Kolosser Walvoord Norman L. Geisler
EINFÜHRUNG
Der Kolosserbrief entstand zwischen 60
und 62 n. Chr. während der römischen Gefangenschaft des Apostels Paulus.
Der Brief richtete sich gegen bestimmte Irrlehren, die in Kolossä, einer
Stadt in der römischen Provinz Asien, aufgetaucht waren.
Verfasserfrage
Für die paulinische Verfasserschaft des Kolosserbriefes
gibt es überzeugende interne und externe Belege. So enthält der Text
selbst drei persönliche Hinweise auf Paulus in der 1. Person Singular (
Kol 1,1;1,23;4,18 ) sowie zahlreiche Anspielungen auf Mitarbeiter des
Paulus, wie z. B.
Tychikus (Kol 4,7),
Onesimus (Kol 4,9),
Aristarch
(4,10),
Markus (Kol 4,10),
Justus (Kol 4,11),
Epaphras (Kol 4,12),
Lukas
(Kol 4,14),
Demas (4,14) und
Archippus (Kol 4,17 ).
Stil und Inhalt des
Kolosserbriefes gleichen dem des Briefes an die Epheser, der etwa um
dieselbe Zeit entstand und auf den der Verfasser wahrscheinlich mit
seiner Bemerkung von dem "Brief von Laodizea" (Kol 4,16) anspielt.
Vierunddreißig der im Kolosserbrief verwendeten griechischen Vokabeln
kommen in keinem der anderen Paulusbriefe vor, doch handelt es sich
dabei durchweg um Begriffe, die zum Thema des Briefes passen und mit dem
paulinischen Gedankengut übereinstimmen.
Dazu gehören Wörter wie
"das
Sichtbare" (Kol 1,16),
"der Erste" (Kol 1,18),
"erstatten" (Kol 1,24),
"Philosophie" (Kol 2,8) und
"Gottheit" (Kol 2,9).
Aus dem Schluß des
Epheserbriefes geht zudem hervor, daß Tychikus der Überbringer sowohl
jenes Briefes als auch des Schreibens an die Kolosser war ( Eph 6,21;
vgl. Kol 4,7). Das ist eine weitere Bestätigung dafür, daß auch der
Kolosserbrief tatsächlich von Paulus stammt.
Aber auch die äußere
Beweislage spricht stark für eine Verfasserschaft des Apostels. Manche
Wissenschaftler behaupten zwar, daß die Irrlehre, gegen die der
Kolosserbrief zu Felde zieht, der erst im 2. Jahrhundert zur Blüte
gekommene Gnostizismus sei, doch es besteht Grund zu der Annahme, daß
die Anfänge des Gnostizismus sich bereits zu Paulus' Lebzeiten bemerkbar
machten. Angesichts der anderen Auseinandersetzungen des Apostels mit
verschiedenen Irrlehren in Schriften, deren Authentizität unbestritten
ist, erscheint es daher umso plausibler, daß Paulus auch der Verfasser
des Kolosserbriefes ist
(vgl. 1Kor 15; Gal 1-2; 2Thes 2).
Der Brief
enthält allerdings auch einige stilistische Besonderheiten wie etwa
ungewöhnliche Genitivkombinationen, z. B. "die Hoffnung der
Herrlichkeit" (Kol 1,27). Donald Guthrie stellt in diesem Zusammenhang
jedoch sehr richtig fest, daß derartige "stilistische Unterschiede im
allgemeinen den veränderten Umständen oder dem Wechsel des Themas
zuzuschreiben" sind (New Testament Introduction, Downers Grove, Ill.,
1973, S. 553).
Einer der stärksten Belege dafür, daß der Kolosserbrief
im 1. Jahrhundert von Apostel Paulus verfaßt wurde, ist seine Nähe zum
Philemonbrief, dessen Authentizität praktisch unantastbar ist:
(1) In
beiden Texten wird in der einleitenden Begrüßungsformel der Name des
Timotheus zusammen mit dem von Paulus genannt ( Kol 1,1; Phim1,1).
(2)
Beide Schreiben enthalten Grüße von Aristarch, Markus, Epaphras, Lukas
und Demas ( Kol 4,10-14; Phim1,23-24).
(3) In beiden Briefen ist vom
Dienst des Archippus die Rede ( Kol 4,17; Phim1,2).
(4) In beiden
Briefen wird der Sklave Onesimus erwähnt ( Kol 4,9; Phim1,10).
Datierung und Abfassungsort
Der Kolosserbrief entstand in Rom während
Paulus' (erster) Gefangenschaft (vgl. Apg 28,30).
Etwa zur gleichen Zeit
schrieb der Apostel den Epheser- und den Philemonbrief (ca. 60 - 62 n.
Chr.).
In Phim 1,9 bezeichnet Paulus sich selbst als "Gefangener Christi
Jesu", und auch der Epheserbrief enthält Hinweise darauf, daß der
Apostel ein "Gefangener" war ( Eph 3,1;4,1 ). Außerdem ist dem
Epheserbrief zu entnehmen, daß Tychikus die Briefe des Apostels an ihren
Bestimmungsort brachte ( Eph 6,21; vgl. Kol 4,7 ).
Da der Bericht der
Apostelgeschichte um 60 - 62 n. Chr. endet, wurde der Kolosserbrief
wahrscheinlich während dieser zweijährigen Gefangenschaft geschrieben.
Da weder der Kolosser- noch der Epheser- oder der Philemonbrief das
Ergebnis der Gerichtsverhandlung gegen Paulus erwähnen, das in Phil
1,19-21 erwartet wird, ist anzunehmen, daß der Kolosserbrief noch vor
dem Philipperbrief entstand.
Kolossä lag im Lykustal, etwa 150 km
östlich vom kleinasiatischen Ephesus. Verschiedene Andeutungen im
Kolosserbrief lassen darauf schließen, daß Paulus die Stadt nie
persönlich besucht hatte ( Kol 1,7;2,1;4,12 ).
Der Name Kolossä ist
möglicherweise von Colossus (einer großen Statue) abgeleitet, eine
Bezeichnung, die ihrerseits möglicherweise mit den ungewöhnlich großen
Steinen, die in der Gegend zu finden waren, zusammenhing. Kolossä war
etwa 18 km von Hierapolis und Laodizea, den beiden anderen Städten des
Lykustales, entfernt (zur geographischen Lage der drei Städte vgl. die
Karte zwischen Apostelgeschichte und Römerbrief).
Die Region um die
Stadt war reich an Bodenschätzen und wurde häufig von Erdbeben
heimgesucht. Außerdem gab es in der Nähe fruchtbare Weidegründe.
Anlaß des Briefes
Die Umstände, die zur Abfassung des
Kolosserbriefes führten, scheinen in einer bestimmten Irrlehre, die in
Kolossä aufgetaucht war, begründet zu sein. Dabei scheint es sich um die
Anfänge einer Richtung zu handeln, die sich später (im 2. Jahrhundert)
zum Gnostizismus entwickelte. Die kolossische Irrlehre zeichnete sich
durch bestimmte Aspekte aus: (1) Sie war jüdischen Ursprungs und betonte
die Forderung nach einer Observanz der alttestamentlichen Gesetze und
Zeremonien.
(2) Sie war philosophisch und legte besonderes Gewicht auf
eine besondere oder tiefere Erkenntnis (Gnosis).
(3) Sie schloß die
Verehrung von Engeln als Mittler vor Gott ein (Kol 2,18 ).
(4) Sie war
streng exklusiv und unterstrich das besondere Vorrecht und die
"Vollkommenheit" der wenigen Auserwählten, die dieser philosophischen
Elite angehörten.
(5) Sie war außerdem christologisch. Doch diese
gnostizistischen Uranfänge leugneten die Gottheit Christi und wurden so
zum Anlaß für eines der großartigsten Bekenntnisse zur Gottheit Christi
in der ganzen Heiligen Schrift (Kol 1,15-16;2,9 ).
Zweck des
Briefes
Paulus scheint drei Anliegen verfolgt zu haben, als er seinen
Brief an die Kolosser schrieb. Zum einen versuchte er, die Gottheit und
Vorrangstellung Christi gegen die Häresie in Kolossä zu verteidigen (1,
18; Kol 2,9).
Zum anderen wollte er die Gläubigen der dortigen Gemeinde
zu größerer geistlicher Reife führen ( Kol 1,28;2,6-7 ).
Zum dritten
wollte er sie von seiner eigenen Situation in Kenntnis setzen und
bat um ihre Fürbitte (4,2-8).
Inhalt des Briefes
Der Inhalt des
Briefes läßt sich etwa folgendermaßen wiedergeben:
"Liebe Brüder, wir
grüßen euch (Kol 1,1-2). Wir danken Gott für euren Glauben und eure
Liebe ( Kol 1,3-8 ) und bitten ihn, daß er euch die Erkenntnis seines
Willens zuteil werden lasse. Wir beten darum, damit ihr für Christus
Frucht bringt, der euch erlöst hat ( Kol 1,9-14 ). Denn Christus, unser
Schöpfer und Haupt, ist über allen Dingen ( Kol 1,15-20 ).
Durch Christi
Tod hat Gott euch, die ihr Fremdlinge und Feinde ward, versöhnt (Kol
1,21-23). Ich freue mich deshalb, daß ich für die Kirche leiden darf,
damit Gottes ganze Fülle den Heiden kundgetan werde ( Kol 1,24-27 ).
Dafür mühen wir uns, daß jeder in Christus vollkommen werde ( Kol
1,28-29 ). Denn in Christus liegt alle wahre Weisheit und alle
Erkenntnis (Kol 2,1-5). Deshalb, Brüder, fahrt so fort in eurem Glauben,
wie ihr in Christus begonnen habt (Kol 2,6-7).
Laßt euch aber nicht
täuschen: Gottes Fülle ist allein in Christus und nicht in irgendeiner
leeren menschlichen Philosophie ( Kol 2,8-10 ). Weil ihr in eurer Taufe
Christus gleichgeworden seid, müßt ihr nicht mehr unter den jüdischen
Gesetzen leben
( Kol 2,11-17 ). Laßt euch deshalb von niemand, der von
Christus, eurem Haupt abgefallen ist, euren Siegespreis nehmen ( Kol
2,18- 19 ). Ihr seid mit Christus gestorben und braucht euch keinen
weltlichen (gesetzlichen) Regeln zu unterwerfen ( Kol 2,20-23 ).
Vielmehr solltet ihr, weil ihr mit Christus auferstanden seid, euren
Blick auf himmlische Dinge richten (Kol 3,1-4). Gebt deshalb eure
sündigen weltlichen Gepflogenheiten auf ( Kol 3,5-11 ), und kleidet euch
in die Tugenden Christi ( Kol 3,12-17 ).
Im Blick auf eurer neues, erhöhtes Wesen in
Christus ermahne ich die Ehefrauen, sich ihren Ehemännern unterzuordnen;
die Ehemänner, ihre Frauen zu lieben; die Kinder, ihren Eltern zu
gehorchen; die Väter, ihre Kinder nicht zu erbittern; die Sklaven, ihren
Herren zu gehorchen; und die Herren, gerecht mit ihren Sklaven zu
verfahren ( Kol 3,18-4,1 ).
Liebe Brüder,
betet für mich, daß ich diese
Botschaft wirksam und klar verkünden kann und daß ihr den Außenstehenden
durch euer Leben ein gutes Beispiel geben könnt ( Kol 4,2-6 ).
Meine
Mitarbeiter im Evangelium
senden euch ebenfalls Grüße ( Kol 4,7-15 ).
Tauscht euren Brief mit dem Brief an die Gemeinde in Laodizea aus, und
ermahnt Archippus, seinem Amt nachzukommen ( Kol 4,16-18 )."
GLIEDERUNG
I. Die Lehre: Ein erfüllteres Leben in Chritus (1,1-2,7)
A.
Grußwort (1,1-2)
B. Danksagung (1,3-8)
C. Bitte (1,9-14)
D. Erhöhung
Christi (1,15-20)
E. Versöhnung durch Christus (1,21-23)
F. Offenbarung
des Geheimnisses Christi (1,24-27)
G. Vollendung in Christus (1,28-29)
H. Erkenntnis in Christus (2,1-5)
I. Mahnung zu einem Leben in Christus
(2,6-7)
II. Die Polemik: Das höhere Leben in
Christus (2,8-23)
A. Der Irrtum des Gnostizusmus: Die Gottheit Christi
(2,8-10)
B. Der Irrtum der Gesetzlichkeit: Die Wahrheit in Christus
(2,11-17)
C. Der Irrtum des Mystizismus: Christus als das Haupt
(2,18-19)
D. Der Irrtum des Asketismus: Die Unbefleckbarkeit in Cristus
(2,20-23)
III. Der Geist: Das innere Leben in Cristus (3,1-17)
A. Die
Suche nach geistlichen Werten (3,1-4)
B. Das Ablegen der Sünden des
alten Lebens (3,5-11)
C. Das Anlegen der Tugenden des neuen Lebens
(3,12-17)
IV. Die Praxis: Das äußere Leben in Christus (3,18-4,18)
A.
Vervollkommnung des Privatlebens (3,18-4,1)
B. Vervollkommnung des
Gebetslebens (4,2-4)
C. Vervollkommnung des öffentlichen Lebens
(4,5-6)
D. Grüße (4,7-18)
AUSLEGUNG
I. Die Lehre: Ein
erfüllteres Leben in Christus
(1,1-2,7)
A. Grußwort
(1,1-2)
Kol 1,1-2 In
allen seinen Briefen, außer in den beiden frühesten (1. u. 2. Thess) und
in seinem sehr persönlich gehaltenen Schreiben an die Philipper, führt
Paulus sich selbst gleich zu Anfang als einen Apostel Christi ein (vgl.
die Tabelle "Die Einleitungsworte des Apostels Paulus
zu seinen Briefen"
bei Röm 1,1-7). Paulus gehörte nicht zu den Zwölfen (Apg 1,21-26), die
seit dem Beginn von Jesu irdischem Wirken mit dem Herrn zusammen waren (
Lk 1,2; Joh 15,27; Apg 1,22). Doch er hatte den auferstandenen Christus
gesehen ( 1Kor 9,1; 1Kor 15,8-9 ) und besaß besondere Wunderkräfte, die
nur den wahren Aposteln verliehen waren ( 2Kor 12,12; vgl. Hebr 2,3-4).
Timotheus tritt auch hier, wie an vielen anderen Stellen, als Begleiter
und Mitstreiter von Paulus auf (vgl. 2Kor 1,1; Phil 1,1; 2Thes 1,1). Er
hatte einen heidnischen Vater (Apg 16,1), doch seine Mutter und seine
Großmutter waren zum christlichen Glaube
Timotheus tritt auch hier, wie an vielen
anderen Stellen, als Begleiter und Mitstreiter von Paulus auf (vgl. 2Kor
1,1; Phil 1,1; 2Thes 1,1). Er hatte einen heidnischen Vater (Apg 16,1),
doch seine Mutter und seine Großmutter waren zum christlichen Glauben
gekommene Jüdinnen (2Tim 1,5), die ihn von Kindheit an mit den Schriften
des Alten Testamentes vertraut gemacht hatten (2Tim 3,15). Paulus war
Timotheus, der "einen guten Ruf bei den Brüdern" hatte, auf seiner
zweiten Missionsreise in Lystra begegnet (Apg 16,2). Der Apostel wandte
viel Zeit an die Unterweisung des jungen Mannes und schrieb zwei seiner
letzten Briefe an ihn.
Paulus spricht die kolossischen Christen als die
Heiligen in Kolossä, die gläubigen Brüder in Christus an. Sie sind damit
als Heilige gekennzeichnet, die für Gott auserwählt und ausgesondert
sind. Fast dieselbe Formulierung findet sich in der Einleitung zum
Epheserbrief, der an "die Heiligen in Ephesus, die Gläubigen in Christus
Jesus", gerichtet ist (Eph 1,1). In der typischen paulinischen
Grußformel Gnade ... und Friede kommt das Wort charis ("Gnade") vor,
eine Abwandlung des üblichen griechischen Grußes chaire ("Sei gegrüßt";
vgl. Lk 1,28). Chaire erinnerte wahrscheinlich an das ähnlich klingende,
aber bedeutungsvollere charis. Daneben enthält Paulus' Grußformel auch
den gebräuchlichen jüdischen Gruß "Friede". Der Apostel wünscht seinen
Adressaten also Gottes Wohlwollen (Gnade) und gute Lebensbedingungen
(Friede)
B. Danksagung
(1,3-8)
Kol 1,3-4
Immer wieder erwähnt Paulus in seinen Briefen, daß er Gott fortwährend
in seinen Gebeten für die Gläubigen dankt ( Röm 1,8; 1Kor 1,4; Eph 1,16;
usw.), nur im Galaterbrief und im 2. Korintherbrief unterbleibt dieses
Lob. Gott ist für ihn die Ursache aller positiven Entwicklungen bei den
von ihm bekehrten Christen. Dafür wird ihm nach den Worten des Apostels
allezeit Dank gesagt, wenn wir beten. Der Grund für diese Danksagung
liegt darin, daß Paulus (durch Epaphras; Kol 1,7; vgl. Kol 4,12) vom
wachsenden Glauben an Christus Jesus in der Gemeinde von Kolossä und von
ihrer Liebe zu allen Heiligen ... (gehört) hat. Das Gebet ist dabei der
umfassendere Vorgang der Anbetung, die Danksagung und Fürbitte
einschließt (vgl. Mt 6,7; Apg 16,25).
Kol 1,5
Paulus dankt Gott
für den Glauben und die Liebe, die die KolosPaulus dankt Gott für den
Glauben und die Liebe, die die Kolosser haben um der Hoffnung willen.
Diese Trilogie christlicher Tugenden aus Glaube, Liebe und Hoffnung wird
von Paulus (vgl. 1Kor 13,13; 1Thes 1,3) wie auch von Petrus ( 1Pet
1,3.5.22 ) gern angeführt. Im Glauben blickt die Seele nach oben auf
Gott; die Liebe blickt nach außen auf den Nächsten;die Hoffnung blickt
nach vorn in die Zukunft. Der Glaube beruht auf dem, was Christus in der
Vergangenheit vollbracht hat, die Liebe ist tätig in der Gegenwart, und
die Hoffnung nimmt die Zukunft vorweg. "Ohne Glauben ist's unmöglich,
Gott zu gefallen" (Hebr 11,6), und "Hoffnung läßt nicht zuschanden
werden" (Röm 5,5), doch "die Liebe ist die größte unter ihnen" (1Kor
13,13). Die Liebe der Kolosser gilt "allen Heiligen" (Kol 1,4) oder
allen Gläubigen, wahrscheinlich nicht nur in Kolossä, sondern überall
(vgl. 1Thes 1,7-8 ,wo ein ganz ähnliches Lob ausgesprochen wird).
Glaube
und Liebe entspringen aus (dia, wörtlich "bestehen wegen") der
"Hoffnung", dem Vertrauen auf das, was Gott in der Zukunft tun wird.
Diese Zuversicht führt zu einem festeren Vertrauen auf Gott und zu einer
tieferen Liebe zu den Mitmenschen. Die zuversichtliche Erwartung der
Wiederkunft Christi, "die selige Hoffnung" (Tit 2,13), bestimmt das
Leben der Gläubigen (vgl. 1Thes 4,13-18; 1Joh 3,3).
Die Hoffnung ist
bereit ... im Himmel, weil Christus, das Wesen dieser Hoffnung, im
Himmel ist. Ohne seine Himmelfahrt (Apg 1,10-11) und seine Fürsprache
für die Gläubigen ( Hebr 7,25; 1Joh 2,1) wären sie ohne Hoffnung (vgl.
1Kor 15,16-19 ). Diese Botschaft ist das Wort der Wahrheit (vgl. Eph
1,13; 2Tim 2,15; Jak 1,18), das Evangelium, wie Paulus es hier und an
anderer Stelle definiert (vgl. 1Kor 15,1-3; Röm 10,9-10 ).
Kol 1,6
Paulus dankt Gott, weil das
Evangelium sich in aller Welt verbreitet. In Vers 23 schreibt er sogar
in einer offensichtlichen Übertreibung, daß das Evangelium "allen
Geschöpfen unter dem Himmel gepredigt ist" (vgl. Röm 1,8 ). Aber der
Apostel unterstreicht nicht nur die Universalität des Evangeliums,
sondern auch seine praktischen Auswirkungen, denn es (bringt) Frucht
und
... wächst . Wie ein Baum Früchte trägt und wächst, so trägt das
Evangelium geistliche Früchte im Leben der Gläubigen (vgl. "die Frucht
des Geistes", Gal 5,22-23; "Frucht der Gerechtigkeit", Phil 1,11) und
breitet sich aus und nimmt Einfluß auf das Leben anderer (vgl. die
gleichen Worte in Kol 1,10 : "Frucht bringt" und "wächst"). Irrlehren
wie die, die sich in Kolossä breitgemacht hat, sind auf bestimmte Orte
beschränkt und richten Schaden an, die Wahrheit aber ist universal und
hilfreich. Eines der untrüglichen Kennzeichen des wahren Evangeliums ist
die Gnade Gottes ... in der Wahrheit. Manche Leute predigen ein "anderes
Evangelium, obwohl es doch kein andres gibt" (Gal 1,6-7 ). Meist handelt
es sich dabei um ein Evangelium, in dem die Gnade oder der Glaube
jeweils mit den Werken der Menschen in Zusammenhang gebracht wird.
Das
wahre Evangelium jedoch ist ein Evangelium der Gnade ohne alle Zusätze (
Röm 11,6; Eph 2,8-9; Tit 3,5-7 ).
Kol 1,7
Die Kolosser haben
das Evangelium von Epaphras, der offenbar der Gründer der Kirche in
Kolossä war (vgl. Kol 4,12), gelernt. Paulus nennt ihn seinen
lieben
Mitknecht - ein Ausdruck der Bescheidenheit des großen Apostels - und
einen treuen Diener Christi , zweifellos im Gegensatz zu den
unzuverlässigen Gottesdienern, die hier und an anderen Orten die
Gemeinde Gottes in ihrem Glauben verwirren (vgl. 2Kor 11,15; 2Pet
2,1-3.12-19 ). Später bezeichnet Paulus auch Tychikus als einen "treuen
Diener und Mitknecht in dem Herrn" (Kol 4,7). Epaphras war offenbar in
Rom mit Paulus zusammen, denn dieser erwähnt ihn im Philemonbrief als
"Mitgefangenen" (V. 23). "Epaphras" ist die Kurzform von "Epaphroditus",
ein Name, der in Phil 2,25 und Phil 4,18 auftaucht. Es könnte sich dabei
um dieselbe Person oder um zwei verschiedene Männer handeln, da beide
Namen relativ häufig waren.
Epaphras arbeitete wahrscheinlich als
Paulus' Stellvertreter in Kolossä (vgl. Phil 2,25;4,18 ,wo von einer
ähnlichen Situation berichtet wird). Das besagt indirekt, daß Paulus
Kolossä nicht selbst besucht hatte (vgl. Kol 2,1). Doch wenn Epaphras
auch von Paulus in die Stadt gesandt worden war, so war er doch in
erster Linie ein Diener Christi.
Kol 1,8
Epaphras brachte nicht
nur den Menschen in Kolossä die gute Nachricht von Christus, er
berichtete auch dem in Haft befindlichen Apostel von der Liebe im Geist,
die die Kolosser Christus entgegenbrachten. Die Gläubigen sind im Geist
und der Geist ist in ihnen (Röm 8,9). Ihre Liebe "zu allen Heiligen" (
Kol 1,4; vgl. V. 5 ) rührt also von der Kraft des innewohnenden Geistes
her. An einer anderen Stelle ermahnt Paulus die Gläubigen eindringlich,
"durch die Liebe des Geistes" (Röm 15,30) auch die "Frucht des Geistes"
(Gal 5,22) hervorzubringen.
C. Bitte
(1,9-14)
Kol 1,9
Darum,
weil Paulus von Epaphras so Gutes über die Kolosser gehört hatte, betet
er "allezeit" für sie. Die Wendung "lassen wir ... nicht ab, für euch zu
beten" (vgl. 1Thes 5,17 ) bedeutet nicht, daß Paulus tatsächlich
unaufhörlich betete, sondern daß er bei seinem täglichen Gebet die
Gemeinde niemals vergaß (vgl. Apg 20,31; Eph 1,16). "Beten" (Kol 1,9)
ist der Oberbegriff für das Gebet (proseuchomenoi), der auch in Vers 3
verwendet wird; bitten dagegen ist der Ausdruck für eine Fürbitte oder
Bitte (aitoumenoi).
Die vordringlichste Bitte des Apostels an Gott für
die Gemeinde in Kolossä gilt dem Wunsch, daß sie mit der Erkenntnis
seines Willens ... (erfüllt) werden möge. Paulus verwendet an dieser
Stelle zwei wichtige Begriffe, "erfüllen" (plEroO) und "Erkenntnis"
(epignOsis; ebenso in V. 10 und Kol 3,10 ). Der erstere drückt ein
völliges Ausfüllen aus, der zweite ein vollständiges, tiefgehendes
Verstehen. Eine solche Erkenntnis des göttlichen Wissens kommt nicht aus
einem weltlich gesinnten Geist (der sich "aufbläht"; 1Kor 8,1), sondern
vom Heiligen Geist, der den Gläubigen innerlich erleuchtet (1Kor
2,5-6.13 ), und aus dem Wort Gottes. Gottes Wille, der in der Bibel
offenbart ist, wird den Gläubigen durch die Unterweisung des Heiligen
Geistes bekanntgemacht. Paulus fügt hinzu: in aller geistlichen Weisheit
(sophia; der Begriff kommt sechsmal im Kolosserbrief vor: Kol
1,9.28;2,3.23;3,16;4,5 ), d. h. in einer praktischen Kenntnis, die von
Gott kommt ( Jak 1,5;3,15 ), und Einsicht (synesei; nochmals in Kol 2,2
), d. h. in vernünftigem Umgang mit dieser Kenntnis bei ihrer Anwendung
auf unterschiedliche Probleme. Im Gegensatz dazu bieten die Irrlehrer
nur "einen Schein von Weisheit" (sophia; Kol 2,23 ), der ihr Denken und
ihr Leben in einem Kreisen um Gesetzesvorschriften gefangenhält. Die
wahre geistliche Weisheit wirkt demgegenüber zugleich festigend und
befreiend (Eph 4,14). Erkenntnis (oder Verständnis oder Einsicht) und
Weisheit werden in der Schrift oft miteinander verknüpft (vgl. 2Mo 31,3;
5Mo 4,6; Jes 11,2; 1Kor 1,19). Der Ursprung von beiden aber ist die
"Furcht des Herrn" (vgl. Spr 1,7;9,10 ).
Kol 1,10
Die Bitte des
Apostels zielt auf etwas ganz Praktisches: daß ihr des Herrn würdig
lebt. Die echte Erkenntnis Christi zeigt sich in einer gewandelten
Persönlichkeit (vgl. Eph 4,1;1Thes 2,12), die Christus immer ähnlicher
wird. AxiOs , "würdig", bedeutet "gleichwertig". Die Gläubigen sollen
danach streben, den Maßstäben des Herrn gerechtzuwerden und heilig zu
sein, wie er heilig ist (vgl. 1Pet 1,15). Ihr Ziel in ihrem ganzen
Lebenswandel sollte sein, ihm in allen Stücken zu gefallen, seinen
Wunsch und Willen in jeder Lebenslage zu erspüren und zu erfüllen (vgl.
Eph 5,10). Sein ganzes Trachten nur darauf zu richten, den Menschen zu
gefallen, ist unvereinbar mit einem Leben als Knecht Christi ( Gal 1,10;
Eph 6,6; Kol 3,22; 1Thes 2,4). Paulus machte es statt dessen zum
höchsten Ziel seines Lebens, Gott zu gefallen (2Kor 5,9 ). Vier Dinge -
im Griechischen sind sie durch Partizipialkonstruktionen ausgedrückt -
folgen aus einem solchen gottgefälligen Leben: Fruchtbringen und
Wachstum (Kol 1,10), Stärkung ( V. 11) und Danksagung ( V. 12). Die
beiden ersten hängen zusammen: daß ihr ... Frucht bringt ... und wachst
in der Erkenntnis (epignOsei) Gottes (genau die gleichen Worte gebraucht
Paulus in Vers 6). Wenn jemand nach außen hin die Frucht des Glaubens
zeigt (vgl. Mt 7,16; Gal 5,22-23 ), wächst er selbst im Glauben (vgl.
Eph 4,13). Er gelangt zu einer tieferen "Erkenntnis" (epignOsis; vgl.
Kol 1,9) Gottes. Wie Augustin sagt: "Der Glaube ist eine Stufe der
Einsicht, und die Einsicht ist der Lohn des Glaubens."
Kol 1,11
Ein dritter Faktor, der mit der Erkenntnis des göttlichen Willens und
dem Streben nach Gottes Wohlgefallen zusammenhängt, ist die geistliche
Kraft, die daraus resultiert. In der Wendung "gestärkt ... mit aller
Kraft durch seine herrliche Macht" kommt dreimal der Begriff Stärke vor:
"gestärkt werden" ist dynamoumenoi, "Kraft" ist dynamei, geistliche
Lebenskraft, und "Macht" ist kratos ("überwältigende Macht", ein
Begriff, der im Neuen Testament nur für Gott gebraucht wird). Diese von
Gott geschenkte Kraft befähigt die Gläubigen zu aller Geduld und
Langmut. Das beste Beispiel für diese Geduld (Jak 1,3) war Hiob (Jak
5,11 ). Zur Geduld fügt Paulus noch "Langmut" hinzu, ein Wort, das
allgemein mit Freundlichkeit und Sanftmut in Verbindung gebracht wird
(wie in 1Kor 13,4). Geduld und Langmut werden an vielen Stellen
nebeneinander genannt (vgl. 2Kor 6,4.6; 2Tim 3,10; Jak 5,10-11). Geduld
(hypomonE, wörtlich ein "Bleiben unter") haben bedeutet, dem Leiden
nicht zu unterliegen, und "Langmut" (makrothymia; vgl. Kol 3,12 ) zeigen
heißt, eine Selbstbeherrschung zu üben, die sich nicht zu vorschneller
Vergeltung hinreißen läßt, denn mangelnde Geduld führt oft zu
Verzagtheit und Mutlosigkeit, mangelnde Langmut dagegen oft zu Zorn oder
Rache (vgl. Spr 15,18;16,32 ).
Dies entspricht Gottes "herrlicher Macht"
(wörtlich "der Macht seiner Herrlichkeit"). In Gottes Herrlichkeit
manifestiert sich sein inneres Wesen. In Eph 1,19-20 sprach Paulus von
der "überschwenglichen großen Kraft" (dynamis) Gottes und dem "Wirken"
(energeian) "der Macht" (kratous) "seiner Stärke" (ischyos), die
Christus von den Toten auferweckt hat.
Kol 1,12-13
Die Kraft zu
einer solchen Geduld sollte von fröhlicher, keinesfalls erzwungener
Danksagung an den Vater, von dem alles Gute und Vollkommene kommt,
begleitet sein (Jak 1,17).
Dankbarkeit, eine vierte Haltung, die aus der
Befolgung des göttlichen Willens und dem Streben nach einem
gottgefälligen Leben erwächst, spielt eine entscheidende Rolle im
geistlichen Leben. An einer anderen Stelle fordert Paulus die Gläubigen
auf: "Seid dankbar in allen Dingen" (1Thes 5,18), und "laßt in allen
Dingen eure Bitten in Gebet und Flehen mit Danksagung vor Gott
kundwerden" (Phil 4,6). Noch viermal im Kolosserbrief ( Kol 3,15-17;4,2
) schärft Paulus seinen Lesern ein, dankbar zu sein. Aber auch die
Freude ist ein Teil der Frucht des Geistes (Gal 5,22). Sie entspringt
der guten Nachricht des Evangeliums (vgl. Jes 29,19; Joh 16,20; Apg
13,52). An dieser Stelle konzentriert Paulus den Dank in erster Linie
auf die Tatsache, daß Gott euch tüchtig gemacht hat (vgl. 2Kor 3,6)
zu
dem Erbteil der Heiligen (d. h., für die königlichen Schätze, die den
Gläubigen aufbewahrt sind; vgl. Eph 1,7 ). Auch wenn sie selbst
unvollkommen sind, so macht Gott sie doch fähig, am Erbe seines heiligen
Volkes teilzuhaben. Dieses "Erbteil" (tEn merida tou klErou, wörtlich
"der Anteil") erinnert daran, wie den Israeliten unter Josua das Land
der Verheißung zugeteilt wurde (Jos 14,2). Es ist ein Erbteil im Licht
(vgl. 2Kor 4,6; 1Pet 2,9).
Das Licht ist die geistliche Sphäre, in die
die Gläubigen aus der Macht der Finsternis versetzt wurden ( Lk 22,53;
Apg 26,18; Eph 6,12). Sie wurden aus dem Machtbereich (exousias) der
Finsternis (vgl. Joh 3,19-20 ) errettet. Durch Christus sind sie aus
einem unrechtmäßigen Königreich unter die Souveränität ihres
rechtmäßigen Königs, in das Reich seines lieben Sohnes ("des Sohnes
seiner Liebe"; vgl. 1Joh 4,8.16 ), wie der herrschende Christus hier von
Paulus bezeichnet wird, gebracht worden. Nach J. B. Lightfoot weist dies
auf den Sohn als Verkörperung und irdische Manifestation der Liebe
Gottes hin (St. Paul's Epistles to the Colossians and to Philemon , S.
142). H. C. G. Moule sieht darin dagegen eine Bezeichnung des Sohnes,
der "der gesegnete Gegenstand der Liebe des Vaters ... der über alle
Maßen Geliebte" ist (The Epistles of Paul the Apostle to the Colossians
and to Philemon, S. 75). Diese zweite Deutung scheint vom Kontext her
plausibler (vgl. Eph 1,6).
Kol 1,14
Durch Christus, den
"geliebten Sohn Gottes", haben die Christen die Erlösung ... nämlich die
Vergebung der Sünden. Die parallele Textpassage in Eph 1,7 enthält noch
den Zusatz "durch sein Blut" (wie es auch in einigen Handschriften zu
lesen ist). "Erlösung" (apolytrOsin) bedeutet "durch ein Lösegeld
freikaufen" (vgl. die Tabelle "Neutestamentliche Begriffe für 'Erlösung'
" bei Mk 10,45), und mit "Vergebung" (aphesin ) ist "Erlaß" (der Strafe)
durch den Heiland gemeint. Die Christen kommen allein durch den hohen
Preis, den Christus am Kreuz bezahlt hat, in den Genuß dieser Befreiung
(vgl. Röm 3,24-26).
D. Erhöhung Christi
(1,15-20)
Von seiner
Bitte um die Erleuchtung der Christen in Kolossä über Gottes erlösendes
Wirken in ihrem Leben geht Paulus nun zum Hauptanliegen seines Briefes
über - der Erhöhung und Vorrangstellung Christi. In der folgenden
Passage (V. 15-20) spricht er von sieben einzigartigen Wesenszügen
Christi,
die ihn berechtigtermaßen zum "Ersten" schlechthin (V. 18 )
machen. Christus ist:
(1) das Ebenbild Gottes,
(2) der Erstgeborene der
Schöpfung,
(3) der Schöpfer des Universums,
(4) das Haupt der Gemeinde,
(5) der Erstgeborene von den Toten,
(6) die Fülle Gottes und
(7) der
Versöhner aller Dinge.
Nirgendwo sonst im Neuen Testament gibt es eine
vergleichbare Aufzählung so vieler Merkmale Christi und seiner Gottheit.
Christus ist der überragende Souverän des Universums.
Kol 1,15
Erstens:
Christus ist das Ebenbild des unsichtbaren Gottes. Neben der
unmittelbaren Bedeutung von "Ähnlichkeit" (vgl. 2Kor 4,4 ) steckt in dem
Begriff "Ebenbild" noch der Gedanke der Repräsentation und
Manifestation. Wie der Kopf eines Souveräns auf einer Münze ist Christus
"das Ebenbild seines Wesens (des Vaters)" (Hebr 1,3). Jesus selbst
formulierte es so: "Wer mich sieht, der sieht den Vater" (Joh 14,9 ).
Wer Christus, die sichtbare Manifestation des unsichtbaren Gottes,
erblickte, hatte damit indirekt Gott selbst "gesehen". Denn "niemand hat
Gott je gesehen; der Eingeborene, der Gott ist ... der hat ihn uns
verkündigt" (Joh 1,18). Paulus sprach immer wieder vom "unsichtbaren"
Gott (1Tim 1,17), doch Christus ist die vollkommene, sichtbare
Widerspiegelung und Verkörperung dieses Gottes. Auch wenn das Wort
"Ebenbild" (eikOn) nicht immer auf eine vollkommene Ebenbildlichkeit
hinweist (vgl. 1Kor 11,7), so ist in diesem Kontext eindeutig eine
solche Vollkommenheit gefordert. Wie das Wort "Gestalt" (morphE; vgl.
Phil 2,6-7) bezieht sich eikOn auf das innerste Wesen und den Wesenskern
einer Sache oder Person. In Hebr 10,1 wird der "Schatten" dem "Wesen"
(eikOn), das Christus ist, gegenübergestellt (vgl. Kol 2,17 ). So zeigt
sich die überragende Stellung Christi zuerst in seiner Beziehung zu Gott
dem Vater. Er ist der vollkommene Abglanz und das Ebenbild Gottes.
Zum
zweiten zeigt sich Christi Stellung in seiner Beziehung zur Schöpfung.
Er ist der Erstgeborene vor aller Schöpfung . Grammatikalisch wäre es
auch möglich, die griechische Wendung mit "der Erstgeborene in der
Schöpfung" wiederzugeben, doch das verbietet sich aus fünf Gründen vom
Zusammenhang her:
(1) Die vorliegende Passage (und der ganze
Kolosserbrief) zielt in erster Linie darauf ab,die absolute
Überlegenheit Christi herauszustellen.
(2) Weitere Äußerungen über
Christus in diesem Abschnitt (wie etwa "in ihm ist alles geschaffen", V.
16, und "alles besteht in ihm", V. 17 ) deuten klar auf seine
Vorrangstellung und Überlegenheit über die Schöpfung hin.
(3) Der
"Erstgeborene" kann nicht Teil der Schöpfung sein, wenn er seinerseits
"alles" geschaffen hat. Man kann sich nicht selbst schaffen. (Die Zeugen
Jehovas fügen in ihrer Bibelübersetzung in diese Passage
fälschlicherweise sechsmal das Wort "anderer" ein. Das erweckt den
Eindruck, als habe Christus alle anderen Dinge geschaffen, nachdem er
selbst geschaffen war. Im griechischen Urtext findet sich dieses
zusätzliche Wort jedoch nicht.)
(4) Der "Erstgeborene" wurde von allen
Engeln angebetet (Hebr 1,6), doch Geschaffenes darf nicht auf solche
Weise verehrt werden (2Mo 20,4-5).
(5) Der griechische Begriff für
"Erstgeborener" ist prototokos. Wenn Christus aber der
"Erst-Geschaffene" wäre, hieße das im Griechischen protoktisis.
"Erstgeborener" steht für zwei Eigenschaften Christi: Er ging der ganzen
Schöpfung voran, und er ist Herr über die Schöpfung. Im Alten Testament
besaß ein Erstgeborener die Vorrechte, Würde und Überlegenheit der
Erstgeburt (vgl. 2Mo 13,2-15; 5Mo 21,17). Als Jesus sich zum "Ersten"
(ho protos; Offb 1,17 ) erklärte, benutzte er ein Wort, das
"zuallererst" bedeutet. Die "Erstgeburt" ist zudem gleichbedeutend mit
absoluter Souveränität. "Erstgeborener" war im Alten Testament noch kein
gebräuchlicher Messiastitel.
"Und ich will ihn zum erstgeborenen Sohn
machen, zum Höchsten unter den Königen auf Erden" (Ps 89,28) - diese
Königshymne bezieht sich zwar auf David, doch sie spricht auch vom
Messias, wie Offb 1,5 zeigt, wo Christus der "Erstgeborene von den
Toten" (vgl. Kol 1,18 ) und "Herrscher über die Könige auf Erden"
genannt wird. Der Titel "Erstgeborener" impliziert also Christi
Vorrangstellung vor der ganzen Schöpfung (in zeitlicher Hinsicht) und
seine Souveränität über die ganze Schöpfung (in statusmäßiger Hinsicht).
Kol 1,16-17
Der dritte Wesenszug Christi ist, daß in ihm alles
geschaffen (ist), ja es ist alles durch ihn (di? autOu, in
instrumentellem Sinn) und zu ihm (eis auton, in finalem Sinn) geschaffen
... und es besteht alles ihn ihm (en autO ), d. h., er ist der Schöpfer
und Erhalter. Christus ist nicht nur der, durch den alle Dinge geworden
sind, sondern er ist es auch, der sie am Leben erhält. Zwei andere
Textpassagen aus dem Neuen Testament beschreiben ihn in ganz ähnlicher
Form: "Alle Dinge sind durch dasselbe gemacht" (Joh 1,3), und Christus,
der Sohn, ist derjenige, "durch den er (der Vater) auch die Welt gemacht
hat" (Hebr 1,2 ). Der Vater ist also die letzte Ursache der Schöpfung
und der Sohn das Mittel, durch das die Welt entstanden ist. Der Sohn war
der "Vorarbeiter" der Schöpfung, "der Anfang" (archE) "der Schöpfung
Gottes" (Offb 3,14).
In diese Schöpfung des Sohnes ist alles
eingeschlossen, was im Himmel und auf Erden ist, das Sichtbare und das
Unsichtbare. Damit ist das gesamte Universum, die materielle und die
immaterielle Welt, gemeint. Die Hierarchie der Engel - Throne (thronoi)
oder Herrschaften (kyriotEtes) oder Mächte (archai) oder Gewalten
(exousiai ) - deutet auf einen hochentwickelten Herrschaftsbereich in
der spirituellen Welt, einer Sphäre, der sich die Kolosser mit ihrer
Engelverehrung (Kol 2,18) näherten und über die Christus als souveräner
Herrscher gebietet (vgl. Eph 1,21;3,10;6,12; Phil 2,9-10; Kol 2,10.15).
Kol 1,18
Viertens ist Christus
das Haupt des Leibes, nämlich
der Gemeinde. Er ist nicht nur der Herr des Universums, sondern auch das
Oberhaupt der Gemeinde (vgl. Eph 1,22-23;5,23 ). An dieser Stelle dürfte
die unsichtbare oder universale Kirche gemeint sein, in die alle
Gläubigen in dem Augenblick, in dem sie glauben, durch den Heiligen
Geist hineingetauft werden (1Kor 12,13). Dieses Werk des Geistes begann
mit Pfingsten ( Apg 1,5; Apg 2,1-2; Apg 11,15-16 ). Die "unsichtbare
Kirche" bildet einen ganz besonderen Leib, in dem es "nicht Jude noch
Grieche" (Gal 3,28) gibt, aber dafür eine ganz neue Schöpfung Gottes
(Eph 2,15). Die Kirche ist ein "Geheimnis ..., [das] in früheren Zeiten
den Menschenkindern nicht kundgemacht (war)" ( Eph 3,3-5; vgl. Röm
16,25-26; Kol 1,26).
Zum fünften ist Christus der Anfang (archE), der
Erstgeborene von den Toten (vgl. Offb 1,5). Christus ist als erster mit
einem unsterblichen Körper auferstanden (1Kor 15,20), und als solcher
geht er der ganzen neuen Schöpfung als Herrscher voran (vgl.
"Erstgeborener" in Kol 1,15). Seine Auferstehung war der Beweis für
seinen Sieg über den Tod ( Hebr 2,14; vgl. 1Joh 3,8). Er war der
"Erstling" der Sterblichen (1Kor 15,20 ), da er, anders als andere,
auferstand, um nie wieder zu sterben. Er wurde "eingesetzt ... als Sohn
Gottes in Kraft durch die Auferstehung von den Toten" (Röm 1,4) und lebt
"nach der Kraft unzerstörbaren Lebens" (Hebr 7,16). Das geschah, damit
er in allem der Erste sei. Christus hat den ersten Platz in der
Schöpfung. Derselbe ewige Logos (Joh 1,1), der "Fleisch wurde" (Joh
1,14) und "sich selbst erniedrigte" (Phil 2,8), ist nun von Gott dem
Vater "erhöht" und erhält "den Namen ... der über alle Namen ist" (Phil
2,9).
Kol 1,19
Das sechste Kennzeichen
des erhöhten Christus
ist, daß in ihm alle Fülle Gottes wohnen sollte. An einer späteren
Stelle schreibt Paulus: "In ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit
leibhaftig"
(Kol 2,9).
Kol 1,19
ist eine der eindrucksvollsten Aussagen
zur Gottheit Christi im ganzen Neuen Testament (vgl. Hebr 1,8). "Fülle"
(plErOma) taucht als Schlüsselbegriff im Kolosserbrief in Kol 1,19 und
Kol 2,9 auf. (Das Verb plEroO kommt in Kol 1,9.25;2,10 und Kol 4,17
vor.) Das Substantiv bedeutet "Vollständigkeit" und wird in
verschiedenen Zusammenhängen gebraucht, unter anderem zur
Versinnbildlichung des göttlichen Wesens (Eph 3,19), der Zeit (Gal 4,4)
und der Gnade in Christus (Joh 1,16). Diese vollkommene Gottheit "wohnt"
(katoikEsai, "für immer bleiben") nach den Worten des Apostels in
Christus.
Kol 1,20
Das siebte Merkmal Christi ist seine
Versöhnerrolle. Durch ihn will Gott alles mit sich versöhnen. Der
Begriff "alles" ist auf die guten Engel und die Erlösten beschränkt, da
nur die Dinge auf Erden oder im Himmel erwähnt werden. Das, was "unter
der Erde" ist (Phil 2,10), bleibt unversöhnt. (Zu dem
wiederherstellenden Wesen Gottes vgl. den Kommentar zu Röm 8,19-21; zur
Versöhnung der Sünder vgl. den Kommentar zu Röm 5,10-11; 2Kor 5,17-20 .)
Es fällt auf, daß die Menschen mit Gott versöhnt werden, und nicht Gott
mit den Menschen. Die Menschheit ist von Gott abgefallen und bedarf der
Versöhnung, nicht umgekehrt. In 2Kor 5,19 verwendet Paulus den Begriff
"Versöhnung" in dem Sinn, daß sie der ganzen "Welt" durch Christi Tod
zugänglich geworden ist. Der Apostel spricht davon, daß "viele" (d. h.
die, "die die Fülle der Gnade empfangen" haben) durch das Kreuz "zu
Gerechten" gemacht werden ( Röm 5,17-19 ). Die Wendung "indem er Frieden
machte durch sein Blut" besagt, daß durch Christi Tod die Feinde Gottes
( Röm 5,10; Kol 1,21) durch den Glauben zu seinen Freunden und Kindern
werden (vgl. Eph 2,11-19 ).
E. Versöhnung durch Christus
(1,21-23) Kol 1,21
Nachdem er die Versöhnung als siebtes Merkmal des
erhöhten Christus besonders herausgestellt hat, geht Paulus näher auf
diesen Punkt ein. Versöhnung ist notwendig, weil die Menschen dem Leben
und Gott fremd ("abgeschnitten, entfremdet") sind ( Eph 2,12;4,18 ). Vor
ihrer Bekehrung waren auch die Gläubigen in Kolossä Gott in Worten und
Werken feindlich gesinnt. Die Sünde beginnt im Herzen des Menschen ( Mt
5,27-28 ) und schlägt sich dann in seinen Taten nieder (in bösen Werken;
vgl. Gal 5,19 ). Die Menschen sind nicht wegen ihres äußeren sündigen
Verhaltens Feinde Gottes, sondern sie begehen Sünden, weil sie innerlich
in Feindschaft zu Gott stehen.
Kol 1,22
Die Versöhnung der
Sünder mit Gott geschieht durch den Tod seines (Christi) sterblichen
Leibes . Die gnostische Färbung der Irrlehre in Kolossä mit ihrer
Orientierung an Plato bestritt sowohl, daß Christus wirklich Mensch, als
auch, daß er wirklich Gott gewesen war. Wie Johannes erklärt, müssen die
Christen bekennen, "daß Jesus Christus in das Fleisch gekommen ist"
(1Joh 4,2). Geistwesen können nicht sterben, und "ohne Blutvergießen
geschieht keine Vergebung" (Hebr 9,22). Um die Menschen zu erlösen,
mußte Christus wirklich Mensch werden (vgl. 1Tim 2,5; Hebr 2,17). Es ist
also unerläßlich für das Heil der Menschen, daß er einen realen Körper
besaß und einen wirklichen Tod starb (vgl. Röm 7,4; Hebr 10,10).
Die Folge von Christi Tod ist die Erlösung -
damit er euch heilig ... vor sein Angesicht stelle . Das kann sich auf
die Rechtfertigung des Gläubigen oder auf seine geistliche Vollendung
beziehen. Am Ende strebt Gott beides für die Gläubigen an, und Christi
Tod ist denn auch die Grundlage für die Rechtfertigung (Röm 3,21-26),
die fortschreitende Heiligung (Röm 6-7) und auch für die schließliche
Verherrlichung der Gläubigen (Röm 8 ). Wie Paulus an die Epheser
schreibt: "Denn in ihm hat er uns erwählt, bevor der Welt Grund gelegt
war, daß wir heilig und untadelig vor ihm sein sollten" (Eph 1,4). Die
Christen sind untadelig (amOmous; vgl. Eph 5,27; Phil 2,15; Jud 1,24)
und makellos (anenklEtous ) in Christus. Dieser zweite Begriff taucht
fünfmal im Neuen Testament auf und wird ausschließlich von Paulus
verwendet (hier und in 1Kor 1,8; 1Tim 3,10; Tit 1,6-7). Er steht für
einen Menschen, der völlig unbescholten ist. Satan ist der "Verkläger
unserer Brüder" (Offb 12,10), doch Christus ist unser "Fürsprecher"
(1Joh 2,1) beim Vater. Deshalb stehen die Gläubigen um Christi willen
schuldlos da (vgl. Röm 8,33). In Christus sind die Angeklagten Gerechte
und die Verurteilten Freigesprochene.
Kol 1,23
Diese Versöhnung
in Christus wird nur durch einen festen Glauben ermöglicht - wenn ihr
nur bleibt im Glauben. Die Kolosser waren in ihrem Glauben
gegründet (wie ein Gebäude auf festem Grund steht)
und fest (hedraioi; vgl. 1Kor
7,37; 15,58), so daß Paulus nicht an ihrer Standhaftigkeit zweifelt. Er
spricht vielmehr von der Hoffnung (der sicheren Erwartung), die das
Evangelium der Versöhnung nicht nur ihnen, sondern der ganzen Welt -
allen Geschöpfen unter dem Himmel - bringt. Das ist offensichtlich eine
Redewendung, die die Universalität des Evangeliums und seiner
Verkündigung ausdrücken soll und nicht etwa besagt, daß jeder Mensch auf
dem Erdball Paulus predigen hörte. In Apg 2,5 sind damit Menschen der
unterschiedlichsten geographischen Herkunft gemeint (vgl. auch 1Mo
41,57; 1Kö 10,24; Röm 1,8).
F. Offenbarung des Geheimnisses
Christi
(1,24-27)
Kol 1,24
Die Versöhnung von Juden und Heiden zu einem
"Leib", die Christus vollbracht hat, ist ein Geheimnis, das nur in ihm
offenbart ist. Paulus freut sich, daß er für seine Leser leiden darf und
auf diese Weise erstattet, was an den Leiden Christi noch fehlt.
Damit
meint er nicht, daß Christi Leiden am Kreuz nicht ausreichten (vgl. Röm
3,21-26; Hebr 10,10-14), denn er spricht hier nicht von der Rettung,
sondern vom Dienst. Die Rettung hat allein das Leiden Christi bewirkt (
1Pet 1,11;5,1; Hebr 2,9), doch es ist das Vorrecht der Gläubigen, für
Christus zu leiden ( 2Tim 3,11; 1Pet 3,13-14;5,9; Hebr 10,32). Das Wort
"Bedrängnis" (thlipsis ) - das im übrigen nirgends im Neuen Testament
für den Tod Christi verwendet wird - bedeutet soviel wie "Leid",
"Druck", "Sorge" (wovon Paulus mehr als genug hatte; 2Kor 11,23-28 ). Es
bezieht sich auf schwere Prüfungen im Leben, nicht auf Todesqualen. So
leidet denn auch wirklich Christus, wenn die Gläubigen für ihn leiden.
Das zeigt auch seine Frage an Saulus (aus dem später Paulus wurde) auf
der Straße nach Damaskus: "Saul, Saul, was verfolgst du mich?" (Apg 9,4
). Weil die Gemeinde der Leib Christi ist, empfindet Christus alles, was
die Gläubigen empfinden. Um des Leibes Christi willen leidet Paulus gern
(Phil 1,29).
Kol 1,25-26
Paulus ist ein berufener Diener der
kostbaren Wahrheit des göttlichen Wortes, das er reichlich predigen soll
(vgl. Kol 1,9 ). Die Häretiker in Kolossä rühmten sich eines "reichen"
Wissens, das ihnen durch mystische Erfahrungen zuteil geworden war.
Paulus hält dagegen, daß das Geheimnis nur in Christus zu finden ist.
Mit "Geheimnis" meint er etwas, was bisher verborgen war und jetzt
enthüllt, offenbart ist. Das widerspricht der Vorstellung der Irrlehrer
in Kolossä, für die das Geheimnis in einer "Geheimlehre" bestand, in die
nur eine exklusive Gruppe eingeweiht war, nicht die große Masse. Die
Menschen des Alten Testamentes wußten noch nichts von der Gemeinde, denn
sie (war) verborgen seit ewigen Zeiten und Geschlechtern. Auch jetzt,
sagt Paulus, ist dieses Geheimnis nur den Heiligen (offenbart) . Da die
Gemeinde der Leib Christi ist, der aus seinem Tod am Kreuz hervorging,
kann sie im Alten Testament noch gar nicht existiert haben. Erst Jesus
sagte sie in seinem irdischen Leben als etwas Zukünftiges voraus (Mt
16,16-18 ). Als Leib Christi, der durch die Taufe des Heiligen Geistes
zusammengehalten wird (1Kor 12,13), wurde die Gemeinde im Augenblick
dieser Taufe geboren ( Apg 1,5;2 ), und Paulus mußte bald einsehen, daß
dieser geheimnisvolle Leib Christi, die Gemeinde, tatsächlich existierte
und er sie verfolgte ( Apg 9,4; vgl. Gal 1,13).
Daß die Gemeinde ein
"Geheimnis" war, bedeutet jedoch nicht, daß die Erlösung und Segnung der
Heiden vor Christus unvorstellbar war (vgl. Lk 2,29-32; Am 9,11-12 ).
Das Geheimnisvolle daran war nicht so sehr, daß die Heiden gerettet
wurden, sondern vielmehr wie sie zu "Miterben" werden konnten (Eph 3,6),
gleichberechtigt mit den Juden - ohne einen trennenden "Zaun" zwischen
beiden Gruppen ( Eph 2,12-14 ). Im Alten Testament galten Heiden, die
zum jüdischen Glauben übertraten, danach immer noch weniger als Juden.
Die besondere Einheit, in der "nicht Jude noch Grieche" ( Gal 3,28; d.
h. "Heide") gilt, gibt es erst seit dem Tod Christi und dem Kommen des
Geistes, der alle Gläubigen in diesen neuen Leib hineintauft. (Zu den
anderen "Geheimnissen" im Neuen Testament vgl. die Tabelle bei Mt
13,10-16.)
Kol 1,27
Gott wollte den Heiligen des Neuen
Testaments dieses Geheimnis kundtun. Er war in seiner Gnade bereit,
seinen ewigen Plan mit all seinem herrlichen Reichtum (d. h. göttlichen
Glanz) zu offenbaren. Das Überraschende daran ist, daß all das nun auch
unter den Heiden geoffenbart ist, während die besondere Offenbarung
Gottes bis dahin den Juden vorbehalten war ( Röm 2,17; Röm 3,1-2; Röm
9,4). Jetzt wurden die, "die ihr einst Ferne wart, Nahe durch das Blut
Christi" (Eph 2,13). Die zuvor ohne "Hoffnung ... und ohne Gott" waren
(Eph 2,12), haben nun eine herrliche Hoffnung, nämlich Christus . Wegen
des "herrlichen Reichtums" (wörtlich: "des Reichtums der Herrlichkeit")
dieses Geheimnisses haben die Gläubigen nun Christus, die Hoffnung der
Herrlichkeit. Sie sind damit "in Christus" ( 2Kor 5,17; Eph 1,4), und
Christus ist in ihnen (vgl. Röm 8,10; 2Kor 13,5). Durch Christus haben
sie die Vorfreude auf die Teilhabe an seiner Herrlichkeit (Röm 5,2;
8,18.30; 2Kor 4,17; Gal 5,5; Kol 3,4; 1Pet 5,10; vgl. auch Röm 8,24).
G. Vollendung in Christus (1,28-29)
Kol 1,28-29 Indem er diesen
Christus, der nun in den heidnischen Gläubigenwohnt, verkündigt, ermahnt
(nouthetountes, "raten") und lehrt (didaskontes) Paulus alle Menschen
(vgl. Kol 3,16 ). In diesem Fall richtet sich seine Ermahnung und
Unterweisung zweifellos gegen die Irrlehren über Christus, die in
Kolossä aufgetaucht waren. Er handelt darin "weise" (vgl. Kol 4,5-6 ),
denn er will unbedingt vermeiden, daß die Christen in Kolossä womöglich
noch stärker unter den Einfluß der Häretiker geraten. Sein Bestreben
geht grundsätzlich dahin, einen jeden Menschen in Christus vollkommen
(teleion, "reif"; vgl. Jak 1,4) zu machen. Paulus liegt daran, daß die
von ihm Bekehrten in ihrer geistlichen Entwicklung nicht zurückbleiben
(vgl. 1Kor 3,1-2), sondern reifer werden (vgl. Hebr 5,11-14 ). An einer
anderen Stelle betete er um die vollkommene Heiligung der Gläubigen
(1Thes 5,23 ). Er verkündet den ganzen "Reichtum" des Evangeliums, damit
die Gläubigen den ganzen Reichtum des von Jesus verheißenen Lebens
erfahren können (Joh 10,10). Dafür setzt Paulus alle seine ihm von Gott
geschenkte Kraft ein. Die Gläubigen in ihrem Glaubensleben
voranzubringen, kostet große Mühe (kopiO; vgl. 1Kor 15,10.58; Gal 4,11;
1Thes 1,3), ja Kampf (agOnizomenos; vgl. Kol 2,1;4,12 ) und den vollen
Einsatz, wie ihn ein Athlet in der Rennbahn aufbieten muß (vgl. 1Kor
9,25; 1Tim 6,12). Die Kraft für diesen Kampf fließt ihm von Christus zu
(vgl. Phil 4,13).
H. Erkenntnis in Christus
(2,1-5)
Kol 2,1
Der
selbstlose Kampf (agOna; vgl. Kol 1,29; 4,12 ) des Apostels dient nicht
nur denen, die er persönlich kannte; er kämpft auch um alle, die ihn
nicht von Angesicht gesehen haben . Diese Äußerung ist ein klares Indiz
dafür, daß Paulus die Gemeinden im Lykustal nicht selbst gegründet
hatte. Die Erwähnung von Laodizea (Kol 4,16) zeigt, daß die Irrlehre
sich offenbar bis dorthin ausgebreitet hatte, wenn auch ihr Zentrum
wahrscheinlich in Kolossä lag.
Kol 2,2-3
Paulus' erklärtes Ziel
war es, daß die Herzen der Gläubigen gestärkt und zusammengefügt werden
in der Liebe . Vertrauen und Überzeugungsstärke gepaart mit einer festen
Einheit führen zum vollkommenen Begreifen der Wahrheit. Es gibt keinen
Reichtum an ... Verständnis (syneseOs , "Einsicht") ohne rückhaltlose
Hingabe an Gott. Dieses Verständnis ist seinem Wesen nach
christozentrisch. Die Einsicht in die Wege Gottes befähigt die Christen
dazu, Christus ganz zu erkennen (epignOsin). Christus, das wahre
Geheimnis Gottes, offenbart Gott den Menschen (vgl. Joh 1,18; Hebr
1,2-3), denn in ihm sind verborgen (vgl. Kol 1,26) alle Schätze der
Weisheit (sophia; vgl. Kol 1,9) und der Erkenntnis . Erkenntnis ist das
Erfassen der Wahrheit; Weisheit ist die Anwendung dieser Erkenntnis auf
das praktische Leben. Erkenntnis ist kluges Urteil, Weisheit ist kluges
Handeln. Beide sind in Christus (vgl. Röm 11,33; 1Kor 12,8), dessen
Weisheit für die Welt Torheit ist (1Kor 1,21-25), der jedoch die Macht
Gottes verkörpert, durch die der Gläubige "Gerechtigkeit ... Heiligung
und ... Erlösung" empfängt (1Kor 1,30).
Kol 2,4-5
Nur diese
vollkommene Erkenntnis und Weisheit Christi kann den Gläubigen davor
bewahren, von verführerischen Reden (pithanologia , wörtlich
"überzeugende Rede", die plausible, aber falsche Argumente verwendet;
das Wort taucht nur an dieser einen Stelle im Neuen Testament auf)
getäuscht zu werden. Wahrheit und Überzeugungskraft gehen nicht immer
Hand in Hand; Irrtümer können manchmal genauso zwingend sein wie die
Wahrheit. Alles hängt davon ab, ob man die volle Wahrheit besitzt und
ganz auf sie verpflichtet ist. Deshalb freut sich Paulus, obwohl er
leiblich abwesend ist, an der Ordnung (vgl. 1Kor 14,40) und dem festen
Glauben an Christus, den die Gemeinde in Kolossä besitzt.
I.
Mahnung zu einem Leben in Christus
(2,6-7)
Kol 2,6-7
Diese beiden Verse
bilden den Abschluß des Gedankenganges,der in Kol 1,15 aufgenommen
wurde. Paulus' Ausführungen lassen sich ungefähr wie folgt
zusammenfassen: Die göttliche Erhöhung gebührt Christus (1,15-20), in
ihm sind (a) die Versöhnung mit Gott (Kol 1,21-23), (b) die Offenbarung
des Geheimnisses Christi ( Kol 1,24-27 ), (c) die Vollendung der
Gläubigen ( Kol 1,28-29 ) und (d) die Erkenntnis und ihre Anwendung (Kol
2,1-5). Deshalb sollen die Gläubigen sich bemühen, weiter in ihm zu
bleiben (V. 6-7).
Das Leben des Christen soll so weiterverlaufen, wie es
begonnen hat: Wie ihr nun den Herrn Christus Jesus angenommen habt, so
lebt auch in ihm. Die gleiche Mahnung richtete Paulus auch an andere
Gemeinden ( 2Kor 11,4; Gal 1,6 ). Da der Glaube, der ursprünglich in sie
gelegt war, sich auf das Evangelium des Apostels gründete, fordert
Paulus sie auf, die göttliche Autorität dieser Botschaft nicht für
irgendwelche menschlichen Sophistereien aufs Spiel zu setzen. Sie sind
von ihrer Vergangenheit her so in ihm verwurzelt, daß sie immer mehr im
Glauben gegründet (aufgebaut) und fest werden können. Wenn sie dabei
bleiben, werden sie nicht von jeder x-beliebigen Lehre in ihren
Überzeugungen wankend gemacht werden (Eph 4,14). Die Gläubigen, die fest
in Christus gegründet sind, werden reichlich dankbar (vgl. Kol 1,12).
II. Die Polemik: Das höhere Leben in Christus
(2,8-23)
Nach der
Ermahnung an die Gläubigen, in Christus zu bleiben (Kol 2,6-7 ) - in dem
die Fülle Gottes ist und der die Erlösung gebracht hat -, verurteilt
Paulus die Häresie, die für den Abfall der Kolosser von Christus
verantwortlich ist.
A. Der Irrtum des Gnostizismus: Die Gottheit Christi
(2,8-10)
Kol 2,8 Paulus liegt daran, daß niemand die Gläubigen in
Kolossä einfange durch Philosophie und leeren Trug (vgl. V. 4 ). Das
richtet sich nicht gegen die Philosophie an sich, sondern gegen irrige
philosophische Vorstellungen, so wie sich die Bibel auch gegen falsche
Religionen wendet (Jak 1,26). Die Philosophie in Kolossä, von der der
Apostel hier spricht, war "leer" (kenEs) und trügerisch, gegründet auf
die Lehre von Menschen ... und nicht auf Christus. Wirkliche christliche
Philosophie dagegen nimmt "gefangen alles Denken in den Gehorsam gegen
Christus" (2Kor 10,5). Philosophie ist die Liebe zur Weisheit, doch wer
eine Weisheit liebt, die Christus (die Summe aller Weisheit; Kol 2,3 )
nicht entspricht, liebt ein hohles Götzenbild. Ein solcher Mensch ist
"immer auf neue Lehren aus" und wird doch "nie zur Erkenntnis der
Wahrheit kommen können" (2Tim 3,7). Die falsche Philosophie stützt sich
auf die Mächte (stoicheia; vgl. Kol 2,20; Gal 4,3.9) der Welt. Das
bezieht sich möglicherweise auf böse Geister, von denen sie inspiriert
ist, die Christus jedoch besiegt hat (vgl. 2Kor 4,3-4; Eph 6,11-12 ).
Diese Philosophie ist dämonisch und weltlich, nicht gottgefällig oder
christlich. Wenn die Gläubigen sich nicht vorsehen, geraten sie
womöglich in ihr Netz.
Kol 2,9
In einer Philosophie, die auf
leerer menschlicher Logik basiert, gibt es keine "Fülle" (plErOma).
Die
ganze Fülle der Gottheit (wohnt) nur in Christus. Nur in ihm ist die
Fülle erfahrbar, ohne ihn gibt es nur die Leere. Wie der Philosoph Jean
Paul Sartre notierte: "Das Leben ist eine leere Seifenblase auf dem Meer
des Nichts" (vgl. Pred 1,14-18 ). Das Wort für "Gottheit", das Paulus
hier verwendet, ist theotEtos . Es kommt nur an dieser einen Stelle im
Neuen Testament vor und unterstreicht das göttliche Wesen Christi. Und
doch ist die "Fülle der Gottheit" Christi leibhaftig - in vollkommener
Menschlichkeit - da (vgl. Kol 1,22 ). Die frühgnostische Häresie stellte
sowohl die Gottheit als auch die Menschheit Christi in Frage. Sie machte
aus Christus einen Engel, dessen "Leib" nur ein "Scheinleib" war. Dieser
Verfälschung hält Paulus entgegen, daß Christus beides ist, wahrer Gott
und wahrer Mensch (vgl. 1Joh 4,1-6).
Kol 2,10
Die ganze "Fülle"
(plErOma) ist nicht nur in Christus, sondern die Gläubigen haben an
dieser Fülle ... teil in ihm. Der Reichtum des Lebens, das sie besitzen,
strömt aus der Fülle Christi. Durch ihn haben sie Anteil am göttlichen
Wesen (2Pet 1,4), denn "von seiner Fülle haben wir alle genommen Gnade
um Gnade" (Joh 1,16 ). Das bedeutet natürlich nicht, daß die Gläubigen
selbst göttlich werden. Sie haben lediglich am Wesen Gottes teil, d. h.,
sie besitzen oder teilen die Güte dessen, was er in ganzer Fülle ist.
Sie haben am Leib dessen teil, der das Haupt (vgl. Kol 1,18) aller
Mächte (archEs, "Herrscher") und Gewalten (exousias, "herrschende
Macht") ist (vgl. Kol 1,16;2,15 ). Zu diesen Gewalten sind auch die zu
zählen, die die Kolosser zu einem Leben nach den Maßstäben der Welt und
nicht nach Christus überreden wollen.
B. Der Irrtum der
Gesetzlichkeit: Die Wahrheit in Christus
(2,11-17)
Kol 2,11-12 Von den
theologischen Irrtümern der falschen Lehrer und deren Gnostizismus geht
Paulus zu ihren praktischen Fehlern, ihrem Legalismus, über. Die
Heidenchristen in Kolossä haben es nicht nötig, sich an die jüdischen
Gesetze und Vorschriften wie etwa die Beschneidung anzupassen. Sie sind
schon in Christus beschnitten. Diese geistliche "Beschneidung" wurde
durch Christus und nicht durch Menschenhand vollzogen. Sie war eine
Kreuzigung oder ein Ablegen des Leibes, eine Beschneidung des Herzens
(vgl. Röm 2,29; Eph 2,11). Ihr fleischliches Wesen (wörtlich "der
Fleischesleib"; vgl. "fleischlicher Sinn" in Kol 2,18 ) ist ihnen durch
Christi Tod und Auferstehung endgültig abgenommen worden. Was sie in
Adam gewesen waren - sündig, gefallen und verderbt -, wurde durch
Christus ausgelöscht. Nun, "in Christus", ist der Gläubige eine "neue
Kreatur" (2Kor 5,17). In seinem neuen Haupt hat er einen neuen Maßstab
für sein Leben: nicht mehr das mosaische Gesetz, sondern die Nachfolge
Christi. Die Verbform "ablegtet" kommt von dem Substantiv apekdysei (ein
totaler Abbruch), das nur an dieser einen Stelle im Neuen Testament
vorkommt. Das Ablegen der alten Existenz vollzieht sich bei der
Erlösung, wenn der Gläubige mit Christus begraben wird durch die Taufe
des Geistes (vgl. 1Kor 12,13) und mit ihm aufersteht zu einem neuen
Leben. Dieses Begrabenwerden und Auferstehen des Christen mit seinem
Herrn wird in der Taufe versinnbildlicht. Bei der Wassertaufe
symbolisiert das Eintauchen das Begrabenwerden und das Emporkommen aus
dem Wasser die Auferstehung durch die Kraft Gottes, "um in einem neuen
Leben (zu) wandeln" ( Röm 6,4 ).
Kol 2,13-14
Bevor ein Mensch
zu diesem neuen Leben in Christus befreit wird, ist er tot ... in seinen
Sünden und in der Unbeschnittenheit seines Fleisches (vgl. den Kommentar
zu "Gliedern ... auf Erden" in Kol 3,5 und zum "alten Menschen" in Kol
3,9 ). Der Tod bedeutet eine Trennung, nicht die Auslöschung. Selbst die
Unerlösten tragen noch immer die Ebenbildlichkeit Gottes in sich ( 1Mo
9,6; Jak 3,9 ), doch sie sind von Gott geschieden. Sie sind zwar vom
geistlichen Leben abgeschnitten, aber sie haben noch ihr menschliches
Leben. Nun aber hat Gott euch mit ihm (Christus) lebendig gemacht (vgl.
Eph 2,1-6). Dieselbe "Kraft" (energeias; vgl. Kol 1,29), die Christus
von den Toten auferweckt hat (Kol 2,12), erweckt gläubige Sünder zu
geistlichem Leben (V. 13).
Dieses neue Leben wurde den Menschen zuteil,
als Gott ihnen alle Sünden (vergeben) hat, denn er hat den Schuldbrief
getilgt. Vor Gottes Gesetz, seinem "Schuldbrief", standen die Menschen
verurteilt da (vgl. Röm 3,19 ), denn er war mit seinen Forderungen gegen
sie. Doch in Christus ist dasGesetz erfüllt (Röm 8,2) und abgetan ( Gal
3,25; Hebr 7,12 ). Es ist deshalb falsch, sich nach wie vor ans Gesetz
zu klammern, denn die Gläubigen sind in Christus tot für das Gesetz.
Christus hat die Forderungen des Gesetzes in seinem Leben und durch
seinen Tod erfüllt, und die Christen sind in ihm.
Weil die Menschen das
Gesetz nicht halten können, sind sie seine Schuldner. Weil sie ihre
Schuld nicht bezahlen können, sind sie Verbrecher. Doch Jesus hat diese
Anschuldigung durch seinen Tod weggetan. Es ist, als habe er sie an das
Kreuz geheftet , an dem er selbst hing und mit dem er deutlich machte,
daß er die Schuld bezahlt hat. Das Schuldkonto der Menschen ist
gelöscht.
Kol 2,15-17
Indem er die Forderungen des Gesetzes
erfüllte, hat Christus die dämonischen Mächte und Gewalten ihrer Macht
entkleidet (vgl. Kol 1,16;2,10 ) und sie öffentlich zur Schau gestellt
und hat einen Triumph aus ihnen gemacht (vgl. 2Kor 2,14 ). Dadurch sind
die Gläubigen von diesen schlimmen Mächten befreit, die ihnen Speise-
und Festtagsvorschriften auferlegen wollen. So laßt euch nun von
niemandem ein schlechtes Gewissen machen wegen Speise und Trank - die
Christen sind frei von den Forderungen des Gesetzes (wie sie z. B. in
3Mo 11;17 und 5Mo 14 aufgeführt sind). Gott verurteilt diejenigen nicht,
die alles essen (Röm 14,1- 4 ). Im Gegenteil, er sagt sogar
ausdrücklich, daß alle Speisen gegessen werden können, weil er sie
"geschaffen hat, daß sie mit Danksagung empfangen werden von den
Gläubigen und denen, die die Wahrheit erkennen" (1Tim 4,3). Eine Lehre,
die dies verbietet, ist nach den Worten des Paulus "teuflisch" (1Tim
4,1) und stammt von jenen Mächten, die Christus überwunden hat (Kol
2,15).
Diese Befreiung der Gläubigen erstreckt sich auch auf Festtage
wie die Feier des Neumondes oder Sabbats (vgl. Gal 4,10 ). Diejenigen,
die die Christen unter die Knechtschaft des Gesetzes bringen wollen,
machen künstliche Unterscheidungen zwischen dem "zeremoniellen" und dem
"moralischen" Gesetz und sagen deshalb, daß der Sabbat nicht aufgehoben
sei. Daß diese Auffassung falsch ist, zeigt sich an verschiedenen
Dingen: (1) Das Sabbatgebot wird als einziges der Zehn Gebote im Neuen
Testament nicht wiederholt. (2) Die Urchristen versammelten sich
sonntags ( Apg 20,7; 1Kor 16,2), weil Christus an diesem Tag
auferstanden und erschienen war ( Mk 16,1; Joh 20,1 ). (3) Die Bibel
unterscheidet nirgends zwischen den sogenannten "moralischen" und den
"zeremoniellen" Geboten (eine derartige Trennung wurde erst seit dem 13.
Jahrhundert n. Chr. eingeführt). (4) Die vorliegende Passage des
Kolosserbriefes verurteilt ausdrücklich all diejenigen, die die
Observanz des Sabbatgebotes fordern. (5) Nach den Worten des Paulus war
das alttestamentliche Gesetz (einschließlich des Sabbatgebotes) nur ein
Schatten des Zukünftigen. Leibhaftig oder "substantiell" (sOma, wörtlich
"Leib") aber ist es in Christus (vgl. Hebr 8,5;10,1 ). Was im Alten
Testament nur schattenhaft zu erahnen war, wurde in Christus Realität
(vgl. Mt 5,17; Röm 8,3-4). Ein "Schatten" (skia ) ist nur der Umriß
eines Gegenstandes. Wer aber Christus gefunden hat, der braucht nicht
länger hinter dem alten Schatten herzulaufen.
C. Der Irrtum des
Mystizismus: Christus als das Haupt
(2,18-19)
Kol 2,18
Diejenigen, die
die Gläubigen von der Wahrheit in Christus abbringen und zum Schatten
des Gesetzes zurückführen wollen, nehmen ihnen den Siegespreis. D. h.,
sie rauben (katabrabeuetO, "sich dagegen entscheiden"; vgl. brabeuetO in
Kol 3,15 ) den Gläubigen ihre geistliche Belohnung. Wie Läufer, die im
Rennen in die falsche Richtung laufen, vom Schiedsrichter
disqualifiziert werden, so gehen die Christen, die sich von der treuen
Nachfolge Christi abwenden, ihrer Belohnung verlustig (1Kor 3,10-15).
Manche der Häretiker, die die Gläubigen von ihrem treuen Dienst
abbringen, treten mit falscher Demut auf, die "den Schein der
Frömmigkeit hat, aber deren Kraft (in Christus; Röm 8,3-4) verleugnet"
(2Tim 3,5). Diese
künstliche Frömmigkeit der Legalisten war
mit der Verehrung der Engel verbunden, die die Schrift ausdrücklich
untersagt ( 2Mo 20,3-4; vgl. Offb 22,8-9 ). Die legalistische Richtung
ist eine Lehre, die von den gefallenen Engeln herkommt (1Tim 4,1), die
die Menschen als "Mächte der Welt" (Gal 4,3 ) durch mystische Meditation
unter ihre Herrschaft bringen wollen. Die legalistischen Mystiker
betonen gewichtig, was sie alles (in Visionen) geschaut haben, und sind
in den Augen des Paulus doch nur ohne Grund aufgeblasen (eikE, "hohl";
vgl. Gal 3,4). Statt demütig zu sein, wie es sich für wirkliche Diener
Gottes geziemt, ist der fleischliche Sinn dieser Leute aufgebläht vor
Stolz auf ihre visionären Erfahrungen.
Kol 2,19
Während er
davon überzeugt ist, daß sein Mystizismus ihn mit einer "höheren"
Realität in Berührung bringt, hält sich der gesetzestreue Mystiker in
Wirklichkeit nicht an das Haupt (Christus), das allein dem Leib Leben
gibt und ihn durch Gottes Wirken wachsen läßt (vgl. Joh 15,1-5 ). Wahre
Spiritualität erwächst nicht aus der Befolgung von Gesetzen (die ja nur
ein Schatten sind), sondern aus der Verbindung zum Leben (das die
Wirklichkeit ausmacht). Ohne eine lebendige Verbindung zu seinem Haupt
kann der Leib Christi nicht leben. In einem ganz ähnlichen Bild sagte
Jesus: "Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und
ich in ihm, der bringt viel Frucht; denn ohne mich könnt ihr nichts tun"
(Joh 15,5).
D. Der Irrtum des Asketismus: Die Unbefleckbarkeit
in Christus
(2,20-23)
Kol 2,20-21
Eine weitere Begleiterscheinung von
Legalismus und Mystizismus ist der Hang zur Askese. In ihr offenbart
sich eine pseudo-spirituelle Haltung, die in den verschiedensten Regeln
und Formen der physischen Selbstverleugnung schwelgt: Du sollst das
nicht anfassen, du sollst das nicht kosten, du sollst das nicht anrühren
. Die Verbote reichen vom Vermeiden des Umgangs mit bestimmten Dingen
bis hin zum Untersagen auch nur der Berührung bestimmter Gegenstände.
Derselbe Legalismus spricht aus der Übertreibung, mit der Eva das
göttliche Gebot auslegt: "Rühret sie auch nicht an, daß ihr nicht
sterbet" ( 1Mo 3,3; vgl. 1Mo 2,16-17 ). Asketizismus erwächst aus einem
Gefühl der Schuld. Doch Christus hat durch seinen Tod alle menschliche
Schuld getilgt ( Kol 2,13-14 ). Weil aber die Christen mit Christus den
Mächten (stoicheia; vgl. den Kommentar zu V. 8) der Welt gestorben sind,
sind sie ihnen nicht länger Gehorsam schuldig (zu dem ihre fleischlichen
Neigungen sie drängen). Nur diejenigen, die für die Sünde leben (vgl.
Röm 6,1-7 ), müssen sich ihrer Herrschaft unterwerfen. "Weltlichkeit"
bedeutet ein Leben nach den Gesetzen der Welt, auch nach jenen, die
einen Schein von Demut vortäuschen und angeblich auf irgendwelche
"Engelwesen" zurückgehen sollen. "Geistlichkeit" ist dagegen ein Leben
in der Macht des Geistes in Einheit mit Christus, durch den der Gläubige
der Sünde gestorben ist. "Wir wissen ja, daß unser alter Mensch mit ihm
gekreuzigt ist, damit der Leib der Sünde vernichtet werde" (Röm 6,6).
Kol 2,22-23
Der Asketizismus ist ein von Menschen erdachtes
System von Vorschriften (die häufig aus dem Kontext des göttlichen
Gesetzes herausgerissen sind), das sich auf Gebote und Lehren von
Menschen stützt. Das beste, im Neuen Testament immer wieder angeführte
Beispiel für Gesetzlichkeit ist das alttestamentliche Gebot der
Beschneidung, die Gott den Juden als ein Zeichen des Glaubens (Röm 4,11)
gegeben hatte und aus der die Legalisten eine Vorbedingung für die
Gnademachen wollten (Gal 2,21). Ein Leben nach derartigen Vorschriften
und einer solchen selbstgemachten Religion hat zwar einen gewissen
Schein von Weisheit (sophias; vgl. Kol 1,9;2,3;4,5 ), doch letztlich
sind alle diese Regeln nichts wert und befriedigen nur das Fleisch
(sarkos; vgl. Kol 2,11.18 ). Denn wer dem Körper die Befriedigung seiner
Bedürfnisse verweigert, steigert sie nur, wie jeder weiß, der einmal
versucht hat abzunehmen, indem er sich an eine strenge Diät hielt.
Körperfeindlichkeit tut nach Ansicht des Apostels nichts für die
Weiterentwicklung des Geistes.
III. Der Geist: Das innere Leben
in Christus
(3,1-17)
Paulus weiß, daß alle Weisheit in Christus ist (Kol
2,1-5) und bittet die Kolosser deshalb, in ihrem Herrn zu bleiben (Kol
2,6-7) und sich nicht von leeren philosophischen Spekulationen
irreführen zu lassen ( Kol 2,8-10 ). Da die Gläubigen Christus
gleichgeworden sind, sollen sie nicht unter dem jüdischen Gesetz leben,
denn das würde ihnen nur ihren Lohn rauben ( Kol 2,18- 19 ). Sie sind
mit Christus gestorben und haben es daher nicht nötig, sich
irgendwelchen Gesetzesvorschriften zu unterwerfen ( Kol 2,20-23 ).
Außerdem sind sie auch mit Christus auferweckt worden und sollen ihr
Sinnen und Trachten deshalb auf himmlische Dinge richten (Kol 3,1-4),
ihre sündigen, weltlichen Verhaltensweisen aufgeben ( Kol 3,5-11 ) und
sich in Christi Tugenden kleiden ( Kol 3,12-17 ). Mit anderen Worten
wird von den Gläubigen erwartet, daß sie nach geistlichen Werten streben
(Kol 3,1-4), die Sünden ihres alten Lebens ab- ( Kol 3,5-11 ) und die
Tugenden des neuen Lebens anlegen ( Kol 3,12-17 ). Dieser tiefgreifende
Wandel sollte wiederum Auswirkungen auf ihr Verhältnis zu anderen haben,
sowohl innerhalb der Familien als auch in der Gesellschaft ( Kol
3,18-4,1 ).
A. Die Suche nach geistlichen Werten
(3,1-4)
Kol 3,1
Da die
Gläubigen nicht nur mit Christus gestorben, sondern auch mit Christus
auferstanden sind (vgl. Röm 6,8-10; Kol 2,12-13 ), sollen sie nach dem
streben, was droben ist . Das Leben der Gläubigen soll also vom Gedanken
an den Himmel beherrscht werden, und sie sollen ihre irdischen Pflichten
an diesem Gedanken ausrichten. "Sucht" (zEteite) bedeutet "ernsthaft
suchen oder streben" (vgl. Offb 9,6; 1Kor 7,27 ). Daß sie ihren Blick
ganz auf das, "was droben ist", richten sollen, bedeutet eine
Zentrierung des christlichen Lebens auf den erhöhten (Eph 4,10),
verherrlichten ( Joh 17,5; Phil 2,9) Christus, der zur Rechten Gottes
sitzt ( Ps 110,1; Lk 22,69; Apg 2,33; 5,31; Röm 8,34; Eph 1,20; 1Pet
3,22; Hebr 1,3.13;8,1;10,12;12,2 ). Dieser Ehrenplatz wurde ihm zuteil,
weil er die Mächte des Bösen und des Todes besiegt hat ( Hebr 2,14-15 ).
Kol 3,2
Trachtet nach dem, was droben ist, nicht nach dem, was
auf Erden ist . Paulus will damit sagen: "Kümmert euch um das Ewige,
nicht um das Zeitliche." Die Christen sollen "nicht ... auf das
Sichtbare, sondern auf das Unsichtbare" sehen, "denn was sichtbar ist,
das ist zeitlich; was aber unsichtbar ist, das ist ewig" (2Kor 4,18).
Die beiden fast gleich lautenden Gebote in Kol 3,1-2 unterstreichen die
Dringlichkeit der Aufforderung des Apostels. "Sucht, was droben ist"
heißt im Griechischen ta anO zEteite, und "trachtet nach dem, was droben
ist" heißt ta anO phroneite. Die erstere Wendung drückt ein starkes
Streben aus, die zweite eine starke Konzentration der Bemühungen.
Paulus
war kein Verfechter eines jenseitigen Asketismus; im Gegenteil, er hatte
derartige Bestrebungen kurz zuvor verdammt ( Kol 2,20-23 ). Er versucht
nur, seinen Lesern klarzumachen, daß das Leben in dieser Welt besser
sein kann, wenn es von einer Macht, die über diese Welt hinausgeht,der
Macht des auferweckten, erhöhten, verherrlichten Christus, durchdrungen
wird. "Das, was auf Erden ist" (ta epi tEs gEs, Kol 3,2; dieselbe
Wendung taucht nochmals in V. 5 auf) und gemieden werden soll, ist
moralischer, nicht physischer Natur (vgl. Unmoral, Unreinheit, Begierden
usw. in V. 5 ). Paulus redet damit nicht der gnostischen Verachtung
alles Materiellen das Wort. Alles, was Gott geschaffen hat, auch der
Leib und die Sexualität, ist gut (vgl. 1Mo 1,27-28.31; 1Tim 4,1-4). Doch
die Tatsache, daß die Menschen einen Körper haben, schafft auch
Gelegenheiten für die Werke des Fleisches (vgl. Röm 7,4-6 ). Deshalb
warnt Paulus davor, die eigenen Neigungen zu ausschließlich auf
derartige Dinge zu richten und dadurch die Bestimmung, die Gott ihnen
zugedacht hat, zu verfälschen.
Kol 3,3-4
Im Augenblick seiner
Erlösung ist ein Christ den Begierden des Fleisches, der sündigen Natur
gestorben ( Röm 6,3-8; Kol 2,11), und sein Leben ist verborgen mit
Christus in Gott . "Verborgen" heißt sowohl "verhüllt" als auch "in
Sicherheit sein", es versinnbildlicht Unsichtbarkeit und Geborgenheit.
Der Christ ist noch nicht verherrlicht, aber er ist fest und sicher in
Christus, ja Christus ist sein Leben. Jesus hat gesagt, er werde dort
hingehen, wo "die Welt (mich) nicht mehr sehen" wird ( Joh 14,19 ).
Doch
wenn er bei der Entrückung erscheinen wird ( 1Thes 4,16-18 ), dann
werden auch die Gläubigen offenbar werden mit ihm in Herrlichkeit
.
Johannes drückt es so aus: "Wir wissen aber: wenn es offenbar wird,
werden wir ihm gleich sein; denn wir werden ihn sehen, wie er ist" (d.
h. die Gläubigen werden verherrlicht werden, wie er verherrlicht ist;
1Joh 3,2; vgl. 1Kor 13,12; Kol 1,27). Paulus rückt also etwas Neues ins
Zentrum der Aufmerksamkeit der Gläubigen: sie sollen nach oben, auf
Christi himmlische Herrschaft sehen, und sie sollen den Blick nach vorn,
auf seine Wiederkunft in den Wolken richten.
B. Das Ablegen der
Sünden des alten Lebens
(3,5-11)
Kol 3,5-6
Die Bilderwelt, die Paulus
zur Veranschaulichung seiner theologischen Ausführungen heranzieht,
wechselt von dem Gegensatzpaar "Tod" und "Leben" zum An- und Ablegen der
Kleider. "So tötet nun die Glieder, die auf Erden sind." Im Griechischen
drückt diese
Aufforderung durch das Tempus einen Aufruf zu
entschlossenem Handeln aus, so als habe Paulus gesagt: "Bringt sie um!
Jetzt gleich! Greift hart durch!" Gott hat zwar das alles bereits
bewirkt, aber die Christen müssen es wissen, sich darauf verlassen und
danach handeln ( Röm 6,5-14 ). Mit anderen Worten, sie dürfen nicht so
weiterleben, als ob sie noch für die Sünde lebendig wären, wenn sie es
eigentlich nicht mehr sind. Sie müssen ihr altes Leben, das aus ihrer
irdischen Natur erwuchs, wegwerfen. "Die Glieder, die auf Erden sind"
(ta melE ta epi tEs gEs) bilden einen Kontrast zu dem, "was droben ist"
( Kol 3,1; ta epi tEs gEs kommt auch in V. 2 vor). Dieses irdische Wesen
ist das "alte Ich" (oder die sündige Natur [Kol 2,13], "der alte
Mensch"; Eph 4,22; Kol 3,9 ). Manche Exegeten sehen darin einen Hinweis
auf den Zustand der Christen vor der Bekehrung, andere hängen der
(plausibler klingenden) These an, damit seien die schlimmen Neigungen
(d. h. die "alte Natur") in den Gläubigen gemeint. Doch selbst wenn die
zuerst angeführte Auslegung recht hätte, bleibt die Aussage im Grunde
genommen die gleiche: die Gläubigen sollen nicht so weiterleben wie
zuvor, denn sie sind nun "neue Kreatur(en)" in Christus (2Kor 5,17).
Der
Lasterkatalog im Zusammenhang mit der "irdischen Natur" ist lang und
umfaßt Unzucht (porneia), Unreinheit (verschiedene Formen der
Verderbtheit), schändliche Leidenschaft (pathos; "unbezähmbare
Leidenschaft"), böse Begierde ("unerlaubtes Begehren") und Habsucht
(oder Begehrlichkeit), die Götzendienst ist (weil sie Befriedigung in
den Dingen auf der Erde und nicht in dem, "was droben ist", sucht).
Solche Lasterkataloge finden sich häufiger in den Paulusbriefen ( Röm
1,29-31; 1Kor 5,11; 6,9-10; Gal 5,19-21; Eph 5,3-5 ). Der Apostel setzt
hinzu, daß um solcher Dinge willen ... der Zorn Gottes über die Menschen
kommt (erchetai; Präsens). Das Tempus des Verbs deutet an, daß dieser
Zorn Gottes schon begonnen hat (vgl. Joh 3,36). Seinen Höhepunkt wird er
freilich in der künftigen Bestrafung des Bösen erreichen ( Röm 2,5;
2Thes 1,7-9 ).
Kol 3,7-9
Auch die Kolosser lebten einst in dem
allen , bevor sie das Evangelium von Christus kennenlernten, doch Paulus
fordert sie auf, nun niemals mehr in die alten sündigen Gewohnheiten
zurückzufallen: "Nun aber legt alles ab von euch." Der Imperativ "legt
ab" (apothesthe ) beschwört das Bild vom Ablegen der Kleidung herauf. Er
hat hier die ethische Bedeutung "zieht eure Sünden aus wie ein
schmutziges Hemd" (vgl. Röm 13,12; Eph 4,22.25; Jak 1,21; 1Pet 2,1; Hebr
12,1). Das Verhalten der Menschen wird in der Bibel auch an anderen
Stellen oft mit einem Gewand verglichen (z. B. Hi 29,14; Ps 35,26; Jes
11,5; Röm 13,12; 1Thes 5,8).
Solche üblen Verhaltensweisen wie Zorn,
Grimm, Bosheit, Lästerung, schandbare Worte stehen einem Christen nicht
an, sie passen nicht zu ihm (vgl. Eph 4,17.31). OrgEn ("Zorn") ist ein
Ausdruck für eine dauernde Empfindung, für schwelenden Haß; thymon
("Grimm") dagegen ist der akute Ausbruch des Zorns. An anderen Stellen
wird das Substantiv thymos mit "Zorn" ( 2Kor 12,20; Gal 5,20) und in Eph
4,31 ebenfalls mit "Grimm" wiedergegeben. "Bosheit" (kakian, die
Bösartigkeit, die Zorn und Grimm zugrundeliegt) ist genauso verboten wie
"Lästerung" (blasphEmian, "Schmähreden" oder "üble Nachrede").
"Schandbare Worte" (aischrologian) steht für eine verdorbene oder rohe
Redeweise. Darüber hinaus dürfen Christen auf keinen Fall lügen (vgl.
Eph 4,25), denn Wahrhaftigkeit ist etwas ganz Wesentliches für Leute,
die dem nachfolgen, der selbst "die Wahrheit" ist ( Joh 14,6 ).
Lügen
und alle anderen Laster ziemen sich nicht für einen Christen, der ja bei
der Rettung den alten Menschen, d. h. seine frühere sündige Lebensweise,
die ihn als Nicht-Wiedergeborenen auswies ( Kol 2,11.13 a), mit seinen
Werken abgelegt hat (vgl. "gestorben" in Kol 2,20;3,3 ).
Kol
3,10
Statt dessen hat der Christ den neuen Menschen (ein neues Leben,
eine neue Haltung) angezogen (vgl. V. 12 ) und muß nun auch sein Leben
seiner neuen Position entsprechend gestalten. Der "neue Mensch" braucht
ständige Erneuerung und Überwachung - er (wird) erneuert (Präsens) -, um
siegreich über die Sünde bleiben zu können. Den gleichen Gedanken
fortwährender Erneuerung vertritt Paulus auch in 2Kor 4,16 ("wenn auch
unser äußerer Mensch verfällt, so wird doch der innere von Tag zu Tag
erneuert"), in Röm 12,2 ("ändert euch durch Erneuerung eures Sinnes")
sowie in Eph 4,23 ("erneuert euch aber in eurem Geist und Sinn").
Diese
Erneuerung des "neuen Menschen" geschieht zur Erkenntnis (eis epignOsin;
vgl. Kol 1,9;2,2 ), wenn der Gläubige zu einer persönlichen, tiefen
Gotteserkenntnis und zu einer echten Gemeinschaft mit Christus findet.
Sie vollzieht sich nach (kat'; "gemäß") dem Ebenbild dessen, der ihn
geschaffen hat; ihr Ziel ist es, den Gläubigen Christus gleichförmig zu
machen, denn der "neue Mensch" ist "nach Gott geschaffen" (Eph 4,24).
Adam wurde nach dem Bild Gottes geschaffen (1Mo 1,27 ), das heißt, daß
er Gott auch in seinen moralischen und geistigen Fähigkeiten glich.
Diese Ebenbildlichkeit wurde zwar durch den Sündenfall ( 1Mo 9,6; Jak
3,9 ) nicht völlig ausgelöscht (sondern nur überschattet), aber sie
wurde verdorben und bedarf deshalb der Wiederherstellung und Erneuerung.
Die Christen werden im Prozeß der Erneuerung ihrer neuenNatur dem Herrn
immer ähnlicher, indem sie sich dem heiligenden Wirken des Geistes
öffnen. In der Auferstehung schließlich werden sie "das Bild des
himmlischen [Christus] tragen" (1Kor 15,49). Dann wird die
Wiederherstellung der Gottebenbildlichkeit vollendet sein, denn dann
"werden wir ihm gleich sein" (1Joh 3,2).
Kol 3,11
In Christus
sind alle Unterscheidungen aufgehoben, seien sie nun nationaler (Grieche
oder Jude; die Juden bezeichneten alle, die nicht ihrem Volk angehörten,
als Griechen; vgl. Gal 3,28), religiöser (Beschnittener oder
Unbeschnittener), kultureller (jeder, der nicht der griechischen Kultur
angehörte, war ein Nichtgrieche, ein Skythe dagegen war ein wilder
Nomade) oder ökonomischer bzw. sozialer Art (Sklave, Freier) . Wenn ein
Grieche, ein Unbeschnittener, ein Nichtgrieche, ein Skythe oder ein
Sklave zum Glauben kam, so war er eine "neue Kreatur" (2Kor 5,17), ein
"neuer Mensch" (Kol 3,10), genauso wie ein Jude oder ein Freier, der
Christ wurde. Denn Christus ist alles und in allem. Die normalen
menschlichen Unterscheidungen haben also ausgedient und sind durch die
Einheit in Christus verwandelt worden.
In Christus fallen alle Barrieren
fort, und alle Gläubigen sind wirklich "gleich geschaffen". Daher wird
von den Christen erwartet, daß sie - ungeachtet ihrer Nationalität,
ehemaligen Religion, ihrer Kultur oder ökonomischen Lage - mit ihren
früheren sündigen Verhaltensweisen brechen und ganz in Einklang mit dem
"neuen Menschen" leben.
C. Das Anlegen der Tugenden des neuen
Lebens
(3,12-17)
Weil sie in Christus ein neues Leben haben, sind die
Gläubigen dazu aufgerufen, tugendhaft zu leben und ihre Herzen vom
Frieden Christi berühren zu lassen. Sein Wort soll "reichlich unter
ihnen wohnen", und sie sollen alles im Namen des Herrn Jesus tun.
Kol
3,12
Noch einmal fordert Paulus die Gläubigen zu energischem Handeln
auf: So zieht nun an (endysasthe). Weil sie "den neuen (Menschen)
angezogen haben" (endysamenoi; V. 10 ), sollen sie nun auch ihrem neuen
Stand gemäß leben und wirklich christliche Eigenschaften und
Einstellungen an den Tag legen. In den Versen 8-9 hatte Paulus sechs
Laster aufgezählt (Zorn, Grimm, Bosheit, Lästerung, schandbare Worte und
Lüge). Im Gegensatz dazu sollen die Christen als die Auserwählten Gottes
(vgl. Röm 8,33; Tit 1,1), als die Heiligen ("die für Gott
Ausgesonderten"; vgl. Kol 1,2) und Geliebten (vgl. Röm 5,8; 1Joh
4,9-11.19 ) verschiedene Tugenden besitzen. Darunter sind herzliches
Erbarmen (splanchna oiktirmou; ein besonders anrührender Ausdruck; in
Phil 2,1 verbindet Paulus die beiden Substantive mit einem "und"),
Freundlichkeit (tätiges Wohlwollen; vgl. 2Kor 6,6), Demut (eine demütige
Haltung gegenüber Gott; vgl. Phil 2,3; 1Pet 5,5), Sanftmut (prautEta;
Milde, eine duldsame Haltung gegenüber anderen) und Geduld
(makrothymian, "Selbstbeherrschung", Ruhe und Festigkeit angesichts von
Provokationen von außen; vgl. Kol 1,11). Die drei letzten dieser
Tugenden werden in Eph 4,2 im Griechischen in genau derselben Anordnung
genannt, und auch Gal 5,22 - 23 greift drei von ihnen heraus: Geduld,
Sanftmut und Freundlichkeit.
Kol 3,13
Die in Vers 12 genannten
Grundhaltungen sollen sich auch auf den Umgang der Gläubigen miteinander
auswirken: "Ertrage einer den andern und vergebt euch untereinander,
wenn jemand Klage hat gegen den andern." Wie soll diese Vergebung
aussehen? Christen sollen einander vergeben, wie der Herr ihnen vergeben
hat, freundlich und großzügig (Eph 4,32). Streit und Hader haben keinen
Platz im Leben der Christen, denn sie können zu jenen Sünden führen, die
in Kol 3,8-9 aufgeführt sind.
Kol 3,14
Doch über alles andere
sollen die Gläubigen die Liebe "anziehen". Wie Paulus an anderer Stelle
schreibt:"Die Liebe ist die größte unter ihnen" (1Kor 13,13). Die Liebe
soll die "Hülle" über allen anderen Tugenden sein, sie ist am
wichtigsten und ist das Band der Vollkommenheit, das alle andern
Tugenden zusammenhält.
Kol 3,15
Außerdem soll der Friede
Christi ... in den Herzen der Gläubigen regieren, denn sie sind zum
Frieden berufen als Glieder in einem Leibe . Je näher sie Christus (und
seinem Bild) sind, desto näher sind sie sich auch untereinander. Im
zwischenmenschlichen Umgang der Christen soll "Friede" (eine
übernatürliche, von Gott geschenkte Ruhe) herrschen (brabeuetO,
"Schiedsrichter sein, jeden Streit schlichten"; das Wort kommt nur an
dieser Stelle im Neuen Testament vor; vgl. katabrabeuetO, "sich dagegen
entscheiden", in Kol 2,18). Diejenigen, die Christus nachfolgen und die
von Paulus genannten Tugenden angelegt haben ( Kol 3,12-15 ), bemühen
sich darum, sich in jeder schwierigen Situation von seinem Frieden und
nicht von ihrem Gezänk bestimmen zu lassen. Aber die Christen sollen
auch dankbar sein (vgl. Phil 4,6; Kol 1,12;3,16-17;4,2; 1Thes 5,18). Die
Grundhaltung der Dankbarkeit verhilft zu geistlicher Ruhe, während
innerer Groll den Menschen nicht zur Ruhe kommen läßt.
Kol 3,16
Das neue Leben, das die Christen "anlegen" sollen, ist ein Leben, in dem
das Wort Christi reichlich wohnt. Die Worte Christi werden von den
geistgeleiteten Aposteln an die Menschen weitergegeben (vgl. Joh 14,26;
16,13; 20,31), und das Wort der Bibel, das geschriebene Wort Gottes,
soll in den Gläubigen wohnen . Durch Bibelstudium, Meditation und
praktische Anwendung des Wortes wird es zu einem festen Bestandteil des
christlichen Lebens. Wenn die Worte Christi eng mit dem Wesen des
Gläubigen verwoben sind, so bricht sich diese Verbundenheit ganz
natürlich Bahn in Psalmen (Lieder aus dem Buch der Psalmen), Lobgesängen
und geistlichen Liedern (im Gegensatz zu weltlichen Liedern) mit
Dankbarkeit (en tE chariti; wörtlich "in Gnade"). Mit en tE chariti kann
(a) Gottes Gnade, (b) der Ausdruck des Dankes im Gesang der Christen
oder (c) der Dank der Christen gemeint sein. Ein solch frohes Singen
dient nicht nur dazu, sich selbst oder andere zu erfreuen, sondern Gott
zu loben. Durch ein so geisterfülltes Leben (vgl. Eph 5,18-19 ) können
die Christen einander lehren (unterweisen) und ermahnen (raten; Kol
3,16; vgl. "ermahnen und lehren" in Kol 1,28), wenn es in aller Weisheit
(sophia; vgl. Kol 1,9;2,3;4,5 ) und nicht taktlos geschieht (vgl. Gal
6,1).
Kol 3,17
Alles, was ein Christ (vgl. V. 23) mit Worten
oder mit Werken tut - denn in Gottes Augen gibt es keine Trennung
zwischen weltlichen und heiligen Dingen, er ist der Herrscher über alles
- , soll im Namen des Herrn Jesus (d. h. zu seiner Ehre; vgl. 1Kor
10,31) und in einem Geist der Dankbarkeit (vgl. Phil 4,6; 1Thes 5,18)
getan werden. Dreimal in drei Versen spricht Paulus von der Dankbarkeit:
"seid dankbar" (Kol 3,15), "singt ... dankbar in euren Herzen" ( V. 16),
und schließlich "dankt Gott dem Vater" ( V. 17).
IV. Die Praxis: Das äußere Leben in
Christus
(3,18-4,18)
In diesem letzten Abschnitt seines Briefes
behandelt der Apostel praktische zwischenmenschliche Beziehungen, die
durch die Geborgenheit der Gläubigen in Christus ebenfalls ein neues
Gepräge bekommen. Zunächst ermahnt er alle Glieder der antiken
Hausgemeinschaft (Ehefrauen, Ehemänner, Kinder, Väter, Sklaven, Herren),
in ihrem Privatleben immer vollkommener und reifer zu werden ( Kol
3,18-4,1 ). Dann fordert er die Gläubigen dazu auf, auch ihr Gebetsleben
( Kol 4,2-4 ) und ihr öffentliches oder gesellschaftliches Leben (Kol
4,5-6 ) zu reformieren und immer stärker der Vollendung zuzuführen.
Schließlich übermittelt er seinen Lesern ausführliche Grüße und
Segenswünsche ( Kol 4,7-18 ).
A. Vervollkommnung des Privatlebens
( Kol
3,18-4,1 )
In logischer Fortführung des Grundthemas, das den ganzen
Kolosserbrief wie ein roter Faden durchzieht, des Reiferwerdens in
Christus, fordert Paulus die Gläubigen dazu auf, sich auch in ihren
privaten Beziehungen um diese Reife zu bemühen.
Kol 3,18
Die Frauen
sollen sich ihren Männern als den Oberhäuptern der Familie unterordnen.
Daß der Apostel sich dieses Gebot nicht nur auf seine Zeitgenossinnen
beschränkt dachte, wird an zwei Begründungen deutlich, die er an anderer
Stelle zum selben Thema anführt: (1) die Ordnung der Schöpfung (der Mann
wurde zuerst geschaffen und erst danach die Frau; 1Tim 2,13); (2) die
Ordnung innerhalb der Gottheit (Christus unterwirft sich dem Vater; 1Kor
11,3 ). Unterwerfung oder Unterordnung ist in diesem Zusammenhang
keinesfalls gleichbedeutend mit Unterlegenheit oder niedrigerer
Stellung, es bedeutet einfach, daß der Mann und nicht die Frau das
Familienoberhaupt ist.
Er ist quasi der "Präsident" der Familie und sie
die "Vizepräsidentin".
Natürlich gibt es moralische Grenzen für diese
Unterordnung. Sie muß nur so weit gehen wie sich's gebührt in dem Herrn.
Ähnlich wie an anderer Stelle in den neutestamentlichen Briefen Gehorsam
gegenüber der Obrigkeit gefordert wird ( Röm 13,1; Tit 3,1; 1Pet 2,13),
jedoch nur solange sich die Regierung in ihrem Amt Gott unterstellt (
2Mo 1; Dan 3;6 ), so muß sich auch die Ehefrau ihrem Mann nur "in dem
Herrn" unterordnen. Sie ist jedoch nicht verpflichtet, der Führung ihres
Mannes auch dann zu folgen, wenn sein Handeln sich nicht mit den
verschiedenen Geboten der Heiligen Schrift verträgt.
Kol 3,19
Die Männer sollen ihre Frauen lieben (wie Christus die Kirche liebt; Eph
5,28-29 ). Sie sollen ihre Führungsrolle also in Liebe ausüben und nicht
als diktatorische Herrschaft. Vielleicht haben die Ehemänner die Mahnung
zu Liebe und Rücksichtnahme fast noch nötiger als die Frauen die Warnung
davor, sich zuviel Autorität anzueignen. Wenn ein Mann sich die absolute
Autorität in der Familie anmaßt, verbittert er seine Frau und verscherzt
sich ihre Zuneigung. Die Wendung "seid nicht bitter" gibt das
griechische pikrainesthe wieder und heißt wörtlich eher "macht nicht
bitter". (In Kol 3,21 steht ein anderes Wort; vgl. den dortigen
Kommentar.) Wie zarte und empfindliche Blumen (vgl. 1Pet 3,7 ) welken
Frauen möglicherweise unter einer autoritären Herrschaft des Mannes,
aber sie erblühen unter zärtlicher und liebender Fürsorge. In einer
wirklich reifen Ehe zeigt der Mann einfühlsame Fürsorge, und seine Frau
antwortet ihm mit bereitwilliger Unterordnung unter seine liebende
Führung.
Kol 3,20
Die Kinder sollen ihren Eltern in allen
Dingen (gehorsam) sein. Ungehorsam gegenüber den Eltern wird im Alten
Testament mit der Auflehnung gegen Gott gleichgesetzt und streng
bestraft ( 2Mo 21,17; 3Mo 20,9). Ein Beispiel für den kindlichen
Gehorsam gab auch Jesus in seinem Gehorsam gegenüber Josef und seiner
Mutter Maria (Lk 2,51). Kindlicher Gehorsam ist wohlgefällig in dem
Herrn . Das bedeutet nicht, daß das Kind sich durch seinen Gehorsam die
Rettung verdienen kann. Er spiegelt lediglich die von Gott eingesetzte
Ordnung in der Hausgemeinschaft wider. Wie Paulus an anderer Stelle
schrieb, "ist es recht" (dikaion, "gerecht" oder "angemessen"), daß
Kinder ihren Eltern gehorchen (Eph 6,1).
Kol 3,21
Die Väter
(und Mütter; vgl. Spr 1,8;6,20 ) sollen diesen Gehorsam nicht ausnützen
und ihre Kinder nicht durch ständiges Nörgeln und unvernünftige
Forderungen erbittern (erethizete, "provozieren oder ärgern"). Paulus
schreibt: "Ihr Väter, reizt (parorgizete) eure Kinder nicht zum Zorn"
(Eph 6,4). Das würde sie nur scheu machen. Ein Lob für gutes Benehmen,
gepaart mit liebevoller Disziplin (vgl. Hebr 12,7), ist sinnvoller als
ständige Kritik und hilft dabei, die Kinder "inder Zucht und Ermahnung
des Herrn" zu erziehen (Eph 6,4).
Kol 3,22-25
Die Sklaven
werden von Paulus ermahnt, ihren irdischen Herren ... (gehorsam) zu sein
(das gleiche Wort wird in V. 20 im Zusammenhang mit den Kindern
verwendet). "Irdisch" heißt im Griechischen wörtlich "nach dem Fleisch";
nur Christus ist der Herr über den Geist der gläubigen Sklaven. Sie
sollen in Einfalt des Herzens gehorchen, und nicht nur, wenn sie unter
der Kontrolle ihrer Herren stehen oder um den Menschen zu gefallen.
Vielmehr sollen sie ihren Aufgaben in der Furcht des Herrn nachkommen.
Ein Arbeiten im Bewußtsein von Gottes Wesen und Gegenwart verleiht auch
der Arbeit von Sklaven eine eigene Würde. Die Sklaven sollen alles, was
sie tun (vgl. V. 17), von Herzen tun (wörtlich "mit ganzer Seele", nicht
nur mit vorgetäuschtem Eifer), und sie sollen es dem Herrn tun, und
nicht den Menschen . Obwohl die Sklaverei mit Sicherheit kein
wünschenswerter Zustand war, sah die Lehre des Paulus keine Veränderung
dieser - oder auch anderer - sozialer Institutionen vor (vgl. 1Kor
7,17-24 ). Die Anweisungen, die er in Kolosser 3,22 - 25 in bezug auf
die christlichen Sklaven gibt, ließen sich für unsere heutigen
Verhältnisse auf christliche Arbeiter und Angestellte übertragen. Wenn
alle Christen ihren Arbeitgebern mit wirklichem Engagement und im Gefühl
ihrer Verantwortung vor Gott dienen würden, würden Qualität und
Produktivität sicherlich dramatisch ansteigen. Im Grunde dienen Christen
immer dem Herrn Christus. (Das ist die einzige Stelle im Neuen
Testament, in der der Begriff "der Herr Christus" gebraucht wird.) Denn
schließlich kommt der letzte "Zahltag" (das Erbe als Lohn) von dem Herrn
(vgl. 2Kor 5,10). Er wird ohne Ansehen der Person (vgl. Röm 2,11; Eph
6,9 ), d. h. völlig gerecht, richten und den Übeltätern ihre Vergehen
heimzahlen, denen, die ihm gedient haben, aber ihren Lohn geben.
In
diesen Versen ( Kol 3,22-25 ) äußert sich Paulus mehrfach zu den
Motiven, Einstellungen und zum Lebenswandel christlicher Sklaven. Die
Ausführlichkeit dieser Unterweisungen war etwas Besonderes in einer von
der Kluft zwischen Herren und Sklaven gekennzeichneten Gesellschaft.
Kol 4,1
Die Herren sollen ihrerseits Sorge tragen, daß ihre
Sklaven erhalten, was recht (dikaion) und
billig (isotEta, "gerecht")
ist. Letztlich sind die Herren Gott, ihrem Herrn im Himmel ,
verantwortlich, der sie seinerseits angemessen behandelt. Auch dieses
Prinzip läßt sich auf unsere heutige Strukturen und damit auf die
Arbeitgeber anwenden. Wenn sie sich in dieser engagierten und
unparteiischen Weise für ihre Angestellten einsetzen würden, so würde
das wiederum deren Arbeitsmotivation beträchtlich verbessern.
Kolosser
B.
Vervollkommnung des Gebetslebens
(4,2-4)
Kol 4,2
Paulus führte nicht
nur selbst ein reifes und erfülltes Gebetsleben (vgl. Kol 1,3-12 ),
sondern legte diese Praxis auch allen anderen Gläubigen nahe. Sie sollen
beharrlich (vgl. Röm 12,2) im Gebet sein. Das Gebet ist kein geistlicher
Luxus; es ist wesentlich für das innere Wachstum des Gläubigen. Da es so
entscheidend für die geistliche Gesundheit des einzelnen ist wie das
Atmen für das physische Überleben, darf das Gebet nichts Seltenes,
Zufälliges sein, sondern muß ein ständiger Bestandteil des christlichen
Lebens werden (1Thes 5,17 ). Im Gebet soll der Christ wachsam sein
gegenüber der geistlichen Trägheit, die aus einer zu starken
Konzentration auf die Welt ( Mt 24,42; Apg 20,31; 1Kor 16,13; 1Thes 5,6)
und aus den Schlichen des Teufels erwächst ( Eph 6,16; 1Pet 5,8). Das
Gebet sollte immer von Danksagung begleitet sein ( Phil 4,6; Kol
1,12;3,16-17; 1Thes 5,18), denn Dankbarkeit ist der richtige Ausdruck
der Einstellung des Menschen gegenüber Gott (vgl. Röm 1,21).
Kol 4,3-4
"Betet ... für uns" ist eine Bitte, die Paulus oft an seine
Leser richtete ( Röm 15,30; Eph 6,18- 19; 1Thes 5,25; 2Thes 3,1). Er
denkt dabei nicht an sich, sondern bittet um eine Tür, die Gott ihm
auftun möge (vgl. 1Kor 16,9; 2Kor 2,12), damit er die Botschaft des
Evangeliums, das Geheimnis Christi (vgl. Eph 3,4;6,19; Kol 1,26-27;2,2
), um dessentwillen er in Fesseln ist, weitersagen kann (vgl. Phil
1,7.13-14.16; Kol 4,18; Phim1,1.9-10.13). Er wünscht sich jedoch nicht
nur eine Gelegenheit zur Verkündigung, sondern auch Klarheit in seiner
Predigt: Damit ich es offenbar mache, wie ich es sagen muß (d. h., wie
ich verpflichtet bin; vgl. Röm 1,14- 15 ). Kolosser
C. Vervollkommnung des öffentlichen
Lebens
(4,5-6)
Kol 4,5-6
Vervollkommnung oder Vollendung in Christus
betrifft nicht nur das Privatleben und das Gebetsleben des Christen,
sondern auch seine gesellschaftlichen Beziehungen. Um diese Dimension
des Lebens in Christus zur Vollendung zu führen, rät Paulus den
Gläubigen, sich weise zu verhalten.
Diese Weisheit (sophia; vgl. Kol 1,9.28;3,16 ), die von Gott, nicht vom
Menschen kommt
(vgl. Jak 3,13.17), sollte gerade auch für die, die draußen sind,
d. h. für die, die nicht zur "Familie der Gläubigen" gehören (vgl. 1Kor
5,12; 1Thes 4,12; 1Tim 3,7), spürbar werden. Aber die Leser des
Kolosserbriefes sollen auch die Zeit auskaufen
(exagorazomenoi). Sie sollen "zur Zeit oder zur Unzeit" (2Tim 4,2)
bereit sein, Christus zu verkündigen. Ihre Rede (logos, "Wort,
Gespräch") soll dabei allezeit freundlich (wörtlich "in
Gnade"; vgl. Kol 3,8- 9 ,"angenehm") und doch mit Salz gewürzt
(d. h. rein und überzeugend; Kol 4,6) sein. Auf diese Weise
können sie einem jeden antworten, der sie nach der
Hoffnung, die in ihnen ist (1Pet 3,15), fragt.
D. Grüße
(4,7-18) Am Beispiel seines eigenen Lebens zeigt Paulus, wie reife
zwischenmenschliche Beziehungen aussehen sollten. Er erwähnt seine
Freunde und Gefährten und gibt seiner echten Sorge um sie Ausdruck.
Kol 4,7-8
Tychikus, ein führendes Mitglied der
Kirche und der Überbringer des Kolosserbriefes, ist der liebe
Bruder und treue Diener (vgl. Eph 6,21) und Mitknecht
in dem Herrn. Er stammte aus der Provinz Asien (Apg 20,4) und
wird von Paulus auch in 2Tim 4,12 und in Tit 3,12 erwähnt. Paulus sandte
ihn nach Kolossä, um die dortige Gemeinde über seine eigene Situation zu
informieren und ihr Mut zuzusprechen.
Kol 4,9
Onesimus, einem entflohenen Sklaven des Philemon, der
sich zum christlichen Glauben bekehrt hatte, bezeichnet der Apostel
ebenfalls als treuen und lieben Bruder (vgl. Phim
1,10.16), der zudem aus Kolossä stammt: der einer der Euren ist (vgl.
Kol 4,12). Er sollte Tychikus begleiten und ebenfalls Bericht erstatten,
wie es Paulus ging.
Kol 4,10
Aristarch war ein Thessalonicher, der Paulus auf seiner
dritten Missionsreise begleitet hatte ( Apg 19,29; 20,4; 27,2). Er war
Paulus' Mitgefangener , d. h., entweder besuchte er
Paulus im Gefängnis oder, was wohl eher zutrifft, er war mit ihm
inhaftiert (wahrscheinlich ebenfalls, weil er das Evangelium gepredigt
hatte). An anderer Stelle bezeichnet ihn Paulus als "Mitarbeiter"
(Phim1,24).
Markus, der Vetter des Barnabas, war ein Reisegefährte
des Paulus bei seiner ersten Missionsreise ( Apg 12,25 ). Er war später
mit Petrus zusammen ("mein Sohn"; 1Pet 5,13; vgl. Apg 12,12-13 ). Obwohl
Markus Paulus auf der ersten Missionsreise im Stich gelassen hatte ( Apg
15,37-39 ), lobt ihn dieser hier (vgl. Phim1,24) und auch in einem
späteren Brief (2Tim 4,11).
Kol 4,11
Jesus war ein gebräuchlicher jüdischer Name. Der
Beiname dieses Gefährten des Apostels war Justus ("der
Gerechte"), ebenfalls ein relativ häufiger Name ( Apg 1,23;
18,7). Diese drei - Aristarch, Markus und Justus - waren Juden
(wörtlich: "Beschnittene"), und zwar entweder
von Geburt oder durch Bekehrung (als Proselyten). Alle drei Mitarbeiter
am Reich Gottes trösteten den gefangenen Apostel durch ihre Treue und
machten ihm neuen Mut. Trost ist im Griechischen das ungewöhnliche Wort
parEgoria (Erleichterung, Trost), das nur an dieser Stelle im Neuen
Testament vorkommt.
Kol 4,12-13
Epaphras war wie Onesimus (V. 9) ein Kolosser (der
einer von den Euren ist), ein Knecht Christi Jesu, der nach den
Worten des Paulus allezeit in seinen Gebeten um die
Kolosser "rang" (agOnizomenos; vgl. Kol 1,29; wie es Jakob mit dem Engel
tat; 1Mo 32,25). Er betete darum, daß die Kolosser vollkommen
(teleioi) und erfüllt ( Röm 4,21 ) mit allem,
was Gottes Wille ist , sein möchten. Diese Bitte stimmt mit dem
Grundthema des ganzen Kolosserbriefes überein: daß die Gläubigen in
Christus reifer und vollkommener werden sollen. Die intensive Fürbitte
des Epaphras ging soweit, daß sie ihm viel Mühe machte
(ponon, "Schmerz oder Kummer"; das Wort taucht nur hier und in Offb
16,10-11 auf). Seine schmerzliche Sorge galt allen Gläubigen im Lykustal
- denen in Kolossä ebenso wie den Leuten in Laodizea und in
Hierapolis (zur geographischen Lage dieser drei Städte vgl. die
Karte zwischen Apostelgeschichte und Römerbrief).
Kol 4,14
Lukas, der Arzt, der Geliebte , ein guter Freund des
Paulus, stand ihm nicht nur in dieser Gefangenschaft bei, sondern auch
in seiner späteren Haft, in der ihn Demas, der hier bei
Paulus ist, im Stich ließ (2Tim 4,10). Lukas ist der Verfasser des
dritten Evangeliums und der Apostelgeschichte (vgl. Apg 1,1). Nach der
Überlieferung war er einer der "Zweiundsiebzig" (Lk 10,1). Manche
Exegeten nehmen außerdem an, daß er der anonyme Jünger auf der Straße
nach Emmaus war (Lk 24,13). Da Paulus nur Aristarch, Markus und Jesus
(Justus) als "Beschnittene" bezeichnet, ist anzunehmen, daß Lukas ein
Heide war.
Kol 4,15 Paulus bittet darum, daß seine Grüße auch an die Brüder
in Laodizea und die Nympha und die Gemeinde in ihrem Hause
übermittelt werden. In den Anfängen des Christentums, bevor es eigens
für kirchliche Zwecke bestimmte Gebäude gab, pflegten sich die Gemeinden
in Privathäusern zu versammeln ( Röm 16,5; 1Kor 16,19; Phim1,2).
Kol 4,16
Der Apostel drängt darauf, daß die Gemeinden ihre Briefe untereinander
austauschen. Wenn die Kolosser ihren Brief in der Gemeindeversammlung
verlesen haben, sollen sie ihn nach Laodizea weitersenden und dafür den
von Laodizea lesen. Dieser Brief an die Gemeinde von Laodizea könnte
eventuell der Brief an die Epheser sein, der etwa um dieselbe Zeit
geschrieben wurde und an die Gemeinden in der unmittelbaren
Nachbarschaft von Kolossä gerichtet war.
Kol 4,17
Archippus, wahrscheinlich der Sohn des Philemon (vgl.
Phim1,2 ), übte in Kolossä ein Gemeindeamt aus; möglicherweise vertrat
er Epaphras. Paulus legt seinen Lesern nahe, Archippus die Aufforderung
zu übermitteln: "Sieh (blepe, "achten auf") auf
das Amt, das du empfangen hast in dem Herrn, daß du es ausfüllst.
" Welcher Art seine Probleme auch waren, auf jeden Fall erfüllte er
offenbar seine Aufgabe nicht vollkommen. Das zeigt erneut, welch großes
Anliegen es Paulus war, daß die Kolosser in Christus vollkommen würden.
Kol 4,18
Wie es Paulus' Gepflogenheit war, schreibt er auch hier zum Zeichen der
Echtheit des Briefes am Schluß einen Gruß mit eigener Hand
(vgl. 1Kor 16,21; Gal 6,11; 2Thes 3,17; Phim 1,19). Dann bittet er seine
Leser, in ihrer Fürbitte seiner Fesseln (vgl. Kol 4,3)
zu gedenken. Wie bei so vielen seiner Briefe schließt er auch hier mit
einem Segenswort - der Bitte, daß die Gnade Gottes
(vgl. Kol 1,2) mit ihnen allen sei (vgl. die Tabelle "Die abschließenden
Segensworte des Apostels Paulus in seinen Briefen" bei Röm 16,20).
Kolosser
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