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Textgrundlage des NT MA  Teil 3

Soundwords Martin Arhelger

Vor der Sichtung der vielen, verschiedenen Lesarten muss die Frage geklärt werden, wie sie überhaupt entstehen konnten. Nur eine systematische Untersuchung lässt eine zuverlässige Schlussfolgerung über die allgemeine Güte einer einzelnen Handschrift zu. Allgemein ist anzunehmen, dass eine ältere Handschrift die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass bei ihr der ursprüngliche Text besser bewahrt worden ist als bei einer jüngeren[1]. Natürlich gibt es auch für diese Regel Ausnahmen.

Beim Abschreiben konnten verschiedenste Änderungen auftreten, die teilweise bewusst, teilweise unbewusst vorgenommen wurden.

1) Lese-, Schreib- und Hörfehler

Die Abschreiber von Handschriften haben ihre Aufgabe mit sehr unterschiedlicher Treue und Zuverlässigkeit ausgeführt. Manchmal wurden Schreiber nach der geleisteten Wortzahl entlohnt und haben dann oft wenig Sorgfalt auf ihre Abschrift verwendet. Andere Schreiber haben sehr sorgfältig gearbeitet, ja sich sogar erlaubt, vermeintliche Fehler zu verbessern.

Ein Abschreiber konnte den Text seiner Vorlage falsch gelesen (und dann auch falsch hingeschrieben) haben. Ebenso konnte er einen richtig gelesen Text versehentlich falsch hinschreiben (z.B. wenn er sich zu viele Wörter aus seiner Vorlage merken wollte und dann versehentlich ein Wort ausließ oder hinzufügte). Texte wurden manchmal auch vorgelesen und dann von einer größeren Zahl von Schreibern mitgeschrieben. Dabei konnten Textänderungen durch Hörfehler entstehen. Das war besonders in späteren Jahrhunderten möglich; in der späteren griechischen Sprache gab es zum Beispiel sechs verschiedene Vokale oder Doppelvokale (e, i, u, ei, oi und ui), die alle wie „i“ ausgesprochen wurden, während man diese Vokale früher alle noch verschieden aussprach.

Lesefehler konnten auch dann vorkommen, wenn ein Schreiber eine Abkürzung (die damals besonders bei Namen verwendet wurden) nicht als Abkürzung verstand.

Ein häufiger Lese-/Schreibfehler trat dann auf, wenn ein Abschreiber einen Satz geschrieben hatte und dann den Anschluss in seiner Vorlage suchte, dabei aber nicht an die ursprüngliche Stelle zurück geriet, sondern an eine spätere Stelle, die zufällig dasselbe Schlusswort enthielt. Beispielsweise fehlt in vielen Handschriften in 1. Johannes 2,23 der letzte Satzteil „Wer den Sohn bekennt, hat auch den Vater“, weil dieser Satzteil im Griechischen ebenso endet wie der vorhergehende Satz „Jeder, der den Sohn leugnet, hat auch den Vater nicht“.

2) Textänderungen

Es konnte passieren, dass ein Schreiber beim Abschreiben etwas in seiner Vorlage fand, was er so nicht abschreiben wollte, zum Beispiel dann, wenn seine Vorlage einen offensichtlichen Schreibfehler enthielt, oder wenn er den Text aus seinem theologischen Verständnis heraus für falsch hielt, oder wenn er den Text für anstößig hielt. Wenn dem Schreiber keine andere Handschrift zur Kontrolle zur Verfügung stand, hat er möglicherweise einen (vielleicht nur vermeintlichen) Fehler verbessert. Ein jüngerer Abschreiber hielt dann vielleicht diese „Verbesserung“ für den wirklichen Text. Dadurch sind manche Textvarianten entstanden.

Zudem gab es schon zur Zeit der Apostel eine besonders schlimme Sorte von Fälschern, die ihre eigenen Briefe als Briefe von Paulus ausgaben (vgl. z.B. 2Thes 2,2). So gab es später sogar Abschreiber, die beim Abschreiben den Text hier und da nach ihrem Gutdünken verändert oder vermeintlich „verbessert“ haben. Auch heute kennen wir Übersetzungen, die bewusst der eigenen Lehre angepasst werden.

a) Späte Formen und Wörter

Eine Sprache bleibt nie starr, sondern sie entwickelt sich weiter. Das gilt auch für die griechische Sprache: Sie hat sich im Laufe der Zeit verändert, weiterentwickelt. Als das Neue Testament immer wieder abgeschrieben wurde, haben die Abschreiber hier und da den Text an die Sprachform ihrer (späteren) Zeit angepasst oder Dialektformen verwendet, die sie selbst benutzten. Ungebräuchliche alte Wörter wurden dann ersetzt. Solche Ersetzungen sind sicherlich teilweise bewusst, teilweise aber auch unabsichtlich geschehen. Späte Sprach- oder Grammatikformen machen eine Lesart immer als eine mögliche spätere Veränderung verdächtig. Je weniger späte Formen und Wörter eine Handschrift bietet, umso besser ist wahrscheinlich der ursprüngliche Originaltext darin erhalten geblieben.

b) Harmonisierungen

Bis heute halten manche Bibelleser die unterschiedlichen Angaben in den vier Evangelien für schwer nachvollziehbar. Sie verstehen nicht, dass Gott in den Evangelien das Leben des Herrn Jesus unter vier verschiedenen Blickwinkeln aufschreiben ließ. Viele Abschreiber hatten ebenfalls ihre Not damit und beseitigten dann die scheinbaren Widersprüche zwischen zwei Evangelien durch Textänderungen. Manchmal mag man auch Ergänzungen aus anderen Evangelien gemacht haben, um einen möglichst „vollständigen“ Text zu haben.

Beispiele für solche Änderungen (oder Ergänzungen) findet man in Matthäus 5,44 (Ergänzung aus Lukas 6,27.28); Matthäus 8,15 (Angleichung an Markus 1,31 und Lukas 4,39); Matthäus 17,21 (Ergänzung aus Markus 9,29); Matthäus 20,22 (Ergänzung aus Markus 10,39); Matthäus 23,14 (Angleichung an Markus 12,40 und Lukas 20,47); Matthäus 25,31 (Angleichung an Stellen wie z.B. Markus 8,38; Lukas 9,26; Apostelgeschichte 10,22 und Offenbarung 14,10); Markus 1,24 (Ergänzung aus Lukas 4,34); Markus 6,11 (Ergänzung aus Matthäus 10,15; 11,24; Lukas 10,12); Markus 10,19 (Ergänzung aus Lukas 18,29); Markus 13,14 (Ergänzung aus Matthäus 24,15); Lukas 8,48 (Ergänzung aus Matthäus 9,22); Lukas 8,54 (Ergänzung aus Markus 5,40 und Matthäus 9,25); Lukas 11,44 (Anpassung an Matthäus 23,13.15.23.25.27.29); Johannes 6,69 (Angleichung an Matthäus 16,16); Apostelgeschichte 9,5.6 (Erweiterungen nach Apostelgeschichte 22,7-10; 26,14); 1. Korinther 10,28 (Ergänzung nach Vers 26).

Andere Harmonisierungen entstanden dadurch, dass man an neutestamentlichen Stellen, die Zitate aus dem Alten Testament enthalten, die Form mehr an die Schreibweise des Alten Testaments anpassen wollte, um die neutestamentlichen Schreiber von dem vermeintlichen Vorwurf zu reinigen, sie hätten ungenau zitiert. Solche späteren „Verbesserungen“ findet man zum Beispiel in Matthäus 2,18 (siehe Jer 31,15); Matthäus 15,8 (siehe Jes 29,13); Johannes 2,17 (siehe Ps 69,9); Römer 13,9 (siehe 2Mo 20,16 und 5Mo 5,20).

c) Angleichungen an Bekanntes

Eine häufige Form der Veränderung entstand dann, wenn ein Schreiber (bewusst oder unbewusst) eine seltene Form an eine gewohnte, häufige Form anpasste. Zum Beispiel wurde in späteren Handschriften manchmal der ungewohnte Name „Christus Jesus“ in die gewohnte Reihenfolge „Jesus Christus“ verändert.

d) Vermeintliche Beseitigung von Fehlern

Wenn der Abschreiber einer Handschrift einen Fehler in seiner Vorlage zu finden glaubte, konnte er leicht der Versuchung erliegen, eine „Verbesserung“ durchzuführen.

Ein bekanntes Beispiel für diesen Fall findet man in Johannes 1,28. Dort heißt der Ort, an dem Johannes taufte, in fast allen Handschriften „Bethanien“. Einige Handschriften lesen jedoch „Betharaba“ oder „Bethabara“[2]. Der alte Kirchenschriftsteller Origines (ca. 185–254 n.Chr.) schrieb einen Kommentar zum Johannesevangelium, in dem er Folgendes anmerkte[3]:

Wir wissen wohl, dass fast in allen Handschriften steht: „Dies geschah in Bethania“; es scheint dies auch früher der Fall gewesen zu sein, und auch bei Herakleon[4] haben wir „Bethanien“ gelesen. Wir haben uns aber überzeugt, dass nicht „Bethanien“ zu lesen ist, sondern „Bethabara“, als wir nämlich an Ort und Stelle waren und den Spuren Jesu und Seiner Jünger und der Propheten nachgingen. Bethanien nämlich, die Heimat des Lazarus, der Martha und Maria, ist, wie derselbe Evangelist sagt, von Jerusalem 15 Stadien entfernt[5] ; von ihm ist der Jordanfluss wohl 180 Stadien weit abliegend. Es gibt aber auch kein zweites, gleichnamiges Bethanien am Jordan; dagegen zeigt man am Ufer des Jordan den Ort Bethabara, wo Johannes, wie man erzählt, getauft hat.

Origines (oder schon Schreiber vor ihm) ließen sich also durch eine vermeintliche geographische Ungenauigkeit dazu bewegen, das sehr gut bezeugte „Bethanien“ in „Bethabara“ zu ändern. Dabei sind die Beanstandungen von Origines beim näheren Hinsehen nicht stichhaltig: Der Evangelist Johannes meinte mit dem Ort „Bethanien“, an dem Johannes der Täufer wirkte, nicht dasselbe „Bethanien“, in dem Maria, Martha und Lazarus wohnten. Das geht aus einem Vergleich von Johannes 10,40-42 und Johannes 11,1.18 hervor. Heute wird allgemein angenommen, dass es zwei verschiedene Orte namens „Bethanien“ gab, von denen Origines nur den einen kannte.

Ein ähnlicher Fall scheint in Lukas 24,13 vorzuliegen. Dort haben einige Handschriften aus den „60 Stadien“ Entfernung zwischen Emmaus und Jerusalem „160 Stadien“ gemacht. Es gab mehrere Orte mit Namen Emmaus, aber diese Schreiber kannten wohl nur das weiter entfernte und wollten eine scheinbare Ungenauigkeit verbessern.

e) Verbesserung der Eindeutigkeit

Um die Eindeutigkeit eines biblischen Textes zu erhöhen, wurden manchmal Personalpronomen ersetzt. Besonders oft geschah das am Anfang von Bibelabschnitten, die im Gottesdienst vorgelesen wurden. Es war für die Zuhörer nicht sehr angenehm, wenn eine Vorlesung mit einem unbestimmten „er“ oder „sie“ anfing. Auch sonst sollte durch „Ergänzungen“ dieser Art der Text eindeutiger gemacht werden. Man findet deshalb zum Beispiel einige Stellen in den Evangelien, bei denen die alten Handschriften „Und er sprach“ lesen, in jüngeren Handschriften jedoch oft steht: „Und Jesus sprach“. Heute wird manchmal den alten Handschriften der Vorwurf gemacht, sie hätten den Namen Gottes oder des Herrn Jesus bewusst ausgelassen. Aber diese Anschuldigungen sind leicht widerlegbar. Denn auch bei anderen Personen als dem Herrn findet man solche späteren Verdeutlichungen, zum Beispiel in Matthäus 8,25; 17,26; 27,23; Markus 5,12; Lukas 1,28; 22,62; Johannes 1,29; Apostelgeschichte 9,19.26; 11,25; 12,13.20; 18,1; 23,34; 28,17.

Überhaupt ist es ein Trugschluss, dass der Text, der den Namen des Herrn Jesus häufiger oder ausführlicher erwähnt, der zuverlässigere Text ist. Die Verwendung von Namen und Titeln Gottes und des Herrn Jesus geschieht in der Heiligen Schrift nach einem göttlich vollkommenen System: Niemals wird ein Name oder Titel ausgelassen, aber es wird auch niemals einer zu viel verwendet. Allein das Zählen, in welchem Text der Name „Jesus“ öfter vorkommt, kann überhaupt nicht helfen, den „wahren“ von dem „falschen“ Text zu scheiden. Es kommt sogar vor, dass in einzelnen Bibelbüchern der Name Gottes selbst (fast) unerwähnt bleibt (z.B. im Buch Esther[6] oder im Hohelied) – aber das alles geschieht immer mit göttlich vollkommener Ordnung, Plan und System. Welche Textvariante die korrekte ist, kann nicht durch Zählen, sondern durch Abwägen ermittelt werden.[7]

f) Vermeidung von Anstößigem

Texte, die man für anstößig oder zu gewagt hielt, hat man natürlich leicht verändert. So hat man zum Beispiel aus dem „Leichnam“ von Johannes dem Täufer lieber den „Leib“ von Johannes gemacht (Mt 14,12) usw.

g) Erklärende Zusätze oder Änderungen

Manchmal wurden längere Ergänzungen hinzugefügt. Zuweilen wollte man offensichtlich den Bibeltext bewusst um eine biblische Lehre „bereichern“. Beispielsweise setzte man später hinter fast jedes neutestamentliche Buch das Wort „Amen“. Oder man erweiterte das „beten“ in 1. Korinther 7,5 zu „fasten und beten“.

Solche Zusätze führen nicht nur zu einer Verfälschung des Textes. Teilweise werden auch unbiblische Gedanken eingeführt. Zumindest stören diese Einfügungen den Zusammenhang. Beispielweise wurde das sogenannte „Vaterunser“ in der alten Kirche als Gebetsformel verwendet. Es war nun sehr unpraktisch, dass das Gebet in Matthäus 6 eine andere Gestalt hatte als in der Parallelstelle in Lukas 11. Um das Gebet zu vereinheitlichen, hat man kurzerhand die (kürzere) Fassung von Lukas 11 mit Zutaten aus Matthäus 6 „bereichert“. Man hat nicht verstanden, dass das „Vaterunser“ kein formelhaftes Gebet sein sollte und deshalb gar nicht formal gleich sein musste, ja gar nicht sein durfte. Man hat nicht gesehen, dass die verschiedenen Fassungen bei Matthäus und Lukas in Wirklichkeit wichtige Aufschlüsse über den Charakter der beiden Evangelisten geben. Der Satz „Dein Wille geschehe, wie im Himmel, so auch auf Erden“ steht zum Beispiel nur bei Matthäus, weil er eine treffende Schilderung der Verhältnisse des Tausendjährigen Reiches bietet.

Ein anderes bekanntes Beispiel steht in 1. Johannes 5,7.8: „Denn drei sind es, die Zeugnis ablegen im Himmel: der Vater, das Wort und der heilige Geist, und diese drei sind eins; und drei sind es, die Zeugnis ablegen auf der Erde: der Geist und das Wasser und das Blut.“ Die kursiv gedruckten Worte fehlen in fast allen griechischen Handschriften, nur ganz wenige (durchgehend sehr junge) Handschriften haben diesen Zusatz[8]. Offensichtlich wollte man die Stelle mit den „drei Zeugen“ nutzen, um die Lehre der Dreieinheit Gottes[9] hier zusätzlich einzufügen. Diese Lehre ist zwar an sich biblisch, hat jedoch an dieser Stelle keine Berechtigung.[10] Man erkennt das nicht nur an der schlechten Bezeugung dieser eingefügten Worte, sondern auch aus inneren Gründen. Die Bibel spricht nämlich nie in einem Atemzug von dem „Vater“ und dem „Wort“, sondern immer von „Gott“ und dem „Wort“. Außerdem ist es ein völlig unsinniger Gedanke, dass jemand oder etwas im Himmel „Zeugnis ablegen“ müsse. Dort gibt es keinen Unwissenden, dem etwas bezeugt werden müsste. Aus den drei Zeugen sind im erweiterten Text sechs Zeugen geworden, von denen der Heilige Geist sogar doppelt (im Himmel und auf der Erde) erwähnt wird.

Spätere Änderungen verraten sich also manchmal dadurch, dass sie einen unbiblischen Gedanken einführen. Manchmal zeigen solche Änderungen oder Zusätze auch, dass man den Bibeltext nicht verstanden hat. Die Schärfe der biblischen Aussagen wurde zum Beispiel gemildert, indem man aus Aussagen Aufforderungen oder Wünsche machte (z.B. in 2Tim 4,14; 1Pet 5,10 oder 1Joh 2,27)

h) Streichungen

Abschreiber haben den Text nicht nur um Zusätze erweitert, sondern manchmal auch Wörter oder Sätze, die ihnen falsch zu sein schienen, aus dem Text entfernt. Ein Beispiel dafür findet man in 1. Korinther 9,20. Dort lesen die alten Handschriften: „Obwohl ich selbst nicht unter Gesetz bin“. Zur Zeit des Mittelalters, als die Rolle des Gesetzes nur selten richtig verstanden wurde, glaubten viele, das Gesetz sei die Lebensregel für den Christen. Der Satz von Paulus musste ihnen dabei unglaubhaft und unbequem sein und so wurde er kurzerhand weggelassen.