APOKRYPHE SCHRIFTEN
ihr Gebrauch in der Prophetie
Die apokryphe Literatur (200 v. Chr.
- 100 n. Chr.) birgt viele Hinweise
auf den Messias und auf das künftige
Reich. Das Problem mit dieser
Gattung ist jedoch, dass die
prophetischen Textteile verbogen
sind, sowohl die Behandlung
historischer Darstellungen als auch
die vielfache Verwendung
ausschließlicher Fiktion. Obwohl
diese Texte in der
römischkatholischen Kirche hohes
Ansehen genießen, sind sie nicht
göttlich inspiriert und besitzen
auch keine Autorität als Wort
Gottes. Aber es gibt fünf nicht zu
unterschätzende Charakteristika in
dieser literarischen Sammlung.
1. Die Schriften füllen die Lücke
zwischen Altem und Neuem Testament.
Sie bieten ein Informationsglied,
das etwa viereinhalb Jahrhunderte
menschlicher Geschichte umfasst.
2. Die Schriften geben wertvolle
Einblicke in das geistliche,
philosophische und intellektuelle
Leben des Judentums.
3. Besonders die Bücher der
Makkabäer geben eine sorgfältige
Darstellung des erbitterten
Existenzkampfs, den die Juden
politisch gegen das heidnische
Griechentum führen mussten. Sie
protokollieren die Ereignisse einer
der heldenhaftesten Perioden der
Geschichte des jüdischen Volkes.
4. Ungeachtet aller Ungenauigkeiten,
Widersprüche und Absurditäten bieten
die Apokryphen den Historikern eine
Bibliothek unschätzbarer weltlicher
Literatur (Unger).
5. Auch im Bereich der Prophetie ist
diese Literatur von großer
Wichtigkeit.
Obwohl sie manchmal mit
Übertreibungen und Erfindungen
ausgeschmückt sind, geben uns die
Apokryphen doch einen Überblick über
den Glauben der Juden hinsichtlich
des Kommens des Messias. Und nachdem
man gewisse fiktive Passagen
weggenommen hat, erkennt man, wie
sehr die jüdische Hoffnung an der
wörtlichen Erfüllung biblischer
Texte hängt. Weil der Kern der
prophetischen Hoffnungen aus den
Prophetien des Alten Testaments
kommt wissen wir, wie die Juden ihre
messianischen Erwartungen auslegten.
In den Büchern Henochs (1.
Jahrhundert v.Chr.) hat der
alttestamentliche Henoch (
1Mo 5,24 ) messianische Visionen
eines zukünftigen Gerichts. In
seiner zweiten Vision betrachtet er
die Welt von der Sintflut bis zur
Aufrichtung des messianischen
Reiches. In einem
Gleichnis oder einer
Allegorie ist Henochs Vorstellung
vom Messias die eines
übernatürlichen Sohnes des Menschen.
Er ist der Auserwählte, der sich auf
den Thron seiner Herrlichkeit setzt,
der gleichzeitig der Thron des
Hauptes der Tage, des Allmächtigen,
ist. Der Messias wird die
Gottlosigkeit überwältigen und zu
Gericht sitzen über Engel und
Menschen.
Im Buch der Jubiläen (135-105 v.
Chr.), das auch die Apokalypse Moses
genannt wird, ist das messianische
Zeitalter eine Segenszeit, die
Bosheit wird ausgerottet. Der
Psalter Salomos (70-45 v. Chr.)
enthält ausgeprägte messianische
Erwartungen. Diese Psalmen sind
durch einen starken pharisäischen
Hintergrund geprägt. Sie zeigen den
Messias als Sohn Davids und König
Israels, der Jerusalem von
heidnischen Einflüssen reinigt und
aus der Zerstreuung zurückführt. Die
Nationenwelt wird ihm unterworfen
sein, und er wird sie als Untertanen
regieren. Im Buch der Geheimnisse
Henochs (2. Henoch) aus dem ersten
Jahrhundert n.Chr. zeigt der Herr
dem Henoch die tausendjährige
Millenniumsruhe. Zweifellos lasen
die Rabbiner Teile des Neuen
Testaments, und ihre Sicht des
Tausendjährigen Reiches könnte aus
dem Buch der Offenbarung entnommen
sein. Die vor dem Jahr 70 n. Chr.
geschriebene Apokalypse Baruchs
zeigt die Trübsal in zwölf
Abschnitten. Das letzte dort
erwähnte Kaiserreich (das römische)
wird durch den Messias zertreten.
Obwohl das Buch von beträchtlichem
Symbolismus gekennzeichnet ist, wird
deutlich, wie die hebräischen
Propheten des Alten Testaments an
die wörtliche Erfüllung der
Prophetien glaubten.
Die Sibyllinischen Orakel, die aus
dem fünften Jahrhundert v. Chr. bis
in die christliche Ära hinein
datieren, ist eine breit angelegte
Sammlung jüdischen und christlichen
Materials, das die Vorstellungen von
der Rückkehr des Messias miteinander
zu verbinden scheint. Gegen Ende des
Buches sagt die Sibylle das Kommen
des MessiasKönigs voraus und malt
ein vollständiges Bild der Wunder
seines Reiches, das die Gerechten
erwartet. Und das Buch kommt zu dem
Schluss, dass die Söhne Gottes rund
um einen wiedererrichteten Tempel
wohnen werden.
Die Schreiber der Apokryphen
schöpften ihre Prophetien eindeutig
aus Daniel, Hesekiel, Sacharja und
anderen alttestamentlichen
Propheten. Möglicherweise entlehnten
sie auch Gedankengänge aus Schriften
des Neuen Testaments. Aber ihr
Interesse konzentrierte sich auf den
Tag des Herrn als Tag der Erlösung
Israels (Fairweather).
Wird im Neuen Testament auf
Apokryphen hingewiesen? Unger
zitiert C. C. Torrey, der zu dem
Schluss kommt: Im Allgemeinen
blieben die apokryphen Schriften
unbeachtet. Über das angebliche
Zitat von Henoch 1,9 in
Judas 1,14-16 gibt die
Neue Scofield Studienbibel eine
interessante Beobachtung wieder: »Es
ist geschrieben von einem
Unbekannten, der den Namen Henochs
für den Titel seines Buches
benutzte. Judas��� Zitat Henochs
bedeutet nicht, dass er das Buch
Henoch als zuverlässig ansah.
Nebenbei ist es nicht
ausgeschlossen, dass Judas die
Quelle ist, aus der das Zitat
möglicherweise seinen Weg in das
Buch Henoch fand. Es gibt keinen
Nachweis für den genauen Inhalt
dieses apokryphen Buches bis viele
Jahrhunderte nach der Zeit, zu der
der Judasbrief geschrieben wurde.«
Mal Couch
James H. Charlesworth (Hrsg.),
The Old Testament Pseudepigrapha
, Bde. 1-2 (Garden City, N.Y.:
Doubleday & Co, 1985); William
Fairweather,
The Background of the Gospels
(Minneapolis: Klock & Klock, 1977);
Bentley Layton (Übers.),
The Gnostic Scriptures (Garden
City, N.Y.: Doubleday & Co, 1987);
Merrill F. Unger,
Introductory Guide to the Old
Testament (Grand Rapids:
Zondervan, 1981).
|