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Die Calvinismus Gotteslästerung durch 
John Nelson Darby  [JND]


John Nelson Darby (1800-1882)

Darby ist in der theologischen Fachwelt wahrscheinlich am ehesten für seine Entwicklung des Dispensationalismus bekannt. Weniger bekannt ist allerdings die Grundlage, auf der sein dispensationales System ruhte, nämlich der Calvinismus. George Marsden konnte sagen: »Darby selbst war ein unnachgiebiger Calvinist. Seine Aus legung der Bibel und der Geschichte ruhte fest auf der massiven Säule der göttlichen Souveränität, und er maß den Fähigkeiten des Menschen so wenig Bedeutung wie möglich bei.«^®®

Darbys bevorzugter Ausdruck zur Beschreibung der Natur der gefallenen Menschheit war »der völlige Ruin des Menschen« [»the total ruin of man«J^^^, womit er »völlige Verderbtheit« im heutigen calvinistischen Sprachgebrauch meinte. An dieser Lehre hielt er mit tiefer Überzeugung fest - und zwar so sehr, dass er oft seiner Sorge Ausdruck verlieh, die Evangelikaien würden an diesem Punkt in Richtung Arminianismus abdriften.^" In einem vom 23. Okto ber 1861 datierten Brief antwortete Darby auf eine Frage bezüglich
des »freien Willens«. Er schrieb: »[Dieses neuerliche Aufbrechen der] Lehre vom freien Willen ist ganz in Übereinstimmung mit den Anmaßungen des natürlichen Menschen, der sein ganzes Verloren sein leugnet [denn daraufläuft eine solche Lehre letztlich hinaus]«. Er fügte hinzu, dass der freie Wille »die Lehre der Wesleyaner oder Methodisten, die Lehre aller [Rationalisten und] Philosophen« sei.
455 Marsden, Fundamentalism, S. 46. Marsden fugt hinzu: »Für John Nelson Darby war es ein Rätsel, wie [D. L] Moody einerseits die prophetischen Wahrheiten über Gottes Sou veränität in der Geschichte annehmen konnte und doch - völlig inkonsequent - imstande war, einer nicht-calvinistischen Sicht menschlichen Vermögens Raum zu geben, wenn es um die persönliche Errettung ging. Aber Moody war eben viel zu sehr Amerikaner ... er bevorzugte Aktion gegenüber intellektuellen Systemen und Freiheit gegenüber dem Grundsatz der Anerkennung von Autoritäten.« Ebenda. 456 Zusätzlich zu den in diesem Abschnitt zitierten Beispielen siehe Darby, Additioml Writings, Bd. 2, S. 248; Darby, Synopsis, Bd. 4, S. 392; Darby, CW, Bd. 13, S. 296; Bd. 14, S. 352; Bd. 34, S. 264. Er verwendete auch ähnliche Ausdrücke wie »der äußerste Ruin des Menschen« [»the utter ruin of man«]. Siehe Darby, »Utter Ruin«, S. 258. 457 Z. B. Darby, Letters: Supplement, Bd. 2, S. 320.
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aber für Darby »verändert« diese Lehre »den Haupt- und Grund satz des Christentums [the whole idea of Christianity] und wirft ihn ganz über den Haufen«"*®® Dies war also eindeutig keine zweit
rangige Frage. Stattdessen glaubte Darby, dass das Herz des Menschen »so ver
dorben ist und sein Wille so entschieden dem Willen Gottes ent gegenstehe, dass nichts ihn bewegen kann, den Herrn anzunehmen und sich von der Sünde loszusagen«"*®'. Hinsichtlich der Wesleyaner musste Darby ihnen vorwerfen, dass sie »durch ihr Vertrauen auf ihre eigene Kraft und durch ihre Furcht vor der unvermischten Gnade sehr von ihrer Lehre eingenommen« seien und »die gänz liche Verdorbenheit des Menschen [leugnen]«"*®". Im Gegensatz dazu bekräftigte er: »Was mich betrifft, so sehe ich in der Schrift
und erkenne in mir selbst den vollkommenen Fall des Menschen.
Ich sehe, dass das Kreuz das Ende aller Mittel ist, deren Gott sich bediente, um das Herz des Menschen zu gewinnen, und es beweist,
dass das menschliche Herz für Gott verschlossen ist. Gott hat alle seine Mittel erschöpft; und der Mensch hat gezeigt, dass er un
verbesserlich schlecht ist. Das Kreuz Christi verurteilt den Men
schen - die Sünde im Fleisch.«"*®*
Was den Zustand des Willens betrifft, so bekräftigte Darby, dass
der Mensch frei ist zu wollen, in dem Sinn, dass es keine äußere Einschränkung oder keinen Zwang gibt, womit er zu seinen Ent scheidungen gezwungen wird. Jedoch ist der Mensch nicht frei in
seinem Wollen, »weil das Gesetz in seinen Gliedern [den Willen] in Gefangenschaft bringt, was nichts anderes heißt, als dass er eine
458 Darby, Letters, Bd. 1, S. 314-316. Dieser Brief wird mit geringfügigen Änderungen als »Let ter on Free-Will« wiedergegeben in: CW, Bd. 10, S. 185-187. Deutsch: Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 25, Elberfeld 1877, S. 332-336. URL: www.soundwords.de/ein-brief-ueber-den-fiieien-wilIen-a261S.html (abgerufen am 22.7.2019). A.d.H.: Die Quellenangabe am An^g der Fußnote bezieht sich offenbar auf den ge samten Brief und nicht nur auf das eigentliche Zitat - eine Annahme, die aufgrund von Internet-Recherchen hinsichtlich des englischen Originals gestützt wird. 459 A. d. H.: Vgl. den deutschen Wortlaut auf der angegebenen Website. 460 Darby, Letters, Bd. 1, S. 315.
461 Ebenda.
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sündige Natur hat«^^^. Die sündige Natur neigt den Willen zum Bösen, und deshalb ist es richtig zu sagen, der Wille sei in Knecht schaft. Darby ging so weit, dass er in Abrede stellte, der Mensch
habe vor dem Sündenfall einen Willen besessen - in dem Sinn, dass es ein von Gott unabhängiger Wille gewesen wäre: »Moralisch'gesehen hatte der nicht gefallene Mensch keinen Willen, denn geschöpfliche Vollkommenheit ist Gehorsam; der gefallene Mensch wird in Ungehorsam von verderbten Motiven regiert und ist des
halb nichts als ein Sünder, und sein Wille ist unter der Sünde.«^^^ Deshalb ist für Darby der Begriff eines moralisch freien Willens
»reiner Unsinn«. Freiheit bedeutet schlicht, dass »Gott [den Men schen] nicht hindert, das Gute zu wählen, bzw. ihn nicht zwingt,
das Böse zu wählen«'^®'*. Aber seit dem Sündenfall ist der Wille des Menschen zum Bösen geneigt und wählt dementsprechend."*®® Infolgedessen haben die gefallenen Menschen kein Verlangen nach Christus. Er schrieb: »Wenn Christus vorgestellt wird, dann ist der
Mensch frei, ihn anzunehmen ... aber sein tatsächlicher Zustand
beweist sich dadurch, dass er in ihm keine Schönheit sieht, dass er seiner begehren würde"*®®.«^®^ Um diesen Zustand zu ändern, ist göttliche und souveräne Gnade nötig.
462 Darby, Notes and Comments, Bd. 1, S. 162. 463 Ebenda. Ähnliche Gedanken werden ausgedrückt in: Newberry »God's Will«, S. 125. Newberry (1811 -1901) verließ 1866 die exklusiven Brüder und ging zu den offenen Ver sammlungen. 464 Darby, Notes and Comments, Bd. 1, S. 163. 465 Darbys Ansicht ist verwandt mit dem, was heute allgemein als »Kompatibilismus« oder »weicher Determinismus« bezeichnet wird. Siehe Feinberg, No One Like Him, S. 637. Paul Helm erklärt den Kompatibilismus wie folgt: »Menschen handeln frei, wenn sie tun, was sie tun wollen - nicht [erst dann,] wenn sie die Fähigkeit der Selbstverursachung haben - oder wenn eine andere Form von Indeterminismus vorliegt. Das heißt, sie sind in ihren Handlungen nicht eingeschränkt oder gezwungen, sondern das, was sie tun, geht ungehindert aus ihren Wünschen, Begierden, Vorlieben, Zielen und dergleichen hervor.« Helm, Providence of God, S. 67. Es ist bemerkenswert, dass Darby die beiden Begriffe »Ein schränkung« [»constraint«) und »Zwang« [»compulsion«) in genau der gleichen Weise verwendet, wie es heutige Kompatibillsten tun. 466 A. d. Ü.: Vgl. Jesaja 53,2. 467 Darby, Notes and Comments, Bd. 1, S. 164. »Der Mensch im Fleisch kann in Christus keine Schönheit sehen, genauso wenig, wie er das Gesetz halten kann.« Darby, Letters, Bd. 2, S. 502 (9. Mai 1879).
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In Darbys Augen leugneten die Befürworter des freien Willens die Notwendigkeit der Gnade bei der Bekehrung. Es war unbegreif lich für ihn, wie Sünder aus ihrem eigenen - gefallenen - Antrieb
heraus Christus annehmen könnten. Er betonte: »[Die Arminianer, oder vielmehr] die Pelagianer, behaupten, dass der Mensch wäh len könne und dass, wenn dieses geschehen sei, der alte Mensch verbessert werde durch die Sache, der er sich angeschlossen habe.
In diesem Fall aber würde der erste Schritt ohne die Gnade statt
finden; und es ist der erste Schritt, worauf hier alles ankommt.«"*®® Darbys Gleichsetzung des Arminianismus mit dem Pelagianismus zeigt, wie sehr er die arminianische Lehre ablehnte und wie ernst
dieses Thema für ihn war.^®' In einem anderen Brief, datiert vom 17. April 1872, kehrte Darby zum Thema des Willens zurück. Seine Bemerkungen sind es auf grund ihrer Klarheit wert, ausführlich wiedergegeben zu werden.
Wenn der Herr also sagt: »Niemand kann zu mir kommen, wenn der Vater, der mich gesandt hat, ihn nicht zieht« [Joh 6,44], dann ist es nicht so, dass Gott jemanden aufhält oder hindert, son dern dass der Mensch in seinem Eigenwillen so böse und ver
dorben ist, dass er nicht kommen kann (er hat niemals den moralischen Drang dazu), wenn nicht eine Macht, die außerhalb von ihm selbst liegt, auf ihn einwirkt. Was Gott angeht, so ist der Mensch heute völlig frei zu kommen, und er wird zum Kom men eingeladen, ja, angehalten ... Aber dann gibt es da noch die andere Seite: des Menschen Eigenwille und sein Zustand. Er will nicht kommen, sondern genau das Gegenteil... Der Mensch möchte nicht bei Gott sein ... Die Kreuzigung des Herrn ist der
468 Darby, Letters, Bd. 1, S. 315-316. Dieser Brief wird mit geringfügigen Änderungen als »Let ter on Free-Will« wiedergegeben in: CW, Bd. 10, S. 185-187. Deutsch: Botschafter des Heils in Christo, Jahrgang 25, Elberfeld 1877, S. 332-336. URL: www.soundwords.de/em-brief-ueber-den-freien-willen-a2615.html (abgerufen am 22.7.2019). 469 Vgl. Darby, CW, Bd. 3, S. 19. An anderer Stelle verwahrt sich Darby heftig gegen die pelagianische Grundannahme: »Die Leute sagen: Gott kann dir keine Vorseht [rule] geben, die du nicht einhalten kannst Aber ich sage: Gott gibt dir niemals eine Vorschrift, die du einhalten kannst - niemals!« CW, Bd. 27, S. 275 (1875).
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Beweis dafür, dass der Mensch Gott nicht haben wollte ... Wenn man sagt, dass er [der Mensch] nicht zum Bösen strebt, muss man die ganze Bibel und alle Fakten leugnen. Wenn man aus ihm jemanden macht, der frei wählen kann, dann muss er bis her gleichgültig gewesen sein, gleichgültig (d.h. keine Sache vor ziehend) gegenüber Gut und Böse, was aber nicht wahr ist, denn böse Lust und Eigenwille, die beiden großen Charakterzüge der Sünde, sind vorhanden ... durch Erfahrung und unter göttlicher Belehrung habe ich gelernt, dass ich nicht frei bin und mich nicht
selbst befreien kann.''^"
Die Menschen haben also keinen »freien Willen«; ihr Wille ist an die Sünde versklavt. Dies traf nicht auf den Anfangszustand nach der Schöpfung zu, sondern ist eine Folge des Sündenfalls.''^' In ihrem gefallenen Zustand haben die Menschen eine grundlegend feindliche Einstellung Gott gegenüber. Sie nehmen keine neutrale Haltung ein, sondern sind »geneigt [disposed] ..., dem Bösen zu folgen«''^^. Wenn er deshalb vor einer Wahl steht, dann weist der Wille eines gefallenen Menschen Gott jedes Mal zurück.^^^ In einem Kommentar zu Römer 8,6-7 beschrieb Darby »die auf das Fleisch gerichtete Gesinnung« mit eindeutigen Worten: »Die Gesinnung des Fleisches ist Feindschaft gegen Gott, widersteht seiner Auto rität, verwirft seinen Willen, erhebt sich gegen ihn und seine Auto rität; ihr missfällt, dass diese überhaupt existiert, und sie hasst [Gott] infolgedessen. Sie ist deswegen dem Gesetz nicht Untertan und kann es auch gar nicht sein. Ihre Begierden wollen nichts von den Forderungen [des Gesetzes] wissen, noch will ihr Eigenwille
470 Darby, Letters Bd. 2, S. 164-165. Deutsch auf folgender Website: www.bibelpraxis.de/index.php?article.2674 (abgerufen am 22.7.2019 [übersetzt von Martin Arhelger]). 471 Darby, a. a. O., Bd. 2, S. 166-167. 472 Darby, a. a. O., Bd. 1, S. 316. URL: www.soundwords.de/ein-brief-ueber-den-fTeien-willen-a26I5.html (abgerufen am 22.7.2019). A.d.H.: Diese Internet-Quelle gilt auch für die nächste Fußnote. 473 »Gott hat... ihm die Wahl überlassen; jedoch [keineswegs, weil er wählen kann, sondern] um sein Gewissen von der Tatsache zu überzeugen, dass er in keinem einzigen Fall an dem Guten oder an Gott ein Wohlgefallen habe.« Ebenda.
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sich der Forderung selbst beugen. Gott kommt [zu ihr] durch das Gesetz, besteht auf seiner Autorität, und verbietet die Begierde; aber das Fleisch kennt keinen Gehorsam, liebt seinen [eigenen] Willen und seine Begierde und hasst Gott.<d^'* Darby argumentierte, dass der Mensch niemals den Wunsch hat zu glauben, »weil ihm das Objekt des Glaubens verhasst ist«"^^^. Er führte als Bibelstellen häufig Johannes 1,13 und Jakobus 1,18 an, wo betont wird, dass die Errettung durch den Willen Gottes und nicht
durch den Willen des Menschen bewirkt wird."*^® Als Antwort auf den Gedanken, dass der Glaube schlichtweg darin bestehe, seine Hand zu öffnen, um Gottes Gabe der Errettung zu empfangen, schrieb Darby: »Aber die Herzen sind nicht dahin gehend geneigt [disposed]; sie wollen die Hand nicht öffnen.<d^^ Er fuhr fort:
Beachten wir, dass Jesus [im Blick auf Menschen damals wie heute] sagt: »Ihr wollt nicht zu mir kommen« [Joh 5,40]. Ich glaube völlig, dass sie verantwortlich dafür sind; aber wo fin den wir »Ihr wollt«? Das Wort Gottes sagt ausdrücklich »Nein«.
»Da ist keiner, der Gott sucht.«^^® Er kam, um sie zu suchen, Gott sei es gedankt, aber als er kam, wurde er abgewiesen; er wurde nicht aufgenommen, außer von denen, die aus Gott geboren sind^^' ... Nun hindert Gott gewiss niemanden daran zu kom men, aber die Neigung [disposition] des Herzens des Menschen ist derart, dass er nicht will. Das ist der Grund, weshalb das Werk Gottes nötig ist und warum gesagt wird: »Niemand kann
474 Darby, Exposition, S. 79. 475 Darby. Letters, Bd. 2, S. 478 (Februar 1879). 476 Ein Beispiel: Als Darby an einer Stelle Johannes 1,11-13 zitiert (V. 13 sagt: »... die nicht aus Geblüt noch aus dem Willen des Fleisches, noch aus dem Willen des Mannes, sondern aus Gott geboren sind«), fügt er hinzu: »Das Johannesevangelium ist durch und durch das, was die Leute als >calvinistisch< bezeichnen« [»John's Gospel is thoroughly what men call Calvinistic*]. Darby, CW, Bd. 26. S. 249 (1871). 477 Darby, Letters, Bd. 2, S. 479. Einige Monate später, im Mai 1879, betonte Darby das Gleiche, fugte aber hinzu, dass nur die Gnade jemanden dazu be^igt, die Hand zu öffnen. (A. d H.: »Es heißt, dass der Glaube nur die Hand ist, die die Errettung empfängt, aber was befähigt uns, die Hand zu reichen? Es ist die Gnade, die in uns wirkt.«) A.a. O.,
Bd. 2. S. 503. 478 A. d. Ü.: Römer 3,11 (vgl. Ps 14,2; 53,3). 479 A.d.Ü.: Vgl. Johannes 1,11-13.
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zu mir kommen, wenn der Vater, der mich gesandt hat, ihn nicht
zieht« [Joh 6,44]/®°
Trotz seiner Bekräftigung, die Menschen seien dafür verantwort lich, zu Christus zu kommen, könnte man vielleicht argumentie ren, dass Darbys nachdrückliche Betonung der menschlichen Un fähigkeit zu einer Aufweichung der moralischen Verantwortlichkeit führt. Er verwarf diese Vorstellung jedoch vehement und erklärte
mit deutlichen Worten: »Ich bestreite, dass moralisches Verhalten von Wahlfreiheit abhängt.«^^ Menschliche Freiheit kann demnach allenfalls darin bestehen, dass man in Übereinstimmung mit sei ner Natur handelt. Darby konnte sagen: »Der Mensch hat sich (in einem gewissen Sinn) [durch den Sündenfall] selbst frei gemacht,
aber er machte sich von Gott frei und ist deshalb [bis heute] sittlich abtrünnig [d.h. moralisch von Gott abgefallen] und ein Sklave der Sünde. Von diesen Dingen befreit uns Christus völlig, und er hei ligt uns zum Gehorsam, nachdem er die Strafe der Frucht unseres eigenen Willens getragen hat.«^®^ Die moralische Verantwortung besteht nach wie vor, auch wenn unsere moralische Fähigkeit durch den Sündenfall verloren ge gangen ist. Darby erklärte, »in der Argumentation der Arminianer« läge »ein völlig falsches Prinzip, nämlich dahin gehend, dass unsere Verantwortung von unserer Fähigkeib/®® abhinge. Um die sen Punkt zu illustrieren, nimmt Darby das Beispiel eines Man
nes, der ihm eintausend Pfund schuldet, aber nicht von seiner Ver antwortung befreit ist, weil er ein Verschwender ist und kein Geld mehr hat, um seiner Verpflichtung nachzukommen. Und außerdem muss man berücksichtigen, dass der Gläubiger nicht gezwungen ist, seinen Anspruch auf Begleichung der Schuld aufzugeben.''®'* Aber,
480 Darby, a. a. O., BA 2, S. 479-480. 481 A. a. 6., BA 2, S. 167 (17. April 1872). A. A H.: Vgl. eine ähnliche Wiedergabe auf der nach folgend angegebenen Website. 482 Ebenda. Deutsch auf folgender Website: www.bibelpraxis.de/index.php7article.2674 (ab gerufen am 22.7.2019 [übersetzt von Martin Arhelger]). 483 A. a. O., Bd. 2, S. 501 (9. Mai 1879). 484 A. a. O., Bd. 2, S. 168 (Datum unsicher). Er verwendete eine ähnliche Illustration in seinem Brief vom 9. Mai 1879 (S. 501), erhöhte aber die Schuld auf £ 100000.
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so könnte jemand entgegnen, die Situation sei doch ganz anders, wenn jemand mit dieser Unfähigkeit geboren ist. Darby antwortete darauf wie folgt:
Ich weiß, dass der Mensch sich ein anderes Argument gegen Gott zurechtlegt, wonach Gott ihn in diese Situation gebracht hat, oder dass er da hineingeboren wurde und infolgedessen nicht verantwortlich sei. Dies wirft einen anderen Punkt auf, nämlich dass Verantwortung mit dem Willen zu tun hat, nicht mit der Fähigkeit. Wir tun das, was unser eigenes Gewissen ver urteilt, weil wir es so möchten. Mein Junge weigert sich, mit mir
zu kommen, wenn ich ihn rufe ...; ich bestrafe ihn, weil er nicht wollte: Er verteidigt sich damit, dass er gefesselt gewesen sei oder die Tür nicht hätte öffnen können. Aber ich bestrafe ihn, weil er sich willentlich geweigert hat, seiner Verpflichtung nach
zukommen: Ich hatte ein Messer zur Hand, um seine Fesseln
durchzuschneiden, einen Schlüssel zum Öffnen der Tür: Aber er widersetzte sich willentlich meiner Aufforderung und damit meinem Anspruch an ihn. Mit einem Wort: Verantwortung ergibt sich aus dem Anspruch an uns, der wiederum aus der Beziehung hervorgeht, in der wir stehen.^®®
Darby glaubte, die Frage der Verantwortung liege »im Fundament [root] von Calvinismus bzw. Arminianismus«'*®®, und er ließ keinen Zweifel daran, dass er in dieser Frage auf der Seite des Calvinisten
stand. Die natürliche Reaktion des Menschen besteht in einem von zwei Irrtümern: Entweder behauptet man die menschliche Fähig keit auch nach dem Sündenfall und leugnet dadurch die vollen Aus wirkungen der Erbsünde; oder die menschliche Verantwortung wird ganz und gar abgestritten. Darby schrieb: »Der Mensch ist verantwortlich, das Gesetz vollkommen zu halten, aber durch den Sündenfall hat er die Kraft und Fähigkeit dazu verloren. Das kann
485 A.a.O., Bd. 2, S. 168, vgl. Darby, CW, Bd. 25, S. 242 (1871). 486 Darby, Letters, Bd. 2, S. 477, in einem von Elberfeld [heute Stadtteil von Wuppertal) aus geschriebenen Brief (verfasst im Jahr 1869).
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das Herz des natürlichen Menschen nicht verstehen. Der eine leug
net seine Verantwortlichkeit, der andere meint, er habe die Kraft [zum Halten des Gesetzesl; die Gnade, und nur sie allein, bringt den
Menschen in beiden Punkten zurecht.«''®^ Darbys Überzeugungen im Blick auf den »völligen Ruin des Men schen« waren tief eingeprägt und zeigen keinen Hinweis auf eine Änderung im Lauf der Zeit. Im Gegenteil, diese Überzeugungen waren grundlegend für seine Theologie, und zwar so sehr, dass er gelegentlich über dieses Thema mit anderen aneinandergeriet. W. G. Turner berichtet in seiner Biografie über Darby von folgen dem Disput, den dieser mit dem amerikanischen Evangelisten D.I. Moody in Chicago hatte:
Mr Darby war von Mr Moody eingeladen worden, eine Reihe von Bibelvorträgen in der Farwell Hall zu halten. Diese wurden
von vielen besucht, die das Wort Gottes liebten, kamen aber lei der zu einem abrupten Ende, als die beiden über die Frage der Willensfreiheit aneinandergerieten. Mr Darby vertrat in dieser Hinsicht eine Überzeugung, die Mr Moody als extremen Calvi
nismus ansah, und erklärte, der Wille des Menschen sei so ver
derbt, dass er nicht einmal imstande sei, sich erretten lassen zu »wollen« ... Mr Moody bestand darauf, dass der Mensch als ver antwortliche Person von Gott aufgerufen würde, sich zu ihm zu
wenden, und verdammt würde, wenn er dies nicht tue ... die Auseinandersetzung wurde eines Tages so hitzig, dass Mr Darby plötzlich seine Bibel schloss und sich weigerte fortzufahren.^®®
H.A. Ironside berichtet, nach der Auseinandersetzung mit Moody hätte Darby eine ähnliche Kontroverse mit einem prominenten
487 Darby, CW, Bd. 12, S. 276 Fußnote (vor 1846). 488 "nimer, John Nelson Darby, S. 21-22 (deutsche Ausgabe: E.V. Tanner [Übers.], John Nel son Darby: Ein Lebensbild, Huttwil/Bern: Müller-Kersting, 1928 [A.d.H.: ohne Seiten zahlangabe hinsichtlich des Zitats]). Der Bericht findet sich auch in: Veitch, Story of the Brethren, S. 65-66. Vgl. eine ähnliche Wiedergabe in: Ironside, Historical Sketch, S. 81 (deutsche Ausgabe: Die Brüderbewegung. Ein historischer Abriss, Bielefeld: CLV, 2018, S. 133-134), und in: Findlay, Dwight L. Moody, S. 126-127. Vgl. Darbys Bezugnahme auf Moodys Arminianismus in: Darby, I^tters, Bd. 2, S. 193,257-259,327-328.
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Führer der exklusiven Brüder in Nordamerika, F. W. Grant, gehabt obwohl dies, im Gegensatz zum Moody-Zwischenfall, eine private Meinungsverschiedenheit war."*®' In vieler Hinsicht offenbart Darbys Position hinsichtlich des Ruins des Menschen das Fundament, auf dem sein dispensationales System fußte. Jede Dispensation war eine göttliche Prüfung Gottes,
die der Mensch aber nicht bestand, sodass er dadurch die mensch liche Unfähigkeit bewies, Gott gehorchen zu können.'*'" R. A. Huebner, der sich in jüngerer Zeit dem Erbe Darbys verpflichtet wusste,
erklärte: »Bis hin zum Kreuz hat Gott den Menschen immer wie der geprüft und auf die Probe gestellt, um zu sehen, ob der ge fallene Mensch wieder in seine ursprüngliche Stellung gebracht wer den könnte ... Die Epoche der Prüfung, die sich von Adam bis hin zum Kreuz erstreckte, war nicht dazu da, um Gott über das Ergebnis in Kenntnis zu setzen ... sie sollte vielmehr völlig und gründ lich demonstrieren, dass der gefallene Mensch eben nicht in seine ursprüngliche Stellung gebracht werden kann und dass er - kon sequenterweise - >verloren< ist.«"*" Grass argumentiert so: Darbys Ansicht, dass »am Ende jeder Dispensation jeweils das Versagen stand, kann als Anwendung radikaler calvinistischer Soteriologie gesehen werden - ganz besonders der Lehren von der Souveränität Gottes, der Erbsünde und der Unfähigkeit des Menschen -, die dem zufolge auch für die Gebiete der Heilsgeschichte und der Ekklesiologie gilt«"'^. Dies ist eine wichtige Einsicht, denn sie offenbart, dass sowohl manche Dispensationalisten als auch reformierte Kritiker
489 Ironside, Historical Sketch, S. 81 (S. 134 in der deutschen Ausgabe). John Reids Bericht in F. W. Grant, S. 57-63, ist nicht völlig zuverlässig, da Darby und Grant über die Lehre von der Versöhnung größere Meinungsverschiedenheiten hatten, als Reid andeutet. Laut Iron side geriet Darby auch mit dem amerikanischen Methodistenfiihrer Daniel Steele über die »Lehren der Gnade« aneinander (Ironside, Historical Sketch, S. 82 (S. 135 in der deutschen Ausgabe]). Dies wird bestätigt in: Steele, Substitutefor Holiness, S. 131. 490 Darby, CW, Bd. 1, S. 124-130. 491 Huebner, God's Sovereignty, S. 15. A.d.H.: Vgl. eine ähnliche Wiedergabe auf folgender
Website: https://www.soundwords.de/gottes-souveraenitaet-bei-der-erloesung-des-menschenl-a4031.html (abgerufen am 22.7.2019). Dieses Thema erscheint auch bei anderen Brüdern, z. B. Kelly, Lectures... Minor Prophets, S. vii; Kelly, Lectures on the Church, S. 8; (Trotter], »No Man«, S. 308-318. 492 Grass, »The Church's Ruin«, S. 96. Vgl. Clarke, »A Critical Examination«, S. 260.
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(die beide meinen, Dispensationalismus und Calvinismus seien mit einander unvereinbar) das Fundament nicht verstanden haben, auf dem der Überbau von Darbys dispensationalem System ruhte.'*'' Außerdem liegt Darbys Verständnis in Bezug auf den Ruin des Menschen auch seiner Ekklesiologie zugrunde, wie in seiner Lehre
vom »Ruin der Kirche« deutlich wird.'*''* Er schrieb z. B.: »Auch an der Kirche ist die Auswirkung jenes Prinzips in der armen mensch lichen Natur nicht vorübergegangen, nämlich dahin gehend, dass
das Erste, was sie tut, darin besteht, sich von Gott zu entfernen und das zugrunde zu richten, was er eingesetzt hat.«^" Deshalb ent decken wir in Darbys Lehre vom völligen Ruin des Menschen einen Schlüssel zu seiner Theologie.