Habakuk (J. Ronald Blue) EINLEITUNG Mutter Erde mag, von einem Satelliten aus
betrachtet, wundervoll aussehen, doch unten auf dem staubigen Globus
macht alles einen recht traurigen Eindruck. Ständige Unruhen,
zunehmender Terrorismus, wachsende Umweltverschmutzung, immer größere
Tragödien, nie dagewesene seelische Erschütterungen, immer schwerere
Heimsuchungen und beispiellose Spannungen werfen dunkle Schatten auf die
Erdbewohner. Die Welt gleicht mehr und mehr einer bedrohlichen schwarzen
Kugel mit fast herabgebrannter Zündschnur - einer zischenden Zeitbombe
kurz vor der Explosion. Es nimmt also kaum wunder, daß denkende Menschen
beginnen, Fragen zu stellen. Warum gibt es so viel Unterdrückung? Warum
all die Ungerechtigkeit? Warum sind böse Menschen reich? Warum müssen
die Guten leiden? Warum unternimmt Gott nichts? Warum bringt er keine
Ordnung in das ganze Durcheinander? Warum? Warum? Warum? Diese drängenden Fragen sind jedoch keineswegs neu.
Jahrhunderte, bevor Christus auf diesen Planeten kam, sah ein Prophet
auf all die Grausamkeit und Bosheit um sich herum und schrie zu Gott:
"Warum läßt du mich Bosheit sehen und siehst dem Jammer zu? Warum siehst
du ... den Räubern zu und schweigst, wenn der Gottlose den verschlingt,
der gerechter ist als er?" ( Hab 1,3.13 ). Der Prophet fragte nicht nur
nach dem geheimnisvollen "Warum?", das die Menschheit quält, er erhielt
auch eine Antwort . Die Antwort, die der Schöpfer des Universums ihm
gab, ist in dem kleinen Buch Habakuk sorgsam aufgeschrieben. Habakuk ist ein einzigartiges Buch. Die anderen
Propheten überbrachten den Menschen eine Botschaft Gottes - Habakuk
sprach mit Gott über die Menschen. Die meisten Propheten des Alten
Testaments verkündigten das göttliche Strafgericht - Habakuk aber rief
nach Gottes Schiedsspruch. Anders als die übliche Anklageschrift ist
dieses kleine Buch ein fesselnder Dialog zwischen einem zutiefst
verwirrten Propheten und seinem Schöpfer. Dabei handelt es sich hier nicht etwa um ein
beiläufiges Interview mit Gott - Habakuk geht weit darüber hinaus. Im
ersten Kapitel entwickelt sich das Zwiegespräch . Im zweiten folgt, als
Antwort auf die Klagen des Propheten, das Gebot des Herrn: "Schreib auf,
was du geschaut hast" ( Hab 2,2 ). Gottes Erklärung enthält ein relativ
langes Klage- oder Spottlied mit fünf Weherufen über die gottlosen
Babylonier. Das dritte Kapitel schließlich gipfelt in einer großartigen
Doxologie , einem Lobgesang. Dem immerwährenden "Warum?" steht ein
immerwährendes "Wer!" gegenüber. Der Blick nach vorn mag zwar Schrecken
verursachen, doch der Blick nach oben gibt Zuversicht. Klage und Furcht
des Propheten lösen sich auf in Glauben und Vertrauen. Damit ist der
Kern von Habakuks Botschaft ausgesprochen: "Der Gerechte aber wird durch
seinen Glauben leben" ( Hab 2,4 ). Autor Wir wissen wenig über den Propheten Habakuk. Das
Buch nennt nur seinen Beruf und seinen Namen, der zu vielen Vermutungen
Anlaß gegeben hat. Die meisten Forscher führen ihn auf das hebräische
Verb HABaq , "die Hände falten, umarmen", zurück. Doch ist das aktivisch
oder passivisch gemeint? Ist er der "Umarmende" oder der "Umarmte"?
Luther deutet das Wort aktiv - in seinen Augen umarmt Habakuk sein Volk,
um es zu trösten und zu stärken. Nach Jerome "umfaßt" Habakuk das
Problem der göttlichen Gerechtigkeit in einer gottlosen Welt. Andere
geben der passivischen Bedeutung den Vorzug - danach wird Habakuk von
Gott als sein Kind und Bote umarmt. Erst kürzlich wurde in der
akkadischen Literatur, in Texten aus Mesopotamien, das Wort ]ambaququ
gefunden, wahrscheinlich die Bezeichnung einer Gartenpflanze. Daraus
folgern manche Wissenschaftler, daß der Name des Propheten ein Beweis
für den Einfluß Assyriens und Babylons auf Israel ist oder daß Habakuk
aus einer israelitisch-assyrischen Mischehe stammte. Was immer sein Name bedeuten mag - Habakuk war ein
Prophet. Die Überschriften der anderen prophetischen Bücher enthalten
meist bestimmte Hinweise oder Informationen: den Namen des Vaters des
Propheten ( Jes 1,1 ), die Namen der Könige, in deren Regierungszeit er
lebte ( Hos 1,1 ), oder seine Heimatstadt ( Am 1,1 ). Nur drei Verfasser
des Alten Testaments werden jedoch als "Propheten" bezeichnet: Habakuk,
Haggai und Sacharja. Habakuk ist also der einzige präexilische Prophet,
der als solcher vorgestellt wird. Obwohl Habakuk ausdrücklich ein Prophet genannt
wird, weist sein Buch im Stil eher Ähnlichkeit mit den Psalmen oder
anderen Lehrbüchern auf. Die Schlußbemerkung "Vorzusingen, beim
Saitenspiel" ( Hab 3,19 ) legt die Annahme nahe, daß er Musiker in der
levitischen Priesterschaft war. In den apokryphen Stücken zum Buch
Daniel (Bel und der Drache) wird Habakuk als der Sohn Jeschuas, vom
Stamme Levi, bezeichnet. Es handelt sich dabei um eine Sage, nach der
dem Propheten angeblich von einem Engel befohlen wurde, Daniel, der ein
zweites Mal in die Löwengrube geworfen worden war, eine Mahlzeit zu
bringen. Als Habakuk sich beklagte, daß er den Ort nicht kenne, soll der
Engel den Propheten am Schopf gepackt haben und mit ihm zu Daniel
geflogen sein. In der rabbinischen Tradition gilt Habakuk als der
Sohn der in 2Kö 4 erwähnten schunemitischen Frau, den Elisa vom Tode
auferweckte. Diese Theorie stützt sich anscheinend lediglich auf die
Bedeutung von Habakuks Namen, "umarmen", und auf Elisas Worte an die
Schunemiterin, sie werde übers Jahr einen Sohn umarmen ( 2Kö 4,16 ). Ungeachtet all dieser Mutmaßungen und Spekulationen
steht jedoch eines fest - und vielleicht genügt das ja auch: Habakuk war
ein offiziell ordinierter Prophet, der am liturgischen Tempelgesang
teilnahm. Er war feinfühlig und hochgebildet, und sein literarischer
Stil weist ihn ebensosehr als Dichter wie als Propheten aus. Vor allem
aber war er Gottes erwählter Knecht, der eines der eindringlichsten
Bücher des Alten Testaments schrieb. Datierung Es gilt als allgemein akzeptiert, daß die Erwähnung
der Chaldäer (d. h. Babylonier) in Hab 1,6 darauf schließen läßt, daß
das Buch im 7. Jahrhundert entstanden ist. Über die genauere Datierung
der Prophezeiung bestehen jedoch unterschiedliche Ansichten. Die
vorgeschlagenen Daten fallen in drei Zeitabschnitte: die Regierungszeit
Manasses (697-642), Josias (640-609) oder Jojakims (609-598). Die Forscher, die Habakuks Prophezeiung in die Zeit
Manasses legen, vertreten die These, daß die Aussage von Hab 1,5 : "Denn
ich will etwas tun zu euren Zeiten, was ihr nicht glauben werdet, wenn
man davon sagen wird", auf die Zeit vor Babylons Aufstieg zur Weltmacht
deutet. Es handelte sich demnach um den Zeitraum vor der Schlacht von
Karkemisch im Jahr 605 v. Chr., in der Nebukadnezar Pharao Necho II. von
Ägypten besiegte und Babylon zu der mächtigen, nach der Weltherrschaft
strebenden Nation wurde. Dies war wahrscheinlich auch vor der Zerstörung
Ninives durch die Babylonier im Jahre 612 v. Chr. Wenn sich Habakuks
Prophezeiung ( V. 5 ) jedoch wirklich erfüllte, als Jerusalem in die
Hände der Babylonier fiel (586 v. Chr.), wurde das Buch mit Sicherheit
nicht am Anfang der Regierungszeit Manasses geschrieben. Es heißt im
Text, daß die Prophezeiung "zu euren Zeiten" (V. 5 ) in Erfüllung gehen
soll. Die Menschen aus der Anfangszeit der Regierung Manasses wären aber
zu diesem Zeitpunkt höchstwahrscheinlich schon gestorben gewesen. Die Datierung in die Spätzeit von Manasses
Herrschaft oder in die Regierungszeit Josias scheint zeitlich recht gut
zu passen. Doch andererseits deutet Habakuks Klage (V. 2 - 4 ) auf eine
Zeit in der Geschichte Judas, in der Gesetzlosigkeit und Grausamkeit
herrschten. Habakuks schreckliche Beschreibungen lassen sich schlecht
mit den Reformen in der Spätzeit Manasses ( 2Chr 33,15-16 ) und dem
umfangreichen Reformwerk Josias ( 2Chr 34 ) in Verbindung bringen. Dagegen scheint es sehr plausibel, die
Ungläubigkeit, von der Hab 1,5 spricht, als Reaktion auf die
Ungeheuerlichkeit aufzufassen, daß Gott ein so sündiges Volk wie die
Babylonier dazu benutzt, Israel zu richten - und nicht als Überraschung,
daß ein bis dahin unbekanntes Volk zu so großer Macht gelangt. Denn daß
die Macht der Babylonier bereits bekannt war, wird durch Habakuks
Beschreibung in den Versen 7 - 11 belegt. Der Zeitpunkt der Entstehung
des Buches liegt daher höchstwahrscheinlich zwischen 606 und 604 v.
Chr., irgendwann um die Zeit von Babylons Sieg in der Schlacht von
Karkemisch (605). Das Umfeld Habakuk schrieb in einer Zeit internationaler
Krisen und nationaler Korruption. Babylon hatte gerade seinen Anspruch
als Weltmacht geltend gemacht. Als es sich gegen Assyrien wandte, waren
die Assyrer gezwungen, alle ihre Kräfte zur Niederschlagung des
babylonischen Aufstandes zu mobilisieren, und Juda fand eine kurze
Erholungspause. In diese Zeit fallen die Reformen Josias. Schließlich
gelang es den Babyloniern jedoch, das assyrische Reich zu zerschlagen,
und kurz darauf besiegten sie auch das einst so mächtige Ägypten. Ein
neues Weltreich erstreckte sich über die Erde, das schon bald auch Juda
erobern und seine Bewohner ins Exil führen sollte. Am Vorabend dieser
drohenden Vernichtung, in einer Zeit der Unsicherheit und Angst, schrieb
Habakuk seine Botschaft. Nahm die Krise auf internationaler Ebene auch
ernste Formen an, so wog doch die nationale Verdorbenheit fast noch
schwerer. In Juda gärten Unruhen. Josia war ein guter König gewesen. Als
er starb, kam sein Sohn Joahas auf den Thron. Doch innerhalb von nur
drei Monaten marschierte der König von Ägypten in Juda ein, setzte
Joahas ab und übergab den Thron dessen Bruder Jojakim. Jojakim war böse,
gottlos und widerspenstig ( 2Kö 23,36-24,7; 2Chr 36,5-8 ). Kurz nachdem
er an die Macht gelangt war, schrieb Habakuk seine Klage über den
Verfall, den Frevel, die Gier, die Machtkämpfe und die pervertierte
Rechtsprechung, die ihn umgaben. Es erstaunt nicht, daß Habakuk angesichts all
dieser Verdorbenheit fragte: "Warum tut Gott nichts?" Auch heute, in
einer Welt zunehmender internationaler Krisen und Korruption, stellen
gottesfürchtige Männer und Frauen ähnliche Fragen. Überall in der Welt
erheben sich die Völker gegeneinander, und in der Heimat nimmt die Sünde
überhand. Während sie von Frieden sprechen, richten die Weltmächte
ständig mehr und schrecklichere Nuklearwaffen aufeinander. Der dritte
Weltkrieg scheint unmittelbar bevorzustehen.
Die Bühne ist bereit für den globalen Holocaust,
doch das arglose Publikum daheim pfeift sich eins. Das moralische
Empfinden des Volkes wird ausgelöscht durch eine "Playboy-Philosophie",
die das persönliche Vergnügen zur Lebensmaxime erhebt. Die Menschen
jagen dem Genuß nach, währendFamilien auseinanderbrechen. Der Aufstieg
der Kriminalität geht einher mit dem Niedergang der Kirche. Süchte,
Scheidungen und Ausschweifungen sind an der Tagesordnung, es gibt keinen
Anstand mehr. Die Frivolität tanzt auf den Straßen. Der Glaube ist tot.
Die Aussage "Im Bewußtsein seiner (des Volkes) Verantwortung vor Gott"
ist zur nichtssagenden Präambel des Grundgesetzes geworden. In eine solche Welt der Krisen und des Chaos fallen
Habakuks klare Worte. Dieses kleine Buch ist so aktuell wie die
Morgenzeitung. Die Botschaft In den dunklen Tagen der Regierungszeit Jojakims,
kurz vor dem babylonischen Exil, schrieb der Prophet Habakuk eine
ungewöhnliche Botschaft der Hoffnung und Ermutigung für Gottes Volk. In
Zeiten der Sünde wird alles wirr und zweifelhaft, doch die Begegnung mit
Gott kann die Fragen in Frömmigkeit und alle Verwirrung in Vertrauen
verwandeln. Habakuks Buch beginnt mit einer Frage an Gott, und
es endet mit einem Bekenntnis. Angst wird zu Anbetung, Furcht zu
Vertrauen. Entsetzen wandelt sich in getroste Erwartung, Hinhaltung in
Hoffnung. Leid löst sich auf in Liebe. Was mit einem Fragezeichen begann, endet mit einem
Ausrufezeichen. Die Antwort auf Habakuks "Warum?" ist "Wer!" Seine
Verwirrung - "Warum all der Streit?" - löst sich, als er begreift, wer
alles beherrscht: Gott! GLIEDERUNG I. Ein Zweigespräch mit Gott: Die Vorhersehung der
Strafe Gottes für Juda ( Kap. 1 ) A. Habakuk Verzagtheit ( 1,1-4 ) 1. Warum ist Gott gleichgültig gegenüber
dem Gebet? ( 1,1-2 ) 2. Warum ist Gott unempfindlich gegenüber
der Sünde und dem Leid? ( 1,3-4 ) B. Gottes Enthüllung ( 1,5-11 ) 1. Gottes Bestrafungsabsicht ( 1,5 ) 2. Gottes Bestrafungswerkzeug ( 1,6-11 ) C. Habakuks Verzweiflung ( 1,12-17 ) 1. Warum benutzt Gott als Werkzeug ein
Volk, in dem die Gemeinheit herrscht? ( 1,12-13 ) 2. Warum toleriert Gott ein Volk, in dem
die Gesetzlosigkeit herrscht? ( 1,14-15 )
3. Warum entschuldigt Gott ein Volk, in
dem der Götzendienst herrscht? ( 1,16-17 )
II. Ein Klagelied von Got; Die Verkündigung der
Zerstörung Babylons ( Kap. 2 ) A. Habakuks Ausschau: "Ich schaue" ( 2,1 ) B. Gottes Anweisung: "Schreib auf" ( 2,2-5 ) 1. Gottes Offenbarung ist deutlich ( 2,2
) 2. Gottes Offenbarung ist gewiß ( 2,3 ) 3. Gottes Offenbarung ist radikal ( 2,4-5
) C. Habakuks Aufzeichnung: "Wehe" ( 2,6-20 ) 1. Wehe über die Schreckensherrschaft (
2,6-8 ) 2. Wehe über die üermessenheit ( 2,9-11 ) 3. Wehe über das Unrecht ( 2,12-14 ) 4. Wehe über die Schamlosigkeit ( 2,15-17
) 5. Wehe über die Abgötterei ( 2,18-20 ) III. Ein Lobgesang für Gott: Die Verherrlichung der
Schöpfung Gottes ( Kap.3 ) A. Habakuks Bitte um Barmherzigkeit ( 3,1-2 ) B. Gottes mächtige Majestät ( 3,3-15 ) 1. Gottes Ankunft ( 3,3 a) 2. Gottes Erscheinung ( 3,3 b. 4 - 7 ) 3. Gottes Taten ( 3,8-15 ) C. Habakuks getroster Glaube ( 3,16-19 ) AUSLEGUNG I. Ein Zwiegespräch mit Gott: Die Vorhersehung der
Strafe Gottes für Juda ( Hab 1 ) Der Prophet war zutiefst verunsichert. Bosheit und
Gewalt schienen sich ungehindert zu entfalten. Würde der immer mehr um
sich greifenden Sünde kein Einhalt geboten werden? Habakuk wandte sich
mit seiner Klage an Gott: "Warum tust du nichts?" Gott antwortete: "Ich
tue etwas. Juda wird von Babylon bestraft werden." Das verstörte den
Propheten erst recht . Sein Kummer verwandelte sich in tiefe
Ausweglosigkeit. Deshalb setzte er sein Gespräch mit Gott fort und
fragte weiter: "Warum benutzt du diese abscheulichen babylonischen
Barbaren, um Juda zu strafen?" A. Habakuks Verzagtheit ( 1,1 - 4 ) 1. Warum ist Gott gleichgültig gegenüber dem Gebet? ( 1,1 - 2 ) Hab 1,1 Es wirkt kaum überraschend, daß das Buch den Titel
trägt: " Dies ist die Last, die der Prophet Habakuk geschaut hat. " Der
Prophet selbst nennt seine Schrift eine maRRA? , eine "Last". Dieses
hebräische Substantiv stammt von einem Verb, das "emporheben" heißt, und
bezeichnet folglich "das, was emporgehoben wird" und damit eine "Last"
ist. Habakuks Botschaft ist wirklich schwer. Das Wort " maRRA? " wird
allerdings nicht immer zur Einleitung bedrückender Botschaften benutzt;
es steht z. B. auch vor den gar nicht bedrohlichen Aussagen von Spr 30
und Spr 31 (Luther übersetzt hier: "die Worte Agurs ... aus Massa"; Spr
30,1 bzw. "die Worte ... des Königs von Massa"; Spr 31,1 ). Doch wenn
jemals ein Mensch eine schwere Botschaft zu überbringen hatte, dann der
Prophet Habakuk. Wörtlich übersetzt lautet der Titel: "Die Last, die
der Prophet Habakuk schaute." Dieselben beiden hebräischen Wörter,
"Last" und "schaute", finden sich auch in Jes 13,1 .Das Wort "sah" (
HAzCh ) bedeutet bei den Propheten häufig "in einer Vision sehen" (vgl.
Jes 1,1; 2,1; Hes 12,27; Am 1,1; Mi 1,1 ). Weil Gott ihnen Einblicke in
die Zukunft (d. h. "Visionen", HAzNn ) gewährte, wurden sie manchmal
auch seine "Seher" ( HOzeh ) genannt. Hab 1,2 Der Kummer, den der Prophet schon so lange mit sich
herumtrug und der nun zu diesem wilden Ausbruch der Klage führte,
mündete in zwei große Fragen. Er möchte wissen, warum Gott so
gleichgültig erscheint: Warum hört Gott nicht? Und er will wissen, warum
Gott so unempfindlich erscheint: Warum hilft Gott nicht? Habakuks Worte " Wie lange? " zeigen, wie sehr es
ihn quält, daß Gottes Anwort anscheinend so lange auf sich warten läßt.
Vielen Christen geht es heute ebenso. Sie fragen sich, warum Gott zu
schweigen scheint, wenn sie beten. Wie mehrere andere Psalmisten (David:
Ps 13,1-3; 22,2.12.20-22 ; Asaf: Ps 74,1-2.10-11 ; die Söhne Korach: Ps
88 ) trat Habakuk vor Gott, um ihm seine Sorgen und die Sorgen seines
Volkes zu klagen. Er beschrieb die Ungerechtigkeit, von der er umgeben
war, und fragte dann: "Wie lange?" ( Hab 1,2 ) und "Warum?" (V. 3 ).
Noch einmal, etwas später, gebrauchte er dieselben Worte: "Warum?" (V.
13 ) und "Wie lange?" ( Hab 2,6 ). Dieser Prophet hatte mehr von einem Sänger als von
einem Seher. Der israelitische Gottesdienst kannte leidenschaftliche
Hilferufe zu Gott in Zeiten der Verzweiflung. Israel brachte seine
Beschwerden normalerweise nicht in "Leserbriefen" vor. Es richtete seine
Bitten im Gottesdienst direkt an Gott. Aber Habakuk ging es nicht nur
darum, daß seine Hilferufe ungehört verhallten, sondern auch um das
ungestörte Weiterwuchern der Verderbnis. Er rief zu Gott: Frevel , doch
Gott schien nicht zu reagieren. Das ausdrucksvolle Wort "Frevel" faßt
das ganze Chaos, das Habakuk um sich herum sah, zusammen. Es erscheint
immer wieder ( Hab 1,2; 2,17 ) wie Tintenflecke auf einer zerknitterten
Seite im Buch der Geschichte. 2. Warum ist Gott unempfindlich gegenüber der Sünde
und dem Leid? ( 1,3 - 4 ) Hab 1,3 Die Sünde nimmt überhand, und Gott scheint
gleichgültig und untätig. Habakuk hält Gott sein Verhalten mit der
eindringlichen Frage vor: " Warum läßt du mich Bosheit sehen? " Dann
fragt er sogar: " Warum siehst du dem Jammer zu? " Gott läßt Habakuk
Zeuge all der Ungerechtigkeit (wörtlich: des "Unrechts") werden, doch er
selbst toleriert (wörtlich: "sah zu") ebendieses Unrecht. Es ist schlimm
genug, daß ein schwacher Sünder das Böse mitansehen muß. Aber daß der
gerechte Gott das Böse sieht und nichts dagegen unternimmt, ist
unbegreiflich (vgl. V. 13 ). Es ist wirklich ein trauriges Bild. Raub und Frevel
sind vor mir; es geht Gewalt vor Recht (vgl. "Frevel" in Hab 2,8.17 ).
Die Wörter "Raub" bzw. "Gewalt" ( SOD , "gewaltsame Handlung, die Elend
hervorruft") und "Frevel" ( HAmAs , "Bosheit, die den anderen verletzen
soll") treten häufig gemeinsam auf (z. B. Jer 6,7; 20,8; Hes 45,9 :
"Frevel und Gewalttat"; Am 3,10 : "Frevel und Raub"; an jeder dieser
beiden Stellen stehen die Wörter im Hebräischen im Vergleich zu Hab 1,3
in umgekehrter Reihenfolge). Sie geben ein anschauliches Bild von
Israels Zustand. Hab 1,4 Das Schlimmste war jedoch, daß die Menschen Gottes
Gesetz mißachteten: Darum ist das Gesetz ohnmächtig (wörtlich: "wird
kalt, gelähmt"). Das göttliche Gesetz schien eine vernichtende
Niederlage erlitten zu haben. Aber auch das menschliche Recht, die
rechte Sache , konnte, wie Habakuk sagt, nie gewinnen bzw. kam gar nicht
erst zum Zuge (vgl. "Frevel" in V. 3 ). Die Schlechtigkeit schien als
unbestrittener Sieger hervorzugehen. Der Gottlose übervorteilt den
Gerechten . Die Rechtschaffenen wurden eingesperrt, und ihre schlimmen
Bewacher warfen den Schlüssel fort. Deshalb ergingen verkehrte Urteile
(von ZAqal , "aus der Form bringen"; das Wort steht im Alten Testament
nur an dieser Stelle). Da die Schlechten die Macht hatten, wurde das
Recht gedreht und gewendet, bis es zu Unrecht wurde! In Habakuks Zeit
lebte man gefährlich. B. Gottes Enthüllung ( 1,5 - 11 ) Obwohl der Prophet eine Klage anstimmte, wie er sie
von den Juden schon oft gehört hatte, und obwohl er im Grunde nur
rhetorische Fragen stellte, antwortete Gott ihm. Er war weder
gleichgültig noch unempfindlich. Er war nicht untätig; er hatte bereits
einen besonderen Plan zur Bestrafung Judas und offenbarte diesen Plan
nun dem bekümmerten Propheten. 1. Gottes Bestrafungsabsicht ( 1,5 ) Hab 1,5 " Schauet hin unter die Heiden, sehet und
verwundert euch! " lautete Gottes Antwort. Der Wechsel des Sprechers
wird an den Verben "schaut hin" und "sehet", die im Hebräischen den
Plural der zweiten Person, "ihr", bei sich tragen, deutlich. Gott
spricht hier zum Propheten und auch zum Volk. Habakuk hatte sich
beklagt, daß er soviel Unrecht mitansehen mußte. Doch sowohl der Prophet
als auch das Volk litten an Myopie: Sie waren einfach zu kurzsichtig.
Gott wies sie an, den Blick über die unmittelbar vor ihnen liegenden
Mißstände hinaus, auf die internationalen Aussichten zu richten. Sie
sollten eine Weltsicht entwickeln, die auch "die Heiden" miteinschloß.
Wenn sie das könnten, wärensie verwundert . Die politischen
Entwicklungen, die Habakuk und dem Volk enthüllt werden sollten, würden
sie starr vor Staunen machen (das Verb tAmCh bedeutet "verblüfft,
verwirrt oder sprachlos sein"). Habakuk war in der Tat sprachlos (V.
12.17 ). Was Gott vorhatte, war kaum zu glauben , selbst dann nicht,
wenn Gott selbst es offenbarte. 2. Gottes Bestrafungswerkzeug ( 1,6 - 11 ) Judas Sünde sollte nicht ungestraft bleiben. Das
Recht war nicht tot, und es schlief auch nicht. Die Strafe kam; sie war
auf dem Weg. Doch nicht die Strafe, die das Volk erwartete, rief
Erstaunen und Entsetzen hervor, sondern diejenigen, die die Strafe
vollziehen sollten. Nicht die kommende Bestrafung war schwer zu glauben,
sondern das Instrument der Bestrafung schien so unglaublich. a. Die Vernichtung durch die Babylonier ( 1,6 ) Hab 1,6 Die Nachricht schlug ein wie eine Bombe: " Ich will
die Chaldäer erwecken. " Zugegeben, die Sünde herrschte bereits zu lange
in Juda. Doch im Vergleich mit den barbarischen Babyloniern waren die
Sünder in Juda Heilige - allenfalls leicht angeschmutzte Heilige.
Babylon war ein Volk, das für seine Gewalttätigkeiten bekannt war. Seine
Bewohner begingen Grausamkeiten, ohne nachzudenken und ohne zu bereuen.
Die historischen Berichte schildern die Babylonier als ein wildes,
erbarmungsloses und rohes Volk. Gott bestätigte Habakuk diese Tatsache,
er bezeichnete sie als ein grimmiges ( mar , "rauh, bitter", d. h.
unerbittlich) und schnelles Volk . Auch Hesekiel nannte Babylon ein
grimmiges Volk (er gebrauchte allerdings das hebräische Wort ZArIQ ,
"schreckenerregend", von Luther mit "gewalttätig" übersetzt: Hes
28,7;30,11; 31,12; 32,12 ). Ihr Verhalten entsprach ihrem Charakter.
Soweit die Erde reichte, plünderten und raubten sie. Damit war
zweifellos ein Großteil der damals bekannten Welt gemeint, denn die
Babylonier eroberten viele Länder, unter anderem Assyrien, Juda, Ägypten
und Edom. Juda war nur ein Häuflein Staub vor diesem gigantischen
Staubsauger. b. Die Beschreibung der Babylonier ( 1,7 - 11 ) Die Babylonier, auch als Chaldäer bekannt, lebten
im Süden Mesopotamiens. Jeremia nannte sie "ein uraltes Volk" (5,15),
ein Urvolk. Abraham war von Ur in Chaldäa nach Kanaan gezogen. Gott
hatte ein Volk aus der zunehmend grausamer werdenden Bevölkerung
herausgerufen. Jetzt brachen diese Heiden aus dem Tal des Euphrat und
Tigris hervor und ergossen sich gleich einem furchtbaren Lavastrom über
die Welt. Ihr ruhiger, kleiner Vetter Juda sollte bald überrollt werden. (1) Ihr Status Hab 1,7 Babylon besaß offensichtlich keine Konkurrenten.
Dieses grausame und schreckliche Volk gebietet und zwingt, wie es will .
Es hob sich selbst auf den Schild. Babylon erkannte kein Gesetz und
keinen Richter über sich an; seine Überlegenheit und Autorität gründeten
sich allein auf seine eigenen grausamen Eroberungen. Hab 1,8 (2) Ihre Schnelligkeit In anschaulichen und furchterregenden Bildern
beschreibt Gott den Feind als ein Volk, dessen Pferde schneller als die
Panther und bissiger als die Wölfe am Abend sind. Sowohl Panther als
auch Wölfe sind wilde und schnelle Tiere, ausgezeichnete Jäger. Am Abend
sind die Wölfe hungrig und streifen auf der Suche nach Beute umher. Aber
auch mit der ungeheuren Schnelligkeit, mit der die Adler zum Fraß eilen
, wird die Eroberungsgier der Babylonier verglichen. Bei diesen "Adlern"
handelte es sich wahrscheinlich um Geier ( neSer ), und zwar um den
großen Weißkopfgeier, einen majestätischen Vogel, den man in Palästina
häufig beobachten kann. Er schraubt sich in die Höhe und stürzt dann auf
seine Beute herab. Jeremia schrieb, daß die Babylonier alles
vernichteten, was ihnen in den Weg kam, Felder, Menschen, Tiere, Bäume
und Städte ( Jer 5,17 ; vgl. auch Kl 4,19 ). Die Babylonier, die mit
solch schrecklichen Vergleichen belegt wurden, waren also ganz sicher
ein furchtbarer Feind. Hab 1,9 (3) Ihre Erfolge Der Versuch, die Babylonier aufzuhalten, war
zwecklos. Sie kommen allesamt, um Schaden zu tun . Sie würden alle
militärischen Kräfte ihres Landes für die Invasion mobilisieren und
jeden Widerstand niederwerfen. Der zweite Teil dieses Verses, " wo sie
hinwollen, stürmen sie vorwärts ", besteht im Hebräischen aus nur drei
Wörtern, die zum Teil sehr unterschiedlich interpretiert wurden. Das
erste Wort des Satzes steht im Alten Testament nur an dieser Stelle und
wurde übersetzt mit "Widerstand leistend", "kämpfend gegen", "Begierde",
"sich versammelnd", "sich sammelnde Menge" und "Truppen" oder "Horde".
Das letzte der drei hebräischen Worte ist auch das Wort für "Osten".
Hier bezeichnet es einen Wind, der von Osten kommt. Diese heißen Stürme,
die von Osten her über die Wüste brausten, vernichteten meistens alles
Leben und jegliche Vegetation (vgl. Jer 18,17; Hes 17,10; 19,12; Jon 4,8
). Der Feind kam wie ein Sturmwind und raffte Gefangene zusammen wie
Sand - ein Bild, das die unermeßlich große Zahl der Gefangenen
veranschaulicht.
Hab 1,10 (4) Ihr Spott Im Vertrauen auf ihre Stärke spotten die Babylonier
der Könige, und der Fürsten lachen sie . Es war bei ihnen Sitte,
gefangene Herrscher in öffentlichen Spektakeln zur Schau zu stellen.
Ihre Brutalität zeigte sich auch an der Art und Weise, wie sie nach der
Eroberung Jerusalems mit Zedekia umgingen. Erst töteten sie vor seinen
Augen seine Söhne und dann - mit diesem schrecklichen Bild vor Augen,
das in sein Gedächtnis eingebrannt war - blendeten sie ihn, legten ihn
in Fesseln und führten ihn gefangen nach Babylon ( 2Kö 25,7 ). Doch nicht nur ihre Feinde, auch alle für
uneinnehmbar gehaltenen Festungen waren den Babyloniern ein Scherz . Sie
schütteten Erde an den Mauern der auf Hügeln errichteten Städte auf,
stürmten die so errichteten Rampen hinauf und konnten die Städte auf
diese Weise leicht angreifen und ihre Festungsanlagen erobern. Diese
Praxis war in der damaligen Kriegsführung zwar durchaus bekannt und
üblich, doch die Babylonier hatten die Konstruktion des
"Belagerungswalls" ( 2Kö 19,32 ; vgl. Hes 4,2 ) noch entscheidend
verbessert.
Hab 1,11 (5) Ihr Frevel Der erste Teil dieses Verses ist schwer zu
übersetzen. In einer Bibelübersetzung heißt es: "Dann wird sein Geist (
rUaH , "Geist" oder "Wind") sich ändern, und er wird vorübergehen." Das
hieße, die Babylonier würden anderen Sinnes und begännen hemmungslos,
gegen sich selbst zu wüten. Es ist jedoch unwahrscheinlich, daß rUaH
Subjekt dieses Satzes ist; und das Verb "ändern" sollte wohl besser in
seiner normalen Bedeutung ("hindurchgehen") wiedergegeben werden. Die
Übersetzung Luthers ist plausibler: Dann brausen sie dahin wie ein Sturm
(vgl. V. 9 ). Das schwerste Vergehen der Babylonier kommt jedoch ganz
klar zum Ausdruck: Sie machen ihre Kraft zu ihrem Gott . Ihre eigene
Macht war ihr Abgott. Für sie wurde das Wort "Der Stärkere hat recht" zu
"Der Stärkere ist Gott". C. Habakuks Verzweiflung ( 1,12 - 17 ) Gottes verblüffende Enthüllung stürzte den
Propheten nur in noch größere Bestürzung. Auf Habakuks Klage über die
Sünde und Gesetzlosigkeit in Juda (V. 2-4 ) antwortete Gott mit dem
Hinweis, daß er das Betragen seines Volkeskenne und seine Strafe schon
unterwegs sei. Die Babylonier sollten dieses sündige Volk schon bald
gefangennehmen und verschleppen. Jetzt war der Prophet nicht nur - wie
Gott es ihm prophezeit hatte - überrascht (V. 5 ), er war vielmehr
entsetzt, schockiert, daß Gott ein solches Werkzeug einsetzen wollte, um
Juda zu strafen. Habakuk gab seiner tiefen Verwirrung Ausdruck. Er
stellte Gottes Plan in Frage. 1. Warum benutzt Gott als Werkzeug ein Volk, in dem
die Gemeinheit herrscht? ( 1,12 - 13 ) Wie vernichtend die Androhung des göttlichen
Gerichts auch klingen mag, der Prophet verläßt sich dennoch auf Gottes
Heiligkeit und Treue, die ihm Trost und Hoffnung geben. In einem Meer
der Verwirrung klammerte sich Habakuk an den lebendigen Rettungsanker,
den Gottes heiliges Wesen für ihn verkörperte. Er hielt sich im Chaos an
der unerschütterlichen Stärke seines Gottes fest. Hab 1,12 Im Hebräischen verlangt die Form der Frage Aber du,
HERR, mein Gott, mein Heiliger, der du von Ewigkeit her bist eine
bejahende Antwort. Sie ist ebensosehr Aussage wie Frage. Das Vertrauen
des Propheten in den lebendigen, ewigen Gott Jahwe steht in schroffem
Gegensatz zu dem vorhergehenden Vers, der besagt, daß die Babylonier
ihre eigene Stärke zu ihrem Gott machen. Aus menschlicher Sicht war es natürlich ein
leichtes für Babylon, Juda auszulöschen. Doch für den Propheten war es
völlig undenkbar, daß das Gottesvolk und damit auch seine
Bundesbeziehung zu Jahwe ausgetilgt werden sollte. Habakuks Überzeugung
gründete sich auf zwei Verheißungen: (a) den unveränderlichen und ewigen
Herrn (vgl. Hes 3,6 ), der seinen Bund mit Israel nicht brechen wird;
und (b) den heiligen (vgl. Hes 3,3 ) und gerechten Gott, der weder in
Israel noch unter seinen Feinden die Sünde ungestraft läßt. Der Prophet
bat ganz richtig: " Mein Gott, mein Heiliger, laß uns nicht sterben. " Habakuk rief sich in Erinnerung, daß der Herr die
Babylonier nur dazu ausersehen hatte, Juda zu züchtigen , nicht dazu,
das Volk endgültig auszurotten. Der Feind war Gottes Straf- , nicht sein
Vernichtungswerkzeug. Der Prophet nennt seinen Herrn einen Fels ( QUr ),
eine Bezeichnung, die erstmals in 5Mo 32,4 auf Jahwe angewendet wurde
und die auf die Beständigkeit und Treue des Allmächtigen verweist (vgl.
5Mo 32,15.18.30-31 ). Hab 1,13 Noch eine brennende Frage hatte Habakuk jedoch auf
dem Herzen: Warum benutzte der seit Ewigkeiten Höchste, Jahwe, der
vollkommen Heilige, der unveränderliche, beständige Fels, ein so
gottloses Volk zur Züchtigung Judas? " Deine Augen sind zu rein, als daß
du Böses ansehen könntest ", klagt der Prophet. " Dem Jammer kannst du
nicht zusehen. " Zuvor hatte Habakuk gefragt, warum er gezwungen war,
Unrecht anzusehen, und warum Gott angesichts der Lage (V. 2 - 4 ) nicht
eingriff, wie er erwartet hätte. Nun scheint sich sein Problem von der
Sünde der Menschen auf den Herrscher, der alles lenkt, zu verlagern. Im
Lichte von Jahwes eigentlichem Wesen fand Habakuk die Frage
gerechtfertigt: " Warum (vgl. V. 3 ) siehst du dann aber den Räubern zu?
" Warum sollte Gott einem solchen gottlosen Volk erlauben, "den (zu)
verschlingen, der gerechter ist als er?" Das schien geradezu die
Umkehrung des Rechts zu sein. So sehr Juda auch gesündigt hatte, seine
Sündhaftigkeit verblaßte völlig neben den Grausamkeiten der Babylonier.
Habakuk stand in einem inneren Konflikt. Ganz sicher teilen viele
Menschen aus dem Volk Gottes seinen Schmerz über Gottes scheinbares
Schweigen (vgl. Hi 19,7 ). 2. Warum toleriert Gott ein Volk, in dem die
Gesetzlosigkeit herrscht? ( 1,14 - 15 ) Hab 1,14 Habakuk sagte: "Du läßt es den Menschen gehen wie
den Fischenim Meer, wie dem Gewürm, das keinen Herrn hat." Die Juden
waren hilflos wie Fische, sie lebten wie die Tiere im Meer, jedes für
sich, ohne Führer. Vollkommen orientierungslos, konnten sie sich nicht
einmal zu ihrer Verteidigung organisieren und waren eine leichte Beute
für die mächtigen Eroberer. Hab 1,15 Die räuberischen (vgl. V. 13 ) Babylonier fingen
die arglosen Menschen wie Fische mit der Angel , trieben sie in Netze
und sammelten sie mit ihrem Garn (vgl. V. 16 ) - ein sehr anschauliches
Bild. Jeremia benutzt einmal einen ähnlichen Vergleich mit Fischern und
erweitert ihn um das Bild der Jäger ( Jer 16,16 ). Die Babylonier nahmen
so wenig Rücksicht auf die Menschen wie die Fischer auf die wehrlosen
Fische. Der siegreiche babylonische Feind freute sich vielmehr und war
fröhlich. Es war schwer einzusehen, warum Gott eine solche schreiende
Ungerechtigkeit zulassen sollte. Habakuk sah sich wirklich vor unlösbare
Fragen gestellt. 3. Warum entschuldigt Gott ein Volk, in dem der
Götzendienst herrscht? ( 1,16 - 17 ) Hab 1,16 Die Angeln und Netze brachten den Babyloniern
Speise, und ihr Anteil war fett . Ihre Eroberungen sicherten ihnen nicht
nur den Lebensunterhalt, sondern ermöglichten ihnen ein Leben im Luxus.
Daher ehrten diese Barbaren die Werkzeuge, die ihnen solchen Reichtum
sicherten. Sie opferten ihren Netzen und räucherten ihrem Garn. (Das
Wort für "Garn" steht im Alten Testament nur an dieser Stelle und in V.
15 .) Die Metapher ist äußerst treffend. Die Babylonier huldigten den
Dingen, denen sie ihren militärischen Erfolg verdankten. Gott hatte
bereits gesagt, daß ihre Kraft ihr Gott sei (V. 11 ). Nun wies Habakuk
noch auf die materiellen Vorteile hin, die ihnen ihre militärische
Stärke brachte. Götzendienst treiben nicht nur diejenigen, die
unbelebten Gegenständen Opfer bringen oder ihnen räuchern. Personen von
Rang, Macht und Wohlstand verehren häufig auch die Dinge oder Mittel,
die ihnen zu ihrem begehrten Status verholfen haben. Ja, manchmal sind
sie geradezu besessen von ihnen, sie "vergöttern" sie. Habakuk Hab 1,17 Der Prophet fragt den "dicken Fischer" Babylon, ob
er sein Netz immerdar ausleeren und Völker umbringen wolle ohne Erbarmen
(vgl. Hab 2,8.17 ). Das Bild symbolisiert einen ständig wiederholten
Handlungsablauf. Sie leerten ihre Netze, um sie wieder und wieder zu
füllen. Wann würde Gott der babylonischen Eroberungsgier ein Ende
setzen? Wie konnte er ein Volk an der Macht lassen, wenn es diese Macht
so offen als seinen Gott verehrte? Habakuk war ratlos. II. Ein Klagelied von Gott: Die Verkündigung der
Zerstörung Babylons ( Hab 2 ) Das innere Dilemma des Propheten wurde immer
größer. Warum sollte Gott eine gottlose Nation wie Babylon als Werkzeug
der Bestrafung gegen sein eigenes Volk Juda einsetzen? Habakuk hatte
seine Fragen unerschrocken vorgetragen und wartete nun auf Gottes
Antwort. Ganz sicher würde er eine logische Erklärung erhalten. A. Habakuks Ausschau: "Ich schaue" ( 2,1 ) Hab 2,1 Wie ein Wächter, der im Wachturm steht, um schon
die ersten Anzeichen eines nahenden Feindes zu sehen, stellte Habakuk
sich selbst auf einen Turm , um zu sehen, was Gott ihm sagen werde. Er
hatte seine Klage vorgetragen und beschloß nun, sich so zu postieren,
daß er die Antwort so rasch und so deutlich wie möglich wahrnehmen und
die Nachricht dann, wie ein Wächter, seinen wartenden Brüdern
überbringen konnte. Wahrscheinlich beziehen sich die Begriffe "Warte"(
miSmereT , "Wachstation") und "Turm" ( mAQNr , "Wachturm oder Festung")
eher auf die innere Erwartung des Propheten als auf einen äußeren
Standort. Dieser bildhafte Ausdruck war Habakuks Zuhörerschaft durchaus
vertraut ( 1Sam 18,24; Jes 21,6 ). Der Prophet oder Seher wartete, wie
der Mann im Ausguck, darauf zu sehen - nicht so sehr zu hören -, was
Gott sagte. Der Prophet wartete gespannt auf eine Antwort auf
die Klagen, die er Gott vorgehalten hatte. Mit dieser Formulierung bezieht sich Habakuk
wahrscheinlich auf seine eigenen, im Gespräch mit Gott geäußerten Fragen
( Hab 1,2-4.12-17 ). Manche Forscher sind allerdings der Ansicht, daß es
sich hier um eine gegen den Propheten gerichtete Klage ( tNKaHaT ,
"Berichtigung, Tadel"), nicht um eine von ihm vorgetragene Beschwerde
handle. Sie übersetzen den Satz mit: "Was ich anworten werde, wenn ich
getadelt werde." Ob Habakuk nun mit einem Verweis Gottes rechnete oder
nicht, eins ist jedenfalls sicher: Er erwartete diese Antwort
sehnsüchtig. B. Gottes Anweisung: "Schreib auf" ( 2,2 - 5 ) Habakuks Beruf war, Gottes Sprachrohr zu sein. Er
wartete nicht nur für sich selbst auf eine Botschaft des Herrn, sondern
er war bereit, diese Botschaft an sein Volk weiterzugeben. Habakuk
wartete, und Gott sprach. 1. Gottes Offenbarung ist deutlich ( 2,2 ) Hab 2,2 Gottes Antwort ist kein undeutliches Gemurmel. Er
spricht klar und deutlich. Gott befahl Habakuk: "Schreib auf, was du
geschaut hast, deutlich auf eine Tafel." Die Offenbarung (wörtlich:
"Vision") sollte auf Tontafeln festgehalten werden, damit Gottes Wort
bewahrt und - noch wichtiger - verkündet würde: "daß es lesen könne, wer
vorüberläuft" . Gemeint ist, daß jeder Vorübergehende die Tafeln schnell
lesen und dann den anderen die Nachricht rasch verkündigen sollte. 2. Gottes Offenbarung ist gewiß ( 2,3 ) Hab 2,3 Jede prophetische Offenbarung erfordert ein
gewisses Maß an Geduld. Man muß auf ihre Erfüllung harren. Gott
versicherte Habakuk: "Die Weissagung wird ja noch erfüllt werden zu
ihrer Zeit." Das deutet auf ein Ziel in der Zukunft (wörtlich: "sie
drängt zum Ende" wie ein Läufer in der Zielgeraden). Dieser Hinweis
scheint, nicht nur auf die kommende Zerstörung des gottlosen Babylon,
sondern auf die umfassendere Erfüllung des messianischen Gerichts beim
Fall der "großen Hure Babylon" am Ende der Drangsal im Jüngsten Gericht
( Offb 17-18 ) vorauszudeuten. Eins ist sicher: Gottes Offenbarung wird nicht
trügen . Wenn sie sich auch hinzieht, wird sie doch gewiß kommen und
nicht ausbleiben , gemäß seiner vollkommenen Vorsehung. Für die Menschen
in Juda, denen die schreckliche Erfahrung der babylonischen Invasion und
Gefangenschaft bevorstand, muß diese Zusicherung ein großer Trost
gewesen sein. Auch an dem furchtbaren Volk, das sie gefangennehmen
würde, würde zu dem von Gott bestimmten Zeitpunkt das göttliche Urteil
vollstreckt werden! Der Verfasser des Hebräerbriefes bezieht sich in
seiner Aufforderung an die verfolgten Gläubigen, auszuharren und
standhaft zu bleiben, auf diese Verse ( Hebr 10,37 ). Er stellt dabei
vor allem ihre messianische Bedeutung in den Vordergrund. Der Tag wird
kommen, an dem der König der Könige mit vollkommener Gerechtigkeit auf
Erden herrschen wird. 3. Gottes Offenbarung ist radikal ( 2,4 - 5 ) Hab 2,4 Zu Beginn der von Weherufen durchsetzten
Spottverse, die Habakukaufzeichnen sollte, verkündete Gott die
umfassende Verdammung des dünkelhaften Wesens der Babylonier: Sie sind
halsstarrig und aufgeblasen. Wie eine aufgeblähte Kröte hüpft dieses
arrogante Volk seinem Verderben entgegen. Seine Menschen sind
geschwollen (das hebräische Wort ZAPal steht im Alten Testament nur an
dieser Stelle) von ihren bösen Leidenschaften. Sie sind alles andere als
rechtschaffen. Ihnen hält Jahwe in scharfem Kontrast den Gerechten
entgegen, der durch seinen Glauben leben wird ( MmUnCh ,
"Standhaftigkeit, Treue"). Ein gerechter Israelit, der Gottes Gebote
befolgt und demütig vor dem Herrn ist, genießt ein Leben in der
überfließenden Gnade Gottes. "Leben" bedeutet, den Segen eines sicheren,
geschützten und vollen, reichen Lebens zu erfahren. Der anscheinend so
siegreiche, aber stolze und innerlich verdorbene Babylonier hingegen
wird sterben. Treue und Glauben gehören zusammen. Wer an den Herrn
glaubt, verläßt sich auf ihn und ist ihm treu. Der Schlüsselsatz "Der Gerechte aber wird durch
seinen Glauben leben" funkelt wie ein Diamant in einem Haufen Dreck.
Mitten in Gottes unerbittlichem Verdammungsurteil über Babylon findet
sich eine strahlende Offenbarung seiner Gnade, die im Neuen Testament
dreimal zitiert wird ( Röm 1,17; Gal 3,11; Hebr 10,38 ). Dort erhalten
die Worte "wird leben" jedoch einen weiter gefaßten Sinn als bei
Habakuk. Im Neuen Testament bedeuten sie Erlösung und ewiges Leben. Im
Gegensatz zu der selbstgerechten, prahlerischen Art der Ungerechten
verläßt sich der Gerechte auf Gott und ist ihm treu. Hab 2,5 Die bisher eher allgemein gehaltene Schilderung der
Schlechtigkeit Babylons wird jetzt genauer ausgeführt: Es ist der
treulose Tyrann , der keinen Erfolg haben wird. Weiter sagt Gott, die Babylonier seien stolz (
yAhIr , "überheblich"; das Wort steht außer an dieser Stelle nur noch in
Spr 21,24 ) und hätten keine Ruhe in ihren Herzen (V. 4 ). Dieses
stolze, ruhelose Volk sperrt seinen Rachen auf wie das Reich des Todes .
Wie der Tod und das Reich des Todes ist es nicht zu sättigen , bis es
alles an sich gerissen hat. So versuchten die Babylonier, alle Völker zu
sich zu sammeln (vgl. Hab 1,17 ). Wie ein schreckliches Ungeheuer
verschlingt das Reich des Todes die Völker. Ebenso öffnete Babylon weit
sein unersättliches Maul und verschlang alle Menschen. Doch dieses
gottlose Volk sollte nicht ungestraft davonkommen. Gottes Strafe war ihm
gewiß! C. Habakuks Aufzeichnung: "Wehe" ( 2,6 - 20 ) Die schließliche Zerstörung Babylons, die Gott
Habakuk ankündigte, wird in einem Weheruf in fünf Strophen zu je drei
Versen ("Weh" steht in V. 6.9.12.15.19 ) näher beschrieben. Alle einst
von den Babyloniern eroberten und geplünderten Völker sollen zu
gegebener Zeit Zeugen des Falls ihres Feindes werden und in ein Anklage-
und Hohnlied einstimmen. Die Übersetzung Luthers: "Diese alle werden
einen Spruch über ihn machen und ein Lied und ein Sprichwort sagen." (V.
6 ) lautet im Urtext: "Werden sie nicht alle ein Spottlied auf ihn
anstimmen?" Ein solches Lied ( mASAl ) kann alle möglichen literarischen
Formen annehmen; es kann eine Parabel, ein Spruch, eine Ode oder - wie
in dem hier aufgezeichneten Lied - ein Klagegesang sein. Das vorrangige
Konstruktionsprinzip ist jedoch stets der Parallelismus. Fünf Weherufe
sind in diese schmerzliche Klage eingewoben. 1. Wehe über die Schreckensherrschaft ( 2,6 - 8 ) Hab 2,6 Das Weh ist ein Ausruf des Schmerzes im Unglück
oder angesichts einer nahenden Strafe (z. B. Jes 3,11; 5,11; 10,5 ) für
bestimmte Sünden. Die Propheten verwenden es ausnehmend oft
(zweiundzwanzigmal bei Jesaja,zehnmal bei Jeremia und in den
Klageliedern, siebenmal bei Hesekiel und vierzehnmal bei den kleinen
Propheten). Das erste Wehe bei Habakuk vergleicht die Babylonier mit
einem gewissenlosen Pfandleiher, der Wucherzinsen nimmt. Aus
selbstsüchtiger Gewinnsucht rafften sie rücksichtslos die Reichtümer
anderer Völker an sich. Das war nichts anderes als Diebstahl, denn die
geraubten Schätze waren keineswegs Eigentum der Eroberer. Wie lange
wird's währen? Wie lange werden die Angreifer ihr geplündertes Gut
behalten dürfen? (Vgl. Habakuks "Wie lange noch?" zu Judas Frevel: Hab
1,2 .) Hab 2,7 Diese Frage in Vers 6 wird mit zwei Ausrufen
beantwortet: Wie plötzlich werden aufstehen, die dich beißen! Die
gequälten Völker werden sich unvermutet erheben. Die Schuldner
(wörtlich: "Beißer") werden zurückschlagen. Sie werden nicht nur ihren
Anteil an den gestohlenen Gütern zurückholen, sondern nun, da sie an der
Reihe sind, ihrerseits ihre Angreifer tüchtig durchschütteln: Wie
plötzlich werden erwachen, die dich peinigen! Dieses Schütteln wird kein
Händeschütteln sein. Mit der Kraft eines Orkans wird der böse Gläubiger
gebeutelt werden. Wie ein Baum, dem der Sturm Blätter und Zweige
abreißt, so wird er ausgeraubt werden. Babylon wird ihnen zum Raube
werden , zum Raub der Völker, die es gequält hat. Das angriffslustige
(vgl. Hab 1,6.8-10 ) und plündernde ( Hab 1,6.16 ) Babylon wird nun
seinerseits angegriffen und ausgeplündert werden. Hab 2,8 Der Räuber wird seiner Beute beraubt werden, denn
die Beraubten werden ihn unerwarteterweise wieder berauben. Die von
Babylon unterworfenen, aber nicht vernichteten Völker, die übrigen
Völker , werden das Gefecht leiten. Der Bumerang wird zurückkommen.
Babylons Schreckensherrschaft und Grausamkeit werden über es selbst
hereinbrechen. Es wird ernten, was es gesät hat ( Spr 22,8; Gal 6,7 ).
Das Volk, das skrupellos Menschenblut ("Blut" steht im Urtext im Plural,
ebenso in V. 12.17 ) vergossen und rücksichtslos Land und Stadt
geplündert und zerstört (vgl. Hab 1,17; Hab 2,17 ) hat, wird nun die
Strafe für seine Verbrechen erhalten (vgl. Hab 1,12 ). 2. Wehe über die Vermessenheit ( 2,9 - 11 ) Hab 2,9 Die Babylonier hatten sich nicht nur unrechten
Gewinn angeeignet (V. 6 - 8 ), sondern die Beute aus ihren Raubzügen
auch noch dazu verwendet, sich selbst zu verherrlichen und zu erhöhen.
Wie ein Adler sein Nest - für alle Räuber unzugänglich - in der Höhe
erbaut, versuchten auch die Babylonier, ihr Reich abzusichern ( um dem
Unheil zu entrinnen ). Vom niedriggelegenen Tal seiner Heimat aus
errichtete dieses Volk von Eroberern ein gewaltiges Weltreich. Hab 2,10 Um sich selbst zu erhöhen, trampelten die
Babylonier andere nieder. Um das Gebäude ihres Reiches zu errichten,
mußten viele Völker zerschlagen werden (vgl. "Völker" in Hab 1,17 ;
"Heiden" und "Völker" in Hab 2,5 ; und "viele Völker" in V. 8 ). Doch
ihr Plan, ihre eigene Sicherheit auf der Vernichtung anderer aufzubauen,
schlug fehl. In einem Haus, das aus gefolterten Leibern und nackten
Skeletten gebaut ist, wohnt es sich nicht besonders gut. In ihrem Eifer,
ein Monument zu hinterlassen, errichteten die Babylonier ihr eigenes
schändliches (vgl. "Schande" in Hab 1,16 ) Mausoleum. So wurde der Tod
ihr Teil. Hab 2,11 Als Zeugen in dem Prozeß, der mit dem Todesurteil
enden wird, treten überraschenderweise sogar die Steine in der Mauer und
die Sparren am Gebälk auf. Selbst wenn alle Feinde vernichtet wären,
würden immer noch die Steine und das Holz gegen die räuberischen und
grausamen Hände der Babylonier aussagen, die diese Materialien
bearbeiteten, um die Stärke und Pracht ihres Reiches zu verewigen. All
die Steine und das Holz der Häuser und Paläste waren durch Plünderung
und Unrecht erworben. Das hohe Nest (V. 9 ) wird aus seiner luftigen
Höhe gestoßen werden, und der verschwenderisch ausgestattete Palast wird
den Tod seiner Erbauer besiegeln. Die stolzen, ehrgeizigen Projekte
dienten letztlich nur als Beweis für die Berechtigung der bevorstehenden
Strafe. 3. Wehe über das Unrecht ( 2,12 - 14 ) Hab 2,12 Der Raub, von dem im ersten Weheruf die Rede ist
(V. 6 - 8 ), und der im zweiten Weheruf beschriebene Stolz (V. 9 - 11 )
wurden von der von Sünde getränkten Verderbtheit genährt, die der dritte
Weheruf ausmalt (V. 12 - 14 ). Es ist, als ob die Steine und das Holz
von Babylons riesigen Bauprojekten das Klagelied zurückwerfen. Weh dem,
der die Stadt mit Blut baut und richtet die Burg auf mit Unrecht! Die
babylonischen Städte waren mit dem Blut und Schweiß der versklavten
Völker erbaut. Mord, Blutvergießen, Unterdrückung und Tyrannei waren die
Werkzeuge. (Das mit "Blut" übersetzte Wort ist im Hebräischen der Plural
des Substantivs "Blut" und steht immer für Mord; vgl. V. 8.17 :
"Menschenblut".) Hab 2,13 In jeder der vorhergehenden Strophen des
Klageliedes wird die Beschreibung der Sünden durch einen Weheruf in der
ersten Zeile eingeleitet und in den folgenden Zeilen dann näher
ausgeführt. An dieser Stelle nun wird die Aufmerksamkeit auf den HERRN
Zebaoth und seine unbestechliche Einschätzung all der Verkommenheit
gelenkt. Das ist eine wohltuende Unterbrechung dieser fünf beklemmenden
Verse. Der allmächtige Herr, der Herrscher des Universums, erklärt, daß
das ehrgeizige Werk der Babylonier vergeblich sein wird: Woran die
Völker sich abgearbeitet haben, muß mit Feuer verbrennen (vgl. Jer 51,58
). Ihre sorgfältig behauenen Steine werden zum Altar und das mit
Schnitzereien geschmückte Holz wird zum Brennholz für das gewaltige
Opferfeuer werden, in dem Babylon verbrennen wird. Habakuk, das
Sprachrohr Gottes, fügte hinzu: Wofür die Leute sich müde gemacht haben,
das muß verloren sein . Ihre ganze Arbeit - die Arbeit von Babylon und
jeder anderen Nation, die Babylon gleicht - ist vergeblich, wenn sie auf
Blutvergießen und Verbrechen beruht. Hab 2,14 Im Gegensatz dazu wird die Erde voll werden von der
Erkenntnis der Ehre des HERRN, wie Wasser das Meer bedeckt . Die
mühselige Plackerei einer ganzen Generation prahlerischer Babylonier
wird gerade für ein kleines Feuer ausreichen, und ihre Werke werden als
Häuflein Asche in einer Ecke der Welt enden. Gottes ewige Herrlichkeit
aber wird die ganze Erde erfüllen! Dieser Vers wiederholt - mit einigen
geringen Abweichungen - Jes 11,9 .(Von Gottes die Erde erfüllender
Herrlichkeit ist auch in 4Mo 14,21; Ps 72,19 und Jes 6,3 die Rede.)
Jesaja schließt seine Beschreibung des Gottesreiches ( Jes 11,1-9 ) mit
der Aussage, daß die Erde voll der Erkenntnis des Herrn sein wird. Nach
Habakuk wird sie mit der Erkenntnis seiner Ehre erfüllt sein. Jesaja
ging es also um das Wesen des Gottesreiches, Habakuk um seine
Errichtung; Jesaja ging es um die Tatsache, Habakuk um die Tat selbst.
Gott wird auch das zukünftige Babylon ( Offb 17-18 ) und alle in Babylon
verkörperten gottlosen Mächte ( Offb 19,20 ) stürzen und richten. Die
Herrlichkeit ( Mt 24,30 ) und Macht ( 2Thes 1,9 ) des Herrn wird im
Tausendjährigen Reich auf der ganzen Erde offenbar werden. Wenn der Messias in seinem Königreich herrschen
wird, wird die Erkenntnis des Herrn in der ganzen Welt sein (wie Wasser
das Meer bedeckt). Jeder wird ihn kennen (vgl. Jer 31,34 ). Die
unbehauenen Steine des Unrechts und der schleimige Seetang der Sünde
werden von Gottes Gerechtigkeit bedeckt und glatt gemacht werden. 4. Wehe über die Schamlosigkeit ( 2,15 - 17 ) Hab 2,15 Der vierte Weheruf wendet sich wieder dem
schändlichen Treibendes barbarischen Babylon zu. Hier stehen die
Grausamkeit und Schamlosigkeit der Eroberer gegenüber den von ihnen
Unterworfenen im Mittelpunkt. Sie werden als Trunkenbolde dargestellt,
die ihren Nächsten Wein zu trinken geben, um sie betrunken zu machen,
dadurch zu gottloser Lüsternheit zu verführen und dann der Schande
preiszugeben. Zu dem Frevel der Babylonier kam also auch noch die von
Gott streng verbotene Wollust hinzu ( 1Mo 9,21-25 ). Außerdem schenkten
die Babylonier mehr ein als nur Wein. Es heißt von diesem Volk, daß es "
seinen Grimm beimischte ". Unter den Wein mischten die Babylonier also
"Grimm" (das Wort "Grimm" ist im Hebräischen verwandt mit "Hitze", was
wiederum für jegliche frevelhafte Leidenschaft steht). Das war in der
Tat ein übles Mischgetränk. Haß und Leidenschaft wurden zusammen
eingeschenkt. Die Völker, die verleitet oder noch häufiger gezwungen
wurden, von dem giftigen Gebräu der Babylonier zu trinken, fielen um wie
Betrunkene und lagen hingestreckt - geschändet und gedemütigt. Hab 2,16 Doch diejenigen, die beim Anblick ihrer betrunkenen
Opfer Schadenfreude empfanden, werden eines Tages gesättigt mit Schande
sein (vgl. "Schande" in V. 10 ). Ihr Ruhm war letztlich ihre Schande.
Dieser pervertierte "Ruhm" der Babylonier hebt sich scharf ab von Gottes
ewiger Herrlichkeit (V. 14 ). Statt in Ruhm schwelgten die Babylonier in
Schande, und bald würden sie trinken, betrunken umfallen und ihre
Schande als "Unbeschnittene" (so im Hebräischen) zur Schau stellen.
(Unbeschnittensein war für die Juden etwas Verächtliches.) Die
Babylonier hatten andere betrunken gemacht und entblößt (V. 15 ); später
wird das Blatt sich wenden (vgl. V. 7 ), und sie werden betrunken und
nackt daliegen. Der Kelch , den sie trinken müssen, kam aus der
Rechten des HERRN , ein Bild der göttlichen Vergeltung (vgl. Jes
51,17-23; Jer 25,15-17; Kl 4,21 ). Wenn Babylon Gottes Gericht trinken
muß, wird es mit Schande bedeckt werden. Das Wort "Schande" im ersten
Teil von Hab 2,16 und das gleichlautende Wort im letzten Teil des Verses
geben zwei im Hebräischen verschiedene, aber ähnliche Begriffe wieder,
wobei der zweite stärker betont ist (er steht im Alten Testament nur an
dieser Stelle). Es ist ein Ausdruck extremer Verachtung. Das einst so
ruhmreiche Babylon wird hier als total entehrter, verächtlicher
Betrunkener gezeichnet. Hab 2,17 Der Grund für Babylons große Schande war sein
Frevel am Libanon . Der Libanon, ein Gebiet nördlich von Israel, war
bekannt für seinen Reichtum an Zedern und wilden Tieren. Rücksichtslos
holten die Babylonier sich von dort Holz für ihre Bauwerke und
schlachteten die Tiere ab, die in den Wäldern lebten. Der dem Wald
zugefügte Frevel soll auf Babylon lasten, und das sinnlose Jagen und
Töten der Tiere soll es schrecken. Der schwerste Vorwurf, der bereits zweimal gegen
die Babylonier erhoben wurde, war jedoch das Abschlachten der Menschen
(vgl. Hab 2,8.12 ). Sie hatten nicht nur die Wälder vernichtet und die
Hügel verwüstet, sondern auch am Lande und an der Stadt und an allen,
die darin wohnen (vgl. V. 8 ), gesündigt. Die an Gottes Volk und seinen
Geschöpfen verübte Schamlosigkeit wird Babylon statt Weltruhm ewige
Schande bringen. Gottes großes Gericht wird über es kommen. 5. Wehe über die Abgötterei ( 2,18 - 20 ) Hab 2,18 Die letzte Strophe beginnt nicht mit dem dumpfen
und drohenden "Weh!" (das folgt erst in V. 19 ), sondern mit der
eindringlichen Frage: " Was wird dann das Bild helfen? " Die Antwort
liegt auf der Hand. Ein Götze (wörtlich: "geschnitztes Bild", d. h. ein
Götzenbild, das aus Holz geschnitten oder aus Stein gehauen ist) und ein
Bild (wörtlich: "gegossenes Bild", d. h. ein Götzenbild aus
geschmolzenemMetall in der Form eines falschen Gottes) sind zu nichts
nütze. Wie schön diese Götterbilder auch immer scheinen mochten, sie
waren dennoch im Grunde nur Holz- oder Metallblöcke. Auf ein solches
Götzenbild zu vertrauen hieß, einem Gegenstand zu vertrauen, der Lügen
lehrt , denn die Menschen wurden durch dieses Bild getäuscht und dazu
verführt zu glauben, es könne ihnen helfen. Doch Götzen und Götzenbilder
sind leblos. Da sie von den Gläubigen selbst geschaffen sind, können die
Bilder ihnen nicht helfen (vgl. V. 19 ). Ob gebildet oder gegossen, sie
bleiben stumme Gegenstände. Die ihnen zugeschriebenen Orakel sind
offensichtlich Lügen, denn Bilder können nicht sprechen. Hab 2,19 An die Frage schließt sich Gottes Verdammungsurteil
über die schleichende Sünde des Götzendienstes an: Weh dem, der zum Holz
spricht: "Wach auf!" und zum stummen Steine: "Steh auf!" Wie absurd,
sich vor ein Stück Holz oder einen kalten Stein zu stellen und zu
schreien: "Steh auf! Wach auf!" Die Szene erinnert an die Propheten
Baals, als sie von Elia verspottet wurden ( 1Kö18,26-29 ). Von einem leblosen Gegenstand kommt keine Hilfe
oder Lehre, auch wenn er mit Gold und Silber überzogen ist (vgl. Jes
40,19 ). Er hat keinen Odem oder Geist und daher auch kein Leben in sich
(vgl. 1Mo 2,7 ). Jesaja verspottet die Babylonier häufig für ihr
Vertrauen in zahlreiche falsche Götter, die doch nur von Menschen
gemachte Götzen waren ( Jes 41,7; 44,9-20; 45,16.20; 46,1-2.6-7 ; vgl.
Jer 10,8-16 ). Götzen sind nutzlos, denn sie können nicht sprechen,
nicht lebendig werden, lehren oder atmen. Der Götzendienst - das Anbeten
von Menschenwerk statt des Schöpfers - steht unter dem Wehegericht
Gottes. Hab 2,20 Der letzte Vers der Strophe ist einzigartig. Anders
als die vorangehenden vier Verse, die auf das Wehe folgten und im
Hebräischen jeweils mit "denn" ( kI ; V. 8.11.14.17 ) beginnen, wird
Vers 20 mit "aber" eingeleitet. Dieser ausgeprägte Gegensatz führt zu
einem wunderbaren Höhepunkt: Aber der HERR ist in seinem heiligen
Tempel. Es sei vor ihm stille alle Welt! Von den hohlen, von Menschen
gemachten Götzenbildern wird die Aufmerksamkeit auf den lebendigen Herrn
gelenkt, der aus sich selbst heraus existiert, auf den ewigen (vgl. Hab
1,12; 3,6 ), heiligen (vgl. Hab 1,12; Hab 3,3 ) Herrscher, der von
seinem heiligen Tempel, d. h. vom Himmel aus, über das Universum
herrscht (vgl. Ps 11,4; 18,7; Mi 1,2-3 ). Statt zu rufen "Steh auf!
Erwache!" muß die ganze Erde still vor ihm sein und ihn anbeten. Das
hebräische Wort hAsCh , übersetzt mit "still sein", bedeutet eigentlich
"pst!" (so auch in Zeph 1,7 : "Seid stille"; und Sach 2,17 : "Sei
stille"). Für Habakuk war das eine klare Botschaft. Schluß
mit den Klagen! Schluß mit dem Zweifel! Gott ist nicht gleichgültig
gegenüber der Sünde. Er ist nicht unempfindlich gegenüber dem Leid. Der
Herr ist weder untätig noch unzugänglich. Er "sitzt im Regimente". Jahwe
wird seinen göttlichen Plan zur richtigen Zeit vollenden. Habakuk soll
in demütigem Schweigen vor ihm stehen und in stiller Erwartung auf
Gottes Eingreifen harren. Der Schlußvers des Klageliedes bildet damit
den Übergang zu dem Lobgesang, der im dritten Kapitel folgt. III. Ein Lobgesang für Gott: Die Verherrlichung der
Schöpfung Gottes ( Hab 3 ) Der bekümmerte Prophet, der sich über die
ungehindert wuchernde Sünde in seinem Land beklagte, war überrascht, ja
schockiert angesichts Gottes Offenbarung, daß schon ein Werkzeug zum
Gericht über Juda bereitstand: Babylon. Er trug Gott seinen inneren
Konflikt vor und wartete auf eine Antwort. Diese Antwort kam in der Form
eines Klage- oder Spottliedes, das Habakuk aufzeichnen sollte. Als er
von Gottes Plan, Babylon zu zerstören, erfuhr, verneigte sich der
Prophet in demütiger Anbetung. Seine Fragen gehen in ein Gebet und einen
Lobgesang über. Das dritte Kapitel bildet den Höhepunkt von
Habakuks Buch. Es ist keinesfalls, wie manche Forscher annehmen, ein von
den beiden ersten Kapiteln unabhängiges, einheitliches Stück, das er
später schrieb, und stammt schon gar nicht, wie manche glauben, von
einem anderen Verfasser, der ebenfalls Habakuk hieß oder unter dessen
Namen schrieb. Trotz aller Hinweise auf den andersartigen Stil und
den eigenen Titel fügt sich das dritte Kapitel gut in den Gedankengang
des Buches ein. Der neue Stil entspricht dem neuen Thema. In gleicher
Weise markierte die Wendung vom Dialog im ersten Kapitel zu dem
Klagelied im zweiten Kapitel einen veränderten inhaltlichen Schwerpunkt.
Außerdem wird das neue Thema in Hab 3,1 durch die Überschrift
angekündigt, so wie im zweiten Kapitel das Bild der "Warte" ebenfalls
auf einen Wechsel hinwies. Als in Qumran der Habakuk-Kommentar entdeckt wurde,
der nur die beiden ersten Kapiteln umfaßte, hielten die Forscher, die an
zwei unabhängige Bücher glaubten, ihre These für bewiesen. Die Sache
liegt jedoch nicht so einfach. Der Kommentator kann z. B. nur die beiden
ersten Kapitel benutzt haben, weil sie seiner Absicht besonders
entgegenkamen. Die Schriftrolle ist jedenfalls noch kein Beweis, daß es
kein drittes Kapitel gab. Für dessen Existenz spricht auch die
thematische Einheitlichkeit des Buches Habakuk. Das dritte Kapitel ist
keine Nachschrift, sondern der Höhepunkt des Textes. Es ist der Gipfel
des Berges, der Endpunkt einer Reise, die "im finstern Tal" begann. A. Habakuks Bitte um Barmherzigkeit ( 3,1 - 2 ) Hab 3,1 Zu Beginn des zweiten Kapitels wartete Habakuk auf
die Antwort Gottes und machte sich bereit, dem Herrn zu antworten ( Hab
2,1 ). Dann schrieb er Gottes Erklärung ( Hab 2,2-20 ) und auch seine
eigene Reaktion auf. Seine Antwort war jedoch kein Protest mehr. Sie
wurde ein Lobgesang, wie schon der schlichte Titel " Das Gebet des
Propheten Habakuk " zeigt. Diese Überschrift gleicht der vieler anderer
Psalmen, die ebenfalls Inhalt, Verfasser und die literarische Form des
Liedes angeben (vgl. z. B. Ps 16;30;45;88;102;142 ). Habakuk bezeichnet
sich dabei wiederum, wie schon zu Beginn seines Buches, als Prophet (
Hab 1,1 ). Das Wort "shigjonoth" , das Luther mit " nach Art
eines Klageliedes " übersetzt hat, ist etwas dunkel. Im Hebräischen ist
es der Plural eines Substantivs, das sonst nur noch in Ps 7 steht, wo
Luther es ebenfalls mit "Klagelied" wiedergibt. Es scheint, mit einem
Verb, das "vor- und zurücktaumeln" heißt, verwandt zu sein. Manche
halten das Kapitel deshalb für eine ekstatische Dichtung in freiem Stil,
wie er in Triumph- oder Siegesliedern Verwendung fand, oder auch für ein
Elegie- oder Klagelied mit wechselnder Tonlage. Es ist unwahrscheinlich,
daß sich der Begriff auf den Inhalt des Liedes bezieht, obwohl die
hebräische Wurzel auch "übertreten oder sündigen" bedeuten kann.
Schließlich geht es in dem Ps. nicht mehr um die Übertretungen oder
Irrungen Babylons und Judas; es geht vielmehr um die Herrlichkeit
Gottes. Wesentlich plausibler ist es also, von einer
musikalisch-liturgischen Bedeutung des Wortes "shigjonoth" auszugehen.
Eine weitere, ebenfalls den musikalischen Charakter des Kapitels
betreffende Bemerkung steht am Schluß der Verse. Möglicherweise wurde
das Lied irgendwann einmal Bestandteil des Tempelgottesdienstes. Hab 3,2 Habakuk hatte Gottes Plan, Juda zu bestrafen und
Babylon zu zerstören, gehört und war voller Ehrfurcht. Gottes Pläne und
seine Größe gehen über das Verstehen des Menschen hinaus. Habakuks
Antwort auf das, was er "gehört" hat (" HERR, ich habe die Kunde von dir
gehört "), ist Ehrfurcht vor Gott. Der Prophet trägt nun die zwei
einzigen Bitten dieses Gebetes vor. Er bittet um eine weitere
Manifestation von Gottes Macht ( mache es lebendig , d. h. dein Werk )
und um Barmherzigkeit . Die erste Bitte - die Bitte darum, daß Gott sein
Eingreifen erneuern möge, wird zweimal mit der Zeit in Beziehung
gesetzt: in naher Zeit (wörtlich: "inmitten der Jahre"). Es scheint, daß
der Prophet eine rasche Erfüllung ersehnte. Gott hatte es ja auch
bereits versprochen ( Hab 1,5 ). Die zweite Bitte des Propheten steht in engem
Zusammenhang mit der ersten. Habakuk bittet um Barmherzigkeit im Gericht
( im Zorne ; vgl. Hab 3,8.12 ). An diese beiden Bitten schließen sich Verse, die
eher als Lobpreis Gottes denn als Gebet zu betrachten sind (V. 3 - 19 ).
Habakuk gedenkt darin der ehrfurchtgebietenden Taten des Herrn, als er
sein Volk aus Ägypten heraus und durch die Wüste in das verheißene Land
führte. Die Erinnerung an diese Taten gibt ihm die Zuversicht, daß Gott
sein Volk auch aus Babylon erlösen wird. B. Gottes mächtige Majestät ( 3,3 - 15 ) Habakuks fast an ein Ferngespräch erinnernde
Konversation mit Gott im ersten Kapitel wurde im zweiten eher zu einer
Art "geschlossener Gesprächsrunde im Fernsehen". Die zunächst nur über
das Hören bestehende Verbindung ( Hab 1 ) wurde durch das, was Habakuk
von seiner "Warte" aus sehen konnte, ergänzt ( Hab 2,1 ). Dann wurde der
Prophet plötzlich mitten in die Gegenwart des Schöpfers selbst versetzt,
mit dem er aus der Entfernung heraus so unerschrocken gesprochen hatte.
Er stand Gott dem Herrn sozusagen von Angesicht zu Angesicht gegenüber
(vgl. Hi 42,5 ). 1. Gottes Ankunft ( 3,3 a) Hab 3,3 a Wie Gott auf den Sinai herabkam, um den Bund mit
seinem Volk zu schließen, so wird er wiederkommen, um es zu befreien und
seinen Bund zu bestätigen. Habakuk beschrieb Gottes frühere Erscheinung
am Sinai: Gott kam von Teman und der Heilige (vgl. Hab 1,12 ) vom
Gebirge Paran . Mose hatte gesagt, die Erscheinung des Herrn sei wie ein
Licht gewesen, das "von Seïr" - und "vom Berge Paran" kam ( 5Mo 33,2 ). Teman war eine Wüstenoase in Edom, es kann jedoch
auch für die ganze Region im Süden des Toten Meeres stehen. "Seïr", wie
Mose es nannte, war der poetische Name für das Bergland Teman. Paran
liegt westlich von Edom über dem Ghor-Tal, zwischen der Sinaihalbinsel
im Süden und Kadesch Barnea, einem anderen Bergland, im Norden. Es mag eine gewisse Bedeutung haben, daß Gott Mose
in dem Gebiet südlich von Juda erschien, während die Babylonier von
Norden her einmarschierten. Gott hatte hier im Süden viele Wunder
vollbracht, als er sein Volk aus Ägypten in das verheißene Land führte. Die übliche Bezeichnung für "Gott", der Plural "
?MlOhIm ", steht in diesem Vers im Singular, " ?MlNah ", was vielleicht
auf die Wesenseinheit des göttlichen Erlösers, des "Heiligen", hinweisen
soll. Das " Sela " ( Hab 3,3.9.13 ), das im allgemeinen
als weiteres Musikzeichen gilt, soll vielleicht eine Pause im Lied
anzeigen. "Sela" steht sonst nur in den Psalmen - dort einundsiebzigmal.
Das hebräische Wort, von dem es abstammt, bedeutet "erhöhen,
emporheben". Es kann eine Pause bezeichnen, die (a) den Wechsel zu einer
anderen Tonlage oder ein Anwachsen der Lautstärke angibt, (b) zum
Nachdenken über das Gesungene und zur Erhöhung des Herrn im Lob dient
oder (c) Gelegenheit zum Aufheben bestimmter Instrumente, wie vielleicht
Fanfaren, geben soll. Welche Bedeutung es in unserem Zusammenhang auch
immer haben mag, auf jeden Fall war in der Mitte von Hab 3,3 eine
deutliche Unterbrechung beabsichtigt. 2. Gottes Erscheinung ( Hab 3,3 b. 4-7 ) Hab 3,3 b Am Sinai war Gott wie ein schrecklicher
Gewittersturm gekommen, der vom Berg herab in den Süden hereinbrach.
Seines Lobes war der Himmel voll , und Sonne und Mond erschienen blaß im
Vergleich zu ihm. Gottes schimmernde Herrlichkeit füllte nicht nur den
Himmel, auch die Erde war seiner Ehre voll . "Ehre" meint hier
wahrscheinlich nicht den Lobpreis von seiten der Menschen, sondern die
Wirklichkeit des Ruhmes Gottes. Gottes Selbstoffenbarung erfüllte die
Himmel und die ganze Erde. Hab 3,4 Der Prophet stellt eine Steigerung in Gottes
Erscheinung fest: Sein Glanz war wie Licht . Wie der Himmel beim
Sonnenaufgang zuerst von den frühen Strahlen der noch verborgenen Sonne
gefärbt, dann der Feuerball über dem Horizont erscheint, die Erde
erhellt und schließlich alles mit strahlendem, glänzendem Licht erfüllt,
so gingen Strahlen von Gottes Händen aus. Beim Näherkommen sah man, daß
das alles durchdringende Licht aus der Hand des Herrn kam. Die Strahlen
(wörtlich: "Hörner") umflossen Gott wie die Sonne. Die Sonne wird häufig
vereinfacht als Kreis gezeichnet, den man ringsum mit Strichen,
Strahlenbündeln oder Zacken umgibt, eine etwas grobe, aber
nichtsdestoweniger anschauliche Darstellungsform der Strahlen.
Interessanterweise wird mit dem hebräischen Verb für "Strahlen
aussenden", das mit dem hebräischen Substantiv für "Hörner" verwandt
ist, auch der Anblick Moses beschrieben, als er vom Berg Sinai
herabgestiegen war: "die Haut seines Angesichts glänzte" (wörtlich:
"sein Angesicht sandte Lichtstrahlen aus"; 2Mo 34,29-30.35 ). Das ist
auch der Grund für die seltsamen Hörner, die Michelangelos berühmte
Mosestatue trägt. Gottes Glanz ist zugleich erhellend und verhüllend.
Er offenbart seine Herrlichkeit, aber er verhüllt seine Macht . Man
vergißt leicht, daß das Licht und die Wärme, die der Erde so wohltun,
von einem Feuerball herrühren, der sie im Nu zerstören könnte. Deshalb
ist Gottes Macht in seiner Herrlichkeit verborgen . Seine Offenbarung
darf nicht vollständig sein, da sie sonst die Betrachter vernichten
würde. Hab 3,5 Gott kann seine Macht jedoch durchaus auch
anwenden. Für diejenigen, die sich ihm widersetzen, ist er ein
schrecklicher Gott. Als Gott über das Land ging, sah Habakuk: Pest ging
vor ihm her, und Seuche (wörtlich: "brennende Hitze" oder "Blitze")
folgte, wo er hintrat . Wenn er will, kann Gott seine Feinde mit Seuchen
(wie in den 10 Plagen in Ägypten; 2Mo 7,14-11,10 ) oder mit der Pest
(vgl. 5Mo 32,24 ) schlagen. Mit Pest kann hier sowohl eine von hohem
Fieber begleitete Krankheit als auch das Verkohlen der Erde durch Blitze
gemeint sein. Gott ist kein kleiner, alter Mann, der im Dachgeschoß
wohnt, in die Menschen vernarrt ist und ihnen nur freundlich und
liebenswürdig begegnet. Er ist allmächtig und all-liebend. Sein Glanz
und seine Güte gehen einher mit Macht und Majestät. Hab 3,6 Habakuks Vision Gottes, wie er näherkommt und über
das Land schreitet, steigert sich zum Höhepunkt. Als Gott den Ort, von
dem aus er richten wird, erreicht hatte, blieb er stehen, stand auf und
ließ die Erde erbeben . Allein seine Gegenwart ließ die Erde beben. Die
Heiden machte sein Blick erzittern (wörtlich: "in Schrecken verfallen"),
und selbst die Natur wurde erschüttert. Die uralten Berge und uralten
Hügel , die Grundfesten der Erde, wurden zu Staub zerschmettert .
Genauso kam Gott mit Donner, Blitzen und Feuer auf den Berg Sinai herab,
während die Berge bebten ( 2Mo 19,16-19 ). Doch wenn auch die uralten
(wörtlich: "ewigen") Hügel zugrunde gehen, Gottes Ewigkeit bleibt
bestehen. Das ist auch eine Warnung für diejenigen, die die Schöpfung
über den Schöpfer stellen (vgl. Hab 2,19-20 )! Hab 3,7 Kuschan und die Midianiter , Völker auf beiden
Seiten des Roten Meeres (Kuschan ist eventuell auch nur eine andere
Bezeichnung für Midian),hatten Gottes Erscheinung beim Exodus und auf
der Wanderung durch die Wüste gesehen. Gottes wunderbares Handeln am
Roten Meer (als er sein Volk aus der ägyptischen Gefangenschaft
herausführte) versetzte die benachbarten Völker in Schrecken. Sie
gerieten in Not und waren betrübt . Auch andere Völker hörten von Gottes
großen Taten und ängstigten sich ( 2Mo 15,14-16; 5Mo 2,25; Jos 2,9; 5,1
). Der Hinweis auf die Hütten und Zelte scheint die gefährdete Lage
dieser Völker noch zu unterstreichen. Wenn die Berge schmelzen, welche
Hoffnung haben dann Menschen, die sich unter Zelten zusammenkauern? 3. Gottes Taten ( 3,8 - 15 ) Habakuk wendet seine Aufmerksamkeit nun der
Schilderung der Taten Gottes auf der Erde zu. Dieser Teil der Ode
beginnt in Vers 8 mit einer Reihe von Fragen, die als stilistische
Unterbrechung der Botschaft Leben und Anschaulichkeit verleihen und den
Leser provozieren, über ihren Inhalt nachzudenken. Sie verlangen keine
Antwort und sollen nur Gedankenanstöße sein. a. In der Natur ( 3,8 - 11 ) Hab 3,8 Drei Fragen setzen sich mit dem Motiv für Gottes
Erscheinen auseinander: Zeigte dieses Erscheinen seinen Zorn auf die
Flut ? Auf die Wasser ? Wider das Meer ? Mit anderen Worten, war Gottes
Grimm gegen die Natur gerichtet? Direkte Antworten werden nicht gegeben
und sind auch nicht nötig. Gott ist nicht unzufrieden mit der Natur. Er
benutzt die Natur lediglich als Werkzeug, um seine Macht zu
demonstrieren (vgl. V. 12 - 13 ). Gott hatte seine Macht gezeigt, indem
er den Nil ( 2Mo 7,20-21 ), das Rote Meer ( 2Mo 14,15-28; 15,8-10 ; vgl.
Ps 78,13 ) und den Jordan ( Jos 3,14-17 ) schlug. Ebenso wird er die
Völker schlagen. Er ist erschienen, weil er seine Feinde vernichten und
sein Volk erlösen will. Habakuk sieht Gott als Sieger, der mit seinen
Rossen und Wagen majestätisch vorwärts zieht (vgl. Hab 3,15 ). Die
Pferde der Babylonier ( Hab 1,8-9 ) dagegen werden zum Stehen gebracht,
wenn Babylon wenige Jahrzehnte später, im Jahr 539 v. Chr., fallen wird
(vgl. Hab 2,6-8 ). Hab 3,9 Gott zieht seinen Bogen hervor , d. h. er zieht ihn
aus der Umhüllung, und spannt ihn. Die mit " legtest die Pfeile auf
deine Sehne " übersetzte Stelle ist im Hebräischen rätselhaft. Ein
Exeget behauptete, daß er mehr als 100 Übersetzungen dieses im
Hebräischen aus drei Wörtern ( S+BuZNT maFFNT?Omer ) bestehenden kurzen
Satzes gefunden habe. Das erste Wort kann mit "der siebte" (verwandt mit
dem Sabbat), "Eid" oder "geschworen" übersetzt werden. M aFFNT kann
"Äste", "Ruten", "Stäbe" oder "Stämme" heißen. ?~mer , ein
ausschließlich in der Dichtung verwendetes Wort, bezeichnet "einen
Diskurs", "ein Wort" oder "eine Angelegenheit oder Gelegenheit". Eine
plausible und einigermaßen wörtliche Übersetzung lautet also: "Stäbe
(Pfeile) werden geschworen von einem Wort." Das könnte man als Ausdruck
für den Ernst dessen, was Gott hier tut, verstehen. Gott versichert in
einem feierlichen Eid, daß er seine Waffen einsetzen wird. Die Parallelen zwischen diesem Vers und Teilen von
5Mo 32 fallen ins Auge. Moses Lied spricht von einem verzehrenden Feuer
( 5Mo 32,22 ), von Fieber, Plagen ( 5Mo 32,24 ) und Pfeilen, die trunken
von Blut sind ( 5Mo 32,42 ), als Teil des Racheschwurs Gottes gegen
seine Widersacher ( 5Mo 32,41 ). Wie man diesen kleinen Satz in Habakuks Lied auch
übersetzen mag, das Wort sela , das dann folgt, ist auf jeden Fall
abermals ein Aufruf, innezuhalten und nachzudenken. Gottes Beweggründe
und seine Macht kommen in seinen Taten in der Natur, unter den Völkern
und gegen seine Feinde zum Ausdruck. Er ist in der Lage, die Oberfläche
der Erde durch Ströme zu spalten. Hab 3,10 Habakuk personifiziert die Berge und schreibt ihre
Reaktion Gottes Gegenwart und Macht zu: Sie sahen Gott, und ihnen ward
bange . Das mit "bange" übersetzte hebräische Wort beschreibt eine
Person, die sich, von einer plötzlichen Qual ergriffen, wie eine
Gebärende windet. Vorher (V. 6 ) hatte der Prophet gesagt, daß die Berge
vor Gott zu Staub werden; jetzt sagt er, ihnen werde bange. Der Berg
Sinai bebte, als Gott Mose erschien ( 2Mo 19,18; Ps 114,5 ). Neben den
Zeugnissen der Ströme ( Hab 3,9 ) und Berge (V. 10 a) regten sich auch
die Wasser unter der Erde vor der Macht Gottes. Die Wasser der Tiefe
werden ebenfalls personifiziert und können sprechen (wörtlich: " ließ
sich hören "), und ihre hohen Wellen bekommen gleichsam Hände. Gottes
Macht kann in der Natur Furchtbares bewirken! Schon das Rote Meer und
der Jordan hatten Gottes Gebot gehorcht (vgl. Ps 77,7.20; 114,3.5 ). In
diesem Chor der Natur vergaß die Sonne ihren Aufgang . Hab 3,11 Sogar der Mond stand still (vgl. Jos 10,12-13 ).
Vor dem Glänzen der strahlenden Majestät Gottes verblassen Sonne und
Mond. Während die ganze Natur bebt, eilen die Pfeile und
Speere des Zornes Gottes (seine Blitze; vgl. Ps 18,15; 77,18 ) zu ihren
Zielen. Sonne und Mond erblassen vor diesen leuchtenden Blitzen, die
vielleicht den Hagel, der Israels Feinde bei Gilgal vernichtete,
begleiteten ( Jos 10,11 ). Immer wieder benutzt Gott in seinem Zorn die
Naturgewalten. b. In den Nationen Hab 3,12 Habakuk sah Gott in seiner Vision wie einen
donnernden Giganten, der über die Erde schreitet. Gott ging wohl kaum
"auf Zehenspitzen". Im Zorn (vgl. V. 2.8 ) zerdrosch er die Heiden . Wie
ein Ochse das Getreide tritt, um Spreu und Körner zu trennen, so ging
Gott über die Erde, um die sündigen Völker zu zertreten und Israel zu
erlösen. Der Prophet vertraute darauf, daß er es wieder tun würde. Hab 3,13 Der Grund für Gottes Gericht lag auf der Hand. Sein
Zorn galt nicht der Natur (vgl. V. 8 ) oder den Menschen an sich. Er
wollte die Gottlosen vernichten und seinen Gesalbten erlösen. Hinter
Gottes Vernichtung stand das Ziel der Erlösung - seines Volkes, doch
auch des Gesalbten , ein Terminus, der im Alten Testament niemals für
das Volk Israel steht. Er bezieht sich wahrscheinlich auf den kommenden
Messias (vgl. Ps 2,2; Dan 9,26 ). Indem Gott das Volk Israel bewahrte
(indem er es aus Ägypten und später aus der babylonischen Gefangenschaft
befreite), bahnte er dem Messias den Weg. Du , so sagt Habakuk zu Gott, zerschlugst das Dach
vom Hause des Gottlosen und entblößtest die Grundfeste . Damit ist im
Hebräischen ein völlig zerstörtes Haus gemeint, dessen Dach abgedeckt
ist, so daß die Grundmauern offenliegen. Gott hatte die Reiter von
Pharao, die Israel verfolgten ( 2Mo 14,23-28 ), und andere Führer ( 4Mo
21,23-25; Jos 6,2; 8,28-29;10-11 ) vernichtet. Wenn er das tun konnte,
dann konnte er auch Babylon zerstören. Auch Belsazar, der gottlose
Herrscher, wurde seiner Macht entkleidet ( Dan 5,25-28.30 ). Wieder sieht der musikalische Aufbau dieses Lob-
und Schreckensliedes eine Pause vor. An dieser Stelle steht das dritte
und letzte sela (vgl. den Kommentar zu Hab 3,3 ). Die äußerste und
endgültige Vernichtung derer, die sich Gott widersetzen, zwingt zum
Nachdenken. Bevor Gott zum endgültigen Auslöschen der gottlosen Menschen
schreitet, verlangt er einen Augenblick des Besinnens - während sich die
Staubwolken des vernichtenden Schlages, der die babylonischen Festungen
in Schutt legte, senken. Hab 3,14 Die beiden letzten Verse des Liedes über Gottes
furchteinflößende Selbstoffenbarung sprechen von der endgültigen
Zerstörung des Feindes. In Panik werden diejenigen umkommen, die
versuchten, Israel zu zerstören: Ihre Scharen zerstoben wie Spreu . Die barbarischen Horden werden als Räuber
beschrieben, deren Freude (im Hebräischen ein Wort, das "frohlocken,
jubeln" heißt und im Alten Testament nur an dieser Stelle steht) es war,
die hilflosen, elenden Opfer auszurauben. Ihre Freude wird sich jedoch
in Blut verwandeln, ihr Stolz in Schrecken, und plötzlich werden sie in
tödlicher Verwirrung umkommen. Es ist nicht ganz klar, auf welches
Ereignis in der Geschichte Israels sich diese Wendung bezieht. Hab 3,15 Die Aufzählung der schrecklichen Taten Gottes endet
mit dem Hinweis auf eines seiner eindrucksvollsten Wunder. Er führte
sein Volk durchs Rote Meer und bereitete den ägyptischen Verfolgern ein
nasses Grab ( 2Mo 14,15-18; 15,8-10 ). Gottes Sieg über die ägyptischen
Reiter ist dabei so anschaulich dargestellt, als habe er selbst ihre
Rosse im Meer niedergetreten (vgl. Hab 3,8 ). In seinem Sieg hatte Gott
den Schlamm der Wasserfluten aufgewühlt (vgl. V. 10 ). C. Habakuks getroster Glaube ( 3,16 - 19 ) Offensichtlich wurde jeder, der Gottes Macht in
ihrer ganzen Größe sehen durfte, in Angst und Schrecken versetzt.
Habakuk war da keine Ausnahme. Er hatte einen Beweis für Gottes Macht
verlangt (V. 2 ) und ahnte nicht, was auf ihn zukommen sollte. Hab 3,16 Der Prophet bebte am ganzen Leib, seine Lippen
zitterten , und auch seine Knie bebten . Habakuk war nahe daran, bei
dieser furchtbaren Begegnung mit Gott zusammenzubrechen. Er fühlte sich,
als ob Fäulnis in seine Gebeine fahre, und seine Nerven waren zum
Zerreißen gespannt. In diesem geschwächten Zustand jedoch kehrten sein
Vertrauen und seine Hoffnung zurück. Er sah wieder einen Sinn in seinem
prophetischen Amt, er war seiner selbst als Prophet wieder sicher. Er
wollte harren auf die Zeit der Trübsal, daß sie heraufziehe über das
Volk, das uns angreift . Der Prophet war entschlossen, auf diesen Tag,
der ein Tag der Zerstörung und gleichzeitig ein Tag des Sieges über das
gottlose Babylon sein würde, zu warten. Gottes Taten für Israel in
Ägypten, am Roten Meer, auf dem Berg Sinai, am Jordan und bei der
Eroberung von Kanaan waren zweifellos ehrfurchtgebietend. Der Rückblick
auf dieses frühere Wirken Gottes gab dem Propheten die Gewißheit, daß
Gott Israel auch aus Babylon erlösen würde. Habakuk war zuversichtlich,
daß Gott eines Tages sein mächtiges Handeln, seinen Zorn gegenüber
Babylon und seine Barmherzigkeit gegen Juda, "lebendig machen" werde (V.
2 ). Hab 3,17 Der geschwächte körperliche Zustand des Propheten
steht in schroffem Gegensatz zu seiner unglaublichen geistlichen Kraft.
Habakuk malte die schlimmsten möglichen Folgen von Gottes Zorn kurz aus:
völliges Ausbleiben der Ernte (Feigen, Trauben, Oliven und Korn - die
Grundnahrungsmittel des Volkes) und der Verlust aller Schafe und Rinder
. Doch selbst inmitten der völligen Vernichtung und der größten
Hungersnot (die tatsächlich eintrat, als die Babylonier Jerusalem
eroberten; Kl 2,12.20; 4,4.9-10;5,17-18 ) vertraute der Prophet auf
Gott. Er wußte, daß innere Ruhe nicht von äußerem Wohlstand abhängig
ist. Hab 3,18 Habakuk sagt nicht, daß er das Unheil lediglich
über sich ergehen lassen werde. Er will sich freuen des HERRN und
fröhlich sein . Gott ist die unerschöpfliche Quelle der Freude. Gott,
mein Heil, heißt wörtlich "der Gott meiner Rettung" ( ?MlOhL yiSZi ;
dieselbe hebräische Wendung steht in Ps 18,46; Ps 25,5 ). Viel zu viele
Menschen versuchen, sich Freude zu erkaufen, doch das Glück liegt nicht
in den äußeren Umständen. Freuen kann sich jeder, auch diejenigen, die
keinerlei materiellen Besitz haben, denn die Freude wird in einem
Gegenüber gefunden. Sie kommt aus einer vertrauten und persönlichen
Beziehung zum Herrn, aus der heraus jeder - auch in der schlimmsten Lage
- lächeln kann. Hab 3,19 Die unfehlbare Quelle der Kraft und des Vertrauens,
die für Frieden und Zufriedenheit notwendig sind, ist der HERR ( ?XdOnAy
), Gott ( Jahwe ) selbst. Die Stärke, die er verleiht,macht die Füße wie
Hirschfüße , wie die Füße einer Gazelle oder eines anderen lebhaften,
leichtfüßigen Tieres. So wie ein Hirsch geschwind einen dunklen Wald
durchbrechen kann, so - sagt der Prophet - wird er fröhlich durch
schwierige Umstände hindurchgehen. Obwohl seine Knie bei der
schrecklichen Erscheinung Gottes bebten (V. 16 ), war eben dieser Herr
seine Freude (V. 18 ), seine Kraft (V. 19 ) und seine Sicherheit. Gott
setzte den Propheten in die Lage, über die Höhen zu gehen: Er wird nicht
nur Prüfungen durchstehen, sondern auch die Gipfel des Sieges und
Triumphes erklimmen. Die dichterische Sprache dieses Verses findet sich
auch in anderen Textstellen (z. B. 5Mo 32,13; 2Sam 22,34; Ps 18,34 ).
Ein Hirsch oder eine Gazelle sind ein Bild der Stärke, Sicherheit,
Schönheit und Schnelligkeit. Die Schlußworte " vorzusingen, beim Saitenspiel "
sind ein Zusatz und beziehen sich auf den Titel des "Gebetes" des
Propheten ( Hab 3,1 ). Sie deuten auf die Verwendung dieses Liedes im
Gottesdienst hin. Der Prophet bestimmte seinen Ps. für die Verwendung im
öffentlichen Gottesdienst, unter der Begleitung von Saiteninstrumenten.
Das dumpfe Dröhnen von Habakuks Klage ( Hab 1,2-4.12- Hab 2,1 ) macht
den lebenssprühenden Tönen von Freude und Zuversicht Platz. Gott der Herr läßt diejenigen, die ihm vertrauen,
über die Umstände triumphieren. Um aus einer Belastung herauszukommen,
muß man sich dem Herrn unterstellen. Unter dem Herrn zu stehen heißt,
über den Umständen zu stehen. Diese Erfahrung ist unbezahlbar,
insbesondere, wenn die Welt wie Treibsand erscheint. Habakuk war dabei "unterzugehen", als er begann,
dieses Buch zu schreiben. Überall sah er nur Zerstörung, Frevel, Hader,
Streit, Ungerechtigkeit und Gottlosigkeit. Doch er schrie zu Gott, und
sein Schreien wurde gehört. Der Herr antwortete nicht nur auf seine
Klage, sondern gab ihm auch das Vertrauen, das er brauchte, um aus dem
Elend herauszukommen. Habakuks Reise begann in der Grube, doch sie
endete auf dem Berggipfel. Sie war zwar nicht gerade leicht, aber sie
hatte sich gelohnt. Gott führte Habakuk durch den Dialog ( Hab 1 ), in
dem er seinen Plan, Juda zu bestrafen und Babylon zu zerstören,
enthüllte. Dann schrieb Habakuk auf Gottes Befehl hin ein Klagelied auf
( Hab 2 ), in dem Gottes Gericht über Babylon nochmals ausführlich
gerechtfertigt wurde. Schließlich fand der Prophet Worte höchsten Lobes,
in denen Gott sich selbst in all seiner Macht und Herrlichkeit
offenbarte. Dieser Lobgesang ( Hab 3 ) schloß mit Habakuks
unerschütterlichem Vertrauen in den Herrn. Die Verzweiflung des Propheten wurde von seinem
Vertrauen besiegt. Seine Furcht wurde zur Zuversicht. Habakuk wandelte
sich von einem verbitterten, nervösen, niedergedrückten Propheten zu
einem zuversichtlichen, fröhlichen Prediger. Die Gerechten, Aufrechten,
Glücklichen, Zufriedenen und Siegreichen werden durch ihren Glauben
leben. Denn der Glaube überwindet die Welt! ( 1Joh 5,4 ). BIBLIOGRAPHIE Eaton J H (1961) Obadiah, Nahum, Habakkuk and
Zephaniah . Torah Bible Commentaries, London Feinberg C L (1976) The Minor Prophets . Chicago Freeman H E (1973) Nahum, Zephaniah, Habakkuk:
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Reprint (3 Bd.), Minneapolis: Klock & Klock Christian Publishers Ward W H (1911) "Habakkuk". In: A Critical and
Exegetical Commentary on Micah, Zephaniah, Nahum, Habakkuk, Obadiah, and
Joel . The International Critical Commentary, Edinburgh |