er nicht
akzeptieren wollte.
Seine in
Kapitel 4
befindliche Reaktion
auf die Buße der Niniviten erhärtet
diese Schlussfolgerung. Dieses
Aufbegehren kann Gottes Plan nicht
durchkreuzen: Er lässt einen Sturm
kommen, aufgrund dessen die
phönizischen Seeleute glauben, dass
die Götter zornig sind und
besänftigt werden müssen. Indem sie
Lose werfen, finden die Seeleute
durch Gottes Fügung
Jona
als denjenigen
heraus, dessen Rebellion die Ursache
des Sturms ist. Indem er erkennt,
dass er vor dem Herrn nicht fliehen
kann, rät Jona
den Seeleuten, ihn ins Meer
zu werfen und ihm damit das Leben zu
nehmen. Dies sei die einzige
Alternative, wenn sie überleben
wollen. Schließlich sind sie
gezwungen, Jonas Rat anzunehmen: Sie
werfen ihn ins Meer. Sobald sie dies
getan haben, beruhigt sich das Meer,
was sie veranlasst, in gewisser
Weise den Gott Jonas anzunehmen.
Jona
stellt fest, dass ihm
eine Lektion erteilt wurde, die
letztlich auch seinem Volk gilt.
Dieses Volk soll die Verpflichtung
des Herrn verkörpern, seine Gnade
einem heidnischen Volk mitzuteilen.
Jona
hat im Bauch
eines großen Fisches Zeit zum
Nachdenken - einem Geschöpf, das ihn
wieder an Land bringen soll.
Kapitel 2
beschreibt
die Reaktion Jonas auf Gottes
Entschlossenheit, ihn zu gebrauchen,
um seine Botschaft in Ninive
auszurichten.
Als einer, der nicht mehr sterben will (
2,4-6 ), findet sich
Jona
mit der Tatsache
ab, dass das Leben letztlich in den
Händen des Herrn liegt. Daher
schreit er zu Gott, dass er ihn
retten möge (
2,7-10
). Jonas Zorn in
Kapitel 4
deutet darauf hin,
dass sein Gebet kein Ausdruck
völliger Buße ist. Zwar ist er
seinerseits bereit, die Souveränität
Gottes über sein Leben zu
akzeptieren, aber Erbarmen mit
Ninive, mit den assyrischen Feinden
- das kam für
Jona
nicht in Frage.
Trotz Jonas Haltung gebraucht der
Herr ihn weiterhin in seinem Plan,
um sich über Ninive zu erbarmen,
weshalb sich Jona
schließlich auf
dem Trockenen wiederfindet (
2,11 ).
In
Kapitel 3
wiederholt Gott seine anfänglich
geäußerte Absicht, an der Stadt
Ninive das Gericht zu vollstrecken:
»Noch vierzig [die LXX liest drei
Tage] Tage, und Ninive ist zerstört«
(
3,4 ). Diesmal reagiert
Jona
gehorsam auf
Gottes Ruf, indem er diese Botschaft
einen Tag lang in der ganzen Stadt
und in ihrer Umgebung verkündigt -
und mit welch unerwarteten,
überwältigenden Auswirkungen (
3,5-10
)! Die gesamte Stadt,
einschließlich des Königs, tut
sofort Buße.
Kapitel 4
beschreibt,
wie missmutig
Jona
angesichts des
Erbarmens des Herrn ist, das er dem
bußfertigen Ninive erweist. Sein
Verdruss wird so groß, dass er in
seine Haltung vor seiner Flucht
zurückfällt. Erneut will er lieber
sterben, als das souveräne Handeln
Gottes zu akzeptieren (
4,1-3 ). In seiner Gnade schafft
der Herr natürliche Bedingungen,
unter denen er
Jona
seine Liebe und
Barmherzigkeit erklären kann, die
nicht nur den Menschen dieser Welt,
sondern sogar den Tieren gilt.Jona
sehnt sich danach, die
Pflanze als Schattenspender
wiederzuhaben, obwohl er sie selbst
nicht ins Leben gerufen hat. Wie
viel mehr müsste dem Schöpfer der
Rizinusstaude daran gelegen sein,
dass sie gesunde? Weil jedes Volk
vom Herrn erschaffen worden ist,
besteht Gottes Sehnsucht nicht
darin, eine einzige Nation mit dem
Ziel der geistlichen
Wiederherstellung auszusondern und
die übrigen Völker zu ignorieren.
Vielmehr gilt:
»Er ist langmütig euch gegenüber, da
er nicht will, dass irgendwelche
verloren gehen, sondern dass alle
zur Buße kommen« (
2Petr 3,9
). Gottes Absichten
liegt seine Liebe zugrunde, während
Jona
von
selbstsüchtigem Interesse getrieben
wird.
John D. Hannah beschreibt
Jona
folgendermaßen:
»Seine persönliche Bequemlichkeit
war ihm wichtiger als das religiöse
Schicksal von Tausenden von
Menschen« (John F. Walvoord und Roy
B. Zuck, Hrsg.,
Walvoord Bibelkommentar
, Bd. 3,
Hänssler-Verlag, 1992, S. 571.).
Israel sowie einer seiner Propheten
hatten vergessen, dass eine
Hauptaufgabe des Volkes darin
bestand, der ganzen Welt gegenüber
immer wieder das zu verkündigen, was
der Herr von den Menschen fordert (
Ps 22,28-29; Jes 49,6; 52,10 ).
Jona
verstand
schließlich, dass er seine Weltsicht
mit Gottes Sicht der Dinge in
Übereinstimmung bringen musste. Dies
ist nicht den Wortes des Textes,
sondern vielmehr der Tatsache zu
entnehmen, dass er später seine
Erfahrungen aufzeichnete.
Das Buch beschreibt keine
prophetischen Ereignisse, die über
den darin berichteten Zeitraum
hinausgehen. Ja, als es
niedergeschrieben wurde, konnte man
auf die beiden entsprechenden
Prophetien zurückblicken: Nachdem
Jona
die Seeleute
aufgefordert hatte, ihn ins Meer zu
werfen, weissagte er, dass die See
sich beruhigen würde, wenn sie dies
täten (
1,12 ). Als
Jona
über
Bord geworfen wurde, legte sich
dieser Sturm, und damit ging diese
Prophezeiung in Erfüllung.
Die zweite Prophezeiung war von
ihrer Art her an Bedingungen
geknüpft. Der Herr gebot
Jona, den Niniviten
mitzuteilen, dass ihre Stadt in
vierzig Tagen zerstört werden würde.
Diese Weissagung ging nicht in
Erfüllung, weil sich die Bewohner
Ninives von ihrer Gottlosigkeit
abkehrten.
Einige Gelehrte sagen, dass in
Jon 2,1
eine dritte Weissagung
aufgezeichnet ist, die auf den
übernatürlichen Charakter des Todes
und der Auferstehung Jesu Bezug
nimmt
(
Mt 12,39-41
).
Diese Stelle sollte man jedoch nicht als Prophezeiung ansehen, weil sie
nicht niedergeschrieben wurde, um
den Tod des Messias vorauszusagen.
Vielmehr beinhaltet sie einen Typus,
auf den Jesus anspielt und der den
Zwischenzustand zwischen seinem Tod
und seiner Auferstehung beschreibt.
Lukas´ Aussage, dass »Jonas
den Niniviten
ein Zeichen war« (
Lk 11,30
), lässt darauf
schließen, dass die Bewohner Ninives
über seine Erfahrung im Bauch des
Fisches Bescheid wussten. Man kann
durchaus davon ausgehen, dass
Jona
die Geschichte
seines Aufbegehrens und des
anschließenden Gerichts den Menschen
von Ninive erzählte, um seine
Botschaft von der Zerstörung, der
sie aufgrund ihrer Rebellion
entgegengingen, zu legitimieren.
Sie glaubten, dass Ninive von einem Fischgott gegründet wurde. Es
verwundert daher nicht, dass die
Menschen Jonas Gerichtsbotschaft als
göttliche Warnung verstanden und so
schnell darauf eingingen.
Jona
verkörperte ein Zeichen des
göttlichen, über Ninive
hereinbrechenden Gerichts, so wie
Jesus ein Gerichtszeichen zu seiner
Zeit darstellte. Die Bewohner von
Ninive konnten das Zeichen Jonas
sehen und taten Buße, während die
Menschen im Israel des 1.
Jahrhunderts n. Chr. trotz all ihes
umfangreichen Wissens über das Reich
Gottes blind blieben. Daher musste
das Gericht kommen: Zunächst traf es
Jesus, der starb, um für die Sünde
der Menschheit zu bezahlen. Danach
trifft es auch jeden, der weiterhin
das Zeichen Jonas ablehnt, das in
der Person Jesu Christi verkündigt
wird.
Gary P. Stewart
H. L. Ellison, »Jonah« in
The Expositor´s Bible Commentar
y, Hrsg. Frank E. Gaebelein, Bd. 7
(Grand Rapids: Zondervan, 1985);
John D. Hannah »Jonah« in
The Bible Knowledge Commentary
,
Hg. John F. Walvoord und Roy B.
Zuck:
Walvoord Bibelkommentar
(Holzgerlingen: Hänssler-Verlag,
1992); A. Helmbold, »Jonah« in
The Zondervan Pictorial Encyclopedia
of the Bibl
e, Hg. Merrill C.
Tenney und Steven Barabas (Grand
Rapids: Zondervan, 1975); Eugene H.
Merrill, »The Sign of Jonah« in
JETS , 23/1, März 1980, 23-30;
D. F. Payne, »Jonah« in
The Illustrated Bible Dictionary
, Hrsg. J. D. Douglas, Bd. 2
(Wheaton: Tyndale, 1980); John F.
Walvoord,
The Prophecy Knowledge Handbook
(Wheaton: Victor Books,
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