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Johannes
(Edwin A. Blum)


EINLEITUNG


Verfasserfrage


Strenggenommen ist der Verfasser des vierten Evangeliums anonym. Der Text enthält weder den Namen seines Autors noch irgendeinen Hinweis auf ihn. Angesichts der völlig anderen literarischen Form des "Evangeliums" etwa im Vergleich zum "Brief" ist das allerdings nicht weiter überraschend. So führt sich kein einziger Evangelist selbst namentlich ein - im Gegensatz zu den Paulusbriefen, die nach den Regeln antiker Briefschreibekunst stets mit dem Namen des Verfassers beginnen. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, daß wir die Verfasser der Evangelien heute nicht mehr feststellen können. Zum einen gibt ein Text selbst stets gewisse Hinweise auf seinen Verfasser, und zum anderen besitzen wir in vielen Fällen das Zeugnis der kirchlichen Überlieferung.

Interne Belege : (1) Das Wort "dies" in Joh 21,24 bezieht sich auf das gesamte Johannesevangelium, nicht nur auf das letzte Kapitel. (2) Bei dem "Jünger" in Joh 21,24 handelt es sich um "den Jünger, den Jesus lieb hatte" ( Joh 21,7 ). (3) Aus 21,7 geht eindeutig hervor, daß "der Jünger, den Jesus lieb hatte", eine der sieben Personen war, die in Joh 21,2 aufgezählt werden (Simon Petrus, Thomas, Nathanael, die beiden Söhne des Zebedäus und zwei ungenannte Jünger). (4) "Der Jünger, den Jesus lieb hatte", saß beim letzten Abendmahl neben dem Herrn, und Petrus "winkte" ihm ( Joh 13,23-24 ). (5) Er muß einer der Zwölf gewesen sein, denn nur sie nahmen am Abendmahl teil (vgl. Mk 14,17; Lk 22,14 ). (6) Johannes' Name wird häufig im Zusammenhang mit Petrus genannt; er gehörte also offensichtlich zu dem aus drei Jüngern bestehenden engsten Kreis um Jesus (vgl. Joh 20,2-10; Mk 5,37;9,2;14,33 ). Da Jakobus, der Bruder des Johannes, bereits im Jahr 44 n. Chr. starb, kann er nicht der Verfasser des Johannesevangeliums gewesen sein ( Apg 12,2 ). (7) Auch bei dem "anderen Jünger" in Joh 18,15-16 handelte es sich möglicherweise um den "Jünger, den Jesus lieb hatte" (vgl. Joh 20,2 ,wo er beide Attribute bei sich hat). (8) "Der Jünger, den Jesus lieb hatte", war Augenzeuge der Kreuzigung ( Joh 19,26 ), und auch in Joh 19,35 scheint auf ihn angespielt zu werden. (9) Die Aussage des Evangelisten "wir sahen seine Herrlichkeit" ( Joh 1,14 ) ist die Aussage eines Augenzeugen (vgl. 1Joh 1,1-4 ).

Alle diese Belege unterstützen die These, daß Johannes, einer der Söhne eines Fischers namens Zebedäus, der Verfasser des vierten Evangeliums war.

Externe Belege : Externe Belege sind Verfasserschaftszuschreibungen, die in der kirchlichen Tradition kursierten und allgemeine Anerkennung genossen. In bezug auf den Verfasser des Johannesevangeliums waren sich die Kirchenväter ganz sicher. Polykarp (ca. 69 bis 155 n. Chr.) sprach davon, daß er Johannes kannte. Irenäus (ca. 130 bis 200 n. Chr.), der Bischof von Lyon, war überzeugt, daß "Johannes, der Jünger des Herrn, der auch an seiner Brust gelegen hatte, auch selbst das Evangelium heraus(gab), als er in Ephesus in Asien weilte" ( Adversus häreses 3. 1). Er stützte sich dabei in erster Linie auf Polykarp, den er noch selbst gehört hatte. Polykrates, Clemens von Alexandria, Tertullian und andere spätere Kirchenväter bestätigen ebenfalls diese Überlieferung, und auch Eusebius schreibt, daß die Apostel Matthäus und Johannes die beiden Evangelien schrieben, die ihre Namen tragen ( Kirchengeschichte 3. 24. 3 - 8).

Johannes

Entstehungsort


Die externe Überlieferung deutet stark darauf hin, daß Johannes nach Ephesus kam, nachdem Paulus die dortige Gemeinde gegründet hatte, und daß er viele Jahre in dieser Stadt arbeitete (vgl. Eusebius, Kirchengeschichte 3. 24. 1). Diese Annahme wird auch durch Offb 1,9-11 gestützt. Während seines Aufenthalts im Exil auf Patmos, einer Insel vor der Küste Kleinasiens, schrieb Johannes Briefe an sieben asiatische Kirchen; der erste ging an die Gemeinde in Ephesus. Daher besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, daß das vierte Evangelium während seiner Zeit in Ephesus entstand.



Datierung


Die Entstehung des Johannesevangeliums ist wahrscheinlich zwischen 85 und 95 n. Chr. anzusetzen. Manche Neutestamentler versuchten zwar, die Datierung in die Zeit um 150 n. Chr. zu verlegen, wobei sie sich auf angebliche Parallelen des Textes zu gnostischem Schriftgut oder auf die lange Tradition kirchlicher Theologie, die in diesem Evangelium spürbar sei, beriefen. Archäologische Funde, die für die Authentizität des Textes des Johannesevangeliums sprechen (z. B. Joh 4,11; Joh 5,2-3 ), philologische Untersuchungen einzelner Wörter (z. B. synchrOntai , Joh 4,9 ), Manuskriptfunde (z. B. P 52) und die Entdeckung der Schriftrollen vom Toten Meer weisen jedoch sehr viel stärker auf eine frühere Datierung des Buches hin. Es gibt daher sogar Gelehrte, die davon ausgehen, daß das Johannesevangelium in der Zeit zwischen 45 und 66 n. Chr. entstand. Eine so frühe Datierung wäre zwar denkbar, doch da das Johannesevangelium in der Kirche von Anfang an als das "vierte" bekannt war und die frühen Kirchenväter zudem der Ansicht waren, daß Johannes es erst in hohem Alter schrieb, scheint eine Abfassung in der Zeit zwischen 85 und 95 n. Chr. wahrscheinlicher. In diese Richtung weist auch Joh 21,18.23 , wo angedeutet wird, daß bereits einige Zeit seit den berichteten Ereignissen vergangen und Petrus inzwischen alt geworden ist und von Johannes überlebt wurde.


Zweck


Der Evangelist Johannes will, wie in Kapitel 20,31 nachzulesen ist, von den "Zeichen" Jesu berichten, um seine Leser durch sie zum Glauben an den Messias zu bewegen. Doch er hatte mit Sicherheit auch noch andere Ziele im Blick. Es ist gesagt worden, daß das Johannesevangelium gegen das traditionelle Judentum, gegen die Gnostik oder auch gegen die Anhänger Johannes des Täufers geschrieben sei. Andere vertreten die These, daß es als Ergänzung zu den synoptischen Evangelien gedacht war. Doch wie auch immer - fest steht, daß das vierte Evangelium (wie auch die drei synoptischen Evangelien) in erster Linie evangelistische Absichten verfolgt; daher ist es auch kein Zufall, daß es in der Kirchengeschichte immer wieder hauptsächlich zu diesem Zweck eingesetzt wurde.



Die Herrlichkeit des vierten Evangeliums


In den Einführungen der meisten Bücher über das vierte Evangelium findet sich irgendwo ein Abschnitt mit dem Titel: "Das Problem des vierten Evangeliums." Das Johannesevangelium war denn auch stets das Problem in der neutestamentlichen Forschung. Doch worin genau liegt dieses Problem? Vor vielen Jahren sagte einmal ein Neutestamentler, daß Jesus in den synoptischen Evangelien (Matthäus, Markus, Lukas) zwar historisch, nicht aber göttlich, und im vierten Evangelium zwar göttlich, nicht aber historisch sei. Welch eine ungerechtfertigte Behauptung! Beginnt doch das Johannesevangelium mit der eindeutigen Aussage der Gottheit des Wortes, das Fleisch wurde ( Joh 1,1.14 ), und endet sozusagen mit dem Bekenntnis desThomas "mein Herr und mein Gott" ( Joh 20,28 ). Jesus Christus ist beides, göttlich (der Sohn Gottes) und historisch (ein Mensch, der auf Erden lebte). So ist das, was für viele Neutestamentler ein Problem darstellt, in Wirklichkeit die Herrlichkeit der Kirche.

Umgekehrt legen die synoptischen Evangelien ebensoviel Gewicht auf die Göttlichkeit des Messias wie das Johannesevangelium - was auch immer manche Gelehrte behaupten mögen. Das Johannesevangelium ist lediglich in seinen christologischen Aussagen so eindeutig und pointiert, daß die johanneische Theologie die Kirche sehr beeinflußt hat. Der Satz "das Wort ward Fleisch" ( Joh 1,14 ) wurde zum Dreh- und Angelpunkt des Nachdenkens und Studiums der frühen Kirchenväter. Für Johannes ist die Inkarnation - die Manifestation Gottes im Fleisch - die Grundlage des Evangeliums. Hierin liegt denn auch, wie bereits gesagt, die "Herrlichkeit" - und nicht etwa das "Problem" - des vierten Evangeliums.



Besonderheiten des Johannesevangeliums


Ein Vergleich des Johannesevangeliums mit den synoptischen Evangelien läßt vor allem seine stilistische Einzigartigkeit hervortreten. Johannes geht weder auf Jesu Stammbaum noch auf seine Geburt, Taufe oder Versuchung näher ein, er berichtet nicht von Dämonenaustreibungen, erzählt keine Gleichnisse und spricht auch nicht von der Einsetzung des Abendmahls, von Jesu Verklärung, seiner Todesangst in Gethsemane oder seiner Himmelfahrt. Statt dessen konzentriert er sich auf die jüdischen Feste, auf Jesu Wirken in Jerusalem, seine privaten Gespräche mit Einzelpersonen (z. B. Joh 3-4; Joh 18,28- Joh 19,16 ) und die Weisungen, die er seinen Jüngern gab ( Joh 13-17 ). Den größten Teil des Evangeliums nimmt dabei das "Buch der Zeichen" ( Joh 1,19- Joh 12,50 ) ein, in dem sieben Wunder oder "Zeichen" beschrieben werden, die Jesus als den Messias, den Sohn Gottes, offenbaren. Dieses "Buch der Zeichen" enthält daneben verschiedene große Reden Jesu, die die Bedeutung der Wunder erhellen. So bezeichnet er sich z. B. nach der Speisung der Fünftausend ( Joh 6,1-15 ) als das Brot des Lebens, das vom Himmel kommt und der Welt das Leben gibt ( Joh 6,26-35 ). Ein weiteres wichtiges und ausschließliches Merkmal des Johannesevangeliums sind die "Ich bin"-Aussagen Jesu (vgl. Joh 6,35;8,12;10,7.9.11.14;11,25;14,6;15,1.5 ).

All diese Besonderheiten müssen jedoch vom richtigen Standpunkt aus beurteilt werden. Ein Evangelium ist keine Biographie und will auch keine sein. Jeder Evangelist wählte aus einer Vielzahl von Informationen das Material aus, das seiner besonderen Absicht am ehesten entsprach. Schätzungen ergaben, daß das laute Lesen der in den synoptischen Evangelien enthaltenen Jesusworte nur etwa drei Stunden erfordern würde. Angesichts der Tatsache, daß Jesus sich drei Jahre lang auf der Erde aufhielt, ist das sehr kurz. Jedes Evangelium berichtet also nur von ganz bestimmten Wundern oder Gleichnissen und läßt andere aus. Den Mittelpunkt bildet jedoch stets die Nachricht von Jesu Tod und seiner Auferstehung. Aufgrund dieser Konzentration auf den Tod Christi wurden die Evangelien auch als "Leidensgeschichten mit ausführlicher Einleitung" bezeichnet. Dem eigentlichen Anliegen (z. B. Mk 11-16 ) wird stets nur soviel Information vorausgeschickt (z. B. Mk 1-10 ), daß das Wesen dessen, der hier auf Erden wirkte und starb, deutlich wird.

Über die Beziehung des Johannesevangeliums zu den Synoptikern ist folgendes bekannt: Johannes, ein Sohn des Zebedäus, hielt sich in der Anfangszeit der Kirche als Mitarbeiter von Petrus in Jerusalem auf ( Apg 3,1-4,23;8,14;12,1-2 ). Er galt als eine der "Säulen" der Jerusalemer Kirche ( Gal 2,9 ), die von den Aposteln geleitet wurde, wobei Jakobus, der Halbbruder Jesu, gemeinsam mit Petrus und Johannes häufig eine führende Rolle übernahm ( Apg 15,7-21 ). Sehr rasch entwickelte sich dann ein bestimmter fester Kern apostolischer Lehre und Predigt: Wer bekehrt wurde, "blieb ... beständig in der Lehre der Apostel" (5000 Männer; Apg 2,42 ). Später, mit der wachsenden Zahl der Gläubigen ( Apg 4,4 ), wurde es nötig, die Lehre zu systematisieren, um einen bestimmten Grundstock an definitiven Glaubensaussagen festzulegen, der den Gemeindemitgliedern vermittelt werden sollte. Dabei kristallisierte sich als Kern Jesu messianische Erfüllung der alttestamentlichen Prophezeiungen, insbesondere sein Wirken und seine Leidensgeschichte, heraus. Im Mittelpunkt der Unterweisung standen die Gebote Jesu - seine "mündliche Tora" ( Mt 28,20 ).

 

Nach einer relativ gut gestützten kirchlichen Überlieferung geht das Markusevangelium direkt auf die Predigt des Petrus zurück. Bestätigt wird diese Vermutung durch Apg 10,36-43 , dem Beispiel einer petrinischen Predigt, in der viele Forscher die Grundzüge des gesamten Markusevangeliums wiederfinden. Wenn aber das Markusevangelium auf Predigten von Petrus aufbaut, dann muß auch Johannes - der mit ziemlicher Sicherheit viele Jahre in der Nähe von Petrus lebte - mit seiner Lehre vertraut gewesen sein.

Der Kern dieser Lehre wurde von Markus, der Petrus in seinen späteren Amtsjahren unterstützte, schriftlich fixiert. Johannes, der ebenfalls viele Jahre (vielleicht zwanzig) in Jerusalem lebte, schrieb, nachdem er nach Kleinasien gegangen war und sich in Ephesus niedergelassen hatte, unter der Führung des Heiligen Geistes sein Evangelium nieder und schuf damit ein großes Ergänzungswerk zu der frühen Lehre der Apostel in Jerusalem. So enthält das johanneische Bild Jesu im Vergleich zu den synoptischen Evangelien dreiundneunzig Prozent authentisches Material. Dennoch war sich auch Johannes, wie er ausdrücklich bemerkt, der Tatsache bewußt, daß sein Bericht nur einen Bruchteil dessen wiedergab, was verdiente, aufgeschrieben zu werden ( Joh 20,30-31;21,25 ). (Näheres zur Beziehung der einzelnen Evangelien zueinander in den Einleitungen zu Matthäus und Markus.)



Der Text des Evangeliums


Der griechische Text des vierten Evangeliums liegt, wie der des gesamten Neuen Testaments, in sehr gut erhaltener Form vor. Die unterschiedlichen Lesarten in den verschiedenen Bibelausgaben gehen z. T. auf neue archäologische Funde und Forschungsergebnisse zurück.



Aufbau und Inhalt


Das Schlüsselwort des Johannesevangeliums ist "glauben" ( pisteuO ); es findet sich - meistens im Präsens und in Partizipialformen - insgesamt achtundneunzigmal im Text. Das griechische Substantiv "Glaube" ( pistis ) kommt dagegen nicht vor. Anscheinend lag Johannes an einem aktiven, beständigen und lebendigen Vertrauen in Jesus. Sein Evangelium läßt sich in folgende Hauptabschnitte unterteilen: Prolog ( Joh 1,1-18 ), Buch der Zeichen ( Joh 1,19-12,50 ), Abschiedsreden an die Jünger ( Joh 13-17 ), Passion und Auferstehung ( Joh 18-20 ) und Epilog ( Joh 21 ). Der Prolog enthält die theologische Einführung, die es den Lesern überhaupt erst ermöglicht zu verstehen, daß die Worte und Taten Jesu die Worte und Taten Gottes waren, der sich im Fleisch manifestierte. Das Buch der Zeichen erzählt dann von sieben Wundern, die die Herrlichkeit des Vaters im Sohn offenbaren. Die Wunder und die anschließenden erklärenden Diskurse zielen von Mal zu Mal stärker auf die zwei möglichen Reaktionen der Menschen auf Jesu Botschaft ab: Glaube bzw. Unglaube und Verstockung.

Am Ende von Jesu Wirken reagierte das Volk fast nur noch mit völlig irrationalem Unglauben ( Joh 12,37 ). In den Abschiedsreden bereitete Jesus die Seinen dann auf seinen Tod und das zukünftige Wirken der Jünger vor. Den Höhepunkt des Unglaubens bildet der Abschnitt über die Leidensgeschichte, dem unmittelbar darauf - im Bericht über die Auferstehung - der Glaube der Jünger entgegengesetzt wird. Der Epilog, in dem der Bogen zum Wirken der Jünger geschlagen wird, rundet die Darstellung des Evangeliums ab.

 

GLIEDERUNG


I. Prolog ( 1,1-18 )

     A. Der Logos in Zeit und Ewigkeit ( 1,1-5 )
     B. Das Zeugnis Johannes' des Täufers ( 1,6-8 )
     C. Das Kommen des Lichts ( 1,9-13 )
     D. Die Inkarnation und Offenbarung ( 1,14-18 )

II. Jesu Manifestation vor dem Volk ( 1,19-12,50 )

     A. Jesu frühes Wirken ( 1,19-4,54 )
     B. Jesu Kontroverse in Jerusalem ( Kap. 5 )
     C. Jesu Offenbarung in Galiläa ( 6,1-7,9 )
     D. Jesu Rückkehr nach Jerusalem und das erneute Aufflammen der Feindseligkeiten ( 7,10-10,39 )
     E. Die Auferweckung des Lazarus ( 11,1-44 )
     F. Der Plan, Jesu zu töten ( 11,45-57 )
     G. Das Ende des öffentlichen Wirkens Jesu ( 12,1-36 )
     H. Der Unglaube des jüdischen Volkes ( 12,37-50 )

III. Jesu Weisungen an seine Jünger ( Kap. 13-17 )

     A. Das letzte Abendmahl ( 13,1-30 )
     B. Jesu bevorstehender Abschied ( 13,31-38 )
     C. Jesus, der Weg zum Vater ( 14,1-14 )
     D. Die Verheißung des Heiligen Geistes ( 14,15-31 )
     E. Der Weinstock und die Reben ( 15,1-10 )
     F. Jesu Freunde ( 15,11-17 )
     G. Der Haß der Welt ( 15,18-16,4 )
     H. Das Wirken des Heiligen Geistes ( 16,5-15 )
     I. Die bevorstehenden Veränderungen ( 16,16-33 )
     J. Jesu Fürbitte ( Kap.17 )

IV. Jesu Passion und Auferstehung ( Kap. 18-20 )

     A. Die Gefangennahme Jesu ( 18,1-11 )
     B. Die Verhandlungen vor dem Hohenpriester und die Leugnung des Petrus ( 18,12-27 )
     C. Der Zivilprozeß vor Pilatus ( 18,28-19,16 )
     D. Die Kreuzigung ( 19,17-30 )
     E. Das Begräbnis ( 19,31-42 )
     F. Das leere Grab ( 20,1-9 )
     G. Jesu Erscheinen vor Maria ( 20,10-18 )
     H. Jesu Erscheinen vor seinen Jüngern ( 20,19-23 )
     I. Jesu Erscheinen vor Thomas ( 20,24-29 )
     J. Der Zweck des Buches ( 20,30-31 )

V. Epilog ( Kap. 21 )

     A. Jesu Erscheinen am See ( 21,1-14 )
     B. Die Wiederherstellung von Petrus ( 21,15-23 )
     C. das Kolophon ( 21,24-25 )
 

AUSLEGUNG


I. Prolog
( 1,1 - 18 )


Am Anfang aller vier Evangelien wird Jesus in ein historisches Umfeld gestellt. Die Eröffnung des Johannesevangeliums nimmt dabei jedoch einen einzigartigen Platz ein. Das Matthäusevangelium beginnt mit dem Stammbaum Jesu und verfolgt Jesu Herkunft bis auf David und Abraham zurück. Das Markusevangelium setzt mit der Predigt Johannes des Täufers ein. Lukas widmet sein Buch Theophilus und schließt daran die Vorhersage der Geburt von Johannes dem Täufer an. Das Johannesevangelium aber beginnt mit einem theologischen Prolog. Es ist beinahe so, als ob Johannes gesagt hätte: "Ich möchte, daß Sie die Lehre und Taten Jesu näher kennenlernen. Doch Sie werden die gute Nachricht von Jesus nicht in ihrer ganzen Tragweite verstehen, wenn Sie nicht zugleich erkennen, daß Jesus Gott ist, der sich im Fleisch manifestiert hat, und daß alle seine Worte und Taten die Worte und Taten des Gottmenschen sind."

Die wichtigsten Themen des Johannesevangeliums klingen bereits im Prolog an und werden später weiterentwickelt. Zu den Schlüsselbegriffen der johanneischen Sprache gehören "Leben" (V. 4 ), "Licht" (V. 4 ), "Finsternis" (V. 5 ), "Zeugnis" (V. 7 ), "wahr" (V. 9 ), "Welt" (V. 9 ), "Sohn" (V. 14 ), "Vater" (V. 14 ), "Herrlichkeit" (V. 14 ) und "Wahrheit" (V. 14 ). Zwei weitere entscheidende theologische Termini sind "das Wort" (V. 1 ) und "Gnade" (V. 14 ). Sie kommen allerdings trotz ihrer Bedeutung nur in der Einleitung vor. Der Begriff "Wort" (Logos) steht zwar noch an anderer Stelle, dort aber nicht mehr als christologischer Titel.



A. Der Logos in Zeit und Ewigkeit
( 1,1 - 5 )


Joh 1,1


In einer Zeit, die so weit zurückliegt, wie der Mensch nur denken kann - im Anfang - war das Wort . Für den theologischen Terminus "Wort" steht hier der ganz normale griechische Begriff logos , der einfach "Sprechen, Botschaft oder Wörter" bedeutet. Er war sowohl in der griechischen Philosophie als auch in der jüdischen Weisheitsliteratur wohlbekannt. Wahrscheinlich wählte Johannes diesen Ausdruck, weil er seinen Lesern so vertraut war; doch er verlieh ihm eine ganz eigene Bedeutung, die gleich im Prolog entwickelt wird.

Das Wort war bei Gott , d. h., es hatte innerhalb der Trinität eine ganz besondere Beziehung ewiger Gemeinschaft mit Gott. "Bei" ist die Übersetzung des griechischen pros , hier im Sinne von "Gemeinschaft haben mit" (vgl. dieselbe Bedeutung von pros in Joh 1,2; 1Thes 3,4; 1Joh 1,2 ). Dann fügt Johannes hinzu: Gott war das Wort . Die Zeugen Jehovas schreiben: "das Wort war ein Gott" - eine falsche Übersetzung, die - logisch zu Ende gedacht - zum Polytheismus führt. In anderen Bibelversionen steht "das Wort war göttlich", wasjedoch ebenfalls nicht ganz eindeutig ist und zu einem falschen Verständnis von Jesus führen könnte. Richtig übersetzt kann dieser Vers dagegen die Lehre von der Trinität ganz entscheidend erhellen. Das Wort ist ewig; es steht in Beziehung zu Gott (dem Vater); und es ist Gott.


Joh 1,2


Das Wort war schon immer bei Gott . Christi Existenz begann nicht irgendwann innerhalb der Zeit, genausowenig wie er erst zu irgendeinem Zeitpunkt in Beziehung zum Vater trat. Der Vater (Gott) und der Sohn (das Wort) sind seit Ewigkeit eine liebende Einheit. Sowohl Vater als auch Sohn sind Gott, und dennoch gibt es nicht zwei Götter.

s

Joh 1,3


Warum gibt es etwas und nicht nichts? Auf diese berühmte Frage der Philosophie antwortet das Christentum mit Gott. Er ist ewig und der Schöpfer aller Dinge. Das Werkzeug der Schöpfung aber war das Wort (vgl. 1Kor 8,6; Kol 1,16; Hebr 1,2 ). Die ganze Schöpfung wurde gemacht: vom Vater, durch das Wort, mit der Hilfe des Geistes. Im Johannesevangelium steht das Wort im Mittelpunkt. Es kam, um den Menschen den Vater zu offenbaren ( Joh 1,14.18 ). Im Grunde begann das Offenbarungswerk bereits in der Schöpfung, denn auch die Schöpfung offenbart Gott ( Ps 19,1-6; Röm 1,19-20 ).



Joh 1,4


Das Leben ist das Wertvollste, was der Mensch besitzt. Der Verlust des Lebens ist tragisch. Johannes bestätigt das: In ihm (Christus) war das Leben . Christus verdanken die Menschen ihr physisches und ihr geistliches Leben. (Zu Johannes' Lehre über das Leben vgl. Joh 5,26;6,57;10,10;11,25;14,6;17,3;20,31 .) Jesus, die "Quelle des Lebens" (vgl. Joh 11,25 ), ist das Licht der Menschen (vgl. Joh 8,12 ). Das Licht ist in der Bibel ein Emblem Gottes; die Finsternis wird gemeinhin mit Tod, Beschränktheit, Unwissenheit, Sünde und Getrenntsein von Gott identifiziert. Jesaja beschrieb die Rettung als das Kommen eines großen Lichtes, das die Menschen, die in Finsternis leben, erblicken werden ( Jes 9,1; vgl. Mt 4,16 ).



Joh 1,5


Es liegt im Wesen des Lichts, das Dunkle hell zu machen - die Finsternis, die in diesem Vers gleichsam personifiziert ist, zu vertreiben. Die Finsternis ist nicht in der Lage, das Licht zu begreifen. In diesem einen Satz hat Johannes sein ganzes Evangelium zusammengefaßt: (a) Das Licht wird in das Reich der Finsternis kommen; (b) Satan, der Herrscher dieses Reiches, und seine Untertanen werden sich dem Licht widersetzen, doch sie werden seiner Macht nichts anhaben können; (c) das Wort wird gegen alle Widerstände siegen.



B. Das Zeugnis Johannes' des Täufers
( 1,6 - 8 )


Joh 1,6


Bevor jedoch das ewige Wort kam, betrat ein Mensch die Bühne der Geschichte: der hieß Johannes . Bei diesem Johannes handelte es sich nicht um den Verfasser des Johannesevangeliums, sondern um den berühmten Wegbereiter Jesu, Johannes den Täufer. Er war v on Gott gesandt - und hierin liegt auch das Geheimnis seiner Bedeutung. Gott selbst hatte ihn - wie früher die Propheten des Alten Testaments - für seinen besonderen Auftrag ausgestattet und bevollmächtigt.



Joh 1,7


Das Zeugnis (sowohl als Substantiv, martyria , als auch als Verb, martyreO ) ist ebenfalls ein Schlüsselbegriff des Johannesevangeliums (vgl. V. 15.32.34 ; Joh 3,11.26;5,31-34.36-37; Joh 18,37;19,35; usw.). (Vgl. auch die Karte beim Kommentar zu Joh 5,33-34 .) Johannes der Täufer war gesandt, um die Menschen auf Jesus vorzubereiten, um ihnen von der Wahrheit Jesu, dem Offenbarer des Vaters, zu verkünden, denn sie lebten in so tiefer Finsternis der Sünde, daß sie jemanden brauchten, der ihnen sagte, was Licht überhaupt ist. Johannes' Ziel war es, alle Menschen zum Glauben an Jesus zu führen.



Joh 1,8


Johannes der Täufer war zwar groß, doch er war nicht das Licht . Es gibt Hinweise darauf, daß die Bewegung, die mit dem Täufer begann, nach seinem Tod und auch nach dem Todund der Auferstehung Jesu weiterexistierte ( Joh 4,1; vgl. Mk 6,29; Lk 5,33 ). Zwanzig Jahre nach Jesu Auferstehung (vgl. Apg 18,25;19,1-7 ) traf Paulus, als er nach Ephesus kam, dort etwa zwölf Jünger Johannes' des Täufers, und noch heute gibt es im Gebiet südlich von Bagdad eine mandäische Sekte, die - obwohl sie dem Christentum feindlich gegenübersteht - nach eigener Aussage auf den Täufer zurückgeht.



C. Das Kommen des Lichts
( 1,9 - 13 )


Joh 1,9


Dieser Vers wird auch der "Quäkertext" genannt, weil die Gründer dieser Sekte eine irrtümliche Schlußfolgerung daraus zogen: sie stellten das "innere Licht" in den Mittelpunkt ihrer Lehre. (In manchen Bibelausgaben wurde das "Kommen" [ erchomenon ] nicht auf die Menschen, sondern auf Christus, das wahre Licht, zurückbezogen und als Hinweis auf die Inkarnation verstanden.)

Christus erleuchtet alle Menschen . Das bedeutet nicht, daß er sich allen offenbart, daß alle gerettet werden, oder auch nur, daß allen eine innere Erleuchtung zuteil wird. Es besagt lediglich, daß Christus, das Licht, jedem Menschen leuchtet ( phOtizei ), ihm die Augen für seine Sünde und das kommende Gericht öffnet ( Joh 3,18-21;9,39-41; 16,8-11 ) und ihn rettet, wenn er Christus annimmt.



Joh 1,10


Mit der Welt ( kosmos ) ist hier die Welt, in der die Menschen leben, und die menschliche Gesellschaft gemeint, die Gott ungehorsam ist und unter der Herrschaft Satans steht (vgl. Joh 14,30 ). Der Logos kam zu den Menschen durch die Inkarnation, doch die Menschheit erkannte ( egnO , kennen) den, der sie gemacht hatte, nicht (vgl. Jes 1,2-3 ). Ihr Versagen war nicht darauf zurückzuführen, daß das Wesen Gottes irgendwo im Menschen "verborgen" war, wie manche behaupten. Es war vielmehr eine Folge der durch die Sünde bedingten Unwissenheit und Blindheit der Menschen ( Joh 12,37 ).



Joh 1,11


Der Logos kam in sein Eigentum, doch die Seinen nahmen ihn nicht auf . In gewisser Weise ist das einer der traurigsten Verse der Bibel. Jesus kam zu seinem Volk, doch Israel verwarf ihn. Das jüdische Volk weigerte sich, Jesus als die vom Vater gesandte Offenbarung anzuerkennen und seinen Geboten zu gehorchen. Schon Jesaja hatte vor langer Zeit diesen Unglauben Israels vorausgesagt: "Aber wer glaubt dem, was uns verkündet wurde?" ( Jes 53,1 ).



Joh 1,12


Doch nicht alle waren ungläubig. Manche nahmen Jesu Einladung, die der ganzen Menschheit galt, an. Allen, die ihn als den Offenbarer des Willens des Vaters und als Sühneopfer akzeptierten, gab er Macht, Gottes Kinder zu werden . Das Wort "Kinder" ( tekna ) ist der Übersetzung "Söhne" vorzuziehen. Die Menschen sind nicht von Natur aus Kinder Gottes, doch sie können es werden, wenn sie das Geschenk ihrer Wiedergeburt annehmen.


Joh 1,13


Diese Wiedergeburt kommt nicht aus dem Blut noch aus dem Willen des Fleisches noch aus dem Willen eines Mannes , ist also weder eine dem Menschen in die Wiege gelegte Vorherbestimmung noch auf den natürlichen Wunsch der Menschen nach Kindern zurückzuführen. Die Geburt eines Gotteskindes ist keine natürliche Geburt; sie ist ein übernatürliches Werk von Gott, eine "Wiedergeburt" bzw. Erneuerung. Wenn ein Mensch Jesus annimmt und ihm in Glauben und Gehorsam antwortet, so ist das ein Geheimnis, dessen "Ursache" im Wirken des Heiligen Geistes liegt ( Joh 3,5-8 ).



D. Die Inkarnation und Offenbarung
( 1,14 - 18 )


Joh 1,14


Das Wort ( Logos ; vgl. V. 1 ) ward Fleisch . Christus, der ewige Logos , der Gott ist, kam als Mensch auf die Erde. Doch er erschien nicht nur in Gestalt eines Menschen; er wurde Mensch (vgl. Phil 2,6-8 ). Das Menschsein wurde der Gottheit Christi hinzugefügt. Und doch wandelte Christussich nicht, als er "Fleisch" wurde; daher ist das "ward" ( egeneto ) vielleicht besser mit "nahm auf sich" oder "kam als" zu übersetzen.

"Fleisch" bedeutet in diesem Vers "menschliche Natur", nicht Sündhaftigkeit oder Schwäche. Im Griechischen erinnert die Wendung und wohnte unter uns an die Zeit des Alten Testaments, in der Gott sich im Tempel, mitten unter seinem Volk, aufhielt. Das griechische Wort für "wohnte" ist eskEnOsen , von skEnE ("Stiftshütte"). So wie Gott in der Stiftshütte anwesend war ( 2Mo 40,34 ), wohnte auch Jesus unter den Menschen.

Wir sahen impliziert selbstverständlich, daß der Autor dieses Evangeliums ein Augenzeuge war. S eine Herrlichkeit bezieht sich auf die einzigartige Größe, die in Jesu Leben - in seinen Wundern, seinem Tod und seiner Auferstehung - zutage traten. Die Wendung des eingeborenen Sohnes ( monogenous ; vgl. Joh 1,18;3,16.18; 1Joh 4,9 ) bedeutet, daß Jesus von Anbeginn der Welt an auf eine Art und Weise der Sohn Gottes ist, die sich grundlegend von der Art und Weise unterscheidet, wie ein Mensch, der glaubt, ein Kind Gottes wird . Jesu Sohnschaft ist einzigartig, denn er ist ewig und eines Wesens mit dem Vater . Die herrliche Offenbarung Gottes, die der Logos verkörperte, war voller Gnade und Wahrheit , d. h., sie war eine gnädige und wahre Offenbarung (vgl. Joh 1,17 ).


Joh 1,15


Johannes der Täufer gab ein bleibendes Zeugnis von Jesus, wie das Präsens der Verben gibt Zeugnis und ruft im Griechischen und auch im Deutschen deutlich macht. Jesus, der jünger war als Johannes, begann sein Wirken später als dieser. Doch Johannes sagte, daß Jesus aufgrund seiner Präexistenz (also aufgrund seiner wahren Natur) eher war als er.



Joh 1,16


Das fleischgewordene Wort ist die Quelle der Gnade ( charin ), die die Summe allen Segens ist, den Gott den Menschen gibt. Die Wendung wir alle bezieht sich auf die Christen, einschließlich des Verfassers des Evangeliums, Johannes. Aufgrund seiner (Christi) Fülle wird den Christen Gnade um Gnade ( charin anti charitos , wörtlich: "Gnade auf Gnade") zuteil - ebenso unaufhörlich, wie die Wellen des Meeres ans Ufer schlagen. Das Leben der Christen wird getragen von Beweisen der Gnade Gottes, die sie immer wieder empfangen.



Joh 1,17


Das größte Geschenk, das Gott seinem Volk vor dem Kommen Jesu gemacht hatte, war das Gesetz, das er ihm durch Mose , seinen Knecht, gegeben hatte. Keinem anderen Volk wurde ein solches Privileg zuteil. Die Herrlichkeit der Kirche heute aber besteht darin, daß sie die Offenbarung von Gottes Gnade und Wahrheit durch Jesus Christus besitzt (vgl. V. 14 ).


Joh 1,18


Die Aussage "niemand hat Gott jemals gesehen" (vgl. 1Joh 4,12 ) scheint ein Problem aufzuwerfen. Sagte nicht Jesaja: "Ich habe den König, den Herrn Zebaoth, gesehen mit meinen Augen" ( Jes 6,5 )? Und doch ist Gott von seinem Wesen her unsichtbar ( 1Tim 1,17 ). Er ist der, "den kein Mensch gesehen hat noch sehen kann" ( 1Tim 6,16 ). Was Johannes hier ( Joh 1,18 ) eigentlich meinte, war also wohl, daß "kein Mensch je Gottes wahres Wesen gesehen hat". Gott kann sich wohl in einer Theophanie in anthropomorpher Gestalt zeigen (wie es Jesaja geschah), doch sein inneres bzw. eigentliches Wesen offenbart sich nur in Jesus.

Der Eingeborene, der Gott ist heißt wörtlich "der einzige Gott" oder "der eingeborene Gott" ( monogenEs theos ; vgl. monogenous , "des eingeborenen Sohnes", in V. 14 ). Mit der Rückkehr zu der Wahrheit von Vers 1 , daß das Wort Gott ist, schließt sich der Kreis des Johannesprologs. Vers 18 ist eine erneute Bekräftigung der Gottheit Christi: Christus ist der eine und einzige Gott. Der Sohn ist in des Vaters Schoß - ein Zeichen für die enge Beziehung zwischen Gott Vater und Gott Sohn (vgl. das Wort "bei" in V. 1 - 2 ). Dieser Sohn hat uns den Vater verkündigt ( exEgEsato ). Der Sohn ist der "Exeget" des Vaters, er manifestiert in seiner Person das Wesen des unsichtbaren Vaters (vgl. Joh 6,46 ).



II. Jesu Manifestation vor dem Volk
( Joh 1,19-12,50 )


Dieser Abschnitt, der den größten Teil des Johannesevangeliums ausmacht, beschreibt das öffentliche Wirken Jesu für das Volk Israel. Man könnte ihn ein "Buch der Zeichen" nennen, denn er erzählt von sieben Wundern, die Jesus vollbrachte und die ihn als den Messias ausweisen. An die Wunder schließen sich jeweils Reden und Auslegungen an. Darüber hinaus enthält der Abschnitt noch zwei lange Privatgespräche ( Joh 3-4 ).

A. Jesu frühes Wirken
( 1,19 - 4,54 )


1. Frühe Zeugnisse für Jesus
( 1,19 - 34 )


a. Johannes' erstes Zeugnis
( 1,19 - 28 )


Joh 1,19


Wie die synoptischen Evangelien berichtet auch Johannes von dem Wirken Johannes des Täufers, der so großen Erfolg hatte, daß die religiösen Machthaber in Jerusalem auf ihn aufmerksam wurden. Die Juden ist die Bezeichnung des Evangelisten für die politischen und religiösen Führer der Stadt Jerusalem. Die Priester und Leviten fragten Johannes also nach seiner Taufe und Identität.



Joh 1,20-21


Johannes antwortete ihnen: Ich bin nicht der Christus (d. h. der Messias). (Zur Bedeutung des Titels "Messias" vgl. den Kommentar zu V. 40 - 41 .) Seine Aussage hat, wie an der Wiederholung des Verbs "bekannte" deutlich wird, Bekenntnischarakter.

Interessanterweise wurden die Entgegnungen des Täufers auf die Fragen, die ihm gestellt wurden, von Mal zu Mal kürzer: "Ich bin nicht der Christus" (V. 20 ). Ich bin's nicht (V. 21 ). Nein (V. 21 ). Johannes wollte nicht von sich selbst sprechen, seine Aufgabe war es vielmehr, auf einen anderen hinzuweisen. Sein Amt kam dem Elias gleich. Ebenso unvermutet wie dieser erschien er auf der Bühne der Geschichte, und er kleidete sich auch wie Elia. Wie Elia zu seiner Zeit versuchte auch er, die Menschen zu Gott zu bekehren. Da Maleachi vorausgesagt hatte, daß Elia zurückkehren werde, bevor der Messias käme ( Mal 3,23 ), stellten viele Menschen Vermutungen darüber an, ob Johannes vielleicht Elia sei. Den Propheten dagegen erwarteten die Menschen aufgrund einer Prophezeiung von 5Mo 18,15 ,die sich auf Christus bezog (vgl. Joh 1,45 ), jedoch von vielen dahingehend mißverstanden wurde, daß der Prophet und der Messias zwei Personen seien (V. 23 ; Joh 7,40-41 ).



Joh 1,22-23


Johannes antwortete, daß er keiner dieser erwarteten Propheten sei, daß aber auch sein Amt bereits im Alten Testament beschrieben worden sei. Er war die Stimme ( phOne ), Jesus war das Wort ( Logos ). Johannes hatte die Aufgabe, die Menschen auf das Wort vorzubereiten, und er erfüllte sie in der Wüste . (Zur Bedeutung von Johannes' Zitat aus Jes 40,3 vgl. den Kommentar zu Mt 3,3 .)



Joh 1,24-25


Die Pharisäe r waren eine wichtige jüdische Sekte, die etwa sechstausend Mitglieder zählte und außerordentlich einflußreich war. Sie lebten nach ihrer eigenen, sehr strengen Auffassung des Gesetzes und hielten sich außerdem noch an viele mündliche Traditionen. Die Pharisäer überlebten als einzige kleinere Gruppe den jüdischen Krieg von 66 - 70 n. Chr., und ihre Lehre wurde zur Grundlage des talmudischen Judentums. Diese wichtigen Vertreter des Judentums fragten nun den Täufer: "Wenn du keinen offiziellen Titel hast, warum taufst du denn? "



Joh 1,26-27


Johannes wußte, daß seine Taufe nur die Vorwegnahme der eigentlichen Taufe war. Er erklärte ihnen, daß ein anderer kommen werde, den sie nicht kannten. Dieser Kommende werde so groß sein, daß er, Johannes, sich nicht für wert hielt, ihm auch nur die niedrigsten Dienste zu erweisen (wie z. B. seine Schuhriemen zu lösen ).



Joh 1,28


Wo das Betanien jenseits des Jordan lag, wissen wir nicht. (Es darf jedoch nicht mit dem anderen Betanien, der Heimatstadt von Maria, Marta und Lazarus, in der Nähe von Jerusalem, verwechselt werden.) Schon Origenes, der um 200 n. Chr. Palästina besuchte, konnte es nicht mehr finden. In Frage käme eine Ortschaft gegenüber von Jericho.



b. Johannes' zweites Zeugnis
( 1,29 - 34 )


Joh 1,29


Als nächstes ist von einer Reihe von Tagen die Rede (vgl. "am nächsten Tag" in V. 29.35.43 ; "am dritten Tage" in Joh 2,1 ), an deren ersten beiden Johannes erneut Zeugnis über Jesus ablegte. Am zweiten dieser Tage berief Jesus seine ersten Jünger, die ihm glaubten und nachfolgten. Johannes identifizierte Jesus als Gottes Lamm (vgl. Joh 1,36; 1Pet 1,19 ) - eine Bezeichnung, die auf die Opferungen des Alten Testaments verweist. Im allgemeinen wurden in Israel Lämmer geopfert, doch das Opfertier, das am Versöhnungstag die Sünde des Volkes trug, war ein Ziegenbock ( 3Mo 16 ). Vielleicht dachte Johannes bei seinen Worten aber auch an das Passalamm ( 2Mo 12 ) und an eine Aussage Jesajas, der von der Ähnlichkeit des Messias mit einem Lamm sprach ( Jes 53,7 ). In jedem Fall zeigte ihm der Heilige Geist Jesus als das Sühneopfer, das für der Welt Sünde sterben mußte (vgl. Jes 53,12 ).



Joh 1,30-31


Dann wiederholte Johannes nochmals, was er bereits früher über Jesus gesagt hatte (V. 15.27 ). Sein Ruhm sollte noch vom Ruhm Jesu übertroffen werden, dessen Vorrangstellung in seiner Präexistenz begründet liegt: Er war eher als ich. Doch warum sagte Johannes "und ich kannte ihn nicht "? Obwohl Johannes und Jesus durch Maria und Elisabeth miteinander verwandt waren ( Lk 1,36 ), wissen wir nichts darüber, ob sie sich vielleicht in ihrer Kindheit oder Jugend bereits begegnet waren. Jedenfalls wußte Johannes erst dann, daß Jesus der war, der da kommen sollte, als er ihm vom Vater als Messias offenbart wurde. Bis dahin wußte er nur, daß er dem, auf den alle warteten, durch die Taufe mit Wasser den Weg bereiten sollte. Gott würde Israel seinen Erlöser zur gegebenen Zeit senden.



Joh 1,32


Das Johannesevangelium sagt nichts darüber, daß Jesus getauft wurde, doch es setzt die Erzählungen aus den synoptischen Evangelien voraus (vgl. "Die Besonderheiten des Johannesevangeliums" in der Einleitung). Es ist auch nicht die Rede davon, daß der Heilige Geist bei der Taufe wie eine Taube auf Jesus herabkam. Wichtig ist dem Evangelisten vielmehr, daß der unsichtbare Geist vom Himmel herabfuhr und sich körperlich manifestierte (in Gestalt einer Taube). Johannes sah, daß der Geist als Taube auf Jesus blieb (vgl. Jes 11,2; Mk 1,10 ).



Joh 1,33


Er hatte von Gott (der ihn sandte) erfahren, daß derjenige, auf den die Taube herabkäme, der Auserwählte sei, der mit dem Heiligen Geist taufen würde. Die Reinigung durch Wasser ist eine Sache, doch die Reinigung durch den Heiligen Geist ist eine andere. Später an Pfingsten, fünfzig Tage nach Jesu Auferstehung, leitete die Taufe mit dem Heiligen Geist ein neues Zeitalter ein ( Apg 1,5;2,1-4 ) - das Kirchenzeitalter, das Zeitalter "des Geistes" (vgl. 1Kor 12,13 ).



Joh 1,34


Das Zeugnis des Täufers lautete, daß dieser Gottes Sohn sei. Der prophezeite davidische König war der Sohn Gottes ( 1Sam 7,13-14 a), und der messianische König ist in einzigartiger Weise Gottes Sohn ( Ps 2,7 ). Der Titel "Sohn Gottes" geht über die Vorstellung des Gehorsams und des messianischen Königs hinaus und verweist auf das wahre Wesen Jesu. Deshalb werden die gläubigen Menschen im Johannesevangelium denn auch an keiner Stelle als "Söhne" Gottes bezeichnet. Sie sind die "Kinder" ( tekna ; z. B. Joh 1,12 ) Gottes, der Titel "Sohn" ( hyios ) gebührt nur Jesus.



2. Jesu Jünger
( 1,35 - 51 )


a. Jesu erste Jünger
( 1,35 - 42 )


Joh 1,35-36


Der nächste Tag bezieht sich auf den zweiten Tag in der zeitlichen Abfolge (vgl. V. 29.35.43 ; Joh 2,1 ).Wahrscheinlich legt der Evangelist so großen Wert auf die Chronologie, weil er zeigen will, wie einige Jünger des Täufers zu Jüngern Jesu wurden. Die Zeiten der Verben in Joh 1,35-36 sind ungewöhnlich. Johannes stand da (Imperfekt), während Jesus vorüber geht (Präsens). Das Gesetz des Handelns geht nun von Johannes dem Täufer auf Jesus über. Johannes selbst wies seine Jünger auf ihn hin und sprach: Siehe, das ist Gottes Lamm (vgl. den Kommentar zu V. 29 ).



Joh 1,37


Zwei seiner Jünger hörten diese Worte und folgten Jesus nach . Das Verb "folgen" hat hier wahrscheinlich doppelte Bedeutung: Sie folgten ihm in wörtlichem Sinne - gingen hinter ihm her - und als seine Jünger, d. h., sie waren von diesem Tag an Anhänger Jesu.



Joh 1,38


Die ersten Worte, die die Jünger von Jesus hörten, lauteten: "Was sucht ihr?" Das war eine ganz simple Frage, und die Jünger antworteten mit der Gegenfrage, wo er wohne. Doch der Evangelist scheint noch mehr mit dieser Frage zu beabsichtigen. Vielleicht meinte Jesus auch: "Was sucht ihr in eurem Leben?" Das Wort, das hier mit Herberge ( menO ) übersetzt ist und an dieser Stelle zum ersten Mal auftaucht, ist einer der Lieblingsbegriffe des Evangelisten. Von den 112 Stellen im Neuen Testament, an denen er steht, finden sich 66 in seinen Schriften - 40 im Johannesevangelium, 23 im 1. und drei im 2. Johannesbrief (William F. Arndt und F. Wilbur Gingrich, A Greek-English Lexicon of the New Testament and Other Early Christian Literature . Chicago 1957, S. 504 - 505). Manchmal hat er, wie hier, die Bedeutung von "bleiben oder wohnen", ein paarmal heißt er "bleiben oder fortsetzen", doch meistens ist er im theologischen Sinn von "(bestehen) bleiben, fortfahren, festhalten" gemeint (z. B. Joh 15,4-7 ).



Joh 1,39


Jesus antwortete ihnen mit den einladenden Worten: Kommt und seht! Ein Mensch muß zunächst zu ihm kommen, dann wird er sehen. Doch sie sollten nicht nur sehen, wo er wohnte; auch diese Worte hatten einen tieferen theologischen Sinn. Die beiden Jünger blieben diesen Tag bei ihm - ab der zehnten Stunde , d. h. ab vier Uhr nachmittags oder zehn Uhr vormittags, je nachdem, ob der Evangelist die Tage von sechs Uhr morgens (wie es die Synoptiker gewöhnlich tun) oder von Mitternacht bzw. Mittag an zählt. Zehn Uhr vormittags - also nach der offiziellen römischen Zeitrechnung (vgl. den Kommentar zu Joh 4,6;19,14 ) gerechnet - scheint jedoch plausibler.



Joh 1,40-41


Andreas , einer der beiden Jünger, die Jesus nachgefolgt waren , war der erste, der Jesus als Messias verkündigte. Dem hebräischen "Messias", "der Gesalbte", entspricht der griechische Begriff "Christus" ( ho Christos ). Er stammt aus der alttestamentlichen Praxis, Priester und Könige mit Öl zu salben, ein Symbol des Heiligen Geistes, das auf den vorauswies, der kommen sollte (vgl. Jes 61,1 ). "Messias" war ein Titel des zukünftigen davidischen Königs (vgl. Mt 1,1; Joh 6,15 ). Kein Mensch in der Geschichte des Christentums erwies der Kirche je einen größeren Dienst als Andreas, als er seinen Bruder Simon Petrus zu Jesus brachte. Andreas tritt noch zweimal im Johannesevangelium in Erscheinung ( Joh 6,8-9;12,20-22 ); beide Male bringt er jemanden zu Jesus. Hinter dem ungenannten Jünger vermuteten die Neutestamentler gewöhnlich Johannes, einen Sohn des Zebedäus und Bruder von Jakobus, der auch als Verfasser des Johannesevangeliums angesehen wird. In Mk 1,16-20 beruft Jesus zwei Brüderpaare (Simon und Andreas und Johannes und Jakobus), allesamt Fischer.



Joh 1,42


Sofort, als Jesus Simon sah (vgl. V. 47 ), erkannte er seine Bestimmung. Er gab ihm den aramäischen Beinamen Kephas , griechisch Petrus (Fels). Im Hebräischen lautete der Name Simon wahrscheinlich Simeon (griechisch in Apg 15,14; 2Pet 1,1 ). Für die Änderung seines Namens von Simon in Kephas wird hier kein Grund angegeben. Im allgemeinen gehen die Forscher davon aus, daß der Beiname ein Hinweis auf das war, was Gott inseiner Gnade mit Petrus vorhatte: er sollte in den Anfangsjahren des Christentums zum "Felsen" der Kirche werden (vgl. Mt 16,18; Lk 22,31-32; Joh 21,15-19;2-5;10-12 ).

 

b. Die Berufung von Philippus und Nathanael
( 1,43 - 51 )


Joh 1,43-44


Die ersten Jünger stammten aus Galiläa, doch berufen hatte Jesus sie in Judäa, aus dem Gefolge des Täufers. Auf dem Weg nach Norden, nach Galiläa , berief er dann Philippus , dessen Heimatstadt Betsaida war, wo auch Andreas und Petrus herstammten. Betsaida lag am Nordostufer des Sees Genezareth ( Joh 12,21 ), politisch gesehen also im Süden der Provinz Gaulanitis, die zum Herrschaftsbereich des Herodes Philippus (Josephus, Ant. 18. 2. 1) gehörte. Aus Philippus' griechischem Namen sollten keine Schlußfolgerungen über seine Nationalität gezogen werden.



Joh 1,45


Philippus bezeugte gegenüber Nathanael , daß Jesus der Verheißene sei, von dem Mose ( 5Mo 18,18-19; vgl. Joh 1,21.25 ) und die Propheten ( Jes 52,13-53,12; Dan 7,13; Mi 5,1; Sach 9,9 ) schrieben. Überraschenderweise nannte er Jesus Josefs Sohn - zu diesem Zeitpunkt waren die Jünger also noch davon überzeugt, daß Jesus der leibliche Sohn Josefs war. Doch Nathanael sollte schon bald erkennen, daß Jesus " Gottes Sohn" war ( Joh 1,49 ).



Joh 1,46


Nathanael stockte kurz angesichts der niedrigen Herkunft des Messias. Was kann aus Nazareth Gutes kommen! Wie alle Juden kannte er den schlechten Ruf dieser Stadt und war davon überzeugt, daß der Messias aus Jerusalem, Hebron oder einer anderen berühmten Stadt kommen würde. Die Herablassung Jesu ist noch heute für viele Menschen unbegreiflich. Wie kann überhaupt der Logos ein Mensch werden? Doch Philippus war klug genug, sich nicht auf ein Streitgespräch einzulassen, er lud seinen Freund einfach ein, Jesus kennenzulernen: Komm und sieh es! Er wußte, daß Nathanaels Fragen dann eine Antwort finden würden.

 

Joh 1,47


Jesus, der übernatürliches Wissen besaß (vgl. V. 42 ), nannte Nathanael einen rechten Israeliten, in dem kein Falsch ( dolos , "Täuschung") ist im Gegensatz zu Jakob (vgl. V. 51 mit 1Mo 28,12 ).



Joh 1,48


Nathanael war erstaunt, daß Jesus ihn kannte, ja sogar ganz genau wußte, womit er beschäftigt war, als Philippus ihn traf: Er war unter einem Feigenbaum . Der Feigenbaum war eine Metapher für Muße und Sicherheit (vgl. 1Kö 5,5; Mi 4,4; Sach 3,10 ); vielleicht ein Ort der Meditation (vgl. den Kommentar zu Joh 1,50-51 ). Ps 139 führt das Thema, daß Gott das Leben eines Menschen bis in jede Einzelheit kennt, genauer aus.



Joh 1,49


Jesu übernatürliches Wissen brachte Nathanael dazu, ihn als Gottes Sohn und König von Israel zu bekennen. Das heißt nicht, daß er bereits zu diesem frühen Zeitpunkt die Trinität oder die Inkarnation völlig verstanden hatte. Doch er hatte verstanden, daß Jesus der Sohn Gottes, der erwartete Messias, war (vgl. Ps 2,6-7 ). Auf diesem zukünftigen davidischen König sollte der Geist Gottes ruhen ( Jes 11,1-2 ).



Joh 1,50-51


Doch Jesus verhieß Nathanael noch Größeres , wobei er vielleicht von den Wundern in Kapitel 2 - 13 sprach. Vers 48.51 sind vielleicht Hinweise darauf, daß Nathanael sich gedanklich mit Jakob, insbesondere mit dem Zwischenfall, über den 1Mo 28,12 berichtet, beschäftigte. Dort wird erzählt, daß Jakob in einem Traum sah, wie Engel eine Leiter hinauf- und hinabgingen. Nathanael aber sollte die Engel Gottes hinauf- und herabfahren (sehen) über dem Menschensohn . So wie Jakob sah, daß die Engel vom Himmel mit der Erde in Verbindung standen, so sollte Nathanael (und die anderen; das du in Joh 1,50 ist zwar Singular, doch in V. 51 steht dann Plural, ihr ) Jesus als den göttlichen Mittler zwischen Himmel und Erde erfahren. Der Menschensohn, der die Stelle der Leiter einnimmt, ist Gottes Verbindungsglied zur Erde (vgl. Dan 7,13; Mt 26,64 ). Vielleicht ist hierin auch ein Hinweis Jesu zu sehen, daß er das neue "Bethel", das neue Haus Gottes, war ( 1Mo 18,17; Joh 1,14 ).

 

Als Menschensohn verließ Jesus den Himmel und kam auf die Erde. Er selbst benutzte diesen Terminus über 80mal. Er ist ein Symbol seiner Menschlichkeit und seines Leidens sowie seines Wirkens als "vollkommener Mensch". Wahrlich, wahrlich, ich sage euch steht 25mal im Johannesevangelium und lenkt stets die Aufmerksamkeit auf wichtige Aussagen: Joh 1,51;3,3.5.11;5,19.24-25;6,26.32.47.53;8,34.51.58;10,1.7;12,24;13,16.20-21.38;14,12;16,20.23;21,18 .Interessanterweise findet sich dieses doppelte "Amen" bei den Synoptikern überhaupt nicht.



3. Jesu erstes Zeichen
( 2,1 - 11 )


Das erste Wunder, das Jesus im Johannesevangelium vollbrachte, war ein ganz privates, das nur die Jünger, einige Knechte und wahrscheinlich Jesu Mutter als solches erkannten. Daß in den synoptischen Evangelien nicht von diesem Wunder berichtet wird, könnte vielleicht damit zusammenhängen, daß Matthäus zu diesem frühen Zeitpunkt noch nicht zum Jünger berufen war. Von den vier Evangelisten war überhaupt nur Johannes anwesend. Er verwendet für den Vorfall bewußt das Wort "Zeichen" ( sEmoeiOn , V. 11 ), um die Aufmerksamkeit von den Wundertaten selbst abzulenken, hin zur eigentlichen Bedeutung der Wunder. Was sich dabei vollzieht, ist etwas "Wunderbares" ( teras ), das Wirken einer "Kraft" ( dynamis ), ein "unerwartetes ( paradoxos ) Geschehen".

Die Verwandlung von Wasser in Wein war das erste von insgesamt 35 Wundern, die uns von Jesus überliefert sind. (Vgl. die Tabelle, die Aufschluß über die Wunder, die Orte, an denen sie geschahen, und die Parallelstellen in den Evangelien gibt.)



Joh 2,1


Die Zeitangabe am dritten Tag bedeutet wahrscheinlich drei Tage nach der Berufung von Philippus und Nathanael. (Vgl. die Abfolge der Tage, auf die das jeweils in Joh 1,29.35 und 43 wiederholte "am nächsten Tag" hindeutet.) Die Reise von Betanien bei Jericho in Judäa ( Joh 1,28 ) nach Kana in Galiläa dauerte mehrere Tage. Wo genau Kana lag, wissen wir heute nicht mehr, doch es muß in der Nähe von Nazareth gewesen sein. Auch die Mutter Jesu war auf dem Fest anwesend, doch Johannes nennt sie nicht mit Namen (vgl. Joh 2,12;6,42;19,25-27 ), wie er auch an keiner anderen Stelle in diesem Evangelium seinen oder den Namen der Mutter Jesu erwähnt. (Jesu Mutter lebte nach dem Tod Jesu bei dem "Jünger, den Jesus lieb hatte"; vgl. Joh 19,27 .)

 

Joh 2,2-3


Orientalische Hochzeitsfeiern dauerten nicht selten sieben Tage. Das Fest setzte ein nach der Überführung der Braut in das Haus des Bräutigams bzw. seines Vaters, bevor die Ehe vollzogen wurde. Als der Wein ausging , wandte sich Maria an Jesus in der Hoffnung, daß er das Problem lösen könnte. Erwartete sie ein Wunder? Das ist angesichts der Aussage von Vers 11 unwahrscheinlich; bis jetzt hatte Maria ihren Sohn noch keine Wunder vollbringen sehen.


Joh 2,4-5


Das Wort Frau , mit dem Jesus seine Mutter hier anredet, klingt dem heutigen Leser fremd, war damals jedoch eine sehr höfliche und freundliche Wendung (vgl. Joh 19,26 ). Im Gegensatz dazu deutete der Satz " was geht's dich an " im Griechischen darauf hin, daß Jesus und Maria grundsätzlich zwei ganz verschiedenen Bereichen angehörten. Dämonen z. B. sagten es, wenn sie mit Christus konfrontiert wurden ("Was willst du von uns?"; Mk 1,24; "Was willst du von mir?"; Mk 5,7 ). Maria mußte hier, was für sie als Mutter sicherlich sehr schmerzlich war (vgl. Lk 2,35 ), erkennen, daß Jesus ausschließlich den Willen Gottes tat und daß der Zeitpunkt seiner Offenbarung ganz allein in der Hand des Vaters lag. Meine Stunde ist noch nicht gekommen oder ähnliche Wendungen finden sich fünfmal bei Johannes ( Joh 2,4;7,6.8.30;8,20 ). Später wird dreimal auf die Tatsache hingewiesen, daß seine Stunde nun gekommen ist ( Joh 12,23;13,1;17,1 ). Marias Anweisung gegenüber den Dienern (was er euch sagt, das tut) zeigt jedoch, daß sie ihrem Sohn gehorsam war. Obwohl sie ihn nicht verstand, vertraute sie ihm.



Joh 2,6-8


Das Wasser in den sechs steinernen Wasserkrügen (die je zwei oder drei Maße - das sind 80 bzw. 120 Liter - faßten) wurde für jüdische Reinigungsrituale vor und nach den Mahlzeiten benutzt (vgl. Mt 15,1-2 ). Hier wird der Gegensatz zwischen der neuen und der alten Ordnung ganz deutlich (vgl. Joh 4,13-14;7,38-39 ).

Diese Wasserkrüge befanden sich wahrscheinlich etwas außerhalb des Festsaals. Der Speisemeister, der die Oberaufsicht über das Fest hatte, wußte also nicht, daß er aus den Reinigungskrügen trank - was für einen Juden auch unvorstellbar gewesen wäre. Die Knechte schenkten das Wasser, das Wein geworden war, aus.

 

Joh 2,9-10


Als aber der Speisemeister den Wein kostete , stellte er fest, daß er besser war als der, den sie zuvor getrunken hatten. Im Gegensatz zu dem Brauch, den besseren Wein zuerst auszuschenken und später auf minderwertigeren überzugehen, versicherte er, daß der Wein, der zuletzt ausgeschenkt wurde, der beste sei. Dieses Wunder will deutlich machen, daß das Christentum gegenüber dem Judentum ein Fortschritt ist. Gott hat das beste Geschenk - seinen Sohn - bis jetzt zurückbehalten .



Joh 2,11


Johannes erklärt dieses Wunder als eine Manifestation der Herrlichkeit Christi. Im Gegensatz zu Mose, der als Zeichen für das göttliche Gericht Wasser in Blut verwandelte ( 2Mo 7,14-24 ), bringt Jesus Freude. Sein erstes Wunder war ein Vorgeschmack der Freude, die er den Menschen durch den Heiligen Geist bringen will. Es deutet auf Jesus als das fleischgewordene Wort, den mächtigen Schöpfer. Jedes Jahr verwandelt er bei der Ernte und den späteren Gärungsprozessen sozusagen Wasser in Wein - dasselbe Wunder wie hier, nur daß es hier in kürzerer Zeit stattfand. Die 120 Liter guten Weines waren sein Geschenk für das junge Paar. Sein erstes Wunder - eine Verwandlung - verweist auf sein verwandelndes Wirken unter den Menschen (vgl. 2Kor 5,17 ). Die Jünger glaubten an ihn . Doch ihr anfänglicher Glaube sollte im Laufe der Offenbarung Jesu, des Logos , auf die Probe gestellt und weiterentwickelt werden. Zu diesem Zeitpunkt verstanden sie seinen Tod und seine Auferstehung noch nicht ( Joh 20,8-9 ), doch sie kannten nun seine Macht.



4. Jesu Besuch in Kapernaum
( 2,12 )


Joh 2,12


Jesu Reise nach Kapernaum, das am Nordwestufer des Sees Genezareth lag, und sein kurzer Aufenthalt dort waren nur ein Zwischenspiel in seinem Leben. Obwohl Kapernaum nordöstlich von Kana lag, ging er dorthin hinab, denn das Land fällt zum Meer hin ab. Kapernaum wurde Jesu Wahlheimat (vgl. Mt 4,13; Mk 1,21;2,1 ). Von nun an schien er sich seiner Familie ( Mk 3,21.31-35; Joh 7,3-5 ) und seiner Heimatstadt Nazareth zu entfremden ( Mk 6,1-6; Lk 4,14-30 ).



5. Jesu erstes Wirken in Jerusalem
( 2,13 - 3,21 )


a. Die Reinigung des Tempels
( 2,13 - 25 )


Nach dem Bericht des Evangelisten Johannes fand die Reinigung des Tempels zu Beginn von Jesu Wirken statt, nach den Erzählungen der Synoptiker hingegen am Ende seines öffentlichen Auftretens ( Mt 21,12-17; Mk 11,15-18; Lk 19,45-48 ). Wahrscheinlich gab es zwei Tempelreinigungen, denn die beiden Berichte sind unterschiedlich. Johannes kannte zweifellos die synoptischen Evangelien und schrieb seine eigene Darstellung als Ergänzung zu ihren Berichten. Die erste Reinigung überrumpelte die Menschen völlig; die zweite, etwa drei Jahre später, war einer der unmittelbaren Gründe für Jesu Tod (vgl. Mk 11,15-18 ).



Joh 2,13-14


Wie es bei den Juden Brauch war ( 2Mo 12,14-20.43-49; 5Mo 16,1-8 ), zog Jesus hinauf nach Jerusalem, um das Passafest zu feiern (vgl. zwei andere Passafeste, eines in Joh 6,4 und eines in Joh 11,55;12,1;13,1 ). Dieses jährliche Fest sollte die Juden an die Gnade Gottes erinnern, der ihr Volk aus der Knechtschaft in Ägypten befreit hatte. Die Passazeit eignete sich damit in besonderer Weise, den Menschen das zu verkündigen, was Jesus ihnen zu sagen hatte.

Mit dem Tempel ist der große äußere Hof, der sogenannte "Vorhof der Heiden", der den inneren Tempelbezirk umgab, gemeint. (Vgl. die Skizze des Tempelbezirks.) Wahrscheinlich aus Gründen der Bequemlichkeit für die Pilger, die nach Jerusalem kamen, hatten die Pharisäer in diesem Bezirk, der eigentlich heilig war, das Kaufen und Verkaufen von Opfertieren gestattet. Daraus hatte sich allmählich ein einträglicher Handel entwickelt, so daß der Pilgerverkehr zu einer der Haupteinnahmequellen der Stadt geworden war. Eine weitere Annehmlichkeit für die Pilger waren die Geldwechsler. Die Tempelsteuern und -gebühren mußten in tyrischer Währung entrichtet werden, und für das Wechseln wurde eine hohe Gebühr erhoben. Diese Mißstände führten letzlich zu einer Korrumpierung der heiligen Handlungen.

 

Joh 2,15


Maleachi hatte einst prophezeit, daß eines Tages einer in den Tempel kommen und die Religion des Volkes "rein" machen würde ( Mal 3,1-3 ). Voller Entrüstung stieß Jesus die Tische um und trieb die Schafe und Rinder mitsamt ihren Verkäufern aus dem Tempelbezirk hinaus.



Joh 2,16


Jesus verurteilte nur die Entweihung seines Vaters Haus zum Kaufhaus , er wandte sich nicht gegen das Opfersystem selbst, auch wenn es stark an Sinn eingebüßt hatte. Bei der zweiten Reinigung des Tempels am Ende seines Wirkens dagegen griff er die religiöse Praxis wesentlich schärfer an und bezeichnete den Tempelbereich als "Räuberhöhle" ( Lk 19,46; vgl. Jer 7,11 ).

 

Jesus sprach häufig von Gott als von seinem "Vater". Nur durch ihn kann man den Vater kennenlernen: "Niemand kennt den Sohn als nur der Vater und wem es der Sohn offenbaren will" ( Mt 11,27 ).



Joh 2,17


Sein Tun erinnerte die Jünger an Ps 69,10 ,wo davon die Rede ist, daß der Gerechte den Preis für seinen Eintritt in Gottes Tempel zahlen muß. Jesu Eifer für Gott führte schließlich zu seinem Tod.



Joh 2,18-19


Die Juden - womit entweder die jüdischen Machthaber oder die Kaufleute gemeint waren - verlangten ein Zeichen dafür, daß Jesus das Recht hatte, die bestehende Ordnung umzuwerfen ("Denn die Juden fordern Zeichen"; 1Kor 1,22 ). Statt dessen erwiderte ihnen Jesus jedoch nur mit einer verhüllten Anspielung. Wie bei den Gleichnissen in den synoptischen Evangelien diente das rätselhafte Wort auch hier unter anderem dazu, die Hörer, die sich ihm widersetzten, zu verwirren. Jesus wollte, daß sie über sein Wort nachdachten und auf diesem Wege seine Bedeutung erkannten. Brecht diesen Tempel ab klingt wie ein Gebot, ist jedoch entweder ironisch oder vielleicht auch hypothetisch gemeint. Später, bei seiner Gerichtsverhandlung, wurde Jesus angeklagt, behauptet zu haben, er könne den Tempel zerstören und in drei Tagen wieder aufrichten ( Mt 26,60-61 ). Etwas Ähnliches wurde auch Stephanus zur Last gelegt ( Apg 6,14 ).



Joh 2,20-21


Herodes der Große hatte beschlossen, den von Serubbabel errichteten Tempel, dessen Herrlichkeit nicht an den Tempel Salomos heranreichte ( Hag 2,3 ), neu zu erbauen. Er begann damit im Jahr 20 oder 19 v. Chr., also bringen uns die sechsundvierzig Jahre , von denen hier die Rede ist, auf das Jahr 27 oder 28 n. Chr. Der Bau war jedoch erst 63 n. Chr. vollendet. Die Juden hatten also entweder vom Allerheiligsten oder von irgendeinem anderen Teil des Tempels gesprochen. Wie, so fragten sie, wollte Jesus ihn in drei Tagen neu erbauen? Das war unmöglich! Die Worte und du sind im Griechischen stark betont und unterstreichen die Verachtung der Pharisäer. Doch Jesus meinte mit dem Tempel hier natürlich seinen Leib , der nach drei Tagen auferweckt werden sollte.



Joh 2,22


Selbst die Jünger verstanden Jesu dunkle Worte zuerst nicht. Erst im Lichte der Auferstehung begriffen sie, wovon er gesprochen hatte. Da sie zuvor nicht hatten einsehen können, warum er sterben mußte, und auch die alttestamentlichen Aussagen über das Leiden und Sterben des Messias nicht verstanden hatten ( Jes 52,12-53,12; Lk 24,25-27 ), dachten sie erst nach seinem Tod wieder an diese Worte.



Joh 2,23


Als er aber am Passafest in Jerusalem war, tat Jesus noch weitere Zeichen, auf die Johannes hier nicht näher eingeht. Diese Zeichen bestanden wahrscheinlich hauptsächlich in Heilungen, die den Glauben vieler Menschen wecken sollten. Sie glaubten denn auch an seinen Namen , d. h., sie vertrauten auf ihn. Der Glaube, der hier zum Ausdruck kam, war jedoch noch nicht unbedingt der rettende Glaube, wie die nächsten Verse implizieren. Die Leute glaubten zwar, daß Jesus ein großer Heiler war, nicht aber, daß er sie auch von ihrer Schuld erretten konnte.



Joh 2,24-25


Jesus wußte, daß ein solches kurzfristiges Aufgerütteltsein oder auch ein Glaube, der auf Zeichen basierte, nicht ausreichte. Viele von denen, die ihm zu Anfang nachfolgten, verließen ihn denn auch wieder, als er keine Anstalten machte, die Rolle des politischen Königs zu übernehmen (vgl. Joh 6,15.60.66 ). Bis zu Jesu Tod und Auferstehung und dem Kommen des Heiligen Geistes war die Grundlage für den Glauben noch nicht ganz gelegt. Jesus in seinem übernatürlichen Wissen bedurfte nicht, daß ihm jemand Zeugnis gab vom Menschen . Wie Gott sah er in die Herzen ( 1Sam 16,7; Ps 139; Apg 1,24 ). Joh 3 und Joh 4 sind Beispiele für diese Fähigkeit. Jesus wußte, wonach Nikodemus strebte, und er kannte das Vorleben der Samariterin ( Joh 4,29 ). Die Verbindung zwischen dem dritten und dem zweiten Kapitel liegt auf der Hand (vgl. was im Menschen war , Joh 2,25 ,und "es war aber ein Mensch", Joh 3,1 ).



b. Jesu Gespräch mit Nikodemus
( 3,1 - 21 )


Joh 3,1


Nikodemus repräsentierte die Elite des Volkes. Er war Lehrer (V. 10 ), Pharisäer und Angehöriger des Hohen Rats, der Oberen der Juden . Der Hohe Rat setzte sich aus 70 Personen zusammen, die für religiöse Entscheidungen und, zur Zeit der römischen Besetzung, auch für Zivilangelegenheiten zuständig waren. Zwei Mitglieder dieses Rats sind im Neuen Testament positiv dargestellt: Josef von Arimathäa ( Joh 19,38 ) und Rabbi Gamaliel ( Apg 5,34-39;22,3 ). Auch Jesus wurde nach seiner Gefangennahme dem Rat vorgeführt ( Lk 22,66 ). Nikodemus tadelte die Pharisäer später, weil sie sich ein Urteil über Jesus gebildet hatten, ohne ihn zuvor anzuhören ( Joh 7,50-51 ), und er half Josef von Arimathäa, ihn zu begraben ( Joh 19,39-40 ).



Joh 3,2


Warum kam Nikodemus aber bei Nacht zu Jesus? Aus Angst? Weil es die übliche Zeit für Besuche war? Weil er ihn ungestört von der Menge sprechen wollte? Johannes geht nicht näher darauf ein, doch im allgemeinen hat die Nacht, die Zeit der Dunkelheit, im vierten Evangelium etwas Unheilvolles an sich (vgl. Joh 9,4;11,10;13,30 ). Nikodemus begann seine Rede mit den Worten: Meister, wir wissen, du bist ein Lehrer, von Gott gekommen . Das "wir" bezieht sich wahrscheinlich auf die vornehmen Mitglieder des Hohen Rates. Die Titel "Rabbi" und "Meister" sind zwar ein Ausdruck der Höflichkeit und waren als Schmeichelei für Jesus gedacht, doch sie beweisen auch, daß Nikodemus nicht verstanden hatte, wer Jesus war. Die nähere Bestimmung "von Gott" ist im Griechischen hervorgehoben. Die Zeichen, die Jesus getan hatte, hatten ihn als Mann Gottes ausgewiesen ( Gott war mit ihm ), und Nikodemus wollte nun quasi von Rabbi zu Rabbi zu ihm sprechen.

 

Joh 3,3


Doch Jesus stand nicht auf derselben Ebene wie Nikodemus. Er war "von oben" ( anOthen , V. 31 ), daher mußte auch Nikodemus "von neuem" (V. 3 , anOthen ) geboren werden. Von neuem oder "von oben" ( anOthen heißt beides; z. B. "von oben" in Joh 19,11 und "von neuem" in Gal 4,9 ) geboren zu werden bedeutet eine geistliche Verwandlung, die den Menschen aus dem Reich der Finsternis in das Reich Gottes hineinholt (vgl. Kol 1,13 ). Das Gottesreich ist der Bereich, in dem Gott herrscht und die Menschen segnet, das Reich, das im Moment noch unsichtbar ist, aber auf Erden errichtet werden wird ( Mt 6,10 ).



Joh 3,4


Nikodemus war zwar sicher, daß Jesus hier nicht von irgend etwas Absurdem (wie etwa von einer zweiten physischen Geburt) sprach, doch das wirkliche Wesen einer geistlichen Wiedergeburt verstand er nicht.



Joh 3,5


Jesu Worte über das Geboren werden aus Wasser und Geist sind unterschiedlich ausgelegt worden: (1) Das "Wasser" bezieht sich auf die natürliche Geburt, und der "Geist" auf die Geburt "von oben". (2) Das "Wasser" bezieht sich auf das Wort Gottes ( Eph 5,26 ). (3) Das "Wasser" bezieht sich auf die Taufe als einen wesentlichen Teil der Wiedergeburt. (Diese These widerspricht jedoch anderen Bibelversen, die deutlich machen, daß die Rettung nur durch den Glauben geschieht; z. B. Joh 3,16.36; Eph 2,8-9; Tit 3,5 .) (4) Das "Wasser" ist ein Symbol für den Heiligen Geist ( Joh 7,37-39 ). (5) Das "Wasser" bezieht sich auf die Predigt der Buße durch Johannes den Täufer, und mit dem Geist ist das Kommen Christi durch den Heiligen Geist zu einem einzelnen Menschen gemeint.

Die fünfte These klingt historisch am wahrscheinlichsten und theologisch am überzeugendsten. Johannes der Täufer hatte das Volk durch seine Predigt, in der er so großen Wert auf die Buße legte, aufgewühlt ( Mt 3,1-6 ). Die Erwähnung des "Wassers" sollte Nikodemus offensichtlich an diese Botschaft erinnern. Jesus wies Nikodemus also darauf hin, daß er, um in das Reich Gottes zu kommen , zu ihm umkehren (Buße tun) müsse, damit er durch den Heiligen Geist wiedergeboren würde.


Johannes

Joh 3,6-7


Es gibt zwei Reiche: die Welt der gefallenen Menschen (das Fleisch) und das Reich Gottes (den Geist ). Ein gefallener Mensch kann nicht von sich aus wiedergeboren werden; er braucht das göttliche Eingreifen. Nur der Heilige Geist Gottes kann den menschlichen Geist erneuern.

Die Menschen sollen sich nicht an der Bedeutung der Worte Jesu stoßen oder sie ablehnen. Sie müssen von neuem geboren werden . Das ist eine absolute Notwendigkeit, die für alle gilt.



Joh 3,8


Der nächste Vers enthält ein Wortspiel, das im Deutschen nicht angemessen wiedergegeben werden kann. Das griechische Wort pneuma bedeutet sowohl "Wind" als auch "Geist". Das Werk d es Geistes ( pneuma ) ist unsichtbar und geheimnisvoll wie das Wehen des Windes ( pneuma ). Auf beides haben die Menschen keinerlei Einfluß.



Joh 3,9-10


Nikodemus fragte, wie diese spirituelle Verwandlung vor sich gehe.Jesus antwortete ihm, daß er als Lehrer Israels (im Griechischen steht hier der Artikel) es doch eigentlich wissen müsse. Die alttestamentlichen Propheten sprachen von dem neuen Zeitalter des Geistes ( Jes 32,15; Hes 36,25-27; Joe 3,1-2 ). Die großen Lehrer des Volkes sollten wissen, wie Gott in seiner Gnade jemandem ein neues Herz geben kann ( 1Sam 10,6; Jer 31,33 ).


Joh 3,11


Doch Nikodemus wußte nichts von dem, worüber Jesus hier sprach. Er verkörperte in seiner Person den Unglauben und das Unwissen des ganzen Volkes. Wie einst die Propheten sprach auch Jesus zum Volk über göttliche Dinge, doch die Juden lehnten sein Zeugnis ab. Das Wort "Zeugnis" ( martyrian ) kommt im Johannesevangelium sehr oft vor (vgl. die Tabelle bei Joh 5,33-34 ).



Joh 3,12


Da Nikodemus schon die grundlegende Lehre der Wiedergeburt, von der Jesus in irdischen Analogien sprach, nicht verstand, wie sollte er dann die abstrakteren himmlischen Wahrheiten wie die Trinität, die Inkarnation und Jesu kommende Verherrlichung verstehen und glauben?


Joh 3,13


Und niemand ist gen Himmel aufgefahren und dann zur Erde zurückgekommen, um klare Auskunft über diese göttlichen Dinge zu geben. Die einzige Ausnahme ist Jesus, der Menschensohn (vgl. Joh 1,50-51; Dan 7,13; Mt 26,64 ). Er ist die "Leiter" zwischen Himmel und Erde und hat Zugang zu beiden Reichen (vgl. den Kommentar zu Joh 1,50-51 ). In der Inkarnation "stieg er herab", bei der Himmelfahrt "ging er hinauf". Er hielt sich bereits vor der Inkarnation im Himmel auf, daher kennt er die göttlichen Geheimnisse.



Joh 3,14-15


Der Gedanke des Auffahrens in den Himmel (V. 13 ) führt folgerichtig zum Gedanken der Erhöhung Jesu (vgl. Joh 8,28;12,32 ). Mose hielt, als Heilmittel für eine Strafe, die die Juden für ihren Ungehorsam erlitten, eine bronzene Schlange an einem Stab empor (vgl. 4Mo 21,4-9 ). In gleicher Weise sollte Jesus am Kreuz erhöht werden für die Sünde der Menschheit, so daß der Blick des Glaubens auf dieses Kreuz den zum Tode Verurteilten das ewige Leben geben konnte.



Joh 3,16


Ganz gleich, ob nun der Evangelist oder Jesus diesen Vers sprach, er ist Gottes Wort und gleichzeitig eine wichtige Zusammenfassung des Evangeliums. Gott liebt die Menschen. Seine Liebe gilt nicht nur wenigen oder einer bestimmten Gruppe, sondern der ganzen Welt. Für sie gab er sein größtes Gut - seinen eingeborenen ( monogenE ; vgl. auch Joh 1,14.18;3,18 und 1Joh 4,9 ) Sohn (vgl. Röm 8,3.32 ). Die Menschen können dieses Geschenk nur annehmen, nicht verdienen ( Joh 1,12-13 ). Sie werden durch den Glauben, durch das Vertrauen in Christus, gerettet. Verloren ( apolEtai ) bedeutet nicht Vernichtung, sondern Leben in der Hölle, weit entfernt von Gott, der Leben, Wahrheit und Freude ist. Das ewige Leben ist ein qualitativ neues, das der Gläubige bereits jetzt besitzt und das ihm für immer sicher ist (vgl. Joh 10,28;17,3 ).



Joh 3,17


Das Licht wirft zwar Schatten, doch seine Bestimmung ist es zu erhellen. Zwar wird, wer nicht glaubt, verdammt, doch eigentlich sandte Gott seinen Sohn , um die Menschen zu retten , und nicht, sie zu richten . Gott hat nicht etwa Freude am Tod der Bösen ( Hes 18,23.32 ); er will, daß alle Menschen gerettet werden ( 1Tim 2,4; 2Pet 3,9 ).



Joh 3,18


Der Weg zur Rettung ist der Glaube an das Werk, das Jesus am Kreuz vollendet hat. Die Menschen aber, die das Licht des Logos ablehnen, sind in der Finsternis ( Joh 1,5;8,12 ) und daher schon jetzt unter dem Gericht. Sie sind bereits gerichtet, so wie die sündigen, sterbenden Israeliten, die das göttliche Heilmittel, den Stab Moses, bewußt zurückwiesen ( 4Mo 21,4-9 ). Wer jedoch an Christus glaubt, ist unter keiner Verdammnis ( Röm 8,1 ); er "kommt nicht in das Gericht" ( Joh 5,24 ).

 

Joh 3,19


Die Menschen lieben die Finsternis nicht um ihrer selbst willen, sondern um dessentwillen, was sie verbirgt. Sie wollen ungestört mit ihren bösen Werken (ponera; vgl. V. 20 , wo ein anderes Wort für "böse" steht) fortfahren. Ein Gläubiger ist zwar auch ein Sünder (wenn auch ein erlöster), doch er bekennt seine Sünde und antwortet Gott (vgl. 1Joh 1,6-7 ). Letztlich ist die Liebe der Menschen zur Finsternis statt zu Gott, dem Licht ( Joh 1,5.10-11; 1Joh 1,5 ), ein Ausdruck ihrer Götzenliebe. Sie "verehren das Geschöpf und dienen ihm statt dem Schöpfer" ( Röm 1,25 ).



Joh 3,20


Ebenso wie das natürliche Licht des Tages sichtbar macht, was normalerweise verborgen bleibt, so macht Christus, das Licht , die Werke der Menschen als böse offenbar. (Das griechische Wort für "böse" an dieser Stelle lautet phaula ["nichtsnutzig"]; vgl. auch Joh 5,29 .) Die Ungläubigen kennen nicht den letzten Sinn des Lebens, sie haben keine echte Motivation, kein richtiges Ziel - ihr Schicksal ist die Verdammnis. Wer Böses tut, haßt das Licht (und liebt die Finsternis; Joh 3,19 ). Er fürchtet, daß im Licht die Wertlosigkeit seiner Werke offenbar wird und er sich von ihnen abwenden muß.



Joh 3,21


Jesus wirkt wie ein Magnet. Die Menschen, die zu ihm gehören, werden von ihm angezogen und hören seine Offenbarung gern. Das Licht tadelt ihre Sünde, und sie antworten mit Buße und Glauben. Sie leben durch die Wahrheit (vgl. 2Joh 1,1-2.4; 3Joh 1,1.4 ). Weil sie wiedergeboren sind, leben sie ein anderes Leben als ihr früheres, das sie in Finsternis verbrachten. Ihr neues Leben gründet sich auf den Glauben an Jesus und sein Wort. Der Geist, der von nun an in ihrem Leben wirkt, gibt ihnen neue Kraft, Ziele und Interessen ( 2Kor 5,17; Eph 2,10 ).

 

6. Das letzte Zeugnis Johannes' des Täufers
( 3,22 - 30 )


Joh 3,22-24


Für kurze Zeit überlappten sich das Amt Johannes' des Täufers und Jesu Wirken. Das Land Judäa muß erfüllt gewesen sein von der Lehre dieser beiden großen Prediger der Buße und des Gottesreiches. Sowohl Johannes als auch Jesus hatten Jünger, beiden folgten große Menschenmassen, und beide tauften . Mit der Aussage, daß Jesus "taufte" (V. 22.26 ), ist wahrscheinlich gemeint, daß er die Taufen, die seine Jünger vornahmen, überwachte ( Joh 4,2 ). (Die Lage von Änon, nahe bei Salim , ist uns heute nicht mehr bekannt, doch möglicherweise lag es etwa in der Mitte zwischen dem See Genezareth und dem Toten Meer [etwa Joh 4,5 Kilometer östlich von Sichem].) Da bei beiden Gruppierungen, den Anhängern des Johannes und Jesus, getauft wurde, gab es gleichzeitig zwei bedeutende "Reformbewegungen" im Land. Denn Johannes war noch nicht ins Gefängnis geworfen ( Joh 3,24 ). Diese Aussage macht deutlich, daß das vierte Evangelium als Ergänzung der Synoptiker zu sehen ist, denn hier wird vorausgesetzt, daß die Leser aus den synoptischen Evangelien ( Mt 14,1-12; Mk 6,14-29; Lk 3,19-20 ) oder aus anderen kirchlichen Überlieferungen von der Gefangennahme des Täufers wußten.



Joh 3,25


Die eifrigen Jünger des Johannes befanden sich eines Tages in Beweisnot gegenüber einem Juden, der fragte, warum er sich dem Täufer anschließen sollte. Er vertrat eine andere Auffassung von der Reinigung . Es gab bereits die Reinigunsrituale der Essener und die Waschungen der Pharisäer, warum sollten sie jetzt noch eine dritte Reinigung, die Taufe des Johannes, befolgen? Außerdem war die Gruppe, die Jesus folgte, größer (V. 26 ).



Joh 3,26


Höchstwahrscheinlich waren die Johannesjünger aufgebracht und eifersüchtig (ihnen lag nichts an Jesus, sie waren Johannes treu ergeben). Sie beklagten sich, daß Jesus, von dem Johannes doch Zeugnis gegeben hatte, nun die Aufmerksamkeit des Volkes auf sich zog, und sehnten sich nach den alten Zeiten, als jedermann kam, um Johannes den Täufer zu hören ( Mk 1,5 ).



Joh 3,27


Johannes' Antwort bewies seine Größe. Er sagte: Ein Mensch kann nichts nehmen, wenn es ihm nicht vom Himmel gegeben ist . Gott ist völlig frei darin, wem er seinen Segen gibt. Wenn Jesus Erfolg hatte, so mußte das der Wille Gottes sein. Dieses Prinzip von Gottes freier Souveränität ist ein Hauptanliegen nicht nur des Johannesevangeliums (vgl. Joh 6,65;19,11 ), sondern des ganzen Neuen Testaments (z. B. 1Kor 4,7 ).

 

Joh 3,28


Darüber hinaus erinnerte Johannes seine Jünger nochmals an das, was er predigte: daß er nicht der verheißene Messias sei, sondern nur vor ihm her gesandt , um ihm den Weg zu bereiten ( Joh 1,8.15.20.23 ).



Joh 3,29-30


In Jesu wachsendem Einfluß fand Johannes seine Freude erfüllt. Er beschrieb sie seinen Jüngern am Beispiel der im Nahen Osten üblichen Hochzeitsfeier. Der Freund des Bräutigams ist diesem nur behilflich, er ist nicht die Hauptperson des Festes. Seine Aufgabe ist es lediglich, die Zeremonie für den Bräutigam vorzubereiten. Wenn er hört, daß der Bräutigam kommt und die Braut holt, freut er sich. Die Aufgabe Johannes' des Täufers war es, die Ankunft Christi, des "Bräutigams", vorzubereiten. Johannes taufte nur mit Wasser, nicht mit dem Geist. Daher muß Jesus wachsen , Johannes aber muß abnehmen . Das war nicht nur ratsam oder geschah rein zufällig, sondern entsprach der göttlichen Ordnung. Johannes akzeptierte bereitwillig und mit Freuden Jesu wachsende Popularität, die dem Plan Gottes entsprach.



7. Das Zeugnis des Evangelisten
( 3,31 - 36 )


Es ist plausibler, den folgenden Abschnitt (V. 31 - 36 ) nicht als Fortsetzung der Rede des Täufers, sondern als das Zeugnis des Evangelisten zu sehen. Die theologische Exposition über den Vater und den Sohn entstammt wohl eher dem Gedankengut einer bereits entwickelten christlichen Theologie als dem Zeugnis Johannes' des Täufers.

Joh 3,31


Im folgenden entwickelt der Evangelist Johannes das Thema der Überlegenheit Jesu, auf die Johannes der Täufer seine Jünger hingewiesen hatte (V. 28 - 30 ). Da Jesus vom Himmel kam, gelten seine Worte mehr als die eines jeden religiösen Führers. Ein menschlicher Lehrer lehrt innerhalb seiner irdischen Grenzen ( er ist von der Erde und redet von der Erde ). Doch der Logos , der vom Himmel kommt, ist über allen ; er überragt alle ( Kol 1,18 ).



Joh 3,32


Jesu Verkündigung zeugte von seiner präexistenten Schau des Vaters und seiner Gemeinschaft mit ihm im Himmel (vgl. Joh 1,1.14 ). Doch trotz seines klaren, verläßlichen Zeugnisses hat die Menschheit seine Botschaft verworfen (vgl. Joh 1,11 ).


Joh 3,33


Dennoch wurde die Botschaft nicht so universal verworfen, wie Vers 32 anzudeuten scheint. Wer sie annimmt, besiegelt, daß Gott wahrhaftig ist (vgl. V. 21 ). Jesu Zeugnis zu verwerfen ist gleichbedeutend damit, Gott einen Lügner zu nennen ( 1Joh 5,10 ).



Joh 3,34


Da Jesus Gottes Worte redete , sprach er die vollkommene Wahrheit. Er war ermächtigt vom Heiligen Geist und hatte den Geist ohne Maß . Die alttestamentlichen Propheten besaßen im Vergleich dazu den Geist stets nur für bestimmte Aufgaben und für begrenzte Zeit.

Der Apostel Johannes bezeichnet Jesus als den, den Gott gesandt hat , eine Tatsache, auf die er in seinem Evangelium insgesamt neunundreißigmal hinweist (V. 3,17.34; 4,34; 5,23-24.30.36-38; 6,29.38-39.44.57; 7,16.28-29; 8,16.18.26.29.42; 9,4; 10,36; 11,42; 12,44-45.49; 13,16.20; 14,24; 15,21;16,5; 17,3.18.21.23.25; 20,21 ). Sie bestätigt Jesu Gottheit und göttliche Herkunft sowie Gottes Souveränität und Liebe, die den Sohn Fleisch werden ließ (vgl. Gal 4,4; 1Joh 4,9-10.14 ).


Joh 3,35


Das Verhältnis zwischen dem Sohn und dem Vater ist von liebender Vertrautheit und absolutem Vertrauen gekennzeichnet. Der Sohn besitzt alle Vollmacht, den Plan des Vaters zu erfüllen ( Joh 5,22; Mt 28,18 ).



Joh 3,36


Die Menschen haben nur zwei Möglichkeiten: an den Sohn zu glauben oder ihn zu verwerfen (vgl. V. 16.18 ). Unglaube kann sowohl auf tragische Unwissenheit als auch auf wissentlichen Ungehorsam gegenüber der klaren Erkenntnis zurückgehen. Nur an dieser Stelle ist im vierten Evangelium vom Zorn Gottes die Rede (vgl. jedoch Offb 6,16-17;11,18;14,10;16,19;19,15 ). Der "Zorn", Gottes unvermeidliche gerechte Reaktion auf das Böse, bleibt ( menei ) über dem Ungläubigen. Dieser Zorn hat eine zukünftige Dimension, doch er existiert auch schon jetzt. Unausgesetzte Sünde und dauernder Ungehorsam werden zu ewiger Bestrafung führen ( Mt 25,46 ).

 



8. Jesu Wirken in Samaria
( 4,1 - 42 )


a. Jesu Gespräch mit der Samariterin
( 4,1 - 26 )


Joh 4,1-3


Im Griechischen wie in der deutschen Lutherübersetzung bilden diese Verse einen einzigen langen Satz, der als Einführung in ein zweites, langes Gespräch Jesu dient. Das plötzliche Hervortreten Jesu und die Tatsache, daß er so viele Anhänger gewann, hatte die Aufmerksamkeit der Pharisäer auf ihn gelenkt. Jesus, der sich in Einklang mit Gottes Plan wußte, war klar, wie sein Amt enden würde und daß er bis zu dieser festgesetzten Zeit vorsichtig leben mußte. Daher ging er Konflikten aus dem Weg, bis seine "Stunde" gekommen war ( Joh 7,6.8.30;8,20; vgl. Joh 12,23;13,1;17,1 ). Er verließ also Judäa (vgl. Joh 3,22 ) und ging wieder nach Galiläa .

Dieses zweite Gespräch ist ein weiteres Beispiel für die Tatsache, daß Jesus "wußte, was im Menschen war" ( Joh 2,25 ). Die samaritische Frau, mit der er sich hier unterhielt, steht in schroffem Kontrast zu Nikodemus. Dieser suchte; sie war gleichgültig. Er war ein angesehener Mann; sie war eine leichtfertige Person. Er war Jude, sie eine verachtete Samariterin. Er war ein von moralischen Skrupeln geplagter Mensch; sie führte ein unmoralisches Leben. Er war rechtgläubig; sie war andersgläubig. Er kannte sich in religiösen Dingen aus; sie war unwissend. Doch trotz all dieser Unterschiede zwischen dem "Mann des Glaubens" und dem "Weltkind" hatten es beide nötig, wiedergeboren zu werden. Beiden fehlte etwas, das nur Christus ihnen geben konnte.



Joh 4,4


Er mußte aber durch Samarien reisen . Das war zwar der kürzeste, doch nicht der einzige Weg von Judäa nach Galiläa. Die andere Route verlief durch Peräa, östlich des Jordan. (Vgl. die beiden Wege auf der Karte.) In Jesu Zeit nahmen die Juden, weil sie die Samariter so sehr haßten, gewöhnlich den Weg östlich des Flusses, um Samaria zu umgehen. Jesus aber zog durch Samaria, um auch diese verachteten Menschen mit seiner Botschaft zu erreichen. Als Retter der Welt sucht er die Verachteten und Außenseiter (vgl. Lk 19,10 ).

Als "Samaria" wurde in neutestamentlicher Zeit das Gebiet in der Mitte Palästinas, zwischen Judäa im Süden und Galiläa im Norden, bezeichnet. Die Region bildete keine politische Einheit und stand unter römischer Verwaltung. Die Religion der dortigen Mischbevölkerung hatte sich aus dem Judentum und synkretistischen Kulten entwickelt; ihr Zentrum war der Berg Garizim. Noch heute hat eine kleine Gruppe Samariter in Jerusalem diese Traditionen bewahrt.

 

Joh 4,5-6


Das Dorf Sychar lag zwischen dem Berg Ebal und dem Garizim, bei Sichem, einem Ort, der meistens mit dem heutigen Akar, manchmal jedoch auch mit Balatah identifiziert wird. Ein Brunnen, den man in neuerer Zeit bei Sychar fand, ist möglicherweise der Brunnen Jakobs . In 1Mo 48,21-22 ist von dem Feld, das Jakob seinem Sohn Josef gab , die Rede. Jakob hatte es Jahre zuvor gekauft ( 1Mo 33,18-20 ). Jesus, müde von der Reise, setzte sich am Brunnen nieder. Es war um die sechste Stunde , nach römischer Zeitrechnung also etwa sechs Uhr abends. (Vgl. den Kommentar zu Joh 1,39;19,14 .)

 

Als Mensch litt Jesus Durst, Müdigkeit, Schmerz und Hunger, doch selbstverständlich besaß er auch alle Attribute der Göttlichkeit (Allwissenheit, Allmacht usw.).



Joh 4,7-8


Während seine Jünger in der Stadt waren, um Essen zu kaufen , tat Jesus etwas Überraschendes: er sprach mit einer Frau aus Samarien , die er noch nie gesehen hatte. Sie war schockiert, daß ein Jude sie bat, ihr zu trinken zu geben. Die damaligen Sitten verboten den öffentlichen Kontakt zwischen Frauen und Männern, zwischen Juden und Samaritern und besonders zwischen Fremden. Ein jüdischer Rabbi wäre eher durstig wieder gegangen, als daß er diese Bräuche verletzt hätte.

 

Joh 4,9


Die Frau war überrascht und neugierig; sie konnte nicht verstehen, wie es Jesus wagen konnte, sie um etwas zu trinken zu bitten, denn die Juden haben keine Gemeinschaft ( synchrOntai ) mit den Samaritern , d. h., sie benützen nichts, was zuvor ein Samariter benützt hat.

 

Joh 4,10


Nachdem er ihre Neugier geweckt hatte, sagte Jesus der Frau ein rätselhaftes Wort, das sie zum Nachdenken bringen sollte. Man könnteseine Äußerung etwa folgendermaßen umschreiben: "Dein Entsetzen wäre noch sehr viel größer, wenn du wüßtest, wer ich wirklich bin. Dann würdest du - nicht ich - diese Bitte äußern!" Drei Dinge brachten die Frau wohl zum Grübeln: (1) Wer ist er? (2) Was ist die Gabe Gottes ? (3) Was ist lebendiges Wasser ? "Lebendiges Wasser" war der Ausdruck für fließendes Wasser, bezeichnet hier aber den Heiligen Geist (vgl. Jer 2,13; Sach 14,8; Joh 7,38-39 ).



Joh 4,11-12


Die Frau mißverstand den Ausdruck "lebendiges Wasser" jedoch und dachte, Jesus spräche von dem Brunnen. Wie konnte er an das lebendige Wasser kommen, wo doch Jakobs Brunnen so tief war? Man hat festgestellt, daß der Brunnen bei Sychar einer der tiefsten in ganz Palästina ist. Sie fragte ihn: " Bist du mehr als unser Vater Jakob? " Die Formulierung dieser Frage verlangt im Griechischen eine negative Antwort. Die Frau konnte nicht glauben, daß Jesus größer war als Jakob. Daß sie "unser Vater Jakob" sagt, ist angesichts der Tatsache, daß die Juden ihn für den Gründer ihres Volkes halten, sehr interessant. Der Brunnen hatte eine lange Geschichte, doch, fragte sie sich, was kann dieser Fremde vorweisen ?



Joh 4,13-14


Jesus enthüllte ihr seine rätselhafte Äußerung vom Anfang in einem neuen rätselhaften Bild. Dieses Wasser aus dem Brunnen Jakobs löschte nur den physischen Durst, und auch ihn nur eine Zeitlang. Doch das Wasser, das er gab, befriedigte alle Bedürfnisse und Wünsche für immer. Wer es trinkt, wird in sich eine Quelle des Wassers haben (vgl. Joh 7,38-39 ), aus der man das Wasser nicht, wie aus dem Brunnen, erst mühsam heraufholen muß. Es ist der Heilige Geist, der dem, der glaubt, die Rettung bringt und durch ihn auch anderen das Heil anbietet.



Joh 4,15


Weil die Frau jedoch ganz in ihrer Sünde und ihrem materialistischen Denken gefangen war, konnte sie dieses dunkle Wort nicht verstehen. Sie begriff nur, daß sie mit einer solchen Quelle in sich nie mehr dürsten würde und nicht mehr so hart arbeiten müßte.



Joh 4,16-18


Da sie die Wahrheit, von der er gesprochen hatte, nicht begreifen konnte ( 1Kor 2,14 ), wandte Jesus sich dem Grundproblem der Frau zu. (Anscheinend gab sie ihm nichts zu trinken, und auch er selbst vergaß sein körperliches Bedürfnis in dem Versuch, ihr in geistlicher Hinsicht zu helfen.) Er schlug ihr vor, ihren Mann zu rufen und mit ihm zusammen wieder herzukommen . Damit bewies er ihr, daß er alles über sie wußte (vgl. Joh 2,24-25 ). Dieser Fremde kannte alle ihre Männergeschichten und wußte auch, daß sie in Sünde lebte. Auf diese Weise enthüllte Jesus ihr in ein paar Worten ihr ganzes sündiges Leben und gleichzeitig ihr Bedürfnis nach Rettung.



Joh 4,19-20


Wie interessant war nun ihre Reaktion darauf! Jesus war kein reisender jüdischer Rabbi, der zufällig vorbeikam. Da er übernatürliches Wissen besaß, mußte er ein Prophet Gottes sein. Doch statt ihre Sünden zu bekennen und zu bereuen, lenkte die Frau ihn auf ein intellektuelles Problem. Für die Samariter war der Ort der Anbetung der nahegelegene Berg Garizim. Die Juden dagegen vertraten die Ansicht, daß diese Ehre nur dem Tempel in Jerusalem gebühre. Wer hatte recht in diesem Streit?

Johannes

Joh 4,21


Es kommt die Zeit (vgl. V. 23 ) bezieht sich auf den bevorstehenden Tod Jesu, der eine neue Phase in Gottes Plan einleiten sollte. Denn im Kirchenzeitalter, der Zeit des Heiligen Geistes, findet der Gottesdienst nicht mehr in Tempeln, weder auf dem Garizim noch auf dem Zion, statt.



Joh 4,22


Was das bedeutete, machte Jesus im folgenden ganz deutlich: Die samaritische Religion basierte auf Unwissenheit. Ihr wißt nicht, was ihr anbetet . Die Samariter waren nicht das Werkzeug der Rettung der Menschheit. Israel war das von Gott erwählte Volk, dem Großes vorherbestimmt war ( Röm 9,4-5 ). Mit dem Ausspruch: denn das Heil kommt von den Juden , meinte Jesus nicht, daß die Juden auf jeden Fall gerettet oder besonders fromm waren.Aber Jesus, ein Nachkomme Abrahams, hat es gebracht.



Joh 4,23


Mit dem Kommen des Messias kam die Zeit für eine neue Form der Anbetung. Wahre Anbeter sind die, die erkennen, daß Jesus die Wahrheit Gottes ( Joh 3,21;14,6 ) und der einzige Weg zum Vater ( Apg 4,12 ) ist. In der Wahrheit anbeten heißt, Gott durch Jesus anbeten. Im Geist anbeten heißt, in dem neuen Reich, das Gott den Menschen offenbart hat, anzubeten. Der Vater sucht nach wahren Anbetern, weil er will, daß die Menschen in der Wahrheit, nicht in der Lüge, leben. Jeder Mensch sucht etwas, das er verehren kann ( Röm 1,25 ), doch die Sünde macht viele blind und läßt sie ihr Vertrauen nutzlosen Dingen schenken.



Joh 4,24


Gott ist Geist ist eine bessere Übersetzung als "Gott ist ein Geist", wie es in manchen Bibelausgaben steht. Gott ist nicht ein Geist unter vielen. Was hiermit ausgedrückt werden soll, ist die Unsichtbarkeit seines Wesens. Er ist nicht an einen Ort gebunden. Die Anbetung Gottes kann nur durch den (Jesus) geschehen, in dem Gottes unsichtbares Wesen Gestalt annimmt ( Joh 1,18 ), und sie kann nur geschehen kraft des Heiligen Geistes, der dem Gläubigen die neue Wirklichkeit des Gottesreiches offenbart (vgl. Joh 3,3.5;7,38-39 ).



Joh 4,25


Auch die Samariter warteten auf einen messianischen Führer. Da für sie jedoch nur die fünf Bücher Mose bindend waren, mußte er nicht der Gesalbte aus dem Geschlecht König Davids sein. Ausgehend von 5Mo 18,15-18 hofften sie auf eine Mose ähnelnde Persönlichkeit, die all ihre Probleme lösen würde. Jetzt verstand die Samariterin - zumindest teilweise - was Jesus gemeint hatte, denn auch sie wartete sehnsüchtig auf die messianische Zeit, wenn der Messias alles verkündigen würde .


Joh 4,26


Die Selbstoffenbarung Jesu - Ich bin's (der Messias) - war sehr ungewöhnlich. Er sprach sonst während seines Wirkens in Galiläa und Judäa (vgl. Joh 6,15 ) nicht über seine Aufgabe und zog den Titel "Menschensohn" dem "Messias" vor. Doch in diesem besonderen Fall war die Gefahr eines Aufstands, wie er bei den Juden von seiten der national gesinnten Zeloten drohte, gegenstandslos.

 

b. Jesu Anweisungen an seine Jünger
( 4,27 - 38 )


Joh 4,27-30


Die Frau, aufgeregt durch das, was Jesus zu ihr gesagt hatte, und vielleicht auch etwas eingeschüchtert dadurch, daß nun auch die Jünger zurückkamen, verließ ihn und ging in die Stadt. In der Freude über ihre Entdeckung vergaß sie ihren Krug. Im Moment war es ihr wichtiger, den anderen von ihrem neuen Glauben zu erzählen. Ihre Worte "kommt, seht einen Menschen, der mir alles gesagt hat, was ich getan habe" sollten die Aufmerksamkeit der Dorfbevölkerung wecken. Vielleicht hatte sie mit einigen von ihnen früher zusammengelebt, und die fragten sich nun: "Weiß der womöglich auch über uns Bescheid?"

Sie fragte die Dorfbewohner, ob sie es für möglich hielten, daß er (...) der Christus sei . Wörtlich lautete ihre Frage: "Das kann nicht der Messias sein, oder?" Sie verlangte also eine negative Antwort. Wahrscheinlich wählte sie diese Formulierung, weil sie wußte, daß die Leute auf die entschiedene Versicherung einer Frau - vor allem einer Frau mit ihrem Ruf - kaum wohlwollend reagieren würden. Wie Jesus zuvor ihre Neugier geweckt hatte, stachelte nun auch sie die Neugier der anderen an, und sie beschlossen, der Sache selbst nachzugehen.

 

Joh 4,31-32


Als die Jünger dann mit Jesus sprachen, merkten sie, daß etwas geschehen war. Bevor sie ihn verlassen hatten, war er müde und durstig gewesen, doch jetzt hatte er kein Interesse mehr an Speise und Trank. Seine Stimmung hatte sich geändert. Sie boten ihm Essen an, doch er lehrte sie: Ich habe eine Speise zu essen, von der ihr nicht wißt - wieder eine seiner rätselhaften Aussagen.



Joh 4,33-34


Das Unverständnis der Jünger gab Jesus Gelegenheit, ihnen seine Worte zu erklären. Wie gewöhnlich hatten sie nur ans Materielle gedacht. Doch Jesus sprach: Meine Speise ist die, daß ich tue den Willen dessen, der mich gesandt hat . Das bedeutet nicht etwa, daß Jesus keine physische Nahrung brauchte, sondern besagt vielmehr, daß es seine größte Leidenschaft und sein sehnlichster Wunsch war, den Willen Gottes zu tun (vgl. Joh 5,30; Joh 8,29 ). Jesus wußte, daß der Mensch nicht vom Brot allein lebt, sondern "von einem jeglichen Wort, das aus dem Mund des Herrn kommt" ( 5Mo 8,3 ). Das Geistige hat Vorrang vor dem Materiellen. Das Werk des Vaters muß getan werden (vgl. Joh 17,4 ) - dieser Gedanke füllte Jesus ganz aus.

 

Joh 4,35


In der Landwirtschaft ist zwischen dem Aussäen und dem Ernten eine Zeit des Wartens vorgesehen. "Es sind noch vier Monate, dann kommt die Ernte" war vielleicht ein Sprichwort, das den Menschen damals vertraut war. Doch in geistlicher Hinsicht gab es kein langes Warten mehr. Jesus war gekommen und damit die Zeit der Entscheidung. Alles, was den Menschen fehlte, waren die Einsicht und die richtige Perspektive. Wie groß ihr Bedürfnis nach geistlicher Neuorientierung war, hätte den Jüngern ein Blick in die Runde gezeigt. Die Samariter, die sich in ihrer weißen Kleidung vom Dorf her näherten (V. 30 ), ähnelten vom optischen Eindruck her vielleicht einem Feld, das reif zur Ernte war.


Joh 4,36-38


Als diejenigen, die berufen waren zu ernten, besaßen die Jünger das große und lohnende Privileg, die Menschen zum Glauben an Christus zu führen. Andere haben bereits gearbeitet , d. h. gesät. Das bezieht sich möglicherweise auf die alttestamentlichen Propheten oder auch auf Johannes den Täufer, der Jesus den Weg bereitete. Beide Arbeiter - der da sät und der da erntet - werden ihren Lohn erhalten. Wer erntet, (...) sammelt Frucht zum ewigen Leben , d. h., Jesu Jünger waren in einem Dienst für andere tätig, in dem es für diese anderen um Leben und Tod ging ( 2Kor 2,15-16 ).

Die Erntezeit war in der Alten Welt eine Zeit der Freude ( Rt 3,2.7; Jes 9,2 ). Auch zur Zeit des Heils wird große Freude sein (vgl. Lk 15,7.10.32 ). Die Jünger erlebten die noch größere Freude, Augenzeugen der Vollendung dieses Prozesses zu sein ( Joh 4,38 ). Wer sät, ist weiter von dieser Freude entfernt, weil er die unmittelbare Erfüllung nicht vor Augen hat. Johannes der Täufer rief das Volk zur Buße auf, doch er starb noch vor Pfingsten, als die Jünger zu ihrer großen Freude sahen, daß Tausende zum Glauben an Jesus fanden.



c. Die Reue der Samariterin
( 4,39 - 42 )


Joh 4,39


Die kleine Erweckungsbewegung unter den Samaritern , die aus dem Erlebnis der Frau erwuchs, ist insofern bemerkenswert, als das Thema der Ablehnung Jesu durch das jüdische Volk ( Joh 1,11 ) bereits angeklungen war und auch schon ein Hinweis auf die umfassende Tragweite der Aufgabe Jesu ( Joh 3,16; vgl. Apg 1,8 ) erfolgte. Das Zeugnis der Frau war, obwohl in gewisser Hinsicht unnötig ("ich aber nehme nicht Zeugnis von einem Menschen"; Joh 5,34 ), doch sehr wirksam. Jesu Kenntnis des menschlichen Herzens und sein Wissen um das Leben des einzelnen waren ein Beweis für seine Gottheit ( Ps 139; Joh 1,47-49;2,24-25 ).



Joh 4,40-41


Das Bekenntnis der Frau führte zu einer persönlichen Begegnung der Samariter mit Jesus. Er blieb zwei Tage bei ihnen. Das Wort "blieb" (von meno , "bleiben, festhalten") ist einer von Johannes' theologischen Lieblingsbegriffen (vgl. Joh 3,36;6,56;15,4-7; usw; und den Kommentar zu Joh 1,39 ). Und noch viel mehr glaubten um seines Wortes willen . Ihr Glaube gründete sich auf seine Botschaft. Noch heute sind das persönliche Zeugnis der Menschen und die Botschaft von Jesus Gottes Werkzeug der Rettung. Joh 4,42 : Ein Glaube, der sich nur auf das Zeugnis anderer stützt, ist zweitrangig. Wahrer Glaube dringt zu eigener Erfahrung und persönlicher Begegnung mit Jesus vor: Wir haben selber gehört. Daß Jesus der Welt Heiland ist, bedeutet nicht, daß jeder gerettet wird (Universalismus), sondern, daß sein Licht für alle Menschen scheint ( Joh 1,9 ). Das Licht ist nicht nur zum Volk Israel gekommen, sondern zu "allen Nationen und Stämmen und Völkern und Sprachen" ( Offb 7,9 ).



9. Der Sohn des königlichen Beamten
( 4,43 - 54 )


Joh 4,43-45


Nach dem zweitägigen Aufenthalt in Samarien setzten Jesus und seine Jünger ihre Reise nach Galiläa fort. Denn er selber, Jesus, bezeugte, daß ein Prophet daheim nichts gilt . Diese sprichwörtliche Äußerung Jesu (vgl. Mt 13,57; Mk 6,4 ), die der Evangelist in diesem Zusammenhang zitiert, ist schwer zu deuten. Ist mit "daheim" nun Judäa oder Galiläa gemeint? Im allgemeinen standen ihm die Galiläer wohlwollender gegenüber als die Judäer, doch auch sie versuchten, ihn zu töten ( Lk 4,14-30 ). Wahrscheinlich wollte Johannes seine Leser mit diesem Wort auf die kommende Verwerfung vorbereiten; vielleicht wollte er sagen, daß Jesus trotz der freundlichen Aufnahme, die ihm in Galiläa zuteil wurde, nicht wirklich akzeptiert wurde (vgl. Joh 2,24-25;4,48 ). Die Menschen waren zwar von seiner Reinigung des Tempels auf dem Fest ( Joh 2,13-22 ) und von seinen Wundern ( Joh 2,23 ) beeindruckt, doch ihr Enthusiasmus für den Heiler (vgl. Mk 5,21.24 b) war nicht immer auch ein Zeichen dafür, daß sie an ihn glaubten ( Mk 6,1-6 ).



Joh 4,46-47


Der Mann im Dienst des Königs wird nicht genauer identifiziert. Er kann Heide, aber auch Jude gewesen sein, ein Hauptmann oder kleinerer Beamter am Hof des Herodes. Wahrscheinlich war er Jude, denn Jesus rechnet ihn zu den Menschen, die Zeichen und Wunder sehen wollen (V. 48 ; vgl. 1Kor 1,22 ). Sein Sohn war krank , und sicherlich hatte er bereits alle Mittel, die ihm zur Verfügung standen, ausprobiert. Seine niedrige soziale Stellung und Geldmangel trieben ihn von Kapernaum nach dem etwa 30 Kilometer entfernten Kana , in der Hoffnung, daß der berühmte Heiler, von dem er gehört hatte, seinen Sohn gesund machen könnte.

 

Joh 4,48


Jesu scharfe Zurechtweisung ihm gegenüber war notwendig. Ein Glaube, der nur auf wunderbaren Zeichen beruht, ist nicht genug (vgl. 2,23-25 ). Viele ( ihr ) zögerten, an Jesus zu glauben, wenn sie nicht Zeichen ( sEmeia ) und Wunder ( terata ) sahen. Der Glaube an Jesus wird von allen gefordert, doch nicht alle dürfen Wunder sehen (vgl. Mt 16,1-4; 1Kor 1,22 ).

 

Joh 4,49


Aber der Mann war jetzt nicht in der Verfassung, sich mit Jesus über theologische Dinge zu streiten. Er konnte nur noch um Gnade bitten, denn sein Kind lag im Sterben.



Joh 4,50


Jesu ruhige Antwort auf die verzweifelte Bitte des Vaters führte die Wende herbei. Er sagte: "Geh hin, dein Sohn lebt!" Wenn der Beamte wirklich glaubte, daß Jesus in Kapernaum etwas bewirken konnte, so mußte er ihm auch hier in Kana glauben. Also glaubte (er) Jesus und ging hin .


Joh 4,51-53


Auf dem Rückweg dachte er wohl über all das nach, was Jesus ihm gesagt hatte. Als ihm seine Knechte mit der Nachricht entgegenkamen, daß sein Kind lebe, fragte er sie, wann es besser mit ihm geworden war . Die Heilung war denn auch kein Zufall, sondern war genau zu der Stunde geschehen, als Jesus ihm gesagt hatte, daß sein Kind leben würde: zur siebenten Stunde , nach römischer Zeitrechnung um sieben Uhr morgens. Von da an wuchs der Glaube des Mannes, und er glaubte mit seinem ganzen Hause . Die Lehre dieses Zwischenfalls ist, daß Jesus auch aus großer Entfernung Menschen vor dem Tod bewahren kann. Sein Wort wirkt, wenn ihm nur geglaubt wird. Joh 4,54 : Die Zeichen in Galiläa (die Verwandlung von Wasser in Wein [ Joh 2,1-11 ] und die Heilung des Sohnes des königlichen Beamten) bewiesen, daß Jesus der Verheißene war. Beide waren jedoch noch im Verborgenen geschehen. Das Wunder auf der Hochzeit hatten nur die Jünger und ein paar Knechte bemerkt, und auch die Heilung des Kindes drang nicht an die Öffentlichkeit.



B. Jesu Kontroverse in Jerusalem
( Joh 5 )


1. Die Heilung eines Gelähmten
( 5,1 - 15 )


Joh 5,1


Danach war ein Fest der Juden, und Jesus zog hinauf nach Jerusalem . Dieses "Fest" wird nicht genauer bezeichnet (in manchen Handschriften fehlt der Hinweis darauf sogar ganz), doch es ist möglich, daß es sich um das Passafest handelte. Jesus nahm noch an drei weiteren Passafesten teil ( Joh 2,23;6,4;11,55 ). Wahrscheinlich wollte Johannes hier nur begründen, warum Jesus sich in Jerusalem aufhielt.



Joh 5,2


Nördlich des Tempelbezirks befand sich ein Teich, der heißt hebräisch Betesda (vgl. die Karte zur Lage des Teiches). Ausgrabungen eines Brunnens in der Nähe des Schaftores haben fünf Säulenhallen bzw. überdachte Hallen zutage gefördert, die die Genauigkeit dieser Beschreibung bestätigen. Betesda bestand genaugenommen aus zwei Brunnen, die direkt nebeneinander lagen.

 

Joh 5,3 a


Die vielen Kranken sind zugleich ein Bild für die große geistliche Not in der Welt.



Joh 5,3-4 (Joh 5,3b-4)


In den frühesten Handschriften fehlen diese Verse. Wahrscheinlich wurden sie später eingefügt als Erklärung, warum das Wasser des Teiches sich "bewegte" (V. 7 ). Die Menschen glaubten, daß in regelmäßigen Abständen ein Engel käme und das Wasser berühre. Nach der Überlieferung sollte der erste, der danach hineinstieg, geheilt werden. In der Bibel ist allerdings nirgendwo sonst von diesem Aberglauben, einer Situation, die wohl jedesmal in einen für die meisten Kranken sehr grausamen Wettkampf ausartete, die Rede. Keine einzige Handschrift vor 400 n. Chr. enthält einen Hinweis darauf.

 



Joh 5,5


Am Sabbat (V. 9 ) dieses Festes nun wandte Jesus sich einem Menschen zu, der bereits seit achtunddreißig Jahren krank war. Johannes sagt nicht, an welcher Krankheit er litt oder ob er von Geburt an krank war. Auf jeden Fall war seine Lage aussichtslos.



Joh 5,6


Das Wort vernahm bedeutet nicht, daß Jesus von anderen erfuhr, daß der Mann schon so lange krank war, sondern daß er es einfach wußte (im Griechischen gnous , "wissend"; vgl. Joh 1,48;2,24-25;4,18 ). Seine so seltsam klingende Frage " willst du gesund werden? " diente dazu, die Aufmerksamkeit des Mannes auf sich zu lenken und seinen Willen und seine Hoffnung zu wecken. Das größte Problem in geistlicher Hinsicht ist ja immer wieder, daß die Menschen entweder nicht erkennen, daß sie krank sind (vgl. Jes 1,5-6; Lk 5,31 ), oder nicht geheilt werden wollen. Meistens sind sie - zumindest für eine Weile - ganz glücklich in ihrer Sünde.



Joh 5,7


Der Mann antwortete, daß ihm nicht der Wunsch, geheilt zu werden, fehle, sondern die Möglichkeit dazu, denn er hatte keinen Menschen, der ihn in den Teich brachte, wenn das Wasser sich bewegte . Er hatte es versucht, war jedoch immer zu spät gekommen.


Joh 5,8


Da sprach Jesus zu ihm: Steh auf, nimm dein Bett und geh hin! Zugleich mit dem Aussprechen dieses Befehls wurde der Mann in die Lage versetzt, ihm zu gehorchen. Wie bei dem toten Lazarus ( Joh 11,43 ) bewirkte Jesu Wort gleichzeitig auch seine Erfüllung - ein Bild für die Bekehrung. In dem Menschen, der Gottes Forderung zu glauben gehorcht, wirkt Gott durch sein Wort.



Joh 5,9-10


In der sofortigen Heilung des Mannes trat Gottes übernatürliche Macht zutage, denn er nahm sein Bett und ging hin . Die so lange gelähmten Muskeln waren urplötzlich wieder voll funktionsfähig. Schon Jesaja hatte prophezeit, daß die Lahmen in den Tagen des Messias "springen (werden) wie ein Hirsch" ( Jes 35,1-7 ). Hier in Jerusalem geschah nun das öffentliche Zeichen, daß der Messias gekommen war.

Der Sabbat gab ständig Anlaß zu Streitigkeiten zwischen Jesus und seinen theologischen Gegnern (vgl. Mk 2,23-3,4 ). Das mosaische Gesetz verbot jegliche Arbeit am siebten Tag der Woche. Die späteren jüdischen religiösen Machthaber fügten dem weitere, außerordentlich komplizierte und beschwerliche Gesetze hinzu. Häufig verschleierten diese menschlichen Überlieferungen die ursprüngliche Absicht, die den Geboten Gottes zugrunde lag. "Der Sabbat ist um des Menschen willen gemacht" ( Mk 2,27 ), an diesem Tag soll er sich ausruhen und Zeit zum Gottesdienst und zur Freude haben. Die strengen Traditionen der Juden (nicht etwa das Alte Testament) schrieben vor, daß, wer an einem Sabbat etwas aus einem bestimmten Zweck von einem öffentlichen an einen privaten Ort beförderte, zu steinigen sei. Der Mann, den Jesus soeben geheilt hatte, war also in Gefahr, sein Leben zu verlieren.



Joh 5,11


Der Geheilte wußte das jedoch und kam dem Vorwurf, die Tradition verletzt zu haben, zuvor, indem er sagte, daß er nur einen Befehl ausgeführt habe.



Joh 5,12-13


Natürlich waren die Machthaber an der Identität dieses Menschen, der dem Invaliden quasi befohlen hatte, ihre Regeln zu übertreten, interessiert. Der aber gesund geworden war, wußte nicht, wer es war ; es scheint sich hier also um eine Heilung gehandelt zu haben, bei der der Glaube keine Rolle spielte. Der Gelähmte war von Jesus aus Gnade erwählt worden, weil er in Not war und weil Jesus Gottes Herrlichkeit an ihm erweisen wollte. Unmittelbar darauf war Jesus entwichen, da so viel Volk an dem Ort war (vgl. Joh 8,59;10,39;12,36 ). Daher wußte niemand, wer den Mann geheilt hatte.



Joh 5,14-15


Später fand Jesus den Geheilten im Tempel . Das Verb "finden" setzt voraus, daß er ihn suchte, weil er mit ihm sprechen wollte. Doch der vormals Gelähmte schien Jesus nicht besonders dankbar zu sein; sein Verhalten setzt ihn jedenfalls in ziemlich schlechtes Licht. Jesu Warnung ( sündige hinfort nicht mehr, daß dir nicht etwas Schlimmeres widerfahre ) bedeutet nicht, daß die Lähmung durch eine bestimmte Sünde hervorgerufen wurde (vgl. Joh 9,3 ), wenngleich alle Krankheit und auch der Tod letztlich aus der Sünde kommen, sondern sollte ihn darauf hinweisen, daß sein tragisches Leben - 38 Jahre der Krankheit - nichts waren angesichts der Verdammung in der Hölle, die ihm drohte, wenn er weiter sündigte. Jesus wollte nicht nur den Körper heilen, weit wichtiger war ihm die Heilung der Seele.



2. Die Lehre Jesu
( 5,16-47 )


Joh 5,16


All dies hatte Jesus am Sabbat getan . Außer von der Heilung des Gelähmten ( Joh 5,1-15 ) berichtet Johannes später noch von der Heilung eines Blinden, die ebenfalls am Sabbat geschah ( Joh 9 ). Auch das Ährenraufen ( Mk 2,23-28 ), die Heilung des Mannes mit der verdorrten Hand ( Mk 3,1-5 ), die Heilung der Frau, die 18 Jahre gelähmt gewesen war ( Lk 13,10-17 ), und die Heilung des Wassersüchtigen ( Lk 14,1-6 ) fanden am Sabbat statt. Hier zeigt sich, daß Jesus eine völlig andere Auffassung vom Sabbat hatte als seine Widersacher. Letzere mußten im Laufe der Kontroversen immer häufiger Niederlagen einstecken, während die Menge sich immer stärker Jesus zuwandte. Doch das führte lediglich dazu, daß sie ihn nun verfolgten und zu töten versuchten ( Joh 5,16.18;7,19.25 ).



Joh 5,17


Am siebten Tag ruhte Gott von seinem Schöpfungswerk ( 1Mo 2,2-3 ). Doch Jesus wies zur Rechtfertigung dafür, daß er am Sabbat heilte, auf das ständige Wirken Gottes hin. In jeder Sekunde erhält Gott das Universum, bringt neues Leben hervor und sucht die Menschen heim. Daher konnte es auch kein Unrecht sein, wenn sein Sohn am Sabbat Werke der Gnade und Barmherzigkeit tat. Vor allem die Worte mein Vater sind wichtig. Jesus sagte nicht "euer" oder wenigstens "unser Vater". Der Anspruch auf Gottheit, der sich darin manifestierte, entging seinen Gegnern nicht.



Joh 5,18


Hatte bereits der Streit um den Sabbat genügt, um den Haß der religiösen Machthaber gegen Jesus zu schüren, so konnten sie seinen implizit zum Ausdruck gebrachten Anspruch, daß Gott sein Vater sei, auf keinen Fall hinnehmen. Für die Juden ist Gott einer und einzig, niemand kommt ihm gleich. Was Jesus hier behauptete, war deshalb in ihren Augen eine ungeheuerliche Gotteslästerung. Wer behauptete, Gott gleich zu sein, postulierte im Grunde genommen den Polytheismus. Die anmaßende und arrogante Unabhängigkeit, die in dieser Aussage steckte, war zutiefst zu verurteilen. Im Talmud wurden vier Menschen als hochmütig gebrandmarkt, weil sie sich Gott gleichgesetzt hatten: der heidnische Herrscher Hiram, Nebukadnezar, Pharao und der jüdische König Joasch.



Joh 5,19


Doch Jesus erklärte gleichzeitig, daß er keinesfalls unabhängig vom Vater sei oder sich ihm widersetze. Er tat nichts von sich aus . Der Vater hat den Sohn gesandt und leitet ihn. Das Wirken des Sohnes ahmt das Wirken des Vaters nach, beide sind immer zusammen am Werk. (Zu der Wendung wahrlich, wahrlich, ich sage euch vgl. den Kommentar zu Joh 1,51 .)



Joh 5,20


Der Sohn ist in nichts unabhängig vom Vater oder lehnt sich gar gegen ihn auf. Sie sind in beständiger Liebe miteinander verbunden. Der Sohn tut nicht einfach einen Teil von Gottes Willen; er weiß um alles, was der Vater tut. Durch den Vater sollte Jesus noch weit überraschendere Werke vollbringen, als es die Heilungen waren.



Joh 5,21


Eines der Vorrechte der Gottheit ist die Macht über Leben und Tod. (Ein König von Israel fragte Naaman: "Bin ich denn Gott, daß ich töten und lebendig machen könnte?"; 2Kö 5,7 .) Zu den größten Wundern ( Joh 5,20 ), die Jesus tat, zählte, daß er den Menschen das Leben brachte. Der Sohn (macht) lebendig, welche er will - so wie er auch aus der Menge der Kranken, die ihn umgaben, einen auswählte, um ihn zu heilen. Zum Geschenk des Lebens gehören das geistliche (ewige) Leben und der auferstandene Körper, wie die Auferweckung des Lazarus zeigt ( Joh 11 ).



Joh 5,22


Die Macht des Sohnes, das Leben zu bringen, ist allerdings auch unlösbar verbunden mit seinem Recht, die Menschheit zu richten (vgl. V. 27 ). Der Vater hat sein eschatologisches Vorrecht in Jesu Hände gelegt.



Joh 5,23


Jesu Einheit mit seinem Vater ist so vollkommen, daß die Ehre Gottes an ihn gebunden ist. Gott, den Sohn , zu verwerfen oder ihm nicht die Ehre zu geben, heißt, Gott, den Vater , abzulehnen oder zu mißachten.



Joh 5,24


Da Jesus eins mit Gott ist und die göttlichen Vorrechte, von denen in 19-23 die Rede war, besitzt, hat, wer seiner Botschaft und seinem Vater vertraut, schon jetzt das ewige Leben (vgl. Joh 3,36 ). Er wird am Ende der Zeit nicht dem Gericht übergeben werden ("er wird nicht gerichtet"; vgl. Joh 3,18; Röm 6,13; 8,1 ), weil er schon jetzt aus demeinen Reich - dem Tod - in das andere - das Leben - eingegangen ist (vgl. Eph 2,1.5 ). Nur noch ein einziges Mal im Neuen Testament (in 1Joh 3,14 ) steht die Wendung "daß wir aus dem Tode in das Leben gekommen sind".



Joh 5,25


Jesu lebenschenkende Macht kann einen Menschen vom Tod auferwecken ( Joh 11,43 ), alle, die in den Gräbern sind ( Joh 5,28-29 ), auferstehen lassen und einen jeden aus dem geistlichen Tod in das ewige Leben (V. 24 ) berufen. (Die Worte es kommt die Stunde stehen viermal im Johannesevangelium: Joh 4,21.23;5,25.28 .)

 

Joh 5,26-27


Hier sprach Jesus nochmals von den beiden wichtigsten Vorrechten, die ihm Gott übertragen hat: der Macht über Leben und Tod (V. 21.24 - 26 ) und der Vollmacht zum Gericht (vgl. V. 22.24 - 25.27 ). Beide besaß er, weil der Vater ... das Leben ... dem Sohn ... gegeben hat. Das gilt für Zeit und Ewigkeit. Christus, der Logos , besitzt in sich selbst das Leben als ewiges Geschenk seines Vaters ( Joh 1,4 ), und in der Inkarnation wurde ihm zusätzlich die Vollmacht gegeben, das Gericht zu halten . Als der Menschensohn (vgl. Dan 7,13 ) hat er also alle Vollmacht.

 

Joh 5,28-29


Seine Hörer sollten sich nicht wundern , daß diejenigen, die glauben, vom Tode zum Leben hindurchdringen (V. 24 ), denn in der Zukunft werden alle auf sein Gebot hin auferstehen. Von dieser universalen Auferstehung ist bereits in Dan 12,1 - 2 die Rede. Andere Textstellen sprechen davon, daß die Auferstehung zum Leben, "die erste Auferstehung", in Stufen vor sich gehen wird: die Gemeinde wird entrückt werden, die Heiligen aus der Zeit der großen Trübsal werden beim zweiten Kommen des Herrn am Ende dieser Zeit auferstehen. Die Auferstehung derer, die gerichtet werden, wird dann am Ende des Tausendjährigen Reiches erfolgen ( Offb 20,11-15 ). Joh 5,28-29 ist eine der wenigen Stellen im Johannesevangelium, die einen ausdrücklich eschatologischen Inhalt haben.

 

Die Formulierungen "die Gutes getan haben" und "die aber Böses getan haben" ( ta phaula , "nichtsnutzige Dinge; vgl. Joh 3,20 ) mögen, für sich betrachtet, vielleicht zu der Schlußfolgerung verführen, daß man durch "gute Werke" gerettet oder aufgrund böser Taten verdammt wird, doch wenn man die johanneische Theologie im Zusammenhang betrachtet, verbietet sich ein solcher Gedanke (vgl. Joh 3,17-21;6,28-29 ). Die, die wirklich wiedergeboren sind, leben ein anderes Leben. Sie gehorchen Gott ( Joh 14,15 ), sie verlassen sich auf ihn ( Joh 15,5-7 ), und sie wandeln im Licht ( Joh 8,12; 1Joh 1,7 ). Sie sind gerettet durch das Lamm Gottes, das stellvertretend für sie die Strafe ihrer Sünde auf sich nimmt. Rettung bringt nur der Glaube an Christus. Doch wer den Sohn Gottes verwirft, verfällt dem Gericht ( Joh 3,36 ).

 

Joh 5,30


Dieser Vers bildet eine Überleitung; er beschließt die Aussagen über die Einheit Jesu mit dem Vater (V. 19 - 30 ). Der Abschnitt endet, wie er begann: mit dem Hinweis, daß der Sohn nichts von sich aus tut (vgl. V. 19 ). Das Gericht , das er halten wird, geht, wie alles, was er tut, auf den ausdrücklichen Willen des Vaters zurück. Er ist das Sprachrohr des Vaters, dessen Willen er ausführt. Sein Wille ist es, den Willen des Vaters zu tun (vgl. Joh 4,34;8,29 ) - ein Beweis dafür, daß er selbst göttlichen Wesens ist.



Joh 5,31-32


Auf das Thema der Einheit Jesu mit dem Vater folgt nun das Zeugnis des Vaters für Jesus. Dabei scheinen sich Joh 5,31 und Joh 8,14 zu widersprechen, in Wirklichkeit sprechen sie jedoch nur von verschiedenen Dingen. In Joh 5,31 ging es Jesus darum, daß er, wenn er für sich selbst zeugte, von den jüdischen Machthabern nicht akzeptiert würde. Sie würden sein Zeugnis als anmaßende Selbsterhöhung sehen. In einem anderen Umfeld ( 8, 14 ) ist sein Zeugnis für sich selbst jedoch vollkommen gültig, da der Mensch selbst seine eigenen Erfahrungen immer am besten kennt. Jesus versicherte, daß es ihm nicht um unabhängige Selbstbestätigung ging. Er unterwarf sich dem Willen des Vaters und ließ sich vom Vater bezeugen.



Joh 5,33-34


Wie bereits erwähnt (vgl. Joh 1,7 ), spielt der Begriff des "Zeugnisses" im Johannesevangelium eine wichtige Rolle (vgl. dazu auch die Tabelle zum Begriff "Zeugnis").

So war es die Aufgabe Johannes' des Täufers, Zeugnis zu geben. Ein guter Zeuge sagt die Wahrheit nach bestem Wissen und Gewissen. Das Zeugnis des Täufers für Jesus ist unvergänglich ( hat bezeugt ist im Griechischen Perfekt). Doch nicht Jesus bedurfte des Zeugnisses von einem Menschen ; Johannes half damit vielmehr den Menschen: Er wies ihnen, die in Finsternis lebten, das Licht, damit ihr selig werdet . Die große Bewegung, die er im Volk hervorrief, war nur eine antizipatorische, die auf Jesus als Lamm Gottes vorauswies.



Joh 5,35


Johannes war nur ein brennendes und scheinendes Licht , noch nicht das wahre Licht ( Joh 1,9 ). Für eine kleine Weile wurde das jüdische Volk von ihm aufgerüttelt und freute sich an seiner Botschaft. Eine kurze Zeitlang glaubten die Menschen, mit ihm sei das messianische Zeitalter angebrochen. Obwohl seine Predigt in einigen Punkten scharf mit ihnen ins Gericht ging, versetzte sie das Volk in freudige Erregung. Israel wurde zwar zurechtgewiesen, doch die Menschen hofften auch, daß nun die Feinde endlich vernichtet würden.

 

Joh 5,36


Johannes der Täufer ließ zwar seine Stimme für Gott erschallen, doch er tat keine Wunder ( Joh 10,41 ). Die "Zeichen" waren besondere Werke, die zu vollbringen Gott allein dem Sohn vorbehalten hatte. Bereits im Alten Testament waren diese Wunder prophezeit worden ( Jes 35,5-6 ). Sie waren der Beweis, daß Gott mit Jesus war und durch ihn wirkte (vgl. Nikodemus' Worte, Joh 3,2; Jesu Ausführungen in Mk 3,23-29 und die Aussage eines vormals Blinden, Joh 9,30-33 ).



Joh 5,37-38


Gott tritt als Zeuge für seinen Sohn auf. Der Vater, der mich gesandt hat, hat von mir Zeugnis gegeben . Doch wann und wie gab bzw. gibt der Vater Zeugnis vom Sohn? Hier sind anzuführen: (1) bei Jesu Taufe ( Mt 3,17 ), (2) bei seiner Verklärung ( Mt 17,5 ), (3) beim Einzug in Jerusalem ( Joh 12,28 ), (4) in Jesu Werken ( Joh 3,2 ), (5) im Geist und Herzen der Menschen ( Joh 6,45 ). Höchstwahrscheinlich bezog sich Jesus an dieser Stelle auf das innere Wirken Gottes, der den Menschen bewußt macht, daß Jesus die Wahrheit ist ( Joh 6,45; 1Joh 5,9-12 ). Im Gegensatz dazu wissen Jesu Widersacher nichts von Gott. Sie haben keine Vorstellung von ihm und wenden sich nicht an ihn. Sie haben sein Wort , die Heilsbotschaft, nicht gehört ( habt ihr nicht in euch wohnen [ menonta , von menO , "bleiben, bewahren"], weil sie Jesus ablehnen.



Joh 5,39-40


Die Domäne der jüdischen Religionsführer war das Alte Testament. Sie glaubten, daß der, der die Worte dieses Buches verstand, sich damit ein Anrecht auf die zukünftige Welt verschaffe. Wer das Gesetz nicht kannte, lebte in ihren Augen unter einem Fluch ( Joh 7,49 ). Auch heute noch ist das Lesen in der Bibel für manche Menschen Selbstzweck und nicht eine Möglichkeit, etwas über Gott und sein Wesen zu erfahren. In gewisser Weise waren die Augen dieser jüdischen Gelehrten gehalten ( 2Kor 3,15 ); sie sahen nicht, daß Jesus der Verheißene war, die Erfüllung des alttestamentlichen Opfersystems, der wahre, gerechte Gottesknecht, der kommende Prophet, der Menschensohn, der davidische König und der verheißene Sohn Gottes und Hohepriester. Trotz der Eindeutigkeit der Offenbarung weigerten sie sich, zu ihm zu kommen und das Leben zu finden (vgl. Joh 3,19-20 ).



Joh 5,41-42


Vielleicht dachten die Juden, daß Jesus darüber aufgebracht war, daß er bei ihrer Führungsschicht keine offizielle Anerkennung fand. Doch er bestritt das. Sie glaubten seine Motivation zu kennen, doch es war vielmehr so, daß er sie und auch den Grund für ihren Unglauben kannte (vgl. Joh 2,24-25 ): sie hatten nicht Gottes Liebe (d. h. die Liebe zu Gott, nicht die Liebe von Gott) in sich. Das größte Gebot aber lautet, Gott zu lieben ( 2Mo 20,4; 5Mo 6,5 ); die größte Sünde ist es demgemäß, ihn abzulehnen und statt seiner "das Geschöpf" zu lieben und ihm zu dienen ( Röm 1,25 ).


Joh 5,43-44


An zwei Dingen zeigte sich die mangelnde Liebe der Menschen zu Gott. (1) Sie lehnten Christus, den "Stellvertreter" des Vaters, ab. Einen Botschafter zu schmähen oder zurückzuweisen ist eine Zurückweisung dessen, der ihn gesandt hat. (2) Sie hörten auf falsche Lehrer oder Propheten - ein Zeichen, daß sie keinen Bezug zur Wahrheit hatten. Hinzu kam ihr Wunsch, von der Welt - den sündigen Menschen - akzeptiert und anerkannt zu werden, während sie die Gnade und den Willen des alleinigen Gottes ablehnten. Sie besaßen überhaupt nicht die Fähigkeit zu wahrem Glauben, weil sie sich an der falschen Stelle orientierten: an den Menschen, nicht an Gott.


Joh 5,45-47


Jesus kam als Retter, nicht als Richter (vgl. Joh 3,17 ). Er wollte die Menschen nicht verklagen . Mose, dem sie angeblich nachfolgten, hätte sie verurteilt, weil sie den Bund, den er geschlossen hatte, gebrochen hatten und nicht auf den, von dem er ihnen gekündet hatte, hörten. Die Wendung "auf den ihr hofft" impliziert, daß sie glaubten, durch ihre "guten Werke", d. h. das Halten der Gebote, gerettet zu werden.

Doch wenn die Juden Mose wirklich geglaubt hätten, hätten sie auch Christus geglaubt, denn Mose hatte über ihn geschrieben . Damit bezog sich Jesus nicht auf einen bestimmten Text im Alten Testament (vgl. 1Mo 3,15;22,18;49,10; 4Mo 24,17; 5Mo 18,15 ) oder auf ein bestimmtes Ereignis, einen Gegenstand oder eine Einrichtung (wie z. B. das Passafest, das Manna, den Felsen, die Opfer oder die Hohepriesterschaft). Da die Juden jedoch Moses Offenbarung abgelehnt hatten (vgl. Lk 16,29-31 ), lehnten sie nun auch Jesu Worte ab. An einer anderen Stelle führte Jesus auch Jesaja als alttestamentlichen Zeugen an ( Mt 13,14.15 ).



C. Jesu Offenbarung in Galiläa
( 6,1 - 7,9 )


1. Jesu Zeichen an Land und auf dem See
( 6,1 - 21 )


a. Die Speisung der Fünftausend
( 6,1 - 15 ) ( Mt 14,13-21; Mk 6,30-44; Lk 9,10-17 )


Die Speisung der Fünftausend ist neben der Auferstehung Jesu das einzige Wundergeschehen, von dem in allen vier Evangelien berichtet wird. Schon daran wird deutlich, wie wichtig es war. Jesus selbst legte es in einer langen Rede aus (V. 22 - 55 ). Eine der Folgen dieses spektakulären Wunders, das die messianischen Erwartungen des Volkes erneut anheizte, war jedoch, daß sich viele der Jünger danach von Jesus abwandten (V. 66 ).



Joh 6,1-2


Die Zeitangabe danach ist zwar etwas ungenau, doch wir wissen aus den synoptischen Evangelien, daß Herodes Antipas inzwischen Johannes den Täufer hatte enthaupten lassen ( Mk 6,14-29; vgl. Joh 3,24 ), daß die Jünger in ganz Galiläa ausgesandt worden waren und gepredigt hatten ( Mk 6,7-13.30-31 ), daß das Volk neugierig auf Jesus geworden war und Herodes Antipas nach ihm suchte ( Lk 9,7-9 ). Der Zeitraum zwischen Joh 5 und Joh 6 beträgt also wohl mindestens sechs Monate. Die beiden ersten Verse des sechsten Kapitels scheinen darauf hinzudeuten, daß Jesus mit seinen Jüngern an das Nordostufer des Galiläischen Meeres gegangen war, um sich dort zu erholen. Dieser See, der See Genezareth, wurde auch See von Tiberias genannt (vgl. Joh 21,1 ), nach einer Stadt an seinem Westufer, die Herodes Antipas erbaut hatte. Doch auch dort, in der "einsamen, öden Gegend" (vgl. Mt 14,13.15; Mk 6,32 ), sammelte sich viel Volk um Jesus.



Joh 6,3-4


Die Erwähnung des Berges deutet vielleicht darauf hin, daß Johannes hier eine Parallele zu Moses Erfahrung am Sinai schaffen wollte (vgl. V. 31 - 32 ). Die Bemerkung, daß das Passa, das Fest der Juden , nahe war, ist nur theologisch relevant und hat für die Chronologie keinerlei Bedeutung. Die Menschen damals dachten in Begriffen von Blut, Fleisch, Lämmern und ungesäuerten Broten. Sie sehnten sich nach einem Messias, der sie aus der römischen Knechtschaft erlöste.

Da dies das zweite Passafest ist, von dem Johannes spricht (vgl. Joh 2,13.23 ), und da er von mindestens noch einem weiteren Passa berichtet ( Joh 13,1;5,1 bezieht sich auf ein nicht näher bezeichnetes Fest der Juden), kann man schließen, daß Jesus mindestens drei Jahre auf Erden wirkte. Die Ereignisse im sechsten Kapitel fanden also etwa ein Jahr vor seiner Kreuzigung statt.

 

Joh 6,5-6


Mit der Frage an Philippus: Wo kaufen wir Brot, damit diese zu essen haben? , bat Jesus nicht wirklich um eine Information; sie war vielmehr Teil seines "Erziehungsprogramms" für die Jünger. Philippus stammte aus Betsaida ( Joh 1,44 ), der ihnen im Moment nahegelegensten Stadt, und kannte die Gegend wohl am besten. Er erwiderte, daß es unmöglich sei, so spät am Tag noch für Tausende von Menschen in den kleinen umliegenden Dörfern etwas zu essen zu bekommen. Johannes hält in seiner Rückschau auf dieses Ereignis fest, daß Jesus Philippus mit seiner Frage nur prüfen wollte. Gott prüft die Menschen, um ihren Glauben zu stärken, nicht, um sie zum Bösen zu verführen (vgl. 1Mo 22,1-18; 1Pet 1,7; Jak 1,2.13-15 ).

 

Joh 6,7


Um alle satt zu bekommen, wäre sehr viel Geld nötig gewesen: zweihundert Silbergroschen . Ein Silbergroschen (ein Denar) war der Tageslohn eines Arbeiters - sie hätten also acht Monatslöhne gebraucht. Selbst wenn in den Dörfern der Umgegend genügend Brot vorhanden gewesen wäre, besaßen die Jünger doch nicht genügend Geld, um es zu kaufen, denn sie waren auf das angewiesen, was die Anhänger Jesu ihnen zukommen ließen (vgl. Mk 6,7-13 ).



Joh 6,8-9


Im Gegensatz zu Philippus war Andreas gegangen, um festzustellen, wieviel Nahrungsmittel die Menschen selbst beisteuern konnten (vgl. Jesu Gebot, "geht hin und seht"; Mk 6,38 ). Doch sie fanden nur fünf Brote und zwei Fische bei einem Jungen. Diese schlechte Ausgangssituation bildete den Hintergrund für eine ganz besondere Manifestation der Fürsorge und der Macht Jesu. Die Gerstenbrote erinnern an die Speisung der 100 Männer durch den Propheten Elia, der damals 20 Gerstenbrote zur Verfügung hatte ( 2Kö 4,42-44 ). Doch hier war einer, der weit größer war als Elia.



Joh 6,10-11


Als der gute Hirte ließ Jesus die "Schafe" ( Mk 6,34 ) sich auf grünen Weiden lagern (vgl. Ps 23,2 ). Nach Mk 6,40 bildeten die Menschen Gruppen von je 50 und 100 Personen. Dadurch waren sie leicht zu zählen, und das Essen konnte bequem verteilt werden. Es waren fünftausend Männer , dazu Frauen und Kinder ( Mt 14,21 ); also wurden wahrscheinlich über zehntausend Menschen gespeist.

Die öde Gegend und die Zeit - es war Passa - erinnert an den Aufenthalt Israels mit Mose in der Wüste, wo das Volk ebenfalls auf ein Wunder angewiesen war, um zu überleben. Wie das Wunder selbst vonstatten ging, beschreibt Johannes nicht. Jesus dankte ,ohne daß damit jedoch irgendwelche eucharistischen Implikationen verbunden gewesen wären. Bei frommen Juden war es üblich, vor und nach den Mahlzeiten zu danken. Die wunderbare Vermehrung fand statt, als Jesus die Brote (mit Hilfe der Jünger; Mk 6,41 ) austeilte.



Joh 6,12-13


Die Worte "als sie aber satt waren" machen deutlich, daß Johannes ausdrücklich unterstreichen wollte, daß hier ein Wunder geschehen war. Manche Exegeten versuchen, dieses Wunder "wegzuerklären"; ihrer Ansicht nach handelte es sich lediglich um ein Opfermahl oder ein symbolisches Mahl. Wieder andere meinen, daß das eigentliche Wunder darin bestand, daß die Menschen bereit waren, ihre mitgebrachten Vorräte zu teilen. Diese rationalen Erklärungen haben jedoch nichts mit der eindeutigen Aussage des Evangelisten zu tun.

Auch das Einsammeln der zwölf Körbe übriggebliebener Brocken durch die Jünger war quasi eine "Erziehungsmaßnahme", die ihnen vor Augen führen sollte, daß Jesus mehr als angemessen für sie sorgen konnte. Wie andernorts (vgl. Mk 8,17-21 ) versuchte er auch hier, sie aus ihrer geistlichen Stumpfheit zu reißen. Obwohl die Jünger Jesus näherstanden als das übrige Volk, waren auch sie blind für seine Messianität ( Mk 6,52 ).

 

Joh 6,14-15


Angesichts des Zeichens ( sEmeion ) der Brotvermehrung erinnerten die Menschen sich an Moses Vorhersage, daß ein Prophet , der ihm glich, in die Welt kommen sollte ( 5Mo 18,15 ). Mose hatte dem Volk zu essen gegeben und es aus der Knechtschaft geführt. Ebenso hatte Jesus den Menschen zu essen gegeben, und nun hofften sie, daß er sie auch aus der Knechtschaft der verhaßten Römer befreien würde.

Die Menschen sahen das Zeichen, doch sie deuteten es falsch. Sie versuchten, Jesus zu ergreifen, um ihn zum König zu machen . Jesus stand hier auf dem Höhepunkt seiner Popularität - eine große Versuchung für ihn. War es möglich, daß er das Gottesreich errichtete, ohne zuvor am Kreuz zu sterben? Nein. Er würde das Reich aus den Händen des Vaters empfangen (vgl. Ps 2,7-12; Dan 7,13-14 ), es würde nicht von dieser Welt sein ( Joh 18,36 ). Der Weg des Vaters führte in eine andere Richtung. Bevor Jesus zum herrschenden Löwen Judas werden konnte, mußte er zum Lamm werden, das die Sünde der Welt trägt ( Joh 1,29 ).



b. Jesus auf dem See
( 6,16 - 21 )


Joh 6,16-17


Nach Mk 6,45 forderte Jesus seine Jünger im Anschluß an die Speisung der Fünftausend auf, mit dem Boot nach Betsaida zu fahren, während er sich aus der Menge zurückzog. Von Betsaida aus wollten sie dann nach Kapernaum gehen. Beide Dörfer liegen nördlich des Sees Genezareth. Am Abend aber gingen seine Jünger hinab an den See (das Land an der Ostseite ist hügelig und liegt höher als der See). Als sie in See stachen, ging gerade die Sonne unter und Wind kam auf. Jesus war noch oben in den Bergen und betete, doch er konnnte sehen, wie sie sich abmühten ( Mk 6,45-48 ).



Joh 6,18-19


Der Westwind, der dort häufig um die Abendzeit aufkommt, trieb sie auf den See hinaus, wo sie kaum noch vorankamen, obwohl sie sich "abplagten beim Rudern" ( Mk 6,48 ). Der See Genezareth ist berüchtigt für seine plötzlichen, schweren Stürme. Als sie nun etwa eine Stunde gerudert hatten , befanden sie sich mitten auf dem See . Plötzlich sahen sie eine Gestalt, die sich auf dem See dem Boot näherte, und fürchteten sich über die Maßen, denn sie hielten die Erscheinung für ein Gespenst ( Mk 6,49 ). Zu den rationalen Erklärungen, die für dieses Phänomen angeführt wurden, gehört auch die Theorie, daß Jesus auf dem Sand an der Küste entlangging oder auf einem großen Balken oder Baumstamm herantrieb, doch keine dieser Vermutungen wird dem Text gerecht. Das Wunder geschah um die "vierte Nachtwache", also etwa zwischen drei und sechs Uhr morgens ( Mt 14,25; Mk 6,48 ).



Joh 6,20-21


Der Satz "Ich bin's" lautet wörtlich "Ich bin" und wurde normalerweise von Jesus in theologischem Sinn benutzt (vgl. Joh 8,58 ). Diesmal war er jedoch anscheinend lediglich als Erkennungszeichen für die Jünger gedacht, die ihn daraufhin ins Boot nahmen. Die Worte "und sogleich war das Boot am Land" , deuten vielleicht auf ein weiteres Wunder hin. Die beiden Zeichen zu Land und auf dem See offenbaren Jesus als "Beschaffer" des "Brotes", das Leben gibt (wie der nächste Abschnitt erläutern wird) und als Retter, der für sein Eigentum eintritt und es beschützt. In Zeiten der Not bringt er den Menschen die Rettung.



2. Die Lehre
( 6,22 - 71 )


Joh 6,22-25


Die Volksmenge, die gespeist worden war, befand sich noch immer am Ostufer des Sees. Die Menschen hatten gesehen, daß Jesus seinen Jüngern gebot, ein am Ufer festgemachtes Boot zu besteigen. Da er jedoch nicht mit einstieg, nahmen sie an, daß er in diesem Gebiet bleiben wollte. Als sie kurz darauf sahen, daß er nicht mehr da war, beschlossen sie, Jesus in der Gegend von Kapernaum zu suchen, und stiegen in andere Boote, die von Tiberias kamen . Ihre Frage: Rabbi, wann bist du hergekommen? , bildet nun die Einleitung für die lange Rede, die Jesus in Kapernaum hielt (V. 59 ). Er erklärte ihnen jedoch nicht, wann oder auf welche Weise er den See überquert hatte, denn sein Wandeln auf dem See war ein nur für die Jünger bestimmtes Zeichen gewesen.



Joh 6,26


Jesus begann mit den feierlichen Worten: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch (vgl. den Kommentar zu Joh 1,51 ), die er im Verlauf der Rede noch dreimal wiederholte ( Joh 6,32.47.53 ). Sie dienten jeweils dazu, die Aufmerksamkeit auf das folgende zu lenken. Er warf seinen Zuhörern ihre materialistischen Interessen und ihre mangelnde geistliche Einsicht vor. Sie hatten bereits ein Zeichen gesehen, doch für sie zählte nur die bequeme Mahlzeit, die sie dadurch erhielten. Ihnen fehlte der Blick für das, was eigentlich geschehen war.



Joh 6,27


Mit den Worten "schafft euch Speise, die nicht vergänglich ist" wollte Jesus nicht etwa der Faulheit das Wort reden. Doch er riet den Menschen, ihre Anstrengungen auf bleibende Dinge zu richten. "Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht" ( Mt 4,4 ). Die Speise für den Körper hält nur kurz vor, doch die unvergängliche Speise bleibt zum ewigen Leben . Der Menschensohn (der Zugang zum Himmel hat; Joh 3,13 ) wird den Menschen diese "geistliche Speise" geben, denn Christus selbst ist "das Brot des Lebens" ( Joh 6,35 ). Gott der Vater persönlich hatte Jesu Aussage, daß er die wahre, himmlische "Speise" sei, bestätigt.


Joh 6,28


Die Menschen erkannten, daß Jesus hier von einer Forderung sprach, die Gott an sie stellte, und sie waren bereit, dieser Forderung nachzukommen, wenn er ihnen sagte, was sie tun sollten. Sie selbst glaubten, daß sie mit einem gottgefälligen Leben und guten Werken das ewige Leben erwerben könnten (vgl. Röm 10,2-4 ).

 

Joh 6,29


Was Jesus von ihnen verlangte, war jedoch ganz genau das Gegenteil. Mit guten Werken konnten sie Gott nicht gefallen. Es gibt nur ein Werk Gottes , d. h. nur eines, was Gott von den Menschen fordert: Sie sollten an den glauben, den Gott gesandt hat . Weil sie immer Sünder bleiben, können die Menschen Gott nie gefallen und sich auch nicht mit guten Werken retten ( Eph 2,8-9; Tit 3,5 ). Statt dessen verlangt Gott, daß sie ihre Unfähigkeit, sich selbst zu retten, einsehen und seine Gabe annehmen ( Röm 6,23 ).

 

Joh 6,30-31


Auf diese Worte hin forderten die Anwesenden ein Zeichen ( sEmeion ; vgl. "die Juden fordern Zeichen"; 1Kor 1,22 ) von Jesus. Sie waren der Ansicht, daß man erst seh en und dann glauben muß, doch in der göttlichen Reihenfolge kommt der Glaube vor dem Sehen (vgl. Joh 11,40 ). Obwohl die Menschen weder Glaubennoch geistliche Einsicht besaßen, spürten sie doch, daß Jesus hier von etwas Neuem zu ihnen sprach.

Ihnen war gesagt worden, daß das Kommen Jesu ein Fortschritt gegenüber Mose bedeute. Daher argumentierten sie nun: "Wenn du mehr als Mose bist, dann tue auch mehr als er." Anscheinend hielt die Menge die Speisung der Fünftausend für geringer als das Werk Moses, der ihnen Brot vom Himmel gegeben hatte. Sie dachten dabei an das Manna , das Gott ihnen in der Wüste gegeben ( 2Mo 16; 4Mo 11,7 ) und von dem ein ganzes Volk vierzig Jahre lang gelebt hatte, während Jesus ja nur Fünftausend gespeist hatte. Dabei übersahen sie zweierlei. Erstens: Viele der Israeliten, die vierzig Jahre lang gespeist worden waren, hatten nicht geglaubt. Entscheidend ist also nicht die Größe des Wunders, sondern ob die Menschen seine Bedeutung erkennen (vgl. Lk 16,29-31 ). Zweitens: Sowohl Mose als auch Jesus waren von Gott durch Zeichen bestätigt worden; daher sollte auf beide gehört und beiden geglaubt werden.



Joh 6,32


Abermals mit der feierlichen Einleitung ( wahrlich, wahrlich, ich sage euch ; vgl. V. 26.47.53 ) korrigierte Jesus ihre irrigen Vorstellungen mit drei Argumenten. (1) Der Vater, nicht Mose , hatte ihnen das Manna gegeben. (2) Der Vater gab ihnen auch jetzt noch zu essen. (3) Das wahre Brot vom Himmel ist Jesus (Jesus hatte wiederholt gesagt, daß er vom Himmel gekommen sei; V. 32 - 33.38.41 - 42.50 - 51.58 ), nicht das Manna. Vor diesem Hintergrund bedeutet die angebliche Überlegenheit von Mose und des Zeichens, das er gab, nichts mehr. Manna war Speise für den Körper, und als solche notwendig und nützlich. Doch in Jesus zeigte sich Gottes Sorge für den Menschen in seiner Ganzheit.



Joh 6,33


Gott ist die Quelle allen Lebens. Der Sohn, der dieses Leben in sich hat ( Joh 1,4;5,26 ), ist gekommen, um den Menschen das wahre und bleibende Leben zu bringen. Die Sünde entfernt die Menschen von Gott, der das Leben ist, und sie sterben - an Leib, Seele und Geist. Christus aber ist vom Himmel gekommen, um der Welt das Leben zu geben . Daher ist Jesus das wahre Brot vom Himmel .



Joh 6,34


Doch die Menschen verstanden auch jetzt noch nicht, daß Jesus das wahre Brot war. Wie die Frau am Brunnen ( Joh 4,15 ) baten sie ihn um diese bessere Speise, von der er gesprochen hatte. Sie wollten es für immer (allezeit) haben, nicht wie das Manna nur vierzig Jahre lang.



Joh 6,35


Ich bin das Brot des Lebens . Hier werden zwei weitere Irrtümer im Denken der Menschen richtiggestellt: (1) Die Speise, von der Jesus sprach, bezog sich auf eine Person, nicht eine Ware. (2) Wer erst einmal die richtige Beziehung zu Jesus hergestellt hat, wird für immer, nicht nur für eine gewisse Zeit, zufrieden sein. Diese "Ich bin"-Aussage bildet die erste einer Reihe von "Ich bin"-Offenbarungen (vgl. Joh 8,12;10,7.9.11.14;11,25;14,6;15,1.5 ). Das "Brot des Lebens" ist "Brot, das Leben gibt". Jesus ist die "Speise", die die Menschen brauchen. In der heutigen Zeit im westlichen Abendland können wir meist frei wählen, ob wir neben all den anderen Nahrungsmitteln, die uns zur Verfügung stehen, auch noch Brot essen, doch in damaliger Zeit war Brot ein unverzichtbarer Bestandteil der Mahlzeiten. Jesus versprach: Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten. Das "nicht" und das "nimmermehr" sind im Griechischen betont.


Joh 6,36


Dann tadelte Jesus die Menge für ihren fehlenden Glauben. Sie hatten das große Vorrecht, ihn zu sehen, und glaubten doch nicht . Auch Sehen führt also nicht zwangsläufig zum Glauben (vgl. V. 30 ).


Joh 6,37


Schließlich erklärte ihnen Jesus noch, warum sie nicht an ihn glaubten: Der Vater wirkt im Leben der Menschen. Die Auswahl, die er trifft, ist sein Geschenk an den Sohn. Der Sohn muß sich nicht sorgen, daß sein Werk vergebens sein wird, denn der Vater wird die Menschen befähigen, zu Jesus zu kommen. Jesus hat Vertrauen, doch auch die Menschen müssen Vertrauen haben. (Vgl. die Anwort des Gelähmten auf Jesu Frage: "Willst du gesund werden?" Joh 5,6-9 .) Wer zu Jesus kommt, um gerettet zu werden, wird unter keinen Umständen hinausgestoßen werden (vgl. Joh 6,39 ).



Joh 6,38-39


Danach wiederholte er, daß er vom Himmel gekommen sei, weil er den Willen dessen, der ihn gesandt hat , tun wollte. Der Wille des Vaters aber ist, daß von denen, die er dem Sohn gibt, nicht ein einziger verloren geht, sondern daß sie alle auferweckt werden am Jüngsten Tage (vgl. V. 40.44.54 ). In diesem Abschnitt geht es vor allem darum, daß die Gläubigen für immer gerettet sind.



Joh 6,40


Diese Verse wiederholen und bekräftigen das zuvor Gesagte nochmals. Wer sieht und glaubt , daß Jesus ihn retten wird, der ist gerettet. Der göttliche Ratschluß hat das bestätigt (vgl. Röm 8,28-30 ). Er besitzt das ewige Leben ( Joh 6,47.50-51.54.58 ) und wird am Jüngsten Tag auferweckt werden (vgl. V. 39.44.54 ).



Joh 6,41-42


Die ihm feindlich gesinnten, ungläubigen Juden aber nahmen Anstoß daran, daß Jesus behauptet hatte, vom Himmel zu kommen. Sie murrten über ihn, wie ihre Väter in der Wüste gemurrt hatten ( 2Mo 15,24;16,2.7.12;17,3; 4Mo 11,1;14,2.27 ). Dabei waren ihre Überlegungen nicht ohne eine gewisse Logik: Ein Mensch, dessen Eltern sie kannten, konnte nicht vom Himmel kommen (vgl. Mk 6,3; Lk 4,22 ). Doch sie kannten Jesu wahre Herkunft und sein wahres Wesen nicht. Sie sagten, er sei Josefs Sohn , aber sie wußten nichts über die Jungfrauengeburt und die Inkarnation. Jesus war vom Himmel herabgekommen, weil er der Logos war ( Joh 1,1.14 ).



Joh 6,43-44


Jesus machte keinen Versuch, ihrer Unwissenheit abzuhelfen. Er tadelte sie lediglich für ihr Murren und wies sie darauf hin, daß Gott ständig bemüht sei, sie zu sich zu "ziehen", und ihnen viele Lehrer gegeben hatte, die ihnen von ihm erzählten. Es steht den Menschen deshalb nicht zu, über Gottes Tun zu richten. Ohne Gottes klärende Hilfe wird jede Beurteilung des Boten Gottes sich als falsch erweisen. Niemand kann zu Jesus kommen oder an ihn glauben ohne die Hilfe des Vaters. Die Menschen sind so festgefahren im Treibsand der Sünde und des Unglaubens, daß ihre Lage aussichtslos ist, es sei denn, Gott selbst zieht sie heraus (vgl. V. 65 ). Und er zieht nicht nur einige wenige heraus. Jesus sagte: "Ich (will) alle zu mir ziehen" ( 12, 32 ). Das heißt nicht, daß alle gerettet werden, sondern daß Griechen (d. h. Heiden; Joh 12,20 ) ebenso gerettet werden werden wie Juden. Wer gerettet ist, wird auch auferstehen (vgl. Joh 6,39-40 ).



Joh 6,45


Zur Unterstützung seiner Lehre von der Rettung durch die Gnade Gottes zitierte Jesus das Alte Testament. Das Zitat, das er hier anführt - sie werden alle von Gott gelehrt sein - stammt aus den Propheten, wahrscheinlich aus Jes 54,13 ,doch auch in Jer 31,34 findet sich ein ähnlicher Gedanke. Dieses "Belehrtwerden" von Gott bezieht sich auf Gottes Wirken im inneren Menschen, das ihn befähigt, die Wahrheit über Jesus anzunehmen und ihm zu antworten. Wer es vom Vater hört und lernt , der wird zu Jesus kommen und ihm glauben.



Joh 6,46


Dieses geheime Wirken Gottes ist jedoch kein mystisches Geschehen, durch das die Menschen direkt mit Gott in Beziehung treten. Das Wissen über Gott kommt nur durch Jesus, den Logos Gottes (vgl. Joh 1,18 ). Wenn jemand mit ihm konfrontiert wird, seine Worte hört und seine Werke sieht, wirkt der Vater in ihm.


Joh 6,47-48


In diesen beiden Versen faßte Jesus seine Lehre zusammen. Sie ist abermals durch die Wendung "wahrlich, wahrlich, ich sage euch" unterstrichen (vgl. auch V. 26.32.53 ). Die Verbform wer glaubt ist im Griechischen ein Partizip Präsens - damit ist ausgedrückt, daß derjenige, der bleibendes, festes, unerschütterliches Vertrauen in Gott setzt, ein Gläubiger ist und das ewige Leben bereits jetzt, in der Gegenwart, und für immer besitzt. Nochmals wiederholte Jesus: Ich bin das Brot des Lebens (vgl. den Kommentar zu V. 35 ).



Joh 6,49-50


Das Manna in der Wüste stillte nur ein einziges, bestimmtes Bedürfnis. Es ermöglichte für begrenzte Zeit das physische Überleben. Allmählich wurde es den Israeliten zuwider, und schließlich starben sie. Jesus ist ein anderes Brot. Er ist vom Himmel und bringt das Leben. Wer von diesem Brot ißt, wird nicht sterben .



Joh 6,51


Was bedeutet es aber nun genau, Jesus, das lebendige Brot , zu essen? Viele Exegeten sind der Ansicht, daß Jesus damit auf das Herrenmahl anspielte. Tatsächlich läßt sich das hier Gesagte durchaus auf seinen Tod und das Herrenmahl beziehen. Doch da das letzte Abendmahl erst ein Jahr nach den in diesem Kapitel berichteten Ereignissen stattfand, sollte das Essen seines Fleisches und das Trinken seines Blutes an dieser Stelle nicht im Sinne eines Sakraments aufgefaßt werden. Das "Essen" des lebendigen Brotes ist eine Redefigur, die, wie die anderen Metaphern - zu ihm zu kommen (V. 35 ), auf ihn zu hören (V. 45 ) und ihn zu sehen (V. 40 ) - einfach bedeutet, an Jesus zu glauben. Von diesem Brot zu essen, heißt, ewig zu leben (vgl. V. 40.47.50.54.58 ). Jesu Aussage über das Brot des Lebens wird noch weiter ausgeführt: nicht nur der Vater gibt das Brot (Jesus), sondern auch Jesus selbst gibt es den Menschen. Dieses Brot ist mein Fleisch, das ich geben werde für das Leben der Welt . Der Opfertod des Lammes Gottes bringt die Rettung ( Joh 1,29 ). Durch Jesu Tod gewann die Welt das Leben.



Joh 6,52


Wie so oft verstanden die Menschen auch diesmal nicht, was Jesus sagte (vgl. Joh 2,20;3,4;4,15;6,32-34 ). Es entstand eine heiße Debatte über den Sinn der Worte Jesu, die jedoch ganz auf der materialistischen Ebene blieb. Sie fragten sich: "Wie kann der uns sein Fleisch zu essen geben?"



Joh 6,53-54


Die folgende Äußerung Jesu wird durch die zum vierten Mal wiederholte Wendung "wahrlich, wahrlich, ich sage euch" (vgl. V. 26.32.47 ) als besonders wichtig gekennzeichnet. Exegeten, die an dieser Stelle bereits an die Einsetzung eines Sakramentes denken, verstehen die Worte "wenn ihr nicht das Fleisch des Menschensohns eßt und sein Blut trinkt" als Hinweis auf die Eucharistie. Wie bereits gesagt, ist der grundlegende Einwand gegen diese These historischer Natur: Jesus stiftete das Sakrament des Heiligen Abendmahls erst ein Jahr später. Auch das "Trinken des Blutes" ist nur eine kühne Redefigur. Die Juden kannten das Gebot, "daß ihr weder Fett noch Blut esset" ( 3Mo 3,17; vgl. 3Mo 17,10-14 ). Und doch war das Blut das Mittel der Versöhnung. Durch Blut konnte das Leben entsühnt werden ( 3Mo 17,11 ). Jesu Hörer müssen von diesen rätselhaften Worten schockiert und völlig verwirrt gewesen sein. Diese Verwirrung löst sich jedoch, wenn man versteht, daß Jesus hier von der Versöhnung sprach, die er durch seinen Tod, durch die Hingabe seines Lebens für die, die ihm gehören, erwirkte (vgl. Joh 6,63 ). Der Glaube an Christi Tod bringt das ewige Leben (vgl. V. 40.47.50 - 51 ) und (später) die leibliche Auferstehung (vgl. V. 39 - 40. 44 ).



Joh 6,55


Wie gutes Essen und Trinken das physische Leben erhalten, so erhält Jesus, die wahre (unvergängliche), geistliche Speise und der geistliche Trank, das geistliche Leben derer, die ihm nachfolgen. Sein Fleisch und sein Blut geben denen, die ihn annehmen, das ewige Leben.



Joh 6,56-57


Wer an Christus teilhat, erfreut sich einer wechselseitigen, dauernden Beziehung zu ihm. Er bleibt ( menei ) in Christus , und Christus bleibt in ihm . M enO ist einer der wichtigsten theologischen Begriffe des Johannesevangeliums (vgl. den Kommentar zu Joh 1,39 ). Der Vater "bleibt" im Sohn ( Joh 14,10 ), der Geist "bleibt" auf Jesus ( Joh 1,32 ) und die Gläubigen "bleiben" in Jesus und er in ihnen ( Joh 6,56;15,4 ). Dieses "bleiben" hat viele Implikationen. So freut sich der Glaubende an der Vertrautheit mit Jesus und an der Sicherheit, die er durch ihn hat. Wie Jesus das Leben vom Vater hat, habendie Gläubigen das Leben um seinetwillen.


Joh 6,58-59


Jesus hielt seine Rede über das Brot des Lebens in der Synagoge in Kapernaum . Er predigte oft in jüdischen Synagogen, wo die Männer Gelegenheit hatten, Schriftstellen auszulegen und Ermahnungen anzubringen ( Mk 6,1-6; Lk 4,16-28; Apg 13,15-42 ). Die damaligen jüdischen Gottesdienste waren nicht so formal wie die in den heutigen traditionellen christlichen Kirchen; gewöhnlich waren es "Laien", die predigten. In seiner Schlußfolgerung wiederholte Jesus nochmals den Kernsatz seiner Auslegung des Manna-Wunders: Das Brot, das Mose den Menschen verschaffte, bewirkte kein bleibendes Leben (das Gesetz kann die Menschen nicht retten); erst in Jesus hat Gott das echte, lebenspendende Brot vom Himmel gegeben; wer auf ihn vertraut, besitzt das ewige Leben.

 

Joh 6,60


Nun allmählich begannen die Menschen, Jesu Lehre zu verstehen, doch sie konnten sie deshalb umso weniger annehmen. Nicht nur die Jesus ohnehin feindlich gesonnenen jüdischen Machthaber, sondern auch viele seiner Jünger aus Galiläa wandten sich enttäuscht von ihm ab. Mit der Begeisterung des Volkes für Jesus als politischen Messias (V. 15 ) war es vorbei. Sie mußten einsehen, daß er sie nicht von den Römern befreien würde. Er war vielleicht ein großer Heiler, doch seine Worte waren hart (d. h. streng). Wer kann sie hören , d. h. wer konnte ihnen gehorchen? Wie konnte ihnen überhaupt jemand gerecht werden?


Joh 6,61-62


Jesus kannte seine Hörer ( Joh 1,47;2,24-25; Joh 6,15 ). Als er merkte, daß seine Jünger murrten (vgl. V. 41 ), fragte er sie, was sie ärgerte ( skandalizei ). Paulus schrieb später, daß der gekreuzigte Messias den Juden ein "Ärgernis" ( skandalon ) sei ( 1Kor 1,23 ). Dasselbe gilt auch für das Auffahren des Menschensohnes. Doch Jesu Verherrlichung ist seine Rechtfertigung vom Himmel her. Er wurde in Niedrigkeit gekreuzigt, doch in Herrlichkeit auferweckt ( 1Kor 15,43 ).



Joh 6,63


Nach seiner Himmelfahrt ließ Jesus den Menschen den Heiligen Geist zurück ( Joh 7,38-39; Apg 1,8-9 ). Der Heilige Geist , der in die Welt entsandt ist, macht die, die an ihn glauben, lebendig (rettet sie). Ohne ihn sind die Menschen ( das Fleisch ) nicht in der Lage, Jesus und sein Wirken zu verstehen ( Joh 3,6; 1Kor 2,14 ). Wenn die Menge seine Worte auch als "hart" empfand ( Joh 6,60 ), so sind sie in Wirklichkeit doch Geist und Leben . D. h. Jesu Worte bewirken durch das Werk des Heiligen Geistes geistliches Leben.



Joh 6,64


Das Leben, das Jesus schenkt, muß im Glauben empfangen werden. Sein Wort wirkt nicht "automatisch". Jesus wußte, wer von denen, die ihm folgten, glaubte, und wer nicht. Auch darin manifestierte sich sein übernatürliches Wissen (vgl. Joh 1,47;2,24-25;6,15 ).



Joh 6,65


Jesus hatte gelehrt, daß die Menschen der Hilfe Gottes bedürfen, um zum Glauben zu kommen (V. 44 ). Aus dieser Sicht ist der Abfall so vieler Anhänger (V. 66 ) weniger überraschend. Die Gläubigen, die bei Jesus bleiben, sind ein Beweis für das geheime Wirken des Vaters; die ungläubige Menge dagegen ist der Beweis, daß "das Fleisch nichts nütze ist" (V. 63 ).



Joh 6,66


Jesu Ablehnung des Wunsches der Menge, ihn zum politischen König zu machen, seine Forderung nach persönlichem Glauben, seine Lehre der Versöhnung und seine Betonung der völligen Unfähigkeit der Menschen, zum Heil zu gelangen, die die Rettung als alleiniges Werk Gottes erscheinen ließ - das alles wirkte auf viele seiner Zuhörer wenig verlockend. Sie gingen hinfort nicht mehr mit ihm (damit sind nicht die zwölf Apostel gemeint, sondern ganz allgemein die, die ihm folgten; vgl. V. 67 ).

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Joh 6,67


Wollt ihr auch weggehen? Diese Frage sollte den schwachen Glauben der Jünger stärken. Die Zwölf blieben nicht unbeeindruckt von der Abwendung der vielen Menschen, und Jesus benutzte die Gelegenheit, ihren Glauben zu vertiefen. Auch sie verstanden seine Worte noch immer nicht ganz; das sollte ihnen erst nach der Auferstehung möglich sein ( Joh 20,9 ).



Joh 6,68-69


Petrus als Sprecher der Jünger bekannte seinen Glauben an Jesus. Der Weg mochte schwierig sein, doch er war überzeugt, daß Jesus die Worte des ewigen Lebens hatte. Wir haben geglaubt und erkannt . Petrus war sicher, daß die Apostel ebenso wie er selbst Jesus als den Heiligen Gottes anerkannten. Dieser Titel ist ungewöhnlich (nur ein Dämon sprach Jesus noch so an; Mk 1,24 ). Er deutet auf Jesu "Transzendentalität" ("der Heilige") und seine Eigenschaft als Stellvertreter des Vaters (Gottes) hin, ist also ebenfalls ein Messiastitel. Auch Petrus' Einsicht an dieser Stelle war das Werk des Vaters (vgl. Mt 16,17 ).



Joh 6,70-71


Dann fragte Jesus: "Habe ich nicht euch Zwölf erwählt?" Das Johannesevangelium berichtet nicht über Jesu Berufung der Jünger; es setzt voraus, daß die Leser darüber bereits aus den synoptischen Evangelien oder aus der kirchlichen Überlieferung Bescheid wissen (vgl. Mk 3,13-19 ). Die Erwählung machte sie jedoch noch nicht zu Geretteten, sondern berief sie lediglich in den Dienst Jesu. Dieser ergänzte daher: "Und einer von euch ist ein Teufel!" Im Lichte von Joh 13,2.27 war das Wirken Satans in Judas dasselbe, als ob Judas selbst ein Teufel war. Dafür spricht auch der griechische Text in Vers 70 , der den unbestimmten Artikel "ein" nicht enthält und daher auch mit "Einer von euch ist Satan" (der Teufel) übersetzt werden kann. Daß Jesus bereits alles über Judas (genannt Judas Iskariot nach seinem Vater Simon Iskariot) wußte, war abermals ein Beispiel für seine Allwissenheit (vgl. Joh 1,47;2,24-25;6,15.61 ). Hernach, in dem Raum, in dem sie das Abendmahl zusammen feierten, sagte Jesus nochmals, daß einer der Zwölf ihn verraten würde ( Joh 13,21 ). Der Evangelist Johannes bezeichnete Judas als den, "der ihn verriet" ( Joh 18,5 ). Später erinnerten sich die Jünger an die Vorhersage Jesu und wurden durch ihre Erfüllung in ihrem Glauben bestärkt. Judas war letztlich eine tragische Gestalt, er stand unter dem Einfluß Satans; dennoch war er verantwortlich für das Böse, das er tat.



3. Das Wirken in Galiläa
( 7,1 - 9 )


Dieser Abschnitt ist die Vorbereitung für eine weitere Konfrontation zwischen Jesus und seinen Widersachern in Jerusalem. Sein Wirken in Galiläa, das keinerlei Aufsehen erregte, verzögerte den bevorstehenden Konflikt nur.



Joh 7,1


Danach ist ein ziemlich vager Ausdruck. Da die Ereignisse, von denen im sechsten Kapitel die Rede war, kurz vor dem Passafest im April stattfanden ( Joh 6,4 ) und inzwischen das Laubhüttenfest im Oktober vor der Tür stand ( Joh 7,2 ), muß Jesus sich etwa sechs Monate in Galiläa aufgehalten haben. Galiläa war sicherer für ihn, weil seine Hauptfeinde, die ihm nach dem Leben trachteten, in Judäa saßen.



Joh 7,2


Das Laubhüttenfest war eines der drei großen Feste der Juden, laut Josephus sogar das heiligste und größte ( Ant. 5. 4. 1). Auch Fest der Lese genannt, war es ein Erntedankfest. Fromme Juden wohnten in dieser Zeit sieben Tage lang in mit Zweigen überdachten Hütten, zur Erinnerung an Gottes Schutz während des Aufenthalts ihrer Väter in der Wüste. Zugleich war das Fest ein Zeichen dafür, daß Gott selbst unter seinem Volk Wohnung nahm.



Joh 7,3


Jesu Brüder , Söhne von Maria und Josef, die nach Jesus zur Welt gekommen waren, glaubten zu der Zeit noch nicht (vgl. Mk 3,21.31-35; Joh 7,5 ). Sie argumentierten ganz logisch, daß die messianische Frage nicht in Galiläa gelöst werden konnte, da Jerusalem die religiöse Hauptstadt war. Das populäre Laubhüttenfest wäre also der richtige Zeitpunkt für Jesus gewesen, sich als Messias zu präsentieren. Wenn er seine Macht in Judäa unter Beweis stellte, so dachten sie, wäre es ihm vielleicht möglich, das verlorene Volk für sich zu gewinnen. Joh 7,4-5 : In ihren Augen war es höchst unvernünftig, daß Jesus seine Herrlichkeit nicht offenbarte. Wenn er wirklich der war, der er zu sein vorgab, so sagten sie, sollte er es auch öffentlich beweisen. Sie rieten ihm, sich in all seiner Macht und Herrlichkeit zur Schau zu stellen: Offenbare dich vor der Welt . Doch nach dem Willen Gottes sollte die öffentliche Zurschaustellung des Messias am Kreuz, in der Erniedrigung, erfolgen. Der Evangelist muß deshalb hinzufügen, daß auch seine Brüder nicht an ihn glaubten (vgl. Joh 1,10-11;12,37 ). Die Nähe zu Jesus, sei es im Rahmen der Familie oder als sein Jünger, macht noch keinen Glauben.



Joh 7,6-7


Jesus entgegnete auf ihr Ansinnen, daß seine Zeit sich von der ihren unterschied. Ihr Kommen und Gehen hatte keinerlei Folgen in der Welt; ihre Zeit war allewege. Er aber tat allezeit nur das, was dem Vater gefiel, und richtete sich auch in diesem Punkt nach dem Willen des Vaters. Die Zeit seiner öffentlichen Manifestation (das Kreuz) war noch nicht da , eine Tatsache, auf die Johannes mehrere Male hinweist ( Joh 2,4;7,6.8.30;8,20 ). Später begann Jesus sein Bittgebet an den Vater unmittelbar vor der Kreuzigung mit den Worten: "Vater, die Stunde ist da" ( Joh 17,1; vgl. Joh 12,32.27;13,1 ).

Den Brüdern Jesu gegenüber verhielt die Welt sich nicht feindlich, denn sie waren ein Teil von ihr ( die Welt kann euch nicht hassen ). Doch Jesus haßte sie, weil er nicht aus ihr war. Er war als das Licht gekommen und wies sie auf ihre Sünde und ihren Widerstand gegen den Vater hin. Christus bezeugte, daß die Religionen, Programme, Pläne und Werte der Welt böse ( ponEra ) sind. Nicht zuletzt deshalb hielt er sich häufig verborgen, damit er lange genug am Leben blieb, um den Willen des Vaters erfüllen zu können.



Joh 7,8-9


Der Satz "ich will nicht hinaufgehen zu diesem Fest" bezieht sich ganz eindeutig auf Vers 10 . In den meisten griechischen Ausgaben des Neuen Testamentes wurde das Wörtchen "noch" weggelassen, weil diese Lesart als unsicher gilt, doch von den Handschriften her ist sie relativ gut bezeugt. Wenn Jesus wirklich nur gesagt hätte, "ich will nicht hinaufgehen zu diesem Fest" (wie auch Luther schreibt), könnte man auf die Idee kommen, daß er gelogen hätte, weil er - laut Vers 10 - später doch noch ging. Doch wie auch immer, fest steht, daß er hier einfach sagen wollte, daß er "noch nicht jetzt" hinaufging, wie die Brüder verlangt hatten, sondern noch eine Zeitlang in Galiläa blieb und dort tat, was ihm der Vater aufgetragen hatte.

"Hinaufgehen" war hier sowohl geographisch (Jerusalem liegt in den Bergen) als auch theologisch (zurückgehen zum Vater) gemeint.



D. Jesu Rückkehr nach Jerusalem und das erneute Aufflammen der Feindseligkeiten
( 7,10 - 10,39 )


1. Das Laubhüttenfest
( 7,10 - 8,59 )


a. Der Anfang des Festes
( 7,10 - 13 )


Joh 7,10


Aufgrund der Verschwörung gegen ihn (V. 1.25 ) betrat Jesus die Stadt heimlich, denn die Zeit für seine Offenbarung als Messias (am Kreuz) war noch nicht gekommen.


Joh 7,11-13


Während seine Feinde ihn suchten, um ihn zu vernichten, debattierte das Volk über diesen kontroversen Lehrer. Der Widerstand gegen ihn nahm zu. Ein großes Gemurmel (vgl. Joh 6,41.61 ) war zu hören. (Vgl. das Murren der Israeliten in der Wüste.) Der Vorwurf, er verführe das Volk , hatte drohende Untertöne, denn darauf stand nach dem Gesetz des Talmud die Todesstrafe durch Steinigung. Da auf dem Fest nur Juden anwesend waren, war mit der Wendung "aus Furcht vor den Juden" die Furcht der Menschen vor den religiösen Machthabern gemeint.


b. Jesus auf dem Fest
( 7,14 - 36 )


Joh 7,14-15


Die ersten drei Tage vergingen, ohne daß jemand Jesus zu Gesicht bekam. Die Menschen fragten sich, ob er überhaupt noch kommen und seinen Anspruch, der Messias zu sein, geltend machen werde. Dann, mitten im Fest , begann er, im Tempel zu lehren. Als die offiziellen religiösen Führer ihn hörten, verwunderten sie sich (vgl. Mk 1,22 ), denn das, was er sagte, war fundiert und wurde beredet vorgetragen, obgleich Jesus niemals eine ihrer Rabbinerschulen besucht hatte. Sie fragten sich, wie das möglich war.



Joh 7,16-17


Die religiösen Führer gingen davon aus, daß jeder, der sich in der Schrift auskannte, entweder in einer traditionellen Schule studiert hatte oder Autodidakt war. Doch Jesu Antwort wies ihnen noch einen dritten Weg. Seine Lehre war von dem, der ihn gesandt hatte (vgl. Joh 12,49-50;14,11.24 ). Gott selbst hatte Jesus gelehrt, und damit die Menschen Jesu Lehre verstehen konnten, mußte Gott auch sie lehren ( Joh 6,45 ). Um Jesus richtig beurteilen zu können, muß man bereit sein, Gottes Willen zu tun . Gottes Wille für die Menschen aber ist Jesus, daher müssen sie an ihn glauben ( Joh 6,29 ). Der Glaube ist die Voraussetzung für das Verständnis. Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott zu gefallen ( Hebr 11,6 ).



Joh 7,18


Wenn Jesus Autodidakt ( von sich selbst aus geredet hätte) oder ein Genie gewesen wäre, hätte sein Wirken eine Selbsterhöhung bedeutet. So aber suchte er darin nicht seine eigene Ehre . Die ursprüngliche Bestimmung der Menschen ist es, Gott zu verherrlichen (seine Ehre zu suchen) und sich an ihm zu freuen. Jesus tut und ist in jeder Hinsicht alles das, was die Menschen tun und sein sollten. Alles, was er will, ist, den Vater angemessen zu vertreten ( Joh 1,18 ). Er ist wahrhaftig (d. h. zuverlässig; vgl. Joh 7,28;8,26 ) und ohne jede Ungerechtigkeit .



Joh 7,19


Jesu Hörer prahlten mit dem mosaischen Gesetz ( Joh 9,28 ), doch Jesus wandte sich gegen ihre religiöse Überheblichkeit. Sie waren überzeugt, das Gesetz zu halten, doch in Wirklichkeit waren ihre Herzen (Gedanken) böse ( Mk 7,6-7.20-22; Mt 5,21-22 ). Jesus kannte sie ( Joh 2,24-25 ) und wußte, daß ihr Haß sie bis zum Mord führen würde.


Joh 7,20


Statt Buße zu tun, schmähten ihn die Menschen jedoch und warfen ihm vor, er sei besessen . Dasselbe hatte das Volk auch von Johannes dem Täufer gesagt ( Mt 11,18 ). Seinen Halbbrüdern hatte Jesus erklärt, daß die Welt ihn hasse ( Joh 7,7 ), weil "das Licht haßt, wer Böses tut" ( Joh 3,20 ). Ihn, den von Gott Gesandten, als "besessen" zu bezeichnen, heißt, das Licht Finsternis zu nennen (vgl. Joh 8,48.52;10,20 ). Die Menschen leugneten, daß sie ihn töten wollten, obgleich sie vor noch nicht allzu langer Zeit den Versuch gemacht hatten, eben dies zu tun ( Joh 5,18 ). (Vgl. Petrus, der bestritt, daß er Jesus verleugnen würde; Mk 14,29 .)



Joh 7,21-23


Das einzige Werk , auf das Jesus sich hier bezog, war die Heilung des Gelähmten am Teich Betesda, die er bei seinem letzten Aufenthalt in Jerusalem vollbracht hatte ( Joh 5,1-18 ). Um diese an einem Sabbat geschehene Tat entbrannte eine hitzige Debatte. Die Beschneidung ist ein religiöser Ritus, der auf die Zeit vor Mose zurückgeht. Abraham hatte sie als Zeichen des Bundes eingeführt ( 1Mo 17,9-14 ). Mose hatte die Beschneidung dann in das levitische System, d. h. unter das Gesetz, aufgenommen. Bei ihm heißt es: "Und am achten Tage soll man ihn beschneiden" ( 3Mo 12,3 ). Wenn nun dieser Tag auf einen Sabbat fiel, geriet man automatisch in Widerspruch zu dem Gebot, den Sabbat zu heiligen. Trotzdem führten die Juden auch am Sabbat Beschneidungen durch. Sie hatten mithin keinen Grund, Jesus zu zürnen.



Joh 7,24


Ihr Problem war, daß sie die Schrift nur oberflächlich verstanden. Sie stritten sich um Kleinigkeiten, daher entging ihnen häufig das wesentliche (vgl. Mt 23,23; Joh 5,39-40 ). Ihr Urteil war zu stark von dem bestimmt, was vor Augen lag. Demgegenüber forderte Jesus sie nun auf, gerecht zu richten . Darin lag ein letzter Aufruf zur Umkehr. Ihr mangelndes Begreifenrührte nicht zuletzt von ihrer Feindseligkeit gegenüber dem Stellvertreter Gottes her. Sie lebten in der Finsternis und gingen in die Irre.


Joh 7,25-26


Einige der Jerusalemer Juden, die von der Verschwörung gegen Jesus wußten, waren überrascht über diesen kühnen öffentlichen Auftritt. Doch die Führer unternahmen nichts, obwohl sie es angedroht hatten. Warum nicht? Waren sie anderen Sinnes geworden? Das Volk war verwirrt über die mangelnde Konsequenz seiner religiösen "Oberhirten". Die Menschen erwarteten, daß Jesus, wenn er ein Verführer war, gefangengenommen wurde, oder daß er, wenn er der Messias war, in seiner Messianität anerkannt wurde.


Joh 7,27


Es herrschte allerdings die allgemeine Ansicht, daß Jesus nur ein galiläischer Zimmermann aus Nazareth sei. Die Menschen gingen davon aus, daß die Herkunft des Messias ( der Christus ) unbekannt bleiben würde. Wer das Evangelium liest, dem wird die Ironie, die in dieser Fehleinschätzung liegt, sehr rasch klar. Jesus war weit mehr als ein Galiläer; er war der Logos , in Bethlehem von einer Jungfrau geboren. Da die Menschen jedoch Josef für seinen Vater hielten, war seine Herkunft den meisten tatsächlich unbekannt.



Joh 7,28-29


Daß Jesus die folgenden Worte rief , war das Zeichen für eine feierliche Verkündigung (vgl. Joh 1,15;7,37;12,44 ). Er reagierte damit auf das, was die Menschen von ihm zu wissen glaubten ( Joh 7,27 ). Seine Herkunft war vom Vater, der ihn gesandt hat und wahrhaftig ("verläßlich"; vgl. V. 18 ; Joh 8,26 ) ist. Jesus kannte den Vater, weil er von ihm abstammte ( Joh 1,1.14.18 ) und von ihm gesandt war, seine Feinde aber kannten weder den Vater noch ihn ( Joh 1,18; vgl. Mt 11,27 ).



Joh 7,30


Diese Unterstellung brachte die Jerusalemer dermaßen auf, daß sie versuchten, Jesus zu ergreifen ( piazO , gefangennehmen; vgl. V. 32.44 ; Joh 8,20;10,39 ). Doch der Vater hatte die Zeit und den Ort für das Offenbarwerden Jesu (seinen Tod) festgesetzt, und bis dahin sollte alles, was geschah, nur diesem einen Ziel dienen. Niemand legte Hand an ihn, denn der Vater schützte ihn vor dem Zugriff seiner Feinde.



Joh 7,31


Viele aus dem Volk kamen durch Jesu Worte aber auch zum Glauben an ihn. Wer solche Zeichen tat, mußte etwas Ungewöhnliches sein. Ganz sicher würde der Messias nicht mehr Wunder tun können als dieser. Trotzdem war der Glaube der Menschen an Jesus als den Messias noch sehr zögernd und tastend und enthielt noch nicht den Gedanken an seinen Sühnetod.



Joh 7,32


Da sich so viele aus dem Volk Jesus zuwandten, sahen die Pharisäer als Wächter der jüdischen Tradition (vgl. den Kommentar zu den Pharisäern bei Joh 1,24-25 ) ihre Lehren in Gefahr (vgl. Mk 7,1-23 ). Ihnen war klar, daß bald etwas geschehen mußte. Die Hohenpriester waren die obersten Priester. Ergreifen ist im Griechischen dasselbe Wort ( piazO ) wie in Joh 7,30.44; 8,20 und Joh 10,39 .



Joh 7,33


Während der Plan zur Gefangennahme Jesu allmählich konkretere Formen annahm, fuhr Jesus fort zu lehren. Dem Volk blieb nur noch eine kleine Zeit , um zu einer Entscheidung über ihn zu kommen. Diese Zeitspanne war nicht von den Machthabern, sondern von Gott gesetzt. Wenn Jesus seinen Auftrag in der Welt erfüllt hatte, würde er zum Vater zurückkehren.



Joh 7,34


Ihr werdet mich suchen war eine Prophezeiung, daß das jüdische Volk sich nach dem Messias sehnen würde. Dieser Zustand ist auch eingetreten, allerdings in Unkenntnis der Tatsache, daß in Jesus der ersehnte (vgl. Sach 12,10-13; Offb 1,7 ) Messias bereits zur Welt gekommen ist. Jetzt war die Gelegenheit da, sich für ihn zu entscheiden, später würde es zu spät sein. Jesus fuhr auf in den Himmel, wo die Ungläubigen nicht hinkommen können (vgl. Joh 8,21 ). Den Menschen, die heute leben, ist die einzigartige Möglichkeit, den Messias von Angesicht zu Angesicht zu sehen, nicht vergönnt.



Joh 7,35


Doch wieder einmal waren Jesu Worte den Juden (vgl. V. 15.31.41 - 42 )ein Rätsel. Wo konnte er hingehen, wo sie ihn nicht fänden? Weil sie von der Erde waren, konnten sie nur irdische Gedanken denken (vgl. Jes 55,8 ). Manche Juden hatten sich außerhalb Palästinas, irgendwo im riesigen römischen Reich oder noch weiter entfernt, angesiedelt; manche waren sogar bis nach Babylon gekommen. Sie lebten in der Zerstreuung unter den Griechen . "Griechen" bedeutet hier nicht nur Griechen oder griechisch Sprechende, sondern ganz allgemein Nicht-Juden oder Heiden (vgl. "Griechen" und "Juden" in Kol 3,11 ). Die Frage lautete also: "Wird Jesus die Heiden lehren ?" Ohne daß sie es wußten, war ihre Frage eine Prophezeiung der weltweiten Ausbreitung des Evangeliums nach Jesu Himmelfahrt.


Joh 7,36


Da sie Jesus nicht verstanden hatten, wiederholten sie ihre Frage nochmals.



c. Der letzte Tag des Festes
( 7,37 - 52 )


Joh 7,37


Zu den Ritualen des Laubhüttenfestes gehörte unter anderem eine jeden Tag stattfindende, feierliche Prozession vom Tempel zum Gihonbrunnen. Dort füllte ein Priester einen goldenen Henkelkrug mit Wasser, während der Chor Jes 12,3 sang. Dann kehrte der Zug zum Altar zurück, und das Wasser wurde ausgegossen. Dieses Ritual erinnerte an das Felsenwunder während Israels Aufenthalt in der Wüste ( 4Mo 20,8-11; Ps 78,15-16 ) und wies voraus auf die kommenden Tage des Messias (vgl. Sach 14,8.16-19 ). Der siebte und letzte Tag des Festes war gleichzeitig der höchste (vgl. 3Mo 23,36 ). An diesem Tag trat auch Jesus auf . Er stand während seiner Ansprache, im Gegensatz zu der üblichen Haltung der Rabbis, die sitzen blieben, wenn sie lehrten. Das "Rufen" (vgl. Joh 1,15;7,28;12,44 ) war stets die Ankündigung einer feierlichen Aussage. Sein Angebot "wen da dürstet, der komme zu mir und trinke" war ein Heilsangebot (vgl. Joh 4,14;6,53-56 ).



Joh 7,38


Ströme lebendigen Wassers werden von dem Leib dessen fließen , der an Jesus glaubt. D. h., er wird eine ständige Quelle der Zufriedenheit in sich haben, die ihm Leben spendet (vgl. Joh 4,14 ). Jesus fügte noch hinzu: wie die Schrift sagt , doch er bezeichnete die Schriftstelle, an die er hier dachte, nicht genauer. Vielleicht bezog er sich auf Ps 78,15-16 oder Sach 14,8 (vgl. Hes 47,1-12; Offb 22,1-2 ).



Joh 7,39


Der Evangelist erklärt, daß das "lebendige Wasser" (V. 38 ), von dem Jesus hier spricht, das kommende Geschenk des Heiligen Geistes sei. Der Geist befriedigt das Bedürfnis des Glaubenden nach Gott und erneuert, leitet und bevollmächtigt ihn. Die Wendung "denn der Geist war noch nicht da" steht schon in den ältesten griechischen Handschriften, darf jedoch in diesem Zusammenhang nicht wörtlich verstanden werden. Auch unter den Menschen des Alten Testaments hatte der Geist bereits gewirkt. Jesus sprach hier von dem besonderen Werk der Taufe, der Versiegelung und des Innewohnens des Geistes in den Menschen des Kirchenzeitalters, das an Pfingsten begann ( Apg 1,5.8 ). Er versprach, denen, die ihm nachfolgten, "den Geist zu senden" ( Joh 15,26;16,7 ). Daß dieser Geist "noch nicht da" war, bedeutete, daß er noch nicht ständig in den Gläubigen Wohnung genommen hatte (vgl. Ps 51,11 ). Das geschah erst nach Jesu Verherrlichung , d. h. nach seinem Tod, seiner Auferstehung und seiner Himmelfahrt. "Verherrlicht", "Herrlichkeit" und "verherrlichen" sind wiederum Schlüsselwörter im Johannesevangelium ( Joh 7,39;11,4;12,16.23.28;13,31-32;14,13;15,8;16,14;17,1.4-5.10 ).



Joh 7,40-41


Das Volk stritt sich weiterhin über Jesu Identität. Einige sahen in ihm den Propheten , den Mose angekündigt hatte ( 5Mo 18,15.18 ). Tatsächlich war Jesus dieser verheißene Prophet ( Apg 3,22 ), doch viele erkannten ihn nicht an. Zwar hielten ihn manche sogar für den Christus , d. h. den Messias, doch wieder andere glaubtenes nicht, weil sie wußten, daß er aus Galiläa kam (vgl. Joh 7,52 ).



Joh 7,42


Nach den Prophezeiungen bei Samuel und Jesaja ( 1Sam 7,16; Jes 11,1 ) sollte der Messias aus dem Geschlecht Davids kommen. Micha sagte voraus, daß er in Bethlehem, wo David war, geboren würde ( Mi 5,1 ). Jesus war aus dem Geschlecht Davids ( Mt 1,1-17; Lk 3,23-38; Röm 1,3 ), und er war auch in Bethlehem zur Welt gekommen ( Mt 2,1-6 ), doch die Menschen übersahen diese Tatsachen.



Joh 7,43-44


Da das Volk nach wie vor geteilter Meinung über seine Person war, konnte Jesus seine Lehre fortsetzen, ohne sofort gefangengenommen zu werden ( ergreifen , piazo, vgl. V. 30.32 ; Joh 8,20;10,39 ). Viele seiner Zuhörer waren ihm wohlgesonnen, wenn sie sich auch nicht für die Nachfolge entschieden (vgl. Joh 7,12.31.40-41 ). Seine Feinde mußten sich deshalb vorsehen, wenn sie keinen Aufstand riskieren wollten. Eine Zeitlang legte daher niemand Hand an ihn . Auch später kam es noch zweimal zu einer Spaltung der öffentlichen Meinung über Jesus ( Joh 9,16;10,19-21 ).



Joh 7,45-46


Die Knechte , die Jesus gefangennehmen sollten (V. 32 ), kehrten unverrichteter Dinge zurück. Auf die Frage der Hohenpriester und Phärisäer, warum sie ihn nicht mitgebracht hatten, antworteten sie: Noch nie hat ein Mensch so geredet wie dieser . Wörtlich lautete ihre Antwort: "Noch nie sprach ein solcher Mensch", was darauf hindeutet, daß sogar diese Vollzugsbeamten das Ungewöhnliche, das Jesus ausstrahlte, spürten und das Gefühl hatten, daß er mehr als ein Mensch war. Die Evangelien zeigen Jesus häufig als höchst beeindruckenden Lehrer und Redner (z. B. Mt 7,28-29;22,46 ). Er traf zwar auf sehr viel Widerstand, doch viele, die ihn hörten, wurden zutiefst von seinen Worten berührt (vgl. Joh 7,15;12,19 ).



Joh 7,47-48


Die Frage der Pharisäer an die Wachen "glaubt denn einer von den Oberen oder den Pharisäern an ihn?" war ein Beweis für ihre intellektuelle Überheblichkeit. Sie hielten sich für zu gebildet (V. 15 ), um einem Demagogen zu erliegen. Dabei glaubte eine ganze Reihe der Oberen durchaus an Jesus ( Joh 12,42;19,38-39 ), wenngleich die Führungsschicht im allgemeinen eifersüchtig auf seine Beliebtheit beim Volk war ( alle Welt läuft ihm nach ; Joh 12,19 ).



Joh 7,49


Sie führten diese Popularität auf die Unwissenheit der Massen zurück, die nicht erkennen konnten, daß sie getäuscht wurden. Nach Ansicht der Pharisäer kannte die Menge (das Volk) das Gesetz nicht und konnte ihm daher auch nicht gehorchen. Da sie aber dem Gesetz nicht gehorchten, waren diese einfachen Leute zwangsläufig verflucht ( 5Mo 28,15 ). Die Ironie dieser Situation lag darin, daß die Pharisäer, und nicht etwa das Volk, unter Gottes Zorn standen, denn sie waren es, die seine Offenbarung in Jesus verworfen hatten ( Joh 3,36 ).



Joh 7,50-51


Das mosaische ( 5Mo 1,16-17 ) und das rabbinische Gesetz legten fest, daß eine Person, die eines Verbrechens angeklagt war, verhört wurde, bevor man über sie richtete. Hier tat sich vor allem Nikodemus als ein um Gerechtigkeit bemühter Mann hervor, der verhindern wollte, daß der Hohe Rat ein falsches oder übereiltes Urteil über Jesus fällte. Er hatte persönlich mit ihm gesprochen und wußte, daß er von Gott kam ( Joh 3,1-2; vgl. Joh 12,42;19,38-39 ).



Joh 7,52


Obwohl Nikodemus ein vom Volk geachteter Lehrer war ( Joh 3,10 ), wurde er wegen seiner ausgleichenden Haltung von den Mitgliedern des Hohen Rats angegriffen. Ihre Vorurteile und ihr Haß gegen Jesus waren bereits so groß, daß sie keinen Vernunftgründen mehr zugänglich waren. Man warf Nikodemus vor, ebenso unwissend zu sein wie die Galiläer. Aus Galiläa steht kein Prophet auf , hieß es, daher kann auch der messianische Prophet nicht aus Galiläa kommen (vgl. Joh 7,41 ).

Anmerkung zu Joh 7,53-8,11 :



Joh 7,53-8,11


Fast alle Neutestamentler stimmen darin überein, daß die folgenden Verse nicht zum ursprünglichen Manuskript des Johannesevangeliums gehören. Auch in der Lutherausgabeist die Bemerkung hinzugefügt: "Der Bericht Joh 7,53-8,11 ist in den ältesten Textzeugen des Johannes-Evangeliums nicht enthalten." Stil und Vokabular dieses Abschnitts unterscheiden sich vom übrigen Text des Evangeliums, außerdem unterbricht er die Erzählung von Joh 7,52-8,12 .Möglicherweise handelt es sich hier um eine mündliche Überlieferung, die dem griechischen Manuskript später hinzugefügt wurde. Zu weiteren Ausführungen zu diesem Problem vgl. den Anhang vor der Bibliographie zum Johannesevangelium.

 

d. Jesus als das Licht der Welt
( 8,12 - 59 )


Ein wichtiger Bestandteil des Laubhüttenfestes war das Anzünden riesiger Lampen im Frauenhof des Tempels (vgl. die Skizze des Tempelbereichs). Die Dochte für die Kerzen wurden aus den abgelegten Kleidungsstücken der Priester gefertigt. Ihr Licht erhellte den gesamten Tempelbereich, wo die Menschen sich versammelten, um zu beten und zu tanzen. Das Fest sollte die Juden daran erinnern, wie Gott sie auf ihrer Wanderung durch die Wüste in einer Wolkensäule, die nachts zur Feuersäule wurde, begleitet hatte ( 4Mo 9,15-23 ).



Joh 8,12


Diese Rede ist die Fortsetzung der öffentlichen Rede, die Jesus im Tempel in Jerusalem hielt. Sehr passend zum Laubhüttenfest, an dem die großen Lampen brannten, sagte er: Ich bin das Licht der Welt (vgl. Joh 1,4.9;12,35.46 ). Er sprach damit von der Rettung der Welt. Die Welt lebte in Finsternis - ein Symbol für das Böse, die Sünde und Unwissenheit ( Jes 9,2; Mt 4,16;27,45; Joh 3,19 ). Das "Licht" ist in der Bibel ein Symbol Gottes und seiner Heiligkeit ( Apg 9,3; 1Joh 1,5 ). Jesus nun ist " das Licht" schlechthin, nicht nur ein Licht bzw. ein Licht unter vielen. Er ist das einzige Licht, "das wahre Licht" ( Joh 1,9 ) der ganzen Welt. Mit wer mir nachfolgt meinte er die Gläubigen, alle, die ihm gehorchten (vgl. Joh 10,4-5.27;12,26;21,19-20.22 ).

 

Zu Christus zu kommen, um gerettet zu werden, heißt, von nun an ein anderes Leben zu führen. Ein Glaubender wird nicht wandeln in der Finsternis , d. h., er wird nicht in der Finsternis leben (vgl. Joh 12,46; 1Joh 1,6-7 ). Er steht nicht mehr unter der Herrschaft des Bösen und der Unwissenheit ( Joh 12,46 ), denn Christus ist sein Licht und sein Heil (vgl. Ps 36,10 ).



Joh 8,13


Wieder erhoben die Pharisäer Einspruch. Da Jesus hier als sein eigener Zeuge auftrat, behaupteten sie, sein Zeugnis sei nicht wahr. Es stimmt, daß ein solches Selbstzeugnis in manchen Fällen nicht akzeptiert werden kann. So verlangte das jüdische Gesetz bei schweren Verbrechen zwei unabhängige Zeugen ( 5Mo 17,6; 5Mo 19,15; Joh 8,17 ). Auch in der rabbinischen Tradition hatte eine Aussage zu den eigenen Gunsten keinen Wert.



Joh 8,14


Manchmal ist ein solches Zeugnis jedoch der einzige Weg zur Wahrheit, weil nur der Betreffende die Wahrheit über sich selbst kennt. Für Gott kann nur Gott selbst Zeugnis ablegen. Auch Jesus war qualifiziert, wahres Zeugnis über sich abzulegen, weil er selbst Gott war und wußte, woher er kam und wohin er gehen würde ( Joh 7,29 ). Die Pharisäer glaubten zwar, Jesus zu kennen, doch in Wirklichkeit wußten sie nichts über seine Herkunft vom Himmel und seine Bestimmung (vgl. Joh 7,33-34 ) und waren daher keineswegs geeignet, über ihn zu richten.

 

Joh 8,15


Ihr Urteil richtete sich, wie Jesus sagte, nach dem Fleisch , d. h., sie beschränkten sich auf das oberflächliche Erscheinungsbild. Auch bei Jesus sahen sie nur das "Fleisch", die irdische Erscheinung, nicht seine Gottheit, und gingen deshalb verhängnisvoll in die Irre. Doch Jesus war nicht gekommen, um die Menschen zu richten , sondern um sie zu retten ( Joh 3,17 ). Wenn er richten wird - in der Zukunft - wird er auf der Grundlage der Wahrheit und des Gesetzes den Willen des Vaters ausführen (vgl. Joh 5,27.45 ). Er selbst wird niemand richten .



Joh 8,16


Jesu Richteramt unterschied sich also vollkommen von dem der Pharisäer. Sie steckten voller Vorurteile und Wahrnehmungsfehler. Er aber richtet nicht von sich aus, sondern aufgrund seiner einzigartigen Einheit mit dem Vater . So zeugte er auch nicht allein für sich, sondern mit göttlicher Autorität.

 

Joh 8,17-18


Die Wendung "in eurem Gesetz" bezieht sich wahrscheinlich auf 5Mo 17,6 und 5Mo 19,15 (oder auch auf rabbinische Vorschriften), nach denen eine Aussage jeweils von zwei Zeugen bestätigt werden mußte. Jesus konnte jedoch nur von Gott bestätigt werden. Gott, der Sohn, und Gott, der Vater, sind die beiden Zeugen, die notwendig sind, um die Tatsache der Messianität Jesu zu bestätigen. Der Vater sandte Jesus und legitimierte ihn durch die Zeichen (Wunder), die er vollbrachte.

Johannes

Joh 8,19


Jesu Aussage, daß Gott sein Vater sei, war sehr ungewöhnlich (vgl. Joh 5,18 ), und die Juden waren denn auch völlig verwirrt von dieser vertrauten Anrede für einen Gott, dessen Namen sie kaum auszusprechen wagten. Sie fragten: "Wo ist dein Vater?" Sprach Jesus, wie es den Anschein hatte, von Gott, oder von seinem menschlichen Vater? Ihre Unwissenheit in bezug auf Jesus offenbarte auch ihre Unwissenheit in bezug auf Gott, denn Jesus war die Offenbarung des Vaters (vgl. Joh 1,14.18;14,7.9 ).



Joh 8,20


Diese Worte redete Jesus an dem Gotteskasten, als er lehrte im Tempel . Jesus war einfach in den Tempel, höchstwahrscheinlich in den Frauenhof (vgl. die Skizze bei Joh 8,12; vgl. Mk 12,41-42 ), gegangen und hatte begonnen, die Menschen zu lehren. Und niemand ergriff ( piazO ) ihn (vgl. Joh 7,30.32.44;10,39 ), denn, wie Johannes immer wieder hervorhebt, er richtete sich ganz nach dem Willen und Zeitplan seines Vaters (vgl. Joh 2,4;7,6.30;12,23.27;13,1;17,1 ).



Joh 8,21


Da die Zeit seines Aufenthalts auf der Erde kurz war, war auch die Gelegenheit für die Menschen, zum Glauben an ihn zu finden, begrenzt. Schon bald würde er zu seinem Vater zurückgehen, wohin sie ihm nicht folgen konnten (vgl. Joh 7,33-34 ). Ihr werdet in eurer Sünde sterben . Der Singular "Sünde" bezieht sich auf die Sünde, den, der ihnen die Rettung bringen wollte, verworfen zu haben (vgl. Joh 16,9 ). Sie würden "sterben", weil sie weiterhin unter der Herrschaft der Sünde lebten. Doch der physische Tod sollte nur das Vorspiel für die ewige Trennung von Gott sein.

 

Joh 8,22


Ihre Frage "will er sich denn selbst töten?" beruhte auf einem Mißverständnis und war zugleich eine ironische Prophezeiung. Sie fragten sich, ob Jesus vorhatte, Selbstmord zu begehen und sich auf diese Weise ihrem Zugriff zu entziehen. (Zuvor hatten sie gedacht, er spreche davon, zu den Heiden in andere Länder zu gehen und sie zu lehren; Joh 7,35 .) Jesus tötete sich zwar nicht selbst, doch er ließ sein Leben ( Joh 10,11.18 ).



Joh 8,23


Wieder wies Jesus sie auf seine Herkunft vom Himmel und auf sein wirkliches Zuhause hin ( von oben ... nicht von dieser Welt ). Die Menschen gehörten in diese Welt ( von unten ), er jedoch nicht.



Joh 8,24


Zweimal sagte er ihnen, daß sie sterben werden in ihren Sünden (vgl. diesen Plural mit dem Singular "Sünde" in V. 21 ). Wenn sie den, der dieSünde auf sich nehmen wollte ( Joh 1,29 ), ablehnten, würden sie unter der Herrschaft der Sünde bleiben und sich ihrer einzigen Hoffnung auf Rettung berauben. Wenn ihr nicht glaubt, daß ich es bin bezieht sich auf das rätselhafte "Ich bin", eine Selbstaussage Gottes in ganz bestimmten Situationen (vgl. Jes 43,10-11 ,LXX).



Joh 8,25


Diese "Ich bin"-Offenbarung Jesu verwirrte die Juden jedoch nur noch mehr, und seine Worte über die Sünde ärgerten sie vermutlich. Sie fragten ihn: Wer bist du denn? Und er antwortete: Zuerst das, was ich euch auch sage. (In anderen Übersetzungen wurde aus diesem problematischen griechischen Satz manchmal eine Frage oder auch ein Ausruf gemacht.)


Joh 8,26-27


Jesus hätte noch viel mehr sagen und seine Zuhörer auch verurteilen können, doch er war gekommen, ihnen und der Welt Nachricht von dem, der ihn gesandt hatte, zu bringen. Seine Botschaft war wahr, weil der, von dem er sie gehört hat, wahrhaftig ist (vgl. Joh 7,18.28 ). Der Evangelist fügt noch hinzu, daß die Menschen nicht verstanden, daß er zu ihnen vom Vater sprach . Weil sie nichts von Gott wußten, verstanden sie auch Jesus nicht (vgl. Joh 1,18 ).



Joh 8,28


Im Moment war Jesus den Menschen noch unbekannt. Erst die Kreuzigung ( wenn ihr den Menschensohn erhöhen werdet ; vgl. Joh 3,14;12,32 ) sollte ihnen die Augen dafür öffnen, wer er wirklich war. Das Kreuz bedeutete nicht, daß alle gerettet würden, doch es würde den Menschen offenbaren, daß Jesus das Wort Gottes (der Logos ) war und daß er sie lehrte, was ihn der Vater gelehrt hat .



Joh 8,29


Jesu Einheit mit dem Vater beruht auf Liebe und fortgesetztem Gehorsam (vgl. Joh 4,34;5,30 ). Die Menschen verwarfen Jesus, doch der Vater wird ihn nie verlassen. Jesus ist niemals allein und wurde selbst am Kreuz vom Vater verherrlicht (vgl. Joh 16,32;17,5 ).



Joh 8,30


Trotz des weitverbreiteten Unglaubens und der offiziellen Ablehnung brachte Jesus durch sein Wirken viele Menschen zum Glauben (vgl. Joh 7,31 ). Doch dieser Glaube mußte noch geprüft und geläutert werden. Die Worte "viele glaubten an ihn" stehen im Gegensatz zum folgenden Vers. Viele nahmen Jesus zwar an, doch viele fielen auch von ihm ab.



Joh 8,31-32


Die Wendung "Juden, die an ihn glaubten" deutet darauf hin, daß manche Menschen Jesus zwar zuhörten, sich ihm jedoch nicht persönlich verpflichteten (vgl. Joh 6,53 ). Es war möglich, an die Botschaft der Buße und des kommenden Gottesreiches zu "glauben", ohne wiedergeboren zu werden. Das Merkmal der wahren Nachfolger und Jünger ist es jedoch, in der Wahrheit zu bleiben. Wenn sie seine Botschaft wirklich verstanden hatten, würden sie die rettende Wahrheit finden und ihr Wissen würde sie von der Knechtschaft der Sünde befreien.



Joh 8,33


Doch die Antwort der Menschen auf diese befreiende Botschaft war ein Beweis dafür, wie wenig sie Christus verstanden hatten. Obwohl die Juden unter römischer Verwaltung lebten, bestanden sie darauf, daß sie als Abrahams Kinder frei seien. Wie konnte Jesus sie aber befreien, wenn sie niemandes Knechte waren? Sie hatten kein Gefühl für die Sünde, in der sie gefangen waren.



Joh 8,34


Dreimal in diesem Kapitel (V. 34.51.58 ) gebrauchte Jesus die Wendung "wahrlich, wahrlich, ich sage euch" (vgl. den Kommentar zu Joh 1,51 ). Wer sündigt, beweist damit, daß er unter der Knechtschaft der Sünde steht. Die Sünde ist ein grausamer Herr. Auch Paulus verwendete dieses Bild später ( Röm 6,15-23 ).



Joh 8,35


Wie Ismael, Abrahams Sohn von der Sklavin Hagar, aus dem Haus getrieben wurde ( 1Mo 21,8-21 ), so sind die, die in der Knechtschaft der Sünde leben, in Gefahr. Isaak aber war der Sohn, der zum Haus gehörte und daher auch im Haus blieb. Waren die Juden nun wie Ismael oder wie Isaak? Hier ging es nicht um die Abstammung, sondern um die geistige Verwandtschaft.

 

Joh 8,36


Jesus ist der wahre Sohn und Nachkomme Abrahams ( Gal 3,16 ). Erbleibt im Haus und herrscht über seinen Besitz ( Hebr 3,6 ). Wenn die Menschen durch den Glauben an Christus, den Sohn, Söhne Gottes werden, können sie wirklich frei werden ( Gal 3,25-26 ).


Joh 8,37


Von der Abstammung her gesehen sind die Juden selbstverständlich Abrahams Kinder . Doch ihr Versuch, Jesus, den wahren Sohn Abrahams, zu töten, zeigte, daß sie nicht Abrahams geistliche Nachkommen waren (vgl. Röm 2,28-29; 9,6-8; Gal 3,29 ). Sie verwarfen Jesu Botschaft ( mein Wort ).


Joh 8,38


Jesus redete, was er vom Vater gesehen hatte (vgl. V. 28 ), daher waren seine Worte Gottes Wahrheit. Die Menschen aber waren dem abgeneigt, was er sagte, weil sie auf ihren Vater (Satan; V. 44 ) hörten und ihm folgten. Noch hatte Jesus ihren Vater zwar nicht beim Namen genannt, doch es war klar, von wem er sprach.



Joh 8,39


Auf dieses Argument hin hielten die Juden ihm entgegen, daß Abraham ihr Vater sei, doch Jesus antwortete ihnen, daß die geistlichen Nachkommen Abrahams auch die Werke Abrahams täten, d. h., daß sie Gott glaubten und ihm gehorchten. Sie sollten in Glauben auf die Botschaft vom Himmel reagieren und tun, was er sagte. Johannes der Täufer hatte sie bereits vor der Gefahr, sich allzusehr auf ihre abrahamitische Abstammung zu verlassen, gewarnt ( Lk 3,8 ).


Joh 8,40


Statt diesen eindringlichen Mahnungen zu gehorchen, verwarfen die Menschen den Boten vom Himmel und versuchten, den zu töten, der ihnen Gottes Wort brachte. Das hat Abraham nicht getan ; er hatte den Geboten Gottes gehorcht (vgl. 1Mo 12,1-9;15,6;22,1-19 ).

 

Joh 8,41


Da also die Werke der Juden anders waren, mußte auch ihr Vater (vgl. V. 38 ) ein anderer sein. Sie konnten Jesu zwingender Logik nur ausweichen, indem sie bestritten, illegitime Nachkommen eines irdischen Vaters zu sein, und statt dessen einen himmlischen Vater für sich beanspruchten. Mit ihrer Leugnung "wir sind nicht unehelich geboren" spielten sie möglicherweise auf Jesu Geburt an.

 

Joh 8,42


In einer wirklichen Familie lieben die Menschen einander jedoch ( 1Joh 5,1 ). Wenn Gott also tatsächlich der Vater der Juden wäre und sie ihn wirklich liebten (die griechische Formulierung geht davon aus, daß sie das nicht tun), hätten sie auch Jesus geliebt, denn er ist von Gott ausgegangen . Wieder bekräftigte Jesus sein Amt als Stellvertreter Gottes: Der Vater hat ihn gesandt .

 

Joh 8,43


Jesus, der Logos , sprach zu den Menschen, doch ihr prinzipielles Widerstreben ließ sie ihn ständig mißverstehen. Weil ihr mein Wort nicht hören könnt ,