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Esther Walvoord

Ester

Charakter des Buches


Ester ist das einzige Buch der Bibel, das den Namen Gottes nicht erwähnt. Im Neuen Testament wird Ester nirgends zitiert, und es finden sich auch keine Abschriften des Buches unter den Rollen des Toten Meeres. Im Text selbst wird nirgends das Gesetz oder das Darbringen von Opfern erwähnt. Dies bestätigt die Vermutung, daß das jüdische Volk im persischen Exil den Willen Gottes nicht erfüllte. Es mißachtete seine Verpflichtung, nach Palästina zurückzukehren und sich am Tempelgottesdienst zu beteiligen.

Auch das Beten wird im Buch Ester nirgends erwähnt, sondern lediglich das Fasten. Selbst Ester und Mordechai beteten nicht. In anderen nachexilischen Büchern spielt das Gebet eine große Rolle. Esra und Nehemia sind dafür gute Beispiele. Ester und Mordechai besaßen anscheinend keinerlei geistliche Neigungen, wenn sie auch in der Gewißheit lebten, daß Gott sein Volk bewahren würde.



Leserschaft


Wenn wir wissen, an welche Leserschaft sich ein Buch ursprünglich richtete, so erleichtert uns dies dessen Interpretation. Das Buch Ester enthält eine Reihe von Angaben, die die Erzählung einer bestimmten Epoche des Persischen Weltreiches zuordnen, gibt aber keinerlei Hinweis, wann das Buch geschrieben wurde oder wer seine ursprünglichen Leser waren.

Einige Forscher nehmen an, daß das Buch im Persischen Reich geschrieben, dann nach Palästina gebracht und dort der Sammlung der biblischen Bücher (den Manuskripten der kanonischen Bücher des Alten Testaments) hinzugefügt wurde. Wahrscheinlicher ist jedoch, daß der Verfasser in Palästina lebte und dort den Bericht über die Ereignisse im Persischen Reich niederschrieb, um die anderen Heimkehrer zu ermutigen. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß das Buch für persische Leser geschrieben wurde. Gewiß wurde es verfaßt, um den Israeliten zu zeigen, daß Gott für sie wirkte - sogar durch einige Juden, die sich geweigert hatten, in ihr Land zurückzukehren.

Das Buch Ester entstand zu einer Zeit, als die Juden in Palästina unter großen Schwierigkeiten versuchten, ihr Volk wiederherzustellen, und den Gottesdienst im Tempel wiedereinzuführen. Es hatte sie 21 Jahre gekostet, den Neubau des Tempels zu vollenden (536 - 515 v. Chr.), und das Volk war, wie die zweite Hälfte des Buches Esra belegt, während der Herrschaft des Artaxerxes (464 - 424 v. Chr.) geistlich in keinem guten Zustand. Esra und Nehemia stellten natürlich die Gründe für den geistlichen Tiefstand der Nation fest: das Volk war dem mosaischen Bund nicht gefolgt und stand deswegen unter dem Fluch Gottes, nicht unter seiner Verheißung und seinem Segen. Das Buch Ester muß also eine großartige Ermutigung für die kämpfenden Israeliten gewesen sein. Es muß ihnen geholfen haben, zu verstehen, daß die in ihrer Umgebung lebenden Völker das einzigartige Volk Gottes niemals überwinden konnten, wenn sie ihm auch noch so feindlich gesinnt waren. Das Buch ermutigte sie zugleich, den Gott Israels anzubeten und ihm zu dienen, obgleich er darin nirgends genannt wird.



Verfasser und Entstehungszeit


Der Text enthält keinen Hinweis auf seinen Verfasser. Doch wer immer es war - er muß die persische Kultur gut gekannt haben. Die Erzählung weist alle Merkmale eines Augenzeugenberichtes auf. Außerdem war der Verfasser wohl ein Jude. Einige haben Esra oder Nehemia als Verfasser vermutet, aber keine besonderen Gründe dafür geltend gemacht. Viele Bibelkritiker gehen davon aus, daß das Buch wegen seiner Sprache und seines Stils viel später geschrieben worden sein muß, doch neueste Forschungen haben gezeigt, daß diese Behauptung ungerechtfertigt ist und eher das Gegenteil zutrifft. Das Buch, so wie wir es heute vor uns haben, könnte irgendwann zwischen 470 und 465 v. Chr., in der letzten Zeit der Herrschaft des Xerxes (vgl. Est 10,2-3 ) oder seines Sohnes Artaxerxes (464 - 424 v. Chr.) geschrieben worden sein. Nichts bestätigt die Vermutung, daß der Autor ein prominenter Jude war.


Historische Glaubwürdigkeit


Die Einwände gegen die historische Glaubwürdigkeit des Buches Ester lassen sich in drei Gruppen zusammenfassen:

1. Eine der Absichten der Erzählung (vgl. den Abschnitt "Absicht") ist es, die Entstehung des jüdischen Purimfestes zu erklären. Auch wenn sich die Wissenschaftler darüber einig sind, was "Purim" bedeutet und wofür es steht, macht der Text selbst deutlich, daß mit dem Fest die wunderbare Befreiung der von Haman bedrängten Juden durch Gott gefeiert werden soll. Was nach einem "zufälligen" Ereignis aussah, war in Wirklichkeit ein souveränes Eingreifen Gottes. Viele Kritiker behaupten jedoch, diese Erklärung sei zu einfach, und die Geschichte vom Purimfest sei eher eine Art Volksmärchen. Es gibt jedoch nichts, was gegen die historische Glaubwürdigkeit des Berichtes über die Entstehung des Purimfestes sprechen würde. Auch konnte niemand nachweisen, daß dieser Bericht aus einer anderen Quelle abgeschrieben wurde.

2. Viele zweifeln die historische Glaubwürdigkeit des Textes an, weil angeblich keine andere Quelle eine der Personen des Buches erwähnt. Diese Quellen erwähnen wohl Xerxes, nicht aber dessen Königin Ester, Mordechai oder Haman. Für Ester trifft dies zwar zu, nicht jedoch für Mordechai (vgl. den Kommentar zu Est 2,5-7 ). Aber die Tatsache, daß Ester sonst nicht erwähnt wird, bedeutet noch lange nicht, daß sie nicht existiert hat. Wo kämen wir hin, wenn wir die Existenz jeder Person anzweifelten, die nur einmal namentlich genannt wird!? Herodot und Ktesias erwähnen eine Frau namens Amestris als Königin des Xerxes. Sie war die Mutter seines Nachfolgers Artaxerxes. Allerdings nennt Herodot Amestris nicht im Zusammenhang mit der Herrschaft des Xerxes, sondern mit der seines Sohnes Artaxerxes, also einer viel späteren Zeit. Wenn Amestris mit der in der Bibel genannten Königin Wasti identisch ist, die im Jahre 482 v. Chr. abgesetzt wurde (nachdem Artaxerxes im Jahre 483 v. Chr. geboren worden war) und die danach nicht wieder erwähnt wird, hätte Ester genug Zeit gehabt, um den Thron der Königin zu besteigen und bis zum Ende der Herrschaft des Xerxes Königin zu bleiben - oder zumindestens bis zum Ende der Zeit, über die das Buch Ester berichtet. Obwohl Wasti vor der Abfassung des Buches abgesetzt wurde, fügte der Autor ihre Absetzung in den Bericht ein, weil er gut zu der Absicht des ganzen Buches paßte. Der Gedanke, daß Ester nicht existiert haben könne, weil sie nirgends sonst erwähnt wird, ist ein "argumentum e silentio" ("Argument aus dem Schweigen"). Ihre Existenz fügt sich jedenfalls nahtlos in die Chronologie des Persischen Weltreiches ein.

3. Viele Kritiker sind der Ansicht, daß der Bericht über König Xerxes unwahrscheinlich klingt. Warum sollte sich der König auf so irrationale Art und Weise eine neue Königin suchen? Dem ist entgegenzuhalten, daß es keinerlei Beweise für die Unglaubwürdigkeit dieses Berichtes gibt. Ganz im Gegenteil ist Xerxes aus anderen Quellen für seine irrationalen Entscheidungen - und für seinen riesigen Harem in Susa - bekannt.

Es gibt viele Belege für die historische Glaubwürdigkeit des Buches. Xerxes war tatsächlich König von Persien. Seine Gelage waren nur zu bekannt. Er war von unbeherrschtem Wesen und geriet bisweilen in rasende Wut (vgl. Est 1,12;7,10 ). Zu seinem Palast in Susa gehörte ein großer Harem. Verschiedene Einzelheiten des Hoflebens lassen sich anhand von Quellen belegen.

Viele Beispiele dafür, wie die historischen Angaben des Buches Ester durch außerbiblische Quellen bestätigt werden, sollen im Verlauf des Kommentars erörtert werden.

 

Absicht


Wie bereits erwähnt, wurde das Buch Ester geschrieben, um die aus dem Exil zurückgekehrten Juden zu ermutigen und sie an die unfehlbare Treue ihres Gottes zu erinnern, der zu seinen Verheißungen an sein Volk stehen würde. Gott bewahrte selbst die "ungehorsamen" Israeliten, denn Ester und Mordechai waren nicht nach Jerusalem zurückgekehrt. Der Autor erklärte zugleich die Entstehung des Purimfestes. Jedesmal, wenn das Purimfest gefeiert wurde, sollte es eine Ermutigung für den gläubigen Überrest Israels sein.



GLIEDERUNG


I. Ester erlang eine bevorzugte Stellung ( 1,1-2,20 )

     A. Wasti wird von Xerxes abgesetzt ( Kap.1 )
          1.Das 187tägige Fest des Königs ( 1,1-9 )
          2.Wasti wird abgesetzt ( 1,10-22 )

     B. Ester wird zur Königin erhoben ( 2,1-20 )
          1.Auf der Suche nach einer neuen Königin ( 2,1-4 )
          2.Ester wird in den Harem aufgenommen ( 1,5-11 )
          3.Ester wird zur Königin erwählt ( 2,12-20 )

II. Die Juden sollen ausgerottet werden ( 2,21-3,6 )

     A. Eine Auseinandersetzung und Hamans Haß auf die Juden ( 2,21-3,6 )
          1.Der König wird durch Mordechai gerettet ( 2,21-23 )
          2.Haman wird befördet ( 3,1-6 )

     B. Haman überredet den König die Juden zu vernichten ( 3,7-15 )
          1.Haman wirft das Los ( 3,7-9 )
          2.Der König gibt seine Erlaubnis ( 3,10-11 )
          3.Das Dekret wird verkündet ( 3,12-15 )

     C. Mordechai trauert ( 4,1-3 )

III. Ester wendet das Unglück ab ( 4,4-9,19 )

     A. Die Unterretung zwischen Ester und Mordechai ( 4,4-17 )
     B. Der Anschlag wird von Ester entlarvt ( Kap.5-7 )
          1.Die Vorbereitung des Mahles ( 5,1-4 )
          2.Die Vorbereitung des zweiten Mahles ( 5,5-8 )
          3.Hamans Größwahnsinn und die Errichtung des Galgens ( 5,9-14 )
          4.Mordechai wird von Xerxes gehert ( Kap.6 )
          5.Xerxes erfährt von dem Anschlag und läßt Haman aufhängen ( Kap.7 )

     C. Die Juden werden befreit und nehmen Rache ( 8,1-9,19 )
          1.Mordechai erhählt eine königliche Stellung ( 8,1-2 )
          2.Ein zweites Dekret wird erlassen ( 8,3-14 )
          3.Die Freude der Juden ( 8,15-17 )
          4.Die Juden nehmen Rache ( 9,1-19 )

IV. Die Einsetzung des Purimfestes ( 9,20-32 )


V. Die Größe Mordechais ( Kap.10 )


AUSLEGUNG


I. Ester erlangt eine bevorzugte Stellung
( 1,1-2,20 )


Dieser erste große Abschnitt des Buches betont die Notwendigkeit der göttlichen Befreiung und beschreibt deren Hintergrund. Gewiß war die Darstellung des historischen Hintergrundes für viele der damaligen Leser eine ebenso große Hilfe wie für heutige Leser. Der Autor beschreibt ausführlich die Ausrichtung des königlichen Mahles in Persien und die Gründe, weshalb Ester in eine solch hohe Stellung gelangte. Der Autor teilt nicht nur bis ins Detail getreu die historischen Fakten mit, sondern ist auch ein guter Erzähler.

A. Wasti wird von Xerxes abgesetzt
( Est 1 )


1. Das 187tägige Fest des Königs
( 1,1-9 )


Est 1,1


Der Bericht beginnt mit dem Hinweis, daß Ahasveros König über hundertundsiebenundzwanzig Länder vom Indus bis zum Nil war (oder Provinzen; vgl. Est 8,9 ). Xerxes, der im hebräischen Text Ahasveros genannt wird, herrschte 21 Jahre lang - von 485 bis 465 v. Chr. - über das Persische Reich. Er wird außerhalb des Buches Ester in der Bibel nur noch in Esra 4,6 und Dan 9,1 erwähnt. Die ungeheure Ausdehnung seines Reiches wird von verschiedenen außerbiblischen Quellen bestätigt, die das Reich mit ähnlichen Worten beschreiben (vgl. die Karte "Das Persische Weltreich" in Zusammenhang mit Esr 1,1 ). Juda war eine der Provinzen, über die der König herrschte (vgl. Neh 1,2 ). Das Indusgebiet liegt im Westen Pakistans, der Begriff "Nil" bezeichnet hier den Süden Ägyptens, den gesamten Sudan und den Norden Äthiopiens.



Est 1,2


König Xerxes besaß einen ausgedehnten Palast in Persepolis und eine als Winterresidenz dienende Festung in Susa (vgl. Neh 1,1 ). Persepolis und Ekbatana ( Esr 6,2 ) waren andere mächtige Städte des Persischen Weltreiches (vgl. die Karte "Das Persische Weltreich" in Zusammenhang mit Esr 1,1 ). Eine Inschrift aus der Zeit des Artaxerxes, des Sohnes König Xerxes I., bezeugt, daß der Palast während der Regierungszeit des Artaxerxes durch einen Brand zerstört wurde. Der Hinweis in Est 1,2 wurde durch archäologische Ausgrabungen in Susa bestätigt. Ein Verfasser aus späteren Zeiten hätte wahrscheinlich gar nichts über diesen Winterpalast gewußt, so daß man davon ausgehen kann, daß der Verfasser den im Buch Ester geschilderten Ereignissen zeitlich sehr nahe stand.



Est 1,3-4


Im dritten Jahr seiner Herrschaft (483 v. Chr.) gab Xerxes ein Festmahl, zu dem er alle seine Fürsten und Großen, die Heerführer, die Edlen und Obersten seiner Provinzen einlud. Die Bezeichnungen dieser Positionen stimmen damit überein, daß das Persische Reich einen riesigen Verwaltungsapparat besaß. Auch wenn dies nicht ausdrücklich gesagt wird, ist dieses Festmahl wohl mit dem großen Festmahl identisch, das Xerxes gab, als er beabsichtigte, in Griechenland einzufallen. Nach dem griechischen Historiker Herodot benötigte Xerxes vier Jahre, um diese Invasion vorzubereiten, die 481 v. Chr. einsetzte. (Der Beginn dieser vier Jahre würde mit der Thronbesteigung des Xerxes im Jahre 485 v. Chr. zusammenfallen). Sicherlich fanden während jener hundertundachtzig Tage Sitzungen des Planungsausschusses statt, in denen die Provinzoberen auf die Anstrengungen des Krieges vorbereitet und von dem Reichtum und der Prachtentfaltung des Xerxes beeindruckt werden sollten. Der Feldzug war eine teure Angelegenheit.

Das Buch Ester läßt Xerxes' Angriff auf Griechenland unerwähnt. Andere Quellen berichten, daß der König die Niederlage seines Vaters bei Marathon in der Nähe von Athen wiedergutmachen wollte. Die gewaltige Flotte der Perser fügte den Griechen bei den Thermopylen eine Niederlage zu, wurde aber in den Schlachten bei Salamis (480 v. Chr.) und Platäa (479 v. Chr.) geschlagen. Xerxes mußte sich besiegt zurückziehen. Ester erlangte die Gnade des Königs im siebten Jahr seiner Herrschaft ( Est 2,17 ), also im Jahre 479 v. Chr., d. h. nach seiner Niederlage in Griechenland und seiner Rückkehr. Die biblische Erzählung paßt demnach wieder einmal ausgezeichnet in die aus den nichtbiblischen Quellen bekannte Chronologie.



Est 1,5-9


Nach Ablauf der 180 Tage gab Xerxes ein weiteres Festmahl, diesmal ein siebentägiges für das Volk von Susa. Menschen aus allen Schichten wurden eingeladen. Die Beschreibung der Ausschmückung des königlichen Palastgartens (V. 5-7 ) bestärken den Eindruck, daß es sich entweder um einen Augenzeugenbericht oder um den Bericht eines Verfassers handelt, der aus erster Quelle schöpfte. Vielleicht zählte Mordechai zu den Gästen des siebentägigen Festes. Es ist bekannt, daß Leinen und Silber sowie Marmor und andere Edelsteine in Persien verwendet wurden. Persische Polster, golden und silbern, werden von Herodot erwähnt. Blau und Weiß waren die königlichen Farben (vgl. Est 8,15 ). Wertvolle goldene Gefäße, aus denen die Gäste tranken, gehörten zum persischen Luxus. Das Fest wurde dadurch belebt, daß jeder tun (d. h. trinken) sollte, wie es ihm wohlgefiel. Der König ging also mit dem Wein überaus großzügig um. Gleichzeitig gab Königin Wasti ein eigenes Festmahl für die Frauen. Getrennte Festmähler für Männer und Frauen waren in der damaligen Kultur durchaus üblich.



2. Wasti wird abgesetzt
( 1,10-22 )


Est 1,10-12


König Ahasveros befahl seinen sieben Kämmerern (auch: "Eunuchen"; vgl. Est 6,14 ), Wasti herzuholen, damit seine männlichen Gäste ihre Schönheit bewundern konnten. Aber sie wollte nicht kommen. (Der Name eines der Kämmerer, Harbona , wird später in Est 7,9 erwähnt.) Der Befehl wurde am siebenten Tag, also am letzten Tag des Festes, das längst die Form eines Trinkgelages angenommen hatte, gegeben. Die Erwähnung der "sieben Eunuchen" paßt genau zu der Kultur, die den Hintergrund dieser Erzählung bildet. Es war eine bekannte Praxis, junge Männer, die dem König dienten, zu kastrieren, damit sie nicht etwa auf die Idee kamen, eine eigene Dynastie zu begründen, die mit der Familie des Herrschers konkurrierte.

Wastis Weigerung wird vom Verfasser nicht näher erklärt. Es gibt keinen Hinweis darauf, daß der König von ihr etwas Unmoralisches verlangte oder sie sich preisgeben sollte. Vielleicht wollte sie zu dieser Zeit einfach keine gemischte Gesellschaft besuchen. Es ist vermutet worden, daß sich die Königin, wenn man sie mit der Königin Amestris gleichsetzt, geweigert haben könnte, weil sie mit Artaxerxes schwanger war, der 483 v. Chr. geboren wurde. Was für Gründe sie auch haben mochte - ihre Weigerung war in jedem Falle ein Bruch der Etikette. Der König war es gewohnt, alles zu erhalten, was er verlangte und wann immer er es verlangte. Deswegen machte ihn die Weigerung der Königin sehr zornig, und sein Grimm entbrannte in ihm (vgl. Est 7,7 ).



Est 1,13-15


Der König beriet sich mit den Weisen darüber, was er tun sollte. Diese sieben Männer genossen das Privileg, das Angesicht des Königs zu sehen, und sie waren diejenigen, die das Gesetz am besten kannten. Herodot bestätigt, daß solche weisen Männer für die Königshöfe des Alten Orients typisch waren. Überall im ganzen Alten Orient spielten weise Männer in den Regierungen eine bedeutende Rolle (vgl. Daniels Stellung im Babylonischen und Persischen Weltreich). Das Verbrechen, das die Königin begangen hatte, bestand darin, daß sie sich einem Befehl des Königs widersetzt hatte. Offensichtlich hatten der König und die Königin keine emotionale, persönliche Beziehung zueinander. So verhielt es sich bei Xerxes und den Frauen seines Harems tatsächlich. Dies wird später noch einmal deutlich, wenn berichtet wird, wie Ester Mordechai mitteilte, sie habe den König schon seit einem Monat nicht mehr gesehen und fürchte sich deswegen, ihn um etwas zu bitten ( Est 4,11 ).

 

Est 1,16-22


Memuchan , einer der weisen Männer des Xerxes, schlug vor, die Königin abzusetzen (V. 19 ), so daß nicht irgendwelche anderen adeligen Frauen (V. 18 ), ja eigentlich alle Frauen (V. 20 ) Wastis Beispiel folgen und ihre Männer verachten (V. 17 ) würden. Es ist schwer einzusehen, wie diese Strafe die Frauen des Reiches dazu bringen konnte, ihre Männer in Ehren zu halten , aber jedenfalls war das der Sinn der Anordnung. Zum Teil mag sich das Dekret auch dadurch erklären, daß die Männer übermäßig viel getrunken hatten (V. 10 ). (Der Ausdruck "Gefällt es dem König" wird im AT neunmal verwendet, davon siebenmal in Ester: Neh 2,5.7; Est 1,19;3,9;5,4.8;7,3;8,5;9,13 .)

Der Vorschlag gefiel dem König und den Fürsten, und so wurde ein Erlaß in verschiedenen Sprachen (vgl. Est 3,12 ) in alle Provinzen des Reiches gesandt, welcher besagte, daß ein jeder Mann der Herr in seinem eigenen Hause sei . Ein ausgedehntes Netz von Relaisstationen für Läufer und Reiter machte es tatsächlich möglich, Neuigkeiten im ganzen Reich schnell (vgl. Est 3,13;8,10 ) zu verbreiten. Vor diesem knapp umrissenen Hintergrund vollzog sich Esters Aufstieg.



B. Ester wird zur Königin erhoben
( 2,1-20 )


Die Jüdin Ester erlangte eine Stellung, in der sie dem jüdischen Volk helfen konnte. Sie wurde zur Königin erhoben, bevor Israel überhaupt Hilfe benötigte. Die damaligen Leser erkannten, daß dies nur ein weiteres Beispiel für Gottes souveränes Eingreifen zum Schutz seines Bundesvolkes war.



1. Auf der Suche nach einer neuen Königin
( 2,1-4 )


Est 2,1-4


Als der Grimm des Königs sich gelegt hatte, vermutlich einige Zeit später, erkannte er, wie unklug er gehandelt hatte. Durch das ganze Buch Ester hindurch wird deutlich, daß sich der König von seinen Fürsten leiten ließ. Es scheint, daß er bisweilen eine etwas provinzielle Sicht der Dinge hatte. Wie alle Mächtigen war er auf die Augen und Ohren anderer angewiesen, um mit der Außenwelt in Verbindung zu treten. Nicht immer erhielt er die besten Informationen.

In diesem Fall wurde dem König vorgeschlagen, daß schöne Jungfrauen (unverheiratete Frauen) nach Susa gebracht, Hegai dem Kämmerer und Hüter des Harems (vgl. V. 9 ) unterstellt und einer Schönheitspflege unterzogen werden sollten, damit sich der König dann unter ihnen eine Frau aussuchen konnte, um Wasti zu ersetzen. Die Männer des Königs (vermutlich die sieben "Weisen, die sich auf die Gesetze verstanden", Est 1,13-14 ) hatten dem Herrscher geraten, Wasti abzusetzen. Deswegen hatten sie jetzt natürlich kein Interesse daran, daß sie wieder eingesetzt würde, weil sie fürchteten, daß sie sich dann rächen könnte. Der Vorschlag gefiel dem König, und er handelte danach. Daß Xerxes einen Harem in Susa hatte, ist aus außerbiblischen Quellen bekannt. Ständig wurden neue junge Frauen in den persischen Harem gebracht, um die älteren zu ersetzen.



2. Ester wird in den Harem aufgenommen
( 2,5-11 )


Est 2,5-7


Mordechai ist ein babylonischer Name, der von der Gottheit Marduk abgeleitet ist. Der Name mrdk ist in aramäischen Dokumenten des 5. Jahrhunderts v. Chr. belegt. Mordechai war ein Benjaminiter. Er hatte versucht, die Tatsache, daß er und sein Vetter Juden waren, zu verheimlichen (V. 10.20 ). Vers 6 könnte so verstanden werden, daß Mordechai zusammen mit Jechonja 597 v. Chr. von Nebukadnezar deportiert wurde. Doch dies würde bedeuten, daß Mordechai im dritten Jahr der Herrschaft des Xerxes 115 und Ester 80 Jahre alt waren. Deswegen ist anzunehmen, daß Kisch , der Großvater Mordechais, derjenige war, der 597 v. Chr. aus Jerusalem deportiert wurde.

Mordechais Cousine Ester, demnach auch Benjaminiterin, wurde von ihrem Vetter aufgezogen, weil ihre Eltern starben, als sie noch jung war. Ihr Vater, der Bruder Mordechais, hieß Abihajil (V. 15 ; Est 9,29 ). Ester ist persisch und bedeutet "Stern". Ihr hebräischer Name Hadassa bedeutet "Myrte". Sie war ein schönes und feines Mädchen .



Est 2,8-11


Ester wurde zusammen mit vielen jungen Mädchen aus dem ganzen Reich, die in Susa zusammengeführt wurden, in den Harem des Xerxes aufgenommen, um auf die Wahl des Königs zu warten. Ester gefiel Hegai, dem Kämmerer (vgl. V. 3 ), sofort und erhielt deswegen eine bevorzugte Stellung im Frauenhaus. Er sorgte dafür, daß sie Schönheitspflege (vgl. V. 3 ) und genügend Speise bekam, die vielleicht von besserer Qualität als die der anderen Frauen war. Sie erhielt auch sieben Dienerinnen. Da sie im Harem mindestens zwölf Monate warten mußte (V. 12 ), wird Ester diese Bevorzugung zu schätzen gewußt haben.

Ester hielt ihre jüdische Abstammung geheim (vgl. V. 20 ) und erzählte weder Hegai noch den Mägden oder sonst jemandem etwas darüber, denn Mordechai hatte ihr dies geboten . Aus diesem und anderen Hinweisen wird deutlich, daß der Verfasser des Buches Ester zum Ausdruck bringen wollte, daß Ester und Mordechai von Gott bewahrt und gebraucht wurden, obwohl sie nicht nach dem Gesetz lebten, das Gott Israel gegeben hatte. Nach dem Gesetz hätte Ester keinen Heiden heiraten ( 5Mo 7,1-4 ) oder eine sexuelle Beziehung zu einem Mann haben dürfen, der nicht ihr Ehemann war ( 2Mo 20,14 ), und nichts anderes war der Grund dafür, daß sie in den Harem aufgenommen wurde. Man kann Ester Daniel gegenüberstellen, der sich weigerte, vom Tisch des Königs zu essen ( Dan 1,8 ), weil das Essen Dinge enthielt, die nach dem jüdischen Gesetz unrein waren. Offensichtlich machte sich Ester keine Gedanken über die Speisen, die sie zu sich nahm ( Est 2,9 ). Sie sonderte sich auf jeden Fall nicht wie Daniel ab.



3. Ester wird zur Königin erwählt
( 2,12-20 )


Est 2,12-15


Ester wurde während ihres Vorbereitungsjahres auf die Nacht mit dem König ungeheuer beliebt. Jede junge Frau erhielt eine Pflege, die ihre Attraktivität erhöhen sollte. Myrrhe, ein Harz von einem Strauch, gibt einen angenehmen Geruch.

Ester beteiligte sich nicht einfach an einem Schönheitswettbewerb, bei dem die Gunst des Königs gewonnen werden konnte, sondern wurde auf einen sexuellen Kontakt mit dem König vorbereitet. Dies wird durch die Worte wenn sie am Abend hineingegangen war, ging sie am Morgen in das andere Frauengemach angedeutet. Sie wurde also in einen anderen Harem verlegt, der Schaaschgas unterstand und aus den Nebenfrauen des Königs bestand. Die meisten dieser Frauen waren dazu verurteilt, den Rest ihres Lebens an diesem Ort zu verbringen und den König möglicherweise nie wieder zu sehen. Als Ester zum König ging, befolgte sie die Anweisungen Hegais, des Kämmerers.

 

Est 2,16-20


Ester wurde im zehnten Monat ( Tebet ist der babylonische Name für Dezember/Januar), im siebten Regierungsjahr (479 v. Chr.), zum König Ahasveros gebracht. Der König gewann Ester lieber als alle anderen Frauen und machte sie daher zur Königin anstelle von Wasti. Dann bereitete er ein großes Festmahl vor, gewährte den Ländern Steuererlaß und verteilte viele Geschenke. Während dieser ganzen Zeit hatte Ester ihre jüdische Abstammung immer noch nicht offenbart (V. 10 ). Während man die übrigen Jungfrauen in das andere Frauenhaus brachte, saß Mordechai im Tor des Königs (vgl. V. 21 ; Est 3,2 ). Daß er im Tor des Königs saß, bedeutet wahrscheinlich, daß Mordechai eine offizielle Stellung im königlichen Rechtssystem innehatte, also Richter war. Der Hinweis auf seine Position bereitet die nun folgenden Ereignisse vor. Nur aufgrund seiner hohen Stellung konnte er einen Anschlag auf den König aufdecken und nur deshalb ist es verständlich, daß der Konflikt, in den Mordechai geriet, das ganze jüdische Volk bedrohte.



II. Die Juden sollen ausgerottet werden
( 2,21-4,3 )


Viele Ausleger haben bereits festgestellt, daß das Buch Ester eine großartige Kurzgeschichte ist. Ebenso wie das Buch Rut, ein anderes biblisches Buch über eine Frau, weist auch diese Erzählung alle Kennzeichen der großen Literatur auf, einschließlich eines Konfliktes, eines Gegenspielers, der Spannung und der Ironie. Im folgenden wird der Gegenspieler Haman vorgestellt, und kurz darauf wird sein Konflikt mit Mordechai geschildert.



A. Eine Auseinandersetzung und Hamans Haß auf die Juden
( 2,21-3,6 )


1. Der König wird durch Mordechai gerettet
( 2,21-23 )


Est 2,21-23


Ein weiterer Hinweis auf Mordechais Stellung im Tor des Königs (vgl. V. 19 ) als beamteter Richter beweist Gottes souveräne Kontrolle der Ereignisse. Mordechai erfuhr, daß zwei Kämmerer des Königs, Bigtan und Teresch , danach trachteten, Hand an Ahasveros zu legen. Er sagte dies der Königin Ester, die es wiederum dem König berichtete. Dabei wies sie darauf hin, daß Mordechai die Ehre zukomme, den Anschlag aufgedeckt zu haben. Die beiden Männer, die den Anschlag vorbereitet hatten, wurden an den Galgen (oder Pfosten, vgl. Est 5,14 ) gehängt. Im Gegensatz zu späteren Zeiten wurden die Männer wahrscheinlich nicht an ihrem Hals aufgehängt, sondern auf einen Pfosten aufgespießt (vgl. Esr 6,11 ). Dies war im Persischen Reich keine ungewöhnliche Hinrichtungsmethode. Von Darius, dem Vater des Xerxes, ist bekannt, daß er einmal gleichzeitig 3 000 Männer aufspießen ließ. Ein Bericht über diese Vorgänge wurde in der offiziellen königlichen Chronik schriftlich festgehalten (vgl. Est 6,1-2 ).



2. Haman wird befördert
( 3,1-6 )


Est 3,1


Haman wurde von Ahasveros in die höchste Stellung befördert. Dies geschah nach diesen Ereignissen , d. h. nachdem Mordechai den Mordanschlag aufgedeckt hatte und die beiden Männer hingerichtet worden waren. Man darf annehmen, daß Mordechai mit einer Belohnung für seinen Einsatz zugunsten des Königs rechnete. Doch er erhielt keinerlei Dank, vielleicht aufgrund von bürokratischer Schlamperei. Später überraschte und erschreckte den König diese Unterlassung (vgl. Est 6,1-3 ).

Da Haman Agagiter war, wurde vermutet, daß er von Agag, dem König der Amalekiter ( 1Sam 15,8 ) abstammte. Es ist jedoch recht unwahrscheinlich, daß ein hoher persischer Beamter von einem westsemitischen König abstammte, der 600 Jahre vor ihm lebte. Archäologen haben eine Inschrift gefunden, die zeigt, daß Agag auch der Name einer persischen Provinz war. Dies würde die Bezeichnung "Agagiter" eher erklären.


Est 3,2-4


Hamans Beförderung bedeutete, daß andere Fürsten vor ihm die Knie beugen und ihm besonderen Respekt entgegenbringen mußten. Dies war allerdings kein Akt der Anbetung, wie er von dem jungen Daniel verlangt wurde ( Dan 3,8-15 ). Da alle Großen im Tor des Königs vor Haman die Knie beugen mußten, mußten sie dies wohl auch vor dem König tun. Mordechai sagte, daß er nicht vor Haman knien werde (vgl. Est 5,9 ), weil er (Mordechai) ein Jude sei . Vermutlich war diese standhafte (tägliche ) Weigerung mehr auf seinen jüdischen Stolz als auf religiöse Bedenken zurückzuführen. Immerhin hatte Mordechai über mehrere Jahre hinweg Ester dem König nicht mitteilen lassen, daß sie eine Jüdin war ( Est 2,10.20 ). Jetzt dagegen benutzte Mordechai seine jüdische Abstammung als Entschuldigung dafür, daß er einem hohen persischen Beamten die Ehre verweigerte.



Est 3,5-6


Haman wurde voll Grimm wegen Mordechais Weigerung (vgl. Est 5,9 ) und trachtete danach, nicht nur Mordechai, sondern alle Juden zu töten. Dies war ein früher Fall von Antisemitismus. In der literarischen Struktur des Buches ist mit diesem geplanten Anschlag auf die Juden ein Höhepunkt in der Spannungskurve erreicht. (Ein zweiter Höhepunkt wird erreicht, als dieser Anschlag offenbart wird; Est 7,6 ). Wenn die Juden im ganzen Königreich des Ahasveros getötet werden sollten, schloß das die Juden in Palästina mit ein. Diese Juden waren dem Herrn treu, dienten ihm in dem wiedererrichteten Tempel und lebten nach den Verpflichtungen des Gesetzes (vgl. den Kommentar zu Esr 1-6 ). Eine Massenhinrichtung von Tausenden von Juden hätte Gottes Plan durchkreuzt. Gottes Plan kann jedoch nie durchkreuzt werden ( Hi 42,2 ). Der Herr kann alle teuflischen Pläne der Menschen durchkreuzen, manchmal durch offensichtliche Wunder, manchmal aber auch - wie in der folgenden Geschichte - durch scheinbare Zufälligkeiten. Gott greift stets ein, um sein Volk zu bewahren.

 

B. Haman überredet den König, die Juden zu vernichten
( 3,7-15 )


1. Haman wirft das Los
( 3,7-9 )


Est 3,7


Der Verfasser erwähnt, daß Haman ein Pur (ein babylonisches Wort für Los) verwendete, um zu entscheiden, wann die Juden getötet werden sollten. Diese Praxis ist uns nicht näher bekannt. Die ursprünglichen Leser des Buches waren sich darüber im klaren, daß Gott auch bei diesem Zeitplan zum Schutze seines Volkes handelte, denn der Termin ließ den Juden fast ein Jahr Zeit, um sich auf die Auseinandersetzung mit ihrem Gegner vorzubereiten.

Ester war inzwischen schon etwas mehr als vier Jahre Königin gewesen ( Est 2,16; seit 478 v. Chr.). Das Pur wurde am ersten Tag des Monats Nisan (April/Mai) zu Beginn des zwölften Jahres des Xerxes geworfen, um Tag und Monat zu bestimmen. Von " Pur " leitet sich der Name des Purimfestes ab ( Est 9,26 ). Vermutlich sollte an diesem Tag die Hinrichtung der Juden beginnen. Haman war, wie viele Bewohner des Persischen Reiches, extrem abergläubisch (vgl. Est 6,13 ). Die Religion des Persischen Reiches betonte Schicksal und Zufall. Haman gestattete durch das Werfen des Loses dem Schicksal, seine Aktionen gegen die Juden festzulegen. Er wußte nichts davon, daß der Gott, der alle Dinge erschaffen hat und alle Ereignisse der Geschichte kontrolliert, auch das Werfen des Loses bestimmt ( Spr 16,33; vgl. den Kommentar zu Apg 1,26 ). Gott hatte bereits die Werkzeuge vorbereitet, durch die sein Volk vor Hamans Verfolgung bewahrt werden sollte. Das Los fiel auf den zwölften Monat (Februar/März), ließ den Juden also fast ein Jahr Zeit. Der Tag wird später genannt ( Est 3,13 ); es war der dreizehnte des Monats (vgl. Est 8,12;9,1 ).



Est 3,8-9


Haman ging zum König, um ihm seinen Plan zu erläutern. Er klagte die Juden fälschlicherweise an, daß sie sich weigerten, nach des Königs Gesetzen zu handeln , und legte dem König nahe, daß er besser daran täte, wenn er die über das ganze Reich zerstreut lebenden Juden ausrotten würde. Er sagte, daß er bereit sei, die Kosten für die Ausführung des Dekretes selbst zu tragen. Haman muß ein Mann von ungeheurem Reichtum gewesen sein. Als der höchste persische Beamte hatte er zweifellos viele Möglichkeiten, sich zu bereichern. Zehntausend Zentner Silber wogen etwa 340 000 kg, eine ungeheure Summe, die heute Millionen von DM wert wäre. (Silber war zu dieser Zeit das Zahlungsmittel des Persischen Reiches.) Das war die überwältigende Summe, die Haman zu zahlen bereit war. Möglicherweise machte diese gewaltige Summe Haman in den Augen des Königs verdächtig. Sicherlich konnte man einen solchen Reichtum nur auf krummen Wegen erlangen. Interessanterweise ließ der König Haman am Ende das Geld nicht bezahlen (V. 11 ).



2. Der König gibt seine Erlaubnis
( 3,10-11 )


Est 3,10-11


Xerxes hatte sich wieder einmal von einem seiner Beamten beeinflussen lassen (vgl. Est 1,16-22;2,2-4 ). Er willigte in Hamans Vorschlag ein. Indem er Haman seinen (Siegel-) Ring gab, gestattete Xerxes dem Feind der Juden , Haman, einen königlichen Erlaß in alle Provinzen des Persischen Reiches zu schicken. Haman wird im Buch Ester fünfmal "Feind der Juden" genannt ( Est 3,10;7,6;8,1;9,10.24 ). Der Siegelring wurde in Ton gedrückt, und der hinterlassene Abdruck galt als persönliche Unterschrift des Königs (vgl. Est 3,12;8,2.8; 1Mo 41,42; Dan 6,18; Hag 2,23 ). Der König wies Haman darauf hin, daß er mit dem Volk tun könne, was immer er wolle. Der König wußte nicht, daß Ester eine Jüdin war und von dem abscheulichen Vorhaben mitbetroffen wäre.


3. Das Dekret wird verkündet
( 3,12-15 )


Est 3,12-15


Hamans Erlaß wurde im Namen des Königs in verschiedene Sprachen übersetzt und in alle Länder (Provinzen) geschickt (vgl. Est 1,22 ). Er forderte den Tod aller Juden einschließlich der Kinder und Frauen. Haman wollte Gottes Bundesvolk ganz und gar ausrotten. Außerdem wurden die Schergen aufgefordert, das Vermögen der Juden einzuziehen. Das Dekret wurde im März 474 v. Chr. losgeschickt. (Zur raschen Verbreitung eines Erlasses vgl. den Kommentar zu Est 1,22 .)

Die Einwohner der Stadt Susa waren über das Schreiben bestürzt (vgl. Est 8,15 ). Offensichtlich hatte es nie zuvor ein ähnliches Dekret des königlichen Hofes gegeben. Hamans Blutrünstigkeit zusammen mit der Gleichgültigkeit des Xerxes gegenüber solchen Auswüchsen war selbst in einer Gesellschaft, die mit Grausamkeiten lebte, etwas Unglaubliches. Vielleicht fragten sich auch andere Minderheiten, ob sie nicht als nächstes an die Reihe kommen würden.



C. Mordechai trauert
( 4,1-3 )


Est 4,1-3


Was immer Mordechai bewogen hatte, sich nicht vor Haman zu beugen - jetzt war seine Trauer groß. Seine Auseinandersetzung mit Haman, ganz gleich ob sie berechtigt und gesetzlich war oder nicht, hatte sein ganzes Volk in eine Krise gestürzt. Er fürchtete, Gottes auserwähltes Volk würde vernichtet, und dies wäre das Ende des göttlichen Plans. Er wußte, was für eine ungeheure Summe Haman für die Durchführung dieses Vorhabens aufwenden wollte, denn er hatte eine Abschrift des Erlasses gelesen (V. 7-8 ). Sack und Asche waren ebenso wie das öffentliche Klagen Zeichen für Trauer (vgl. 1Mo 37,34; Jer 49,3; Dan 9,3; Joe 1,13; Jon 3,6 ). Mordechai stellte sich damit öffentlich als ein Mensch in großem Elend dar. Vielleicht tat es ihm leid, daß er seine jüdische Abstammung offenbart ( Est 3,4 ) und so das Leben von Tausenden seiner Landsleute in Gefahr gebracht hatte. Überall hörten die Juden von dem Dekret und reagierten genauso wie Mordechai. Sicherlich beteten viele Juden jetzt flehentlich, auch wenn das Buch Ester dies nicht erwähnt. In der Zwischenzeit handelte Gott hinter den Kulissen, um sein Volk zu befreien.



III. Ester wendet das Unglück ab
( 4,4-9,19 )


Bisher wurde im ganzen Buch Ester nichts darüber gesagt, daß Ester und Mordechai sich durch einen starken Glauben an Jahwe auszeichneten. Doch nun wird deutlich, daß sie zumindest daran glaubten, daß Gott für sein auserwähltes Volk sorgte. Der Höhepunkt dieses Abschnittes zeigt, wie Gott sich souverän des Ineinandergreifens verschiedener Ereignisse bediente, um die Juden zu retten. Zwar wird sein Name nicht genannt, aber die Häufung scheinbarer Zufälle deutet auf sein Eingreifen hin.



A. Die Unterredung zwischen Ester und Mordechai
( 4,4-17 )


Est 4,4-8


Dieser Abschnitt handelt vor allem von Hatach , einem Kämmerer des Königs, der Ester diente. Daß Ester den König seit einem Monat nicht mehr gesehen hatte, bedeutet nicht, daß sie seine Gunst verloren hätte. Als seine Königin führte sie ein angenehmes und luxuriöses Leben und war von Dienerinnen und Kämmerern umgeben, die ihr auch von Mordechais Trauer erzählten. Sie gebot Hatac h, herauszufinden, warum Mordechai sich in der Öffentlichkeit so verhielt. Vielleicht war Ester erschrocken darüber. Möglicherweise sorgte sie sich auch um sein Wohlergehen, denn sie schickte Kleider, die er tragen sollte, damit er nicht länger in Sack und Asche zu sehen war. Esters einzigartige Stellung schloß sie offensichtlich von den normalen Wegen der Kommunikation aus, so daß sie nichts von dem Gebot über die Ausrottung der Juden wußte.

Hatach untersuchte deswegen die Sache bei Mordechai auf dem Platz vor dem Tor des Königs, und Mordechai gab ihm eine Abschrift des Dekrets, damit er sie Ester zeigen konnte. Er bat Hatach auch, Ester in allen Einzelheiten mitzuteilen, wie der Erlaß zustande gekommen war, und sie zu drängen, zum König hineinzugehen und für ihr Volk Fürbitte zu leisten. Die Worte "ihr Volk" offenbarten Hatach, daß Ester eine Jüdin war, falls er dies nicht schon vorher erfahren hatte. Wenn der König nichts anderes verfügte, mußten Ester und Mordechai zusammen mit ihrem Volk sterben.



Est 4,9-11


Esters Antwort an Mordechai war nicht ermutigend. Persische Monarchen wurden wie die Herrscher der meisten antiken Völker vor unliebsamen Besuchern geschützt. Ester erinnerte Mordechai daran, daß sie nicht einfach unangemeldet zum König hineingehen durfte und daß sie dafür getötet werden konnte. Der König hatte das Recht, jeden töten zu lassen, der ihn aufsuchte, ohne eine Einladung erhalten zu haben. Wenn der König das goldene Zepter ausstreckte, so bedeutete dies, daß ihm der Besucher, auf den er zeigte, willkommen, er mit dem Besuch einverstanden und die Person nicht mehr in Lebensgefahr war (vgl. Est 5,2 ). Da Ester seit einem Monat nicht mehr zum König gerufen worden war, wußte sie nicht, ob er ihr noch wohlgesonnen war.

 

Est 4,12-14


Mordechais Antwort an Ester ist oft für ein großes Glaubensbekenntnis gehalten worden. In Wirklichkeit aber suchte Mordechai offensichtlich Hilfe bei dem persischen Monarchen. Immerhin glaubte er, daß Gott sein Volk in irgendeiner Weise beschützen werde. Die Errettung würde von einem anderen Ort kommen, wenn Ester nicht wegen des jüdischen Elends bei Xerxes vorsprechen würde. Auch wenn Mordechai nicht als frommer Mann geschildert wird, der nach Gottes Gebot rechtschaffen handelte, hatte er doch zumindest ein Gespür für die Bundesbeziehung zwischen Gott und Israel. Er wußte, daß die Verheißung an Abraham, Mose und David nicht erfüllt werden konnte, wenn das ganze Volk ausgerottet wurde. Deshalb vertraute er darauf, daß Gott zugunsten seines Volkes einschreiten würde. Er hoffte, daß Gott Ester aufgrund ihrer königlichen Würde dazu benutzen würde, die Juden zu retten.

Mordechai machte Ester klar, daß auch sie trotz ihrer Zugehörigkeit zum Königshaus vom Tode bedroht war und nur dann überleben könnte, wenn es ihr gelänge dieses entsetzliche Vorhaben zu vereiteln. Ob Hamans Macht so groß war, daß er in den Palast hätte eindringen und die Königin hätte hinrichten lassen können, wird nicht gesagt. Mordechai sorgte lediglich dafür, daß Ester die Überzeugung gewann, sterben zu müssen, falls sie nicht handelte. Wenn der König sie wegen ihres unerwarteten Erscheinens töten ließ, so wäre dies nicht schlimmer, als wenn sie warten und dann auf Hamans Geheiß ermordet würde.



Est 4,15-17


Ester verstand die Situation nur zu gut. Zum Abschluß ihrer Antwort an Mordechai sagte sie: Komme ich um, so komme ich um ! Sie beschloß, Mordechais Wunsch zu erfüllen und zum König hineinzugehen , selbst wenn dies ihren Tod bedeutete. In diesem Abschnitt werden Ester und Mordechai wie im ganzen Buch zwar als große Patrioten des jüdischen Volkes, nicht aber als besonders fromme und gerechte Menschen dargestellt, die ganz und gar dem Herrn vertrauten Menschen, wie wir sie oft im Alten Testament finden. Es wird nicht erwähnt, daß Ester betete, auch wenn viele Ausleger meinen, ihr Fasten habe das Gebet miteingeschlossen. Ester wies Mordechai lediglich an, drei Tage lang zusammen mit den Juden von Susa zu fasten, sie selbst und ihre Dienerinnen würden das gleiche tun.

 

B. Der Anschlag wird von Ester entlarvt
( Est 5-7 )


Diese Kapitel stellen den Höhepunkt des Buches dar. Nun wendet sich alles vom Bösen zum Guten. Gottes Volk wird durch eine Verkettung von Ereignissen bewahrt, die nach normalem Ermessen unwahrscheinlich anmutet. Für den gläubigen Leser besteht kein Zweifel, daß der Herr hier souverän am Werk war und seinen Plan ausführte. Die ursprünglichen Leser im nachexilischen Palästina wurden auf diese Weise daran erinnert, daß Gott sie vor jedem Feind zu schützen vermochte, der sich ihnen entgegenstellte. Sogar die Vergeßlichkeit eines heidnischen Königs konnte Gott benutzen, um sein Volk zu erretten und zu bewahren.



1. Die Vorbereitung des Mahls
( 5,1-4 )


Est 5,1-4


Nach ihrem dreitägigen Fasten (vgl. Est 4,16 ) war Ester bereit, mit ihrer Bitte zum König zu gehen. Sie suchte ihn am dritten Tag auf, weil ein Teil des Tages bereits als ganzer Tag gezählt wurde (vgl. den Kommentar zu Mt 12,40 ). Obwohl sie den König seit mehr als einem Monat nicht gesehen hatte, fand sie Gnade vor seinen Augen , als sie unangemeldet erschien, und er streckte ihr das goldene Zepter entgegen (vgl. Est 4,11;8,4 ). Da er spürte, daß sie gekommen war, um eine Bitte vorzutragen, fragte er sie nach ihren Wünschen. Er bot ihr sogar an, ihr auch die Hälfte des Königreiches zu geben (vgl. Est 5,6;7,2; Mk 6,23 ). Diese Redewendung sollte wohl zum Ausdruck bringen, daß Ester sich wünschen konnte, was immer sie begehrte, und daß ihr jeder Wunsch erfüllt werden würde. Esters Bitte war ganz einfach: Sie bat Xerxes, mit Haman zu dem Mahl zu kommen, das sie vorbereiten wollte.


2. Die Vorbereitung des zweiten Mahles
( 5,5-8 )


Est 5,5-8


Das Mahl war vorbereitet, und Haman wurde befohlen, daran teilzunehmen, wie Ester es erbeten hatte. Es war eine ungewöhnliche Ehrung, zu einem Festmahl bei der Königin eingeladen zu werden, weil die persischen Würdenträger ihre Frauen normalerweise verborgen hielten. Als der König fragte, was ihr Wunsch sei, und ihr noch einmal bestätigte, daß er alle ihre Wünsche erfüllen werde (vgl. V. 3 ; 7,2 ), antwortete Ester, daß sie ihm dies am nächsten Tag bei einem zweiten Mahl mitteilen werde. Warum Ester nicht beim ersten Festmahl auf Hamans Anschlag zu sprechen kam, wird nicht gesagt. Vielleicht traute sich Ester nicht, dem König ihre Klage mitzuteilen. Vielleicht hatte sie inzwischen auch Zweifel bekommen, ob sie ihn überhaupt davon in Kenntnis setzen sollte. Vielleicht spürte sie aber auch, daß Xerxes an diesem Tag nicht in der richtigen Stimmung war, um ihr zuzuhören. Vom literarischen Standpunkt aus gesehen erhöht dieser Aufschub die Spannung, bevor die Geschichte ihren Höhepunkt erreicht. Wer das Buch Ester zum ersten Mal liest, muß an dieser Stelle in große Erregung geraten. Über die Reaktion des Königs auf Esters Vorschlag wird nichts berichtet, aber die Wichtigtuerei Hamans ( Est 5,12 ) beweist, daß Xerxes in Übereinstimmung mit der Königin handelte.


3. Hamans Größenwahnsinn und die Errichtung des Galgens
( 5,9-14 )


Est 5,9-14


Haman war über seinen unerwarteten Erfolg beim König und der Königin euphorisch ( fröhlich und guten Mutes; V. 9 ). Zugleich aber zürnte er Mordechai heftig, weil dieser sich immer noch weigerte, vor Haman niederzuknien (vgl. Est 3,2.5 ). Haman war so ärgerlich, daß er sich seiner guten Stellung gar nicht richtig erfreuen konnte. Um sich von seiner Wut auf Mordechai abzulenken, versammelte er seine Familie und seine Freunde und brüstete sich vor ihnen des Reichtums, den er angesammelt hatte, und der Söhne, die er herangezogen hatte (er hatte zehn Söhne; Est 9,7-10.12 ). Als ein sozialer Aufsteiger (vgl. Est 6,6 ) erinnerte er sie an seine Beförderung in das höchste Regierungsamt und setzte dem ganzen die Krone auf, indem er erzählte, daß er an zwei aufeinanderfolgenden Tagen als Ehrengast zu einem privaten Mahl geladen sei, an dem nur der König und die Königin teilnähmen. Er gab allerdings zu, daß ihn sein Reichtum und sein Ruhm wegen Mordechais Anwesenheit im Palast nicht befriedigten.

Hamans Frau Seresch und alle seine Freunde waren nicht besser als er. Sie schlugen Haman vor, einen Galgen (bzw. Pfosten) zu errichten, der fünfzig Ellen hoch sein sollte, und Mordechai daran aufzuhängen . Wenn er dies noch vor dem Festmahl tue, könne er sich unbelastet dorthin begeben. Der Galgen war vermutlich ein Pfahl zum Aufspießen, ein in der Antike weit verbreitetes Hinrichtungsmittel (vgl. den Kommentar zu Est 2,23 ). Die Höhe des Galgens diente dazu, allen, die ihn sahen, eine Lehre zu erteilen. Da der Galgen nämlich höher als alle Bäume war, konnte jeder die hingerichtete Person sehen. Dieses Schauspiel würde den Menschen deutlich machen, daß Haman alles unter Kontrolle hatte (vgl. Est 3,1 ) und niemand versuchen sollte, sich ihm in den Weg zu stellen.

Haman dachte gewiß, daß Mordechais Tod jede ernsthafte jüdische Opposition im Keim ersticken werde. Die Spannung im Konflikt zwischen Haman und Mordechai erreicht hier ihren Höhepunkt. Von nun an wird diese Spannung nach und nach durch Ereignisse gelöst, die sich bereits angekündigt haben. Während die Handlung voranschreitet, wird der Leser immer wieder an scheinbar unwichtige und vergessene Umstände erinnert, die der geschickte Erzähler zwar schon angedeutet, aber nicht hervorgehoben hat. Gott war selbst hinter einer so grausamen Handlung wie dem Errichten des Galgens souverän am Werk (vgl. Apg 2,23; 4,27-28 ).



4.Mordechai wird von Xerxes geehrt
( Est 6 )


Die Spannung, die bisher immer mehr gestiegen ist, beginnt sich nun zu lösen. Tatsachen, die zuvor nur am Rande erwähnt wurden, erhalten nun eine neue Bedeutung. Nahezu unglaubliche Umstände weisen auf Gottes Hand hin, die das Geschehen steuerte. Die Geschichte des jüdischen Volkes nahm einen völlig anderen Verlauf, weil ein heidnischer König, Hunderte von Kilometern von Jerusalem, dem Zentrum des göttlichen Wirkens entfernt, nicht schlafen konnte. Nirgends im ganzen Persischen Weltreich, am wenigsten in Palästina selbst, bemerkten die Juden etwas von dem, was Gott hinter den Kulissen vollbrachte. Doch im Lichte des Bundes Gottes mit Abraham, Mose und David konnte der Leser sehr wohl das souveräne Handeln Gottes erkennen.



Est 6,1-3


In der Nacht vor Esters zweitem Festmahl konnte der König nicht schlafen (vgl. Dan 6,19 ). Der Verfasser hatte nicht erklärt, weshalb Ester ihre Bitte erst am folgenden Tag vortragen wollte ( Est 5,7-8 ), doch nun wird der Grund offensichtlich. Gott wollte Mordechai zunächst erhöhen, damit Ahasveros darauf vorbereitet war, Haman in Ungnade fallen zu lassen. Der König forderte wegen seiner Schlaflosigkeit das Buch mit den täglichen Meldungen (die Chronik; vgl. Est 2,23 ) an, damit sie ihm vorgelesen würden. Wie die Betroffenen wissen, kann das Lesen den Schlaflosen beim Einschlafen helfen. Gott benutzte die Schlaflosigkeit des Xerxes dazu, ihn etwas über Mordechai erfahren zu lassen. Aus den vielen Texten, die vom Archivar aus der zwölfjährigen Regierungszeit des Xerxes hätten ausgewählt werden können, wurde gerade derjenige dem König vorgelesen, welcher berichtete, wie Mordechai den Anschlag gegen Xerxes aufgedeckt hatte ( Est 2,21-23 ). Außerbiblische Quellen bestätigen, daß die persischen Könige alle Vorkommnisse sorgfältig registrierten und aufbewahrten (vgl. Esr 6,1-2 ). Der griechische Historiker Herodot berichtet, daß der König es besonders deutlich vermerken ließ, wenn ihm jemand gute Dienste geleistet hatte. Als Xerxes fragte, welche Ehre Mordechai dafür erlangt habe, daß er (etwa fünf Jahre zuvor; vgl. Est 2,16 mit Est 3,7 ) das Leben des Königs gerettet hatte, fand er heraus, daß Mordechai keinerlei Lohn empfangen hatte. Offensichtlich handelte es sich um ein Versäumnis des Regierungsapparates. Hätte aber Mordechai damals sofort seinen Lohn empfangen, wäre es dem König jetzt nicht notwendig erschienen, durch den Mund Hamans einen raffinierten Plan auszuführen ( Est 6,6-10 ). Wieder einmal bewahrte Gott sein Volk durch die absonderlichsten Umstände.



Est 6,4-6


Am Morgen (vgl. Est 5,14 ) betrat Haman den Vorhof des Palastes, um darum zu bitten, daß Mordechai gehängt würde. Der König fragte, wer im Vorhof sei, und es war "zufällig" Haman. Offensichtlich wendete sich nun das Geschick. Alles, was an Bösem gegen die Juden ersonnen worden war, wurde nun in Gutes verwandelt. Was für ein Trost muß dies für die jüdischen Leser im nachexilischen Palästina gewesen sein, wenn sie an ihre unbedeutende Stellung unter den Völkern dachten. Sie konnten sich daran erfreuen, daß Gott für sie sorgte und sie weiterhin so bewahren würde, wie er es unter Xerxes getan hatte.

Als Haman zum König gerufen wurde, fühlte er sich gewiß geehrt. Und als der König ihn fragte: Was soll man dem Mann tun, den der König gern ehren will? dachte der egoistische Haman voller Freude und Begeisterung nur an sich selbst, da Xerxes doch wohl nur ihn meinen konnte.



Est 6,7-9


Haman schlug dem König mehrere Dinge vor, die man für jemanden tun sollte, den der König gern ehren wollte

1) Haman empfahl, daß ein solcher Mann wie ein König auftreten solle, indem er königliche Kleider trug und ein Roß ritt, auf dem der König zu reiten pflegte. Manche Ausleger glauben, daß es sich um einen Fehler handeln muß, wenn gesagt wird, daß das Pferd auf seinem Kopf königlichen Schmuck trägt, weil doch der Mann, nicht das Pferd, diesen Schmuck tragen sollte. Man hat aber tatsächlich ein Relief gefunden, auf dem ein Pferd eine Krone trägt, was zeigen soll, daß es sich um ein königliches Pferd handelt. Die Besserwisserei mancher Kritiker der Bibel wird wieder einmal durch die Fakten widerlegt. 2) Außerdem meinte Haman, daß der zu ehrende Mann von einem Fürsten bedient werden solle. 3) Der Fürst solle den Mann auf dessen Roß über den Platz der Stadt führen, den Weg für ihn frei machen und allen, die zuschauten, erklären, daß dies ein Mann sei, der vom König geehrt werde (vgl. 1Mo 41,42-43 ). Haman benötigte kein Geld (vgl. Est 3,9 ). Er wollte, daß die Fürsten und die ganze Bevölkerung ihn respektierten (vgl. Est 5,11 ). Obwohl er ungeheuer reich war und mehr Macht hatte als irgendwer sonst, der nicht zur königlichen Familie gehörte ( Est 3,1 ), strebte er nach noch größerem Ansehen bei den Bewohnern der Stadt. Hamans Gier nach Respektsbezeugungen (von seiten Mordechais) war der eigentliche Grund seines bevorstehenden Sturzes (vgl. Est 3,2.5;5,9.13 ).



Est 6,10-13


Hamans Vorschläge gefielen dem König, und er befahl ihm, so an Mordechai, dem Juden zu handeln. Dies ist die erste von fünf Stellen, an denen Mordechai "Jude" genannt wird ( Est 6,10;8,7;9,29.31;10,3 ), womit offensichtlich betont wird, daß ein Jude, den Haman hinrichten lassen wollte, eine herausragende Stellung in Susa und im Persischen Reich erhielt. Was für eine Wendung der Ereignisse! Welche Ironie des Schicksals für Haman! Haman mußte den Mann öffentlich ehren, dessen Todesurteil er gerade durchsetzen wollte. Er verlangte, daß Mordechai ihn respektierte, und nun sollte er selbst Mordechai Respekt erweisen. Haman mußte den Befehl des Königs ausführen, auch wenn dieser ihn noch so ärgerte oder erschreckte. Danach eilte er nach Hause, traurig und mit verhülltem Haupt, und erzählte seiner Frau Seresch und seinen Freunden , wie sich seine Geschicke gewendet hatten.

Früher hatte Mordechai öffentlich über das harte Los seines Volkes getrauert ( Est 4,1 ) - jetzt trauerte Haman privat über die Demütigung, die er selber erlitten hatte. "Wer zugrunde gehen soll, der wird zuvor stolz; und Hochmut kommt vor dem Fall" ( Spr 16,18 ). Seine Lage wurde dadurch noch verschlimmert, daß seine Freunde und seine Frau ihm prophezeiten, er werde vollends zu Fall kommen. Ihrer Meinung nach würde die jüdische Abstammung Mordechais Hamans Untergang verursachen. Wir wissen nicht genau, was sie damit meinten. Es ist bekannt, daß in der persischen Religion Omen und Zeichen einen großen Einfluß auf das tägliche Leben hatten. Das Buch Ester wendet sich polemisch gegen eine solche fatalistische Sicht. Vielen, die nicht zur Bundesgemeinschaft Israels gehörten, erschienen die Ereignisse als vom Schicksal vorherbestimmte Zufälle. Doch wer zum Volk Gottes gehört, weiß, daß Gott das Schicksal regiert und zum Guten wendet. Die heidnischen Freunde und die heidnische Ehefrau deuteten, ohne es zu wissen, die zentrale Wahrheit des Buches Ester an: Weder Haman noch irgendein anderer Mensch konnte sich gegen Gottes auserwähltes Volk, die Juden, stellen, von denen viele längst wieder ins verheißene Land zurückgekehrt waren und ihrem Gott im wiedererrichteten Tempel zu Jerusalem dienten.

 

Est 6,14


Während für ihn eine Welt zusammenbrach, mußte Haman zum zweiten Mahl der Königin Ester eilen, das er zuvor herbeigesehnt hatte, nun aber fürchtete. Sicherlich fragte er sich, was der König beim Festmahl zu ihm sagen werde.

Haman verkörpert den Prototyp eines Menschen, der sich Gott und seinem Volk widersetzt. Wie viele Autoren von Kurzgeschichten überhöhte auch der Verfasser des Buches Ester, von Gott inspiriert, seine geschichtlichen Personen zu symbolischen Figuren. Wenn das heimgekehrte Volk diesen Bericht las, konnte es in seine Geschichte zurückschauen und Beispiele für Menschen finden, die sich der Verheißung Gottes an sein Volk entgegenstellten und dabei versagten. Die Juden konnten sich daher darauf verlassen, daß Gott sie auch in Zukunft bewahren würde. Obwohl das Volk seinem Gott oft ungehorsam war und geistlich, ja manchmal sogar physisch, nicht dort stand, wo Gott es haben wollte, würde die Befreiung dennoch erfolgen.

 

5. Xerxes erfährt von dem Anschlag und läßt Haman aufhängen
( Est 7 )


Est 7,1-4


Wieviel Haman über Ester wußte, wird nicht gesagt. Wenn er von ihrer Beziehung zu Mordechai unterrichtet war, müssen die Aussichten auf den Besuch des zweiten Mahles der Königin Ester ihn umso mehr erschreckt haben. Dies ist das fünfte Festmahl, das im Buch Ester erwähnt wird. Zwei gab der König ( Est 1,3.5 ), eines die Königin Wasti ( Est 1,9 ) und zwei die Königin Ester ( Est 5,4.8 ). Während des Mahles fragte der König Ester erneut nach ihrer Bitte und versprach ihr wiederum, daß er ihr jeden Wunsch erfüllen werde (vgl. Est 5,3.6 ). Diesmal ging Ester direkt auf das Problem zu und erbat das Leben für sich und ihr Volk. Damit war Xerxes auch klar, welcher Nation sie angehörte (vgl. Est 2,10.20 ). Sie erklärte, daß ihr ganzes Volk in die Vernichtung (vgl. Est 3,13 ) verkauft worden war, womit sie meinte, daß Haman dem König ein Bestechungsgeld angeboten hatte (vgl. Est 3,9;4,7 ). Ester bewies ihre Ergebenheit, indem sie hinzufügte, daß sie den König natürlich nicht belästigt hätte, wenn die Juden lediglich in die Sklaverei verkauft werden sollten. Ihre Aussage beweist nicht nur die ungeheure Macht des Königs, sondern auch ihre im Grunde wenig einflußreiche Stellung. Ester war vermutlich sehr ängstlich, denn sie konnte ja nicht wissen, ob sie mit ihrer Bitte Gnade vor den Augen des Königs finden würde, oder ob er wie im Falle Wastis ( Est 1,12 ) in rasenden Zorn geraten würde.



Est 7,5-6


Doch diesmal wurde der König nicht zornig. Er verlangte nach Aufklärung darüber, wer Ester und ihrem Volk solches zu tun gedenke. Sicherlich spiegelte Hamans Gesicht den Schrecken wider, den er empfand, als ihm klar wurde, daß er vor dem mächtigsten Mann der Welt entlarvt werden sollte. Haman muß gewußt haben, daß das "Schicksal" nun gegen ihn arbeitete und seine Hinrichtung eine beschlossene Sache war. Ester gab bekannt, daß dieser niederträchtige Haman der Feind (vgl. Est 3,10;8,1;9,10.24 ) war.



Est 7,7-8


Jetzt wurde der König von Grimm erfüllt (vgl. Est 1,12 und vgl. Hamans Zorn bei zwei Gelegenheiten; Est 3,5;5,9 ). Weshalb der König nun den Palast verließ und in den Garten ging, wird nicht gesagt. Man hat vermutet, daß er dorthin ging, damit sein Zorn sich legte, doch angesichts seines sonstigen Verhaltens ist das recht unwahrscheinlich. Andere haben vorgeschlagen, daß er darüber nachdenken wollte, wie er Haman legal beseitigen könnte, doch auch das ist unwahrscheinlich, da jedes Wort des Königs Gesetz war. Wieder andere haben die Vermutung geäußert, daß Xerxes überlegt habe, wie er Ester und ihr Volk schonen könne. Was auch immer der Grund für sein Verhalten war - Ester und Haman blieben allein in der Halle des Festmahls zurück.

Während Haman Ester um sein Leben bat - obwohl er erkannt hatte, daß sein Unglück vom König schon beschlossen war - lag er vor dem Lager (oder Polster, vgl. Est 1,6 ), auf dem Ester ruhte. Die Perser (wie später auch die Griechen, Römer und Juden) lagen auf Polstern, während sie aßen. Genau in diesem Moment (wieder ein "Zufall" des souveränen Gottes) kehrte der König zurück und klagte Haman an, die Königin bedrängen zu wollen. Allerdings hatte Haman sie nicht angetastet, sondern war vor ihrem Lager niedergefallen. Es ist höchst unwahrscheinlich, daß Ester und Haman in der Festhalle allein waren. Ohne Zweifel waren Bedienstete und Wächter anwesend. Die Pluralform sie (verhüllten) ( Est 7,8 ) weist darauf hin, daß sich weitere Personen dort aufhielten. Nicht ganz klar ist, weshalb sie Haman das Antlitz bedeckten. Vermutlich war dies ein Zeichen dafür, daß er zum Tode verurteilt worden war.



Est 7,9-10


Harbona , einer der sieben Kämmerer (vgl. Est 1,10 ), berichtete dem König von dem Galgen, den Haman in der vergangenen Nacht hatte aufstellen lassen, um Mordechai zu töten ( Est 5,14 ). Möglicherweise war Haman bei vielen Einwohnern Susas verhaßt, vor allem in Regierungskreisen. Viele waren vielleicht froh, daß Haman getötet werden sollte. Harbona wußte offensichtlich über Hamans Plan, Mordechai zu beseitigen, Bescheid. Auf Befehl des Königs wurde Haman gefangengenommen und an seinen eigenen Galgen gehängt (d. h. aufgespießt, vgl. den Kommentar zu Est 2,23 ). Das Blatt hatte sich gewendet. Doch die Juden schwebten noch immer in größter Gefahr. Der Erlaß des Königs, sie auszurotten, war immer noch in Kraft. Aufgrund des persischen Dekretes stand wegen der niederträchtigen Handlungen eines bereits toten Mannes immer noch ein schreckliches Massaker an vielen unschuldigen Menschen bevor.



C. Die Juden werden befreit und nehmen Rache
( 8,1-9,19 )


Gott hatte in seiner Souveränität so gewirkt, daß die Juden befreit werden konnten. Nun waren die Juden an der Reihe, dafür zu kämpfen, daß sie das wiedererhielten, was ihnen gehörte. Sie mußten sich aktiv an ihrer Befreiung beteiligen. Das jüdische Volk im verheißenen Land sollte dadurch ermutigt werden, ebenfalls hart zu arbeiten, um seiner Verantwortung gegenüber Gottes Plan gerecht zu werden.



1.Mordechai erhält eine königliche Stellung
( 8,1-2 )


Est 8,1-2


Offensichtlich wurde Haman zu einem Verbrecher erklärt, da sein Vermögen konfisziert wurde. Der Fingerreif des Königs , der Haman die Autorität für sein Dekret gegen die Juden gegeben hatte ( Est 3,10 ), wurde nun Mordechai übergeben. Selbst noch nach seinem Tod wendete sich das Blatt zum Schaden Hamans. Denn Mordechai wurde jetzt dieselbe Macht übertragen, die zuvor Haman besessen hatte. Außerdem wurde das Vermögen Hamans eingezogen, nachdem er geplant hatte, das Vermögen der Juden zu konfiszieren ( Est 3,13 ). Hamans Besitz ( Haus ) wurde Ester gegeben, und diese setzte Mordechai über das Haus Hamans.



2. Ein zweites Dekret wird erlassen
( 8,3-14 )


Est 8,3-6


Da der Erlaß zur Ausrottung der Juden ( Est 3,13 ) immer noch in Kraft war, mußte etwas geschehen. Deswegen erschien Ester zum zweiten Mal ohne Einladung vor dem König (vgl. Est 5,1-2 ). Diesmal flehte sie ihn an, daß er die Bosheit Hamans und seine Anschläge zunichte mache . Wieder fand sie Gnade in den Augen des Königs, und wieder zeigte er mit dem goldenen Zepter auf sie (vgl. Est 4,11; 5,2 ).

Esters Bitte war einfach. Sie wollte, daß ein zweites Dekret ausgesandt würde, welches das erste ungültig machte. Erneut gab sie sich als Jüdin zu erkennen, denn sie sprach von meinem Volk und meinem Geschlecht (vgl. Est 7,3 ).



Est 8,7-8


Der König wies darauf hin, daß Ester und Mordechai jetzt im Besitz derselben Macht und derselben Mittel seien, die vorher Haman besessen hatte, und daß sie diese Macht zu ihrem Vorteil nutzen sollten. Hamans Dekret ließ sich zwar nicht rückgängig machen, es konnte aber durch einen anderen Erlaß modifiziert werden. Xerxes gab Mordechai sogar die Vollmacht, das Schreiben so zu formulieren, wie er es wünschte, und es durch die Verwendung des Rings (vgl. Est 3,10.12;8,2 ) mit des Königs Namen zu versehen.



Est 8,9-14


Das Dekret, das Mordechai schrieb, wurde im dritten Monat, dem Siwan (Juni/Juli) des Jahres 474 v. Chr. ausgesandt. Da dies nur etwa zwei Monate nach dem Erlaß Hamans ( Est 3,12 ) geschah, hatten die Juden neun Monate Zeit, um sich auf den Konflikt vorzubereiten, den Haman durch das Los auf den 13. Tag des 12.Monats festgelegt hatte (vgl. Est 3,7.13;9,1 ). Ebenso wie der vorige Erlaß (vgl. Est 3,12 ), wurde auch dieses Schreiben durch Reiter im ganzen Reich vom Indus bis zum Nil (vgl. Est 1,1 und den Kommentar dazu) verbreitet (vgl. Est 1,22;3,15 ) und einem jeden Volk in seiner Sprache übermittelt. Das Dekret gab den Juden die Erlaubnis, ihr Leben zu verteidigen und das Recht, jede Gruppe, die gegen sie kämpfen würde, zu vertilgen (vgl. Est 3,13;7,4 ) und auszuplündern. Die Juden durften sich den Besitz ihrer Feinde nehmen, so wie Mordechai den Besitz Hamans "weggenommen" hatte.



3. Die Freude der Juden
( 8,15-17 )


Est 8,15-17


Mordechai trug nun Kleider, die seine hohe Stellung bewiesen. Er war angetan mit königlichen Kleidern und mit einer großen goldenen Krone sowie mit einem Mantel aus Leinen und Purpurwolle . Blau und Weiß waren die königlichen Farben Persiens (vgl. Est 1,6 ). Mordechai hatte nun dieselbe Stellung und denselben Status inne, die Haman früher besessen hatte ( Est 3,1 ). Das Dekret Hamans hatte die ganze Stadt Susa "bestürzt" gemacht. Auf den Erlaß Mordechais hin jauchzte dagegen die ganze Stadt Susa und war fröhlich. Auch die Juden waren voller Freude. Sie kamen an die Macht, und das führte dazu, daß viele Heiden zu jüdischen Proselyten wurden. Alle Menschen vermochten jetzt Gottes gnädige Hand zu erkennen. Die Ereignisse wurden nicht mehr als zufällig angesehen, sondern man begann einzusehen, daß der Gott der Juden sein Volk beschützt hatte.



4. Die Juden nehmen Rache
( 9,1-19 )


Est 9,1-4


Als der für den Kampf festgesetzte Tag kam, wendete sich das Blatt gegen die Feinde der Juden. Als sich die Juden in verschiedenen Städten versammelten, um ihren Angreifern zu begegnen, erfaßte viele Heiden Furcht vor ihnen. Die Regierungsstellen halfen den Juden sogar. Die, welche die Juden angriffen, mögen gedacht haben, daß sie sich auf Kosten anderer bereichern könnten. Da sie aber keine Rückendeckung fanden, mußten ihre Pläne fehlschlagen.

Nur aufgrund des souveränen Eingreifens Gottes hatte Mordechai jetzt eine so einflußreiche Stellung inne. Er war groß am Hof des Königs und wurde immer mächtiger .



Est 9,5-15


Am Tag des Kampfes (dem 13. Tag des 12.Monats, d. h. im März 473 v. Chr.) töteten die Juden in der Festung Susa fünfhundert Mann sowie die zehn Söhne Hamans. Als der König Ester fragte, welchen Wunsch sie habe, bat sie darum, daß die Juden in Susa noch einen weiteren Tag damit verbringen dürften, ihre Häscher zu vernichten und daß man die zehn erschlagenen Söhne Hamans an den Galgen hängen solle (d. h. sie aufspießen solle; vgl. Est 2,23;7,10 ). Am zweiten Tag töteten die Juden weitere dreihundert Mann. Sie taten dies im Gegensatz zu Haman nicht um des Plünderns willen (vgl. Est 3,13 ), denn es wird dreimal darauf hingewiesen, daß die Juden die Hände nicht an die Güter der Besiegten legten ( Est 9,10.15-16 ). Häufig wurde die Frage gestellt, warum die Juden die Leichen der zehn Söhne Hamans noch einmal hängen bzw. aufspießen wollten. Dies war im Alten Orient eine durchaus übliche Praxis. Es war eine sichtbare Warnung an alle, nicht dieselben Verbrechen zu begehen wie die am Pfosten Hängenden.



Est 9,16-19


In den Ländern (Provinzen) töteten die Juden fünfundsiebzigtausend ihrer Feinde an einem Tag, doch ebenso wie in Susa legten sie die Hände nicht an die Güter der Opfer. Nur in Susa dauerte der Kampf zwei Tage. Aus diesem Grund feierten die Juden in Susa ihren Sieg am fünfzehnten Tage (nach den Kämpfen am dreizehnten und vierzehnten Tage) des zwölften Monats, während die Juden in den Dörfern der Provinzen am vierzehnten Tag (nach dem Kampf am dreizehnten Tage) ihr Freudenfest veranstalteten.



IV. Die Einsetzung des Purimfestes
( 9,20-32 )


Est 9,20-22


Das Purimfest war nicht im mosaischen Gesetz enthalten. Es wurde von Mordechai (V. 20-28 ) und Ester (V. 29-32 ) eingesetzt. Das zweitägige Fest erinnerte an die Güte Gottes, der durch eine Reihe besonderer Ereignisse und Umstände sein Volk vor der Ausrottung bewahrt hatte. Mordechai erließ ein Dekret, wonach alle Juden dieses Fest jährlich mit Festmählern, Freude (vgl. Est 8,17 ), Geschenken und Gaben an die Armen feiern sollten.


Est 9,23-32


Das Fest wurde Purim genannt (V. 26 ), weil Haman das Pur , also das Los geworfen hatte, um den Zeitpunkt der Ausrottung festzusetzen ( Est 3,7 ). Das Pur wurde zum Symbol dafür, daß Gott die Umstände benutzte, um sein Volk zu erlösen.

Ester verfaßte zusammen mit Mordechai ein zweites Schreiben, welches bestätigte, daß die Juden dieses Fest feiern sollten ( Est 9,29-32 ). Im Gegensatz zu dem Dekret Hamans waren die Schreiben, die sie an alle Juden in dem riesigen Reich richteten, mit Grußworten des Friedens und der Treue (oder Sicherheit) versehen. Eine Abschrift des Briefes wurde im königlichen Archiv aufbewahrt (vgl. Est 2,23;6,1; 10,2 ).



V. Die Größe Mordechais
( Est 10 )


Est 10,1-3


Das Buch schließt mit einer Beschreibung der Macht des Königs Xerxes. Wichtiger ist jedoch der Hinweis auf den Ruhm Mordechais, der einst ein verhaßter Jude gewesen war, im letzten Vers des Buches Ester. Er wurde vom König ausgezeichnet und von den Juden geehrt. Er war ihr großer Patriot, weil er für sein Volk Gutes suchte und sich bei Xerxes für sie einsetzte. Es ist allerdings wichtig, daß das Buch Ester nirgends sagt, daß Mordechai ein rechtschaffener Jude war, der sorgfältig das Gesetz beachtete. Manche haben bezweifelt, daß ein Jude im Persischen Weltreich eine solche Stellung einnehmen konnte. Es ist jedoch bekannt, daß die Angehörigen vieler fremder Völker völlig in die Kultur und das Leben des Reiches integriert und somit assimiliert waren (vgl. auch Daniels Stellung; Dan 5,29; 6,3-4.29 ).

Wenn die ursprünglichen jüdischen Leser diese Erzählung lasen, mußte es sie betroffen machen, wie oft sie Gott in seiner Souveränität beschützt hatte, ohne daß sie etwas davon merkten. Im Buch Ester geschehen viele Dinge, die sich der Kontrolle des Menschen entziehen, dafür aber der Kontrolle Gottes unterstehen, welcher die Geschicke lenkt. Das Buch Ester ist voller Ironie und voll von Beispielen dafür, wie Gott den Dingen oft eine unerwartete Wendung zugunsten seines Volkes gab. Die Königin Wasti wurde gestürzt, damit die Jüdin Ester Königin werden und ihr Volk iwn Schutz nehmen konnte. Haman, der in die höchste Stellung aufgestiegen war, wurde gestürzt, während Mordechai und die Juden, die einst verhaßt waren, erhöht und geehrt wurden. Ein Dekret, das die Ausrottung der Juden anordnete, wurde durch einen Erlaß ersetzt, der zur Vernichtung von nahezu 76 000 Feinden der Juden führte. Kein Wunder, daß das Purimfest jedes Jahr mit großer Freude gefeiert wurde und wird! Es erinnert die Juden daran, daß Gott alles unter Kontrolle hat und ermahnt sie, ihrem Herrn die Treue zu halten und ihm allein zu dienen.



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