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Matthäues Evangelium Walvoord Biblische Maße und Gewichte Länge Rute 6 Ellen 2 m Elle 2 Spannen 0,5 m
Spanne 3 Handbreiten 23 cm Handbreite 4 Fingerbreiten 7 cm
Fingerbreite 2 cm Hohlmaße für trockene Dinge Sack/Homer 10 Scheffel 220 l Letech 5
Scheffel 110 l Scheffel/Efa 3 Maß/10 Gomer 22 l Maß 1/3 Scheffel 7,3
l Krug 1/10 Scheffel 2,2 l Handvoll 1/18 Scheffel 0,3 l Hohlmaße für
Flüssigkeiten Faß wie Sack 220 l Eimer 1 Schefel 22 l
Kanne 1/6 Eimer 4 l Becher 1/72 Eimer 0,3 l Die Angaben sind
Annäherungswerte. Grundlage der Umrechnung ist die Festsetzung 1 Lot
= 11,5 g; 1 Elle = 0,5 m; 1 Scheffel = 22 l (andere Berechnungen:1
Scheffel = 39 l). Transliteration (Umschift) (Louis A. Barbieri Jr.) EINLEITUNG Am Anfang des Neuen Testamentes steht die
Darstellung des Lebens Jesu Christi: Vier verschiedene Berichte
verkünden "die gute Nachricht" vom Gottessohn und erzählen von
seinem Leben auf Erden und seinem Tod am Kreuz für die Sünde der
Menschen. Die drei ersten Evangelien nehmen dabei einen ganz
ähnlichen Blickwinkel hinsichtlich der Tatsachen zur Person Jesu
ein, während das vierte eine Sonderform bildet. Aufgrund dieser
großen Übereinstimmung werden die drei ersten neutestamentlichen
Bücher auch die "synoptischen Evangelien" genannt. Das synoptische Problem 1. Das Problem Das Wort "synoptisch"
kommt von dem griechischen Adjektiv synoptikos , das aus den beiden
Wörtern syn und opsesthai , "zusammensehen" oder "mitsehen",
zusammengesetzt ist. Obwohl die Verfasser der ersten drei
Evangelien, Matthäus, Markus und Lukas, mit ihren Schriften
unterschiedliche Absichten verfolgten, zeichneten sie das Leben Jesu
auf fast die gleiche Art und Weise nach. Andererseits gibt es aber
auch gewisse Abweichungen in ihren Berichten, über die man nicht
einfach hinweggehen kann. An diesen Ähnlichkeiten und Unterschieden
entzündet sich die Frage nach den Quellen der Evangelien, das
sogenannte "synoptische Problem". Die meisten konservativen Forscher
stimmen darin überein, daß die Verfasser der Evangelien verschiedene
Quellen benutzten. So hat beispielsweise der Stammbaum Jesu bei
Matthäus und bei Lukas möglicherweise einen Anhalt in den
Tempelakten oder auch in der mündlichen Überlieferung. Lukas selbst
vermerkt gleich zu Beginn seines Evangeliums ( Lk 1,1 ), daß bereits
zahlreiche Aufzeichnungen zu den Geschehnissen um Jesus vorliegen.
Demnach konnte er sich auf mehrere solcher schriftlicher Berichte
stützen. Man kann wohl mit Recht annehmen, daß die einzelnen
Verfasser wahrscheinlich jeweils unterschiedliche Quellen benutzt
haben. Damit sind nun allerdings nicht die "Quellen" gemeint, von
denen die Anhänger der historisch-kritischen Methode sprechen. Die
meisten Forscher dieser Richtung verstehen darunter umfangreiche
Dokumente, anhand derer die Evangelisten gleichsam als geschickte
Redakteure ihre eigenen Berichte zusammenstellten. Diese spezielle
Auffassung führte wiederum zu einer Reihe verschiedener Erklärungen
der Quellensituation. a. Die Urevangeliumshypothese nach
Ansicht mancher Gelehrter bildete ein ursprüngliches Evangelium (das
sogenannte Urevangelium ), das verlorengegangen ist, die
Materialquelle für die biblischen Redakteure. Der Haupteinwand gegen
diese These ist, daß niemals auch nur ein Hinweis auf eine solche
Schrift entdeckt wurde. Es existiert kein Dokument, das als
Urevangelium bezeichnet werden könnte. Außerdem könnte diese Theorie
zwar als Erklärung für die Ähnlichkeiten in den Evangelien
herangezogen werden, auf keinen Fall erhellt sie jedoch die
unterschiedliche Darstellung derselben Ereignisse an manchen
Stellen. b. Die Traditionshypothese Andere
Forscher vertraten die Auffassung, die synoptischen Evangelien
schöpften vor allem aus der mündlichen Tradition, also aus der
mündlichen Weitergabe der Geschehnisse, die vom engsten Umkreis Jesu
ausging. In der Regel durchläuft ein solches Zeugnis vier Stadien:
1. Das Ereignis findet statt. 2. Das Ereignis wird erzählt und so
oft wiederholt, daß es weithin bekannt wird. 3. Das Ereignis wird
gleichsam "fixiert", so daß es von da an immer auf genau die gleiche
Weise erzählt wird. 4. Das Ereignis wird niedergeschrieben. Der
Einwand gegen diese Hypothese lautet ähnlich wie der gegen die
Theorie vom Urevangelium: Sie bietet zwar eine Erklärung für die
Verwandtschaft der Texte, nicht jedoch für die Unterschiede. Darüber
hinaus muß man sich hier fragen, warum sich ein Augenzeuge des
Geschehens auf mündlich überlieferte Erzählungen verlassen sollte. c. Die Zwei-Quellen-Theorie Ein weiterer,
heute weitverbreiteter Ansatz geht dahin, daß die biblischen
Redakteure mehrere schriftliche Quellen für ihre Berichte benutzten.
Die Vertreter dieser Theorie gehen gewöhnlich von folgenden Annahmen
aus: 1. Das erste schriftlich vorliegende Evangelium war das
Markusevangelium. Diese Behauptung wird vor allem daran festgemacht,
daß nur sieben Prozent des Markustextes ausschließlich bei Markus
stehen, während 93 Prozent auch bei Matthäus und Lukas wiederkehren.
2. Neben Markus existierte ein zweites schriftliches Dokument, das
hauptsächlich Rede-Material enthielt. Dieses Dokument wird als "Q",
eine Abkürzung für das Wort "Quelle", bezeichnet. Die etwa 200
Verse, die sowohl bei Matthäus als auch bei Lukas, nicht aber bei
Markus stehen, sollen aus "Q" stammen. 3. Die Redakteure benutzten
darüber hinaus mindestens zwei weitere Quellen, das sogenannte
"Sondergut". Die eine enthält die Verse, die bei Matthäus, nicht
jedoch bei Markus oder Lukas vorkommen, die andere die Verse aus
Lukas, die nicht in Matthäus oder Markus enthalten sind. Die sich so
ergebenden Abhängigkeitsverhältnisse lassen sich auf folgende Weise
veranschaulichen: Auch diese Hypothese birgt allerdings
mehrere Probleme. Zum einen steht sie in Widerspruch zur
traditionellen Sichtweise. Konservative Theologen waren im
allgemeinen immer der Ansicht, daß das Matthäusevangelium das
älteste Evangelium war. Wenngleich nicht alle Forscher dieser These
auch heute noch zustimmen, so hat sie doch einiges Gewicht und
sollte nicht vorschnell als "bloße Tradition" abgetan werden. Auch
die Tradition kann ja die Wahrheit auf ihrer Seite haben. Zweitens
kann die Zwei-Quellen-Theorie die Tatsache nicht erklären, daß der
Markustext an einigen Stellen Aussagen enthält, die weder bei
Matthäus noch bei Lukas vorkommen. Nur Markus berichtet
beispielsweise, daß der Hahn ein zweites Mal krähte ( Mk 14,72 ),
bei den beiden anderen Synoptikern steht darüber nichts. Drittens:
Wenn das Markusevangelium tatsächlich als erstes Evangelium nach
Petrus' Tod zwischen 67 - 68 entstanden wäre, dann wären Matthäus
und Lukas wahrscheinlich später, nach der Zerstörung Jerusalems im
Jahre 70 n. Chr., geschrieben worden. In diesem Fall wäre eigentlich
zu erwarten, daß die Verfasser die Katastrophe als passenden
Höhepunkt zu den Worten des Herrn in Mt 24-25 oder zu Lukas' Aussage
in Mt 21,20-24 erwähnt hätten. Bei keinem der beiden Evangelisten
ist jedoch von diesem einschneidenden Ereignis die Rede. Viertens:
Am problematischsten aber bleibt die Spekulation über die Existenz
von "Q". Wenn ein solches Dokument existierte und von Matthäus und
Lukas für so wichtig gehalten wurde, daß sie so ausführlich daraus
zitierten, warum schätzte dieGemeinde es dann nicht ebenso hoch und
bewahrte es auf? d. Die formgeschichtliche Analyse Diese
ebenfalls gängige Betrachtungsweise setzt die Zwei-Quellen-Theorie
voraus, geht jedoch noch einen Schritt weiter. Als die Evangelien
zusammengestellt wurden, existierte bereits eine Vielzahl von
überlieferten Dokumenten, nicht nur vier (Matthäus, Markus, Lukas
und "Q"). Die heutigen Exegeten versuchen nun, die in den Evangelien
verarbeiteten kleinen selbständigen Einheiten herauszuschälen und
ihre "Form" zu bestimmen, um sie dann als Einzeltexte zu
interpretieren und auf diese Weise zu ergründen, was die Kirche des
1. Jahrhunderts durch sie sagen wollte. Nach dieser Auffassung sind
die Tatsachen, die durch die verschiedenen Erzählformen vermittelt
werden, nicht unbedingt wörtlich zu nehmen. Man muß den Text
hinterfragen, um seine eigentliche Aussage zu entdecken. Die in den
Geschichten dargestellten Fakten werden in der formgeschichtlichen
Analyse als "Mythen" aufgefaßt, die die Kirche um die Person Jesu
Christi herum aufbaute. Wenn man diesen mythologischen Firniß
"abkratzt" (Entmythologisierung), findet man Bruchstücke der
eigentlichen historischen Wahrheit über Jesus. Dieser formgeschichtliche Ansatz wird
zwar weithin vertreten, wirft jedoch auch einige schwerwiegende
Probleme auf. Zum einen ist es praktisch unmöglich, die
Einzelgeschichten in genaue "formale" Kategorien einzuordnen, da
unter den Exegeten selbst große Uneinigkeit über die Zuordnung
besteht. Zum anderen sagt die Theorie zwar aus, daß die Kirche im 1.
Jahrhundert diese Geschichten in ihrer ursprünglichen Form
verbreiten ließ, gibt jedoch keine Erklärung darüber, was die Kirche
dazu veranlaßte. Mit anderen Worten, sie übersieht bewußt das
lebendige Zeugnis Jesu Christi und den tiefgreifenden Einfluß seines
Lebens und Sterbens auf die damals lebenden Gläubigen. 2. Ein Lösungsvorschlag Die Ähnlichkeiten
und Unterschiede in den Evangelienberichten werden verständlich,
wenn man verschiedene Aspekte verbindet. Erstens: Die Verfasser der
Evangelien des 1. Jahrhunderts besaßen eine breite persönliche
Kenntnis des Materials, das sie aufzeichneten. Matthäus und Johannes
waren Jünger Jesu, die lange Zeit mit ihm zusammen gewesen waren.
Markus' Bericht könnte die Gedanken von Simon Petrus kurz vor seinem
Tod enthalten, und Lukas könnte durch seine Verbindung zu Paulus und
anderen viele Tatsachen erfahren haben. Dies wäre in die
Niederschrift der vier Berichte eingegangen. Zweitens: Daneben kommt auch der
mündlichen Überlieferung eine gewisse Bedeutung zu. In Apg 20,35
wird beispielsweise auf ein Jesuswort Bezug genommen, das nicht in
den Evangelien steht. Auch Paulus zitiert im 1. Korintherbrief (
1Kor 7,10 ) ein Wort des Herrn; als er den Brief schrieb, lag jedoch
wahrscheinlich noch keines der Evangelien vor. Drittens: Es gab
außerdem bereits schriftliche Aufzeichnungen, eine Tatsache, auf die
Lukas am Anfang seines Evangeliums verweist ( Lk 1,1-4 ). All das
erklärt jedoch nicht die inspirative Kraft, deren Wirken notwendig
ist, um einen Bericht über das Leben Jesu Christi zu schreiben, der
frei von allen Irrtümern ist. Viertens: Um das synoptische Problem
zu lösen, ist daher die Einführung eines weiteren Elementes nötig,
die Kraft der Inspiration durch den Heiligen Geist, die die
Verfasser der Evangelien bei ihrer Niederschrift beseelte. Der Herr
versprach den Jüngern, daß der Heilige Geist sie alles lehren und an
alles erinnern würde, was Jesus ihnen gesagt hatte ( Joh 14,26 ).
Diese Kraft bürgt für die Genauigkeit der Berichte, ob der Autor nun
aus seinem Gedächtnis oder aus mündlichen oder schriftlichen
Überlieferungen schöpfte. Ungeachtet der benutzten Quellen stellte
die Führung des Heiligen Geistes die Richtigkeit des Textes sicher,
und je mehr man sich auf die verschiedenen Geschichten über den
Herrn einläßt, desto klarer werden einem auch ihre "Problemstellen". Die Verfasserschaft des ersten
Evangeliums Bei der Auseinandersetzung mit der Frage,
wer ein bestimmtes Buch der Bibel verfaßt hat, gibt es normalerweise
zweierlei Anhaltspunkte: Hinweise außerhalb des Buches ("externe
Belege") und Hinweise im Buch selbst ("interne Belege"). Die
externen Belege stützen im Fall des Matthäusevangeliums die Ansicht,
daß der Apostel Matthäus das Evangelium schrieb, das seinen Namen
trägt. Bei vielen Kirchenvätern der Frühzeit des Christentums wird
er als Verfasser genannt, so unter anderem bei Pseudobarnabas,
Clemens von Rom, Polykarp, Justinus Martyr, Clemens von Alexandria,
Tertullian und Origenes. (Für weitere Belege vgl. Norman L. Geisler
und William E. Nix (1968), A General Introduction to the Bible ;
Chicago; S. 193.) Matthäus zählte mit Sicherheit nicht zu den
bedeutenderen Aposteln. Man würde eigentlich eher erwarten, daß das
erste Evangelium von Petrus, Jakobus oder Johannes stammen müßte.
Doch die Tatsache, daß die ganze altkirchliche Tradition auf
Matthäus weist, spricht sehr dafür, daß er tatsächlich der Verfasser
war. Es gibt daneben aber auch interne Belege
für die Verfasserschaft des Apostels. Das Matthäusevangelium enthält
beispielsweise mehr Anspielungen auf Geld als irgendeine andere
Schrift des Neuen Testaments. Drei Währungsbezeichnungen tauchen
überhaupt nur bei Matthäus auf, der "Tempelgroschen" ( Mt 17,24 ):
das "Zweigroschenstück" ( Mt 17,27 ) und die "zehntausend Zentner
Silber" ( Mt 18,24 ). Da Matthäus Zöllner war, hatte er natürlich
einen besonderen Blick für Münzen und finanzielle Transaktionen und
erwähnt aus diesem Grund auch die Kosten bestimmter Dinge. Für den
Beruf des Steuereinnehmers mußte man schreiben können und etwas von
Buchführung verstehen. Matthäus war so gesehen also durchaus
imstande, ein Buch wie das erste Evangelium zu schreiben. Das Buch ist aber auch ein Zeugnis seiner
christlichen Demut, denn nur er selbst spricht immer wieder von sich
als von "Matthäus dem Zöllner". Markus und Lukas verwenden diese
abwertende Bezeichnung im Zusammenhang mit Matthäus wesentlich
seltener. Als der Jünger Matthäus sich Jesus anschloß, da heißt es
im Matthäusevangelium schlicht, er habe seine Freunde "zu Tisch" (
Mt 9,9-10 ) geladen, Lukas dagegen spricht bei dieser Einladung von
"einem großen Mahl" ( Lk 5,29 ). Bezeichnend sind auch die
Auslassungen bei Matthäus, jene Geschichten, die nicht im ersten
Evangelium stehen: das Gleichnis vom Pharisäer und vom Zöllner ( Lk
18,9-14 ) und die Geschichte von Zachäus, jenem Zöllner, der
vierfach zurückgab, was er gestohlen hatte ( Lk 19,1-10 ). Die
internen Belege in bezug auf die Verfasserschaft des ersten
Evangeliums sprechen also ebenfalls für Matthäus als den
wahrscheinlichsten Autor. Die ursprüngliche Sprache des
Matthäusevangeliums Alle noch erhaltenen Manuskripte des
Matthäusevangeliums liegen in Griechisch vor, doch es gibt auch die
Annahme, daß Matthäus in Aramäisch, einer dem Hebräischen verwandten
Sprache, schrieb. Wenn man den Belegen nachgeht, stößt man auf fünf
Autoren der Alten Kirche, die behaupteten, daß Matthäus zunächst
aramäisch schrieb und dann ins Griechische übersetzt wurde: Papias
(80 - 155 n. Chr.), Irenäus (130 - 202 n. Chr.), Origenes (185 - 254
n. Chr.), Euseb (4. Jahrhundert n. Chr.) und Hieronymus (6.
Jahrhundert n. Chr.). Sie könnten sich dabei allerdings auch auf
eine andere Schrift von Matthäus beziehen. Papias erwähnt z. B., daß
Matthäus auch die Jesusworte ( logia ) zusammenstellte. Bei dieser
"Spruchsammlung" könnte es sich um eine zweite, kürzere
Niederschrift der Worte des Herrn in Aramäisch handeln, die für eine
Gruppe von Juden bestimmt und für sie besonders wichtig war. Diese
Schrift ist später verlorengegangen, denn heute existiert keine
solche Version mehr. Im Gegensatz zu den verlorengegangenen logia
schrieb Matthäus sein bis heute erhaltenes Evangelium jedoch
wahrscheinlich in Griechisch. Als Teil des biblischen Kanons und
damit Gotteswort wurde es vom Geist Gottes inspiriert und bewahrt. Die Datierung des ersten Evangeliums Eine genaue Festlegung der Entstehung des
ersten Evangeliums auf ein bestimmtes Jahr ist nicht möglich. Die
traditionalistische Forschung hat mehrere Daten zur Diskussion
gestellt. C.I. Scofield nannte in der "Scofield Reference Bible" das
Jahr 37 n. Chr. als mögliches Datum. Nur wenige Forscher plädieren
für einen Zeitpunkt nach dem Jahr 70 n. Chr., denn Matthäus erwähnt
die Zerstörung Jerusalems mit keinem Wort, und die Bezeichnung
Jerusalems als "heilige Stadt" ( Mt 4,5;27,53 ) deutet darauf hin,
daß die Stadt noch stand. Auf jeden Fall scheint jedoch eine
gewisse Zeit seit den Geschehnissen der Kreuzigung und Auferstehung
vergangen zu sein. Mt 27,7-8 spricht von einem bestimmten Brauch,
der sich "bis auf den heutigen Tag" erhalten hat, und Mt 28,15
berichtet von einer Geschichte, die "bis auf den heutigen Tag"
erzählt wird. Wendungen wie diese setzen voraus, daß Zeit
verstrichen ist, wenn auch nicht so viel, daß die jüdischen Bräuche
bereits untergegangen sind. Da die kirchliche Überlieferung
andererseits sehr stark die Annahme stützt, daß das
Matthäusevangelium das älteste Evangelium ist, wird vielleicht eine
Datierung um das Jahr 50 n. Chr. herum den historischen und
inhaltlichen Bedingungen am ehesten gerecht. Dieser Zeitpunkt läge
früh genug für die Hypothese, daß Matthäus auch zeitlich das erste
Evangelium ist. (Zur weiteren Diskussion über die Datierung und
andere Ansätze dazu [z. B., daß Markus das älteste der vier
Evangelien sei] vgl. den Abschnitt "Quellen" in der Einleitung zu
Markus.) Der Anlaß für die Niederschrift des
ersten Evangeliums Der genaue Anlaß, der zur Niederschrift
des Matthäusevangeliums führte, ist zwar unbekannt, doch es ist
anzunehmen, daß wohl zumindest zwei Gründe für Matthäus bestimmend
waren. Zunächst wollte er den ungläubigen Juden beweisen, daß Jesus
der Messias war. Er wollte, daß andere den Messias ebenso finden wie
er selbst. Zweitens schrieb Matthäus, um die gläubigen Juden in
ihrem Glauben zu stärken. Denn wenn Jesus tatsächlich der Messias
war, so war etwas Schreckliches geschehen - die Juden hatten ihren
Messias und König gekreuzigt! Was sollte nun aus ihnen werden? War
Gott mit ihnen fertig? Hier konnte Matthäus ihnen Mut zusprechen.
Auch wenn ihr Ungehorsam Gottes Zorn über die gegenwärtige
Generation der Israeliten bringen sollte, so dachte Gott doch
keineswegs daran, sein Volk aufzugeben. Sein verheißenes Königreich
würde dennoch errichtet werden, wenn auch erst in der Zukunft. In
der Zwischenzeit jedoch ist es die Aufgabe der Gläubigen, eine
andere, neue Botschaft des Glaubens an diesen Messias in die ganze
Welt zu tragen und bei allen Völkern Jünger zu gewinnen. Einige Besonderheiten des
Matthäusevangeliums 1. Das Buch Matthäus legt großen
Nachdruck auf das Lehramt Jesu Christi. Von allen Evangelien enthält
Matthäus die längsten Redepassagen, und in keinem anderen Evangelium
stehen so viele Lehren Jesu: Der allgemein als Bergpredigt
bezeichnete Abschnitt in Mt 5-7 ; Kapitel 10 mit den Anweisungen
Jesu an seine Jünger vor der Aussendung; die Gleichnisse über das
Gottesreich in Kapitel 13 ; die scharfe Abrechnung mit den
Pharisäern und Schriftgelehrten in Kapitel 23 ; und schließlich die
Rede über die Endzeit auf dem Ölberg, eine detaillierte Schilderung
der künftigen Ereignisse, die Jerusalem und das Volk erwarten, in
Kapitel 24-25 . 2. Die Darstellung des
Matthäusevangeliums folgt manchmal eher logischen als
chronologischen Gesichtspunkten. So ist z. B. der Stammbaum Jesu in
drei gleich große Gruppen unterteilt, viele Wunder werden
unmittelbar nacheinander aufgelistet, und der Widerstand gegen Jesus
wird in einen einzigen Abschnitt zusammengefaßt. Matthäus legte also
offensichtlich mehr Wert auf den thematischen Zusammenhang als auf
die chronologische Reihenfolge der Ereignisse. 3. Das Evangelium enthält sehr viele
(beinahe 50) wörtliche Zitate aus dem Alten Testament, daneben wird
etwa fünfundsiebzigmal auf alttestamentliche Geschehnisse Bezug
genommen. Das liegt zweifellos vor allem an der Leserschaft, für die
das Buch bestimmt war. Das Matthäusevangelium richtete sich, wie
bereits angedeutet, in erster Linie an Juden, die durch die vielen
Verweise auf alttestamentliche Fakten und Ereignisse beeindruckt
werden sollten. Wenn der Text tatsächlich um das Jahr 50 herum
entstand, existierten außerdem noch nicht viele neutestamentliche
Schriften, die Matthäus oder gar seinen Lesern bekannt gewesen
wären, so daß er aus ihnen hätte zitieren können.
4. Das erste Evangelium zeigt Jesus
Christus als den Messias Israels und Verkünder des kommenden
Gottesreiches (Stanley D. Toussaint, Behold the King: A Study of
Matthew , S. 18 - 20). "Wenn Jesus wirklich der Messias war", so
könnte ein Jude fragen, "was wurde dann aus dem verheißenen
Gottesreich?" Das Alte Testament lehrte ganz eindeutig, daß der
Messias auf Erden eine ruhmreiche, utopische Herrschaft heraufführen
werde, in der das Volk Israel eine bevorzugte Stellung einnehmen
sollte. Was wurde jedoch nun, da das Volk seinen wahren König
abgelehnt hatte, aus dem Gottesreich? Das Buch Matthäus offenbart in
diesem Zusammenhang einige "Geheimnisse" über das Gottesreich, die
so noch nicht im Alten Testament stehen. Sie deuten darauf hin, daß
das Gottesreich im gegenwärtigen Zeitalter eine andere Form
angenommen hat, daß das verheißene davidische Königreich jedoch in
der Zukunft errichtet werden wird, wenn Jesus Christus auf die Erde
zurückkehrt, um endgültig zu herrschen. 5. Im ersten Vers des ersten Evangeliums
wird lapidar angekündigt: "Dies ist das Buch von der Geschichte Jesu
Christi, des Sohnes Davids, des Sohnes Abrahams." Warum wird David
hier vor Abraham genannt? Hätte nicht Abraham, der Stammvater
Israels, größere Bedeutung für einen Juden? Möglicherweise nennt
Matthäus David zuerst, weil der König, der über das Volk herrschen
würde, ein Nachfahre Davids sein sollte ( 1Sam 7,12-16 ). Jesus
Christus kam mit einer Botschaft für sein eigenes Volk. Nach dem
Ratschluß Gottes wurde diese Botschaft jedoch nicht angenommen und
richtet sich nun als universale Botschaft an die ganze Welt. Die
Verheißung des Segens für alle Völker aber nimmt ihren Anfang bei
dem Bund Gottes mit Israel ( 1Mo 12,3 ). Es ist in diesem
Zusammenhang bemerkenswert, daß Matthäus in seinem Evangelium auch
von Heiden, wie den Weisen aus dem Morgenland ( Mt 2,1-12 ), dem
römischen Hauptmann mit dem starken Glauben ( Mt 8,5-13 ) und der
kanaanitischen Frau, bei der Jesus einen größeren Glauben fand als
in ganz Israel ( Mt 15,22-28 ), erzählt. Außerdem endet das
Matthäusevangelium mit dem großen Missionsauftrag: "Darum gehet hin
und machet zu Jüngern alle Völker" ( Mt 28,19 ). GLIEDERUNG I. Einleitung ( 1,2-4,11 ) A. Der Stammbaum Jesu ( 1,1-17 ) B. Das Kommen Jesu ( 1,18-2,23 ) C. Der Wegbereiter Jesu ( 3,1-12 ) D. Die Bestätigung Jesu als Messias
( 3,13-4,11 ) II. Der Beginn des Wirkens Jesu in
Galiläa ( 4,12-7,29 ) A. Die ersten Taten Jesu ( 4,12-25 ) B. Die Fortsetzung des Predigtamtes
( Kap. 5-7 ) III. Jesu Beweise seiner Gottheit (
8,1-11,1 ) A. Seine Macht über die Krankheit (
8,1-15 ) B. Seine Macht über Dämonen (
8,16-17.28-34 ) C. Seine Macht über Menschen (
8,18-22;9,9 ) D. Seine Macht über die Natur (
8,23-27 ) E. Seine Macht über die Sünde (
9,1-8 ) F. Seine Macht über die Traditionen
( 9,10-17 ) G. Seine Macht über den Tod (
9,18-26 ) H. Seine Macht über die Blindheit (
9,27-31 ) I. Seine Macht über die Stummheit (
9,32-34 ) J. Seine Macht, Diener zu berufen (
9,35-11,1 ) IV. Jesu Vollmachtsanspruch ( 11,2-16,12
) A. Die Zurechtweisung Johannes' des
Täufers ( 11,2-19 ) B. Der Weheruf über die galiläische
Städte ( 11,20-30 ) C. Die Streitgeschpräche mit den
Schriftgelehrten ( Kap. 12 ) D. Die Gleichnisse über das ganz
andere Gottesreich ( 13,1-52 ) E. Weitere Lehre und Wunder (
13,52-16,12 ) V. Jesu Lehren für die Jünger (
16,13-20,34 ) A. Seine Selbstoffenbarung (
16,13-17,13 ) B. Seine Weisungen an die Jünger (
17,14-20,34 ) VI. Der Weg zum Ende ( Kap. 21-27 ) A. Einzug in Jerusalem ( 21,1-22 ) B. Auseinandersetzung mit den
Pharisäern ( 21,23-22,46 ) C. Abrechnung mit den Pharisäern und
dem Volk ( Kap. 23 ) D. Rede über die Endzeit ( Kap.
24-25 ) E. Gerichtsverhandlungen und
Verurteilung ( Kap. 26-27 ) VII. Jesu Auferstehung ( Kap. 28 ) A. Das leere Grab ( 28,1-8 ) B. Das persönliche Erscheinen (
28,9-10 ) C. Die "offiziele" Version der
Ereignisse ( 28,11-15 ) D. Der Missionsauftrag ( 28,16-20 ) AUSLEGUNG I. Einleitung ( 1,1-4,11 ) A. Der Stammbaum Jesu ( 1,1-17 ) ( Lk 3,23-38 ) Mt 1,1 Schon in den ersten Worten seines
Evangeliums nennt Matthäus sein zentrales Thema und seine Hauptfigur
beim Namen: Jesus Christus . Er ist der Mittelpunkt des ganzen
Berichts, und bereits der Eingangsvers bringt ihn mit zwei großen
Bundesschlüssen in der Geschichte Israels in Verbindung, dem
davidischen ( 1Sam 7 ) und dem abrahamitischen ( 1Mo 12;15 ). Wenn
Jesus von Nazareth tatsächlich die Erfüllung dieser beiden großen
Bundesschlüsse verkörpert, erfüllt er sie auch von seiner Abstammung
her? Diese Frage hätten die Juden mit Sicherheit gestellt, und aus
diesem Grund geht Matthäus so genau auf die Ahnenreihe Jesu ein. Mt 1,2-17 Er leitet Jesu Herkunft von seinem
gesetzlichen Vater, Josef , ab (V. 16 ). Auf diese Weise geht sein
Stammbaum in direkter Linie auf den Thron Davids, dessen Sohn Salomo
und seine Nachkommen zurück (V. 6 ). Der Ahnentafel im
Lukasevangelium zufolge war Jesus dagegen durch einen anderen Sohn,
Nathan, ein Nachkomme König Davids ( Lk 3,31 ). Auf jeden Fall ist
bei Matthäus Jesu Anspruch auf den Thron durch die Herkunft Josefs,
seines offiziellen Vaters, aus dem Geschlecht Salomos legitimiert. Josefs Abstammungslinie wird von Jojachin
über dessen Sohn Schealtiel und seinen Enkel Serubbabel ( Mt 1,12 )
zurückverfolgt. Auch Lukas ( Lk 3,27 ) bezieht sich auf Schealtiel,
den Vater Serubbabels, und zwar als einen Vorfahren Marias, meint
damit jedoch wohl eine andere Person als Matthäus. Bei Lukas ist
Schealtiel der Sohn Neris, während der Schealtiel bei Matthäus ein
Sohn Jojachins ist. Interessant an der Ahnentafel bei
Matthäus ist außerdem die Nennung von vier Frauen aus dem Alten
Testament: Tamar ( Mt 1,3 ), Rahab (V. 5 ), Rut (V. 5 ) und Salomos
Mutter, Batseba (V. 6 ). Alle diese Frauen (wie übrigens auch die
meisten der genannten Männer) waren auf irgendeine Weise
zwielichtig. Tamar und Rahab waren Prostituierte ( 1Mo 38,24; Jos
2,1 ), Rut war Ausländerin, eine Moabiterin ( Rt 1,4 ), und Batseba
beging Ehebruch ( 1Sam 11,2-5 ). Matthäus erwähnt diese Frauen
vielleicht, um besonders deutlich zu machen, daß Gottes Erwählung
eines Menschen immer ein reiner Akt der Gnade ist. Möglicherweise
will er damit auch den Stolz der Juden in seine Grenzen weisen. Bei der Erwähnung der fünften Frau der
ganzen Genealogie, Maria ( Mt 1,16 ), ändert sich plötzlich die
Wortwahl des Berichts. Während es bisher immer wieder hieß "zeugte"
, die Betonung also beim jeweiligen Vater lag, steht bei Maria
plötzlich "von der geboren ist Jesus" . "Von der" ist ein weibliches
Relativpronomen (ex hEs ), das ganz eindeutig besagt, daß Jesus zwar
das leibliche Kind Marias, Josef jedoch nicht der leibliche Vater
war. Auf die wundersame Empfängnis und Geburt, die hinter dieser
Andeutung steht, wird in Mt 1,18-25 näher eingegangen. Matthäus nennt ganz offensichtlich nicht
jede einzelne Person in der Ahnenreihe zwischen Abraham und David
(V. 2-6 ), zwischen David und der Zeit der babylonischen
Gefangenschaft (V. 6-11 ) und zwischen der babylonischen
Gefangenschaft und Jesus (V. 12-16 ). Statt dessen zählt er für jede
dieser Perioden jeweils nur 14 Glieder auf (V. 17 ). Nach jüdischer
Auffassung galt eine Genealogie auch dann als vollständig, wenn
nicht jeder Vorfahr einzeln genannt wurde. Doch warum wählte
Matthäus gerade 14 Namen aus jeder Zeit? Die plausibelste Antwort
auf diese Frage ist vielleicht, daß der Name "David" in der
hebräischen Zahlenmystik der Zahl 14 entspricht. In der Zeit vom
babylonischen Exil bis zur Geburt Jesu (V. 12-16 ) erscheinen nur 13
neue Namen. Viele Forscher glauben daher, daß Jojachin (V. 12 ),
auch wenn er bereits in Vers 11 genannt wird, den vierzehnten Namen
dieser letzten Periode darstellt. Matthäus' Ahnentafel beantwortet die
wichtige und durchaus verständliche Frage der Juden nach der
Berechtigung, mit der jemand behaupten kann, König der Juden zu
sein. Ist dieser Mann, wie es die Tradition verlangt, ein legitimer
Nachkomme Davids? Nach Matthäus lautet die Antwort ja! B. Das Kommen Jesu ( 1,18-2,23 ) ( Lk 2,1-7 ) 1. Seine Eltern ( 1,18-23 ) Mt 1,18-23 Die Tatsache, daß Jesus, wie der
Stammbaum andeutet, allein "von Maria" geboren ist (V. 16 ), bedarf
der näheren Erklärung. Matthäus' Bericht wird sehr viel
verständlicher, wenn man sich die hebräischen Heiratsbräuche
ansieht. Ehen wurden damals von den Eltern arrangiert, dabei wurden
Eheverträge ausgehandelt. Wenn die entsprechenden Vereinbarungen
getroffen worden waren, galten die Betreffenden als verheiratet und
wurden als Mann und Frau bezeichnet. Sie lebten jedoch nicht sofort
zusammen, sondern die Frau wohnte noch ein Jahr lang weiterhin bei
ihren Eltern und der Mann bei den seinen. Die Wartezeit sollte
beweisen, daß die Braut noch unberührt war, wie sie und ihre
Angehörigen gelobt hatten. Wenn sich in dieser Zeit herausstellte,
daß sie schwanger war, hatte sie sich offensichtlich auf eine
verbotene sexuelle Beziehung eingelassen und war keine Jungfrau
mehr, ein Grund, der zur Annullierung der Ehe führen konnte. Wenn
die einjährige Prüfungszeit jedoch die Reinheit der Braut erwies,
ging der Ehemann zum Haus der Brauteltern und führte sie in einem
großen Umzug in sein Haus. Dort lebten sie dann als Mann und Frau
zusammen und vollzogen die Ehe auch physisch. Vor diesem Hintergrund
sollte Matthäus' Geschichte gelesen werden. Maria und Josef befanden sich in der
einjährigen Wartezeit, als es sich fand, daß sie schwanger war . Sie
hatten noch keinen Geschlechtsverkehr gehabt, und Maria war auch
nicht untreu gewesen (V. 20.23 ). Obwohl nur wenig über Josef
erzählt wird, kann man sich doch gut vorstellen, wie sehr er
betroffen war. Er liebte Maria wirklich, und nun ging das Gerücht
um, daß sie schwanger sei. Sein Verhalten ist ein Beweis seiner
Zuneigung zu seiner Braut. Er wollte keinen öffentlichen Skandal
heraufbeschwören, indem er ihren Zustand den Richtern am Stadttor
offenbarte, denn das hätte zur Folge haben können, daß Maria
gesteinigt wurde ( 5Mo 22,23-24 ). Statt dessen beschloß er, sie
heimlich zu verlassen . Da erschien ihm jedoch der Engel des
Herrn im Traum (vgl. Mt 2,13.19.22 ) und teilte ihm mit, daß Marias
Zustand nicht von einem Menschen, sondern von dem heiligen Geist
herrühre ( Mt 1,20; vgl. V. 18 ). Das Kind, das Maria trug, würde
ein ganz besonderes Kind sein. Sie sollte einen Sohn gebären , dem
Josef den Namen Jesus geben sollte, denn er würde sein Volk retten
von dessen Sünden . Diese Worte müssen in Josef die Erinnerung an
Gottes Versprechen wachgerufen haben, daß er sein Volk durch einen
Neuen Bund retten werde ( Jer 31,31-37 ). Der namenlose Engel
erzählte Josef weiter, daß das alles geschehe, damit Gottes Plan
erfüllt werde, denn der Prophet Jesaja hatte vor 700 Jahren
verkündet: "Siehe, eine Jungfrau wird schwanger sein" ( Mt 1,23; Jes
7,14 ). Die Alttestamentler sind sich zwar noch nicht einig, ob das
hebräische Wort ZalmCh hier mit "junge Frau" oder "Jungfrau" zu
übersetzen ist, doch von Gott aus soll es mit Sicherheit "Jungfrau"
bedeuten (wie auch das griechische Wort parthenos besagt). Marias
wundersame Empfängnis erfüllte damit Jesajas Prophezeiung, und ihr
Sohn sollte wahrhaft Immanuel ... Gott mit uns sein. Angesichts
dieser Erklärung sollte Josef sich nicht fürchten, Maria zu sich zu
nehmen ( Mt 1,20 ). Sicher würde es in der Gemeinde Mißverständnisse
und auch Tratsch geben, doch Josef kannte nun die wahre Geschichte
von Marias Schwangerschaft, und er wußte, was Gott von ihm wollte. 2. Seine Geburt ( 1,24-25 ) Mt 1,24-25 Als Josef aus seinem Traum erwachte,
gehorchte er. Er verstieß gegen die hergebrachten Sitten und nahm
seine Frau sofort zu sich , statt noch zu warten, bis die
Verlobungszeit vorüber war. Wahrscheinlich dachte er, das sei das
Beste für Maria in ihrem Zustand. Er brachte sie nach Hause und
sorgte für sie, doch er berührte sie nicht, bis sie einen Sohn gebar
, dem er den Namen Jesus gab. Matthäus berichtet ganz einfach die
Geburt des Kindes und die Tatsache, daß es den Namen Jesus erhielt,
während Lukas, der Arzt ( Kol 4,14 ), noch mehrere Details in bezug
auf die Geburt mitteilt ( Lk 2,1-7 ). 3. Seine Kindheit ( Mt 2 ) a. In Bethlehem ( 2,1-12 ) Mt 2,1-2 Es besteht in der Forschung keine volle
Übereinstimmung über den genauen Zeitpunkt der Ankunft der Weisen
aus dem Morgenland , doch anscheinend kamen sie einige Zeit nach
Jesu Geburt. Jesus, Maria und Josef hielten sich noch immer in
Bethlehem auf, wohnten inzwischen jedoch in einem Haus (V. 11 ). Bei
Matthäus wird Jesus als kleines Kind ( paidion ; V. 9.11 )
bezeichnet, während das Wort für Kind bei Lukas ( brephos ; Lk 2,12
) eher "Neugeborenes" bedeutet. Wir können heute nicht mehr genau sagen,
wer diese "Weisen" waren. Es sind in diesem Zusammenhang mehrere
Deutungsvorschläge gemacht worden. Man hat sie mit traditionellen
Namen belegt und als Repräsentanten der drei Völkergruppen gesehen,
die von Noahs Söhnen Sem, Ham und Japhet abstammen. Wahrscheinlicher
ist jedoch, daß sie hochgestellte Heiden aus einem Land nordöstlich
von Babylon - vielleicht aus dem Partherreich - waren, denen eine
besondere Offenbarung Gottes über die Geburt des Königs der Juden
zuteil geworden war. Dieses besondere Zeichen war vielleicht einfach
am Himmel sichtbar, worauf ihr Titel "Weise" (Astronomen) und auch
die Tatsache, daß sie von einem Stern sprechen, den siegesehen
haben, hindeutet. Oder sie erfuhren davon durch den Kontakt mit
jüdischen Gelehrten, die mit Kopien von Handschriften des Alten
Testaments in den Osten gekommen waren. Nach Ansicht vieler Exegeten
lassen die Aussagen der Weisen auf ein Wissen um die Weissagung
Bileams über den "Stern", der "aus Jakob" aufgehen wird, schließen (
4Mo 24,17 ). Ganz gleich, worauf sich ihre Gewißheit stützte, sie
kamen auf jeden Fall nach Jerusalem, um den neugeborenen König der
Juden anzubeten . (Nach der Überlieferung waren es drei Weise, die
nach Bethlehem zogen. Die Bibel gibt ihre Zahl allerdings nicht
genau an.) Mt 2,3-8 Es ist verständlich, daß König Herodes
erschrak, als er hörte, daß die Weisen nach Jerusalem gekommen
waren, um den neugeborenen König der Juden zu suchen (V. 2.3 ).
Herodes war seiner Herkunft nach kein Nachkomme Davids und daher
strenggenommen kein rechtmäßiger König. Tatsächlich war er nicht
einmal ein Nachkomme Jakobs, sondern Esaus und damit also Edomiter.
(Er regierte in Palästina von 37 v. Chr. bis 4 n. Chr. Vgl. auch die
Tabelle unter Lk 1,5 .) Viele Juden haßten ihn dafür und hatten ihn
nie wirklich als König akzeptiert, obwohl er viel für das Land tat.
Wenn nun ein rechtmäßiger König geboren war, war Herodes' Amt in
Gefahr. Daher ließ er die jüdischen Schriftgelehrten zusammenkommen
und erforschte von ihnen, wo der Christus geboren werden sollte ( Mt
2,4 ). Interessanterweise brachte Herodes den "neugeborenen König
der Juden" mit "dem Christus", dem Messias, in Verbindung.
Offensichtlich hoffte Israel noch immer auf den Messias und glaubte
an seine Geburt. Die Antwort auf Herodes' Frage war
einfach, da der Prophet Micha Jahrhunderte zuvor den Ort genau
angegeben hatte: Der Messias sollte in Bethlehem geboren werden ( Mi
5,1 ). Anscheinend überbrachte Herodes den Weisen selbst die
Auskunft der Hohenpriester und Schriftgelehrten des Volkes. Dann
fragte er sie aus, wann sie den Stern zum ersten Mal gesehen hätten
( Mt 2,7 ). Die verhängnisvollen Folgen dieser Unterredung zeigten
sich später (V. 16 ). Schon hier wird jedoch deutlich, daß Herodes
bereits den Plan hegte, sich dieses gefährlichen jungen Königs zu
entledigen. Er bat die Weisen ausdrücklich, zurückzukehren und ihm
zu sagen, wo sich der König befinde, so daß er kommen und ihn
ebenfalls anbeten könne. Seine Gedanken gingen allerdings in eine
ganz andere Richtung. Mt 2,9-12 Als die Weisen Jerusalem hinter sich
ließen, begegnete ihnen ein weiteres Wunder. Der Stern, den sie im
Morgenland gesehen hatten , erschien wieder und führte sie zu einem
ganz bestimmten Haus in Bethlehem, wo sie das Kindlein Jesus fanden.
Bethlehem liegt etwa sieben Kilometer südlich von Jerusalem.
"Sterne" (d. h. Planeten) bewegen sich jedoch am Himmel naturgemäß
von Osten nach Westen, nicht von Norden nach Süden. War der "Stern",
den die Weisen sahen und der sie zu dem Haus führte, möglicherweise
die Gegenwart der Herrlichkeit Gottes selbst, die die Kinder Israel
in Gestalt einer Feuer- und Wolkensäule 40 Jahre lang durch die
Wüste geführt hatte? Vielleicht war das die Erscheinung, die die
Weisen im Osten sahen und die sie mangels eines passenderen Begriffs
als "Stern" bezeichneten. Alle anderen Versuche, diesen Stern zu
erklären (z.B. mit einer Konjunktion von Jupiter, Saturn und Mars,
als Supernova, Komet usw.) erscheinen unzureichend. Wie dem auch sei, die Weisen wurden auf
diese wunderbare Weise zu dem Kind geführt, traten in das Haus ein
und beteten es an . Ihre Huldigung ging aber noch darüber hinaus,
sie schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe ; lauter Gaben, die
eines Königs würdig waren. Diese Tat heidnischer Fürsten ist wie ein
Abbild des Reichtums der Völker, der eines Tages dem Messias
dargebracht werden wird ( Jes 60,5.11;61,6;66,20; Zeph 3,10; Hag
2,7-8 ). Manche Ausleger sind außerdem der Ansicht, daß die
Geschenke symbolisch bereits das besondere Leben dieses Kindes
widerspiegeln. Gold steht für seine Gottheit oder Reinheit, der
Weihrauch für den Duft seines Lebens und die Myrrhe für seinen
Opfertod (Myrrhe wurde zum Einbalsamieren benutzt). Diese Geschenke
gaben Josef offensichtlich die Mittel, mit seiner Familie nach
Ägypten zu fliehen und dort zu leben, bis Herodes starb. Den Weisen
befahl Gott im Traum, nicht wieder zu Herodes zurückzukehren und ihm
von ihrer Reise zu berichten, und so zogen sie auf einem anderen Weg
wieder in ihr Land . b. In Ägypten ( 2,13-18 ) Mt 2,13-15 Nach dem Besuch der Weisen erschien der
Engel des Herrn Josef im Traum (im zweiten von Josefs vier Träumen:
Mt 1,20;2,13.19.22 ) und sprach: "Steh auf, nimm das Kindlein und
seine Mutter mit dir und flieh nach Ägypten", denn Herodes hatte
vor, das Kindlein zu suchen, um es umzubringen. Josef gehorchte; im
Schutz der Dunkelheit verließ er mit seiner Familie Bethlehem (vgl.
die Karte) und entwich nach Ägypten. Warum gerade Ägypten? Der
Messias wurde nach Ägypten gesandt und kehrte von dort zurück, damit
das Wort des Propheten "Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen" ,
erfüllt würde. Das ist eine Anspielung auf Hos 11,1 .Hosea selbst
scheint seine Aussage nicht unbedingt als Prophezeiung aufgefaßt zu
haben. Er meinte damit Gottes Ruf an Israel aus Ägypten in den
Exodus. Matthäus jedoch verstand diese Worte anders. Er sah in der
Flucht nach Ägypten eine Identifikation des Messias mit dem Volk
Israel. Es gibt tatsächlich gewisse Parallelen zwischen dem
Gottesvolk und dem Gottessohn. Israel war Gottes durch Adoption
erwählter "Sohn" ( 2Mo 4,22 ), und Jesus ist der Messias, der
Gottessohn. Beide zogen nach Ägypten hinab, um einer Gefahr zu
entkommen, und ihre Rückkehr war wichtig für die Heilsgeschichte des
Volkes. Während Hoseas Aussage sich auf Israels historische
Befreiung bezog, brachte Matthäus sie unmittelbar mit der Berufung
des Sohnes, des Messias, aus Ägypten in Zusammenhang. Er verlieh den
Worten des Propheten eine "erhöhte" Bedeutung und sah sie als
visionären Verweis auf die Rückkehr des Messias aus Ägypten, und in
diesem Sinn "erfüllten" sie sich tatsächlich. Mt 2,16-18 Sobald Herodes erfuhr, daß die Weisen
seinen Befehl, ihm den Ort, an dem er den neugeborenen König finden
konnte, mitzuteilen, nicht befolgt hatten, ließ er alle männlichen
Kinder in Bethlehem töten, die zweijährig und darunter waren . Das
Alter der Kinder, zweijährig und darunter , entsprach der Zeit, zu
der die Weisen den "Stern" im Osten gesehen hatten. Diese Zeitangabe
deutet möglicherweise auch darauf hin, daß Jesus, als die Weisen ihn
besuchten, noch nicht zwei Jahre alt war. Der Kindermord in Bethlehem wird nur in
der Bibel erwähnt. Nicht einmal der jüdische Geschichtsschreiber
Josephus (37 - 100? n. Chr.) berichtet über dieses feige Verbrechen,
unschuldige Säuglinge und kleine Kinder hinzuschlachten.
Andererseits ist es auch wieder nicht weiter überraschend, daß er
und andere Geschichtsschreiber der damaligen Zeit über den Tod
einiger hebräischer Kinder in einem kleinen, unbedeutenden Dorf
hinweggingen, denn Herodes beging zahllose ähnlich grausame
Schandtaten. So ließ er mehrere seiner eigenen Kinder und auch
einige seiner Ehefrauen, die er im Verdacht hatte, eine Verschwörung
gegen ihn zu planen, umbringen. Kaiser Augustus soll über ihn gesagt
haben, es sei besser, eines der Schweine des Herodes zu sein, als
sein Sohn, denn als sein Schwein habe man bessere Chancen, in einer
jüdischen Gemeinschaft zu überleben. Das griechische Wort "Schwein"
( huos ) unterscheidet sich nur in einem Buchstaben von dem Wort
"Sohn" ( huios ). Auch der Kindermord wird als Erfüllung
einer Prophezeiung von Jeremia gedeutet. Seine Aussage ( Jer 31,15 )
bezieht sich ursprünglich auf das Weinen des Volkes, als zur Zeit
des babylonischen Exils (586 v. Chr.) viele Kinder umkamen. Doch die
Parallele zur Situation im Neuen Testament ist nicht von der Hand zu
weisen, denn auch hier wurden Kinder durch Nicht-Juden umgebracht.
Darüber hinaus lag in der Nähe von Bethlehem das Grab Rahels, die
allgemein als Mutter des Volkes galt. Deshalb der Verweis auf Rahel,
die über den Tod dieser Kinder weint. c. In Nazareth ( 2,19-23 ) Mt 2,19-23 Als aber Herodes gestorben war , erhielt
Josef abermals von einem Engel des Herrn Anweisungen. Zum dritten
Mal erschien ihm ein Engel im Traum (vgl. Mt 1,20;2,13.19.22 ). Er
erfuhr von Herodes' Tod und erhielt den Befehl, in das Land
zurückzukehren (V. 20 ). Josef gehorchte dem Herrn und wollte in das
Land Israel, vielleicht nach Bethlehem, zurückkehren. Doch über die
Gebiete von Judäa , Samaria und Idumäa herrschte mittlerweile ein
Sohn von Herodes, Archelaus . Dieser Archelaus, berüchtigt für seine
Tyrannei, seine Mordtaten und seine Labilität, war wahrscheinlich
infolge der am Hof üblichen Heiratspraxis unter zu engen Verwandten
geisteskrank. (Er regierte von 4 v. Chr. bis 6 n. Chr.; vgl. die
Tabelle zu Herodes bei Lk 1,5 .) Gott warnte Josef daher (wieder im
Traum ; Mt 2,22; vgl. Mt 1,20;2,13.19 ), nicht nach Bethlehem
zurückzuziehen, sondern sich nach Norden, ins galiläische Land , in
eine Stadt mit Namen Nazareth zu wenden. In dieser Region herrschte
Antipas, ein anderer Sohn des Herodes (vgl. Mt 14,1; Lk 23,7-12 ),
der jedoch ein sehr fähiger König war. Die Tatsache, daß die Familie nach
Nazareth zog, gilt wiederum als Erfüllung einer Prophezeiung ( Mt
2,23 ). Die Worte "Er soll Nazoräer heißen" , beziehen sich
allerdings nicht auf die wörtliche Aussage eines alttestamentlichen
Propheten, wenngleich mehrere Prophezeiungen dieser Formulierung
sehr nahekommen. Jesaja sagte einmal, der Messias würde "aus dem
Stamm Isais" hervorgehen wie ein "Zweig" ( Jes 11,1 ). "Zweig" heißt
im Hebräischen neQer . Das Wort hat also dieselben Konsonanten wie
"Nazoräer" und steht allgemein für den Gedanken von "klein
anfangen". Da Matthäus den Plural, Propheten ,
benutzt, dachte er vielleicht auch überhaupt nicht an eine bestimmte
Prophezeiung, sondern an die Vorstellung, die in einer ganzen Reihe
von Prophezeiungen mit der Verachtung des Messias in Zusammenhang
gebracht wurde. In Nazareth lag die für den Norden Galiläas
zuständige römische Garnison. Die meisten Juden mieden daher jede
Verbindung mit dieser Stadt. Wer in Nazareth lebte, galt als
Kollaborateur, der sich mit dem Feind, den Römern, einließ; jemanden
einen "Nazoräer" zu nennen, war ein Ausdruck der Verachtung. Auch
Jesus wurde später von vielen Israeliten schon deshalb
geringschätzig angesehen, weil Josef und seine Familie sich in
Nazareth niedergelassen hatten. Das zeigt Nathanaels Reaktion, als
er hörte, daß Jesus aus Nazareth stamme: "Was kann aus Nazareth
Gutes kommen?" ( Joh 1,46 ). Diese Auffassung paßt gut zu vielen
alttestamentlichen Prophezeiungen, die von dem geringen und
verachteten Wesen des Messias sprechen (z. B. Jes 42,1-4 ). Das Wort
"Nazoräer" erinnerte die jüdischen Leser aber auch an das ähnlich
klingende "Nasiräer" ( 4Mo 6,1-21 ) - Jesus gehorchte Gottes Willen
mehr als die Nasiräer. C. Der Wegbereiter Jesu ( 3,1-12 ) ( Mk 1,1-8; Lk 3,1-9.15-18;
Joh 1,19-28 ) Mt 3,1-2 Matthäus überspringt die folgenden 30
Jahre von Jesu Leben und setzt seinen Bericht mit der Botschaft
Johannes des Täufers , dem "Vorboten" des Messias-Königs, fort.
Mehrere Männer in der Bibel tragen den Namen Johannes, doch nur
einer hat den Beinamen "der Täufer". Die Juden kannten zwar die
Selbsttaufe der Proselyten, doch die Taufe, die Johannes
praktizierte, war ungewöhnlich; er war der erste, der andere taufte. Johannes predigte und taufte in der Wüste
von Judäa , einem unfruchtbaren, felsigen Landstrich westlich des
Toten Meeres. Seine Botschaft war einfach und klar und hatte zwei
Schwerpunkte: 1. eine soteriologische Aussage, "tut Buße" , und 2.
eine eschatologische Aussage, "denn das Himmelreich ist nahe
herbeigekommen" . Die Vorstellung vom kommenden Gottesreich war im
Alten Testament fest verwurzelt. Daß man jedoch Buße tun mußte, um
in dieses Reich zu kommen, war den Menschen neu und wurde für viele
Juden zum Problem. Sie hatten gedacht, daß ihnen als Nachkommen
Abrahams das Gottesreich von selbst offenstünde. Doch nun
verkündigte Johannes, daß sie zuvor ihren Geist und ihr Herz ändern
müßten ( metanoeite , "tut Buße"). Sie hatten überhaupt kein Gefühl
mehr dafür, wie weit sie sich von Gottes Gesetz und den Forderungen
der Propheten entfernt hatten (z. B. Mal 3,7-12 ). Den heutigen Exegeten macht dagegen der
eschatologische Aspekt der Botschaft des Täufers größere
Schwierigkeiten. Nicht alle Forscher sind sich über die Bedeutung
der Aussagen von Johannes einig, selbst in konservativen Kreisen
gehen die Auffassungen auseinander. Was genau predigte Johannes
eigentlich? Er sprach von einem kommenden Gottesreich, von einer
"neuen Herrschaft", die nun anbrechen sollte. Diese Herrschaft
sollte die Herrschaft des Himmels sein: "Das Himmelreich". Wollte er
damit sagen, daß Gott von nun an im Himmel herrschen würde? Kaum
vorstellbar, denn dort hat er ja seit der Erschaffung der Welt immer
geherrscht. Johannes meinte also wohl, daß Gottes Herrschaft sich
nun auch ganz direkt auf die Erde erstrecken wird. Gottes Herrschaft
über die Erde ist nahegerückt und wird durch die Person des Messias,
dem Johannes den Weg bereiten soll, errichtet werden. Keiner der
damaligen Zuhörer fragte Johannes, wovon er eigentlich spreche, denn
der Gedanke an die Herrschaft des Messias über die Erde war den
Menschen vom Alten Testament her wohlvertraut. Bevor er jedoch
Wirklichkeit werden konnte, mußte das Volk Buße tun. Mt 3,3-10 Durch die Botschaft des Täufers erfüllte
sich die Verheißung des Propheten Jesaja ( Jes 40,3; mit Bezügen zu
Mal 3,1 ), mit der alle vier Evangelien die Gestalt Johannes des
Täufers verbinden ( Mk 1,2-3; Lk 3,4-6; Joh 1,23 ). Jes 40,3 bezieht
sich gleichsam auf eine Art "Straßenarbeiter", die dem Herrn in der
Wüste einen Weg bahnen sollten, als sein Volk im Jahre 537 v. Chr.
aus der babylonischen Gefangenschaft nach Juda zurückkehrte. Auf
ähnliche Weise bereitete nun Johannes der Täufer dem Herrn und
seinem Reich den Weg in der Wüste, indem er die Menschen dazu
aufrief, sich wieder zu ihm zu kehren. Johannes war also die Stimme eines
Predigers in der Wüste , der die Menschen seiner Zeit auf die
Ankunft des Messias vorbereiten sollte. Daß er gerade "in der Wüste
von Judäa" ( Mt 3,1 ) predigte, ist auch ein Bild dafür, daß sich
seine Botschaft gegen die damals herrschenden religiösen
Vorstellungen richtete. Johannes war ähnlich gekleidet wie Elia ( in
ein Gewand aus Kamelhaaren und einen ledernen Gürtel ; vgl. 2Kö 1,8;
Sach 13,4 ) und aß Heuschrecken (die Speise der Armen; 3Mo 11,22 )
und wilden Honig . Wie Elia war er ein rauher Mann der Wildnis und
verkündigte eine einfache, eindeutige Botschaft. Viele Menschen aus Jerusalem und ganz
Judäa kamen, um Johannes zu hören. Manche akzeptierten seine
Botschaft, bekannten ihre Sünden und ließen sich mit Wasser, dem
Zeichen seines Täuferamtes, taufen. Die Taufe des Johannes entsprach
nicht der christlichen Taufe; sie war ein religiöses Ritual, ein
äußeres Zeichen des Sünders, der damit seine Sünde bekannte und sich
zu einem heiligen Leben in Erwartung des Messias verpflichtete. Doch
nicht alle Menschen glaubten Johannes. Die Pharisäer und Sadduzäer ,
die kamen, um einen Blick auf das Treiben dieses Mannes zu werfen,
lehnten seine Botschaft ab. Ihre Gedanken spiegeln sich in den
Worten wider, die Johannes zu ihnen sprach ( Mt 3,7-10 ). Sie
glaubten, daß ihnen, als direkten Nachkommen Abrahams, das
Gottesreich sicher sei. Dieser Überzeugung widersprach Johannes
jedoch auf das entschiedenste; er sagte, daß Gott, wenn es nötig
sei, dem Abraham aus Steinen Kinder zu erwecken vermochte. Gott
konnte, wenn es erforderlich war, aus den Außenseitern, den Heiden,
Kinder Gottes machen - das Judentum war in Gefahr, endgültig
ausgelöscht zu werden. Wenn es keine rechtschaffene Frucht der Buße
(V. 8 ) gab, würde Gott den Baum fällen. Mt 3,11-12 Auch seine Beziehung zum kommenden
Messias machte Johannes ganz deutlich: Er glaubte, daß er nicht
einmal wert sei, ihm die Schuhe zu tragen (oder zu binden). Seine
Aufgabe war es lediglich, die Menschen auf den Messias vorzubereiten
und diejenigen, die ihm glaubten, mit Wasser zu taufen. Der Kommende
sollte sie dann mit dem Heiligen Geist und mit Feuer taufen . Wer
diese Worte hörte, wurde dabei vermutlich an zwei Propheten des
Alten Testaments erinnert: an Joe 3,1-2 und an Mal 3,2-5 . Joel
hatte verheißen, daß der Heilige Geist über Israel kommen werde.
Dieses Ereignis wurde nach Apg 2 an Pfingsten Wirklichkeit,
allerdings ohne daß Israel daran teilhatte. Der Segen des
Pfingstgeschehens steht dem Volk jedoch noch immer offen, wenn es
sich dem Herrn bei seiner Wiederkunft zuwenden und Buße tun wird.
Die Taufe "mit Feuer" ist ein Symbol für das Gericht und die
Läuterung derer, die ins Gottesreich eingehen werden (vgl. Mal 3 ).
Johannes blieb bei diesem alttestamentlichen Bild, als er von der
Worfschaufel sprach, mit der das Getreide von der Spreu getrennt
wird, wenn der Weizen in die Scheune gesammelt und die Spreu
verbrannt wird. Er wollte damit sagen, daß der Messias, wenn er
kommt, die Ernte (den Weizen) für das Königreich einbringen und das
Volk dabei läutern wird. Diejenigen, die ihn verwerfen (die Spreu),
werden gerichtet und in das ewige, unauslöschliche Feuer geworfen
werden (vgl. Mal 3,19 ). D. Die Bestätigung Jesu als Messias ( 3,13-4,11 ) 1. Die Taufe ( 3,13-17 ) ( Mk 1,9-11; Lk 3,21-22 ) Mt 3,12-14 Nachdem er jahrelang in Nazareth gelebt
hatte, ohne irgendwie öffentlich hervorzutreten, erschien Jesus
eines Tages unter der Zuhörerschaft des Johannes und wollte sich von
ihm taufen lassen. Nur Matthäus berichtet, daß Johannes sich diesem
Ansinnen zunächst widersetzte: "Ich bedarf dessen, daß ich von dir
getauft werde, und du kommst zu mir?" Johannes erkannte, daß Jesus
seine Taufe, das Symbol für die Buße, nicht nötig hatte. Jesus hatte
nichts zu bereuen. Er war sündlos ( 2Kor 5,21; Hebr 4,15;7,26; 1Joh
3,5 ) und konnte sich daher strenggenommen der Taufe des Johannes
überhaupt nicht unterziehen, selbst wenn er es wollte. Manche
Exegeten deuten die Stelle so, daß Jesus mit seiner Handlung die
Sünden des Volkes bekannte, wie es Mose, Esra und Daniel getan
hatten. Mt 3,15 legt jedoch auch noch eine andere Lösung nahe.
Mt 3,15 Jesu Antwort auf Johannes' Einwand
lautete, daß er sich taufen lassen müsse, um alle Gerechtigkeit zu
erfüllen . Was meinte er damit? Im Gesetz wurde die Taufe nicht
gefordert, also konnte er dabei nicht an die levitischen
Vorschriften denken. Doch in der Botschaft von Johannes war von der
Buße die Rede, und all diejenigen, die diese Botschaft hörten und
annahmen, freuten sich auf den kommenden Messias als den, der
gerecht sein und Gerechtigkeit bringen würde. Um jedoch den Sündern
Gerechtigkeit bringen zu können, mußte der Messias ihnen zuerst
gleich werden. Deshalb war es der Wille Gottes, daß Jesus von
Johannes getauft würde, damit er so den Sündern gleich würde (das
ist die eigentlich Bedeutung des Wortes "getauft"). Mt 3,16-17 Bemerkenswert an Jesu Taufe war die
Bestätigung seiner Identität und seines Amtes vom Himmel. Als Jesus
getauft war, stieg er heraus aus dem Wasser und sah den Geist Gottes
wie eine Taube herabfahren und über sich kommen. Eine Stimme vom
Himmel - die Stimme Gottes des Vaters - sprach: Dies ist mein lieber
Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe (vgl. Eph 1,5; Kol 1,13 ).
Dieselben Worte wiederholte Gott bei der Verklärung Christi ( Mt
17,5 ). Alle drei Personen der Gottheit waren bei diesem Ereignis
anwesend: der Vater, der von seinem Sohn sprach, der Sohn, der
getauft wurde, und der Geist, der in Gestalt einer Taube auf den
Sohn herabschwebte. Für Johannes war dies die endgültige
Bestätigung, daß Jesus Gottes Sohn war ( Joh 1,32-34 ). Es stimmte
außerdem mit Jesajas Prophezeiung überein, derzufolge der Geist auf
dem Messias ruhen würde ( Jes 11,2 ). Das Herabkommen des Heiligen
Geistes gab dem Sohn, dem Messias, die Vollmacht für seinen Dienst
unter den Menschen. 2. Die Versuchung ( 4,1-11 ) ( Mk 1,12-13; Lk 4,1-13 ) Mt 4,1-2 Unmittelbar nach der Taufe wurde Jesus
vom Geist in die Wüste geführt (nahe bei Jericho; vgl. die Karte),
damit er von dem Teufel versucht würde . Diese Zeit, die er unter
Gottes Führung verbrachte, war eine notwendige Prüfungszeit, in der
Jesus seinen Gehorsam gegenüber dem Vater erweisen mußte ( Hebr 5,8
). Nachdem er vierzig Tage gefastet hatte,
hungerte ihn , und die Versuchung begann. Von Gottes Standpunkt aus
waren diese Versuchungen ein Beweis für die innere Kraft Jesu. Dem
Sohn Gottes war es nicht möglich zu sündigen - eine Tatsache, die
die Prüfungen noch verschärfte. Jesus konnte den Versuchungen nicht
nachgeben und sündigen, aber er mußte ausharren, bis sie vorüber
waren. Mt 4,3-4 Die erste Versuchung bezog sich auf sein
Verhältnis zum Vater. Der Teufel ging davon aus, daß Jesus, wenn er
wirklich der Sohn Gottes war, überredet werden könnte, unabhängig
vom Vater zu handeln. Diese Versuchung war äußerst subtil: Wenn
Jesus Gottes Sohn war, hatte er tatsächlich die Macht, Steine in
Brot zu verwandeln. Das war es jedoch nicht, was der Vater von ihm
wollte. Der Vater wollte, daß er ohne Nahrung in der Wüste bleiben
und hungern sollte. Auf die Einflüsterung des Satans einzugehen und
seinen Hunger zu stillen hätte also dem Willen Gottes widersprochen.
Daher zitierte Jesus 5Mo 8,3 : "Der Mensch lebt nicht vom Brot
allein, sondern von allem, das aus dem Mund Gottes geht." Es ist
besser, Gottes Wort zu gehorchen, als seine menschlichen Bedürfnisse
zu befriedigen. Die Tatsache, daß Jesus das 5. Buch Mose zitierte,
zeigt darüber hinaus, daß er die unfehlbare Autorität dieses Buches,
die in der Forschung häufig in Zweifel gezogen wird, durchaus
anerkannte. Mt 4,5-7 Die zweite Versuchung zielte auf die
persönliche Geltungssucht. Sie baute auf der ersten auf, denn wenn
Jesus tatsächlich Gottes Sohn und der Messias war, war er
unverletzbar. Der Teufel stellte ihn auf die Zinne des Tempels - ob
das wirklich geschah, oder ob es sich nur um eine Vision handelte,
läßt sich nicht mit letzter Sicherheit sagen. Hier machte er dem
Messias abermals einen raffinierten Vorschlag. Er erinnerte Jesus an
die Prophezeiung Maleachis ( Mal 3,1 ), die bei den Juden zu der
gängigen Vorstellung geführt hatte, daß der Messias plötzlich am
Himmel erscheinen und zu seinem Tempel herabsteigen werde, und
fragte ihn: "Warum tust du nicht, was die Menschen erwarten, und
gibst ihnen ein großartiges Schauspiel? Schließlich sagt die
Schrift, daß die Engel Gottes dich beschützen werden und du dir
nicht einmal den Fuß verletzen wirst, wenn du hinabspringst." Der
Teufel dachte wohl, er könne die Schrift ebenso gut zitieren wie
Jesus. Er gab Ps 91,11-12 jedoch mit Absicht nicht ganz korrekt
wieder, sondern ließ die entscheidende Wendung "auf allen deinen
Wegen" aus. Nach dem Psalmisten steht ein Mensch jedoch nur dann
unter Gottes Schutz, wenn er den Willen des Herrn tut. Jesus aber
hätte nicht nach Gottes Willen gehandelt, wenn er sich selbst auf
diese dramatische Weise von der Zinne des Tempels hinabgestürzt
hätte, um die Menschen zu beeindrucken. Er entgegnete daher, wieder
mit Bezugnahme auf das 5. Buch Mose ( Mt 6,16 ), daß es nicht gut
sei, den Herrn zu versuchen und etwas von ihm zu erwarten, während
man selbst seinen Willen übergeht. Mt 4,8-11 Die letzte Versuchung des Teufels betraf
Jesu Auftrag und Vollmacht. Es war und ist Gottes ausdrücklicher
Wille, daß Jesus in der Welt herrscht. Der Satan zeigte Jesus nun
alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit . Im Moment gehören sie
noch ihm, dem "Gott" ( 2Kor 4,4 ) und "Fürsten dieser Welt" ( Joh
12,31; vgl. Eph 2,2 ). Es stand also in seiner Macht, sie Jesus zu
geben - "wenn du niederfällst und mich anbetest" . Satan sagte: "Ich
kann den Willen Gottes für dich wahrmachen und dir alle Reiche der
Welt schon jetzt geben." Das hätte natürlich bedeutet, daß Jesus
nicht gekreuzigt worden wäre. Zwar hätte er vermutlich auch ohne das
Kreuz der König der Könige sein können, doch Gottes Heilsplan für
die Menschen wäre durchkreuzt worden. Außerdem hätte Jesus damit
einen unter ihm Stehenden angebetet. Er antwortete wieder mit einem
Satz aus dem 5. Buch Mose ( 5Mo 6,13 und 5Mo 10,20 ): "Du sollst
anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen." Er
widerstand also auch dieser Versuchung. Interessanterweise gibt es Entsprechungen
zwischen den Versuchungen Jesu in der Wüste und den Versuchungen
Evas im Paradies. Zunächst setzt der Satan bei einem physischen
Bedürfnis an ( 1Mo 3,1-3; Mt 4,3 ), dann beim Streben nach
persönlichem Vorteil ( 1Mo 3,4-5; Mt 4,6 ), und schließlich versucht
er es mit dem leichten Weg zu Macht oder Ruhm ( 1Mo 3,5-6; Mt 4,8-9
). Jedes Mal verdreht er dabei Gottes Wort ( 1Mo 3,4; Mt 4,6 ). Auch
die Versuchungen, mit denen die Menschen von heute konfrontiert
sind, fallen sicherlich oft in dieselben drei Kategorien (vgl. 1Jo
2,16 ). Der Eine jedoch, der sich selbst durch die Taufe mit den
Sündern identifiziert hatte und Gerechtigkeit bringen sollte,
bewies, daß er selbst gerecht war und zu Recht vom Vater bestätigt
worden war. Der Teufel verließ ihn endlich, und sofort traten Engel
zu ihm und dienten ihm . II. Der Beginn des Wirkens Jesu in
Galiläa ( 4,12-7,29 ) A. Die ersten Taten Jesu ( 4,12-25 ) 1. Im Wort ( 4,12-22 ) ( Mk 1,14-20; Lk 4,14-15 ) a. Seine Predigt ( 4,12-17 ) Mt 4,12-16 Matthäus' Hinweis, daß Jesus sein
öffentliches Amt erst antrat, nachdem Johannes der Täufer
gefangengesetzt worden war , liefert uns eine wichtige Information
über den zeitlichen Ablauf der Ereignisse. Der Grund für die
Gefangennahme des Johannes wird hier nicht genannt, kommt aber
später zur Sprache ( Mt 14,3 ). Als Jesus erfuhr, daß Johannes im
Gefängnis saß, verließ er Nazareth und ging nach Kapernaum ( Lk
4,16-30 erklärt, warum er Nazareth verließ). In dieser Region hatten
sich nach den Eroberungen zur Zeit Josuas die Stämme Sebulon und
Naftali angesiedelt. Jesaja hatte prophezeit ( Jes 8,23-9,1 ), daß
ein Licht in dieses Land kommen werde, und Matthäus sah im
Ortswechsel Jesu die Erfüllung dieser Verkündigung. Eine der
Aufgaben des Messias war es ja, Licht in die Dunkelheit zu bringen,
für die Juden wie für die Heiden (vgl. Joh 1,9;12,46 ). Nach der Gefangennahme des Täufers fing
Jesus an zu predigen . Was er sagte, klang nicht neu: "Tut Buße,
denn das Himmelreich ist nahe herbeigekommen!" (vgl. Mt 3,2 ). Der
Messias nahm die zweiteilige Botschaft des Johannes auf. Das Werk
Gottes näherte sich der Errichtung des herrlichen Gottesreiches auf
Erden. Wer in diesem Reich leben wollte, mußte Buße tun. Ohne Buße
war keine Gemeinschaft mit Gott möglich. b. Die Berufung der Jünger ( 4,18-22 ) ( Mk 1,16-20; Lk 5,1-11 ) Mt 4,18-22 Da Jesus der verheißene Messias war,
hatte er das Recht, Menschen aus ihrem normalen Leben herauszureißen
und sie aufzufordern, ihm zu folgen . Es war nicht das erste Mal,
daß diese Menschen mit Jesus zu tun hatten; das vierte Evangelium
enthält eine Anspielung auf eine frühere Begegnung zwischen Jesus
und einigen seiner späteren Jünger ( Joh 1,35-42 ). Diesmal rief
Jesus die Fischer jedoch dazu auf, ihren Beruf aufzugeben und für
immer mit ihm zu ziehen. Er wollte sie von Fischern zu
Menschenfischern machen. Die Botschaft des kommenden Gottesreiches
mußte überall verkündet werden, damit viele sie hören und, nachdem
sie Buße getan hatten, dieses Reiches teilhaftig werden konnten.
Doch die Berufung hatte auch ihren Preis: Sie forderte nicht nur den
Verzicht auf den Beruf, sondern auch auf alle Familienbindungen. So
berichtet Matthäus von Jakobus und Johannes , daß sie nicht nur ihr
Boot, sondern auch ihren Vater verließen und Jesus nachfolgten. 2. In Taten ( 4,23-25 ) ( Lk 6,17-19 ) Mt 4,23 Jesu Wirken beschränkte sich jedoch nicht
nur auf das Predigen. Seine Taten waren ebenso wichtig wie seine
Worte, denn eine der ersten Fragen der Juden würde sein: "Kann
dieser Mann, der behauptet, der Messias zu sein, auch die Werke
eines Messias vollbringen?" Mt 4,23 faßt deshalb das ganze Spektrum
der Tätigkeit Jesu in einen einzigen Satz zusammen, der für
Matthäus' ganze Darstellung entscheidend ist (vgl. die fast
wörtliche Übereinstimmung zwischen Mt 9,35 und Mt 4,23 ). Es sind
mehrere wichtige Elemente, die in diesem Vers zusammengetragen sind:
1. Und Jesus zog umher in ganz Galiläa (und) lehrte in ihren
Synagogen . Der Wirkungskreis des Mannes, der für sich den Anspruch
erhob, der König der Juden zu sein, war also die jüdische
Gesellschaft. Er trat in Synagogen auf, dem Ort, an dem sich die
Juden zum Gottesdienst versammelten. 2. Er lehrte und predigte und
übte damit auch das Amt eines Propheten aus - er war der "Prophet",
von dem im 5. Buch Mose 18,15-19 die Rede ist. 3. Er verkündigte das
Evangelium von dem Reich . Seine Botschaft lautete, daß Gott seinen
Bund mit Israel nun erfüllen und sein Reich auf Erden errichten
werde. 4. Er heilte alle Krankheiten und alle Gebrechen im Volk
(vgl. die Verben "lehren", "predigen" und "heilen" in Mt 9,35 ). Das
wies ihn als "echten" Propheten aus, dessen Worte durch die
entsprechenden Zeichen bestätigt wurden. Alle diese Handlungen
hätten die Juden überzeugen sollen, daß die Erfüllung der Verheißung
gekommen war. An ihnen war es nun, Buße zu tun und Jesus als den
Messias anzuerkennen.
Mt 4,24-25 Das Wirken Jesu - und wahrscheinlich auch
die Taten der vier Männer, die er berufen hatte (V. 18-22 ) - blieb
offensichtlich nicht unbeachtet. Die Menschen hörten davon und
begannen zu ihm zu strömen. Die Kunde von ihm erscholl durch ganz
Syrien , das Gebiet nördlich von Galiläa. Die Menschen brachten alle
möglichen Kranken zu ihm, und Jesus machte sie gesund . Kein Wunder,
daß ihm eine große Menge aus Galiläa, aus den Zehn Städten (ein
Gebiet östlich und südlich des Sees Genezareth), aus Jerusalem, aus
Judäa und von jenseits (westlich) des Jordan (vgl. die Karte
"Palästina zur Zeit Jesu") folgte. B. Die Fortsetzung des Predigtamtes ( Mt 5-7 ) 1. Die Untertanen in Jesu Königreich ( 5,1-16 ) a. Ihre Gesinnung ( 5,1-12 ) ( Lk 6,17-23 ) Mt 5,1-12 Als Jesus die vielen Menschen sah, die
ihm folgten (vgl. Mt 4,25 ), ging er auf einen Berg und setzte sich
. Die Rabbis pflegten sich stets zu setzen, wenn sie lehrten. Seine
Jünger traten zu ihm. Und er tat seinen Mund auf und lehrte sie . Mt
5-7 wird als "die Bergpredigt" bezeichnet, weil Jesus auf einem Berg
zu den Menschen sprach. Die genaue Lage dieses Berges ist nicht
bekannt, er lag jedoch zweifellos in Galiläa ( Mt 4,23 ),
wahrscheinlich nahe bei Kapernaum, an einem Ort, der "eben" war ( Lk
6,17 ). Mit "Jünger" sind hier nicht die Zwölf gemeint, wie manche
glauben, sondern die Menge , die ihm folgte (vgl. Mt 7,28 ,"das Volk
entsetzte [sich] über seine Lehre"). Jesus formulierte seine Aussagen im
Hinblick auf das Kommen des verheißenen Reiches ( Mt 4,17 ).
Angesichts dieser Verheißung fragte sich natürlich jeder Jude: "Bin
ich auserwählt für das Reich des Messias? Bin ich gerecht genug, in
das Reich einzugehen?" Der einzige Maßstab für Gerechtigkeit, den
die Menschen kannten, war das, was die religiösen Lehrer, die
Schriftgelehrten und Pharisäer, ihnen sagten. Nun wollten sie
wissen, ob jemand, der sich nach diesen Anweisungen richtete, des
Reiches Gottes würdig war. Jesu Worte müssen also im Kontext seiner
Ankündigung des Gottesreiches und der Forderung nach Buße gesehen
werden. Er legte keine "Verfassung" des Reiches vor und beschrieb
auch keinen bestimmten Weg zum Heil. Seine Predigt zeigte vielmehr,
wie ein Mensch, der in der richtigen Beziehung zu Gott steht, leben
soll . Die gesamte Textstelle muß daher zwar einerseits im Licht der
Verkündigung des messianischen Reiches verstanden werden, sie gilt
jedoch zugleich auch fürdie heutigen Christen als Maßstab für das,
was Gott eigentlich von seinem Volk erwartet. Unter den Aussagen der
Bergpredigt sind allgemeinere (z. B. "Ihr könnt nicht Gott dienen
und dem Mammon" [ Mt 6,24 ]) und spezifische (z. B. "Und wenn dich
jemand nötigt, eine Meile mitzugehen, so geh mit ihm zwei" [ Mt 5,41
]). Daneben gibt es Feststellungen, die sich auf die Zukunft
beziehen (z. B. "Es werden viele zu mir sagen an jenem Tage: Herr,
Herr, haben wir nicht in deinem Namen geweissagt?" [ Mt 7,22 ]). Jesus begann seine Predigt mit den
sogenannten "Seligpreisungen", Aussagen, die mit der Wendung "selig
sind" beginnen. "Selig" heißt hier "glücklich" oder "wohl dem" (vgl.
Ps 1,1 ). Die Eigenschaften, die Jesus in seiner Aufzählung mit den
Seligpreisungen verknüpft, "geistlich arm", "leidgeprüft",
"sanftmütig" usw., haben ganz offensichtlich mit der Gerechtigkeit
der Pharisäer nichts zu tun. Ihnen ging es in erster Linie um
äußerliche Eigenschaften; die Eigenschaften, von denen Jesus
spricht, sind jedoch innerer Art. Sie erwachsen nur aus der engen
Beziehung zu Gott im Glauben, aus dem völligen Vertrauen auf ihn. Die geistlich Armen ( Mt 5,3 ) sind die,
die sich ganz bewußt auf Gott, nicht auf sich selbst, verlassen; sie
sind innerlich "arm", d. h. sie besitzen von sich aus nicht die
Fähigkeit, Gott zu gefallen (vgl. Röm 3,9-12 ). Die da Leid tragen (
Mt 5,4 ), erkennen, was ihnen fehlt, und gehen damit vor Gott, der
ihnen helfen kann. Die Sanftmütigen (V. 5 ) sind wahrhaft demütig
und freundlich und überschätzen sich nicht. Die da hungert und
dürstet nach Gerechtigkeit ( Mt 5,6 ), haben geistlichen Hunger, den
ständigen Wunsch nach persönlicher Gerechtigkeit. Die Barmherzigen
(V. 7 ) sind barmherzig gegenüber anderen und geben so Gottes Gnade
weiter, die sie an sich selbst erfahren haben. Die reinen Herzens
sind (V. 8 ), sind die, die innerlich frei von Sünden sind, weil sie
an Gottes Liebe und Fürsorge glauben und sich zugleich immer ihrer
Sünden bewußt sind. Die Friedfertigen (V. 9 ) zeigen anderen, was
innerer Friede mit Gott bedeutet und wie man ein Werkzeug des
Friedens in der Welt sein kann. Sie ersehnen und besitzen Gottes
Gerechtigkeit, auch dann, wenn sie dafür verfolgt werden (V. 10 ). All diese Eigenschaften stehen in
schroffem Kontrast zur "Gerechtigkeit" der Pharisäer. Die Pharisäer
waren nicht "geistlich arm", sie "trugen" auch nicht "Leid", denn
sie wußten keineswegs, was ihnen fehlte. Sie waren stolz und hart,
nicht demütig und freundlich. Sie waren der Überzeugung, daß sie die
Gerechtigkeit gepachtet hatten und hungerten und dürsteten nicht
danach. Ihnen lag mehr an der "Gesetzlichkeit" Gottes und an der
Einhaltung ihrer eigenen Gesetze als daran, Barmherzigkeit zu üben.
Ihre Frömmigkeit war rein äußerlich, und ihr Wirken brachte Spaltung
statt Frieden unter die Juden. Ganz sicher besaßen sie nicht die
wahre Gerechtigkeit. Die Anhänger Jesu jedoch, die diese
Eigenschaften besitzen, werden Erben des Himmelreiches (V. 3.10 )
auf Erden (V. 5 ). Sie empfangen geistlichen Trost (V. 4 ), ihr
Gerechtigkeitshunger wird gestillt, und sie erfahren Barmherzigkeit
von Gott und anderen Menschen (V. 7 ). Sie werden Gott schauen (V. 8
), d. h. Jesus Christus, der Gott ist, "offenbart im Fleisch" ( 1Tim
3,16; vgl. Joh 1,18;14,7-9 ), und Gottes Kinder heißen ( Mt 5,9;
vgl. Gal 3,26 ), denn sie haben teil an seiner Gerechtigkeit ( Mt
5,10 ). Menschen, die so sind, heben sich von der
Menge ab und werden nur in den seltensten Fällen verstanden. Daher
werden sie häufig verfolgt oder verleumdet (V. 11 ). Gerade diese
Menschen ermutigte Jesus jedoch, denn ihnen ergeht es wie den
Propheten, die ebenfalls mißverstanden und verfolgt wurden (V. 12 ;
vgl. 1Kö 19,1-4;22,8; Jer 26,8-11; 37,11-16; 38,1-6; Dan 3;6; Am
7,10-13 ). b. Ihr Einfluss ( 5,13-16 ) ( Mk 9,50; Lk 14,34-35 ) Mt 5,13-16 Um den Einfluß, den solche Menschen in
der Welt haben, zuveranschaulichen, benutzte Jesus zwei bekannte
Bilder: Salz und Licht . Die Anhänger Jesu sollen wie Salz sein und
bei anderen den Durst nach weiterer Information wecken. Wenn jemand
einen ganz besonderen Menschen sieht, der in bestimmten Bereichen
überlegene Qualitäten besitzt, möchte er im allgemeinen
herausfinden, was diesen Menschen so anders macht. Eine andere
Deutungsmöglichkeit ist, daß das Salz, die Kinder Gottes, als Schutz
vor dem Schlimmen in der Gesellschaft wirkt. Welcher Ansicht auch
immer man hier zuneigt, entscheidend ist, daß das Salz seine Würze
behält. Wenn es nicht mehr salzt , hat es seinen Daseinszweck
verloren und wird weggeschüttet. Die wichtigste Eigenschaft des Lichtes
ist es, zu leuchten und den Weg zu weisen. Die in Vers 3-10
beschriebenen Menschen besitzen diese Eigenschaft offensichtlich.
Ihr Wirken ist so deutlich erkennbar, wie eine Stadt, die auf einem
Berge liegt oder ein Licht auf einem Leuchter . Ein verborgenes
Licht, das unter einen Scheffel (ein Tongefäß, mit dem man Getreide
abmaß) gesetzt ist, wäre nutzlos. Die Licht verbreitenden Menschen
aber leben so, daß andere ihre guten Werke sehen und dafür nicht
sie, sondern ihren Vater im Himmel loben. (In V. 16 spricht Jesus
zum ersten Mal von "eurem [oder "unserem" oder "meinem"] Vater im
Himmel", "eurem himmlischen Vater" und "eurem Vater" - eine Wendung
die insgesamt fünfzehnmal in der Bergpredigt auftaucht. Vgl. auch V.
45.48 ; Mt 6,1.4.6.8-9.14-15.18.26.32; 7,11.21 . Wer in Gottes
Gerechtigkeit steht, weil er an ihn glaubt, hat eine enge geistliche
Beziehung zu ihm, wie ein Kind zu einem liebenden Vater.) 2. Der Kern seiner Botschaft ( 5,17-20 ) Mt 5,17-20 Dieser Abschnitt enthält den Kern der
Botschaft Jesu - er zeigt seine Haltung gegenüber dem Gesetz. Jesus
stellte nicht etwa ein "Gegengesetz" zum mosaischen Gesetz und zu
den Worten der Propheten auf, sondern demonstrierte, wie die
wirkliche Erfüllung des Gesetzes und der Propheten - im Gegensatz zu
den Traditionen der Pharisäer - aussah. "Das Gesetz und die
Propheten" stehen hier stellvertretend für das ganze Alte Testament
(vgl. Mt 7,12;11,13;22,40; Lk 16,16; Apg 13,15;24,14;28,23; Röm 3,21
). Das Wort "wahrlich" aus der Wendung "wahrlich, ich sage euch" ,
ist die Übersetzung von "Amen". (Das griechische amEn ist eine
Übertragung des hebräischen ?Aman , "stark, wahr sein".) Dieses
"wahrlich, ich sage euch" leitet eine feierliche Aussage ein, auf
die die Hörer besonders achten sollen. Sie kommt allein im
Matthäusevangelium 31mal vor. (Im Johannesevangelium wird das
griechische Wort stets wiederholt: "Amen, Amen". Vgl. den Kommentar
zu Joh 1,51 .) Die Erfüllung, von der Jesus sprach, war
so vollständig, daß sie auch den kleinsten hebräischen Buchstaben ,
das "Jota" ( yND ), und das kleinste Zeichen der hebräischen
Schrift, das "Tüpfelchen" , mit einschloß. Im Deutschen entspräche
das Jota etwa dem Punkt über dem "i" (es sieht aus wie ein
Apostroph), während einem "Tüpfelchen" dieselbe Bedeutung zukommt
wie dem kleinen Schrägstrich, der ein "R" von einem "P"
unterscheidet. Solch winzige Details sind deshalb so wichtig, weil
Wörter aus Buchstaben bestehen und schon die kleinste Veränderung
eines Buchstabens die Bedeutung des ganzen Wortes verändern kann.
Jesus sagte, er werde durch seinen Gehorsam das Gesetz und die
Vorhersagen der Propheten über den Messias und sein Königreich
vollständig erfüllen . Doch es ging darum, daß auch die Menschen
ihren Teil beitrugen. Die Gerechtigkeit, nach der sie ständig
strebten - die der Schriftgelehrten und Pharisäer -, genügte nicht,
um in das Reich, von dem Jesus sprach, zu kommen. Der Messias
verlangte mehr als nur äußerliche Rechtschaffenheit, er forderte
eine wirkliche innere Gerechtigkeit, die auf dem Glauben an
GottesWort aufbaut ( Röm 3,21-22 ). Das wird in seinen weiteren
Ausführungen ganz deutlich. 3. Die Umsetzung seiner Botschaft ( 5,21-7,6 ) a. Die neuen Gebote ( 5,21-48 ) Jesus verwarf die Überlieferungen der
Pharisäer (V. 21-48 ) und ihre Praktiken ( Mt 6,1-7,6 ). Sechsmal
kehrt die Wendung wieder: "Ihr habt gehört, daß zu den Alten gesagt
ist ... ich aber sage euch" ( Mt
5,21-22.27-28.31-32.33-34.38-39.43-44 ). Er legte also jeweils
zunächst dar, was die Pharisäer und Schriftgelehrten den Menschen
sagten, und führte dann aus, was Gott, im Gegensatz dazu, eigentlich
mit dem Gesetz bezweckte. Jesus erläuterte damit seine zuvor
gemachte Aussage (V. 20 ), daß die Gerechtigkeit der Pharisäer nicht
ausreiche, um in das kommende Gottesreich zu gelangen. Mt 5,21-26 Gleich im ersten Beispiel geht es um ein
sehr wichtiges Gebot: "Du sollst nicht töten" ( 2Mo 20,13 ). Die
Pharisäer lehrten, daß einen Mord begeht, wer einem anderen das
Leben nimmt. Jesus dagegen verbot nicht nur die Tat selbst, sondern
auch die innere Einstellung, die einer solchen Handlung zugrunde
liegt. Natürlich ist Mord etwas Schlimmes, doch schon der Zorn, der
möglicherweise zur Tat führt, ist genauso schlimm wie der Griff zum
Messer. Ja selbst das Zürnen und Sich-Überheben über einen anderen,
das sich darin ausdrückt, daß man ihm Schimpfworte an den Kopf wirft
(wie etwa das aramäische "Raca" - "Du Narr" ), ist ein Zeichen für
ein sündiges Herz. Wer so etwas tut, ist offensichtlich ein Sünder
und daher dem höllischen Feuer verfallen ("Hölle" heißt wörtlich
"Gehenna"; vgl. Mt 5,29-30; 10,28; 18,9; 23,15.33; sieben der
insgesamt elf Verweise auf die "Gehenna" stehen im
Matthäusevangelium). "Gehenna" ist ein Synonym für das Hinnomtal,
das südlich von Jerusalem lag und wo in einem ständig brennenden
Feuer die Abfälle der Stadt verbrannt wurden. Es wurde zu einem
beliebten Bild für die ewige Strafe, der die Bösen entgegengingen. Ausschlaggebend ist also die innere
Haltung des Menschen, die "in Ordnung gebracht" werden muß. Brüder
sollten sich versöhnen, wobei es gleichgültig ist, ob der
"Unschuldige" ( Mt 5,23-24 ) oder der "Ankläger" (V. 25-26 ) den
ersten Schritt tut. Ohne eine solche Versöhnung bedeuten alle Gaben,
die auf dem Altar dargebracht werden, nichts. Schon auf dem Weg zum
Gerichtshof soll ein Beklagter versuchen, sein Problem mit seinem
Nächsten zu lösen, andernfalls sollte ihn der Hohe Rat, der aus 70
Mitgliedern bestehende jüdische Gerichtshof, ins Gefängnis werfen,
bis er den letzten Pfennig bezahlt hat . Matthäus Mt 5,27-30 In seinem zweiten praktischen Beispiel
setzte sich Jesus mit dem Problem des Ehebrechens ( 2Mo 20,14 )
auseinander. Die Lehren der Pharisäer bezogen sich auch hier wieder
nur auf den äußerlichen Tatbestand. Ehebruch war danach als sexuelle
Vereinigung mit einem anderen Mann oder einer anderen Frau
definiert. Diese Definition gab zwar das Gebot korrekt wieder,
verfehlte jedoch seinen eigentlichen Sinn. Ehebruch beginnt im
Herzen eines Menschen ( "Wer ... ansieht, ... zu begehren" ) und
wird erst dann zur Tat. Dieses Begehren, das ein ebenso großes
Vergehen ist wie die Tat, ist ein Zeichen dafür, daß die Beziehung
zu Gott nicht in Ordnung ist. Mt 5,29-30 wurde häufig mißverstanden. Jesus sprach
natürlich nicht von der Verstümmelung als Lösung, denn ein Blinder
kann mit dem körperlichen Begehren ebenso große Probleme haben wie
ein Sehender, und ein Mann, der nur eine Hand besitzt, kann auch mit
ihr allein sündigen. Es ging ihm vielmehr um die Beseitigung der
inneren Ursache für das Vergehen. Wenn ein begehrendes Herz zum
Ehebruch führt, so muß das Herz geändert werden. Nur eine solche
innere Wandlung kann vor der Hölle ("Gehenna"; vgl. V. 22 ) retten. Matthäus Mt 5,31-32 ( Mt 19,3-9; Mk 10,11-12; Lk 16,18 ):
Unter den jüdischen Lehrern gab es zwei unterschiedliche Haltungen
zur Scheidung ( 5Mo 24,1 ). Die Anhänger von Hillel vertraten die
Auffassung, es sei einem Ehemann grundsätzlich gestattet, sich von
seiner Frau scheiden zu lassen, die andere Gruppe (die Anhänger
Shammais) sagten, die Scheidung sei nur bei schweren Vergehen
erlaubt. Jesus dagegen lehrte, daß die Ehe vor Gott unauflöslich ist
und nicht durch die Scheidung beendet werden sollte. Die
"Ausnahmeregel", es sei denn wegen Ehebruchs ( porneias ), wird von
den Bibelforschern unterschiedlich ausgelegt. Hier seien vier
verschiedene Deutungsversuche genannt: 1. Ein einziger Ehebruch. 2.
Untreue in der Verlobungszeit ( Mt 1,19 ). 3. Heirat zwischen nahen
Verwandten ( 3Mo 18,6-18 ). 4. Fortgesetzte Promiskuität. (Vgl. den
Kommentar zu Mt 19,3-9 .) Mt 5,33-37 Danach nahm Jesus Stellung zum Schwören (
3Mo 19,12; 5Mo 23,22 ). Die Pharisäer waren bekannt dafür, daß sie
bei jeder Gelegenheit Schwüre ablegten. Sie ließen sich jedoch stets
ein Hintertürchen offen. Wenn sie Dinge, die sie beim Himmel, bei
der Erde, bei Jerusalem oder bei ihrem Haupt geschworen hatten,
nicht mehr halten wollten, behaupteten sie einfach, daß die Eide, da
sie ja nicht bei Gott selbst geschworen hatten, nicht bindend seien. Jesus hielt dagegen, daß Schwüre ohnehin
überflüssig sein müßten: "Ich aber sage euch, daß ihr überhaupt
nicht schwören sollt" . Die Tatsache, daß überhaupt geschworen
wurde, war nichts anderes als ein Zeichen für die Schlechtigkeit des
menschlichen Herzens. Davon abgesehen ist das Schwören beim Himmel,
bei der Erde , (oder) bei Jerusalem jedoch durchaus als bindend zu
betrachten, da es sich dabei um Gottes Thron, den Schemel seiner
Füße und um seine Stadt handelte und ja selbst die Farbe des
Haupthaars der Menschen von Gott festgelegt ist ( Mt 5,36 ).
Trotzdem reagierte Jesus, wie auch Paulus ( 2Kor 1,23 ), bei einer
späteren Gelegenheit auf einen Schwur ( Mt 26,63-64 ). Nach den
Worten des Herrn sollte das Leben eines Menschen eine ausreichende
Gewähr für seine Worte sein. Ein "Ja" soll stets ja und ein "Nein"
stets nein bedeuten. Jakobus scheint dieses Wort des Herrn in seinem
Brief wiederaufgenommen zu haben ( Jak 5,12 ). Mt 5,38-42 ( Lk 6,29-30 ): Die Worte "Auge um Auge,
Zahn um Zahn" stehen mehrmals im Alten Testament ( 2Mo 21,24; 3Mo
24,20; 5Mo 19,21 ); sie werden die lex talionis , das Gesetz der
Vergeltung, genannt. Dieses Gesetz sollte die Unschuldigen schützen
und sicherstellen, daß die Vergeltung nicht schlimmer ausfiel als
das Vergehen. Nach den Worten Jesu haben die wirklich Gerechten es
jedoch überhaupt nicht nötig, auf ihr Recht zu bestehen. Ein
Gerechter zeichnet sich durch Demut und Selbstlosigkeit aus. Er wird
um des Friedens willen "zwei Meilen" mitgehen, wenn nur eine
verlangt ist. Wenn ihm Unrecht getan und er auf eine Backe
geschlagen wird, wenn er seines Rockes (das Unterkleid; das
Überkleid war der Mantel ) beraubt oder gezwungen wird, mit jemandem
eine Meile mitzugehen , so wird er nicht zurückschlagen, Ersatz
verlangen oder die Bitte ablehnen. Statt Vergeltung zu suchen, wird
er das Gegenteil tun und seinen Fall dem Herrn überlassen, der eines
Tages alles in Ordnung bringen wird (vgl. Röm 12,17-21 ). Das größte
Beispiel für diese Haltung ist das Leben des Herrn selbst, wie
Petrus später darlegte ( 1Pet 2,23 ). Mt 5,43-48 ( Lk 6,27-28.32-36 ) Die Pharisäer
lehrten, daß man diejenigen, die einem nah und lieb sind, lieben (
3Mo 19,18 ), aber den Feinden Israels Haß entgegenbringen solle. Sie
sahen ihren Haß als Werkzeug der göttlichen Vergeltung an ihren
Feinden . Doch Jesus stellte die revolutionäre Forderung, daß Israel
Gottes Liebe sogar an seinen Feinden beweisen solle - eine Haltung,
die weit über das im Alten Testament Verlangte hinausging! Gott
liebt die Menschen; er läßt seine Sonne aufgehen über Böse und Gute
und läßt regnen über Gerechte und Ungerechte , damit sie säen und
ernten können. Da seine Liebe jedem gilt, sollte auch Israel ein
Werkzeug seiner Liebe sein und alle Menschen lieben. In einer
solchen Liebe erweist sich die Gotteskindschaft des Volkes (vgl. Mt
5,16 ). Nur diejenigen zu lieben, die euch lieben, und nur zu euren
Brüdern freundlich zu sein, ist dagegen nicht mehr, als die Zöllner
und Heiden tun - eine bittere Bemerkung für die Pharisäer! Jesus schloß diesen Abschnitt mit dem
Wort: "Darum sollt ihr vollkommen sein, wie euer Vater im Himmel
vollkommen ist." Seine Botschaft machte klar, was Gerechtigkeit
eigentlich ist: Gott selbst ist der Maßstab für die wahre
Gerechtigkeit. Wer gerecht sein will, muß also sein, wie Gott ist:
"vollkommen", das heißt fehlerlos ( teleioi ) oder heilig. Mord,
Begierde, Haß, Betrug und Rache haben bei Gott keinen Platz. Die
Anforderungen werden für die Menschen auch nicht niedriger
angesetzt, um ihnen die Erfüllung leichter zu machen - Gottes
absolute Heiligkeit bleibt die Richtschnur. Obwohl kein Mensch
dieses Ziel von sich aus erreichen kann, erfreut sich der, der im
Glauben auf Gott vertraut, doch der Gerechtigkeit Gottes, die sich
in seinem Leben widerspiegelt. b. Die neue religiöse Praxis ( 6,1-7,6 ) Nachdem er ihre Lehren kritisiert hatte,
nahm Jesus nun die heuchlerische Praxis der Pharisäer unter die
Lupe. Mt 6,1-4 Er tadelte zunächst ihre Art, Almosen zu
geben. Gerechtigkeit ist nicht in erster Linie eine Sache zwischen
Menschen, sondern zwischen einer Person und Gott. Daher sollte man
seine Frömmigkeit nicht vor anderen zur Schau stellen, denn dann
erhält man auch seinen Lohn nur von den Menschen (V. 1-2 ). Die
Pharisäer machten aus ihren Gaben an die Armen eine große Show in
den Synagogen und auf den Gassen und dachten, auf diese Weise unter
Beweis zu stellen, was für gerechte Leute sie doch seien. Jesus
jedoch sagte, wenn du aber Almosen gibst, so laß deine linke Hand
nicht wissen, was die rechte tut , d. h., es sollte so verborgen
geschehen, daß der Geber sofort wieder vergißt, was er gegeben hat.
Auf diese Art zeigt er wahre Gerechtigkeit vor Gott, nicht vor den
Menschen, und Gott wird es ihm vergelten . Man kann nicht, wie die
Pharisäer annahmen, von den Menschen und von Gott belohnt werden. Mt 6,5-15 ( Lk 11,2-4 ) Dann sprach Jesus über das
Beten, das die Pharisäer ebenfalls gern zu einer öffentlichen
Angelegenheit machten. Statt das Gebet zu einer Sache zwischen dem
einzelnen und Gott zu machen, wollten sie von den Leuten gesehen
werden , um auch hier ihre angebliche Gerechtigkeit zu
demonstrieren. Ihre Gebete galten eigentlich nicht Gott, sondern den
anderen Menschen, vor denen sie mit ihrer Frömmigkeit prahlen
wollten, und setzten sich im Grunde nur aus langen, ständig
wiederholten Phrasen zusammen ( Mt 6,7 ). Jesus verurteilte das "Gemachte" solcher
Praktiken. Das Gebet der Gläubigen sollte sich an den Vater, der im
Verborgenen ist (vgl. Joh 1,18; 1Tim 1,17 ) und der weiß, was ihr
bedürft , richten ( Mt 6,8 ), und es sollte auch nicht in aller
Öffentlichkeit, vor den Leuten, gesprochen werden. Jesus gab seinen
Jüngern sogar ein "Muster" für ein Gebet, das sogenannte
"Vaterunser", eigentlich das "Gebet der Jünger". Dieses von vielen
Christen übernommene Gebet enthält bestimmte Elemente, die
eigentlich in jedem Gebet vorkommen sollten: 1. Das Gebet sollte mit
der Anbetung beginnen. Gott wird dabei als "Unser Vater im Himmel"
angesprochen. Die Anbetung ist der Kern allen Betens. (In den Versen
1-18 verwendete Jesus zehnmal das Wort "Vater"! Nur wer die wahre
innere Gerechtigkeit besitzt, kann Gott auf diese Weise anbeten und
ansprechen.) 2. Ein weiteres Element des Gebetes ist die Ehrfurcht
vor Gott - denn Gottes Name ist geheiligt ( hagiasthEtO ). 3. Die
Sehnsucht nach dem Gottesreich - dein Reich komme . Sie stützt sich
auf die Zusicherung, daß Gott alle in seinem Bund gegebenen
Verheißungen für sein Volk erfüllen wird. 4. Das Gebet soll die
Bitte enthalten, daß sein Wille auf Erden so vollständig und gerne
geschehe wie im Himmel . 5. Auch die Bitte um das, was man zum
täglichen Leben braucht, wie z. B. Nahrung, gehört in ein Gebet.
"Täglich" ( epiousion , ein Wort, das im Neuen Testament nur an
dieser Stelle steht) bedeutet "ausreichend für heute". 6. Daneben stehen Bitten um geistliche
Gaben wie Vergebung. Dabei sollte der Bittende selbst dem, der ihm
Unrecht getan hat, vergeben haben. Sünden (vgl. Lk 11,4 ) wie
moralische Schuld enthüllen die persönlichen Versäumnisse vor Gott.
7. Ein weiterer wichtiger Bestandteil des Gebetes des Gläubigen ist
schließlich die Erkenntnis der eigenen geistlichen Unvollkommenheit
und die Bitte um Erlösung aus der Versuchung und von dem Bösen (vgl.
Jak 1,13-14 ). Mt 6,14-15 ist eine Entfaltung der Aussage über die
Sündenvergebung in Vers 12 . Auch wenn Gottes Vergebung nicht von
der Vergebung der Menschen untereinander abhängt, so basiert doch
umgekehrt die Fähigkeit der Christen, ihren Feinden zu vergeben,
darauf, daß sie wissen, daß ihnen vergeben ist (vgl. Eph 4,32 ). Es
geht in diesen Versen um die persönliche Gemeinschaft des einzelnen
mit Gott (nicht um die Rettung von der Sünde). Man kann nicht
Gemeinschaft mit Gott haben, wenn man den Menschen nicht vergibt . Mt 6,16-18 Auch der Umgang mit dem Fasten war ein
Beispiel für die scheinbare "Gerechtigkeit" der Pharisäer. Sie
fasteten nach Möglichkeit so, daß es anderen auffiel und man sie für
besonders fromm hielt. Fasten ist eigentlich eine Sache der
Verleugnung des Fleisches, die Pharisäer jedoch verherrlichten ihr
Fleisch, indem sie die Aufmerksamkeit auf sich zogen. Wieder wies
Jesus darauf hin, daß solche Handlungen im Verborgenen vor Gott
geschehen sollten. Wenig nachahmenswert war daher auch der Brauch
der Pharisäer, sich während des Fastens das Haupt nicht zu salben ,
denn nur Gott allein sollte um dieses Tun wissen und würde es den
Menschen auch entsprechend vergelten. Jesus bezeichnete die Pharisäer in allen
drei Beispielen - dem Almosengeben (V. 1-4 ), dem Beten (V. 5-15 )
und dem Fasten (V. 16-18 ) - als Heuchler (V. 2.5.16 ), die mit
ihrer Frömmigkeit öffentlich großtun (V. 1-2.5.16 ) und damit ihren
Lohn schon von den Menschen gehabt haben ( 2.5.16 ). Diejenigen
aber, die im Verborgenen handeln (V. 4.6.18 ), werden vom Vater, der
sie sieht und "weiß", was sie tun, belohnt werden (V. 4.6.8.18 ). Mt 6,19-24 ( Lk 12,33-34; 11,34-36; 16,13 ) Auch die
Haltung zum Reichtum ist ein Barometer für die Gerechtigkeit. Die
Pharisäer glaubten, daß der Herr es denen, die er liebte, materiell
gutgehen ließ. Sie wollten unbedingt große Schätze auf Erden
ansammeln. Doch diese irdischen Schätze sind vergänglich (die Motten
fressen die Kleider, und der Rost zerstört Metall; vgl. Jak 5,2-3 )
und können geraubt werden, wohingegen Schätze im Himmel nie
verlorengehen. Die irrige Auffassung der Pharisäer
rührte daher, daß ihre geistlichen Augen böse waren ( Mt 6,23 ). Sie
sahen nur auf Geld und Reichtum und lebten dadurch in geistlicher
Finsternis . Sie waren so sehr Sklaven ihrer Geldgier, daß sie ihren
wahren Herrn, Gott , darüber vergaßen. Das Wort "Mammon" kommt von
dem aramäischen Wort für "Reichtum oder Eigentum", mamOna . Mt 6,25-34 ( Lk 12,22-34 ) Wenn sich jemand Gott,
dem wahren Herrn, widmet, wie soll er dann für seine alltäglichen
Lebensbedürfnisse wie Nahrung, Kleidung und Schutz aufkommen? Die
Pharisäer hatten in ihrem Bestreben, materielle Reichtümer
anzuhäufen, nie gelernt, aus dem Glauben heraus zu leben. Jesus
sagte ihnen (und auch uns heute), daß sie sich um solche Dinge nicht
sorgen sollten, denn das Leben ist mehr als die Befriedigung
physischer Grundbedürfnisse. Zur Verdeutlichung nannte er mehrere
Beispiele. Die Vögel unter dem Himmel werden von ihrem himmlischen
Vater ernährt , und die Kleidung der Lilien auf dem Feld ist
herrlicher als die Salomos . Damit wollte Jesus sagen, daß Gott in
seiner Schöpfung auch die Mittel vorgesehen hat, durch die alle
Lebewesen erhalten werden. Die Vögel werden satt, weil sie täglich
fleißig nach Nahrung suchen. Sie sammeln keine großen Vorräte an,
sondern sorgen jeden Tag für ihren Bedarf. Wieviel mehr wert sind
Gott im Vergleich zu den Vögeln seine Gläubigen! Auch die Lilien
wachsen ganz von selbst. Der Mensch sollte sich deshalb keine
Existenzsorgen machen ( Mt 6,31 ), die doch seines Lebens Länge
nicht eine Spanne zusetzen können . Statt sich wie die Heiden um
ihre körperlichen Bedürfnisse zu sorgen, sollen die Jünger nach dem
Reich Gottes und nach seiner Gerechtigkeit streben. Gott wird für
sie sorgen und ihnen all das geben, wenn sie ein Leben im Glauben
führen. Es nützt also nichts, sich zu sorgen - die Wendung "sorgt
nicht" wird dreimal wiederholt (V. 25. 31.34 ; vgl. V. 27-28 ) -
oder sich um morgen zu kümmern, denn jeder Tag hat seine eigene
Plage . Sich zu sorgen zeugt von einem Mangel an Vertrauen auf Gott
(V. 30 ; vgl. "ihr Kleingläubigen" in Mt 8,26; 14,31; 16,8 ). Wie
ein Jünger sich jeden Tag um die Dinge kümmert, die Gott ihm
anvertraut hat, so wird Gott, sein himmlischer Vater ( Mt 6,26.32 ),
für seine täglichen Bedürfnisse sorgen. Mt 7,1-6 ( Lk 6,41-42 ) Die letzte Kritik Jesu an
den Pharisäern wandte sich gegen ihren "Richtgeist". Die Pharisäer
richteten am Ende über Christus und kamen zu dem Urteil, daß er
nicht der Messias sei. Das Reich, von dem er sprach, hatte nichts
mit dem Reich zu tun, das sie erwarteten, und er fragte auch nicht
nach der Gerechtigkeit, die sie zur Schau stellten. Daher lehnten
sie ihn ab. Jesus warnte sie deshalb vor heuchlerischen Wertungen. Diese Textstelle sollte sicherlich nicht
dahingehend verstanden werden, daß man überhaupt nicht richten soll;
Mt 7,5 spricht durchaus davon, den Splitter in deines Bruders Auge
zu entfernen. Es ging Jesus vielmehr darum, daß niemand aus
Kritiksucht einen anderen für diesen Splitter in seinem Auge
verurteilen oder verdammen sollte, während er selbst einen Balken -
eine Übertreibung um der Wirkung willen - im Auge hat. Ein solches
Verhalten ist heuchlerisch ("du Heuchler", V. 5 ; vgl. "Heuchler" in
Mt 6,2.5.16 ). Es mag zwar manchmal die Notwendigkeit bestehen,
einen Urteilsspruch zu fällen, doch in jedem Fall sollten sich
diejenigen, die dabei entscheiden müssen ( krinO bedeutet
"unterscheiden" und daher "entscheiden"), zunächst einmal um ihr
eigenes Leben kümmern. Außerdem sollte man, wenn man anderen
helfen möchte, sorgsam mit seinen Wohltaten umgehen. Man darf das
Heilige nicht unheiligen Menschen ( Hunden , vgl. "Hunde" in Phil
3,2 ) anvertrauen oder Perlen vor die Säue werfen . Hunde und
Schweine waren in damaliger Zeit verachtete Tiere. 4. Weisungen für die Hörer ( 7,7-29 ) Mt 7,7-11 ( Lk 11,9-13 ) Jesus hatte seinen Jüngern
im Laufe seiner Predigt bereits vorgemacht, wie sie beten sollten (
Mt 6,9-13 ). Jetzt versicherte er ihnen, daß Beten Gott wohlgefällig
sei und daß sie sich immer und überall an ihn wenden sollten. Diese
Aussage wird durch die Verwendung des Präsens in den Verben
"bittet", "suchet", "klopfet an" ( Mt 7,7 ), noch betont. Warum?
Weil euer Vater im Himmel (V. 11 ) denen, die ihn darum bitten,
gerne Gutes (vgl. Jak 1,17 ) erweist. (Lukas schreibt statt "Gutes"
"den heiligen Geist"; Lk 11,13 ). Kein normaler Vater würde seinem
Sohn einen Stein statt eines ähnlich aussehenden runden Laibes Brot
oder eine Schlange statt eines Fisches geben. Wenn nun ein
menschlicher Vater, der doch sündig ( böse ) ist, Freude daran hat,
seinen Kindern Gutes zu tun, ist es doch selbstverständlich, daß der
himmlische Vater seine Kinder auf ihr Bitten hin noch weit
reichlicher mit geistlichen Gaben beschenken wird. Mt 7,12 Dieser Vers wird allgemein als "goldene
Regel" bezeichnet. Der Grundgedanke ist, daß die Menschen selbst für
die Leute genau das tun sollen, was sie umgekehrt auch von ihnen
erwarten. Dieser Satz vereinigt die wesentlichen Aussagen des
Gesetzes und der Propheten in sich. Kein normaler Mensch kann jedoch
ein solches Prinzip ständig durchhalten. Nur ein Gerechter ist dazu
imstande und ist damit ein lebender Beweis für die geistliche
Veränderung, die er erfahren hat. Wer so leben kann, besitzt
offensichtlich jene Gerechtigkeit, die Jesus forderte ( Mt 5,20 ).
Ein solcher Mensch wird zwar nicht durch seine gerechten Werke
gerettet, doch eben weil er gerettet ist, kann er nun auch anderen
gegenüber als Gerechter handeln. Mt 7,13-14 ( Lk 13,24 ) In den weiteren Ausführungen
zur goldenen Regel beschrieb Jesus, wie man zu der Gerechtigkeit,
die er verlangte ( Mt 5,20 ), finden kann. Der Pfad dorthin führt
nicht durch die weite Pforte und nicht über den breiten Weg ,
sondern durch die enge Pforte und den schmalen Weg . Aus dem
Gesamtzusammenhang der Predigt war klar zu erkennen, daß Jesus die
weite Pforte und den breiten Weg mit der äußerlichen
Rechtschaffenheit der Pharisäer gleichsetzte. Wenn seine Zuhörer den
Lehren der Pharisäer folgten, führte ihr Weg in die Verdammnis (
apOleian , "das Verderben"). Die enge Pforte und der schmale Weg
dagegen bezogen sich auf die Lehre Jesu, in der nicht irgendwelche
Äußerlichkeiten, sondern die echte innere Verwandlung im Vordergrund
stand. Selbst Jesus räumte allerdings ein, daß nur wenige den wahren
Weg, den Weg, der zum Leben (d. h. in den Himmel, im Gegensatz zur
Vernichtung in der Hölle) führt, finden . Mt 7,15-23 ( Lk 6,43-44;13,25-27 ) Nachdem er den
wahren Weg in sein verheißenes Königreich aufgezeigt hatte, warnte
Jesus die Menschen vor falschen Propheten . Er bezeichnete diese
Verteidiger des breiten Weges als reißende Wölfe in Schafskleidern .
Doch woran kann man die falschen Lehrer erkennen? Man muß nur ihre
Früchte, d. h. das, was sie leisten, ansehen: Auf Dornen oder
Disteln wachsen keine Trauben oder Feigen. Ein guter Baum bringt
gute Früchte, ein fauler Baum dagegen bringt schlechte Früchte .
Nach Jesu Maßstab brachten die Pharisäer offensichtlich schlechte
Früchte. Das einzige, was man mit solchen Bäumen tun kann, ist
jedoch, sie abzuhauen . Wenn sie ihren Daseinszweck nicht erfüllen,
müssen sie entfernt werden. Die Leute, die diese Predigt hörten,
wunderten sich sicher über diese völlig neue Einschätzung der
Pharisäer, die doch durchaus den Eindruck großer Rechtschaffenheit
machten und auch über den Messias und sein Reich predigten. Nach den
Worten Jesu waren sie jedoch nicht gut, denn sie führten andere in
die Irre. Selbst dann, wenn sie Übernatürliches vollbrachten - in
Gottes Namen Prophezeiungen aussprachen, böse Geister austrieben und
viele Wunder bewirkten - waren sie dem Vater und seinem Willen nicht
gehorsam ( Mt 7,21 ). Sie würden nicht in das Himmelreich kommen,
weil Jesus keine persönliche Beziehung zu ihnen hatte (V. 21.23 ). Mt 7,24-27 ( Lk 6,47-49 ) Am Schluß wies Jesus
seinen Hörern zwei Möglichkeiten, die ihnen nun offenstanden und
zwischen denen sie sich entscheiden mußten. Sie konnten zwischen
zwei Fundamenten wählen. Das eine verglich er mit dem Fels , das
andere mit dem Sand . Die Fundamente eines Gebäudes sind
entscheidend dafür, wieweit es den Elementen ( Platzregen und Winde
) standhalten kann. Der Fels nun war ein Sinnbild für den Herrn
selbst und die Wahrheiten, die er verkündigt hatte, vor allem über
die innere Wandlung. Der Sand dagegen symbolisierte die
Gerechtigkeit der Pharisäer, die den Menschen bekannt war und auf
die viele von ihnen ihre Hoffnung setzten. Der Fels würde in einem
Sturm Halt geben; doch wer sein Haus auf Sand gebaut hatte, würde
untergehen. Daher ist es klug , auf Jesu Worte zu hören und sie zu
befolgen, und es wäre töricht , das nicht zu tun. Es gibt nur die
Entscheidung zwischen diesen zwei Möglichkeiten - zwei Wege und
Pforten ( Mt 7,13-14 ), zwei Arten von Bäumen und Früchten (V. 16-20
), zwei Fundamente und zwei Erbauer (V. 24-27 ). Mt 7,28-29 Mit der Wendung: Als Jesus diese Rede
vollendet hatte" , schließt Matthäus seine Darstellung der
Bergpredigt. Dieselbe Formulierung taucht noch weitere vier Male in
seinem Evangelium auf (mit den gleichen oder doch fast den gleichen
Worten), jedes Mal nach einer Sammlung von Jesusworten ( Mt
11,1;13,53;19,1 und Mt 26,1 ). Sie bezeichnet jeweils einen
Wendepunkt. Bei dem Volk, das Jesus gefolgt war, rief
die Predigt größte Verwirrung hervor, die Menschen entsetzten sich
über seine Lehre . "Entsetzt" ( exeplEssonto , wörtlich
"geschlagen") bedeutet soviel wie "überwältigt". Gemeint ist ein
intesives, plötzliches Gefühl des Erstaunens, stärker als es das
Wort thaumazO ("staunen" oder "erstaunt sein") wiedergeben kann.
Auch den Ausdruck exeplEssomto verwendet Matthäus viermal ( Mt
7,28;13,54;19,25;22,22 ). Immerhin hatte Jesus den Menschen soeben
die Unzulänglichkeit des religiösen Systems der Pharisäer vor Augen
geführt. Ihre Gerechtigkeit reichte nicht aus, um in das Gottesreich
zu kommen. Es war die Vollmacht , mit der Jesus sprach, die die
Menschen so in Erstaunen versetzte. Er lehrte nicht wie die
Schriftgelehrten seiner Zeit, die nur die Vollmacht des Gesetzes
besaßen, sondern als Sprachrohr Gottes. Man kann sich kaum einen
größeren Unterschied denken als den zwischen Jesus und den
Pharisäern. III. Jesu Beweise seiner Gottheit ( 8,1-11,1 ) Jesus hatte sich durch seine Worte und
Werke als der Messias ausgewiesen ( Mt 3-4 ). In einer langen
Predigt legte er dar, welche Bedingungen erfüllt werden müßten, um
in sein Reich zu gelangen, und welcher Weg in dieses Reich führte (
Mt 5-7 ). Doch die Juden hatten immer noch Fragen. War dieser Mann
möglicherweise wirklich der Messias? Und wenn ja, hatte er die
Macht, die Veränderungen herbeizuführen, die notwendig waren, um das
Reich zu errichten? Als Beleg dafür, daß Jesus tatsächlich der König
Israels war und durchaus die Macht hatte, seine Worte einzulösen,
berichtet Matthäus an dieser Stelle von einer Reihe von Wundern, die
seine Vollmacht auf verschiedenen Gebieten beweisen. A. Seine Macht über die Krankheit ( 8,1-15 ) 1. Aussatz (Lepra) ( 8,1-4 ) ( Mk 1,40-45; Lk 5,12-16 ) Mt 8,1-4 Bemerkenswerterweise ist die erste
Heilung, von der Matthäus berichtet, die Heilung eines Aussätzigen .
Doch auch vorher schon hatte Jesus mehrere Wunder vollbracht (vgl.
die Liste über Jesu Wunder bei Joh 2,1-11 ). Der Aussätzige kam zu
Jesus, sprach ihn als Herrn an und berief sich so auf seine
Autorität (vgl. Mt 7,21;8,6 ). Jesus heilte ihn, indem er ihn
anrührte(!) (V. 3 ) und wies ihn dann an: "Geh hin und zeige dich
dem Priester und opfere die Gabe, die Mose befohlen hat" , d. h. das
Opfer, das für die Reinwerdung von Leprageschwüren vorgeschrieben
ist (zwei Vögel, Zedernholz, scharlachfarbene Wolle und Ysop am
ersten Tag [ 3Mo 14,4-8 ]; am achten Tag zwei männliche Lämmer, ein
einjähriges Schaf, Mehl und Öl [ 3Mo 14,10 ]). Er trug ihm auf, es
niemandem zu sagen , bevor er beim Priester gewesen war.
Offensichtlich wollte Jesus, daß der Priester als erster die Heilung
sah. Die Heilung des Aussätzigen sollte ein
Zeugnis für die Priester sein. Und das war es auch, denn in der
ganzen Geschichte Israels war - bis auf Mirjam - noch nie ein Mensch
vom Aussatz geheilt worden ( 4Mo 12,10-15 ). Man kann sich gut
vorstellen, welch ein Aufsehen der Mann erregte, als er plötzlich im
Tempel erschien und den Priestern verkündete, daß er vom Aussatz
geheilt sei! Dieses Ereignis hätte eigentlich zu einer Überprüfung
der genauen Umstände, unter denen die Heilung erfolgt war, führen
müssen. Jesus gab den Priestern damit sozusagen seine
"Visitenkarte", und sie hätten seine Behauptungen überprüfen müssen.
(Der geheilte Mann gehorchte jedoch den Anweisungen Jesu nicht und
fing an, viel davon zu reden [ Mk 1,45 ]. Vermutlich ging er aber am
Schluß dann doch noch zum Tempel.) 2. Lähmungen ( 8,5-13 ) ( Lk 7,1-10 ) Mt 8,5-13 Auch beim zweiten Wunder, ebenfalls einer
Heilung, geht es um Jesu Autorität. Als er nach Kapernaum
hineinging, trat ein Hauptmann zu ihm; der bat ihn um Hilfe (weitere
Erläuterungen zu den römischen Offizieren bei Lk 7,2 ). Auch dieser
Heide nannte Jesus Herr (wie der Aussätzige; Mt 8,2 ) und bat um die
Heilung einer seiner Knechte . Lukas schreibt doulos ("Sklave"), bei
Matthäus steht pais ("Junge"), was vielleicht darauf hindeutet, daß
der Sklave noch sehr jung war. Er war gelähmt und litt große Qualen,
ja, er war dem Tode nahe ( Lk 7,2 ). Als Jesus sagte, er wolle kommen und ihn
gesund machen, antwortete der Hauptmann , das sei nicht nötig. Als
Mensch, der gewohnt war, Befehle zu geben, war ihm Autorität
vertraut. Wer Autorität besitzt, muß bei der Durchführung einer
Aufgabe nicht unbedingt anwesend sein; Befehle können auch von
anderen ausgeführt werden. Jesus wunderte sich über den großen
Glauben des Hauptmanns (vgl. Mt 15,28 ), einen Glauben, den er in
Israel vergeblich gesucht hatte. Ein solcher Glaube eröffnete dem
Betreffenden den Zugang zum Reich Gottes, ungeachtet seiner
nationalen, ethischen oder geographischen Herkunft ( von Osten und
von Westen ). (Das Gottesreich wird häufig mit dem Bild eines
Festmahls beschrieben, an dem alle teilnehmen, die dieses Reiches
würdig sind; vgl. Jes 25,6; Mt 22,1-14; Lk 14,15-24 .) Die jedoch,
die so sicher waren, daß sie automatisch in dieses Reich kommen
würden, weil sie den richtigen religiösen Hintergrund besaßen (sie
hielten sich für " Kinder [wörtlich "Söhne"] des Reichs "), sollten
nicht hineingelangen ( Mt 8,12 ), sondern dem Gericht übergeben
werden ( hinausgestoßen in die Finsternis ; vgl. Mt 22,13; zur
Wendung Heulen und Zähneklappern vgl. Mt 13,42 ). Angesichts des
Glaubens dieses Hauptmanns machte Jesus seinen Knecht noch zu
derselben Stunde gesund. 3. Fieber ( 8,14-15 ) ( Mk 1,29-31; Lk 4,38-39 ) Mt 8,14-15 Als Jesus in das Haus des Petrus in
Kapernaum kam, sah er, daß dessen Schwiegermutter zu Bett lag und
ein Fieber hatte. Er ergriff ihre Hand , berührte sie also, und
heilte sie. Das Wunderbare an diesem Ereignis bestand außer der
Heilung vor allem auch darin, daß die Frau sofort die Kraft hatte,
aufzustehen und zu arbeiten, d. h., dem Herrn und den vielen
Jüngern, die ihm immer noch folgten, aufzuwarten ( diEkonei ,
"dienen"). Normalerweise ist man, wenn man ein Fieber überstanden
hat, noch einige Zeit schwach; doch das war hier nicht der Fall. B. Seine Macht über Dämonen ( 8,16-17.28-34 ) Jesus konnte nicht nur körperliche
Krankheiten heilen, sondern besaß auch Macht über Dämonen. Mt 8,16-17 ( Mk 1,32-34; Lk 4,40-41 ) Während Jesus
sich in Petrus' Haus aufhielt, brachten sie viele Besessene zu ihm .
Matthäus berichtet ohne Angaben näherer Einzelheiten nur, daß er
alle Kranken gesund machte, damit erfüllt würde, was gesagt ist
durch den Propheten Jesaja ( Jes 53,4 ): "Er hat unsre Schwachheit (
astheneias ) auf sich genommen und unsre Krankheit ( nosous ) hat er
getragen." Die endgültige Erfüllung dieser Worte vollzog sich in
seinem Tod am Kreuz. In Vorwegnahme dieses Ereignisses machte Jesus
jedoch bereits in der Zeit, die er auf Erden verbrachte, viele
Menschen gesund. Durch die Austreibung von Dämonen demonstrierte er
seine Macht über den Satan, den Herrscher der dämonischen Welt (vgl.
Mt 9,34;12,24 ). Mt 8,18-27 Auf diese Verse wird später, nach Vers 34
, eingegangen. Mt 8,28-34 ( Mk 5,1-20; Lk 8,26-39 ) Der hier
beschriebene Fall vermittelt ein genaueres Bild der Macht Jesu über
den Bereich der Dämonen. Jesus kam in die Gegend der Gadarener . Der
Name "Gadarener" leitet sich von der Stadt Gadara, der Hauptstadt
des Gebietes etwa zwölf Kilometer südöstlich der Südspitze des Sees
Genezareth, ab. (Markus und Lukas bezeichnen diesen Landstrich als
das Gebiet der "Gerasener" [ Mk 5,1; Lk 8,26 ]. Zu einer Erklärung
für diese unterschiedlichen Bezeichnungen vgl. den Kommentar bei
Markus und Lukas an den entsprechenden Stellen.) Dort begegnete er
zwei Besessenen . Markus und Lukas sprechen von nur einem
Besessenen, doch sie sagen nicht ausdrücklich , daß es nur ein Mann
war. Vermutlich war der eine der beiden gewalttätiger als der
andere. Die dämonische Besessenheit der beiden
Männer trat ganz klar zutage, denn sie waren wild und gefährlich .
Man hatte sie aus der Stadt gejagt, und sie lebten nun in den
Grabhöhlen vor der Stadt. Die beiden Fragen der bösen Geister
zeigen, daß sie Jesu Identität sehr wohl kannten - sie reden ihn mit
"du Sohn Gottes" an - und daß sie wußten, daß sein Kommen
unweigerlich ihren Untergang bedeuten würde ( Mt 8,29 ). Sie baten
ihn, in eine in der Nähe weidende Herde Säue fahren zu dürfen, um
keine körperlosen Geisterzu werden. Nach Markus umfaßte die Herde
etwa 2 000 Tiere ( Mk 5,13 ). Sobald die Dämonen in die Schweine
fuhren, stürmte die ganze Herde den Abhang hinunter in den See, den
See Genezareth, und ertrank. Die erschrockenen Hirten flohen und
gingen hin in die Stadt , um diesen unglaublichen Vorfall zu
erzählen. Daraufhin ging die ganze Stadt hinaus Jesus entgegen und
bat ihn voller Furcht, daß er ihr Gebiet verlasse . C. Seine Macht über Menschen ( 8,18-22; 9,1-9 ) Hier geht es Matthäus darum zu zeigen,
daß der Herr das Recht hat und für sich in Anspruch nimmt, Jünger zu
wählen und dabei die Bitten derer, die nicht aus der richtigen
Motivation heraus zu ihm kamen, eventuell auch zurückzuweisen. Mt 8,18-20 ( Lk 9,57-58 ) Ein Schriftgelehrter trat
zu Jesus und platzte mit der unüberlegten Bitte heraus: "Meister,
ich will dir folgen, wohin du gehst." Jesus wünschte sich zwar
Jünger, die ihm folgten und seine Felder bestellten, indem sie seine
Arbeit fortführten, doch er wollte nur die, die wirklich motiviert
waren. Seine Antwort auf die Anfrage des Schriftgelehrten zeigt, mit
welch armseligen Lebensverhältnissen er sich zufriedengab, denn im
Gegensatz zu den Füchsen und Vögeln hatte er nicht einmal ein
Plätzchen, wo er nachts sein Haupt betten konnte, er besaß kein
Zuhause. Der Herr hatte jedoch offensichtlich in das Herz dieses
Menschen gesehen und wußte, daß es ihm nur um den Ruhm ging, zum
Kreis eines berühmten Lehrers zu gehören. Das paßte nicht zu dem,
was er von seinen Jüngern erwartete. Hier taucht zum ersten Mal die
später immer wiederkehrende (29mal bei Matthäus, 14mal bei Markus,
24mal bei Lukas und 13mal bei Johannes) Bezeichnung "Menschensohn"
auf, die Jesus selbst verwendet, die aber auch andere gebrauchen. Es
handelt sich dabei um einen Messias-Titel (vgl. Dan 7,13-14 ). Mt 8,21-22 ( Lk 9,59-60 ) Ein anderer, der bereits
ein Jünger Jesu war, bat um die Erlaubnis, nach Hause zurückkehren
zu dürfen, um seinen Vater zu begraben . Der Vater dieses Mannes war
jedoch wahrscheinlich überhaupt nicht tot, ja, er lag nicht einmal
im Sterben; der junge Mann wollte lediglich nach Hause zurückkehren
und warten, bis sein Vater starb - und er ihn beerben konnte - und
erst dann mit Jesus ziehen. Seine Bitte zeigte, daß die Nachfolge
Jesu in seinen Augen etwas war, das er nach Belieben aufnehmen und
unterbrechen konnte. Im Moment waren ihm offensichtlich materielle
Dinge wichtiger. Jesu Antwort, "laß die Toten ihre Toten
begraben" , räumte jedoch der Nachfolge absoluten Vorrang ein. Um
die physisch Toten sollen sich jene kümmern, die geistlich tot sind. Mt 8,23-9,8 Auf diese Verse wird nach der Erörterung
von Mt 9,9 eingegangen. D. Seine Macht über die Natur ( 8,23-27 ) ( Mk 4,35-41; Lk 8,22-25 ) Mt 8,23-27 : Auch über die Natur hatte
Jesus Macht. Das bewies er, als er und seine Jünger den für seine
plötzlich aufkommenden Stürme berüchtigten See Genezareth
überquerten. Mitten in einem gewaltigen Sturm (wörtlich "in einem
gewaltigen Erdbeben", d. h. während starker Turbulenzen) war Jesus
eingeschlafen . Als die Jünger ihn in Todesangst aufweckten, rügte
er sie zuerst: "Ihr Kleingläubigen (vgl. Mt 6,30 ), warum seid ihr
so furchtsam?" Doch dann bedrohte er den Wind und das Meer. Da wurde
es ganz still . Die Jünger, alles erfahrene Fischer, hatten schon so
manchen Sturm auf diesem See erlebt, der sich plötzlich legte, doch
dabei blieb immer die Wasseroberfläche noch eine Zeitlang
aufgewühlt. Kein Wunder, daß sie sich erstaunt fragten, was Jesus
eigentlich für ein Mann sei. Sie verwunderten sich ( ethaumasan ;
vgl. Mt 9,33 ) über seine übernatürlichen Fähigkeiten, durch die er
allein mit seinem Wort die Natur so vollständig beruhigen konnte.
Das wird der Messias auch tun, wenn er sein Reich endgültig
errichtet, und er tat es bereits damals, als er sich seinen Jüngern
offenbarte. Mt 8,28-34 Zum Kommentar zu diesen Versen vgl. "B.
Seine Macht über Dämonen ( Mt 8,16-17.28-34 )". Mt 8,28-34 ( Mk 2,13-14; Lk 5,27-28 ) Während aus
den beiden vorhergehenden Beispielen nicht eindeutig hervorgeht, ob
die beiden Männer Jesus dann tatsächlich folgten, läßt das dritte
Beispiel keinen Zweifel offen. Jesus sah einen Menschen am Zoll
sitzen, der hieß Matthäus . Er war Zolleinnehmer im Hafen von
Kapernaum. Jesus forderte ihn auf: "Folge mir!" Sofort stand
Matthäus auf und folgte ihm . Als MessiasKönig hatte Jesus das
unbestreitbare Recht, seine Jünger auszusuchen. Matthäus war
zweifellos tief beeindruckt von seiner Person, seiner Lehre und
seiner Autorität. E. Seine Macht über die Sünde ( 9,1-8 ) ( Mk 2,1-12; Lk 5,17-26 ) Mt 9,1-8 Nach seiner Rückkehr vom Ostufer des Sees
Genezareth begab sich Jesus in seine Stadt , Kapernaum. Auch dort
gab es offensichtlich Menschen, die an ihn glaubten, denn ein
Gelähmter, der auf einem Bett lag, wurde zu ihm gebracht. Markus
führt dazu ergänzend aus, daß die Männer ihn zu viert durch das Dach
des Hauses zu Jesus hinunterließen ( Mk 2,3-4 ). Einige Pharisäer
waren anwesend und hörten Jesus zu dem Gelähmten sagen: "Sei
getrost, mein Sohn, deine Sünden sind dir vergeben." (Die Worte "sei
getrost" geben das griechische Wort tharseO wieder, das noch weitere
sechs Male im Neuen Testament vorkommt ( Mt 9,2.22;14,27; Mk
6,50;10,49; Joh 16,33; Apg 23,11 .Es hat die Bedeutung von "ein Herz
oder Mut fassen".). Anscheinend war der Mann aufgrund seiner Sünden
krank geworden. Jesus reklamierte hier also göttliche
Autorität für sich, denn nur Gott kann Sünden vergeben ( Mk 2,7; Lk
5,21 ). Die Schriftgelehrten stutzten bei dieser Aussage und
sprachen bei sich selbst: "Dieser lästert Gott." Das war das erste
Mal, daß die religiösen Führer Israels sich gegen Jesus stellten.
Als aber Jesus ihre Gedanken sah , fragte er sie, ob es denn
leichter sei, zu sagen: Dir sind deine Sünden vergeben , oder den
Mann anzuweisen, er solle aufstehen und umhergehen. Beide Äußerungen
sind zwar leicht gesagt, doch die erste war insofern, zumindest
scheinbar, "leichter", als sie von den Zuschauern nicht widerlegt
werden konnte. Wenn Jesus jedoch zuerst gesagt hätte "Steh auf und
geh umher" , und der Mann wäre gelähmt auf seinem Bett
liegengeblieben, so wäre klar gewesen, daß Jesus nicht der war, der
er zu sein behauptete. Jesus sprach daher nicht nur die leichteren
Worte, sondern heilte ihn auch, so daß ganz deutlich wurde, daß er
die Macht hatte, beides zu tun, zu heilen und Sünden zu vergeben.
Als das Volk das sah, fürchtete es sich (das Wort ephobEthEsan hat
eine etwas andere Bedeutung als das Wort für "verwundern" [
ethaumasan , von thaumazO ] bei der Reaktion der Jünger nach dem
Sturm [ Mt 8,27 ]). Die Menschen erkannten die göttliche Vollmacht,
die hinter diesen Handlungen stand, und priesen Gott . Mt 9,9 Den Kommentar zu diesem Vers siehe unter
"C. Seine Macht über die Menschen ( Mt 8,18-22;9,9 )". F. Seine Macht über die Traditionen ( 9,10-17 ) Mt 9,10-13 ( Mk 2,15-17; Lk 5,29-32 ) Nachdem
Matthäus sich dem Herrn angeschlossen hatte ( Mt 9,9 ), lud er
Freunde, darunter natürlich viele Zöllner und Sünder, zu Tisch in
sein Haus . Vielleicht wollte er sie seinem Retter vorstellen. Die
Juden haßten die Zöllner, die für die Römer Steuern eintrieben und
sich dabei häufig noch persönlich bereicherten, indem sie höhere
Beträge verlangten. Daher fragten die Pharisäer , die sich nie mit
solchen Menschen an einen Tisch gesetzt hätten, die Jünger, warum
ihr Meister so etwas tue. Die Antwort des Herrn machte
unmißverständlich deutlich, daß er zu denjenigen gekommen war, die
wissen, daß ihnen etwas fehlt: Nur die Kranken bedürfen des Arztes .
Die Pharisäer hielten sich selbst nicht für Sünder (krank) und
hätten daher auch nie den Herrn (Arzt) aufgesucht. Sie brachten ihre
Opfer immer genau nach Vorschrift, doch sie hatten keinerlei Mitleid
mit Sündern. Ohne Barmherzigkeit sind jedoch alle religiösen
Formalia nutzlos (vgl. Hos 6,6 ). Mt 9,14-17 ( Mk 2,18-22; Lk 5,33-39 ) Nicht nur die
Pharisäer stießen sich daran, daß Jesus an einem Festmahl der
Zöllner und "Sünder" teilnahm, auch Jünger von Johannes dem Täufer
kamen und fragten Jesus, wie er zur Teilnahme an solchen Festen
stehe. Johannes und seine Jünger fasteten , denn sie riefen die
Menschen zur Buße für das kommende Reich auf. Nun fragten sie, warum
die Jünger Jesu nicht ebenfalls fasteten. Jesus antwortete , daß das Reich Gottes
wie ein großes Fest ist (vgl. Mt 22,2; Jes 25,6 ), wie ein
Hochzeitsmahl. Da der König zur Zeit bei ihnen war, wäre es
unangebracht, wenn er oder seine Jünger fasteten. Auf einer Hochzeit
sind die Menschen glücklich und essen und trinken, es kommt ihnen
nicht in den Sinn, zu trauern oder zu fasten. Jesus sah jedoch
voraus, daß sein Volk ihn nicht annehmen werde, denn er fügte hinzu,
daß eine Zeit kommen werde, in der der Bräutigam von ihnen genommen
wird . Dann erzählte er ein Gleichnis, um ihnen
den Unterschied zwischen seinem Amt und dem von Johannes dem Täufer
zu erklären. Johannes war ein Reformator, der versuchte, diejenigen,
die in den Traditionen des Judentums gefangen waren, zur Buße zu
bewegen. Jesus jedoch lag nichts daran, ein altes System zu flicken
, wie wenn man einen Lappen von neuem Tuch auf ein altes Kleid setzt
, das dann doch nur reißen würde, oder wie wenn man neuen Wein in
alte Schläuche füllt , die dann ebenfalls zerreißen . Er brachte
etwas radikal Neues . Er war gekommen, um eine Gruppe von Menschen
aus dem Judentum heraus in ein Reich zu führen, das auf ihm und
seiner Gerechtigkeit aufgebaut war. Wahre Gerechtigkeit erwächst
nicht aus dem Gesetz oder aus den pharisäischen Traditionen. G. Seine Macht über den Tod ( 9,18-26 ) ( Mk 5,21-43; Lk 8,40-56 ) Mt 9,18-26 In diesem Abschnitt werden zwei Wunder
beschrieben. Ein Vorsteher (wahrscheinlich der Synagoge von
Kapernaum; Mk 5,22 ), dessen Namen Markus und Lukas mit Jarus
angeben, kam zu Jesus und bat ihn, seine Tochter , die, wie Lukas
hinzufügt, zwölf Jahre alt war ( Lk 8,42 ), gesund zu machen. Der
Vater sagte, sie sei soeben gestorben , doch er war der festen
Überzeugung, daß Jesus ihr das Leben wiedergeben könne. Bei den
anderen Synoptikern schildert Jarus den Zustand seiner Tochter mit
den Worten, sie "liege in den letzten Zügen" ( Mk 5,23; Lk 8,42 ).
Diese offensichtliche Diskrepanz kann mit der Tatsache erklärt
werden, daß Jarus möglicherweise, während er mit Jesus sprach, die
Nachricht vom Tode des Mädchens erhielt. Matthäus geht auf diese
Einzelheit nicht näher ein und nimmt den Tod des Mädchens einfach
von vornherein in seinen Bericht über die Begegnung mit Jarus auf. Als Jesus aufstand und ihm folgte, wurde
er von einer Frau aufgehalten, die gesund wurde, als sie im Glauben
den Saum seines Gewandes berührte . Interessanterweise deckt sich
die Zeit, die sie am Blutfluß litt, mit dem Alter von Jarïus'
Tochter: zwölf Jahre war die Frau unrein gewesen ( 3Mo 15,19-30 ).
Jesus blieb stehen, wandte sich um und nannte sie Tochter ( thygatEr
, ein Ausdruck der Zuneigung; vgl. "das Mädchen" [ Mt 9,24 ],
korasion , wahrscheinlich ebenfalls eine liebevolle Anrede). Jesus
sagte, ihr Glaube habe sie gesund gemacht. Zweifellos faßte Jarus
durch diesen Zwischenfall Mut,denn auch er glaubte an Jesus. (Zu den
Worten "sei getrost" (von tharseO ) vgl. den Kommentar zu Vers 2 .) Als die ganze Gruppe bei Jarus' Haus
angelangte, hatten sich die Pfeifer und das Getümmel des Volkes (die
Klageweiber; Lk 8,52 ) bereits versammelt, um mit der Familie zu
klagen. Sie hielten das Kind für tot , und als Jesus sagte, es
schlafe nur, verlachten sie ihn . Jesus sagte nicht, daß sie nicht
tot sei, er verglich ihren Zustand nur mit dem Schlaf. Wie der
Schlaf war ihr Tod zeitlich begrenzt, und sie würde daraus erwachen.
Als das Volk hinausgetrieben worden war, erweckte Jesus das Mädchen
zum Leben. Eine solche Macht besitzt nur Gott, und die Kunde von
diesem Ereignis verbreitete sich natürlich wie ein Lauffeuer (vgl.
Mt 9,31 ). H. Seine Macht über die Blindheit ( 9,27-31 ) Mt 9,27-31 Als Jesus weiterging, folgten ihm zwei
Blinde , die sich an ihn wandten und ihn als Sohn Davids ansprachen
(vgl. Mt 12,23;15,22;20,30-31 ). Dieser Titel deutet auf die
messianische Abstammung Jesu (vgl. Mt 1,1 ) hin. Die Blinden folgten
Jesus beharrlich bis in das Haus, zu dem er ging, wo ihnen dann auch
auf wunderbare Weise ihre Augen geöffnet wurden . Der Glaube dieser
beiden Männer war echt, denn sie vertrauten felsenfest darauf, daß
Jesus sie heilen könne ( Mt 9,28 ). Sie bestätigten seine Gottheit,
indem sie ihn als Herrn anerkannten, und erhielten infolge ihres
Glaubens ihr Augenlicht wieder. Trotz Jesu Drohung, niemand davon zu
erzählen, verbreitete sich die Kunde von ihm weiter im ganzen Land
(vgl. V. 26 ; Mt 12,16 ). Wahrscheinlich wollte Jesus verhindern,
daß sich die Menschen in Massen um ihn scharten, nur um von ihren
Krankheiten geheilt zu werden. Denn obwohl er viele von ihren
körperlichen Gebrechen heilte, sollten diese Wunder doch vor allem
seinen Vollmachtsanspruch legitimieren. Er war ja in erster Linie
gekommen, um die Menschen geistlich gesund zu machen, und nicht so
sehr, um physisch Kranke zu heilen. I. Seine Macht über die Stummheit ( 9,32-34 ) Mt 9,32-34 Als die beiden Männer, die blind gewesen
waren, das Haus verlassen hatten, wurde ein Mensch zu ihm gebracht,
der stumm und besessen war . Der Dämon ließ ihn nicht sprechen, doch
Jesus heilte ihn sofort. Als der Stumme redete, verwunderte sich das
Volk ( ethaumasan ; vgl. Mt 8,27 ) und sprach: "So etwas ist noch
nie in Israel gesehen worden." Die Pharisäer jedoch kamen zu der
Schlußfolgerung, daß Jesus seine Wunder durch die Macht des Satans,
des Obersten der Dämonen, vollbringe (vgl. Mt 10,25; 12,22-37 ). J. Seine Macht, Diener zu berufen ( 9,35-11,1 ) 1. Die Arbeit ( 9,35-38 ) Mt 9,35-38 In Vers 35 faßt Matthäus Jesu dreifaches
Amt zusammen (vgl. den Kommentar zu Mt 4,23 mit dem nahezu
identischen Wortlaut): "Und Jesus ging ringsum in alle Städte und
Dörfer, lehrte in ihren Synagogen und predigte das Evangelium von
dem Reich ..." Er heilte alle Krankheiten, um sich zu legitimieren.
Das Spektakuläre an seinem Auftreten zog das Volk an. Immer, wenn Jesus das Volk sah, jammerte
es ihn . Das Verb "jammern" ( splanchnizomai ) wird im Neuen
Testament nur von den Synoptikern benutzt: es steht fünfmal bei
Matthäus ( Mt 9,36; 14,14; 15,32; 18,27; 20,34 ), viermal bei Markus
( Mk 1,41; 6,34; 8,2; 9,22 ) und dreimal bei Lukas ( Mt
7,13;10,33;15,20; vgl. auch den Kommentar zu Lk 7,13 ). Es ist ein
sehr ausdrucksstarkes Wort, das so etwas bedeutet wie "tiefes
Mitleid fühlen". Das entsprechende Substantiv, splanchna ("Mitleid",
"Zuneigung"), kommt bei Lukas einmal ( Lk 1,78 ), achtmal bei Paulus
und einmal in den Johannesbriefen ( 1Joh 3,17 ) vor. Jesus sah, daß
die Menschen verschmachtet und zerstreut waren wie die Schafe, die
keinen Hirten haben . Wie Schafe, die von Wölfen bedroht sind,
daliegen und sich nicht zu helfen wissen, wenn sie keinen Hirten
haben, der sie führt und schützt, so wurde das jüdische Volk von den
Pharisäern in Gefahr gebracht und verraten und konnte sich nicht
dagegen wehren, weil es keine geistliche Führung hatte. Im
Gegenteil, die Pharisäer, die eigentlich ihre Hirten hätten sein
sollen, hielten die Schafe sogar davon ab, dem wahren Hirten zu
folgen. Angesichts all dieser Menschen, die Hilfe brauchten,
ermutigte Jesus seine Jünger, den Herrn der Ernte , Gott, zu bitten,
daß er zusätzliche Arbeiter in seine Ernte sende (vgl. Lk 10,2 ).
Die Ernte war bereit, denn das Gottesreich war nahe herbeigekommen (
Mt 4,17 ). Doch es waren weitere Arbeiter nötig, um sie
einzubringen. 2. Die Wahl der Arbeiter ( 10,1-4 ) ( Mk 3,13-19; Lk 6,12-16 ) Mt 10,1-4 Es ist nicht überraschend, daß auf Jesu
Anordnung in Mt 9,38 ,den Vater um Arbeiter zu bitten, eine Liste
dieser "Arbeiter" folgt. Zwölf Jünger ( Mt 10,1 ), die Jesus folgten
(ein "Jünger", mathEtEs , war ein Schüler; vgl. Mt 11,29 ), wurden
zu "Aposteln" gemacht. Diese Zwölf wurden mit einem besonderen
Auftrag ausgesandt ("Apostel" bedeutet "einer, der ausgesandt ist,
um einen offiziellen Amtsinhaber zu vertreten"). Jesus gab ihnen
Macht über die unreinen Geister, daß sie die austrieben und heilten
alle Krankheiten und alle Gebrechen. Die zwölf Apostel werden hier
paarweise aufgezählt und wurden wahrscheinlich auch so ausgesandt
("Er fing an, sie auszusenden, je zwei und zwei"; Mk 6,7 ). Jedesmal, wenn von den zwölf Aposteln die
Rede ist, wird Simon (dessen Namen Jesus in Petrus geändert hatte;
Joh 1,42 ), weil er der bekannteste der Apostel war, als erster und
Judas als letzter genannt. Bald nach den Brüdern Petrus und Andreas
folgte noch ein zweites Bruderpaar Jakobus und Johannes ( Mt 4,18-22
) - Jesus nach. Philippus stammte, wie Andreas und Petrus, aus
Betsaida am See Genezareth ( Joh 1,44 ). Über Bartholomäus wissen
wir nichts weiter, als daß er möglicherweise unter dem Namen
Nathanael bekannt war ( Joh 1,45-51 ). Thomas wird bei Joh 11,16
"Didymus" (Zwilling) genannt; er war einer derjenigen, die Jesu
Auferstehung bezweifelten ( Joh 20,24-27 ). Matthäus bezeichnete
sich selbst mit Bezug auf seine frühere zwielichtige Tätigkeit als
Zöllner (wohingegen ihn Markus und Lukas einfach nur als Matthäus
aufführen). Von Jakobus, dem Sohn des Alphäus , ist nur einmal, in
der Liste der Apostel, die Rede. Thaddäus war vielleicht identisch
mit Judas, dem Sohn des Jakobus ( Lk 6,16; Apg 1,13 ). Simon
Kananäus war Mitglied der aufrührerischen Gruppe der jüdischen
Zeloten, einer politischen Partei, die die Juden von der römischen
Oberherrschaft befreien wollte. Dann natürlich noch Judas Iskariot ,
der später den Herrn verriet ( Mt 26,47-50 ). Iskariot bedeutet "aus
Kerijot", einer Stadt in Judäa. 3. Weisungen für die Arbeiter ( 10,5-23 ) a. Die Botschaft ( 10,5-15 ) ( Mk 6,7-13; Lk 9,1-6 ) Mt 10,5-15 Die Botschaft, die die Zwölf über das
Himmelreich (V. 7 ) verkünden sollten, deckte sich mit der Johannes'
des Täufers ( Mt 3,1 ) und mit Jesu eigener Verkündigung ( Mt 4,17
). Jesus instruierte die Jünger jedoch, ihre Verkündigungstätigkeit
ausschließlich auf die Juden zu beschränken, er sagte ihnen sogar
ausdrücklich, sie sollten nicht zu den Heiden und zu den Samaritern
gehen . Die Volksgruppe der Samariter stammte von Juden und Heiden
ab. Ihre Geschichte begann bald nach 722 v. Chr., als Assyrien das
Nordreich eroberte und Gefangene aus dem Norden Mesopotamiens in
Israel ansiedelte, wo sie sich durch Heirat mit den Juden
vermischten. Die Apostel wurden nur zu den verlorenen Schafen aus
dem Hause Israel gesandt (vgl. Mt 15,24 ), weil die Botschaft vom
Reich nur für Gottes Bundesvolk bestimmt war. Zuerst einmal sollten
die Juden ihren wahren König, der nun gekommen war, akzeptieren.
Wenn sie das taten, würden auch die anderen Völker durch sie
gesegnet sein ( 1Mo 12,3; Jes 60,3 ). Die Botschaft der Apostel sollte, wie die
ihres Herrn, durch Wunder legitimiert werden ( Mt 10,8; vgl. Mt 9,35
). Sie sollten keine besonderen Vorkehrungen für ihre Reise treffen
und damit den Eindruck vermeiden, daß es sich bei ihrer Aufgabe
gleichsam um etwas "Geschäftliches" handelte. Zu der Liste der
Gegenstände, die sie nicht mitnehmen sollten, gehörte auch ein
Stecken (vgl. Lk 9,3 ). Markus berichtet dagegen, daß sie einen
Stock mitnehmen konnten ( Mk 6,8 ). Dieser Widerspruch löst sich,
wenn man beachtet, daß die Jünger sich nach Matthäus nichts extra
zurechtlegen oder besorgen sollten ( ktEsEsthe ; Mt 10,9 ), nach
Markus jedoch das mitnehmen ( airOsen ) konnten, was sie bereits zur
Hand hatten. Die Apostel waren bei ihrem Werk also
immer wieder auf die Hilfe ihrer Hörer angewiesen. In jeder Stadt
und jedem Dorf sollten sie sich nach jemand erkundigen, der es wert
ist , und bei ihm bleiben. Das Kriterium für dieses "Wertsein" lag
offensichtlich in der positiven Reaktion des Betreffenden auf die
Botschaft der Apostel. Die, die die Botschaft ablehnten und die
Apostel nicht aufnahmen, sollten sie wieder verlassen. Die
Formulierung, beim Verlassen eines ungastlichen Ortes "den Staub von
den Füßen zu schütteln" , symbolisiert dabei den Abscheu, den man
selbst vor dem Staub der betreffenden Stadt hat - eine Geste, die
normalerweise nur heidnischen Städten gegenüber gebraucht wurde. Der
Herr sagte, daß es diesen Menschen am Tage des Gerichts schlimmer
ergehen werde als den Leuten von Sodom und Gomorra ( 1Mo 19 ). (Die
Wendung "wahrlich, ich sage euch" steht bei Mt 10,15.23.43 ; vgl.
den Kommentar zu Mt 5,18 .) b. Die Reaktion auf die Botschaft ( 10,16-23 ) ( Mk 13,9-13; Lk 21,12-17 ) Mt 10,16-23 Man kann nicht sagen, daß Jesus seinen
Aposteln in bezug auf das Ergebnis ihres Wirkens besonderen Mut
machte. Ihre Aufgabe würde schwierig sein, denn sie würden als
Schafe mitten unter die Wölfe kommen (vgl. Mt 7,15 ,wo die falschen
Propheten als "reißende Wölfe" bezeichnet werden). Daher war es
lebenswichtig für sie, daß sie sich klug wie die Schlangen und ohne
Falsch wie die Tauben verhielten, d. h., Gefahr klug vermieden und
ihre Gegner nicht provozierten. "Ohne Falsch" ist die Übersetzung
des griechischen Wortes akeraioi ("unvermischt, rein"). Es taucht
nur noch zweimal im Neuen Testament auf, in Röm 16,19 und in Phil
2,15 . In der Ausübung ihres Amtes sollten die Apostel ihrer eigenen
jüdischen Gerichtsbarkeit überantwortet und gegeißelt werden (vgl.
Apg 5,40 ), und sie würden vor die römischen Statthalter und die
herodianischen Könige geführt werden. Doch sie sollten sich nicht
sorgen , denn der Heilige Geist, "eures Vaters Geist" , würde ihnen
eingeben, was sie reden sollten , um dem Gefängnis zu entgehen. Auch wenn Familienmitglieder sich
gegenseitig verraten ( Mt 10,21 ) und jedermann sie hassen würde (V.
22 ), versprach ihnen Jesus, daß sie am Schluß erlöst werden würden,
wenn sie standhaft blieben und weiter von Stadt zu Stadt ziehen
würden. Doch sie sollten mit den Städten Israels nicht zu Ende
kommen, bis der Menschensohn kommt . Diese Worte des Herrn verwiesen
wahrscheinlich auf die Zeit nach seinem Tod. Was er damit meinte,
zeigte sich im Leben der Apostel noch deutlicher nach dem
Pfingstgeschehen ( Apg 2 ), als das Evangelium sich im Rahmen der
Kirche verbreitete (z. B. Apg 4,1-13;5,17-18.40;7,54-60 ). Doch
gänzlich erfüllt wird die Prophezeiung erst in der Zeit der Großen
Trübsal, wenn das Evangelium in der ganzen Welt gelehrt werden wird,
bevor Jesus Christus in Macht und Herrlichkeit zurückkehrt, um sein
Reich auf Erden zu errichten ( Mt 24,14 ). 4. Der Trost für die Arbeiter ( 10,24-33 ) ( Lk 12,2-9 ) Mt 10,24-33 Jesus erinnerte die Apostel daran, daß er
nichts von ihnen verlangte, was ihm nicht selbst schon widerfahren
war. Als er einen bösen Geist ausgetrieben hatte, hatten die
Pharisäer behauptet, er wirke durch den Obersten der Dämonen (vgl.
Mt 9,34 ). Wenn sie schon von Jesus ( dem Hausherrn ) glaubten, daß
er mit bösen Mächten im Bunde sei, würden sie ganz sicher von seinen
Knechten ( Hausgenossen ) dasselbe sagen. Beelzebub (im Griechischen
steht Beezeboul ) war einer der Namen des Teufels, des Obersten der
Dämonen, der vielleicht von Baal-Sebub, dem Gott der philistinischen
Stadt Ekron ( 2Kö 1,2 ), abgeleitet ist; er bedeutet soviel wie
"Herr der Fliegen". "Beezeboul" oder "Beelzeboul" dagegen heißt
"Herr der Höhe". Die Apostel sollten jedoch die Pharisäer,
die nur den Leib töten können, nicht fürchten ( Mt 10,28 ). Ihre
wahren Motive werden im Gericht offenbar werden (V. 26 ). Der
Gehorsam gegenüber Gott, dem Herrn des physischen und auch des
geistlichen Lebens, ist weit wichtiger. Die Botschaft, die sie vom
Herrn im geheimen ( in der Finsternis ) empfangen hatten, sollten
sie nun öffentlich ohne Furcht verkünden ( im Licht auf den
(flachen) Dächern ), denn ihr Vater kennt ihre Lage und wird für sie
sorgen. Gott weiß ja selbst um den Tod eines Sperlings, der doch so
viel weniger wert ist - zwei Sperlinge konnte man für einen Groschen
kaufen ( assarion , eine griechische Kupfermünze, die etwa ein
Sechzehntel eines römischen denarius , eines Tageslohns, wert war).
Gott der Vater kennt die Zahl der Haare auf dem Haupt eines Menschen
(V. 30 ). Die Apostel sollten sich also keine Sorgen machen, denn
sie waren Gott mehr wert als die Sperlinge, er sah sie und kannte
sie. Statt dessen sollten sie sich in festem Vertrauen vor den
Menschen zu Jesus bekennen ( homologEsei ; V. 32 ). Dann würde auch
er sich vor seinem Vater zu ihnen bekennen; wenn sie ihn jedoch
verleugneten, würde auch er sie verleugnen. Von den zwölf Aposteln
sollte nur einer, Judas, Jesus verraten. 5. Die Ermahnung der Arbeiter ( 10,34-39 ) ( Lk 12,51-53; 14,26-27 ) Mt 10,34-39 Jesus sagte, er sei diesmal nicht
gekommen, Frieden auf die Erde zu bringen, sondern das Schwert , das
entzweit und trennt. Eine Folge seines Kommens werde sein, daß sich
Kinder gegen ihre Eltern auflehnen und seine eigenen Hausgenossen
des Menschen Feinde sein werden. Zu dieser Situation kommt es, weil
manche Anhänger Christi von ihren übrigen Verwandten geradezu gehaßt
werden. Das war der Preis, den die Jünger unter Umständen für die
Nachfolge zahlen mußten, denn die Liebe zur Familie darf niemals
größer sein als die Liebe zum Herrn (V. 37 ; vgl. den Kommentar zu
Lk 14,26 ). Ein wahrer Jünger muß sein Kreuz auf sich nehmen und
Jesus folgen (vgl. Mt 16,24 ). Er muß bereit sein, nicht nur den Haß
seiner Familie, sondern auch den Tod zu ertragen, wie ein Verbrecher
der damaligen Zeit, der sein Kreuz zu seiner eigenen Hinrichtung
schleppen mußte. In der Zeit der Entstehung des Neuen Testaments war
die Tatsache, daß ein Verbrecher sein Kreuz selbst zum
Hinrichtungsort trug, außerdem ein Zeichen dafür, daß er
stillschweigend die Rechtmäßigkeit des Urteils, das das römische
Reich über ihn gefällt hatte, anerkannte. In ähnlicher Weise
brachten auch Jesu Nachfolger zum Ausdruck, daß sie ihr Leben Jesus
übergeben hatten. Doch wer so sein Leben aufgibt, wird es
zurückerhalten (vgl. den Kommentar zu Mt 16,25 ).6. Die Belohnung
der Arbeiter ( Mt 10,40-11,1 ) ( Mk 9,41 ) Mt 10,40-11,1 Denen, die dem Herrn im Glauben dienen,
und denen, die seine Diener aufnehmen, wurde eine Belohnung
versprochen. Einen Propheten und seine Botschaft aufzunehmen, war
gleichbedeutend damit, Jesus Christus selbst aufzunehmen. (Die
Apostel werden an dieser Stelle Propheten genannt, weil sie Gottes
Botschaft hörten und verkündeten; vgl. Mt 10,27 .) Wer also einem
dieser Geringen , dieser unbedeutenden Jünger Jesu, auch nur einen
Becher kalten Wassers zu trinken gibt , wird nicht unentdeckt und
unbelohnt bleiben. Der Lohn wird der jeweiligen Tat entsprechen.
Nachdem er seine Jünger auf diese Weise unterwiesen hatte, verließ
Jesus die Gegend und ging nach Galiläa, um in den dortigen Städten
zu lehren und zu predigen ( Mt 11,1 ). Die Zwölf, die vom Herrn
Vollmacht erhalten hatten, machten sich vermutlich ebenfalls auf den
Weg, um Jesu Anweisungen in die Tat umzusetzen. Die Worte "als Jesus
diese Gebote an seine zwölf Jünger beendet hatte" bilden einen
weiteren Wendepunkt des Buches (vgl. Mt 7,28;13,53;19,1;26,1 ). IV. Jesu Vollmachtsanspruch ( 11,2-16,12 ) A. Die Zurechtweisung Johannes des
Täufers ( 11,2-19 ) ( Lk 7,18-35 ) 1. Die Anfrage des Täufers ( 11,2-3 ) Mt 11,2-3 Matthäus hatte berichtet ( Mt 4,12 ), daß
Johannes der Täufer gefangengesetzt worden war . Der Grund für seine
Gefangennahme wird jedoch erst später genannt ( Mt 14,3-4 ). Als ...
Johannes im Gefängnis von den Werken Christi hörte, sandte er seine
Jünger und ließ ihn fragen: Bist du es, der da kommen soll, oder
sollen wir auf einen anderen warten? Die Wendung "der da kommen
soll" ist ebenfalls ein Messiastitel, der auf Ps 40,8 und Ps 118,26
zurückgeht (vgl. Mk 11,9; Lk 13,35 ). Johannes muß sich gedacht
haben: "Wenn ich der Wegbereiter des Messias bin und Jesus ist der
Messias, warum bin ich dann im Gefängnis?" Er brauchte Jesu
Bestätigung und eindeutige Aussage, denn er war davon ausgegangen,
daß der Messias das Böse überwinden, die Sünde richten und sein
Reich errichten werde. 2. Jesu Antwort ( 11,4-6 ) Mt 11,4-6 Jesus antwortete Johannes nicht mit ja
oder nein. Statt dessen sagte er zu den Jüngern des Täufers: "Geht
hin und sagt Johannes wieder, was ihr hört und seht." Zu den Dingen,
die die Jünger zu berichten hatten, gehörte, daß Blinde wieder
sahen, Lahme gingen, Aussätzige rein wurden und Taube hörten, Tote
auferstanden und den Armen das Evangelium gepredigt wurde. Alle
diese Werke waren letztlich Zeichen dafür, daß Jesus tatsächlich der
Messias war ( Jes 35,5-6; Ps 61,1 ), und wer dieses wahre Wesen des
Herrn erkannte, war wirklich selig zu nennen. Jesus wird am Ende das
Gericht über diese Welt bringen, er wird die Sünde richten und sein
Königreich bauen, doch die Zeit dazu war noch nicht gekommen. Daß
Israel ihn nicht annahm, verzögerte die sichtbare Errichtung des
Reiches. Doch alle, die seine Person und seine Werke dennoch richtig
einschätzten - wie Johannes - sollten selig werden. 3. Jesu Lehre ( 11,7-19 ) Mt 11,7-15 Johannes' Frage war der Anlaß für Jesus,
dem Volk mehr über Johannes und seine Stellung zu erzählen. Manch
einer fragte sich vielleicht angesichts dieser Frage, wie Johannes
überhaupt zu Jesus stand. Jesus erklärte ihnen deshalb, daß Johannes
weder fschwach noch schwankend war. Er war kein Rohr , das jeder
Lufthauch biegen konnte, und er war auch kein Mensch in weichen
Kleidern , wie man sie in den Häusern der Könige trug. Tatsächlich
war Johannes der Täufer genau das Gegenteil ( Mt 3,4 ). Er war ein
wahrer Prophet , der die Botschaft verkündete, daß Gott Buße von
seinem Volk forderte. Ja, er war sogar mehr als ein Prophet, denn er
war, in Erfüllung des Wortes in Mal 3,1 , Jesu Bote und Wegbereiter.
Markus verbindet in seinem Evangelium diese Prophezeiung aus Mal 3,1
mit Jes 40,3 über den, der dem Herrn den Weg bereiten werde. Jesus
fügte hinzu, daß von allen Menschen, die auf Erden gelebt hatten,
keiner größer war als Johannes der Täufer . Und doch wird der
Kleinste ... im Himmelreich ... größer (sein) als er . Die
Privilegien, die die Jünger Jesu im künftigen Gottesreich genießen
werden, werden weit größer sein als alles, was man sich auf Erden
vorstellen kann. Doch "bis heute leidet das Himmelreich
Gewalt, und die Gewalttätigen reißen es an sich" ( Mt 11,12 ). Die
religiösen Führer zu Jesu Zeit widersetzten sich der von Johannes,
Jesus und den Aposteln eingeleiteten Bewegung. "Leidet Gewalt" (
biazetai ) kann auch mit dem Passiv "wird vergewaltigt" übersetzt
werden. (Das Verb "reißen es an sich" [ harpazousin ] bedeutet
soviel wie "packen, [er]greifen" im Sinne von "besetzen, für sich
beanspruchen".) Die Pharisäer wollten zwar ein Reich, doch nicht in
dem Sinn, wie Jesus es anbot. Daher wehrten sie sich gegen seine
Botschaft und versuchten, eine eigene Herrschaft aufzubauen. Doch
die Botschaft des Johannes war wahr, und wenn das Volk sie und damit
auch Jesus angenommen hätte, wäre Johannes die Erfüllung der
Prophezeiungen Elias gewesen. Nur wenn das Volk die Botschaft
akzeptiert hätte, wäre er Elia, der da kommen soll (vgl. Mal 3,23
mit Apg 3,21 ), gewesen, aber das Volk wies den Messias zurück, also
liegt auch das Kommen Elias weiterhin in der Zukunft. Mt 11,16-19 Jesus verglich dieses Geschlecht mit
Kindern, die auf dem Markt sitzen und denen man es mit nichts recht
machen kann. Wie mißvergnügte Kinder hatten sie weder Lust auf
Hochzeits- ( wir haben euch aufgespielt ) noch auf Begräbnismusik (
wir haben Klagelieder gesungen ) und wollten sowohl von Johannes als
auch von Jesus nichts wissen. An Johannes dem Täufer mißfiel ihnen,
daß er nicht aß und nicht trank, und Jesus, der mit Sündern aß und
trank, konnte es ihnen ebenfalls nicht recht machen. Von Johannes
sagten sie, er sei besessen , und Jesus lehnten sie ab, weil er ein
Fresser und Weinsäufer, ein Freund der Zöllner und Sünder sei. Auch
wenn diese Menschen also im Grunde genommen mit nichts zufrieden
waren, so würde doch die Weisheit der Lehre von Johannes und Jesus
gerechtfertigt werden aus ihren Werken , d. h. dadurch, daß trotz
aller Widerstände viele Menschen in das Gottesreich kommen würden. B. Der Weheruf über die galiläischen
Städte ( 11,20-30 ) ( Lk 10,13-15.21-22 ) Mt 11,20-24 Obwohl es Jesus bei seinem ersten Kommen
nicht primär darum ging, das Gericht zu verkünden, "schalt" er doch
die Sünde. Sein Tadel richtete sich dabei vor allem gegen die
Städte, in denen die meisten seiner Taten geschehen waren -
Chorazin, Betsaida und Kapernaum , die alle am nordwestlichen Ufer
des Sees Genezareth lagen. Im Gegensatz zu diesen drei hätten drei
der berüchtigtsten heidnischen Städte - Tyrus und Sidon (V. 22 ) an
der phönizischen Küste, 50 bzw. 90 Kilometer vom See Genezareth
entfernt (vgl. Mt 15,21 ), und Sodom ( Mt 11,23 ), 150 Kilometer
südlicher, - Buße getan, wenn sie die Taten Jesu gesehen hätten.
Deshalb würde es ihnen im Gericht immer noch nicht so schrecklich
ergehen wie den jüdischen Städten. Denn alle drei galiläischen
Städte lehnten den Messias ab. Heute sind nur noch Trümmer von ihnen
übrig. Trotzdem Jesus einige Zeit in Kapernaum gelebt hatte, sollte
es nicht "bis zum Himmel erhoben" werden, sondern seine Einwohner
sollten in die Hölle , d. h. in den Hades, an den Ort der Toten,
kommen. Mt 11,25-30 Im Gegensatz zu seiner schroffen
Verwerfung der drei galiläischen Städte (V. 20-24 ) appellierte
Jesus jedoch an all diejenigen, die sich im Glauben zu ihm kehrten.
Zuvor noch hatte er seine Zeitgenossen wegen ihrer kindischen
Reaktion kritisiert (V. 16-19 ). Nun erklärte er, daß nur die zur
wahren Jüngerschaft gelangen, die sich ihm in kindlichem Vertrauen
zuwenden. Gott hatte es wohlgefallen, (vgl. Eph 1,5 ), das Geheimnis
seines Handelns vor den Weisen und Klugen (den Schriftgelehrten und
Pharisäern) zu verbergen , doch er hatte es den Unmündigen offenbart
. Gott Vater und Gott Sohn sind einander in der Dreieinigkeit
vollkommen nahe ( Mt 11,27; "Vater" steht in den Versen 25-27
fünfmal). Daher kann nur der den Vater und das, was er offenbart
hat, kennen, dem es der Sohn offenbaren will (vgl. Joh 6,37 ). Jesus rief alle, die mühselig (hoi
kopiOntes , "die von harter Arbeit Ermüdeten") und beladen sind (
pephortismenoi , "die Niedergedrückten"; vgl. phortion , "Last", in
Mt 11,30 ), zu sich. Die Menschen waren müde vom Tragen ihrer Last,
der Last der Sünde und ihrer Folgen. Sie sollten kommen und sich
unter dasselbe Joch stellen wie Jesus, so würden ihre Seelen Ruhe
finden . Indem sie sein Joch auf sich nahmen und von ihm lernten,
würden sie wahre Jünger Jesu werden und wie er die göttliche
Weisheit verkünden. Von ihm zu lernen ( mathete ) heißt, sein Jünger
( nathEtEs ) zu werden. Die Menschen können ihre schwere, ermüdende
Bürde gegen sein - sanftes - Joch und seine - leichte - Last (
phortion ) eintauschen. Jesus zu dienen ist keine Belastung, denn er
ist im Gegensatz zu denen, die ihn ablehnen, sanftmütig ( praus ;
vgl. Mt 5,5 ) und von Herzen demütig. C. Die Streitgespräche mit den
Schriftgelehrten ( Mt 12 ) 1. Der Streit um den Sabbat ( 12,1-21 ) a. Arbeiten am Sabbat ( 12,1-8 ) ( Mk 2,23-38; Lk 6,1-5 ) Mt 12,1-8 Als Jesus und seine Jünger an einem
Sabbat durch ein Kornfeld gingen, begannen die Jünger, Ähren
auszuraufen und zu essen , weil sie hungrig waren . Die Pharisäer
stürzten sich sofort auf diese "Verletzung" des Gesetzes ( 2Mo
20,8-11 ) und warfen ihnen vor, am Sabbat zu arbeiten. Für sie war
das Pflücken von Weizen nichts anderes als Ernten, das Zerreiben der
Ähren zwischen den Handflächen Dreschen und das Fortblasen der Spreu
Worfeln! Jesus wies diese spitzfindige Behauptung
der Pharisäer jedoch anhand von drei Vergleichen zurück. Zunächst
nahm er auf ein Ereignis im Leben Davids Bezug ( Mt 12,3-4 ). Als
dieser vor Saulus floh, gab man ihm die Schaubrote aus dem
Gotteshaus ( 1Sam 21,2-7 ), die normalerweise nur für die Priester
reserviert waren ( 3Mo 24,9 ). David hielt es also offensichtlich
für wichtiger, sein Leben zu retten, als die Formalia zu beachten.
Aber auch die Priester im Tempel brachen den Sabbat ( Mt 12,5; vgl.
4Mo 28,9-10.18-19 ), und doch hielt niemand sie deshalb für
schuldig. Als letztes Argument führte Jesus an, daß er selbst größer
sei als der Tempel ( Mt 12,6; vgl. "mehr als" in V. 41-42 ), denn er
ist ja Herr über den Sabbat , d. h., er bestimmt, was an diesem Tag
getan werden darf, und er hatte die Jünger ( die Unschuldigen ) für
ihre Handlungsweise nicht zur Rechenschaft gezogen. Was die
Pharisäer in die Situation hineininterpretierten, war im Grunde
Haarspalterei. Sie hatten kein Verständnis für die grundlegenden
Bedürfnisse der Menschen (in diesem Fall für den Hunger der Jünger;
vgl. 5Mo 23,24-25 ), sondern kümmerten sich nur um die Opferungen.
Jesus erinnerte sie an die Worte in Hos 6,6 : "Ich habe Lust an der
Liebe und nicht am Opfer" , d. h. am inneren geistlichen Leben,
nicht am bloß äußerlichen Einhalten irgendwelcher formeller
Zeremonien. b. Heilen am Sabbat ( 12,9-14 ) ( Mk 3,1-6; Lk 6,6-11 ) Mt 12,9-14 Kurz nach diesem ersten Streit (V. 1-8 )
kam Jesus, wie nicht anders zu erwarten war - schließlich war es
Sabbat, in eine Synagoge . Dort war ein Mensch mit einer verdorrten
Hand . Zweifellos hatten die Pharisäer, die ständig darauf aus
waren, Jesus einen Fauxpas nachzuweisen, diesen Mann in die Synagoge
gebracht, um einen Zwischenfall zu provozieren. Sie warfen nun die
Frage auf: "Ist's erlaubt, am Sabbat zu heilen?" Jesus beantwortete
ihre Frage, wie er es häufig tat, mit einer Gegenfrage: "Wer ist
unter euch, der sein einziges Schaf, wenn es ihm am Sabbat in eine
Grube fällt, nicht ergreift und ihm heraushilft - auch wenn man ihm
das als Arbeit auslegen könnte?" Eine Handlung der Barmherzigkeit
einem Tier gegenüber war völlig in Ordnung. Doch da die Menschen
weit mehr sind als Schafe, muß die Barmherzigkeit am Sabbat auch auf
sie ausgedehnt werden. Jesus kam also jedem möglichen Einwand gegen
das, was er tun wollte, zuvor, denn nach der Schrift war nicht
verboten, was er tat, seine Argumentation war einwandfrei. Daß er
den Mann heilte, bewegte die Pharisäer jedoch keineswegs dazu, an
ihn zu glauben, sondern sie gingen hinaus und hielten Rat über ihn,
wie sie ihn umbrächten. c. Die Reaktion Jesu ( 12,15-21 ) Mt 12,15-21 Jesus war sich darüber im klaren, was die
Pharisäer mit diesen Streitereien bezweckten. Als ihm auch weiterhin
eine große Menge folgte, heilte er sie zwar alle, aber er gebot
ihnen, daß sie ihn nicht offenbar machten (vgl. Mt 9,30 ). Wenn sich
herumsprach, daß er der Messias war, so hätte das den Konflikt nur
weiter verschärft. Jesus reagierte so, damit die Prophezeiung
Jesajas ( Jes 42,1-4 ), offensichtlich eine messianische Verheißung,
erfüllt würde . "Die (Jesaja-Stelle) fügt sich gut in Matthäus'
Argumentationsgang ein. Zum einen erklärt sie, wie der Rückzug des
Königs im Blick auf das Werk des Messias zu verstehen ist. Der
Messias darf nicht streiten oder in der Öffentlichkeit laut werden.
Es ist ein schönes Bild für das Verständnis und das Erbarmen, das
Jesus gezeigt hat, wenn Jesaja schreibt, daß er das geknickte Rohr
nicht brechen und den glimmenden Docht nicht auslöschen wird. (...)
Zum anderen ist die Weissagung Jesajas aber auch ein Beleg für die
göttliche Bevollmächtigung des Messias. Auch wenn er nicht streitet
und den offenen Konflikt meidet, ist er doch Gottes Knecht, der
Gottes Plan ausführt" (Toussaint, Behold the King , S. 161). Mt 12,18 ist letztlich eine Aussage über
die Dreieinigkeit (zitiert nach Jes 42,1 ). Gott der Vater spricht
von Christus als seinem Knecht , und sein Geist liegt auf dem
Messias, der das Recht verkündigt. Die Heiden werden auf seinen
Namen - den Namen Christi - hoffen ( Mt 12,21 ). 2. Jesu Macht über die bösen Geister ( 12,22-37 ) ( Mk 3,20-30; Lk
11,14-23;12,10 ) Mt 12,22-24 Obwohl der Text nichts darüber aussagt,
wer den Besessenen , um den es hier geht, zu Jesus brachte, bezieht
sich das "wurde gebracht" (V. 22 ) wohl auf die Pharisäer (vgl. V.
14 ). Wahrscheinlich entdeckten sie den Mann irgendwo und erkannten,
daß es sich bei dem Kranken um einen wirklich schweren Fall
handelte. Er war blind und stumm , es war also fast unmöglich, mit
ihm zu kommunizieren. Man konnte ihm nicht vormachen, was er tun
sollte, und Anweisungen konnteer zwar hören, doch nicht auf sie
antworten. Jesus heilte ihn , indem er den Dämon austrieb, und
sogleich redete und sah der Stumme wieder. Das Volk (wörtlich: "die
ganze Menge") entsetzte sich ( existanto , "war außer sich"; zu
anderen Ausdrücken für Erstaunen vgl. den Kommentar zu Mt 7,28 )
angesichts dieses Geschehens und fragte: "Ist dieser nicht Davids
Sohn?" Mit anderen Worten: "Ist das nicht der verheißene Messias,
der Nachkomme Davids (vgl. 1Sam 7,14-16 ), der gekommen ist, über
uns zu herrschen und unser Volk zu retten?" Doch die Pharisäer
dachten in einer ganz anderen Richtung. Sie waren der Überzeugung,
daß Jesu Macht auf Beelzebul , den Obersten der Dämonen (vgl. Mt
9,34; zu der Bedeutung von "Beelzebul" und "Beelzebub" vgl. den
Kommentar zu Mt 10,25; Mk 3,22 ), zurückzuführen sei. Mt 12,25-29 Da Jesus wußte, was die Pharisäer
dachten, verteidigte er seine Autorität. Dies war eine der wenigen
Gelegenheiten, wo er es tat, der Anlaß dafür lag auf der Hand. Er
führte drei Argumente gegen die Behauptung an, daß er den Satan
durch Satan austreibe. Zunächst wandte er ein, daß der Teufel ja mit
sich selbst uneins sein müsse (V. 25-26 ), wenn seine, Jesu, Taten
tatsächlich auf die Einwirkung des Satans zurückzuführen wären.
Warum sollte Satan Jesus einen Dämonen austreiben und einen Mann
befreien lassen, den er bereits unter seiner Herrschaft hatte? Das
würde sein Reich doch nur innerlich zerrütten und zu seiner
Zerstörung führen. Zweitens verwies Jesus auf die
zeitgenössischen jüdischen Exorzisten, die in der Lage waren, durch
die Macht Gottes böse Geister auszutreiben (V. 27 ). Die Apostel
waren beispielsweise dazu imstande ( Mt 10,1 ), und auch von anderen
glaubte man, daß sie diese Fähigkeit besäßen. Jesus sagte daher:
"Wenn ihr glaubt, daß eure Exorzisten Dämonen mit der Hilfe Gottes
austreiben, warum soll ich dann nicht dieselbe Macht haben?" Drittens bewies der Erfolg Jesu beim
Austreiben böser Geister , daß er stärker war als Satan. Er war in
der Lage, in den Hoheitsbereich des Teufels ( das Haus eines Starken
), in die Welt der Dämonen, einzudringen und seine Siegesbeute heil
wieder herauszubringen ( Mt 12,29 ). Da er das konnte, stand es auch
durchaus in seiner Macht, das Reich Gottes unter den Menschen zu
errichten (V. 28 ). Wenn er die Dämonen dagegen durch die Macht des
Teufels austrieb, hätte er nichts mit dem Gottesreich zu schaffen
und könnte es auch nicht auf die Erde bringen. Die Tatsache, daß er
gekommen war, um das messianische Reich zu gründen, war also schon
ein eindeutiger Beleg dafür, daß Jesus durch den Geist Gottes ,
nicht durch die Macht des Teufels, wirkte. Mt 12,30-37 Jesus stellte die Menschen vor die
Entscheidung: Sie konnten entweder mit ihm oder gegen ihn sein.
Eindrücklich warnte er all jene, die sich von ihm entfernten.
Verständlicherweise begriffen nicht alle Leute wirklich, wer Jesus
war. Ein Mensch, der zugleich Gott ist und unter den Menschen lebt,
wird natürlich nicht von allen akzeptiert. Daher machte Jesus auch
gewisse Zugeständnisse wie z. B.: "Wer etwas redet gegen den
Menschensohn, dem wird es vergeben." Doch wenn auch die Person Jesu
nicht von allen verstanden wurde, so durfte doch die Macht, die in
ihm sichtbar wurde, nicht verkannt werden, am allerwenigsten von den
Schriftgelehrten und Pharisäern. Das Volk war, verleitet durch seine
Führer, im Begriff, eine Entscheidung mit nicht wiedergutzumachenden
Folgen zu treffen. Die Menschen waren dabei, die Macht des Heiligen
Geistes , die Jesu Handeln bestimmte, fälschlicherweise Satan
zuzuschreiben und sich damit gegen den Geist zu versündigen und ihn
zu lästern . Diese Sünde kann in dieser Form heute nicht mehr
begangen werden, sie entzündete sich an Jesu leiblicher Gegenwart
auf Erden und an den Wundern, die er durch die Macht des Geistes
tat. Wenn nun die religiösen Führer der Juden, die ja für das Volk
handelten, zu dem abschließenden Urteil kamen, daß Jesu Macht vom
Satan stamme, dann begingen sie eine Sünde, die weder dem Volk noch
dem einzelnen je vergeben würde ( weder in dieser noch in jener Welt
). Als Konsequenz dieser Verfehlung würde das Gericht Gottes über
die ganze Nation und über jeden einzelnen, der bei dieser verkehrten
Überzeugung blieb, kommen. Der Gegensatz zwischen dem guten Baum und
seinen Früchten und dem faulen Baum und seinen Früchten macht die
beiden Alternativen, die die Menschen hatten, deutlich (vgl. Mt
7,16-20 ). Jesus verurteilte die Pharisäer als Schlangenbrut , die
niemals etwas Gutes reden könne, weil ihr Herz böse sei. Die
Menschen sind für ihre Handlungen und Worte verantwortlich und
werden am Tage des Gerichts durch sie gerechtfertigt oder verdammt. 3. Die Forderung nach Zeichen ( 12,38-50 ) Mt 12,38-42 ( Lk 11,29-32 ) Obwohl Jesus unmittelbar
zuvor ein großes Wunder vollbracht hatte, baten die Pharisäer ihn um
ein Zeichen (vgl. Mt 16,1 ). Die vielen Zeichen und Wunder, die
bereits geschehen waren, galten ihnen also offenbar nichts, denn sie
sagten wahrhaftig: "Wir möchten gern ein Zeichen von dir sehen." Der
Herr entgegnete ihnen, obgleich er ihnen sogar schon zahlreiche
Zeichen gegeben hatte, der wahre Glaube verlange keine Zeichen. Nur
ein böses und abtrünniges Gechlecht fordert ein Zeichen (vgl. Mt
16,4 ). (Der Ausdruck "abtrünnig" [ moichalis ] deutet an, daß
Israel Gott durch sein Verhaftetsein an religiösen Äußerlichkeiten
und durch die Ablehnung des Messias geistlich untreu geworden war.) Aber es sollte für diese Menschen keine
Zeichen mehr geben, es sei denn das Zeichen des Propheten Jona (vgl.
Mt 16,4 ). Denn wie Jona drei Tage und drei Nächte im Bauch des
Fisches war, so würde der Menschensohn drei Tage und drei Nächte im
Schoß der Erde sein. (Da die Juden auch angebrochene Tage als ganze
Tage rechneten, verträgt sich dieser Gedanke durchaus mit der
Theorie, daß die Kreuzigung an einem Freitag stattfand.) Durch die
in diesem Zeichen enthaltene Anspielung auf seinen Tod machte Jesus
klar, daß seine Verurteilung von seiten der Schriftgelehrten und
Pharisäer bereits beschlossene Sache war. Damit sich diese
Prophezeiung erfüllte, mußte Jesus endgültig abgelehnt werden, er
mußte sterben und dann begraben werden. Wenn das aber geschah, so
war es zu spät, sein Recht als Messias auf die Herrschaft über
Israel anzuerkennen. Die Generation, zu der Jesus hier sprach,
besaß eigentlich ein einzigartiges Privileg, das keinem Geschlecht
vor ihr zuteil geworden war. Die Leute von Ninive taten Buße nach
der Predigt des Jona - eines Menschen. Die Königin vom Süden (d. i.
die Königin von Saba; 1Kö 10,1-13 ) kam vom Ende der Erde, um
Salomos Weisheit - die Weisheit eines Menschen - zu hören . Beide
reagierten also auf bemerkenswerte Weise und nahmen um dieser beiden
Menschen willen viel auf sich. Die Menschen zur Zeit Jesu dagegen
hatten es mit jemand zu tun, der mehr war als Jona und Salomo (vgl.
Mt 12,6 ), und statt ihn zu akzeptieren, lehnten sie ihn ab. Ihre
Strafe wird sie ereilen, wenn sie am Jüngsten Tag vor dem Richter
stehen. Wieder einmal waren die Heiden empfänglicher für Gottes
Handeln als das erwählte Volk selbst (vgl. Mt 11,20-24 ). Mt 12,43-45 ( Lk 11,24-26 ) Die Generation derer, die
dauernd neue Zeichen verlangten, ging ihrer Verurteilung entgegen.
Um den Menschen vor Augen zu führen, wie es ihnen ergehen würde,
wenn sie auf ihrem Unglauben beharrten, verglich Jesus sie mit einem
Menschen, der - vielleicht durch einen jüdischen Exorzisten - von
einem Dämon ( einem unreinen Geist ) befreit worden war (vgl. Mt
12,27 ). Danach versuchte er auf ganz normale Weise, sein Leben zu
ordnen, es zu "kehren" und zu "schmücken" . Doch bloße Religiosität
reicht nicht aus, wenn die wirkliche, echte Bekehrung fehlt, daher
kehrten die Dämonen, schlimmer als zuvor, zurück. Statt von einem
einzigen war er nun von sieben anderen Geistern besessen, war also
"ärger" dran als zuvor. Die Pharisäer und die anderen religiösen
Führer liefen Gefahr, denselben Fehler zu begehen, denn ohne die
Kraft Gottes blieben all ihre Erneuerungsbestrebungen fruchtlos. Wie sich gezeigt hatte, besaßen sie
jedoch keinerlei Gefühl für Gottes Macht, denn sie hatten ja die
Macht des Heiligen Geistes mit der Macht Satans verwechselt (V.
24-28 ). Daher waren sie eine gute Zielscheibe für den Teufel. Mt 12,46-50 ( Mk 3,31-35; Lk 8,19-21 ): Als er noch
zu dem Volk redete, standen seine Mutter und seine Brüder draußen
und wollten mit ihm reden. Der Apostel Johannes berichtet, daß Jesu
Brüder (eigentlich seine Halbbrüder, Söhne der Maria, die nach Jesus
geboren wurden) vor seiner Auferstehung nicht an ihn glaubten ( Joh
7,5 ). Vielleicht versuchten sie, durch den Kontakt zu ihm über ihre
familiären Beziehungen in den Genuß besonderer Vorteile zu kommen.
Nach den Worten Jesu hängt jedoch wahres Jüngertum nicht von
Verwandtschaftsbeziehungen ab, sondern davon, ob jemand den Willen
seines Vaters tut. Nur durch Religiosität ( Mt 12,43-45 ) oder durch
verwandtschaftliche Bande (V. 46-50 ) kann man keine Verdienste vor
Gott erwerben. Allein das Befolgen von Gottes Willen macht einen
Menschen zum Jünger (vgl. Mt 7,21 ). D. Die Gleichnisse über das ganz andere
Gottesreich ( 13,1-52 ) Das vorhergehende Kapitel ( Kap. 12 )
bildet wahrscheinlich den wichtigsten Wendepunkt dieses Evangeliums.
Der König hatte den Menschen seine Vollmacht durch zahlreiche Wunder
bewiesen. Durch die Aussage der religiösen Führer, Jesus vollbringe
seine Taten nicht durch die Macht Gottes, sondern des Satans,
steigerte sich jedoch die Opposition gegen ihn immer mehr ( Mt 9,34;
12,22-37 ). Auch wenn das ganze Ausmaß des Hasses gegen ihn erst zu
einem späteren Zeitpunkt voll zum Durchbruch kam, so waren doch die
Würfel bereits gefallen. Daher wandte sich Jesus nun verstärkt an
seine Jünger und begann, sie auf andere Weise mit seiner Lehre
vertraut zu machen. Es folgt nun einer der wichtigsten
Lehrabschnitte des Matthäusevangeliums (die anderen stehen in den
Kap. 5-7; 10; 23-25 ). 1. Das Gleichnis vom Sämann ( 13,1-23 ) Mt 13,1-9 ( Mk 4,1-9; Lk 8,4-8 ) Im Rahmen seiner
nun folgenden Reden vor der Menge tat Jesus etwas, was er zuvor
nicht getan hatte: Er erzählte Gleichnisse . (Diese Form der
Verkündigung taucht an dieser Stelle zum ersten Mal im
Matthäusevangelium auf.) Das Wort "Gleichnis" setzt sich aus den
beiden griechischen Wörtern para und ballO zusammen, die als
zusammengesetztes Verb die Bedeutung "nebeneinanderstellen" haben.
Ein Gleichnis zieht, ähnlich wie ein illustrierendes Beispiel, einen
Vergleich zwischen einer bekannten und einer unbekannten Wahrheit;
es stellt sie nebeneinander. Im ersten der sieben Gleichnisse in
diesem Kapitel spricht Jesus von einem Bauern , der auf seinem Acker
Samen säte. Das Hauptgewicht der Geschichte liegt dabei auf dem
Resultat des Säens, denn die Saat fiel auf vier verschiedene
Bodenqualitäten - auf den Weg ( Mt 13,4 ), auf felsigen Boden (V. 5
), unter die Dornen (V. 7 ) und auf gutes Land (V. 8 ) - die auch
vier verschiedene Ernteergebnisse zur Folge hatten. Mt 13,10-17 ( Mk 4,10-12; Lk 8,9-10 ) Die Jünger
bemerkten die Veränderung in Jesu Art zu lehren sofort. Sie traten
zu ihm und fragten ihn, warum er jetzt in Gleichnissen rede. Der
Herr nannte ihnen drei Gründe. Die Gleichnisse sollten zum einen
dazu dienen, ihnen neue Wahrheiten zu offenbaren. ( Mt 13,11-12 a).
Er sagte, er enthülle ihnen damit die Geheimnisse des Himmelreichs .
Das Wort "Geheimnisse" bezog sich im Neuen Testament auf Dinge, die
im Alten Testament noch nicht offenbart worden waren und die Jesus
nun seinen Jüngern mitteilte. Warum verwendet Matthäus so häufig den
Ausdruck "Himmelreich", wo doch Markus, Lukas und Johannes nur vom
"Reich Gottes" schrieben? Nach Ansicht mancher Forscher hängt das
mit dem Sprachgebrauch der Juden zusammen, die das Wort "Gott" aus
Ehrfurcht möglichst nicht in den Mund nahmen und statt dessen andere
Begriffe benutzten wie z. B. "Himmel". Andererseits kommt bei
Matthäus durchaus auch der Begriff "Reich Gottes" an einigen Stellen
vor ( Mt 12,28;19,24;21,31.43 ), und das Wort "Gott" verwendete er
nahezu 50mal. Also scheint er wohl zwei verschiedene Dinge damit
sagen zu wollen: Das "Reich Gottes" schließt nur die ein, die
gerettet sind, während das "Himmelreich" sowohl diese Geretteten als
auch die Menschen umfaßt, die zwar vorgeben, Christen zu sein, es in
Wirklichkeit jedoch nicht sind. Das wird an den Gleichnissen vom
Unkraut unter dem Weizen (vgl. den Kommentar zu Mt 13,24-30.36-43 ),
vom Senfkorn (vgl. den Kommentar zu V. 31-35 ) und vom Fischnetz
(vgl. den Kommentar zu V. 47-52 ) deutlich. Es fällt auf, daß Jesus erst dann von den
"Geheimnissen des Himmelreichs" sprach, als das Volk gleichsam schon
den Stab über ihm gebrochen hatte. Die Entscheidung war gefallen,
als die religiösen Führer seine göttliche Macht mit dem Teufel in
Verbindung brachten ( Mt 9,34;12,22-37 ). Nun offenbarte Jesus
bestimmte zusätzliche Aspekte seiner Herrschaft auf Erden, die so im
Alten Testament noch nicht enthaltensind. Viele alttestamentliche
Propheten hatten vorausgesagt, daß der Messias das Volk Israel
befreien und sein Reich auf Erden errichten werde. Jesus kam und bot
das Reich an ( Mt 4,17 ), doch das Volk wollte nichts von ihm wissen
( Mt 12,24 ). Was sollte nun aber aus dem verheißenen Gottesreich
werden? Die "Geheimnisse", die Jesus in seinen Gleichnissen
enthüllte, machten deutlich, daß zwischen der Verwerfung des
Messiaskönigs und seiner Anerkennung durch Israel ein ganzes
Zeitalter vergehen würde. Zweitens sprach Jesus in Gleichnissen, um
die Wahrheit vor den Ungläubigen zu verbergen. Die Geheimnisse des
Reiches sollten zwar den Jüngern, nicht jedoch den Pharisäern und
Schriftgelehrten, die den Herrn abgelehnt hatten, zugänglich gemacht
werden ( Mt 13,11 b; diesen aber ist's nicht gegeben ). Ihnen sollte
selbst das, was sie zuvor gewußt hatten, wieder genommen werden (V.
12 ). Jesu gleichnishafte Rede hatte dadurch zusätzlich einen
richtenden Aspekt. Indem er in der Öffentlichkeit Parabeln
einsetzte, konnte er zu ebensovielen Menschen sprechen wie zuvor,
und anschließend konnte er die Jünger beiseite nehmen und ihnen die
volle Bedeutung seiner Worte erklären. Drittens sprach Jesus in Gleichnissen, um
die Prophezeiung von Jes 6,9-10 zu erfüllen. Als Jesaja sein Amt
antrat, sagte Gott ihm, daß die Menschen seine Botschaft nicht
verstehen würden. Ebenso erging es auch Jesus. Er predigte das Wort
Gottes, und viele Menschen hörten es, ohne es wirklich zu verstehen
- mit hörenden Ohren verstehen sie es nicht . ( Mt 13,13-15 ). Im Gegensatz zu ihnen waren die Jünger
"selig" , weil sie den Vorzug hatten, die Wahrheit zu sehen (zu
verstehen) und zu hören (V. 16 ), eine Wahrheit, die schon die
Menschen im Alten Testament so dringend zu wissen begehrt hatten (V.
17 ; vgl. 1Pet 1,10-11 ). Die Jünger Jesu hörten dasselbe wie die
Pharisäer, doch sie reagierten völlig anders darauf. Die Jünger
sahen und glaubten; die Pharisäer sahen und lehnten ab. Da die
religiösen Führer sich auf diese Weise von dem Licht, das ihnen
gegeben war, abwandten, gab Gott ihnen auch kein weiteres Licht
mehr. Mt 13,18-23 ( Mk 4,13-20; Lk 8,11-15 ) In seiner
Auslegung des Gleichnisses vom Sämann verglich Jesus daher die vier
Ergebnisse bei der Aussat mit vier Reaktionen auf das Wort von dem
Reich . Es handelte sich dabei um die Botschaft, die Johannes, Jesus
und die Apostel verkündigten. Erstens: Wenn jemand die Botschaft
hört und nicht versteht , so kommt der Teufel (der Böse; vgl. Mt
13,38-39; 1Joh 5,18 ) und reißt das Wort, das in sein Herz gesät
ist, hinweg. Das ist der, bei dem auf den Weg gesät ist . Die beiden
folgenden Ergebnisse - dargestellt durch die Saat auf felsigem Boden
, die keine Wurzel hat, und durch die Saat, die unter die Dornen
(Sorgen und Reichtum) fällt, die das Wort ersticken - stehen für das
anfängliche Interesse dieser Hörer, deren Antwort jedoch beide Male
nicht aus dem Herzen kommt. Die Saat auf felsigem Boden symbolisiert
einen Menschen, der das Wort hört, doch sogleich wieder abfällt
(wörtlich "sich ärgern, Anstoß nehmen", skandalizetai ; vgl. Mt
13,57;15,12 ), wenn er wegen seines Interesses an dem Wort
irgendwelche Schwierigkeiten bekommt. Nur die Saat, die auf guten
Boden fällt, zeitigt am Ende bleibende Ergebnisse und bringt Frucht
hervor, die hundertfach, sechzigfach oder dreißigfach trägt . Der,
der Jesu Wort glaubt ( der das Wort hört und versteht ) wird also
umso mehr empfangen und verstehen (vgl. Mt 13,12 ). Daß die Erträge so unterschiedlich
ausfallen, liegt nicht am Saatgut, sondern an der Beschaffenheit des
Bodens, auf den die Saat fällt. Als das Evangelium vom Reich Gottes
zum ersten Mal verkündigt wurde, war es für alle dieselbe "gute
Nachricht". Der Unterschied lag lediglich in den einzelnen Menschen,
die das Wort hörten. Jesus wollte in seiner Deutung nicht darauf
hinaus, daß es nun genau ein Viertel der Hörer des Wortes sind,
diezum Glauben kommen, ihm ging es vielmehr um die Aussage, daß die
Mehrheit seine Botschaft nicht positiv aufnehmen würde. Er machte
mit diesem Gleichnis klar, warum die Pharisäer und Schriftgelehrten
seine Botschaft verwarfen. Sie waren nicht bereit, sie anzunehmen
und in sich wachsen zu lassen, sie waren kein "fruchtbarer Boden".
Das "Geheimnis", von dem Jesus hier sprach, war die Wahrheit, daß
das Evangelium, die "frohe Botschaft", von der Mehrheit der Menschen
abgelehnt wurde. Davon stand im Alten Testament nichts. 2. Das Gleichnis vom Unkraut unter dem
Weizen ( 13,24-30.36-43 ) Mt 13,24-30 Auch im zweiten Gleichnis benutzte Jesus
das Bild des Sämanns, wenn auch mit einer kleinen Abänderung.
Nachdem ein Bauer guten Samen auf seinen Acker gesät hatte, kam in
der Nacht sein Feind und säte Unkraut zwischen den Weizen . So wuchs
bis zur Ernte mit dem Weizen auch das Unkraut, denn wenn man es
sogleich ausgerissen hätte, hätte man den Weizen gleich mit
ausgerauft (V. 28-29 ). Daher mußte beides miteinander wachsen bis
zur Ernte, doch dann wurde zuerst das Unkraut gesammelt und
verbrannt und danach der Weizen in die Scheune gesammelt . Mt 13,31-35 Auf diese Verse wird später, nach Vers 43
, eingegangen. Mt 13,36-43 Als Jesus und seine Jünger das Volk
verlassen hatten und heimkamen, baten sie ihn um eine Deutung für
das Gleichnis vom Unkraut auf dem Acker . Er sagte: "Der
Menschensohn ist's, der den guten Samen sät." Diese Aussage ist
wichtig für das Verständnis aller Gleichnisse Jesu. Sie setzen immer
zu der Zeit ein, als der Herr noch selbst auf Erden war und das
Evangelium verkündete. Zweitens: Der Acker ist die Welt , in der
das Evangelium verbreitet wird. Drittens: Der gute Same sind die Kinder
des Reichs . Der gute Same in diesem Gleichnis entspricht dem Samen
im ersten Gleichnis, der gute Frucht trägt. Das Unkraut sind die
Kinder des Bösen (vgl. V. 19 ), die vom Feind, dem Teufel , zwischen
den Weizen gesät wurden. Auch von dieser Möglichkeit war im Alten
Testament nicht die Rede gewesen; dort sollte in einem Reich der
Gerechtigkeit das Böse überwunden sein. Viertens: Die Ernte ist das Ende der
Welt, und die Schnitter sind die Engel (vgl. V. 49 ). Hier wird auf
das Ende des Zeitabschnitts, für den die Gleichnisse gelten,
verwiesen. Das "Ende der Welt" ist der Abschluß des gegenwärtigen
Zeitalters, bevor Christus das messianische Reich errichten wird.
Die Gleichnisse in Mt 13 behandeln also die Zeit von Christi Wirken
auf Erden bis zum Tag des Gerichts bei seiner Rückkehr. Bei seinem
zweiten Kommen werden die Engel die Bösen sammeln und sie in den
Feuerofen werfen (V. 40-42 ; vgl. V. 49-50 ; 2Thes 1,7-10; Offb
19,15 ). Da wird Heulen und Zähneklappern sein -
eine Wendung, die Matthäus häufig im Zusammenhang mit dem Gericht
gebraucht ( Mt 8,12; 13,42.50; 22,13; 24,51; 25,30 ) und die auch
bei Lukas einmal auftaucht ( Lk 13,28 ). Sie bezieht sich jedesmal
auf das Gericht über die Sünder, bevor das Tausendjährige Reich
errichtet wird. "Heulen" ist ein Ausdruck des Kummers und Leids (der
emotionalen Qual der Verlorenen in der Hölle), während das
"Zähneklappern" oder -knirschen ein Synonym für Schmerzen ist (die
physische Qual in der Hölle). Wir haben es hier mit einer der
zahlreichen Stellen zu tun, in denen Matthäus vom Gericht spricht.
Die Gerechten jedoch werden leuchten wie die Sonne in ihres Vaters
Reich ( Mt 13,43; vgl. Dan 12,3 ). In der Zeit zwischen der Ablehnung Jesu
und seiner Rückkehr ist der König abwesend, doch sein Reich besteht
fort, wenn auch in etwas veränderter, erst jetzt offenbar werdender
Form. Der Zeitraum zwischen diesen beiden Ereignissen erstreckt sich
weiter als das Zeitalter der Kirche, schließt dieses jedoch ein. Die
Kirche nahm ihren Anfang an Pfingsten, und sie wird mit der
Entrückung der Gläubigen enden, spätestens jedoch sieben Jahre vor
dem Ende dieses Zeitalters. Die Zwischenzeit, in der die
"Geheimnisse" für das Reich bestimmend sind, ist von der Verbreitung
des Glaubens gekennzeichnet, doch auch von einer Gegenbewegung gegen
den Glauben, die bis zum Eintreffen des Gerichts nicht endgültig von
ihr geschieden werden kann. Zu dieser Zeit gehört, wie manche
Glaubensrichtungen versichern, weder der weltweite Sieg des
Evangeliums noch die Herrschaft Christi auf Erden. Es ist einfach
die Zeit zwischen seinem zweimaligen Erscheinen auf Erden, die Zeit,
bevor er zurückkehrt, um das David durch seinen größeren Sohn
verheißene Reich zu errichten. 3. Das Gleichnis vom Senfkorn ( 13,31-32 ) ( Mk 4,30-32; Lk 13,18-19 ) Mt 13,31-32 Ein anderes Gleichnis , das Jesus dem
Volk erzählte, vergleicht das Himmelreich mit einem Senfkorn , dem
kleinsten bekannten Samenkorn. (Die noch kleineren Obstsamen waren
in diesem Teil der Welt unbekannt.) "Klein wie ein Senfkorn" war
also eine Wendung, mit der die Menschen damals etwas ganz besonders
Winziges bezeichneten (z. B. Glauben ... wie ein Senfkorn"; vgl. Mt
17,20 ). Obwohl ihr Samenkorn so klein ist, wächst
eine Senfpflanze jedoch in einem Jahr zu einer beträchtlichen Höhe
(drei bis vier Meter!), und in ihren Zweigen können die Vögel unter
dem Himmel wohnen . Jesus deutete dieses Gleichnis nicht direkt. Es
könnte ein Bild dafür sein, daß die Gruppe der bekennenden
Gläubigen, von denen er im zweiten Gleichnis sprach, die spätere
Christenheit, am Anfang vielleicht nur wenige Mitglieder zählt, sich
aber dann rasch zu einer großen Bewegung entwickelt. Die Erwähnung
der Vögel, die in den Ästen nisten, könnte vielleicht darauf
hindeuten, daß zu dieser Bewegung nicht nur Gläubige, sondern auch
Ungläubige gehören, die sich in ihr "eingenistet" haben. Andere
Interpretatoren hingegen sind der Ansicht, daß die Vögel nicht für
etwas Negatives stehen, sondern für den Reichtum und Überfluß, den
die Senfpflanzen besitzen und an dem sie andere teilhaben lassen. 4. Das Gleichnis vom Sauerteig ( 13,33-35 ) ( Mk 4,33-34; Lk 13,20 ) Mt 13,33-35 In seinem vierten Gleichnis verglich
Jesus das Himmelreich mit einem Sauerteig , der, wenn er unter einen
halben Zentner Mehl gemengt wird, den ganzen Teig durchsäuert .
Viele Exegeten sehen den Sauerteig als ein Bild für das Böse, das
während des Zeitintervalls zwischen den beiden Kommen des Königs
herrscht, denn in der Bibel wird das Böse häufig durch den Sauerteig
veranschaulicht (z. B. 2Mo 12,15; 3Mo 2,11;6,10;10,12; Mt
16,6.11-12; Mk 8,15; Lk 12,1; 1Kor 5,7-8; Gal 5,9 ). Wenn das
tatsächlich auch in diesem Gleichnis der Fall wäre, wäre der Gedanke
des Bösen allerdings etwas überrepräsentiert, da ja bereits im
zweiten Gleichnis vom Bösen die Rede war. Daher existiert daneben
die Auffassung, daß Jesus wohl eher den dynamischen Charakter des
Sauerteigs gemeint habe. Denn wenn Sauerteig erst einmal angefangen
hat zu "gehen", ist es unmöglich, diesen Prozeß noch aufzuhalten.
Vielleicht wollte Jesus damit sagen, daß sich die Zahl derer, die
sich zu seinem Reich bekennen, rasch vermehren werde und daß nichts
sie aufhalten kann. Diese Vorstellung wird der Grundeigenschaft des
Sauerteigs gerecht und fügt sich auch gut in den Gesamtaufbau der
Gleichnisse. Die Zwischenbemerkung von Matthäus ( Mt
13,34-35 ) schließt sich unmittelbar an die früheren Aussagen Jesu
an (vgl. V. 11-12 ): Durch sein Reden in Gleichnissen erfüllte er
die Schrift ( Ps 78,2 ) und lehrte zugleich Dinge, die bisher
verborgen gewesen waren. Mt 13,36-43 Der Kommentar zu diesen Versen steht
unter "2. Das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen (
13,24-30.36-43 )". 5. Das Gleichnis vom Schatz im Acker ( 13,44 ) Mt 13,44 In einem fünften Gleichnis verglich Jesus
das Himmelreich mit einem Schatz, verborgen im Acker . Ein Mensch,
der diesen Schatz gefunden hatte, kaufte den Acker, um den Schatz
für sich zu behalten. Da der Herr auch dieses Gleichnis nicht
deutete, finden sich hier ebenfalls mehrere verschiedene
Auslegungsvarianten. Von der Abfolge der Gleichnisse her scheint es
am wahrscheinlichsten, daß hier von Israel, Gottes "Eigentum" ( 2Mo
19,5; Ps 135,4 ), die Rede ist. Ein Grund dafür, daß Jesus in die
Welt kam, war Israels Erlösung. Man könnte ihn also mit dem Mann
gleichsetzen, der alles verkaufte, was er besaß (die Herrlichkeit
des Himmels; vgl. Joh 17,5; 2Kor 8,9; Phil 2,5-8 ), um den Schatz zu
erwerben. 6. Das Gleichnis von der kostbaren Perle ( 13,45-46 ) Mt 13,45-46 Dieses Gleichnis, das Jesus ebenfalls
nicht erläuterte, weist Parallelen zum vorhergehenden auf. Die
kostbare Perle könnte ein Bild der Kirche sein, der Braut Jesu
Christi. Perlen sind einzigartig. "Sie bilden sich nach einer
Verletzung im weichen Innern einer Auster. So könnte man sagen, daß
sich die Kirche aus den Wunden Jesu Christi bildete und erst durch
seinen Tod und sein Opfer möglich wurde" (John F. Walvoord, Matthew,
Thy Kingdom Come ; S. 105). Der Kaufmann, der alles verkaufte, was
er hatte , um die kostbare Perle zu kaufen, ist Jesus Christus, der
durch seinen Tod die Erlösung der Gläubigen erkauft hat. Diese
beiden Gleichnisse, die so eng verwandt sind - das Gleichnis vom
Schatz im Acker und der kostbaren Perle - lehren, daß Israel in der
Zeit, in der der König abwesend ist, weiterexistieren und die Kirche
wachsen wird. 7. Das Gleichnis vom Fischnetz ( 13,47-52 ) Mt 13,47-50 Jesu siebtes Gleichnis vergleicht das
Himmelreich mit einem Netz, das ins Meer geworfen ist und Fische
aller Art fängt . Wenn es voll ist, ziehen (die Fischer) es heraus
an das Ufer und lesen die guten (Fische) in Gefäße zusammen, aber
die schlechten werfen sie weg . Jesus sagte: "So wird es am Ende der
Welt gehen: die Engel werden ausgehen und die Bösen von den
Gerechten scheiden" (V. 49 ; vgl. V. 37-43 ). Diese Scheidung wird
vorgenommen werden, wenn Jesus zurückkehrt, um sein Königreich auf
Erden zu errichten (vgl. Mt 25,31-46 ). Mt 13,51-52 Jesus fragte die Jünger zum Schluß, ob
sie alles verstanden hätten , was er ihnen gesagt hatte. Daß sie mit
"ja" antworteten, ist erstaunlich, denn sie können die ganze
Bedeutung der Gleichnisse eigentlich gar nicht erfaßt haben. Ihre
folgenden Fragen und Handlungen zeigen denn auch, daß dies
keineswegs der Fall war. Jesus aber erfüllte in seinen
Gleichniserzählungen gleichsam die Funktion eines Hausvaters, der
aus seinem Schatz Neues und Altes hervorholt . Er teilte den Jüngern in diesen sieben
Gleichnissen zum einen Dinge mit, die ihnen altvertraut waren, und
andere, die sie noch nicht kannten. Sie wußten von einem
messianischen Königreich, doch sie wußten nicht, daß dieses Reich,
als es greifbar nahe war, von den Menschen zurückgewiesen werden
sollte. Sie wußten, daß es ein Reich voller Gerechtigkeit war, doch
sie wußten nicht, daß auch das Böse noch darin existieren sollte.
Jesus sagte ihnen, daß die Zeit zwischen seiner Verwerfung und
seiner Wiederkunft unter dem Zeichen des - aufrichtig gemeinten oder
vorgetäuschten - Bekenntnisses vieler Menschen zum Glauben an ihn
stehen werde. Sie würden am Anfang noch wenige sein, doch sie
sollten allmählich und unaufhaltsam zu einem großen "Reich" von
Gläubigen werden. Im Zuge dieses Prozesses würde Gott sein Volk
Israel bewahren und seine Kirche bauen. Diese "Interimszeit" wird
mit dem Gericht enden, in dem die Bösen von den Gerechten getrennt
werden, und im Anschluß daran werden die Gerechten zusammen mit
Christus in seinem Reich auf der Erde herrschen. Mit den
Gleichnissen beantwortete Jesus also die Frage: "Was wird aus dem
Gottesreich?" Die Antwort lautete: Gottes Reich auf Erden wird bei
Jesu zweitem Kommen errichtet werden; in der Zwischenzeit existieren
das Gute und das Böse nebeneinander. E. Weitere Lehren und Wunder ( 13,53-16,12 ) 1. Die Ablehnung Jesu in Nazareth ( 13,53-58 ) ( Mk 6,1-6 ) Mt 13,53-58 Nachdem Jesus seinen Jüngern dies alles
gesagt hatte, kehrte er in seine Vaterstadt zurück (Nazareth; Lk
1,26-27; Mt 2,23;21,11; Joh 1,45 ) und lehrte in ihrer Synagoge .
Bei einem früheren Besuch in Nazareth hatten die Einwohner von
seiner Lehre nichts wissen wollen, und die aufgebrachte Menge hatte
sogar versucht, ihn einen Berg hinabzustürzen ( Lk 4,16-29 ).
Diesmal waren die Menschen zwar von seinen Taten und seiner Weisheit
beeindruckt, doch sie lehnten ihn auch jetzt wieder ab. Sie
erinnerten sich daran, daß er der Sohn des Zimmermanns war ( Mt
13,55 ), und auch an seine vier (Halb)brüder (nicht Cousins), Kinder
von Maria und Josef, die diese nach der Geburt Jesu bekamen. Drei
dieser Söhne - Jakobus, Simon und Judas - dürfen im übrigen nicht
mit den drei gleichnamigen Aposteln verwechselt werden. Die
Nazarener weigerten sich rundheraus, an Jesus zu glauben, und
behinderten sein Wirken in der Stadt,wo sie nur konnten. Ihr Problem
war, daß ihnen Jesus einfach zu vertraut war, so daß sie in ihm
immer nur den jungen Mann sahen, der unter ihnen aufgewachsen war.
Ein so "normaler" Mensch konnte auf keinen Fall der verheißene
Messias sein! Folglich lehnten sie ihn ab und ärgerten sich an ihm .
Jesus war nicht überrascht darüber; seine Entgegnung auf die
Reaktion seiner Heimatstadt wurde zu einem oft zitierten Sprichwort:
"Ein Prophet gilt nirgends weniger als in seinem Vaterland und in
seinem Hause." Wegen ihres Unglaubens tat Jesus auch nicht viele
Zeichen in dieser Stadt. 2. Die Ablehnung Jesu durch Herodes ( Mt 14 ) a. Die Hinrichtung Johannes des Täufers ( 14,1-12 ) ( Mk 6,14-29; Lk 3,19-20;
9,7-9 ) Mt 14,1-12 Als sich die Kunde von Jesus und den
Wundern, die er tat, ausbreitete, kam sie auch vor Herodes. Es
handelte sich dabei um Herodes Antipas, der über ein Viertel von
Palästina, einschließlich Galiläas und Peräas, herrschte (daher der
Titel "Tetrarch"). Er regierte vom Jahr 4 v. Chr. bis 39 n. Chr.
Während sein Vater, Herodes der Große, für den Kindermord in
Bethlehem verantwortlich war ( Mt 2,16 ), war es Herodes Antipas,
der Jesus verurteilte, als er vor Gericht stand ( Lk 23,7-12 ).
(Vgl. die Tabelle zum Geschlecht des Herodes bei Lk 1,5 .) Herodes glaubte, daß Jesus der von den
Toten auferstandene Johannes der Täufer sei (vgl. Lk 9,7 ).
Matthäus' letzte Nachricht über Johannes den Täufer war gewesen, daß
er Boten zu Jesus sandte, um ihm eine Frage zu stellen ( Mt 11,2-14
). Jetzt erzählt er die Geschichte des Wegbereiters Christi zu Ende.
Herodes Antipas hatte Johannes wegen Herodias in das Gefängnis
geworfen , denn Johannes hatte Herodes öffentlich verurteilt, weil
er mit Herodias, seiner Schwägerin, zusammenlebte. Sie war die Frau
seines Bruders Philippus , die Beziehung war also sittenwidrig.
Herodes Antipas hätte Johannes gern getötet, doch er fürchtete sich,
weil das Volk ihn liebte und für einen Propheten hielt; daher hatte
er ihn nur aus der Öffentlichkeit entfernt und ins Gefängnis
geworfen. Doch auf einer Geburtstagsfeier tanzte Salome, die Tochter
der Herodias , vor Herodes. Ihr Tanz gefiel Herodes so gut, daß er
törichterweise versprach, ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Sie aber
bat, angestiftet von ihrer Mutter: "Gib mir hier auf einer Schale
das Haupt Johannes des Täufers!" Obwohl diese Bitte Herodes sehr
traurig machte ( lypEtheis bedeutet "bekümmert oder sehr traurig
sein"; vgl. Mt 18,31;19,22 ), war er doch an seinen Eid gebunden (
Mt 14,9 ). Daher erfüllte er ihren Wunsch und ließ Johannes im
Gefängnis enthaupten . Die Jünger des Johannes begruben seinen
Leichnam und berichteten Jesus, was geschehen war. Letztlich war
Herodes' Tat zugleich auch ein Sinnbild für die Ablehnung Jesu, denn
Matthäus verband das Wirken dieser beiden Männer in seinem Bericht
auf so besondere Art und Weise, daß das, was dem einen von ihnen
widerfuhr, eine direkte Auswirkung auf den anderen zu haben schien.
So lehnte Herodes mit dem Wegbereiter des Königs zugleich auch den
König, der ihm folgte, ab. b. Der Rückzug Jesu ( 14,13-36 ) Als Jesus vom Tod Johannes des Täufers
erfuhr, zog er sich mit seinen Jüngern in eine einsame Gegend
zurück. Von diesem Zeitpunkt an richtete sich seine Lehre in erster
Linie an die Jünger. Er wollte sie wohl auf ihre späteren Aufgaben
vorbereiten, weil er wußte, daß er sie bald verlassen würde. Das
Volk zu überzeugen, daß er der Messias war, hatte er fast ganz
aufgegeben. Mt 14,13-21 ( Mk 6,30-44; Lk 9,10-17; Joh 6,1-14 )
Die Leute ahnten, wohinJesus und seine Jünger gegangen waren, und
folgten ihm zu Fuß, an der nördlichen Küste des Sees Genezareth
entlang. Als Jesus die große Menge sah, jammerten ( esplanchnisthE ;
vgl. den Kommentar zu Mt 9,36 ) ihn die Menschen, und er heilte ihre
Kranken . Gegen Abend schließlich wollten seine Jünger das Volk
wegschicken, denn in dieser öden Gegend ( einsamen Gegend ; vgl. Mt
14,13 ) gab es nicht genügend zu essen für so viele Menschen. Doch
der Herr sagte: "Es ist nicht nötig, daß sie fortgehen; gebt ihr
ihnen zu essen." Ihr ganzer Vorrat bestand jedoch aus fünf Broten
und zwei Fischen . Mit diesen Nahrungsmitteln vollbrachte Jesus
abermals ein Wunder. Die Brote und Fische vervielfachten sich
unmerklich, so daß sie alle aßen und satt wurden , ja, es war noch
mehr als genug übrig, zwölf Körbe voll. Etwa fünftausend Mann und
viele Frauen und Kinder waren auf diese Weise versorgt worden,
zusammen vielleicht 15 000 bis 20 000 Menschen. Dieses Wunder ereignete sich bei Betsaida
(vgl. den Kommentar zu Lk 9,10 ), kurz vor dem Passafest ( Joh 6,4
). Es ist das einzige Wunder Jesu, von dem alle vier Evangelien,
auch das Johannesevangelium, berichten. Es wurde in erster Linie für
die Jünger vollbracht. Jesus wollte ihnen vor Augen führen, wie sie
sich nach seinem Fortgang verhalten sollten und was ihr Amt sein
würde. Auch sie sollten den Menschen zu essen geben, allerdings
geistliche Nahrung, und die Quelle, aus der sie schöpften, würde der
Herr selbst sein. Wenn ihre Vorräte zur Neige gingen, wie das Brot
und der Fisch, sollten sie sich an ihn wenden. Er würde ihnen das
Nötige geben, doch ihre Aufgabe würde es sein, es an die Menschen
weiterzugeben. Das Volk, das Jesus auf so wunderbare Art satt
gemacht hatte, spürte, daß er der verheißene Prophet war ( Joh
6,14-15; 5Mo 18,15 ), und versuchte, ihn zum König zu machen. Wer
ihre körperlichen Leiden heilen und ihnen so überreichlich Nahrung
geben konnte, mußte ganz sicher der erwartete König sein. Doch die
Zeit für die Königsherrschaft des Messias war noch nicht gekommen.
Die religiösen Führer des Volkes hatten sich gegen Jesus entschieden
( Mt 12,24 ), und seine offizielle Verurteilung stand kurz bevor. Mt 14,22-36 ( Mk 6,45-56; Joh 6,16-21 ) Nach dem
Speisungswunder schickte Jesus seine Jünger in einem Boot voraus,
und nachdem er das Volk hatte gehen lassen, stieg er allein auf
einen Berg, um zu beten (vgl. Joh 6,15 ). Mit dem Wegschicken der
Jünger bezweckte er zweierlei: zum einen entfernte er sie dadurch
von der Menge, und zum anderen gab er ihnen Gelegenheit, über das,
was soeben durch sie geschehen war, nachzudenken. Sie gerieten bald
darauf in einen Sturm, und irgendwann zwischen drei und sechs Uhr
morgens ( in der vierten Nachtwache ) kam Jesus zu ihnen und ging
auf dem See zu ihrem Boot. Es handelte sich dabei um eine Entfernung
von etwa 5 Kilometern (vgl. Joh 6,19 "als sie nun etwa eine Stunde
gerudert hatten"). Was hier geschah, war ein Beweis für die Macht
Jesu über die Naturelemente, mehr noch aber war es eine Lehre für
den Glauben der Jünger. Ihre anfängliche Furcht, ein Gespenst zu
sehen ( Mt 14,26 ), legte sich erst, als Jesus mit ihnen sprach. Doch Petrus genügte diese Bestätigung
nicht, er wollte einen stärkeren Beweis dafür, daß es wirklich der
Herr war. Er sagte: "Herr, bist du es, so befiehl mir, zu dir zu
kommen auf dem Wasser." Der Herr sagte einfach: "Komm her!" Petrus'
erste Reaktion spricht sehr für seinen Glauben, denn er stieg aus
dem Boot und kam auf Jesus zu . (Petrus' Gang auf dem Wasser wird
nur bei Matthäus erwähnt.) In der ganzen Geschichte der Menschheit,
soweit sie aufgezeichnet wurde, gingen nur zwei Menschen auf dem
Wasser: Jesus und Petrus. Aber der Glaube des Jüngers geriet ins
Wanken, als er den starken Wind , d. h. das vom Sturm aufgewühlte
Wasser, sah. Er begann zu sinken und schrie: "Herr, hilf mir!"
Sogleich streckte Jesus die Hand aus und ergriff ihn . Er tadelte
Petrus jedoch für seinen Kleinglauben (vgl. Mt 6,30;8,26;16,8 ), der
ihn beinahe hatte untergehen lassen. Als die beiden das Boot erreichten,
beruhigte sich der Sturm und die erstaunten Jünger fielen nieder und
beteten Jesus an. Ihr Bild von Jesus hatte eine neue Dimension
hinzugewonnen, sie erkannten ihn nun als Gottes Sohn an. Ganz anders
die Leute aus Genezareth ( Mt 14,34 ), einer fruchtbaren Ebene
südwestlich von Kapernaum: Als sie hörten, daß Jesus angekommen sei,
brachten sie alle Kranken zu ihm , damit er sie heile. Daß sie nur
den Saum seines Gewandes berühren wollten, erinnert an die Frau mit
dem Blutfluß aus dieser Gegend, die ebenfalls gesund geworden war,
weil sie Jesu Gewand berührt hatte ( Mt 9,20 ). Diese Menschen sahen
in Jesus einen großen Heiler, doch wer er wirklich war, konnten sie
nicht ganz begreifen. Das Verständnis der Jünger für seine wahre
Identität wuchs dagegen ständig. 3. Die Auseinandersetzungen mit den
religiösen Führern ( 15,1-16,12 ) a. Der erste Streit und sein Ergebnis ( Mt 15 ) Mt 15,1-9 ( Mk 7,1-13 ) Die Nachricht von Jesu
Lehre und seinen mächtigen Taten hatte sich bereits im ganzen Land
verbreitet. "Offizielle Stellen" in Jerusalem waren offensichtlich
auf ihn aufmerksam geworden, denn eine Abordnung aus Jerusalem kam
nach Galiläa, um Jesus über bestimmte Satzungen aus der jüdischen
Tradition zu befragen. Ihr Angriff richtete sich gegen die Jünger
Jesu, die beschuldigt wurden, die zeremonielle Vorschrift, sich die
Hände zu waschen , bevor sie Brot essen, übertreten zu haben. Bei
diesem Gebot (rabbinisch, nicht mosaisch) handelte es sich um ein
kompliziertes Reinigungsritual, zu dem nicht nur das Waschen der
Hände, sondern auch der Trinkgefäße, Kessel und Krüge gehörte ( Mk
7,3-4 ). Jesus ging sofort zum Gegenangriff über
und fragte sie seinerseits: "Warum übertretet denn ihr Gottes Gebot
um eurer Satzungen willen?" Er zitierte das fünfte Gebot: "Du sollst
Vater und Mutter ehren" ( Mt 15,4; 2Mo 20,12 ). Die Juden hielten
dieses Gebot für so wichtig, daß jemand, der seinen Eltern fluchte,
zum Tode verurteilt wurde ( 2Mo 21,17; 3Mo 20,9 ). Doch Jesus wies nach, daß die Pharisäer
und Schriftgelehrten das Gebot eigentlich außer Kraft gesetzt hatten
( Mt 15,6 ). So konnte man beispielsweise einfach behaupten, ein
bestimmter Gegenstand sei Gott als Opfergabe geweiht. Dieser
Gegenstand wurde dann zur Seite gelegt. Im Grunde genommen war das
jedoch nur ein geschickter Trick, um den Eltern gewisse Dinge nicht
geben zu müssen. Man konnte sie in seinem eigenen Haus behalten und
behaupten, sie seien abgesondert für Gott. Jesus brandmarkte diese
Handlungsweise als heuchlerisch (V. 7 ), denn sie gab den
Betreffenden den äußeren Anschein von Frömmigkeit, während es in
Wirklichkeit nur darum ging, ihren Besitz für sich selbst zu
behalten. Den Eltern Dinge vorzuenthalten, die ihnen zustanden, war
eine vorsätzliche Verletzung des fünften Gebots. Eine ganz ähnliche
Situation hatte schon Jesaja Jahrhunderte zuvor beschrieben ( Jes
29,13 ). Die Religion war eine Sache des Zeremoniells und
menschlicher Regeln und Vorschriften geworden. Das Herz der Menschen
war fern von Gott und ihr Gottesdienst war deshalb vergeblich (
matEn , "nutzlos"; ein Adjektiv, das nur an dieser Stelle [ Mt 15,19
] und in der Parallelstelle bei Markus [ Mk 7,7 ] steht; es ist eine
Variation des gebräuchlicheren Adjektivs mataios , "ergebnislos,
sinnlos"). Mt 15,10-20 ( Mk 7,14-23 ) Dann wandte Jesus sich an
das Volk und warnte die Menschen vor den Lehren der Pharisäer und
Schriftgelehrten. Er legte ihnen dar, daß man nicht durch das, was
zum Munde hineingeht , sondern durch das, was zum Munde herauskommt
, unrein wird. Die Pharisäer irrten, wenn sie glaubten, ihre
Waschungen machten sie spirituell rein. Die Jünger berichteten Jesus, daß die
Pharisäer an diesem Ausspruch Anstoß genommen hätten (vgl. Mt
13,21.57 ), weil sie merkten, daß er sich gegen sie richtete. Jesus
antwortete, daß die Pharisäer nicht von seinem himmlischen Vater
gepflanzt worden seien (auch hier sprach er wie an vielen anderen
Stellen im Matthäusevangelium von Gott als seinem "Vater") und
deshalb ausgerissen würden (im Gericht). Man solle sie sich selbst
überlassen, denn sie hätten ihren Weg gewählt und nichts könne sie
abhalten. Sie seien im Grunde blinde Blindenführer , die ein blindes
Volk führten und am Ende in die Grube fallen würden. Petrus bat um weitere Erklärungen zu der
Aussage über die Unreinheit ( "dieses Gleichnis" bezieht sich auf
die Worte Jesu in Mt 15,11; vgl. Mk 7,15-17 ), deshalb ging Jesus
nochmals genauer auf das Gesagte ein. Die Unreinheit einer Person
kommt nicht von außen. Was von außen kommt, passiert einfach das
Verdauungssystem und wird schließlich wieder ausgeschieden. Was aber
aus dem Mund herauskommt, hängt damit zusammen, wie es gerade im
Herzen des einzelnen aussieht, und das macht den Menschen unter
Umständen wirklich unrein (oder erweist ihn als unrein; koinoi ,
"zeremoniell unrein"). Böse ( ponEroi ) Gedanken, Mord, Ehebruch (
moicheiai ), Unzucht ( porneiai ), Diebstahl, falsches Zeugnis,
Lästerung - alle diese Taten und Worte entstehen aus dem Herzen des
Menschen. Das aber ist es - nicht das Essen mit ungewaschenen Händen
- was zu spiritueller Unreinheit führt. Mt 15,21-28 ( Mk 7,24-30 ) Um den Fragen der
Pharisäer und Schriftgelehrten zu entgehen, verließ Jesus Israel und
zog sich nach Norden, in die Gegend von Tyrus und Sidon , in die von
Heiden bewohnte Küstenregion von Phönizien, zurück. Tyrus lag 50 und
Sidon 90 Kilometer von Galiläa entfernt. Dort traf er eine
kanaanäische Frau . (Jahrhunderte zuvor wurden die Bewohner dieses
Gebiets Kanaanäer genannt; 4Mo 13,29 .) Sie bat ihn, sich ihrer
Tochter , die von einem bösen Geist besessen war, zu erbarmen, und
sprach ihn als Herr, Sohn Davids, also mit einem Messiastitel, an
(vgl. Mt 9,27;20,30-31 ). Doch selbst das half ihr nicht, denn sie
kam zu einem ungelegenen Zeitpunkt. Als Jesus ihr nicht antwortete
und sie ihn weiterhin bat, drängten die Jünger ihn, sie doch
zufriedenzustellen. Wahrscheinlich fragten sie: "Herr, sei doch so
gut und hilf dieser Frau - warum tust du es nicht? Sie wird nicht
Ruhe geben, bis du ihr hilfst." Jesus erinnerte sie: "Ich bin nur gesandt
zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel" (vgl. Mt 10,6 ). Er war
gekommen, um seinem eigenen Volk das Reich zu bringen, das David
viele Jahrhunderte zuvor verheißen worden war. Es war daher nicht in
Ordnung, wenn er den Heiden Segnungen brachte, bevor Israel gesegnet
war. Doch die Frau war nicht so leicht zu entmutigen. Jesus war ihre
letzte Hoffnung für ihr Kind. Sie bat ihn auf den Knien: "Herr, hilf
mir!" Jesu Antwort machte ihr ihre Lage klar, denn er sagte: "Es ist
nicht recht, daß man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die
Hunde." Er zeichnet das Bild einer Familie, die sich zum Mahl um den
Tisch versammelt hat und die Speisen ißt, für die der
Haushaltsvorstand gesorgt hat. Die heidnische Frau sah sich selbst
in diesem Bild. Sie war kein Kind der Familie (Israel), für das die
auserlesensten Leckerbissen bereitgehalten wurden. Sie sah sich als Haushund (als eine
Heidin; die Juden nannten die Heiden häufig "Hunde"), der die
Brosamen, die vom Tisch des Herrn fallen , erhält. Sie wollte Israel
ja nicht den Segen Gottes wegnehmen, sondern bat nur darum, daß auch
für sie in ihrer Not ein kleines bißchen von diesem Segen abfiele.
Als er diesen großen Glauben (vgl. Mt 8,10 ), nach dem er in Israel
so lange gesucht hatte, sah, erfüllte Jesus ihre Bitte: Ihre Tochter
wurde gesund zu derselben Stunde . Der Glaube dieser heidnischen
Frau stand in schroffem Gegensatz zur Haltung der religiösen Führer
Israels, die Jesus verwarfen. Mt 15,29-39 : ( Mk 7,31-8,10 ): Als
Jesus aus Tyrus und Sidon zurückkehrte, kam er an das Galiläische
Meer, ging auf einen Berg und setzte sich dort (vgl. Mt 14,23 ).
Eine große Menge brachte viele Kranke zu ihm . Nach Mk 7,31-37 waren
die Menschen, von denen Mt 15,30-31 spricht, wahrscheinlich Heiden
(vgl. auch Mk 8,13 mit Mt 15,39 ). Jesus heilte sie, und sie priesen
den Gott Israels . Auf diese Weise zeigte Jesus, was er für die
Heiden wie auch für die Juden tun wird, wenn sein gerechtes
Tausendjähriges Reich auf Erden errichtet sein wird. Er tat das drei Tage lang. Dann jammerte
ihn das Volk ( splanchnizomai ; vgl. den Kommentar zu Mt 9,36; Lk
7,13 ), und er wollte die Menschen nicht hungrig gehen lassen . Doch
die Jünger wandten ein, wie sie in der Wüste (vgl. Mt 14,15 ) genug
Lebensmittel kaufen sollten, um eine so große Menge zu sättigen .
Als Jesus sie fragte, wieviel sie denn selbst dabei hätten,
antworteten sie, der ganze Vorrat bestehe aus sieben (Broten) und
ein paar Fischen . Die Jünger müssen geahnt haben, daß Jesus sie
wieder dazu einsetzen wollte, die Menge zu speisen, wie er es schon
früher getan hatte ( Mt 14,13-21 ). Jesus ließ das Volk sich auf die
Erde lagern und nahm die sieben Brote und die Fische, dankte und gab
sie seinen Jüngern, und die Jünger gaben sie dem Volk . Nachdem die
Menge - diesmal etwa 4 000 Männer, außerdem Frauen und Kinder -
gegessen hatte und satt war, blieben sieben Körbe voll übrig. Dieses Wunder zeigte, daß die Segnungen,
die die Jünger des Herrn weitergaben, nicht nur Israel, sondern auch
den Heiden zugute kommen sollten ( Mt 14,13-21 ). Am deutlichsten
wird das vielleicht in Apg 10-11 , wo Petrus das Evangelium im Haus
des römischen Hauptmanns Kornelius verkündet. Nachdem Jesus das Volk
hatte gehen lassen , kehrte er an die Westküste des Sees Genezareth
zurück und kam in das Gebiet von Magadan (ein anderer Name für
Magdala, nördlich von Tiberias). Maria Magdalena ( Mt 27,56 )
stammte aus Magdala, auch Dalmanuta genannt ( Mk 8,10 ). b. Der zweite Streit und seine Folgen ( 16,1-12 ) Mt 16,1-4 ( Mk 8,11-13; Lk 12,54-56 ) Bei seiner
Rückkehr nach Israel wurde Jesus erneut mit den religiösen Führern,
und zwar mit den Pharisäern und Sadduzäern, konfrontiert. Sie
versuchten ihn und forderten ihn auf, sie ein Zeichen vom Himmel
sehen zu lassen . Damit machten sie nochmals deutlich, daß sie die
Zeichen, die er bisher vor ihren Augen getan hatte, nicht
anerkannten (vgl. Mt 12,38 ). Sie wollten ein spektakuläreres
Zeichen als die Heilungen sehen, um glauben zu können. Jesu Antwort
war wiederum vernichtend, er nannte sie ein böses und abtrünniges
Geschlecht ( Mt 16,4; vgl. 12,39 ). Sie beobachteten zwar sorgfältig
den Himmel und konnten recht gut vorhersagen, ob es ein schöner Tag
werden oder ob ein Unwetter kommen würde. Doch die geistlichen
Zeichen der Zeit, die sich auf Jesus Christus bezogen und von denen
sie umgeben waren, nahmen sie nicht wahr. Einem solchen bösen
Geschlecht würde keine Sonderbehandlung zuteil werden. Jesus
vollbrachte Wunder nicht um ihrer selbst willen. Er war keine
Marionette, die auf Befehl funktionierte. Das einzige Zeichen, das
sie erhalten sollten, würde deshalb das Zeichen des Jona sein, wie
er ihnen schon zuvor gesagt hatte ( Mt 12,38-42 ), doch sie sollten
es erst begreifen, wenn es zu spät war. Mt 16,5-12 ( Mk 8,14-21 ) Als Jesus die religiösen
Führer verließ, warnte er seine Jünger vor dem Sauerteig der
Pharisäer und Sadduzäer . Da er von "Sauerteig" sprach, dachten die
Jünger, er wolle sie tadeln, weil sie vergessen hatten, Brot
mitzunehmen . Doch Jesus hatte nicht vom fehlenden Brot gesprochen.
Er erinnerte sie daran, wie er bei früheren Gelegenheiten die Brote
und Fische vermehrt hatte, so daß sogar noch etwas übrigblieb ( Mt
14,13-21;15,29-38 ). Es ging hier nicht um Nahrung, für die Jesus,
wenn sie benötigt wurde, sorgte. Da die Jünger ihm hierin immer noch
nicht vertrauten, nannte er sie wieder Kleingläubige ( Mt 16,8; noch
dreimal spricht Jesus im Matthäusevangelium von "Kleingläubigen": Mt
6,30; 8,26; 14,31 ). Dann wiederholte er nochmals seine Warnung:
"Hütet euch vor dem Sauerteig der Pharisäer und Sadduzäer!" ( Mt
16,6 ). Deren Lehre war wie alles durchdringender Sauerteig, der das
Volk verdarb. V. Jesu Lehren für die Jünger ( 16,13-20,34 ) A. Seine Selbstoffenbarung ( 16,13-17,13 ) 1. Die Person des Messias ( 16,13-16 ) ( Mk 8,27-30; Lk 9,18-21 ) Mt 16,13-16 Jesus und seine Jünger verließen das
Gebiet um den See Genezareth und gingen etwa 50 Kilometer nach
Norden, nach Cäsarea Philippi , der Stadt Cäsarea in der Tetrarchie
von Herodes Philippus, dem Bruder von Herodes Antipas. Dort befragte
Jesus die Jünger nach ihrem Glauben. Zunächst fragte er, was die
Leute über ihn sagten. Die Auskünfte waren durchaus schmeichelhaft,
das Volk hielt Jesus unter anderem für Johannes den Täufer , für
Elia , für Jeremia oder für einen der Propheten . Seine Lehre hatte
zwar mit der der genannten Personen Ähnlichkeit, doch die Antworten
waren natürlich falsch. Deshalb fragte er nun die Jünger: "Wer sagt
denn ihr, daß ich sei?" Stellvertretend für die Jünger sprach
Petrus die berühmt gewordenen Worte: "Du bist Christus, des
lebendigen Gottes Sohn!" Als der "Christus" war er der Messias. Ho
christos ist das griechische Wort des Neuen Testamentes für das
alttestamentliche mASIaH , "der Gesalbte". In ihm sind alle
Verheißungen Gottes für das Volk erfüllt. Das Alte Testament machte
auch klar, daß der Messias mehr ist als ein Mensch; er ist Gott (
Jes 9,5; Jer 23,5-6; Mi 5,3 ). Petrus erkannte die Gottheit Jesu an,
als er ihn den Sohn des lebendigen Gottes nannte. Die Jünger waren
zu dieser Schlußfolgerung gekommen, nachdem sie den Herrn über
längere Zeit beobachtet hatten und Zeugen seiner Wunder und seiner
Worte geworden waren. 2. Der Plan des Messias ( 16,17-26 ) Mt 16,17-20 Der Herr lobte Petrus für seine Worte. Er
pries ihn "selig" , daß er zu dieser Erkenntnis über die Person des
Christus gekommen war, und verhieß ihm großen Segen. Doch er fügte
hinzu, daß er nicht von selbst zu dieser Einsicht habe kommen
können; Gott, der Vater im Himmel , mußte es ihm offenbart haben.
Schon bei ihrer ersten Begegnung hatte Jesus gesagt, Simon würde von
nun an Kephas (das aramäische Wort für "Fels") oder Petrus (das
griechische Wort für "Fels") heißen ( Joh 1,42 ). Petrus lebte dann
auch wirklich seinem Namen entsprechend und erwies sich tatsächlich
als Fels. Das Bekenntnis des Petrus wurde für Jesus
zum Anlaß, sein messianisches Programm darzulegen. Petrus ( Petros ,
Maskulinum) war stark wie ein Fels, doch Jesus fuhr fort, daß er auf
diesem Felsen ( petra , Femininum) seine Gemeinde bauen wolle. Die
Änderung des Geschlechts im Griechischen brachte manche
konservativen Exegeten zu der Ansicht, daß Jesus seine Gemeinde auf
sich selbst bauen wollte. Andere Forscher vertreten die These, daß
Petrus und die übrigen Apostel die Grundsteine bilden, auf denen das
Gebäude der Kirche ruht ( Eph 2,20; Offb 21,14 ). Wieder andere sind
schließlich der Auffassung, daß die Gemeinde auf dem Zeugnis des
Petrus errichtet ist. Am plausibelsten scheint mir, tatsächlich
davon auszugehen, daß Jesus Petrus für seine richtige Aussage lobte
und dann davon sprach, daß er die Gemeinde auf sich selbst errichten
werde ( 1Kor 3,11 ). Der Bau seiner Gemeinde lag jedoch noch
in der Zukunft; er hatte noch nicht damit begonnen. Jesus sagte:
"Ich will meine Gemeinde bauen" (Futur), denn zunächst mußte er sein
Werk in Israel beenden. Das würde auch erklären, weshalb er sagte,
daß nicht einmal die Pforten der Hölle sein Vorhaben zunichte machen
sollten. Für die Juden waren die Pforten der Hölle gleichbedeutend
mit dem physischen Tod. Somit sagte Jesus seinen Jüngern, daß auch
sein Tod den Bau der Gemeinde nicht verhindern werde. Kurz darauf (
Mt 16,21 ) sprach er direkt von seinem unmittelbar bevorstehenden
Tod. Er sah also seinen Tod und seinen Sieg über den Tod in der
Auferstehung voraus. Erst danach , an Pfingsten, würde der
Aufbau seiner Gemeinde beginnen, bei dem Petrus und die anderen
Apostel eine wichtige Rolle spielen sollten. Nach Jesu Worten sollte
Petrus dabei weitreichende Kompetenzen erhalten: die Schlüssel des
Himmelreiches würden ihm verliehen werden. Ein "Schlüssel" war ein
Zeichen von Autorität. Ein vertrauenswürdiger Diener verwahrte
jeweils die Schlüssel zu den Besitztümern seines Herrn und
verwaltete sie (vgl. "die Schlüssel des Todes und der Hölle", Offb
1,18 ,und "den Schlüssel Davids", Offb 3,7 ,die Jesus besitzt).
Petrus' Schlüsselgewalt sollte ihm die Macht geben, Menschen zu
binden und zu lösen . Er war darin allerdings nur ein ausführendes
Werkzeug von Entscheidungen, die zuvor im Himmel getroffen wurden.
Sein Vorrecht zu binden und zu lösen wurde in seinem Leben besonders
deutlich daran, daß er es war, der am Pfingsttag das Evangelium
verkündete und all jenen, die zum rettenden Glauben kamen, sagen
durfte, daß ihre Sünden vergeben waren ( Apg 2 ). Dasselbe tat er
dann auch im Haus des römischen Hauptmanns Kornelius ( Apg 10 ).
Aber Petrus war nicht der einzige Jünger, der das Recht hatte,
Sünden zu vergeben, auch die anderen Jünger hatten diese Macht ( Joh
20,22-23 ). Nach dieser großen Ankündigung über die
zukünftige Kirche gebot Jesus den Jüngern, niemandem zu sagen, daß
er der Christus , der Messias, sei. Der Herr wußte, daß es für
Israel zu spät war, sein Angebot anzunehmen, und daß seine
endgültige Ablehnungnäher rückte. Seine Jünger hatten keinen Grund,
sich mit der Bekehrung eines Volkes abzumühen, das sich bereits von
seinem Messias abgewandt hatte. Mt 16,21-26 ( Mk 8,31-38; Lk 9,22-25 ): Jesus
erklärte seinen Jüngern, daß sein Tod nahe bevorstehe und daß er
nach Jerusalem gehen und von den religiösen Führern viel erleiden
müsse . Schließlich würde er getötet werden , doch am dritten Tage
würde er wieder von den Toten auferstehen. Diese Passage enthält die
erste Ankündigung von Jesu Tod im Matthäusevangelium, die zweite und
dritte stehen in Mt 17,22-23 und in Mt 20,18-19 . Als Petrus diese Worte hörte, nahm er
Jesus beiseite und fuhr ihn an . Der Jünger, den der Herr soeben
gesegnet hatte, begriff offensichtlich nicht recht, was sein Meister
wollte. Petrus konnte nicht einsehen, wie Jesus der Messias sein und
doch von den Pharisäern und Schriftgelehrten umgebracht werden
konnte. Er war wahrscheinlich so schockiert, Jesus von seinem Tod
sprechen zu hören, daß er den Hinweis auf die Auferstehung überhaupt
nicht mitbekommen hatte. Seine Auflehnung gegen das Bevorstehende
brachte ihm jedoch einen Verweis des Herrn ein, denn Petrus übernahm
hier die Rolle des Satans . Dabei sprach Jesus Satan, der Petrus als
Werkzeug zu benutzen versuchte, direkt an. Er hatte ihm schon
einmal, bei der Versuchung in der Wüste, befohlen, von ihm zu
weichen ( Mt 4,10 ), und wiederholte diesen Befehl nun. Petrus
wollte den Tod des Herrn vermeiden, der doch in erster Linie aus
diesem Grund in die Welt gekommen war. Jeder Versuch, die Kreuzigung
zu verhindern, wie es der Satan auch früher bereits versucht hatte (
Mt 4,8-10 ), widersprach eindeutig dem Plan Gottes. Petrus wollte, daß Jesus seinem Plan
folge, doch der Herr zeigte ihm, daß Jüngerschaft einen Preis hat.
Sie bedeutet nicht sofortige Herrlichkeit. Wer Jesus nachfolgen
will, muß zunächst sich selbst und alle seine Bestrebungen
verleugnen . Er muß sein Kreuz auf sich nehmen und dem Herrn folgen
(vgl. Mt 10,38 ). Im römischen Reich wurde ein verurteilter
Verbrecher, wenn er zur Kreuzigung geführt wurde, gezwungen, sein
Kreuz selbst zu tragen. Damit wurde öffentlich demonstriert, daß er
sich jetzt dem Recht unterwarf, gegen das er verstoßen hatte. Ebenso
mußten die Jünger Jesu ihre Unterwerfung unter den, gegen den sie
sich aufgelehnt hatten, zeigen. Der Weg, den Jesus und seine
Nachfolger gehen sollten, würde ein Weg des Schmerzes und des
Leidens sein. Doch wer so sein Leben verlor , würde mit Sicherheit
ein besseres Leben finden . Ähnliches hatte Jesus bereits in bezug
auf das Verhältnis zur Familie gesagt ( Mt 10,35-39 ); hier ( Mt
16,24-25 ) bezieht sich diese Aussage auf Petrus' Mißverständnis
über das, was den Messias und seine Jünger erwartete, und auf den
Preis der Jüngerschaft. Wenn ein einzelner, indem er sein Leben
erhält, die ganze Welt gewinnen könnte, doch dabei Schaden an seiner
Seele nähme , was würde ihm dann der Besitz der Welt noch nützen?
Wahre Jüngerschaft beinhaltet die Nachfolge Jesu und die
Unterwerfung unter seinen Willen, wo auch immer der Weg hinführen
mag. Matthäus 3. Das Reich des Messias ( 16,27-17,13 ) Mt 16,27-28 ( Mk 9,1; Lk 9,26-27 : Im Zuge der
weiteren Unterweisung der Jünger ging Jesus auch in prophetischer
Weise auf seine Wiederkunft ein, wenn er, der Menschensohn, in der
Herrlichkeit seines Vaters mit seinen Engeln zurückkehren wird (vgl.
Mt 24,30-31; 2Thes 1,7 ). Als "der Sohn ... Gottes" ( Mt 16,16 ) war
er göttlichen Wesens, und als der "Menschensohn" war er Mensch (vgl.
den Kommentar zu Mt 8,20 ). Bei diesem zweiten Kommen wird der Herr
seinen Jüngern ihre Treue vergelten. Jesus sagte in diesem
Zusammenhang auch, daß es einigen der Jünger, die hier bei ihm
standen, noch vor ihrem Tod gestattet sein werde, den Menschensohn
in seinem Reich kommen zu sehen. Diese Äußerung führte zu vielen
Mißverständnissen über das kommende Reich, obwohl im folgenden
Ereignis, der Verklärung, eine Erklärung für sie zu finden ist ( Mt
17,1-8 ). Matthäus Mt 17,1-8 ( Mk 9,2-13; Lk 9,28-36 ): Daß Matthäus
ausgerechnet an dieser Stelle ein neues Kapitel beginnt, unterbricht
den Fluß der biblischen Erzählung in nicht sehr glücklicher Weise.
Jesus hatte gerade gesagt, daß einige der anwesenden Jünger nicht
sterben sollten, bevor sie nicht den Menschensohn in seinem Reich
kommen sahen ( Mt 16,28 ). An diese Feststellung wird sechs Tage
später wieder angeknüpft, als nämlich Jesus Petrus und Jakobus und
Johannes allein auf einen hohen Berg mitnahm. Nach der Chronologie
von Lukas fand das Ereignis "etwa acht Tage" danach statt ( Lk 9,28
), wobei er einfach den ersten und den letzten Tag zu den sechs
dazwischenliegenden Tagen hinzuzählt. Bei dem "hohen Berg" handelt
es sich vielleicht um den Hermon bei der Stadt Cäsarea Philippi
(vgl. die Karte), in deren Umkreis Jesus sich damals aufhielt ( Mt
16,13 ). Dort oben wurde Jesus vor den Augen der
drei Jünger verklärt ( metemorphOthE , "nahm eine andere Gestalt
an"; vgl. Mt 17,2; 2Kor 3,18 ). Seine Herrlichkeit wurde offenbar.
Sie leuchtete auf seinem Angesicht und auf seinen Kleidern , die
weiß wie das Licht wurden. Mose und Elia kamen in sichtbarer Gestalt
vom Himmel herab und redeten mit Jesus (ein Beweis dafür, daß es
nach dem Tod ein bewußtes Weiterleben gibt). Lukas schreibt
ergänzend, daß Mose und Elia mit Jesus über seinen bevorstehenden
Tod sprachen ( Lk 9,31 ). Warum erschienen von allen Personen des
Alten Testaments in diesem Moment ausgerechnet Mose und Elia?
Vielleicht repräsentieren diese beiden Männer, zusammen mit den
Jüngern, alle Kategorien von Menschen, die in Jesu kommendes Reich
eingehen werden. Die Jünger stehen für die Individuen, die
lebendigen Leibes anwesend sein werden. Mose dagegen steht für die
Geretteten, die starben oder sterben werden. Und Elia schließlich
steht für die Geretteten, die nicht sterben, sondern lebendig in den
Himmel entrückt werden ( 1Thes 4,17 ). Diese drei Gruppen werden
dabei sein, wenn Jesus sein Reich auf Erden errichtet. Der Herr wird
in seiner Herrlichkeit kommen wie bei der Verklärung, und das Reich
wird auf Erden Wirklichkeit werden, wie es sich hier andeutete. Die
Jünger erlebten also tatsächlich so etwas wie einen Vorgeschmack des
Reiches, das der Herr verhieß ( Mt 16,28 ). Petrus schien die ungeheure Bedeutung
dieses Ereignisses zu empfinden, denn er schlug vor, an diesem Ort
drei Hütten (zu) bauen , eine für Jesus, eine für Mose und eine für
Elia. Für ihn war das, was hier geschah, die Erfüllung des jüdischen
Laubhüttenfestes, das zurückverweist auf die vierzigjährige
Wanderung in der Wüste und vorwärtsdeutet auf die Zeit, wenn das im
gelobten Land versammelte Israel sich der Segnungen seines Gottes
erfreuen wird. Petrus schätzte damit das Geschehen durchaus richtig
ein (er sah das Reich), er irrte sich jedoch im Zeitpunkt. Als Petrus noch redete , sprach auf
einmal eine andere, größere Stimme aus einer lichten Wolke , die sie
überschattete . Die Stimme sagte: "Dies ist mein lieber Sohn, an dem
ich Wohlgefallen habe; den sollt ihr hören!" (vgl. Mt 3,17 ). Diese
Bestätigung des Gottessohnes durch die Stimme des Vaters war für die
Jünger ein prägendes Erlebnis. Noch Jahre später, als Petrus seinen
zweiten Brief schrieb, bezog er sich auf dieses Ereignis ( 2Pet
1,16-18 ). Die erschrockenen Jünger fielen auf ihr Angesicht. Als
der Herr schließlich zu ihnen sagte, sie sollten aufstehen, sahen
sie niemand als Jesus allein ; Mose und Elia waren verschwunden. Matthäus Mt 17,9-13 Auf dem Weg hinunter ins Tal befahl Jesus
den drei Jüngern, zu niemand von dieser Erscheinung zu sprechen, bis
er von den Toten auferstanden sei (vgl. Mt 16,20 ). Etliche hatten
bereits versucht, Jesus gewaltsam zum König zu krönen, und wenn
dieses Ereignis bekannt geworden wäre, hätten vielleicht andere
Gruppierungen dasselbe versucht. Das Geschehen auf dem Berg war ein
Ausblick auf das kommende Reich des Messias gewesen, trotzdem waren
die Jünger verwirrt. Es war immer wieder gesagt worden, daß zuerst
Elia zurückkehren müsse, bevor der Messias kommen könne. Jesus
erklärte ihnen, daß Elia tatsächlich kommen und alles zurechtbringen
müsse (vgl. Mal 3,23 ), daß das jedoch in der Person Johannes des
Täufers bereits geschehen, aber nicht erkannt worden sei. Statt ihn
aufzunehmen, hatten die Schriftgelehrten und Pharisäer auch ihn
abgelehnt. Ihr Widerstand gegen das Amt des Täufers implizierte im
Grunde bereits die spätere Ablehnung des Messias. Bei der ersten
Ankündigung der Geburt des Johannes war seinem Vater Zacharias
gesagt worden, daß er "im Geist und in der Kraft Elias" vor dem
Herrn hergehen werde ( Lk 1,17 ). Auch die früheren Worte des Herrn
über Johannes bestätigten, daß er der verkündete Elia gewesen wäre,
wenn das Volk ihm geglaubt hätte ( Mt 11,14 ). Alles, was erfüllt
werden mußte, um das Reich des Messias heraufzuführen, war
geschehen, und es hing einzig und allein vom Volk ab, seinen
rechtmäßigen König anzuerkennen. Matthäus B. Seine Weisungen an die Jünger ( 17,14-20,34 ) 1. Weisungen in bezug auf den Glauben ( 17,14-21 ) ( Mk 9,14-29; Lk 9,37-43 a) Mt 17,14-21 Als Jesus und die kleine Gruppe der
Jünger zu den anderen zurückkamen, hatte sich eine Menschenmenge
versammelt, weil ein Mann mit einem mondsüchtigen Sohn bei den
übrigen neun Aposteln Hilfe gesucht hatte. Es war ihnen jedoch nicht
gelungen, den bösen Geist (V. 18 ), von dem der Knabe besessen war
und der die epileptischen Anfälle verursachte, auszutreiben. Daher
wandte sich der Vater nun an Jesus, fiel ihm zu Füßen und redete ihn
mit "Herr" an. Der Junge hatte unter der Epilepsie schwer zu leiden
und geriet häufig in Gefahr, denn während seiner Krampfanfälle fiel
er zum Teil sogar ins Feuer oder ins Wasser . Markus berichtet
außerdem, daß er Schaum vor dem Mund hatte ( Mk 9,18.20 ). Jesus
befahl, den Knaben zu ihm zu bringen, und tadelte nicht nur die
Jünger, sondern die ganze anwesende Menge für ihre Kleingläubigkeit.
Er vertrieb den bösen Geist sofort aus dem Körper des Jungen und
machte ihn noch zu derselben Stunde gesund (vgl. Mt 15,28 ). Auf die Frage der Jünger, warum sie den
Patienten nicht hatten heilen können, entgegnete Jesus, ihr
Kleinglaube habe sie daran gehindert (vgl. im Gegensatz dazu den
"großen Glauben" des römischen Hauptmanns [ Mt 8,10 ] und der
kanaanitischen Frau [ Mt 15,28 ]). Dabei genügt schon ein Glaube von
der Größe eines Senfkorns (vgl. den Kommentar zum Bild des Senfkorns
in Mt 13,31 ), um einen Berg zu versetzen, vorausgesetzt, die Bitte
steht im Einklang mit Gottes Willen. Bei Gott sind alle Dinge
möglich (vgl. Mt 19,26; Lk 1,37 ). (Manche griechischen
Handschriften fügen bei Mt 17,21 noch hinzu: "Aber diese Art fährt
nur aus durch Beten und Fasten."; vgl. Mk 9,29 .) Jesus war dabei,
die Jünger auf ihr zukünftiges Amt vorzubereiten. Ihr Kleinglaube
und ihre mangelnde Orientierung am Wort des Herrn sollte ihnen noch
häufig zu schaffen machen. Das Wort des Herrn reichte aus, um
Menschen zu heilen, doch die Werke der Jünger würden daneben noch
großen Glauben und ständigen Kontakt zum Herrn durch das Gebet
erfordern. Wenn diese drei Elemente gegeben waren, könnten die
Jünger alle erdenklichen Wunder tun, solange sie dabei den Willen
Gottes befolgten. Matthäus 2. Weisungen in bezug auf Jesu Tod ( 17,22-23 ) ( Mk 9,30-32; Lk 9,43-45 ) Mt 17,22-23 Wieder erinnerte der Herr die Jünger
daran, daß er in die Händeseiner Widersacher überantwortet werden
sollte und schlechte Menschen ihn töten würden. Jesus erwartete also
seinen Tod. Er war Herr über sein Leben, und niemand konnte es ihm
gegen seinen Willen nehmen ( Joh 10,11.15.17.18 ). Er sagte seinen
Jüngern aber auch, daß der Tod nicht das Ende für ihn sein und daß
er am dritten Tag wieder auferstehen würde. Anders als zuvor ( Mt
16,21-23 ) nahmen die Jünger die Todesankündigung diesmal ohne
erkennbaren Widerspruch hin. Sie wurden nur sehr betrübt über die
Worte des Herrn. Man fragt sich angesichts ihrer Reaktion, ob sie
die ganze Botschaft gehört hatten oder nur den Hinweis auf seinen
Tod. Matthäus 3. Weisungen in bezug auf das Verhalten
gegenüber dem Staat ( 17,24-27 ) Mt 17,24-27 Als Jesus und die Jünger wieder nach
Kapernaum kamen , warteten Steuereintreiber auf sie. Es war üblich,
daß jeder Jude über 20 jährlich einen Tempelgroschen im Wert von
einem halben Schekel bzw. zwei Drachmen für den Unterhalt des
Tempels zahlte (vgl. 2Mo 30,13-15; Neh 10,33 ). Sowohl Petrus als
auch Jesus hatten diese Gebühr im betreffenden Jahr offensichtlich
nicht bezahlt ( Mt 17,27 b), daher hielten sich die Zöllner nun an
Petrus. In ihrer Frage, ob sein Meister denn nicht den
Tempelgroschen bezahle, schwang unausgesprochen der Vorwurf mit, daß
Jesus das Gesetz nicht befolge. Petrus entgegnete, daß Jesus die
Steuer vorschriftsmäßig bezahlen werde. Noch bevor er dem Herrn von dem Vorfall
Mitteilung machen konnte, kam ihm Jesus zuvor und fragte ihn, ob die
Könige Zoll oder Steuern jeweils von ihren Kindern oder von Fremden
erheben . Petrus antwortete, daß die Könige von Familienmitgliedern
keine Steuern einnähmen, da sie frei seien, sondern daß sie sie von
den Fremden nähmen. Der Herr wollte Petrus damit sagen, daß nicht
nur er als König, sondern auch seine Jünger, als Kinder des
Gottesreiches, eigentlich von solchen Steuern befreit sein müßten
(V. 26 ). Sie hatten eine privilegierte Stellung, und der König gab
ihnen alles, was sie brauchten. Doch diesmal wollte Jesus keine
Auseinandersetzung provozieren ( keinen Anstoß geben ; V. 27 ). Die
Pharisäer waren ohnehin ständig auf der Suche nach Anschuldigungen
gegen ihn, und er wollte ihnen keine Handhabe bieten. Petrus durfte
also etwas tun, was ihm Freude machte: Der Herr schickte ihn zum
Fischen. Er sollte seine Angel auswerfen und einen ganz besonderen
Fang machen. Der erste Fisch , den er fangen sollte, würde in seinem
Maul ein Zweigroschenstück tragen - genau die Summe, die Petrus
brauchte, um die Steuer für sich selbst und für den Herrn zu
bezahlen. Matthäus erzählt die Geschichte zwar
nicht zu Ende, doch man darf annehmen, daß Petrus tat, wie ihm
befohlen war: den Fisch fing, das Geldstück fand und die Steuer
bezahlte. Der kleine Vorfall macht deutlich, daß Jesus sich in
bestimmten Dingen durchaus der herrschenden Autorität unterwarf. 4. Weisungen in bezug auf die Demut ( 18,1-6 ) ( Mk 9,33-37.42; Lk 9,46-48 ) Mt 18,1-6 Während sie sich noch in Kapernaum
aufhielten, stellten die Jünger Jesus eine Frage, die sie zweifellos
schon lange untereinander diskutiert hatten: "Wer ist der Größte im
Himmelreich?" Die Jünger erwarteten offensichtlich noch immer ein
irdisches Reich und stellten sich vor, was für wichtige Stellungen
sie dort wohl einnehmen würden. Statt einer Antwort rief Jesus ein
Kind ( paidion ) zu sich, das nach dem Gesetz keinerlei Rechte besaß
und stellte es mitten unter sie . Er sagte den Jüngern, daß sie eine
Umkehrung ihres Denkens nötig hätten. Die Größe im Himmelreich hängt
nicht von großen Werken oder Worten ab, sondern von der kindlichen
Demut des Geistes. Jesu Antwort zeigte den Jüngern, daß sie die
falsche Frage stellten. Sie sollten sich darum kümmern, wie sie dem
Herrn am besten dienen konnten, statt sich Gedanken darüber zu
machen, welchen Rang sie im Himmelreich hätten. Ihr Dienst aber
mußte ganz auf die Menschen ausgerichtet sein, denn Jesus sprach
davon, ein solches Kind in seinem Namen aufzunehmen . Kinder wurden
in der damaligen Zeit nur wenig beachtet, doch Jesus übersah auch
sie nicht. Er warnte vielmehr alle die streng, die diesen Kleinen,
die an ihn glaubten , Stolpersteine in den Weg werfen.
(Interessanterweise können Kinder an Jesus glauben und tun es auch!)
"Zum Abfall verführen" ist die Übersetzung des Verbs skandalisE ,
"angreifen, zu Fall bringen", das bei Matthäus 13mal vorkommt. Für
so jemanden wäre es besser, daß ein Mühlstein an seinen Hals gehängt
und er ersäuft würde im Meer, wo es am tiefsten ist . Ein wahrhaft
demütiger Mensch kümmert sich nicht um Stellung oder Macht, sondern
darum, wie er den Menschen, vor allem denen, die in Not sind, am
besten helfen kann. 5. Weisungen in bezug auf Versuchungen ( 18,7-14 ) Mt 18,7-11 ( Mk 9,43-48 ) Im Folgenden lenkte Jesus
das Gespräch auf die, die zum Abfall verführen . Ganz offensichtlich
gab es in Jesu Zeit solche Menschen, doch sie waren dem Gericht
Gottes ( Weh , zweimal: Mt 18,7; ewiges Feuer , V. 8 ; das höllische
Feuer , V. 9 ) verfallen, weil sie sich nicht um die Ursache ihrer
Sünde kümmerten. Jesus predigte keine Selbstverstümmelung, wenn er
vom Abhauen der Hand oder des Fußes oder vom Ausreißen des Auges
sprach (vgl. Mt 5,29-30 ). Das hätte nicht die eigentliche Quelle
des Übels, die ja im Innern des Menschen liegt, beseitigt (vgl. Mt
15,18-19 ). Nach den Worten Jesu muß alles entfernt werden, was zum
Abfall verführt. Dazu sind häufig radikale Veränderungen nötig. Die
Jünger wurden nicht umsonst daran erinnert, welchen Wert der Herr
diesen Kleinen ( mikrOn toutOn ; vgl. Mt 18,6.14 ) beimaß. Kinder
sind Gott wichtig. Es ist möglich, daß Gott die Sorge für die
kleinen Kinder einer besonderen Gruppe von Engeln ( ihren Engeln )
anvertraut hat, die in ständigem Kontakt mit dem himmlischen Vater
stehen (vgl. Ps 91,11; Apg 12,15 ). (Manche griechischen
Handschriften fügen hier den Vers Mt 18,11 an: "Denn der
Menschensohn ist gekommen, selig zu machen, was verloren ist", der
vielleicht aufgrund von Lk 19,10 eingefügt wurde.) Mt 18,12-14 ( Lk 15,3-7 ) Um den Jüngern
klarzumachen, wie ernst Gott die Kinder nimmt, erzählte Jesus ihnen
ein Gleichnis. Angenommen, ein Mann, der hundert Schafe besitzt,
stellt plötzlich fest, daß nur noch neunundneunzig da sind. Läßt er
nicht die neunundneunzig zurück und sucht nach dem verirrten , bis
er es findet? Genauso ist auch Gott ( euer Vater im Himmel ; vgl. Mt
18,10 ) in Sorge um diese Kleinen (vgl. V. 6.10 ) und will keines
von ihnen verlieren. Daher muß sorgfältig darauf geachtet werden,
daß sie nicht zum Abfall verführt werden. 6. Weisungen in bezug auf die
Zurechtweisung in der Gemeinde ( 18,15-20 ) ( Lk 17,3 ) Mt 18,15-20 Der Herr hatte soeben über die
Möglichkeit, vom rechten Weg abzukommen, gesprochen. Nun ging er
darauf ein, was zu tun ist, wenn bereits gesündigt wurde und die
Sünde an den Tag kommt. Wenn ein Bruder am anderen sündigt , sollen
die beiden die Angelegenheit unter sich besprechen. Kann der Streit
so beigelegt werden, muß weiter nichts unternommen werden. Doch wenn
der Bruder, der gesündigt hat, nicht auf den anderen hört, soll der
Fall durch zwei oder drei weitere Zeugen bestätigt werden. Diese
Regelung stimmte mit den Vorschriften des Alten Testaments ( 5Mo
19,15 ) überein. Wenn derjenige, dersich die Verfehlung zuschulden
kommen ließ, auch dann noch keine Einsicht zeigte, sollte die ganze
Gemeinde oder "Kirchenversammlung" herangezogen werden. Die Jünger
verstanden Jesus damals wahrscheinlich so, daß sie die Angelegenheit
vor den jüdischen Rat bringen sollten. Nach der Gründung der Kirche
an Pfingsten gewannen diese Worte jedoch eine klarere und
weitreichendere Bedeutung für sie. Jemand, der durch gar nichts zu
bewegen war, seine Sünde zuzugeben, sollte schließlich wie ein
Außenseiter (wie ein Heide und Zöllner) behandelt werden. Dieses Gemeinschaftswerk wurde allen
Aposteln anvertraut (das "ihr" bezieht sich eindeutig auf alle
Jünger). Ihr bindendes und lösendes Wirken in der Gemeinde sollte
dabei immer im Einklang mit dem himmlischen Willen geschehen ( Mt
18,18; vgl. den Kommentar zu Mt 16,19 ). Daneben sollten sie sich
zum gemeinschaftlichen Gebet versammeln, denn wann immer sie sich im
Namen des Herrn versammelten , wollte er mitten unter ihnen sein.
Und wenn zwei sich eins würden auf Erden, worum sie bitten wollen ,
sollte es ihnen von dem Vater im Himmel widerfahren . 7. Weisungen in bezug auf das Vergeben ( 18,21-35 ) Mt 18,21-22 Petrus fragte Jesus: "Herr, wie oft muß
ich denn meinem Bruder, der an mir sündigt, vergeben? Genügt es
siebenmal?" Der Vorschlag des Petrus war eigentlich schon recht
großzügig bemessen, denn die traditionelle rabbinische Lehre
forderte nur die dreimalige Vergebung. Jesus verlangte jedoch weit
mehr: "Nicht sieben, sondern siebzigmal siebenmal" , also 490mal
sollte er vergeben. Dem Vergeben sind also offensichtlich keine
Grenzen gesetzt. Um das zu veranschaulichen, erzählte der Herr
wieder ein Gleichnis. Mt 18,23-35 Er sprach von einem König, der mit seinen
Knechten abrechnen wollte . Einer von ihnen schuldete ihm die
riesige Summe von zehntausend Zentnern Silber . Das entspricht
wahrscheinlich mehreren Millionen Mark, denn der "Zentner", wie
Luther sagt, oder das "Talent" war vermutlich ein Goldmaß (etwa 34
Kilogramm). Als der Knecht diesen Betrag nicht bezahlen konnte,
befahl der Herr, ihn und seine Frau und seine Kinder und alles, was
er hatte, zu verkaufen , um so wenigstens einen Teil der Schuld zu
begleichen. Der Knecht bat seinen Herrn jedoch um eine Frist, in der
er alles zurückzahlen wollte. Da hatte der Herr Erbarmen mit diesem
Knecht und ließ ihn frei, und die Schuld erließ er ihm auch. Kurz danach jedoch traf derselbe Knecht
einen seiner Mitknechte , der ihm eine weit geringere Summe, 100
Silbergroschen , schuldete. (Ein Silbergroschen, ein römischer Denar
im Wert von etwa zwei Mark, war der Tageslohn eines Arbeiters.) Der
erste Knecht forderte ihn rüde auf, seine Schulden zu bezahlen, und
blieb allen Bitten des anderen gegenüber hart. Ja, er ließ den
Mitknecht sogar ins Gefängnis werfen, bis er bezahlt hätte, was er
schuldig war . Als seine Mitknechte, die die ganze Geschichte
kannten, das sahen, wurden sie sehr betrübt ( elypEthEsan ; "sehr
traurig, tief bekümmert sein"; vgl. Mt 14,9;19,22 ) und brachten bei
ihrem Herrn alles vor, was sich begeben hatte . Der rief daraufhin
den ersten Knecht nochmals zu sich und ließ ihn ins Gefängnis
werfen, weil er seinem Mitknecht gegenüber kein Erbarmen gezeigt
hatte, obwohl ihm selbst gerade eine soviel größere Schuld vergeben
worden war. Der Herr lehrte also, daß die
Vergebungsbereitschaft der empfangenen Vergebung entsprechen müsse.
Da dem ersten Knecht die ganze Schuld erlassen worden war, hätte
auch er seinem Schuldner alles erlassen müssen. Ebenso sind einem
Kind Gottes alle Sünden vergeben, wenn es an Jesus Christus glaubt.
Deshalb muß der Gläubige auch bereit sein, von Herzen zu vergeben ,
wenn jemand an ihm sündigt, ganz gleich, wie oft das geschieht (vgl.
Mt 18,21-22; Eph 4,32 ). 8. Weisungen in bezug auf die Scheidung ( 19,1-12 ) ( Mk 10,1-12 ) Mt 19,1-12 Jesus verließ Galiläa zum letzten Mal und
zog durch das Gebiet von Judäa jenseits des Jordan , das damals
unter dem Namen Peräa bekannt war, nach Jerusalem. Dabei folgte ihm,
wie schon oft, eine große Menge Menschen, die Hilfe brauchten, und
er heilte sie. Einige Pharisäer jedoch wollten ihn wieder einmal
durch eine Frage auf die Probe stellen: "Ist's erlaubt, daß sich ein
Mann aus irgendeinem Grund von seiner Frau scheidet?" Das Volk war
in diesem Punkt geteilter Meinung. Die Anhänger von Hillel waren der
Ansicht, daß ein Mann sich aus nahezu jedem beliebigen Grund
scheiden lassen dürfe, die Anhänger von Schammai dagegen glaubten,
eine Scheidung sei nur erlaubt, wenn die Frau Ehebruch begangen
hatte. Ohne sich auf diese Kontroverse einzulassen, erinnerte Jesus
die Pharisäer an Gottes ursprüngliche Absicht bei der Einsetzung der
Ehe. Gott schuf die Menschen als Mann und Frau (V. 4 ; 1Mo 1,27 ).
In der Ehe verbindet er sie durch ein unlösliches Band, dem nicht
einmal die Beziehung zwischen Eltern und Kindern gleichkommt: Denn
ein Mann (wird) Vater und Mutter verlassen und an seiner Frau hängen
und die zwei werden ein Fleisch sein ( 1Mo 2,24 ). Was nun Gott
zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden ( chOrizetO ;
vgl. 1Kor 7,10 ). Als die Pharisäer merkten, daß Jesus von
einer bleibenden ehelichen Verbindung sprach, fragten sie, warum
dann Mose seinerzeit die Scheidung vorgesehen habe ( Mt 19,7 ). Der
Herr antwortete, daß Mose dieses Zugeständnis machte, weil die
Herzen der Menschen verhärtet seien (vgl. 5Mo 24,1-4 ). "Eures
Herzens Härte wegen" heißt wörtlich "gegen die Härte eurer Herzen" (
sklErokardian ; von " sklEros ", "Härte", kommt im Deutschen das
Fremdwort "Sklerose" und von "kardian" der medizinische Fachausdruck
für "Herz", z. B. in "Kardiogramm"). Gottes Absicht war jedoch, daß
Mann und Frau für immer zusammenbleiben. Die Scheidung war nur bei
Ehebruch erlaubt (vgl. Mt 5,32 ). Die Bibelforscher sind sich über die
Bedeutung dieser "Ausnahmeregelung", die so nur bei Matthäus steht,
nicht einig, wobei vor allem das griechische Wort für "Ehebruch",
porneia , zu Kontroversen führte: 1. Nach Ansicht mancher Forscher
verwendete Jesus diesen Ausdruck als Synonym für Ehebruch ( moicheia
). In diesem Fall wäre der Ehebruch eines Partners der einzige Grund
für eine Scheidung. Über das Problem der Wiederverheiratung sind die
Anhänger dieser These allerdings verschiedener Auffassung. 2. Andere definieren porneia als eine
besondere Form der ehelichen Untreue, die nur in der Zeit
stattfinden konnte, in der ein jüdisches Paar zwar als verheiratet
galt, die Ehe jedoch noch nicht durch den Geschlechtsakt vollzogen
hatte. Wenn sich in dieser Zeit herausstellte, daß die Frau
schwanger war (wie bei Maria; Mt 1,18-19 ), konnte die Scheidung
ausgesprochen werden, wodurch der Ehevertrag nichtig wurde. 3. Wieder andere vertreten die These, daß
der Terminus porneia sich auf illegitime Ehen zwischen Verwandten
bezog, wie in 3Mo 18,6-18 .Wenn ein Mann feststellte, daß seine Frau
eine nahe Verwandte war, führte er eine Inzestehe - ein Grund, der
eine Scheidung rechtfertigte. Gestützt wird diese These angeblich
durch Apg 15,20.29 (vgl. 1Kor 5,1 ). 4. Darüber hinaus wird auch von einigen
Exegeten die Auffassung vertreten, daß porneia sich auf fortgesetzte
sexuelle Untreue ohne erkennbare Reue bezog - im Gegensatz zu einer
einmaligen verbotenen Beziehung. (Im Neuen Testament hat der
Terminus porneia einen breiteren Bedeutungshintergrund als moicheia
). Ein solcher Lebenswandel aber wäre ein Grund für eine Scheidung,
da ein so treuloses und rücksichtsloses Verhalten das Band der Ehe
zerstört. (Zum Thema Scheidung und Wiederverheiratung vgl. auch den
Kommentar zu 1Kor 7,10-16 .) Welche Haltung man auch immer gegenüber
der Ausnahmeregelung einnimmt, Jesus bestätigte mit seiner Antwort
offensichtlich den unauflöslichen Charakter der Ehe. Auf jeden Fall
verstanden diejenigen, die seine Worte hörten, sie so, denn die
Jünger meinten daraufhin, daß man, wenn die Scheidung nicht erlaubt
sei, vielleicht besser daran täte, gar nicht erst zu heiraten . Das
hatte Jesus jedoch damit nicht andeuten wollen, denn Gott hatte den
Menschen die Ehe zu ihrem Besten gegeben ( 1Mo 2,18 ). Sie sollte
ihnen helfen, die Sünde der Unzucht und der Treulosigkeit zu
vermeiden ( 1Kor 7,2 ). Doch es gibt immer einige, die entweder
sowieso keine normalen sexuellen Wünsche haben ( die von Geburt an
zur Ehe unfähig sind oder die kastriert wurden), oder die in der
Lage sind, diese Wünsche um des Himmelreichs willen zu bezähmen ( Mt
19,12; vgl. 1Kor 7,7-8.26 ). Doch es können nicht alle diese Rolle
auf sich nehmen ( Mt 19,11 ). Viele heiraten auch und dienen Gott,
indem sie sein Werk in der Welt verbreiten. 9. Weisungen in bezug auf die Kinder ( 19,13-15 ) ( Mk 10,13-16; Lk 18,15-17 ) Mt 19,13-15 Viele Eltern brachten ihre Kinder zu
Jesus, damit er die Hände auf sie legte und betete . Die Jünger aber
meinten, daß sie ihm damit nur wertvolle Zeit raubten und reagierten
mit Ärger und Ungeduld. Offensichtlich hatten sie bereits vergessen,
was Jesus ihnen über die Kinder und die Schwere der Sünde, sie zum
Abfall zu verführen, gesagt hatte (vgl. Mt 18,1-14 ). Jesus tadelte
die Jünger für ihr Verhalten und wies sie an, sie sollten die Kinder
zu ihm kommen lassen und ihnen nicht wehren. Das Himmelreich ist
keineswegs auf Erwachsene beschränkt, denn sie sind nicht mehr wert
als Kinder. Jeder, der im Glauben zum Herrn kommt, darf in sein
Reich eingehen. Dazu gehört auch ( Mt 19,15 ), daß Jesus für alle
Kinder Zeit hatte, denn er verließ das Gebiet nicht, bevor er nicht
alle gesegnet hatte. 10. Weisungen in bezug auf den Reichtum ( Mt
19,16-26 ) ( Mk 10,17-27; Lk 18,18-27 ) Mt 19,16-22 Ein Mann, der jung (V. 20 ), reich (V. 22
) und "ein Oberer" ( Lk 18,18; vielleicht ein Beamter des Sanhedrin)
war, trat zu Jesus und fragte: "Meister, was soll ich Gutes tun,
damit ich das ewige Leben habe?" Er fragte nicht, wie er gerettet
werden könne, sondern er wollte einen sicheren Weg in das Reich des
Messias wissen. Durch welches "gute Werk" konnte er sich für dieses
Reich qualifizieren? Jesus antwortete: "Gut ist nur einer" , nämlich
Gott. Wenn man nach der erforderlichen Vollkommenheit strebt ( Mt
5,48; vgl. Mt 19,21 ) muß man sich daher bemühen, so gut zu sein wie
Gott selbst. Der Jüngling muß also Gottes Gerechtigkeit besitzen,
die durch den Glauben an Jesus Christus kommt ( Röm 4,5 ).
Vielleicht erwartete Jesus danach eine Antwort von dem jungen Mann,
ein Bekenntnis zur Gottessohnschaft Jesu und zur Vollkommenheit (
agathos , "innerlich gut") des Gottessohnes, der ja eins mit dem
Vater ist. Als der Jüngling jedoch nicht antwortete,
wies Jesus ihn darauf hin, daß in das Leben (d. h. in das Leben im
künftigen Gottesreich) nur der eingehen kann, der unter Beweis
stellt, daß er gerecht ist. Da der offizielle Maßstab für
Gerechtigkeit aber das mosaische Gesetz war, riet er dem jungen
Mann, er solle die Gebote halten . Der war scharfsichtig und fragte
sofort nach: "Welche?" Denn die Pharisäer hatten den Geboten Moses
Anordnungen hinzugefügt, die weit über das hinausgingen, was Gott
mit ihnen bezweckte, so daß ganz andere Maßstäbe für Gerechtigkeit
entstanden waren. Der junge Mann fragte also im Grunde: "Muß ich
alle Vorschriften der Pharisäer halten?" Jesus antwortete darauf,
indem er mehrere Gebote - genauer gesagt das fünfte bis neunte Gebot
- aus der zweiten Gesetzestafel wiederholte: Du sollst nicht töten;
du sollst nicht ehebrechen; du sollst nicht stehlen; du sollst nicht
falsch Zeugnis geben . Auch das positive Gebot, die Eltern zu ehren
( 2Mo 20,12-16 ), zählte er auf, nicht jedoch das zehnte Gebot ( 2Mo
20,17 ) über das Begehren. Er fügte allerdings die allumfassende
Aussage hinzu, "du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst"
(vgl. 3Mo 19,18; Mt 22,39; Röm 13,9; Gal 5,14; Jak 2,8 ). Der junge Mann versicherte, er habe alle
diese Gebote gehalten , doch er fühle, daß ihm noch immer etwas
fehle ( Mt 19,20 ). Ob er die Gebote wirklich alle gehalten hatte,
weiß nur Gott. Jedenfalls war er selbst überzeugt davon. Er hatte
aber dennoch das Gefühl, daß in seinem Leben irgend etwas noch nicht
ganz in Ordnung sei. Jesus legte dann auch den Finger genau auf
diesen einen wunden Punkt, als er ihm sagte, er solle hingehen,
verkaufen, was er habe, und es den Armen geben und sich so einen
Schatz im Himmel erwerben . Eine solche Zuwendung zu den Armen wäre
ein Zeichen innerer Gerechtigkeit gewesen. Wenn der junge Mann also
tatsächlich gerecht gewesen wäre (wenn er an Jesus als Gott geglaubt
hätte), hätte er seinen Reichtum den Armen geben und Jesus
nachfolgen müssen. Statt dessen ging er jedoch betrübt davon (
lypoumenos , "sehr traurig"; vgl. Mt 14,9;18,31 ), denn er hatte
viele Güter . Seine mangelnde Bereitschaft, seinen Reichtum
aufzugeben, zeigte, daß er seinen Nächsten nicht wie sich selbst
liebte. Damit hatte er nicht alle Gebote gehalten und war nach wie
vor der Erlösung bedürftig. Es wird in der Bibel nichts weiter über
den jungen Mann berichtet. Wahrscheinlich ließ er nie seinen Besitz
hinter sich und folgte Jesus nach. Er liebte sein Geld mehr als Gott
und verletzte so auch noch das erste Gebot ( 2Mo 20,3 ). Mt 19,23-26 Jesus nahm die Begegnung mit dem reichen
Jüngling zum Anlaß für einen kurzen Exkurs an seine Jünger. Er
sagte, wie schwer es für einen Reichen sei, ins Himmelreich zu
kommen , und gebrauchte sogar den Vergleich, daß es leichter sei,
daß ein Kamel durch ein Nadelöhr gehe . Da der Jüngling sich mehr
auf seine Reichtümer verließ als auf den Herrn, war es nicht
einfacher für ihn, ins Himmelreich zu kommen, als für ein Kamel
(eines der größten von den Juden benutzten Tiere), durch "ein
Nadelöhr" ( rhaphidos , eine Nähnadel, nicht, wie manchmal
angenommen wird, ein kleines Tor innerhalb eines anderen Tores) zu
gehen. Ein Nadelöhr ist eine extrem kleine Öffnung. Die entsetzten
Jünger fragten daher: "Ja, wer kann dann selig werden?" Ihre Frage
beweist zugleich, wie groß der Einfluß der Pharisäer noch auf sie
war, denn die Pharisäer vertraten allgemein die Auffassung, Gott
schenke denen, die er liebt, Reichtum. Wenn also ein Reicher nicht
ins Himmelreich kommt, schafft es doch wohl niemand, dachten sie.
Doch Jesus machte ihnen deutlich, daß die Erlösung allein ein Werk
Gottes ist, der Freude daran hat, gerade das zu tun, was den
Menschen unmöglich scheint (vgl. Mt 17,20 ). 11. Weisungen in bezug
auf die Nachfolge und den Lohn der Nachfolge ( Mt 19,27-20,16 ) Mt 19,27-30 Jesus hatte dem reichen Jüngling gesagt,
er solle alles, was er besitze, verkaufen und ihm nachfolgen. Genau
das hatten, wie Petrus sagte, die Jünger getan. "Siehe, wir haben
alles verlassen und sind dir nachgefolgt; was wird uns dafür
gegeben?" Im Gegensatz zu dem Jüngling, der es nicht fertigbrachte,
seinen Reichtum zu verlassen (V. 22 ), hatten Petrus und die anderen
Jünger getan, was Jesus verlangte ( Mt 4,18-22;9,9; vgl. Mt 16,25 ).
Ganz sicher, so überlegte Petrus, würde Gott sie dafür belohnen, daß
sie sich nicht auf materielle Dinge verließen! Der Herr erklärte
ihm, es werde eine Wiedergeburt ( palingenesia ) aller Dinge geben.
Auch wenn das Volk jetzt sein Angebot verwarf, würde das Himmelreich
dennoch kommen und in geistlicher ( Jes 2,3;4,2-4;11,9 b) und
politischer ( Jes 2,4;11,1-5.10-11;32,16-18 ) wie auch in
geographischer und physikalischer Hinsicht ( Jes
2,2;4,5-6;11,6-9;35,1-2 ) alles erneuern. Dann wird Christus auf dem
Thron seiner Herrlichkeit sitzen (vgl. Mt 25,31; Offb 22,1 ). Erst dort, im Himmelreich, werden die
Jünger einen besonderen Platz einnehmen. Sie werden auf Thronen
sitzen und die zwölf Stämme Israels richten (vgl. Offb 21,12-14 ).
Alle, die ihr Haus und ihre Verwandten um des Herrn willen
verlassen, werden Segnungen empfangen , die sie überreich für alles
entschädigen werden, was sie verloren haben ( Mt 19,29 ). Außerdem
werden sie das ewige Leben besitzen. Es mag zwar jetzt den Anschein
haben, daß sie alles aufgeben und die Letzten sind, doch dafür wird
ihnen in der Ewigkeit alles gehören und sie werden die Ersten sein.
Umgekehrt werden die, die wie der reiche Jüngling jetzt alles zu
besitzen scheinen (die Ersten), eines Tages feststellen, daß sie
alles verloren haben (sie werden die Letzten sein; vgl. Mt 20,16 ). Mt 20,1-16 Danach erzählte Jesus das Gleichnis von
einem Hausherrn, der früh am Morgen ausging, um Arbeiter für seinen
Weinberg einzustellen . Der ausgemachte Lohn für den Tag betrug
einen Silbergroschen , den üblichen Tageslohn für einen Arbeiter.
Später, um die dritte Stunde (etwa um neun Uhr), ging er erneut auf
den Markt und warb noch mehr Leute, die dort müßig herumstanden, für
die Arbeit in seinem Weinberg, und zwar nicht für einen fest
vereinbarten Lohn, sondern für das, was recht ist. Um die sechste
(mittags), die neunte (drei Uhr nachmittags) und sogar um die elfte
Stunde (um fünf Uhr nachmittags), als nur noch eine Stunde zu
arbeiten war, ging er jeweils wieder hinaus und stellte weitere
Arbeiter ein. Als es Zeit wurde ( Abend , d. h. sechs
Uhr), den Arbeitern ihren Lohn auszuzahlen, begann er bei denen, die
am kürzesten gearbeitet hatten, und gab jedem einen Silbergroschen .
Als nun diejenigen an die Reihe kamen, die den ganzen Tag gearbeitet
hatten, meinten sie, sie würden mehr empfangen , weil sie immerzu
gearbeitet und des Tages Last und Hitze getragen hatten .
Andererseits waren sie einverstanden gewesen, für die ausgemachte
Summe zu arbeiten, die sie nun auch erhielten (V. 13 ). Der Hausherr
erklärte, er habe die Macht, mit dem, was sein sei, zu tun, was er
wolle , und ermahnte sie, nicht neidisch zu sein auf die, die kürzer
gearbeitet hatten. Jesus wollte damit sagen, daß einzig und
allein Gott, der "Hausherr" in dem Gleichnis, darüber entscheidet,
wer welche Belohnung erhält. Er ist derjenige, vor dem abgerechnet
wird. Viele, die jetzt besondere Positionen einnehmen, werden sich
eines Tages zurückgesetzt sehen. Viele, die heute meist hinten
rangieren, werden sich plötzlich ganz vorn wiederfinden: "So werden
die Letzten die Ersten und die Ersten die Letzten sein." (Diese
Aussage unterstützt auch das, was Jesus in Mt 19,28-30 sagte.) Am
Schluß wird nur noch die Bewertung Gottes zählen. 12. Weisungen in
bezug auf seinen Tod ( Mt 20,17-19 ) ( Mk 10,32-34; Lk 18,31-34 ) Matthäus Mt 20,17-19 Man kann nicht sagen, daß Jesus seine
Jünger nicht auf seinen Tod vorbereitet hätte. Schon mindestens
dreimal hatte er angekündigt, daß er sterben müsse ( Mt
12,40;16,21;17,22-23 ). Nun befand er sich auf dem Weg nach
Jerusalem (vgl. die Reisen Jesu: Mt 4,12;16,13;17,24;19,1;21,1 ) und
sagte den Jüngern erneut, daß ihn in dieser Stadt der Tod erwarte.
Hier sprach er nun auch zum ersten Mal von dem Verrat und davon, daß
er verspottet, gegeißelt und gekreuzigt werde. Docher erinnerte sie
auch daran, daß sein Tod nicht das Ende bedeute, denn er werde am
dritten Tage auferstehen (vgl. Mt 16,21;17,23 ). Die Jünger
reagierten nicht auf das, was er sagte. Vielleicht konnten sie
einfach nicht glauben, daß der Herr tatsächlich so behandelt werden
würde. 13. Weisungen in bezug auf den Ehrgeiz ( Mt 20,20-28 ) ( Mk
10,35-45 ) Mt 20,20-23 Die kurz zuvor gemachten Äußerungen Jesu
über die Wiedergeburt ( Mt 19,28 ) zogen einen kleinen Zwischenfall
nach sich. Die Mutter von Johannes und Jakobus trat zu ihm mit ihren
Söhnen und fiel vor ihm nieder . Als Jesus sie fragte, was sie
wolle, bat sie darum, daß ihre beiden Söhne in seinem Reich
besondere Ehrenplätze zugewiesen bekämen, einer zu seiner Rechten
und einer zu seiner Linken . Vielleicht hatte sie gehört, daß die
Jünger auf Thronen sitzen würden ( Mt 19,28 ) und war in typisch
mütterlichem Stolz der Ansicht, daß ihre Söhne die besten Plätze
verdienten. Jesus stellte ihr Ansinnen in bezug auf
sein Reich nicht richtig, sondern wandte sich statt dessen an die
beiden Söhne, die ihre Mutter offensichtlich zu dieser Bitte
gedrängt hatten, und fragte, ob sie den Kelch trinken könnten, den
er trinken werde . Er spielte damit auf seine bevorstehende
Gerichtsverhandlung und seinen Tod an, da er wußte, daß er verraten
würde und am Kreuz sterben mußte ( Mt 26,39.42 ). Sie antworteten
beide: "Ja, das können wir." Da sagte er, daß sie den Kelch des
Leidens und des Todes tatsächlich mit ihm trinken würden. So war es
dann auch. Jakobus erlitt schon bald nach der Kirchengründung den
Tod unter Herodes Agrippa I. ( Apg 12,1-2 ), und Johannes soll gegen
Ende des 1. Jahrhunderts als Märtyrer gestorben sein. Die Sitze zu seiner Rechten und zu seiner
Linken zu vergeben, stand Jesus jedoch nicht zu. Sie werden denen
zuteil, für die es von dem Vater , dem gnädigen und großmütigen
Richter, bestimmt ist (vgl. Mt 20,1-16 ). Dieser Bericht macht
erneut deutlich, daß die Jünger Jesu Lehre über die Demut nicht
verstanden (vgl. Mt 18,1-6 ). Auch Petrus' Frage hatte im Grunde den
Wunsch nach einer höheren Position zum Ausdruck ( Mt 19,27 )
gebracht, und die Jünger stritten sich über diesen Punkt bis zu Jesu
Tod. Mt 20,24-28 Als die übrigen zehn Jünger von der Bitte
der Mutter des Jakobus und des Johannes hörten, wurden sie unwillig
. Vielleicht ärgerten sie sich, daß sie nicht als erste an so etwas
gedacht hatten (vgl. Mt 18,1 ). Jesus war sich der Spannungen
innerhalb der Gruppe natürlich bewußt. Er rief deshalb die Zwölf zu
sich und erinnerte sie an ein paar wichtige Prinzipien, die er ihnen
immer wieder beizubringen versucht hatte. Während manche Menschen
(Herrscher und Mächtige) ihre Völker niederhalten und ihnen Gewalt
antun , sollten sich doch gerade die Jünger nicht so verhalten.
Größe im Gottesreich erwirbt man sich nicht durch Herrschaft oder
Autorität, sondern durch Dienen ( Mt 20,26-27 ). Sie sollten also
dienen, nicht herrschen. Vor Gott werden die groß sein, die dienen
und demütig sind. Das beste Beispiel für diesen Grundsatz
war der Herr selbst. Er war nicht in die Welt gekommen, daß er sich
dienen lasse, sondern daß er diene und gebe sein Leben zu einer
Erlösung für viele . Diese Formulierung enthält einen ersten Hinweis
darauf, was der Tod Jesu Christi bewirken sollte. Jesus hatte seinen
Jüngern zwar bereits mehrere Male gesagt, daß er sterben müsse, doch
er war nie auf den Grund für seinen Tod zu sprechen gekommen. Nun
zeigte sich, daß sein Tod die "Erlösung ( lytron , "Bezahlung") für
( anti , "anstelle von") viele (vgl. die Tabelle "Neutestamentliche
Begriffe zur Erlösung" bei Mk 10,45 ) erkaufen" sollte. Sein Tod
stand für viele Tode, denn nur sein Tod konnte die Sünde wahrhaft
wiedergutmachen ( Joh 1,29; Röm 5,8; 1Pet 2,24;3,18 ). Er war das
vollkommene Opfer, dessen stellvertretender Tod der Preis für die
Sünde war. 14. Weisungen in bezug auf Autorität ( Mt 20,29-34 ) ( Mk
10,46-52; Lk 18,35-43 ) Mt 20,29-34 In einer letzten Demonstration seiner
Vollmacht vor der Ankunft in Jerusalem heilte Jesus zwei Blinde in
der Nähe der Stadt Jericho . Die anderen Synoptiker (Markus und
Lukas) berichten diese Geschichte mit einigen Abweichungen. So
schreibt Matthäus von zwei Männern, Markus und Lukas sprechen
dagegen nur von einem. Markus nennt außerdem den Namen des Blinden,
Bartimäus. Sehr wahrscheinlich waren es tatsächlich zwei Männer, und
Bartimäus war der beeindruckendere von beiden. Nach Matthäus und
Markus heilte Jesus die Männer, als er Jericho verließ, während
Lukas das Ereignis auf Jesu Ankunft in der Stadt verlegte. Diese
Diskrepanz läßt sich dadurch erklären, daß es zwei Städte mit Namen
Jericho gab, eine alte und eine neue. Jesus verließ die alte Stadt
(Mt. und Mk) und näherte sich dem neuen Jericho (Lk), als er das
Wunder vollbrachte. Als die Blinden hörten, daß Jesus
vorüberging , schrien sie nach dem Herrn. Ihr Hilferuf gründete sich
auf die Tatsache, daß er der Herr, der Sohn Davids , war. Bereits
früher hatten zwei blinde Männer Jesus den "Sohn Davids" genannt (
Mt 9,27; vgl. Mt 15,22 ) und ihn damit mit einem Messiastitel
angesprochen. Trotzdem das Volk sie anfuhr, daß sie schweigen
sollten , schrien die beiden Männer weiter, bis Jesus stehenblieb
und sie rief . Als er sie fragte, was sie wollten, antworteten sie
in schlichtem Vertrauen: "Herr, daß unsere Augen aufgetan werden."
Jesus hatte Mitleid ( splanchnistheis ; vgl. den Kommentar zu Mt
9,36 ) mit ihnen und heilte sie sogleich, in seiner Eigenschaft als
Messias und Davidssohn. Es fällt auf, daß der lange Abschnitt ( Mt
17,14-20,34 ), in dem Jesus seine Jünger die Dinge lehrte, die sie
nach seinem Tod wissen mußten, so mit einer Demonstration seiner
Autorität endet. Sie ist ein weiterer Beweis seiner Authentizität
als Sohn Davids und Messias Israels. VI. Der Weg zum Ende ( Mt 21-27 ) A. Einzug in Jerusalem ( 21,1-22 ) 1. Der triumphale Einzug ( 21,1-11 ) ( Mk 11,1-11; Lk 19,28-42;
Joh 12,12-14 ) Mt 21,1-5 Jesus und die Jünger näherten sich
Jerusalem von Osten, da sie von Jericho her kamen. Als sie die Stadt
Betfage an den östlichen Ausläufern des Ölbergs erreicht hatten,
sandte Jesus zwei Jünger voraus , um eine Eselin und ihr Füllen zu
suchen. Alle vier Evangelien berichten von dem triumphalen Einzug
Jesu in Jerusalem, doch nur Matthäus erwähnt die Eselin mit dem
Füllen. Eine einfache Erklärung für diesen Sachverhalt, den manche
als Widerspruch empfinden, ist, daß Jesus das Füllen ritt und die
Mutter nebenherlief. Vielleicht ritt er die Tiere auch abwechselnd
(V. 7 ). Jesus gebot den Jüngern, die Tiere zu ihm
zu führen. Wenn jemand sie fragen sollte, was sie da täten, sollten
sie einfach antworten: "Der Herr bedarf ihrer." Als Messias hatte er
das Recht, zu fordern, was er brauchte. Nach Matthäus (V. 4-5 ) war
das die Erfüllung einer Prophezeiung Sacharjas ( Mt 9,9; vgl. Jes
62,11 ), der dem Volk vom Kommen seines Königs erzählt hatte:
"Siehe, dein König kommt zu dir sanftmütig und reitet auf einem Esel
und auf einem Füllen, dem Jungen eines Lasttiers." Gewöhnlich ritten
Könige in der Manier von Eroberern auf feurigen Schlachtrössern in
eine Stadt ein - welch ein Kontrast war dagegen das Eselsfüllen, ein
bekanntes Symbol des Friedens. Mt 21,6-8 Die Jünger brachten die Tiere, legten
ihre Kleider als Sättel darauf, und eine sehr große Menge breitete
ihre Kleider und Zweige auf den Weg (vgl. 2Kö 9,13 ). Die meisten
dieser Leute waren Pilger aus Galiläa, die auf dem Weg nach
Jerusalem waren, um dort das Passafest zu feiern. Sie kannten Jesus
und wußten um die vielen Wunder, die er in Galiläa vollbracht hatte. Mt 21,9 Die Menge, in deren Mitte er nun
einherritt, sang wahrscheinlich Pilgerpsalmen. Matthäus berichtet,
daß sie (auch die Kinder; V. 15 ) die Worte von Ps 118,26 schrien:
"Gelobt sei, der da kommt im Namen des Herrn!" Und sie riefen ihm
zu: "Hosianna dem Sohn Davids!" "Hosianna" kommt von der hebräischen
Wendung hNSIZCh nA? , "O Herr, hilf, o Herr, laß wohlgelingen!", aus
Ps 118,25 .Es wurde zu einem Ausruf des Lobes und der Bitte. Die Menschen verstanden zwar nicht die
volle Tragweite dessen, was hier geschah, doch sie schienen zu
spüren, daß dieser Eine der verheißene Davidssproß war, der gekommen
war, um sie zu erlösen. Ihre Handlungen und Worte ehrten ihn, der
nun in die Stadt einzog und sich schließlich doch noch öffentlich
als ihr König zeigte. Mt 21,10-11 Als Jesus in Jerusalem einzog, erregte
sich die ganze Stadt und fragte: "Wer ist der?" Da Jesus die Stadt
gewöhnlich gemieden hatte, kannten die Einwohner von Jerusalem ihn
nicht. Die, die Jesus begleiteten, antworteten immer wieder: "Das
ist Jesus, der Prophet aus Nazareth in Galiläa." (vgl. V. 46 ). Als
der Prophet war er der, den Mose verheißen hatte ( 5Mo 18,15 ).
Lukas berichtet, daß Jesus über die Stadt weinte ( Lk 19,41 ), als
er sie sah, und zu den religiösen Führern sagte, daß dieser Tag
entscheidend für das ganze Volk sei: "Wenn doch auch du erkenntest
zu dieser Zeit, was zum Frieden dient! Aber nun ist's vor deinen
Augen verborgen" ( Lk 19,42 ). Er dachte wohl an die Worte des
Propheten Daniel über das Kommen des Messias. Danach erfolgte seine
Ankunft in Jerusalem ganz genau zu der Zeit, die Daniel vor über 500
Jahren vorhergesagt hatte ( Dan 9,25-26 ). Bei dieser Gelegenheit
wurde Jesus Christus dem Volk Israel offiziell als der rechtmäßige
Sohn Davids vorgestellt. 2. Die Autorität des Messias ( 21,12-14 ) ( Mk 11,15-17; Lk 19,45-46 ) Mt 21,12-14 Während der Bericht von Matthäus darauf
hinzudeuten scheint, daß Jesus sofort nach seiner Ankunft in
Jerusalem in den Tempel ging , steht in den anderen Evangelien, daß
er zunächst nochmals nach Betanien zurückkehrte. Die Reinigung des
Tempels fand wahrscheinlich am nächsten Morgen statt, als Jesus aus
Betanien wieder nach Jerusalem zurückkehrte ( Mk 11,11-16 ). Beim Betreten der Tempelregion richtete
sich der Unmut des Messias gegen die, die den Charakter der Stätte
völlig umgewandelt und aus einem Bethaus eine Räuberhöhle , einen
Ort betrügerischer Geschäfte, gemacht hatten. Viele Händler lebten
vom Tempel und den dort dargebrachten Opfern. Sie hatten
beispielsweise den Glauben aufgebracht, daß man im Tempel kein Geld
benutzen dürfe, das bereits außerhalb in Umlauf gewesen war. Das
Geld mußte deshalb zuvor gegen Gebühr in Tempelgeld gewechselt und
davon dann zu überhöhten Preisen Opfertiere gekauft werden. Da diese
ausbeuterische Praxis dem eigentlichen Zweck des Tempels völlig
zuwiderlief, stieß der Herr die Tische der Geldwechsler und die
Stände der Taubenhändler im äußeren Hof der Heiden (vgl. die
Grundrißzeichnung) um. Dabei zitierte er Stellen aus dem Alten
Testament, und zwar Jes 56,7 und Jer 7,11 .(Jesus hatte den Tempel
schon einmal, zu Beginn seines Amtes, gereinigt [ Joh 2,14-16 ].) Dann demonstrierte er seine Autorität,
indem er die Blinden und Lahmen , die zu ihm in den Tempel gekommen
waren, heilte . (Dieser Vorgang wird nur bei Matthäus erwähnt.)
Normalerweise durften solche Menschen den Tempel nicht betreten,
doch gegen Jesu Vollmacht verblaßten viele der alten Vorschriften. 3. Der Unmut der religiösen Führer ( 21,15-17 ) Mt 21,15-17 Als Jesus die, die zu ihm in den Tempel
kamen, heilte, sangen ihm die Kinder Loblieder und riefen: "Hosianna
dem Sohn Davids!" Auch sie gebrauchten also den messianischen Titel
(vgl. den Kommentar zu V. 9 ). Die Hohenpriester und
Schriftgelehrten dagegen ärgerten sich über Jesu Taten und über die
Lieder der Kinder. Die Wendung "entrüsteten sich" stammt von einem
Verb mit der Bedeutung "empört sein", das nur in den synoptischen
Evangelien vorkommt (vgl. Mt 20,24;26,8; Mk 10,14.41;14,4; Lk 13,14
). Ihre Frage: "Hörst du auch, was diese sagen?" beinhaltete die
unausgesprochene Aufforderung an Jesus, den Kindern ihr Tun zu
untersagen. Wahrscheinlich waren viele Jugendliche aus Anlaß der
Feier des Übergangs von der Pubertät ins Erwachsenenalter zum ersten
Mal im Tempel. Nach Ansicht der Pharisäer war ein solcher Einfluß
wie der Jesu auf die Gemüter dieser jungen Leute nicht wünschenswert
für das Volk. Jesus antwortete ihnen mit einem Zitat aus Ps 8,3 ,in
dem vom Lobe Gottes aus dem Munde der Unmündigen und Säuglinge die
Rede ist. Indem er ihr Lob annahm, machte Jesus deutlich, daß dieses
Lob ihm als dem rechtmäßigen Messias zustand. Die religiösen Führer
brachten in ihrer Abneigung gegen ihn nicht einmal soviel Einsicht
auf wie die Kinder, die ihn wenigstens gebührend empfingen (vgl. Mt
18,3-4 ). Deshalb ließ Jesus sie einfach stehen und ging aus dem
Tempel hinaus. Er kehrte in das Städtchen Betanien zurück, das etwa
drei Kilometer entfernt auf der anderen Seite des Ölbergs lag, und
blieb dort über Nacht , wahrscheinlich im Haus von Maria, Marta und
Lazarus. 4. Die symbolische Verwerfung ( 21,18 - 22 ) ( Mk 11,12-14.20-25 ) Mt 21,18-22 Als Jesus am nächsten Morgen wieder in
die Stadt ging, hungerte ihn . Ein Feigenbaum am Weg, der ganz mit
Blättern bedeckt war, fiel ihm auf. Beim Näherkommen war zu sehen,
daß der Baum keine Früchte trug. Feigenbäume tragen im allgemeinen
zuerst Früchte und bekommen dann Blätter, manchmal wachsen aber auch
Früchte und Blätter gleichzeitig. Da der Baum Blätter hatte, hätte
er also auf jeden Fall auch Früchte haben müssen. Als Jesus nun
keine fand, verfluchte er den Baum, der sogleich verdorrte. Markus
schreibt, daß die Jünger hörten, wie Jesus den Baum verfluchte,
jedoch erst am nächsten Morgen, als sie nach Jerusalem
zurückkehrten, bemerkten, daß er verdorrt war ( Mk 11,13-14.20 ).
Die Jünger verwunderten sich ( ethaumasan ), daß der Feigenbaum so
rasch verdorrte . Jesus benutzte diesen Vorfall, um ihnen eine Lehre
in Sachen Glauben zu erteilen, denn wenn sie wirklich an Gott
glaubten, wären sie nicht nur in der Lage, solche Wunder zu tun,
sondern könnten sogar Berge versetzen (vgl. Mt 17,20 ) und würden
empfangen, um was immer sie bitten würden. Er lehrte sie, wie
wichtig es war zu glauben, statt wie das Volk Israel Zweifeln
nachzuhängen oder sich zu wundern. Das Ereignis wies jedoch über die
Glaubenslektion hinaus auf einen größeren Zusammenhang. So sind
viele Forscher der Ansicht, daß der Feigenbaum für Jesus ein Symbol
des damaligen Israel war. Auch die Juden taten so, als trügen sie
Früchte, doch bei näherem Zusehen erwies sich, daß die Nation
eigentlich unfruchtbar war. Jesus demonstrierte durch seinen Fluch,
daß er diese ganze Generation verwarf und sagte voraus, daß sie nie
wieder Frucht tragen würden. In wenigen Tagen sollte dieses
Geschlecht seinen König verwerfen und ihn kreuzigen und damit
schließlich sein eigenes Gericht herbeiführen. Im Jahr 70 n. Chr.
wurde Israel von den Römern überrannt, die Tempelanlagen wurden
zerstört und das Land hörte auf, politisch zu existieren ( Lk 21,20
). Vielleicht hatte Jesus mit der Verfluchung des Feigenbaums seine
Zeitgenossen endgültig abgetan, wenn damit auch natürlich nicht alle
Menschen des jüdischen Volkes verworfen waren (vgl. Röm 11,1.26 ). B. Auseinandersetzung mit den Pharisäern ( 21,23 - 22,46 ) 1. Die Konfrontation mit den Priestern
und Schriftgelehrten ( 21,23 - 22,14 ) ( Mk 11,27-12,12; Lk
20,1-19 ) a. Der Angriff ( 21,23 ) Mt 21,23 Jesus kehrte in den Tempel zurück, in dem
er kurz zuvor die Ansprüche seines Vaters so nachdrücklich geltend
gemacht hatte. Dort fand er sich mehreren nationalen religiösen
Gruppierungen gegenüber. Die Debatte begann, als die Hohenpriester
und Ältesten ihn fragten: "Aus welcher Vollmacht tust du das, und
wer hat dir diese Vollmacht gegeben?" Mit "das" meinten sie
wahrscheinlich seinen triumphalen Einzug in Jerusalem sowie die
Tatsache, daß er sich vom Volk preisen ließ, daß er den Tempel
reinigte, die Blinden und Lahmen heilte (V. 8 - 14 ) und daß er im
Tempel lehrte (V. 23 ). Die Führer merkten, daß Jesus die Autorität
des Messias beanspruchte, und wollten wissen, wer ihm das Recht dazu
gab. Sie hatten ihm dieses Recht mit Sicherheit nicht eingeräumt! b. Die Erwiderung ( 21,24 - 22,14 ) (1) Die Taufe des Johannes ( Mt 21,24-32
) Mt 21,24-27 ( Mk 11,29-33; Lk 20,3-8 ) Jesus
antwortete auf die Frage der religiösen Führer mit einer Gegenfrage
und versprach, ihre Frage zu beantworten, wenn sie ihm die seine
beantworten könnten. "Woher war die Taufe des Johannes? War sie vom
Himmel oder von den Menschen?" Diese Frage schien ganz einfach,
löste jedoch unter den religiösen Führern eine lebhafte Debatte aus.
Sie wußten, daß Jesus, wenn sie antworteten, daß die Taufe des
Johannes vom Himmel sei, sagen würde, "warum habt ihr ihm dann nicht
geglaubt?" Wenn sie jedoch antworteten, sie war von Menschen, hätten
sie sich vor dem Volk fürchten müssen , das in Johannes einen großen
Propheten sah. Jesus hatte sie also in dieselbe Zwickmühle gebracht,
in die sie ihn bereits mehrmals hineinzumanövrieren versucht hatten.
Schließlich sagten sie, sie könnten seine Frage nicht beantworten,
woraufhin Jesus sich ebenfalls weigerte, auf ihre Frage einzugehen.
Er erzählte statt dessen ein Gleichnis. Mt 21,28-32 In diesem Gleichnis bat ein Mann seine
zwei Söhne , in den Weinberg zu gehen und dort zu arbeiten. Der
erste Sohn sagte zunächst, er habe keine Lust, doch danach reute es
ihn, und er ging hin . Der andere sagte sofort ja, doch er erschien
nicht zur Arbeit. Dann fragte Jesus: "Wer von den beiden hat des
Vaters Willen getan?" Die Antwort mußte lauten, daß der erste Sohn
gehorcht hatte. Jesus wandte diese Antwort sofort auf die religiösen
Führer an. Während manche nach außen hin das Amt Johannes des
Täufers zu akzeptieren schienen ( Joh 5,35 ), zeigte ihre
Handlungsweise ( Lk 7,29-30 ), daß sie sich wie der zweite Sohn
verhielten. Auf der anderen Seite hörten viele Zöllner und Huren
wirklich auf die Botschaft des Johannes und taten den Willen des
Vaters. Deshalb sollten sie auch in das Reich Gottes kommen, während
den religiösen Führern, die nicht Buße taten und nicht glaubten, der
Eingang verwehrt sein sollte. Die Pharisäer, Schriftgelehrten und
Ältesten müssen von Jesu Aussage, daß so verächtliche, unmoralische
Menschen wie Zolleintreiber und Prostituierte ins Himmelreich kommen
sollten, sie aber nicht, völlig verblüfft gewesen sein. Mt 21,33-39 (2) Das Gleichnis von den bösen
Weingärtnern ( Mt 21,33-46; Mk 12,1-12; Lk 20,9-19 ) In einem anderen Gleichnis machte Jesus
nochmals deutlich, wie das Volk auf sein Amt reagierte. Er erzählte
darin von einem Hausherrn , der mit großem Aufwand einen Weinberg
fruchtbar machte. Dann verpachtete er ihn an Weingärtner , die ihn
pflegen sollten. Als die Zeit der Früchte kam, sandte er seine
Knechte , damit sie sein Eigentum holten. Doch die Pächter
mißhandelten die Knechte, schlugen den einen, töteten den zweiten
und steinigten den dritten . Auch anderen Knechten erging es nicht
besser. Schließlich sandte der Hausherr seinen Sohn und sagte sich ,
daß sie vor ihm Respekt haben würden. Die Pächter jedoch rechneten
sich aus, daß sie, wenn sie den Sohn töteten, das Land behalten
könnten. So stießen sie ihn zum Weinberg hinaus und töteten ihn . Es scheint kaum zweifelhaft, daß Jesus
hier vom Volk Israel sprach, das Gott mit viel Mühe zu seinem
fruchtbaren Weinberg gemacht hatte (vgl. Jes 5,1-7 ). Die Sorge für
den Weinberg war den religiösen Führern übertragen worden. Doch die
hatten die Autorität ihres Herrn nicht anerkannt und seine Boten und
Propheten schlecht behandelt. Am Ende würden sie sogar seinen Sohn,
Jesus Christus, draußen vor Jerusalem töten (vgl. Hebr 13,12 ). Mt 21,40-46 Die Frage, die Jesus seinen Zuhörern nach
diesem Gleichnis stellte, drängte sich förmlich auf: Was würde der
Hausherr ihrer Ansicht nach mit den untreuen Pächtern tun ?
Natürlich würde er ihnen die Aufsicht über den Weinberg entziehen
und über sie zu Gericht sitzen. Das Land würde ihnen genommen und
andern Pächtern übergeben werden, die ihm seinen rechtmäßigen Anteil
an der Ernte abliefern würden. Jesus zog eine Parallele zwischen
dem, was in diesem Gleichnis geschah, und einer Stelle in der
Schrift: Er zitierte Ps 118,22-23 ,wo von dem Stein die Rede ist,
der ursprünglich verworfen wurde und am Ende zum Eckstein werden
sollte. Mit dieser Anspielung brachte er zum
Ausdruck, daß das Reich Gottes denen, die jetzt um ihn versammelt
waren und diese Worte hörten, genommen und einem Volk gegeben werde,
das seine Früchte bringt . Das hebräische Wort für "Volk" ( ethnei )
wird gewöhnlich mit "Nation" übersetzt. Es steht hier ohne Artikel.
Die ganze Wendung wurde in der Forschung auf zwei verschiedene Arten
gedeutet. Der einen Auffassung zufolge will Jesus hier sagen, daß
das Reich Gottes dem jüdischen Volk genommen sei und den Heiden
gegeben werde, die schließlich die Früchte des wahren Glaubens
hervorbringen würden. Von der Tatsache, daß ethnei Singular und
nicht Plural ist, wird abgeleitet, daß das Wort sich auf die Kirche,
die in Röm 10,19 und in 1Pet 2,9-10 "ein Volk" genannt wird,
bezieht. Dem ist entgegenzuhalten, daß das Gottesreich dem
jüdischenVolk nicht für immer genommen wurde ( Röm 11,15.25 ) und
daß die Kirche daher mit Sicherheit nicht das Erbe Israels antrat. Plausibler klingt die Auslegung, daß
Israel das Reich zwar damals, zur Zeit Jesu, verlor, es jedoch in
der Zukunft, wenn die Juden wirklich Buße tun und zum Glauben an
Christus kommen, zurückerhalten wird. In diesem Fall hätte Jesus das
Wort "Volk" im Sinne von "Geschlecht" verwendet (vgl. Mt 23,36 ).
Weil es ihn abgelehnt hatte, sollte dieses Geschlecht Israels das
Reich Gottes nicht sehen (vgl. den Kommentar zu Mt 21,18-22 ). Doch
eine künftige Generation wird mit rettendem Glauben auf den Messias
antworten ( Röm 11,26-27 ), und ihr wird das Reich zuteil werden.
Die jetzigen Bauleute ( Mt 21,42 ) aber werden bestraft, weil sie
den Stein , Jesus, verwarfen (auf wen aber er [der Stein] fällt, den
wird er zermalmen ). Die religiösen Führer (in diesem Fall die
Hohenpriester und Pharisäer; V. 45 ; vgl. V. 23 ) merkten wohl, daß
die Äußerungen Jesu gegen sie gerichtet waren und trachteten danach,
ihn zu ergreifen. Aber sie fürchteten sich vor dem Volk (vgl. V. 26
), das ihn für einen Propheten hielt (vgl. V. 11 ), daher waren sie
in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt. Mt 22,1-7 (3) Das Gleichnis von der königlichen
Hochzeit ( Mt 22,1-14; Lk 14,15-24 ) In einem dritten Gleichnis, das ebenfalls
für die religiösen Führer bestimmt war (vgl. die anderen
Gleichnisse; Mt 21,28-32 und Mt 21,33-44 ), variierte Jesus nochmals
das Thema vom Himmelreich , das Gott den Menschen anbietet. Er
verwendete diesmal das Bild der Hochzeit, das hier für das
Tausendjährige Reich steht (vgl. Mt 9,15; Jes 25,6; Lk 14,16 ). Der
König im Gleichnis wollte seinem Sohn die Hochzeit ausrichten. Er
sandte seine Knechte aus, die Gäste zur Hochzeit zu laden , doch
diese ignorierten die Einladung und wollten nicht kommen. Er
bekräftigte seine Einladung durch eine zweite Botschaft, doch mit
demselben negativen Resultat. Die Geladenen gingen sogar soweit, die
Gesandten des Königs zu verhöhnen und teilweise zu töten. Da wurde
der König zornig und schickte seine Heere aus und brachte diese
Mörder um und zündete ihre Stadt an . Es ging Jesus wieder um die Folgen, die
die Ablehnung seiner Person durch das Volk haben würde. Gott wollte
das Tausendjährige Reich seines Sohnes errichten und hatte die
Menschen zu diesem Reich eingeladen. Doch die Predigten des Täufers
und auch die Botschaft Jesu und seiner Jünger waren weitgehend
ungehört verhallt. Am Ende würde das Volk sogar die Abgesandten, die
Gottes Einladung überbrachten, töten. Im Jahre 70 n. Chr. aber würde
das römische Heer kommen, den größten Teil der Bevölkerung
Jerusalems töten und den Tempel zerstören. Mt 22,8-14 Da die Hochzeitsmahlzeit schon fertig
vorbereitet war und die ursprünglichen Gäste es abgelehnt hatten zu
kommen, wurde das Fest gewissermaßen "einer breiteren Öffentlichkeit
zugänglich gemacht" und ganz andere Gäste gebeten. Auch wenn diese
Einladung sich auf Böse und Gute erstreckte, wurde doch auch von
ihnen eine gewisse Vorbereitung erwartet. Einer der Gäste hatte das
versäumt - er trug kein hochzeitliches Gewand . (Offensichtlich gab
der König allen bei der Ankunft Hochzeitskleider, denn sie kamen von
den Straßen [V. 10 ]. Man muß nicht nur äußerlich richtig reagieren,
es kommt auch auf das richtige innere Vehältnis zu Gott, dem König,
an, indem man alles, was der König für einen bereithält, annimmt und
schätzt.) Der nachlässige Gast wurde deshalb hinausgestoßen in die
Finsternis , wo Einsamkeit und Leiden herrschen. (Zu der Wendung
"Heulen und Zähneklappern" vgl. den Kommentar zu Mt 13,42 .) Das
Himmelreich steht nun zwar Menschen aller ethischen Gruppen und
gesellschaftlichen Schichten offen ( viele sind berufen ), doch es
wird auch jetzt noch eine Auswahl getroffen ( wenige sind auserwählt
), und noch immer ist die individuelle Antwort jedes einzelnen
entscheidend. 2. Die Konfrontation mit den Pharisäern
und den Anhängern des Herodes ( Mt 22,15-22 ) ( Mk 12,13-17; Lk
20,20-26 ) Mt 22,15-17 Der folgende Zwischenfall macht deutlich,
wie gemeinsame Opposition oft die seltsamsten Bundesgenossen
zusammenführt. Die religiösen Führer Israels hatten nur ein Ziel:
Jesus von Nazareth loszuwerden. Dazu war ihnen jedes Mittel recht,
selbst die Kooperation mit ihren schlimmsten Feinden. Die Pharisäer
waren die Puristen des Volkes. Sie widersetzten sich Rom und allen
Versuchen der Römer, den jüdischen Lebensstil zu unterwandern,
radikal. Die Anhänger des Herodes dagegen unterstützten die
Herrschaft Herodes des Großen aktiv und waren dafür, sich dem Wandel
der Zeit, wie er von Rom diktiert wurde, anzupassen. Diese
Gegensätze traten jedoch vor dem dringenden Wunsch, Jesus auf
irgendeine Weise mundtot zu machen, völlig in den Hintergrund. Die
verfeindeten Parteien sandten deshalb eine gemeinsame Abordnung zu
Jesus, um ihn in eine Falle zu locken. Sie sagten Jesus zunächst viel
Schmeichelhaftes, doch es war nur allzu klar, daß das geheuchelt
war, da sie ja nicht an ihn glaubten. Dann stellten sie ihre
Fangfrage: "Ist's recht, daß man dem Kaiser Steuern zahlt oder
nicht?" Auf dieses augeklügelte Problem schien es keine klare
Antwort zu geben, und sie dachten, nun hätten sie Jesus in der
Falle. Denn wenn er antwortete, daß es richtig sei, dem Kaiser
Steuern zu zahlen, stellte er sich damit auf die Seite der Römer,
gegen Israel, und die meisten Juden, einschließlich der Pharisäer,
hielten ihn für einen Verräter. Wenn er jedoch sagte, es sei falsch,
die Steuern zu zahlen, konnte er als Rebell, der sich gegen die
Autorität Roms auflehnte, angeklagt werden, und die Herodianer wären
gegen ihn. Mt 22,18-22 Jesus wußte, daß da Heuchler vor ihm
standen. Auch über die Implikationen der möglichen Antworten war er
sich im klaren. Er beantwortete ihre Frage daher mit einer kleinen
Demonstration, anhand derer er deutlich machte, daß der Staat im
Leben jedes einzelnen einen gewissen Stellenwert einnimmt und daß
man ihm und Gott durchaus auch gleichzeitig untertan sein kann. Er
bat die Umstehenden, ihm eine Steuermünze zu geben. Diese, ein
römischer Silbergroschen mit dem Bild des Cäsar, des römischen
Kaisers, war selbst ein anschauliches Zeichen für die Oberherrschaft
und die Steuerhoheit der Römer in Israel. (Eine Münzinschrift
lautete: "Tiberius Caesar Augustus, Sohn des göttlichen Augustus".)
Die Steuern müssen also gezahlt werden, getreu dem Grundsatz: Gebt
dem Kaiser, was des Kaisers ist. Doch Jesus ermahnte sie zugleich auch,
den Machtbereich Gottes nicht zu vergessen: Gebt Gott, was Gottes
ist . Die Menschen müssen auch seiner Autorität gehorchen; sie haben
eine politische und eine geistliche Verantwortung. Verwundert über
seine Antwort, wußten die Pharisäer und die Anhänger des Herodes
nichts mehr zu sagen. 3. Die Konfrontation mit den Sadduzäern ( 22,23-33 ) ( Mk 12,18-27; Lk 20,27-40 ) Mt 22,23-28 Die nächste religiöse Gruppe, die
versuchte, Jesus und sein Amt in Verruf zu bringen, waren die
Sadduzäer . Sie waren zu ihrer Zeit so etwas wie "religiöse
Liberale", denn sie sagten, es gebe keine Auferstehung , keine Engel
und keine Geister ( Apg 23,8 ). Ihre Frage galt denn auch der Lehre
von der Auferstehung und ihren Implikationen in einem speziellen
Fall. Sie trugen die Geschichte einer Frau vor, die geheiratet hatte
und deren Mann starb . Gemäß dem leviratischen Gesetz ( 5Mo 25,5-10
) nahm der Bruder ihres Ehemanns sie zur Frau (um die Familie seines
toten Bruders nicht aussterben zu lassen). Doch kurz darauf starb
auch er. Das geschah siebenmal, mit sieben Brüdern . Die Frage der
Sadduzäer lautete nun: "In der Auferstehung: wessen Frau wird sie
sein von diesen sieben? Sie haben sie ja alle gehabt." Sie gingen
davon aus, daß die Dinge des irdischen Lebens, die die Menschen am
meisten erfreuen, wie z. B. die Ehe, im Himmel einfach fortgesetzt
werden. Doch wenn diese Frau sieben Ehemänner hatte, wie und mit
welchem der Brüder konnte dann ihre Ehe weiterbestehen? Die
Sadduzäer versuchten auf diese Weise, die Auferstehung lächerlich zu
machen. Mt 22,29-33 Nach den Worten Jesu konnten sie auf ein
solches Problem nur verfallen, weil sie weder die Schrift noch die
Kraft Gottes kannten. Das war "starker Tobak" für die religiösen
Führer, die ja eigentlich mehr als alle anderen Gottes Wort und
Macht hätten kennen müssen. Gottes Wort aber lehrt die Auferstehung,
und er hat die Macht, Menschen wieder zum Leben zu erwecken. Jesus
korrigierte in seiner Entgegnung zwei irrige Vorstellungen der
Sadduzäer: 1. Der Himmel, so sagte er, sei keine Fortsetzung der
Annehmlichkeiten, derer sich die Menschen auf Erden erfreuen. In der
Ewigkeit wird die Ehe überflüssig. Wenn die Menschen verklärt sind,
sind sie unsterblich. Die Zeugung neuen Lebens, ein Hauptzweck der
Ehe, ist dann nicht mehr nötig. Die verklärten Gläubigen werden wie
die Engel im Himmel sein, die sich nicht fortpflanzen. (Er sagte
jedoch nicht , daß die Menschen Engel würden.) Jesus beantwortete
nicht alle Fragen über die Ewigkeit und die Beziehung der Ehepartner
im Himmel, sondern hielt sich an die besondere Frage, die die
Sadduzäer ihm vorgelegt hatten. 2. Wichtiger war die Frage der Sadduzäer
jedoch im Kontext der Auferstehung ganz allgemein. Wenn sie die
Schriften des Alten Testaments gelesen und verstanden hätten, so
hätten sie erkannt, daß es ein zukünftiges Leben gibt und daß ein
Mensch, der stirbt, weiterexistiert. Für die Sadduzäer war die
Auferstehung jedoch lächerlich; sie glaubten, daß der Mensch mit
seinem Tod aufhöre zu existieren. Doch Jesus hielt ihnen entgegen,
was Gott zu Mose aus dem Feuerbusch sprach: "Ich bin der Gott
Abrahams, der Gott Isaaks und der Gott Jakobs" ( 2Mo 3,6 ). Wenn die
Sadduzäer recht hatten und Abraham, Isaak und Jakob gestorben wären
und es sie nicht mehr gäbe, hätte er sagen müssen: "Ich war der Gott
..." Die Verwendung des Präsens impliziert jedoch, daß Gott noch
immer der Gott dieser Patriarchen ist, daß sie mit ihm leben und
schließlich zusammen mit den Gerechten auferstehen werden. Als das
Volk all das hörte, entsetzten sie sich ( exeplEssonto ; vgl. den
Kommentar zu Mt 7,28; vgl. auch ethaumasan in Mt 22,22 ) noch mehr
über seine Lehre . Jesus hatte also alle Fragen stichhaltig
beantwortet und den religiösen "Experten" Israels damit eine
Niederlage bereitet. 4. Die Konfrontation mit den Pharisäern ( 22,34 - 46 ) ( Mk 12,28-37; Lk 10,25-28
) a. Die Befragung Jesu durch die Pharisäer ( 22,34 - 40 ) Mt 22,34-40 Als aber die Pharisäer hörten, daß Jesus
den Sadduzäern das Maul gestopft hatte , schickten sie rasch einen
Vertreter ihrer eigenen Gruppierung, einen versierten
Schriftgelehrten , der besonders in den Gesetzestexten bewandert
war, zu ihm mit der Frage: "Meister, welches ist das höchste Gebot
im Gesetz?" Dieses Thema war zwischen den verschiedenen
theologischen Richtungen der damaligen Zeit heiß umstritten, wobei
jede Richtung andere Gebote als die wichtigsten ansah. Jesu Antwort
faßte den gesamten Dekalog in zwei Sätzen zusammen: "Du sollst den
Herrn, deinen Gott, lieben von ganzem Herzen, von ganzer Seele und
von ganzem Gemüt" (vgl. 5Mo 6,5 ), das ist das höchste Gebot
überhaupt. Ihm zur Seite gestellt ist das zweite Gebot: "Du sollst
deinen Nächsten lieben wie dich selbst" (vgl. 3Mo 19,18 ). Der erste
der beiden Sätze gibt den Inhalt der ersten Gesetzestafel, der
zweite den der zweiten wieder. Nach den Worten Jesu hängt an diesen
beiden Geboten das ganze Gesetz und die Propheten . Das ganze Alte
Testament ist im Grunde nichts anderes als eine Entwicklung und
Entfaltung dieser beiden entscheidenden Punkte: Liebe zu Gott und
Liebe zum Nächsten, dem Ebenbild Gottes. Dem Bericht des Markusevangeliums zufolge
stimmte der Schriftgelehrte Jesus zu und betätigte, daß die Liebe zu
Gott und zum Nächsten wichtiger sei als alle Brandopfer und
Schlachtopfer ( Mk 12,32-33 ). Ein Licht war in sein Herz gefallen.
Er war, wie Jesus sagte, "nicht fern vom Reich Gottes". Markus fügt
hinzu: "Und niemand wagte mehr, ihn zu fragen" ( Mk 12,34 ). Der
Grund liegt auf der Hand. Jesus antwortete ihnen, wie es noch
niemand je zuvor getan hatte. In diesem letzten Fall war der
Fragesteller sogar nahe daran, von den Pharisäern zu Jesus
überzulaufen. Vielleicht wurde ihnen klar, daß sie aufhören mußten,
Jesus auf diese Weise herauszufordern, bevor sie immer mehr Menschen
an ihn verloren. b. Die Befragung der Pharisäer durch
Jesus ( 22,41-46 ) ( Mk 12,35-37; Lk 20,41-44 ) Mt 22,41-46 Da die Pharisäer Jesus keine weiteren
Fragen stellten, ergriff er die Offensive und befragte sie
seinerseits. Seine Frage bezog sich auf ihre Haltung zum Messias:
"Was denkt ihr von dem Christus? Wessen Sohn ist er?" Ihre Antwort
kam rasch, schließlich wußten sie, daß der Messias aus dem
Geschlecht Davids kommen sollte. Jesu Entgegnung (V. 43-45 ) zeigte
jedoch, daß der Messias mehr sein mußte als einfach ein menschlicher
Sohn Davids , wie damals viele glaubten. Wenn er nur das wäre, warum
schrieb David ihm dann Göttlichkeit zu? Jesus zitierte in diesem
Zusammenhang aus einem messianischen Psalm ( Ps 110,1 ), in dem
David den Messias als "mein Herr" ansprach. "Herr" ist die
Übersetzung des hebräischen Wortes " ?XDOnAy ", das sich
ausschließlich auf Gott bezieht (z. B. 1Mo 18,27; Hi 28,28 ). Wenn
David diesen Nachkommen seines Geschlechts "Herr" nannte, so mußte
er mit Sicherheit mehr sein als ein Mensch. Die Komplexität dieser theologischen
Erörterung war zuviel für die Pharisäer, die nicht bereit waren, die
Gottheit des Davidsohnes anzuerkennen. Niemand wagte es , seine
Frage zu beantworten oder andere praktische oder theologische
Probleme mit Jesus zu diskutieren. Alle seine Widersacher waren
verstummt, die Hohenpriester und die Ältesten ( Mt 21,23-27 ), die
Pharisäer zusammen mit den Anhängern des Herodes ( Mt 22,15-22 ),
die Sadduzäer (V. 23-33 ) und die pharisäischen Gesetzeslehrer (V.
34 - 46 ). C. Abrechnung mit den Pharisäern und dem
Volk ( Mt 23 ) ( Mk 12,38-40; Lk
11,37-52;20,45-47 ) 1. Jesu Warnung an die Menge ( 23,1 - 12 ) Mt 23,1-12 Die Heuchelei und der Unglaube der
religiösen Führer des Volkes, der in Kapitel 22 zutage trat,
veranlaßte Jesus zu einer strengen Mahnung. Er wandte sich an das
Volk und an seine Jünger, die im Tempel waren und seinen Debatten
mit den Gelehrten zugehört hatten, und warnte sie vor der Lehre
ihrer Führer. Ihre geistliche Autorität war zwar nach wie vor
anzuerkennen (sie sitzen auf dem Stuhl des Mose , d. h. sie lehren
das Gesetz), doch das heuchlerische Gebaren, das sie aus ihrem
theologischen Wissen ableiteten, konnte keinesfalls als Vorbild
dienen. Sie legten den Menschen schwere Bürden auf und waren dabei
selbst nicht gerecht ( Mt 23,4 ). Alle ihre Werke taten sie, um von
den Leuten gesehen zu werden . Ihre Gebetsriemen , Lederbänder mit
kleinen Lederbeutelchen, die Pergamentstreifen mit Versen aus dem
Alten Testament enthielten und die sie um den linken Arm und vor der
Stirn trugen ( 2Mo 13,9.16; 5Mo 6,8; 5Mo 11,18 ), waren breit und
auffallend. Die Quasten an ihren Kleidern ( 4Mo 15,38 ) waren
ebenfalls groß und gut sichtbar. Sie liebten Ehrenplätze bei Tisch
und ließen sich gern von den Leuten Rabbi nennen, als ob sie
Gelehrte wären. So sollten sich die Nachfolger Jesu gerade nicht
verhalten. Sie sollten nicht nach Titeln (wie Rabbi, Vater, Lehrer )
und gesellschaftlicher Stellung streben, sondern untereinander wie
Brüder sein ( Mt 23,8 ). Jesus sagte nicht, daß es keine Autorität
unter den Jüngern geben sollte. Doch er betonte, daß der Dienst für
ihn - den einen Meister ( didaskalos , wörtlich: "Lehrer") und einen
Lehrer ( kathEgEtEs , ein bevollmächtigter Führer"; das Wort steht
nur an dieser einen Stelle im Neuen Testament) - wichtiger war als
irdische Ehrentitel. Die Jünger sollten nie von sich aus oder als
Selbstzweck nach Führungspositionen streben, sondern sie stets als
Möglichkeit sehen, anderen zu dienen. Die Pharisäer, die sich selbst
erhöhten , würden erniedrigt werden ; die Menschen, die Jesus
folgten und sich selbst erniedrigten , indem sie dienten, sollten
eines Tages erhöht werden . 2. Jesu Warnungen an die Führer ( 23,13 - 39 ) Mt 23,13 Jesus warnte auch die Schriftgelehrten
und Pharisäer , daß sie am Ende der Zeit unweigerlich verloren
seien, wenn sie auf ihrem jetzigen Weg weitergingen. Im Rahmen
dieser Warnung sprach er sieben Urteilssprüche aus, die alle mit der
Wendung "Weh euch" beginnen. "Im Gegensatz zu den Seligpreisungen
brandmarken diese Weherufe die falsche Religiosität als einen
Abscheu für Gott und als Grund für schwerste Bestrafung" (Walvoord,
Matthew, Thy Kingdom Come , S. 171). In sechs der sieben Weherufe
nannte Jesus die Führer Heuchler . Die erste Verurteilung betrifft die
Tatsache, daß die Pharisäer andere daran hinderten, in das
Himmelreich zu gelangen. Ihre Feindseligkeit gegenüber Jesus hatte
viele fromme Juden, die sich an ihrer geistlichen Obrigkeit
orientierten, dazu gebracht, sich von ihm abzuwenden. Ihre
Weigerung, Jesus als den Messias zu akzeptieren, war für viele ihrer
Landsleute zum Stein des Anstoßes und damit zum Verhängnis geworden.
Dadurch hatten sie sich schuldig gemacht. Mt 23,14 Dieser Vers fehlt in manchen griechischen
Handschriften. Er wurde vielleicht in Übereinstimmung mit Mk 12,40
und Lk 20,47 eingefügt. Falls er authentisch ist, hat das Kapitel
acht Weherufe. Dieses "Wehe" bezieht sich auf die Inkonsequenz der
religiösen Führer, die lange Gebete verrichten , um die Menschen zu
beeindrucken, und gleichzeitig die Witwen, denen sie helfen sollten,
unterdrücken. Mt 23,15 Das folgende "Wehe" richtet sich gegen
den fanatischen Eifer der religiösen Führer, die Land und Meer
durchzogen, um auch nur einen einzigen "Judengenossen" ( prosElyton
, "Proselyten") zu gewinnen, d. h. einen Menschen zum Judentum zu
bekehren. Das Problem dabei war, daß sie damit viele Menschen zur
ewigen Verdammnis verurteilten, denn indem sie ihren Konvertiten die
äußerlichen Einschränkungen der rabbinischen Tradition aufzwangen,
hinderten sie sie daran, die eigentliche Wahrheit zu erkennen. Ein
solcher Bekehrter wurde ein doppelt so schlimmes Kind der Hölle ,
wie sie es waren, d. h., er wurde pharisäischer als die Pharisäer
selbst! "Ein Kind der Hölle" (wörtlich: "der Gehenna"; vgl. V. 33 ),
war jemand, der der ewigen Strafe anheimfallen sollte. Mt 23,16-22 Im dritten "Weheruf" geht Jesus auf den
betrügerischen Charakter der Pharisäer und Schriftgelehrten ein. (In
den beiden ersten Weherufen sprach er von ihrem negativen Einfluß
auf andere; in den letzten fünf stehen sie selbst und ihre Werke im
Vordergrund.) Wenn sie beispielsweise Gelübde ablegten, bauten sie
raffinierte Vorbehalte mit ein, so daß sie ihre Schwüre nach
Belieben für ungültig erklären konnten. Bei dem Tempel oder bei dem
Altar zu schwören, bedeutete nichts für sie. Sie schienen so nach
außen hin ein bindendes Gelübde abzulegen, hatten jedoch innerlich
gar nicht die Absicht, es zu halten. Ein Schwur bei dem Gold des
Tempels oder bei dem Opfer auf dem Altar dagegen galt bei ihnen als
bindend. Jesus sagte jedoch, daß sie Unrecht taten, wenn sie die
Menschen glauben machten, daß das Gold mehr sei als der Tempel und
ein Opfer mehr als der Altar. Jeder Schwur, der am Tempel oder den
Dingen darin festgemacht war, war bindend, denn hinter dem Tempel
stand der, der darin wohnt . Dasselbe galt für einen Eid bei dem
Thron Gottes , weil er bei dem, der darauf sitzt , geleistet wurde.
Jesus verurteilte deshalb all die spitzfindigen Unterscheidungen der
religiösen Führer als unredlich und irreführend. Er nannte die
Pharisäer und Schriftgelehrten "verblendete Führer" (V. 16 ),
"Narren und Blinde" (V. 17 ) und "Blinde" (V. 19 ; vgl. V. 24.26 ). Mt 23,23-24 Der vierte Weheruf bezog sich auf die
Praxis der Pharisäer, von allem, was sie hatten, ganz genau den
Zehnten zu geben. Sie entrichteten diese Abgaben sogar von solchen
Kleinigkeiten wie Gewürzen: von Minze, Dill und Kümmel . Während sie
das Gesetz also in dieser Hinsicht übergenau befolgten ( 3Mo 27,30
), fand sich bei ihnen weder das Recht noch die Barmherzigkeit und
der Glaube , die vom Gesetz doch mindestens ebenso gefordert wurden.
Sie machten viel Wirbel um Nichtigkeiten, sie siebten Mücken aus ,
doch sie übersahen das Wichtige, sie verschluckten Kamele . Sie
waren so mit Details beschäftigt, daß sie nie dazu kamen, sich mit
dem Wesentlichen auseinanderzusetzen. Jesus sagte nicht, daß die
Abgaben überhaupt unwichtig seien; er machte nur deutlich, daß die
Pharisäer das eine auf Kosten des anderen völlig vernachlässigten.
Das Gesetz verlangte jedoch beides, und da sie das nicht erfüllten,
waren sie verblendete Führer . Mt 23,25-26 Der fünfte Weheruf wandte sich erneut
gegen die Heuchelei der Pharisäer. Sie achteten ängstlich auf die
äußerliche Reinheit, z. B. auf die Reinigung der Becher und
Schüsseln , aus denen sie aßen, doch in ihren Herzen waren Raub und
Gier . Ihre Reinigungsrituale zielten hauptsächlich darauf ab, von
den Menschen gesehen zu werden, das hielt sie jedoch in ihrem
Privatleben nicht von Raub und Exzessen ab. Wenn sie dagegen statt
dessen ihr Inneres reinigten, so würde auch das Äußere rein. Mt 23,27-28 Im sechsten Weheruf greift Jesus den
Gedanken der äußeren Reinigung wieder auf. War zuvor hauptsächlich
von den Werken der Pharisäer die Rede, so konzentrierte er sich nun
auf ihr Erscheinungsbild nach außen. Er bezeichnete die
Schriftgelehrten und Pharisäer als übertünchte Gräber . Damals war
es üblich, Gräber außen weiß zu tünchen, damit sie hübsch aussahen,
doch in ihrem Innern lagen Totengebeine und lauter Unrat . Ähnlich
adrett und ordentlich nach außen wirkten auch die Pharisäer durch
ihre religiöse Pflichttreue, während sie zugleich innen korrupt und
faul, voller Heuchelei und Unrecht ( anomias , "Gesetzlosigkeit")
waren. Mt 23,29-32 Auch der letzte Weheruf befaßt sich mit
der Heuchelei der religiösen Führer. Sie verbrachten viel Zeit
damit, Grabmäler zu bauen und die Gräber der Gerechten zu schmücken.
Sie waren auch rasch mit der Behauptung bei der Hand, daß sie,
hätten sie zu Zeiten der Väter gelebt, nicht am Blut der Propheten
schuldig geworden wären . Dabei wußte Jesus, daß sie bereits seinen
Tod planten, womit sie bewiesen, daß sie genau wie die früheren
Generationen waren, die die Propheten getötet hatten. Indem sie
Jesus, "den Propheten", verwarfen, traten sie in die Fußstapfen
ihrer Vorväter und machten das Maß der Sünden ihrer Väter voll . Mt 23,33-36 Jesus gebrauchte harte Worte für die
religiösen Führer, er nannte sie Schlangen und Otternbrut , deren
ewige Bestimmung die höllische Verdammnis (wörtlich: "Gehenna"), der
Ort der ewigen Strafe (vgl. V. 15 ; vgl. auch den Kommentar zu
"Gehenna" in Mt 5,22 ), sei. Sie würden sich diese Strafe selbst
zuziehen, weil sie die Wahrheit auch weiterhin verwerfen würden. Der
Herr versprach, Propheten und Weise und Schriftgelehrte zu ihnen zu
schicken, doch sie würden ihre Worte nicht hören wollen und manche
von ihnen sogar töten , andere geißeln oder verfolgen . Diese
Reaktion auf die ihnen verkündete Wahrheit rechtfertigte das Gericht
über sie. Der erste gerechte Märtyrer, von dem in den hebräischen
Schriften die Rede ist ( 1Mo 4,8 ), war Abel; Secharja ( 2Chr
24,20-22 ) war der letzte. (Die zweite Chronik war das letzte Buch
der hebräischen Bibel; damit bestätigte Jesus den Kanon des Alten
Testaments.) In 2Chr 24,20 wird Secharja als "Sohn des Jojada "
bezeichnet, während bei Matthäus "Sohn des Berechja " steht. "Sohn"
bedeutet in diesem Fall jedoch häufig einfach "Nachkomme". Es wäre
also gut möglich, daß Jojada, ein Priester, Secharjas Großvater war.
Über dieses Geschlecht ( genean ), das sich schuldig machte, weil es
seinen völlig verblendeten ( Mt 23,16-17.19.24.26 ) Führern folgte,
sollte das Gericht kommen, weil es unschuldiges Blut vergoß. Der
Herr sah bereits voraus, daß die Menschen das Evangelium, das die
Jünger nach seinem Tod verkündigen würden, weiterhin nicht
akzeptieren würden. Diese starre Ablehnung des Messias durch sein
eigenes Volk würde schließlich zur Zerstörung des Tempels im Jahre
70 n. Chr. führen. Mt 23,37-39 ( Lk 13,34-35 ) In einer abschließenden
Klage über die Stadt Jerusalem brachte Jesus seine Liebe zu seinem
Volk und seine Trauer über die Zurückweisung dieser Liebe zum
Ausdruck. Jerusalem, die Hauptstadt, repräsentierte das ganze Volk.
Die Menschen dort hatten die Propheten getötet und diejenigen
gesteinigt , die zu ihnen gesandt wurden (vgl. Mt 23,34;21,35 ).
Jesus hatte das Volk sammeln wollen, wie eine Henne ihre Küken
versammelt unter ihre Flügel . Doch die Menschen lehnten es, anders
als Küken, die sich in Gefahr zu ihrer Mutter flüchten, bewußt ab (
ihr habt nicht gewollt ), sich zum Herrn zu wenden. Sie hatten aus
freien Stücken die Verdammnis gewählt. Deshalb sollte ihr Haus wüst
und verlassen werden. "Haus" könnte hier Stadt bedeuten; so ist
jedenfalls die gängige Lesart. Möglich ist auch, daß Jesus dabei an
den Tempel oder an die davidische Dynastie dachte - oder daß alle
drei Aspekte in seiner Äußerung anklangen. Doch Jesus war noch nicht fertig mit dem
Volk und der Stadt Jerusalem. Auch wenn er nun bald fort sein würde
( Joh 13,33 ), würde er doch wiederkommen ( Sach 12,10 ). Dann
würden die Menschen ihn endlich annehmen, und das Volk würde an
diesem Tag zu ihm sagen: "Gelobt sei, der da kommt im Namen des
Herrn" , ein Zitat aus Ps 118,26 .Jesus sprach hier offensichtlich
von seiner Wiederkunft bei der Errichtung des Tausendjährigen
Reiches. Seine Aussagen in diesem Zusammenhang führten zu einer
Diskussion mit den Jüngern. D. Rede über die Endzeit ( Mt 24-25 ) 1. Fragen zur Endzeit ( 24,1 - 3 ) ( Mk 13,1-4; Lk 21,5-7 ) Mt 24,1-3 Nach den Auseinandersetzungen und
Debatten mit den Pharisäern und Schriftgelehrten ging Jesus aus dem
Tempel fort und kehrte über den Ölberg nach Betanien (vgl. Mt 26,6 )
zurück. Seine Worte klangen den Jüngern noch drohend in den Ohren.
Er hatte das Volk öffentlich verurteilt und gesagt, das ganze Land
solle "wüst" werden ( Mt 23,38 ). Doch wenn Jerusalem und der Tempel
zerstört würden, worüber sollte der Messias dann noch herrschen?
Seine Jünger zeigten ihm die Gebäude des Tempels , wie um ihm ihre
Großartigkeit vor Augen zu führen. Was konnte solchen
beeindruckenden Bauten, was konnte dem Haus Gottesselbst schon
geschehen? Jesu Antwort bestürzte sie: "Es wird hier nicht ein Stein
auf dem andern bleiben, der nicht zerbrochen werde." Der Tempel
sollte zerstört werden und Jerusalem mit ihm. Angesichts dieser
Zukunftsvision drängte es die Jünger vor allem zu wissen, wann das
geschehen werde. Als Jesus auf seinem Weg nach Betanien den Ölberg
erreicht hatte und sich setzte, traten die Jünger deshalb zu ihm .
Vier von ihnen - Petrus, Jakobus, Johannes und Andreas ( Mk 13,3 )
stellten ihm zwei direkte Fragen: 1. "Wann wird das geschehen?" Mit
anderen Worten, wann soll der Tempel zerstört werden und nicht ein
Stein auf dem anderen bleiben? 2. "Was wird das Zeichen sein für
dein Kommen und für das Ende der Welt?" Diese beiden Fragen beantwortete Jesus in
der nun folgenden Rede über die Endzeit ( Mt 24-25 ). Die Fragen
bezogen sich auf die Zerstörung des Tempels und Jerusalems und auf
das Zeichen für das Kommen des Herrn und das Ende der Welt. Sie
haben nichts mit der Kirche zu tun, die Jesus errichten wollte ( Mt
16,18 ). Es geht also in den Kap. 24; 25 nirgends um die Kirche,
sondern einzig und allein um Jerusalem, Israel und das zweite Kommen
des Herrn in Herrlichkeit zur Errichtung seines Reiches. Matthäus
überlieferte allerdings Jesu Antwort auf die erste Frage nicht, wohl
aber Lukas ( Lk 21,20 ). Die Jünger wußten, daß die Zerstörung
Jerusalems, von der Jesus gesprochen hatte, ein Vorbote für das
Kommen des Reichs sein werde. Sie dachten dabei zweifellos an Sach
14,1-2 . (Die Zerstörung, von der Jesus in Mt 23,38 spricht, fand
jedoch bereits im Jahre 70 n. Chr. statt; sie hatte nichts mit der
endgültigen Zerstörung, von der in Sach 14 die Rede ist, zu tun.) Matthäus 2. Die kommende Notzeit ( 24,4 - 26 ) Mt 24,4-8 ( Mk 13,5-8; Lk 21,8-11 ) Jesus begann
nun, die Ereignisse, die zu seiner Rückkehr in Herrlichkeit führen
sollten, und die Vorzeichen seiner Wiederkunft zu beschreiben.
Zunächst (in Mt 24,4-8 ) sprach er über die erste Hälfte der sieben
Jahre, die seinem zweiten Kommen vorangehen. Diese Zeitspanne wird
die "siebzigste Woche" Daniels ( Dan 9,24-27 ) genannt. (Über die
genaue Zuordnung der Zeiten herrscht jedoch Uneinigkeit. Manche
glauben, daß Christus in Mt 24,4-8 von allgemeinen Zeichen im
gegenwärtigen Kirchenzeitalter sprach und ab V. 9 von der Zeit der
Not. Andere setzen die Zäsur noch später und beziehen erst Vers 15
folgende auf die Zeit der Trübsal.) Die in Mt 24,4-8 beschriebenen
Geschehnisse entsprechen bis zu einem gewissen Grad den sieben
Siegeln in Offb 6 . (Walvoord vertritt allerdings die These, daß
alle sieben Siegel des Gerichts in der zweiten Hälfte der sieben
Jahre geöffnet werden; vgl. den Kommentar zu Offb 6 .) Diese Zeit wird gekennzeichnet sein durch
(a) das Auftreten von Leuten, die sich fälschlich als Christus
ausgeben ( Mt 24,4-5; vgl. Offb 6,1-2; das erste Siegel ist der
Antichrist), (b) Kriege und Kriegsgeschrei (V. 6 ; vgl. Offb 6,3-4;
das zweite Siegel ist der Krieg), in denen sich weltweit ein Volk
gegen das andere erheben wird, und durch ungewöhnliche
Naturereignisse wie Hungersnöte (V. 7 ; vgl. Offb 6,5-6; das dritte
Siegel ist der Hunger; das vierte und fünfte sind Tod und Martyrium
[ Offb 6,7-11 ]) und Erdbeben ( Mt 24,7; vgl. Offb 6,12-14; das
sechste Siegel ist ein Erdbeben). Das alles ist nach den Worten Jesu
der Anfang der Wehen . Wie die Wehen bei einer Schwangeren ein
Zeichen sind, daß sie bald gebären wird, so werden diese universalen
Konflikte und Katastrophen das Ende der Zeit zwischen den beiden
Kommen des Messias einläuten. Mt 24,9-14 ( Mk 13,9-13; Lk 21,12-19 ) Jesus begann
seine Rede ( Mt 24,9 ) mit einem Zeitwort: "dann" . In der Mitte der
sieben Jahre, die Christi zweitem Kommen vorausgehen, wird Israel in
große Bedrängnis geraten. Der Antichrist, der zu dieser Zeit die
Welt beherrscht und mit Israel ein Schutzbündnis abgeschlossen hat,
wird seinen Vertrag brechen ( Dan 9,27 ). Er wird die Juden schweren
Verfolgungen aussetzen ( Dan 7,25 ) und sich selbst im Tempel in
Jerusalem einen Altar errichten ( 2Thes 2,3-4 ). Viele Juden werden
dabei getötet werden (V. 9 ), und viele werden vom Glauben abfallen
. Die Gläubigen werden von den Ungläubigen verraten werden (V. 10 ),
und viele werden sich von falschen Propheten (vgl. V. 5 ; Offb
13,11-15 ) täuschen lassen. Die Ungerechtigkeit wird überhand
nehmen, und die Liebe (zum Herrn) wird in vielen erkalten . "Wer aber beharrt bis ans Ende, der wird
selig werden" (V. 13 ). Das bezieht sich nicht auf eine persönliche
Anstrengung, auf das Ausharren, das zur ewigen Rettung führt,
sondern auf die leibliche Erlösung derer, die in der Zeit der
Trübsal auf den Retter vertrauen. Sie werden lebendig in das Reich
eingehen. "Und es wird gepredigt werden dies
Evangelium vom Reich in der ganzen Welt zum Zeugnis für alle
Völker..." Obwohl es eine schreckliche Zeit voller Verfolgung sein
wird, wird der Herr Diener haben, die die gute Nachricht von
Christus und seinem nahe bevorstehenden Reich bezeugen und
verbreiten. Ihre Botschaft wird der, die Johannes der Täufer, Jesus
und die Jünger am Anfang des Matthäusevangeliums predigten, ähnlich
sein, doch diesmal wird sie Jesus ganz eindeutig in seinem wahren
Wesen als kommender Messias enthüllen. Sie weicht darin etwas von
dem, was die Kirche heute verkündet, ab. Zwar riefen bzw. rufen
beide Botschaften die Menschen auf, sich dem Retter zuzuwenden. In
der Zeit der Trübsal wird die Betonung jedoch vor allem auf dem
kommenden Reich liegen, und die, die sich um Rettung an den Herrn
wenden (nach Offb 7,9-10 werden das nicht wenige sein), werden in
das Reich eingehen. Mt 24,15-26 ( Mk 13,14-23; Lk 21,20-26 ) Nach diesem
kurzen Überblick über die schwere Zeit vor seinem zweiten Kommen
sprach Jesus von dem größten Zeichen, das in dieser Zeit zu sehen
sein wird, von dem Greuelbild der Verwüstung . Auch davon hatte
bereits der Prophet Daniel berichtet ( Dan 9,27 ). Mit diesem Bild
war die Abschaffung des jüdischen Gottesdienstes in der Zeit der
Trübsal ( Dan 12,11 ) und die an seine Stelle gesetzte Anbetung des
Herrschers der Welt, des Antichristen, gemeint. Er wird den Tempel
zu einem Greuel (und daher "wüst") machen, indem er sein Bild dort
aufrichten und verehren läßt ( 2Thes 2,4; Offb 13,14-15 ). All das
wird für jedermann klar erkennbar sein. Wenn es dazu kommt, dann "fliehe auf die
Berge, wer in Judäa ist." Die Menschen sollen auf die Flucht nichts
mitnehmen und auch nicht vom Feld zurückkehren, um etwas Vergessenes
zu holen, nicht einmal einen Mantel. Die Zeit, die diesem Ereignis
folgen wird, wird eine Zeit großer Bedrängnis sein, wie sie nicht
gewesen ist vom Anfang der Welt bis jetzt und auch nicht wieder
werden wird ( Jer 30,7 ), eine Zeit unvorstellbaren Schreckens.
Deshalb wies Jesus besonders darauf hin, wie schwierig sie gerade
für die Schwangeren und Stillenden sein würde ( Mt 24,19 ). Er riet
den Menschen, darum zu bitten, daß ihre Flucht wenigstens nicht im
Winter erfolgen müßte, wenn es besonders schwierig wäre zu reisen,
oder am Sabbat , wenn der Reiseverkehr eingeschränkt wäre. Der Herr tröstete und ermutigte sie aber
auch, denn er kündigte an, daß diese Tage verkürzt würden (V. 22 ).
Das heißt nicht, daß die Tage weniger als 24 Stunden haben werden,
sondern daß diese Zeit nicht endlos sein wird. Wenn sie nicht
abgekürzt würde, so würde kein Mensch selig werden. Aber um der
Auserwählten willen , die aus der Trübsal erlöst werden und in das
Reich eingehen, wird diese schreckliche Periode ein Ende haben. (Die
Auserwählten des Kirchenzeitalters dagegen werden bereits vor der
Trübsal entrückt.) Menschen, die sich als der Messias ausgeben, und
falsche Propheten werden erscheinen und Irrtümer verbreiten (V. 23 -
24 ). Sie werden die Rettung verkünden und Zeichen und Wunder tun,
um sogar die Auserwählten zu verführen . Jesus warnte die Jünger
deshalb vorher, sich nicht von solchen Dingen täuschen zu lassen. 3. Das Kommen des Menschensohnes ( 24,27 - 31 ) ( Mk 13,24-27; Lk 21,25-28
) Mt 24,27-31 Der Herr wird zu jener Zeit nicht
leibhaftig in der Welt sein, doch er wird auf die Erde zurückkehren.
Sein Kommen wird sein, wie der Blitz ausgeht vom Osten und leuchtet
bis zum Westen - also ein großartiges, allen sichtbares Ereignis. Wo
immer das Aas (physische Verderbnis) ist, da sammeln sich die Geier
zum Fraß . In gleicher Weise wird auch der spirituellen Verderbnis,
die dann überhandnimmt, das Gericht folgen. Die Welt wird in dieser
schrecklichen Zeit von dem Boten des Teufels, dem Antichristen, dem
Gesetzlosen, regiert ( 2Thes 2,8 ), und viele Menschen werden durch
falsche Propheten zum Abfall verführt werden ( Mt 24,24 ). Doch der
Menschensohn wird rascher kommen, als sie denken, und sie richten
(V. 27 ). Sogleich nach der Bedrängnis dieser Zeit
wird der Herr wiederkommen. Sein Kommen wird von ungewöhnlichen
Erscheinungen (V. 29 ; vgl. Jes 13,10; 34,4; Joe 3,4; 4,15.16 ) und
von seinem "Zeichen" am Himmel ( Mt 24,30 ) begleitet sein. Beim
Sichtbarwerden des Zeichens werden alle Geschlechter auf Erden
wehklagen (vgl. Offb 1,7 ), wahrscheinlich, weil sie wissen, daß nun
die Zeit des Gerichts für sie gekommen ist. Was das Zeichen des Menschensohns genau
sein wird, wissen wir nicht. Das Zeichen, daß Gott das Volk Israel
verlassen hat, war das Weggehen der Herrlichkeit des Herrn aus dem
Tempel ( Hes 10,4.18;11,23 ) - vielleicht wird dies auch das Zeichen
der Rückkehr des Herrn sein. Manche Forscher sind der Ansicht, daß
die himmlische Stadt, das Neue Jerusalem, zu jener Zeit herabkommen
und im Tausendjährigen Reich als Satellitenstadt über dem irdischen
Jerusalem schweben wird ( Offb 21,2-3 ). Das Zeichen kann aber auch
der Blitz oder sogar die Erscheinung des Herrn selbst sein. In jedem
Fall wird es für alle Menschen sichtbar sein, denn der Herr wird
kommen auf den Wolken des Himmels mit großer Kraft und Herrlichkeit
(vgl. Dan 7,13 ). Und er wird seine Engel senden mit hellen
Posaunen, und sie werden seine Auserwählten sammeln von den vier
Winden (damit ist die ganze Erde gemeint; vgl. Mk 13,27 ), von einem
Ende des Himmels bis zum andern . Dazu gehört auch das Sammeln
derer, die in der siebzigsten Woche der Vision des Propheten Daniel
noch zum Glauben gefunden haben und während der Verfolgungen (vgl.
V. 16 ) über die ganze Welt zerstreut wurden. Auch alle Heiligen des
Alten Testaments, die dann auferstehen, werden gesammelt werden und
in das Reich des Messias eingehen ( Dan 12,2.13 ). 4. Die Bestätigung von Jesu Rede über die
Endzeit durch Gleichnisse ( 24,32 - 51 ) Im ersten Teil seiner Endzeitrede ( Mt
24,4-31 ) hatte Jesus direkt über seine Rückkehr auf die Erde
gesprochen. Im Anschluß daran gab er einige praktische
Verhaltensmaßregeln und Anweisungen in bezug auf sein zweites
Kommen. Wenn man die folgenden Gleichnisse liest, sollte man immer
bedenken, daß sie in erster Linie für jene zukünftige Generation
bestimmt sind, die die Zeit der Trübsal und die unmittelbar
bevorstehende Wiederkunft des Königs in Herrlichkeit miterleben
wird. Doch in zweiter Linie richten sie sich natürlich auch, wie
vieles in der Heiligen Schrift, an die Gläubigen der heutigen Zeit,
die den Leib Christi, die Kirche, bilden. Von der Kirche selbst ist
in diesem Abschnitt zwar nicht die Rede. Aber wenn den Menschen in
der Zukunft geraten wird, bereit, wachsam und treu zu sein, so gilt
das sicherlich in gleichem Maße auch für die heutigen Christen. a. Der Feigenbaum ( Mt 24,32-44 ) Mt 24,32-35 ( Mk 13,28-31; Lk 21,29-33 ) Jesu Worte,
"lernt ein Gleichnis" , zeigen, daß er nun anzuwenden begann, was er
gelehrt hatte. Wenn die Zweige des Feigenbaums saftig werden und
Blätter treiben , ist das ein sicheres Zeichen, daß der Sommer nahe
ist (vgl. Mt 21,18-20 ). So wie der Feigenbaum ein Bote des Sommers
ist, sind die Zeichen ( Mt 24,4-28 ), von denen Jesus sprach, ein
Hinweis, daß sein Kommen unmittelbar bevorsteht. Er betonte dabei
vor allem die Tatsache, daß das alles erfüllt sein muß. Es gab in
der Geschichte immer wieder Ereignisse, die man für die Erfüllung
dieser Prophezeiung hielt, doch nie traten sämtliche von Jesus
genannten Vorzeichen (die mit der Zeit der Trübsal verbunden sind)
gleichzeitig auf. Ein solches Zusammentreffen liegt noch in der
Zukunft. Jesus bezog seine Worte in diesem Zusammenhang nicht auf
das Geschlecht ( genea ), dem seine Zuhörerschaft angehörte, denn
diesem war, wie er bereits gesagt hatte, die Verheißung des Reiches
genommen worden ( Mt 21,43 ). Die Generation des ersten Jahrhunderts
würde allenfalls das Gericht erfahren. Doch die, die in jener Zeit
leben, wenn die Zeichen am Himmel erscheinen, werden die Periode der
Trübsal erleben und den Herrn als den König der Herrlichkeit kommen
sehen. Diese Verheißung ist unerschütterlich, denn eher werden
Himmel und Erde vergehen als die Worte Christi (vgl. Mt 5,18 ). Mt 24,36-41 ( Mk 13,32; Lk 17,26-36 ) Den genauen
Zeitpunkt der Rückkehr des Herrn weiß niemand, ihn kennt nach den
Worten Jesu allein der Vater . Christus sprach hier offensichtlich
als Mensch (vgl. Lk 2,52 ), nicht als allwissender Gott. Die Zeit
vor seinem Kommen aber wird sein, wie es in den Tagen Noahs war .
Die Menschen werden ganz normal ihrem Leben nachgehen und nichts von
dem bevorstehenden Gericht ahnen. Auch für die Menschen in Noahs
Tagen ging das Leben seinen gewohnten Gang, sie aßen, sie tranken,
sie heirateten und ließen sich heiraten, bis die Sintflut kam und
raffte sie alle dahin... Die Flut kam unverhofft, und die Menschen
waren nicht auf sie vorbereitet. Ebenso wird es auch sein beim Kommen des
Menschensohns. Dann werden zwei auf dem Felde sein; der eine wird
angenommen, der andere wird preisgegeben. Zwei Frauen werden mahlen
mit der Mühle; die eine wird angenommen, die andere wird
preisgegeben. Wie zur Zeit Noahs werden die schlechten und
verdorbenen Menschen "preisgegeben" und kommen unter Gottes Gericht
(vgl. Lk 17,37 ). Die "Angenommenen" sind Gläubige, die das Vorrecht
haben, lebendig in das Reich des Messias einzugehen. Wie in der
Sintflut die Bösen vom Erdboden vertilgt wurden und Noah als
einziger Gerechter zurückblieb, so werden bei Christi Wiederkunft
die Schlechten verurteilt und verschwinden, die Gerechten aber
werden übrigbleiben und Untertanen in seinem Reich werden. Es ist relativ klar, daß mit diesen
Äußerungen nicht die Kirche, der Leib Christi, gemeint ist. Der Herr
beschrieb hier sicherlich nicht die Entrückung der Gläubigen, denn
die Aufhebung der Kirche wird nicht die Züge eines Gerichts über die
Kirche tragen. Wenn an dieser Stelle tatsächlich von der Entrückung
die Rede wäre, wie einige Kommentatoren annehmen, so müßte diese
erst nach der Zeit der Trübsal stattfinden, denn das hier
geschilderte Ereignis geht der Rückkehr des Herrn in Herrlichkeit
unmittelbar voraus. Das stünde jedoch in Widerspruch zu einer Reihe
von Schriftstellen und brächte auch andere Probleme mit sich, auf
die hier nicht näher eingegangen werden kann (vgl. dazu u. a. den
Kommentar zu 1Thes 4,13-18 und Offb 3,10 ). Die Warnung des Herrn
sollte die Menschen dazu bringen, sich bereit zu halten, denn das
Gericht wird zu einem Zeitpunkt kommen, an dem man am wenigsten
damit rechnet. Mt 24,42-44 Jesus ermahnte seine Jünger zu wachen (
grEgoreite ), denn ihr wißt nicht, an welchem Tag der Herr kommt
(vgl. Mt 25,13 ). Die siebzigste Woche des Daniel wird einen
bestimmten Anfang und ein genau festgesetztes Ende haben. Doch nur
Gott kennt beide; die Menschen, die dann leben, werden sie nur ahnen
können. Daher ist es wichtig, wachsam zu sein. Wenn jemand auch nur
ungefähr die Stunde wüßte, in der der Dieb kommt , so würde er sich
vorsehen und Vorbereitungen treffen. Dieselbe Grundhaltung sollen
sich die Gläubigen in der Zeit der Bedrängnis zu eigen machen, wenn
sie auf das Kommen des Herrn der Herrlichkeit warten. Sie werden
zwar aufgrund der Zeichen am Himmel wissen, daß die Zeit da ist,
doch der genaue Zeitpunkt der Rückkehr wird ihnen nicht bekannt
sein. b. Der treue Knecht ( 24,45 - 51 ) ( Mk 13,34-37; Lk 12,41-48
) Mt 24,45-51 Wenn Christus zurückkehrt, wird er seine
Knechte prüfen. Wie der Herr in der Geschichte, die Jesus erzählte,
alle seine Besitztümer seinem Knecht anvertraut hatte, so hat Gott
die Sorge für alle Dinge auf Erden seinen Knechten übergeben. Die
innere Einstellung der Knechte äußert sich darin, wie sie mit der
ihnen übertragenen Aufgabe umgehen. Der Herr wünscht sich Knechte,
die seinen Willen gewissenhaft ausführen, ähnlich wie jener erste
Knecht im Gleichnis (V. 45 - 46 ). Ein solcher Knecht wird bei der
Rückkehr des Herrn für seine Treue belohnt werden (V. 47 ). Doch ein
Knecht, der das ihm Anvertraute veruntreut und seine Arbeit
vernachlässigt, wird streng bestraft werden. Er denkt möglicherweise
bei sich selbst, "mein Herr kommt noch lange nicht" , behandelt
seine Mitknechte schlecht ( fängt an sie zu schlagen ) und führt
einen schlechten Lebenswandel ( ißt und trinkt mit den Betrunkenen
). Wie die bösen Menschen in Noahs Tagen (V. 37-39 ) soll er keine
Vorahnung des Gerichtes haben (V. 50 ). Doch das Gericht wird kommen
und mit jenem wird verfahren werden wie mit einem Heuchler - denn
das ist ein nicht vertrauenswürdiger Knecht im Grunde. Sein Herr
wird ihn verstoßen und der ewigen Verdammnis überantworten ( Heulen
und Zähneklappern ; vgl. den Kommentar zu Mt 13,42 ). Genauso aber
wird das Gericht bei der Wiederkunft Christi die Bösen auf ewig von
Gott scheiden. 5. Das kommende Gericht über Israel ( 25,1 - 30 ) Mt 25,1-13 Christi Wiederkunft in Herrlichkeit wird
aber auch noch andere Scheidungen zwischen Wachsamen und Achtlosen
mit sich bringen, wie das Gleichnis von den zehn Jungfrauen
anschaulich macht. Es gibt zahllose ganz verschiedene Auslegungen zu
diesem Gleichnis. Vom Kontext her ( Mt 24,3.14.27.30.39.44.51 )
scheint es am plausibelsten, es als Bild für das Gericht über die
Juden, die nach der Rückkehr des Herrn noch am Leben sind, zu
verstehen. Beim Erscheinen des Herrn wird ein Gericht über die
Heiden (die Trennung von Schafen und Böcken; vgl. Mt 25,31-46 )
stattfinden, aber auch das Volk Israel wird gerichtet werden ( Hes
20,33-44; Sach 13,1 ). Israel wird durch zehn Jungfrauen
dargestellt, die auf die Rückkehr des Bräutigams warten. Nach den
jüdischen Heiratsbräuchen zur Zeit Jesu war es üblich, daß der
Bräutigam aus dem Haus der Braut in einer Prozession zu seinem
eigenen Haus zurückkehrte, wo dann ein Hochzeitsmahl abgehalten
wurde. So wird in diesem Gleichnis Jesus als König mit seiner Braut,
der Kirche, aus dem Himmel zurückkehren, um die Herrschaft über das
Tausendjährige Reich anzutreten. Die Juden, die die schreckliche
Zeit der Trübsal erlebt haben, werden zu den geladenen Gästen dieser
Hochzeitsfeier gehören. Auf ein solches Fest muß man sich jedoch
vorbereiten. In dem Gleichnis hatten fünf der Jungfrauen die
entsprechenden Vorkehrungen getroffen und außer den erforderlichen
Lampen noch einen gewissen Ölvorrat in Gefäßen ( Mt 25,4 )
mitgenommen. Die anderen fünf hatten nur ihre Lampen dabei. Als der
Bräutigam um Mitternacht ankam, waren die Lampen der fünf, die kein
zusätzliches Öl besaßen, am Verlöschen . Da sie sich nun erst einmal
Öl besorgenmußten, versäumten sie die Ankunft des Bräutigams . Als
sie zurückkehrten und feststellten, daß das Hochzeitsfest bereits
begonnen hatte, baten sie, eingelassen zu werden, doch der Zutritt
wurde ihnen verwehrt (V. 10 - 12 ). In der Zeit der Bedrängnis wird Israel
wissen, daß das Kommen des Messias nahe bevorsteht, doch nicht alle
Juden werden innerlich darauf vorbereitet sein. Der Bräutigam wird
plötzlich und unerwartet kommen ( Mt 24,27.39.50 ). Obwohl die
Bedeutung des Öls in dieser Passage nicht explizit erklärt wird,
sehen die meisten Exegeten es als Symbol für den Heiligen Geist und
sein Erlösungswerk. Zum Erlöstsein gehört mehr als das bloße
Bekenntnis, es erfordert eine wirkliche Erneuerung durch den Geist.
Diejenigen, die lediglich bekennen, gerettet zu sein, ohne den Geist
zu besitzen, werden von dem Fest, d. h. vom Reich Gottes,
ausgeschlossen werden. Wer nicht bereit ist, wenn der König kommt,
kann nicht in sein Reich eingehen. Da aber der Tag und die Stunde
seiner Rückkehr unbekannt sind, sollten die Gläubigen in der Zeit
der Trübsal wachen ( grEgoreite ), d. h. wachsam und vorbereitet
sein (vgl. Mt 24,42 ). Mt 25,14-30 ( Lk 19,11-27 ): In einem anderen
Gleichnis über die Pflichttreue erzählte Jesus die Geschichte eines
Herrn und seiner drei Knechte. Als der Herr außer Landes ging, gab
er jedem von ihnen eine bestimmte Summe Geld. Es handelte sich dabei
um Talente, Silbergeld ( Mt 25,18 : argyrion , d. h. Silber); ein
Talent wog etwa 40 Kilogramm. Der Herr vertraute seinen Knechten
also beträchtliche Summen an, wobei er sich nach den Fähigkeiten der
einzelnen richtete. Zwei der Knechte erwiesen sich als treu
im Umgang mit dem Geld ihres Herrn (V. 16 - 17 ) und wurden sowohl
finanziell als auch durch die Übertragung größerer Verantwortung und
nicht zuletzt durch die Freude ihres Herrn belohnt (V. 20-23 ). Der
dritte Knecht jedoch, der einen Zentner Silber erhalten hatte,
spekulierte darauf, daß sein Herr überhaupt nicht mehr zurückkehren
würde. Wenn er eines Tages doch käme, könnte er ihm den einen
Zentner zurückgeben ohne Verlust durch Fehlinvestitionen (V. 25 ).
Wenn er aber nicht mehr heimkehrte, wollte er das Geld einfach für
sich behalten. Aus diesem Grund wollte er es nirgendwo hinterlegen,
wo möglicherweise irgendwie festgehalten worden wäre, daß es seinem
Herrn gehörte (V. 27 ). Diese berechnende Einstellung zeigt, daß er
seinem Herrn nicht vertraute. Er erwies sich als unnützer Knecht ,
verlor auch das wenige, was er hatte (V. 29 ; vgl. Mt 13,12 ), und
wurde dem Gericht überantwortet. Wie der untreue Knecht im anderen
Gleichnis ( Mt 24,48-51 ) war auch er auf ewig von Gott getrennt (zu
der Wendung Heulen und Zähneklappern vgl. den Kommentar zu Mt 13,42
). Während das Gleichnis von den zehn Jungfrauen ( Mt 25,1-13 ) die
Notwendigkeit des Bereitseins für die Rückkehr des Messias
verdeutlicht, betont das Gleichnis von den anvertrauten Zentnern,
wie wichtig es ist, dem Herrn treu zu dienen, während er abwesend
ist. 6. Das kommende Gericht über die Heiden ( 25,31 - 46 ) Wenn der Herr "in seiner Herrlichkeit"
zurückkehren wird, wird er nicht nur das Volk Israel richten (wie im
Gleichnis von den zehn Jungfrauen [V. 1 - 13 ] und von den
anvertrauten Zentnern [V. 14 - 30 ]), sondern auch die Heiden.
Dieses Ereignis ist nicht identisch mit dem Gericht vor dem großen
weißen Thron nach dem Tausendjährigen Reich, bei dem nur die Bösen
gerichtet werden ( Offb 20,13-15 ). Das Gericht über die Heiden wird
vielmehr tausend Jahre früher stattfinden und festlegen, wer in das
Reich eingehen wird und wer nicht. Mt 25,31-33 Die Wendung "die Völker" ( ta ethnE ) ist
hier mit "die Heiden" zu übersetzen. Damit sind alle Völker gemeint,
die außer den Juden noch die Zeit der Trübsal erleben (vgl. Joe
4,1.2.12 ). Die Angehörigen der verschiedenen Volksgruppen werden
mit Schafen und Böcken verglichen, die der Herr voneinander trennen
wird. Die Menschen werden jedoch jeweils einzeln und nicht nach
nationaler Zugehörigkeit zusammen gerichtet. Mt 25,34-40 Der König "auf dem Thron" (V. 31 ) wird
die zu seiner Rechten - die Schafe - einladen, in das Reich, das
Gott von Anbeginn der Welt für sie bereitet hat , einzugehen. Ihr
Zugang gründet sich auf das Gute, das sie getan haben, denn sie
haben dem Herrn zu essen und zu trinken gegeben und ihn aufgenommen
(V. 35 - 36 ). Die "Schafe" selbst werden sich überhaupt nicht
erinnern, dem Herrn je so unmittelbar gedient zu haben (V. 37 - 39
), doch der König erklärt ihnen: "Was ihr getan habt einem von
diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan" (V. 40 ). Der Ausdruck "diese Brüder" muß sich auf
eine dritte Gruppe beziehen, die weder zu den Schafen noch zu den
Böcken gehört. Dabei kann es sich nur um die Juden, die leiblichen
Brüder des Herrn, handeln. Denn in der Zeit der Trübsal wird das
Leben aller gläubigen Juden schwer bedroht sein (vgl. Mt 24,15-21 ).
Die Schergen des Diktators der Welt werden alles tun, um sie zu
vernichten (vgl. Offb 12,17 ). Ein Heide, der in dieser Zeit einem
Juden hilft, beweist damit, daß er während der Trübsal zum Glauben
an Jesus Christus gekommen ist. Er setzt mit dieser Einstellung und
Handlungsweise sein Leben aufs Spiel. Seine Werke werden ihn zwar
nicht retten, aber sie werden zeigen, daß er erlöst ist. Mt 25,41-46 Über die Böcke zu seiner Linken (vgl. V.
33 ) wird der Herr das Gericht verkünden. Ihnen wird gesagt: "Geht
weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist
dem Teufel und seinen Engeln" (vgl. "das Reich, das ... bereitet
ist"; V. 34 ). Sie werden verurteilt, weil sie dem kleinen Rest der
gläubigen Juden in der Zeit der Trübsal keinerlei Erbarmen
entgegenbrachten. Sie haben sich nicht um diese Geringsten gekümmert
(V. 42 - 44 ; vgl. V. 35 - 36 ), sondern mit dem Diktator der Welt
sympathisiert und ihn unterstützt. Dafür werden sie von der Erde
vertilgt und in das "ewige Feuer" geworfen (V. 41 ) und müssen dort
die ewige Strafe erleiden (V. 46 ). Wenn so nach den verschiedenen
Stufen des Gerichts beim zweiten Advent des Herrn alles Böse
ausgerottet ist, dann wird das Gottesreich auf Erden beginnen, das
nur die Erlösten in leibhaftiger Gestalt bevölkern werden. Auch die
verherrlichten Heiligen aus dem Alten Testament und die Kirche, die
Braut Christi, werden an der Herrschaft des Königs der Könige
teilnehmen. In dieser langen prophetischen Rede
beantwortete Jesus die Fragen der Jünger nach seinem zweiten Kommen
und nach dem Ende der Zeit ( Mt 24,4-31 ). Zugleich gab er aber auch
denen, die in dieser Zeit leben werden, Richtlinien an die Hand,
nach denen sie ihr Verhalten ausrichten können ( Mt 24,32-51 ), und
ermahnte sie zu Treue, Wachsamkeit und zum Bereitsein. Im Grunde
gelten diese Lehren für die Gläubigen aller Zeiten. Jesus schloß
seine Rede mit einer Beschreibung der Errichtung des Reichs und der
Schilderung des Gerichts über die Juden ( Mt 25,1-30 ) und die
Heiden (V. 31 - 46 ). E. Gerichtsverhandlungen und Verurteilung ( Mt 26-27 ) 1. Die vorangehenden Ereignisse ( 26,1 - 46 ) a. Der Plan der Hohenpriester und
Ältesten ( 26,1 - 5 ) ( Mk 14,1-2; LK 22,1 - 2;
Joh 11,45-53 ) Mt 26,1-5 Die Worte "als Jesus alle diese Reden
vollendet hatte" bilden den letzten der fünf Wendepunkte des
Matthäusevangeliums (vgl. Mt 7,28;11,1;13,53;19,1 ). Unmittelbar
nach Beendigung seiner Rede auf dem Ölberg erinnerte Jesus die
Jünger daran, daß das Passafest in zwei Tagen bevorstand und daß er
dann überantwortet und gekreuzigt werde. Die Ereignisse in Kapitel
26,1 - 16 fanden an einem Mittwoch statt. Über die Reaktion der
Jünger auf die Ankündigung des Herrn ist nichts überliefert.
Matthäus berichtet als nächstes von der Verschwörung, die sich unter
den religiösen Führern anbahnte, mit dem Ziel, Jesus zu töten. Im
Palast des Hohenpriesters Kaiphas wurde der Plan ausgeheckt, ihn mit
List zu ergreifen , allerdings erst nach dem Fest. Man hatte vor zu
warten, bis die vielen Pilger, die zum Passafest nach Jerusalem
gekommen waren, die Stadt wieder verlassen hatten. Danach wollte man
Jesus ohne Aufsehen von der Bildfläche verschwinden lassen. Der
Zeitplan der Pharisäer entsprach jedoch nicht dem Plan Gottes. Daß
die nachfolgenden Ereignisse etwas rascher ins Rollen kamen, als sie
beabsichtigten, war nicht zuletzt auf die Bereitwilligkeit von Judas
Iskariot zurückzuführen, der den Herrn freiwillig verriet. b. Die Salbung in Betanien ( 26,6 - 13 ) ( Mk 14,3-9; Joh 12,1-8 ) Mt 26,6-9 In der letzten Woche seines Lebens
übernachtete der Herr in Betanien , das östlich von Jerusalem am
Fuße des Ölbergs lag. Eines Abends kam es hier im Hause Simons des
Aussätzigen zu einem Vorfall, der im Johannesevangelium wesentlich
detaillierter wiederkehrt ( Joh 12,1-8 ). So nennt Johannes unter
anderem auch die Namen der Beteiligten: Die Frau, die das Salböl auf
Jesu Haupt goß, war Maria ( Joh 12,3 ), und der Jünger, der als
erster Einspruch gegen ihre Handlung erhob, war Judas Iskariot ( Joh
12,4 ). Das Salböl war sehr kostbar ( Mt 26,7 ), sein Wert betrug
den Lohn eines Jahres ( Joh 12,5; wörtlich: "dreihundert
Silbergroschen"). Maria ließ sich dieses Werk der Liebe
offensichtlich etwas kosten. Mt 26,10-13 Der Herr wußte, was für Gedanken ("Wozu
diese Vergeudung?"; V. 8 ) und Gefühle ("sie wurden unwillig"; V. 8
; vgl. Mt 20,24;21,15 ) den Äußerungen der Jünger eigentlich
zugrunde lagen. Judas Iskariot war keineswegs von Sorge für die
Armen getrieben ( Joh 12,6 ); er war ein Dieb und hätte es lieber
gesehen, daß das Geld in die gemeinsame Kasse eingezahlt worden
wäre, die er verwaltete. Jesus erinnerte sie alle daran, daß sie die
Armen immer bei sich hätten und ihnen Gutes erweisen könnten, er
selbst aber nicht allezeit bei ihnen sein würde. Marias gutes Werk ( Mk 14,6 ) bereitete
seinen Körper für das Begräbnis vor ( Mt 26,12 ). Jesus hatte immer
wieder von seinem bevorstehenden Tod gesprochen (z. B. Mt
16,21;17,22;20,18 ), doch die Jünger schienen ihm nicht zu glauben.
Maria aber glaubte; ihre Handlungsweise war ein Beweis ihrer Liebe.
Was sie tat, wird denn auch in der ganzen Welt verkündet. Vielleicht
war es gerade diese Handlung und die Tatsache, daß der Herr sie
guthieß, die Judas dazu veranlaßte, Jesus zu verraten, denn
unmittelbar danach ging er zu den Hohenpriestern und bot ihnen an,
Jesus auszuliefern. c. Der Verrat des Judas ( 26,14 - 16 ) ( Mk 14,10-11; Lk 22,3-6 ) Mt 26,14-16 Judas Iskariot muß für die Pharisäer die
Antwort auf ihre Gebete gewesen sein. Daß er dieses Angebot
ausgerechnet den Hohenpriestern machte, war weit mehr, als wenn er
ihn der Polizeigewalt ausgeliefert hätte. Judas erklärte sich -
gegen eine eventuell sofort ausbezahlte Summe - bereit, als Zeuge
gegen Jesus auszusagen, wenn er vor Gericht gestellt würde. Er hätte
alles für Geld getan (vgl. Joh 12,6 ). Dreißig Silberlinge waren der
Ablösepreis für einen Sklaven ( 2Mo 21,32 ). Dieselbe Summe wurde in
der Prophetie als Lohn für den Guten Hirten festgesetzt ( Sach 11,12
). Ihr genauer Wert läßt sich heute nicht mehr bestimmen, da die
Münzwährung, um die es sich dabei handelte, nicht angegeben wird -
es ist einfach von "Silber" die Rede ( argyria ; vgl. Mt 25,18 ).
Doch es kann sich durchaus um eine beträchtliche Summe gehandelt
haben. Der Handel war damit perfekt, und von nun war Judas für die
religiösen Führer der Mann, der sie von ihrem größten Problem, Jesus
von Nazareth, befreien sollte. Er wußte, daß es für ihn kein Zurück
mehr gab, denn er hatte sein Wort verpfändet und war bereits bezahlt
worden. d. Das Abendmahl ( 26,17 - 30 ) Mt 26,17-19 ( Mk 14,12-16; Lk 22,7-13 ) Die meisten
Bibelforscher stimmen überein, daß die Ereignisse, von denen in Mt
26,17-30 die Rede ist, am Donnerstag der Karwoche stattfanden, denn
das war der erste Tag des einwöchigen Festes der Ungesäuerten Brote
, der Tag, an dem die Passalämmer geopfert wurden ( Mk 14,12 ). Das
Fest der Ungesäuerten Brote folgte unmittelbar auf das Passafest;
die ganze, achttägige Feier wurde manchmal die Passawoche genannt
(vgl. Lk 2,41; 22,1.7; Apg 12,3-4; s. auch den Kommentar zu Lk 22,7
). Die Jünger, die ausgeschickt wurden, um
Vorbereitungen für das Passamahl zu treffen, waren Petrus und
Johannes ( Lk 22,8 ). Der Ort, an dem Jesus das Passa feierte, wird
in keinem der Evangelien genauer angegeben, fest steht jedoch, daß
es in der Stadt, d. h. in Jerusalem, war ( Mt 26,18 ),
wahrscheinlich im Hause irgendeines Mannes, der Jesus als den
Messias anerkannte. Daß er ihm so bereitwillig sein Haus zur
Verfügung stellte, zeigt, daß er sich über Jesus und seinen Anspruch
im klaren war. Nachdem sie den Ort gefunden hatten, bereiteten die
Jünger auch das Passalamm vor, d. h., sie kauften das Lamm und
bereiteten es zu, wofür sie wahrscheinlich fast den ganzen Tag
brauchten. Mt 26,20-25 ( Mk 14,17-21; Lk 22,14-23; Joh 13,21-30
): Am Abend betrat Jesus den vorbereiteten Raum, einen "Saal" ( Lk
22,12 ) im oberen Stockwerk, und nahm das Passamahl mit den Zwölfen
ein. Während der Feier sagte Jesus, daß einer von denen, die mit ihm
zu Tisch saßen, ihn verraten würde - ein Zeichen für seine
Allwissenheit (vgl. Joh 2,25;4,29 ). Überraschenderweise klagten
sich die Jünger daraufhin nicht gegenseitig an, sondern wurden sehr
betrübt und fingen an, jeder einzeln, ihn zu fragen: "Herr, bin
ich's?" Jesus fügte hinzu, daß der, der ihn verraten würde, sehr
engen Umgang mit ihm hatte - sie hatten aus derselben Schüssel
gegessen. Er selbst, der Menschensohn , werde dahingehen (d. h.
sterben), wie von ihm bei den Propheten geschrieben steht (z. B. Jes
53,4-8; vgl. Mt 26,56 ). "Doch weh dem Menschen, durch den der
Menschensohn verraten wird! Es wäre für diesen Menschen besser, wenn
er nie geboren wäre." Jesus wies Judas damit nochmals auf die
Konsequenzen seines Verrats hin, denn der hatte zwar bereits das
Geld genommen, seine Tat jedoch noch nicht ausgeführt. Als Judas den
Herrn fragte: "Bin ich's, Rabbi?" , antwortete Jesus: "Du sagst es"
, eine ganz klare Antwort, daß er der Verräter sein würde. Es ist an
dieser Stelle nicht überraschend, daß Judas ihn "Rabbi" und nicht
"Herr" nannte, wie es die anderen Jünger taten (V. 22 ; vgl. V. 49
). Nach Darstellung des Johannesevangeliums
konnten die übrigen Jünger diese Worte des Herrn nicht hören ( Joh
13,28-29 ). Wenn sie sie verstanden hätten, hätten sie Judas
wahrscheinlich nicht mehr erlaubt, den Raum zu verlassen. Da sie es
jedoch nicht hörten, ging Judas hinaus ( Joh 13,30 ). Mt 26,26-30 ( Mk 14,22-26; Lk 22,19-20 ): Im weiteren
Verlauf des Mahls tat Jesus etwas, das nicht zum überlieferten
Brauchtum des Passafestes gehörte. Als sie aßen, nahm er das Brot
und dann den Kelch mit Wein und verlieh dieser Handlung durch seine
Worte eine ganz besondere Bedeutung. Er sagte, das Brot sei sein
Leib ( Mt 26,26 ) und der Wein sei sein Blut des neuen Bundes (V. 28
). Die Christen sind sich nicht ganz einig, was er mit diesenWorten
sagen wollte, doch es scheint so, als ob Jesus diese beiden Elemente
als sichtbare Erinnerungszeichen an das, was nun geschehen sollte,
einsetzte. Das Brot und der Wein standen für seinen
Leib und sein Blut, das bald vergossen werden sollte für viele (vgl.
Mt 20,28 ) zur Vergebung der Sünden . Damit sollte die Schuld der
Menschen getilgt werden, wie es im Neuen Bund verheißen war ( Jer
31,31-37 ), einem Bund, der den alten mosaischen Bund ablöste ( Jer
32,37-40; Hes 34,25-31;36,26-28 ). In der christlichen Kirche wurde
dieses überlieferte Geschehen aus dem Passamahl aufgenommen und
unter der Bezeichnung "Abendmahl" oder "Kommunion" weitergeführt.
Jesus trug der Kirche auf, diesen Ritus als ständige Erinnerung an
sein Rettungswerk zu feiern, bis er wiederkommt ( 1Kor 11,23-26 ).
Er sagte den Jüngern, er werde dieses Mahl nicht mehr mit ihnen
feiern, bis an den Tag, an dem er seines Vaters Reich auf Erden
errichten werde. Nach dem Passamahl sangen Jesus und seine Jünger
den Lobgesang miteinander und gingen dann hinaus an den Ölberg. e. Die Nacht in Gethsemane ( 26,31-46 ) Mt 26,31-35 ( Mk 14,27-31; Lk 22,31-34; Joh 13,36-38
) Auf dem Weg zum Ölberg machte Jesus den Jüngern bewußt, daß sie
alle ihn bald im Stich lassen würden. Damit würden die Worte des
Propheten Sacharja vom geschlagenen Hirten und den zerstreuten
Schafen in Erfüllung gehen ( Sach 13,7 ). Dies ist eine der
zahlreichen Stellen, bei denen Matthäus das Buch Sacharja zitiert
oder darauf anspielt. Aber Jesus verhieß seinen Jüngern auch, daß er
den Tod besiegen und von den Toten auferstehen werde, und versprach
ihnen, er werde vor ihnen hingehen nach Galiläa ( Mt 26,32; vgl.
28,7 ). Alle seine Jünger stammten aus Galiläa und hatten mit Jesus
zusammen dort unter den Juden gepredigt. Ob Petrus die Worte des Herrn über die
Auferstehung hörte, wissen wir nicht. Auf jeden Fall wehrte er sich
heftig gegen die Vorstellung, daß er an Jesus Ärgernis nehmen
sollte. Er versicherte, er werde den Herrn niemals verleugnen,
selbst dann nicht, wenn alle anderen es täten. Doch Jesus sagte ihm
voraus, daß er ihn in dieser Nacht, ehe der Hahn kräht, dreimal
verleugnen werde. Petrus konnte das nicht glauben, er versicherte
Jesus erneut seiner Liebe, selbst wenn er dafür sterben müsse ( Mt
26,35 ). Dasselbe beteuerten auch alle anderen Jünger; sie alle
konnten nicht fassen, daß sie den Herrn verleugnen sollten. Sie
würden ihn nicht verraten (V. 22 ), warum also sollten sie ihn
verleugnen? Mt 26,36-46 ( Mk 14,32-42; Lk 22,39-46; Joh 18,1 ):
Dann ging Jesus mit ihnen zu einem Garten ( Joh 18,1 ) , der hieß
Gethsemane , das bedeutet "Ölpresse". Solche Ölpressen standen in
Olivenhainen und wurden zur Gewinnung des Öls aus den Früchten
benutzt. Dort ließ Jesus seine Jünger - außer Petrus und den zwei
Söhnen des Zebedäus (Johannes und Jakobus; Mt 4,21 ), die mit ihm
gingen - zurück und fing an zu beten . Er war in großer Angst und
Traurigkeit ( lypeisthai , "sehr betrübt sein"; vgl. Mt
14,9;17,23;18,31;19,22 ), wie er sie noch nie in seinem Leben
gespürt hatte, und bat die drei Jünger: "Bleibt hier und wacht mit
mir" ( Mt 26,38 ). In dieser Stunde seiner größten Not wünschte sich
der Herr, daß die Menschen, die ihn liebten und verstanden, mit ihm
beteten. Er entfernte sich ein Stück von den
Dreien und betete: "Mein Vater, ist's möglich, so gehe dieser Kelch
an mir vorüber." Mit "Kelch" meinte er wahrscheinlich seinen
unmittelbar bevorstehenden Tod. Vielleicht wußte er auch, daß auch
sein Vater ihn verlassen würde ( Mt 27,46 ) und er erstmals mit der
Sünde in Berührung kommen sollte, weil er für die Menschheit zur
Sünde werden sollte ( 2Kor 5,21 ). Der Kelch ist im Alten Testament
das Sinnbild für Zorn. Entscheidend an diesem Gebet war jedoch, daß
der Herr auch an dieser Stelle seinen eigenen Willen dem Willen
seines Vaters unterwarf ( Mt 26,39 ). Als Jesus zu den Jüngern zurückkehrte,
fand er sie schlafend. Er weckte sie auf und tadelte Petrus (nicht
alle drei), weil er nicht mit ihm im Gebet ausgeharrt hatte. Kurz
zuvor hatte Petrus ihm zweimal versichert, er werde ihn nie
verlassen (V. 33.35 ), und nun konnte er ihm nicht einmal in der
größten Not im Gebet beistehen. Jesus ermahnte sie nochmals alle, zu
wachen und zu beten, doch er wußte auch um die menschliche Schwäche
(V. 41 ). Als Jesus zum zweiten Mal . betete,
erkannte er, daß es wohl unmöglich sein werde, daß der Kelch an ihm
vorübergehe , ohne daß er ihn "trank", und erklärte von neuem, daß
Gottes Wille erfüllt werden müsse, wie hoch auch immer der Preis sei
(V. 42 ; vgl. V. 39 ). Er kehrte zurück und fand die drei Jünger
abermals schlafend , doch diesmal weckte er sie nicht auf. Noch ein drittes Mal . betete er
dieselben Worte , während die Jünger schliefen. Ihr Schlafen und
Ruhen stand in schroffem Gegensatz zu seiner Qual (V. 37 ), seinem
Beten bis zur Erschöpfung und seinem Angstschweiß. Er war in diesem
Augenblick völlig einsam, denn obwohl die Jünger ihm ganz nahe
waren, waren sie ihm keinerlei Hilfe. Und doch zeigte er auch jetzt
unerschütterlichen Gehorsam - die feste Entschlossenheit, dem Willen
des Vaters zu folgen, was auch geschehen möge. Als Jesus zum dritten
Mal zu den Jüngern zurückkehrte, weckte er sie mit der Nachricht
auf, daß sein Verräter gekommen sei und sie ihm entgegengehen
wollten. 2. Jesu Gefangennahme ( 26,47 - 56 ) ( Mk 14,43-50; Lk
22,47-53; Joh 18,2-12 ) Mt 26,47-56 Während Jesus noch sprach, kam Judas am
Garten Gethsemane an. Er wurde von einer großen Schar römischer
Soldaten ( Joh 18,3 ) und von jüdischen Tempelwächtern ( Lk 22,52 )
begleitet, die die Hohenpriester und Ältesten geschickt hatten. Die
Soldaten trugen Schwerter und Stangen ( Mt 26,47; Mk 14,43 ) sowie
Fackeln und Lampen ( Joh 18,3 ). Man hatte es für nötig gehalten, so
viele zu schicken, um ganz sicher zu gehen, daß Jesus nicht
entkommen konnte. Vielleicht befürchteten die jüdischen Führer auch,
daß die Pilger, die sich in der Stadt aufhielten, um das Passafest
zu feiern, die Verhaftung zu verhindern suchen würden. Judas hatte mit den Beamten ein Zeichen
ausgemacht: Der, den er küssen wollte, war der, den sie ergreifen
sollten. Als er zu Jesus trat, sagte er: "Sei gegrüßt, Rabbi!" (vgl.
Mt 26,25 ) und küßte ihn . Jesu Antwort zeigte, daß er ihn noch
immer liebte, denn er redete ihn mit "Freund" ( hetaire , "Kamerad,
Genosse"; das Wort steht nur dreimal im Neuen Testament, und zwar
nur bei Matthäus: Mt 20,13;22,12;26,50 ) an. Dann stießen die
Soldaten Judas wohl beiseite und bemächtigten sich Jesu. Petrus wollte in dieser Situation nicht
sofort klein beigeben. (Nur Johannes erwähnt ihn in diesem
Zusammenhang mit Namen; Joh 18,10 .) Er war soeben erwacht und wußte
im Augenblick noch nicht so recht, was vor sich ging, daher zog er
sein Schwert und versuchte, Jesus zu verteidigen, indem er auf einen
der Angreifer einhieb. Er traf Malchus, den Knecht des
Hohenpriesters ( Joh 18,10 ), am Ohr. Der Herr untersagte jedoch sofort jede
Gewalttätigkeit und tadelte Petrus. Er hatte keine Hilfe nötig; sein
Vater würde ihm, wenn er es wollte, auf der Stelle zwölf Legionen
Engel schicken, die ihn verteidigten. Eine römische Legion umfaßte 6
000 Soldaten. Von über 72 000 Engeln umgeben, hätte Jesus leicht
jeden Angriff abwehren können. Doch es war nicht Gottes Wille, daß
Jesus freikam; Jesus wurde gefangengenommen, weil Gott es zuließ.
Matthäus schreibt nichts darüber, doch Lukas, der Arzt, berichtet,
daß Jesus den Verletzten wieder heilte ( Lk 22,51 ). Nach Matthäus sprach Jesus kurz mit
seinen Häschern. Er fragte sie, warum sie auf diese Weise gekommen
waren, um ihn zu fangen, wo er doch jeden Tag bei ihnen gesessen und
im Tempel gelehrt hatte, sie ihn also jederzeit hätten
gefangennehmen können. Offensichtlich hatten die religiösen Führer
jedoch die Sympathie des Volkes für Jesus gefürchtet. Doch auch so
erfüllte sich der Wille des Vaters und die Schriften der Propheten ,
die von seinem Tod sprachen. Da verließen ihn alle Jünger und flohen
in die Nacht - obwohl sie geschworen hatten, ihn nie zu verlassen (
Mt 26,33.35 ). Die Schafe zerstreuten sich (V. 31 ). 3. Die Gerichtsverhandlungen Jesu ( 26,57 - 27,26 ) a. Jesus vor dem Hohen Rat ( 26,57 - 27,10 ) Mt 26,57-58 ( Mk 14,53-54; Lk 22,54; Joh 18,15-16 )
Nachdem Jesus in Gethsemane gefangenommen worden war, führten ihn
die Soldaten vor Kaiphas , den Hohenpriester (vgl. die Tabelle zu
den sechs Gerichtsverhandlungen Jesu). Zuvor fand jedoch noch eine
kurze Vorverhandlung vor dem früheren Hohenpriester, Hannas,
Kaiphas' Schwiegervater, statt (vgl. den Kommentar zu Joh
18,12-13.19-24; vgl. auch die Tabelle bei Apg 4,1 ). Diese
Verzögerungstaktik gab Kaiphas offensichtlich Zeit, rasch den Hohen
Rat einzuberufen ( Mt 26,59; vgl. Apg 4,15 zu einem Kommentar zu dem
"Hohen Rat"). Petrus aber folgte dem Herrn von ferne bis zum Palast
des Hohenpriesters, um zu sehen, worauf es hinauslaufen würde. Mt 26,59-68 ( Mk 14,55-65; Lk 22,63-65 ) Die
Gerichtsverhandlungen gegen Jesus dienten einzig und allein dem
Zweck, einen legalen Grund zu finden, der ein Todesurteil
rechtfertigen könnte. Vor allem Judas war als Zeuge wichtig, doch er
konnte nirgends gefunden werden. Daher versuchte man, andere Zeugen
gegen Jesus aufzutreiben - ein sehr ungewöhnliches Verfahren - um
irgendeinen Vorwand zu finden, aufgrund dessen man ihn zum Tode
verurteilen konnte. Doch obwohl die Hohenpriester viele falsche
Zeugen beibrachten, konnte keiner etwas gegen ihn aussagen ( Mt
26,60 ). Schließlich bestätigten zwei Zeugen, daß Jesus einmal
gesagt hatte, "Ich kann den Tempel Gottes abbrechen und in drei
Tagen aufbauen" . Jesus hatte diese Äußerung zu Beginn seines
Wirkens, etwa drei Jahre zuvor, gemacht ( Joh 2,19 ), sie hatte sich
jedoch nicht auf das Tempelgebäude, sondern auf seinen Leib bezogen.
Interessanterweise wird diese Aussage hier, kurz vor seiner
Kreuzigung und Auferstehung, wieder aufgegriffen. Jesus weigerte
sich, auch nur auf eine der Beschuldigungen, die gegen ihn
vorgebracht wurden, zu antworten, da ihm offiziell keinerlei
Vergehen zur Last gelegt werden konnte. Der Hohepriester versuchte, Jesus dazu zu
bringen, zu den gegen ihn erhobenen Anklagen Stellung zu nehmen ( Mt
26,62 ). Doch Jesus schwieg, bis er unter dem heiligen Schwur
aufgefordert wurde, zu sprechen. Nachdem der Hohepriester ihn bei
dem lebendigen Gott beschworen hatte, mußte er wahrheitsgemäß
antworten. Kaiphas bestand darauf, daß er die Frage beantwortete, ob
er der Christus (der Messias), der Sohn Gottes sei (V. 63 ). Jesus
bejahte und sagte weiter, daß er in der Zukunft zur Rechten der
Kraft (vgl. Mt 25,31 ) sitzen und auf den Wolken des Himmels
zurückkehren werde (vgl. Mt 24,30 ). Das war eine ganz klare Aussage
über seine Gottheit, die der Hohepriester auch genauso auffaßte. Er
zerriß daraufhin seine Kleider - was ihm vom Gesetz her verboten war
( 3Mo 21,10 ) - und erklärte, daß Jesus Gott gelästert habe ( Mt
26,65 ). Seiner Ansicht nach bedurfte es keiner weiteren Zeugen,
denn er habe durch seine Aussage seine Schuld selbst offenkundig
gemacht. Dem Volk blieben nur zwei Möglichkeiten.
Es konnte zugeben, daß Jesus die Wahrheit gesprochen hatte,
niederfallen und ihn als Messias anbeten. Oder es konnte ihn als
Gotteslästerer verwerfen und zum Tode verurteilen. Die Menschen
wählten das letztere und besiegelten damit endgültig ihre ablehnende
Haltung gegenüber dem Mann, der als ihr Messias-König gekommen war. Damit war die Beweisführung vorerst
abgeschlossen. Niemand trat für Jesus ein oder wies auf all das Gute
hin, das er in den vergangenen drei Jahren getan hatte. Es hatte
ganz den Anschein, daß der Hohe Rat Jesus nun endlich da hatte, wo
er ihn haben wollte. Er hatte soeben vor aller Ohren Gott gelästert.
Entgegen allen jüdischen und römischen Gesetzen nahmen sie die
Bestrafung des Angeklagten selbst in die Hand und ließen ihn quälen.
Sie spien ihm ins Angesicht, schlugen ihn mit Fäusten und ins
Angesicht , und forderten ihn dabei auf, ihnen zu "weissagen" , wer
ihn soeben geschlagen hatte. Das taten sie eine ganze Weile und
hatten offensichtlich ihre Freude daran. Der Herr aber schwieg
während dieser Peinigungen und unterwarf sich damit dem Willen des
Vaters (vgl. Jes 53,7; 1Pet 2,23 ). Mt 26,69-75 ( Mk 14,66-72; Lk 22,55-62; Joh
18,17-18.25-27 ): Während Jesus vor dem Hohen Rat stand, hatte auch
Petrus eine Prüfung zu bestehen. Er war dem Herrn gefolgt, hatte
sich Zutritt zum Haus des Hohenpriesters verschafft ( Joh 18,15-16 )
und saß draußen im Hof ( Mt 26,58 ), um den Ausgang des Prozesses
abzuwarten. Dabei hätte er dreimal die Gelegenheit gehabt, für
seinen Herrn einzustehen. Doch alle drei Male leugnete er, den
Angeklagten auch nur zu kennen oder in irgendeiner Weise mit ihm in
Verbindung zu stehen. Das erste Mal verleugnete er ihn, als eine
Magd vor den anderen sagte, daß er zu den Leuten gehöre, die mit
Jesus zusammengewesen seien (V. 69 ). In der Torhalle dann deutete
eine andere direkt auf ihn und sagte ebenfalls, daß er zu Jesu
Gefolgsleuten gehöre (V. 71 ). Schließlich traten einige der
Herumstehenden hinzu und beschuldigten Petrus, einer von denen zu
sein, die mit Jesus gewesen waren, denn seine Sprache , sein
galiläischer Akzent, verriet ihn (V. 73 ). Bei der dritten Anklage
fing Petrus an, sich zu verfluchen und zu schwören (V. 74 ). Sich
selbst zu verfluchen war ein üblicher Weg, seine Unschuld zu
versichern; wenn die Unglücksfälle dann nicht eintraten, wurde man
für unschuldig gehalten (vgl. Hi 31 ). Unmittelbar nachdem er den Herrn zum
dritten Mal öffentlich verleugnet hatte, krähte der Hahn . Das rief
ihm die Worte des Herrn in Erinnerung: "Ehe der Hahn kräht, wirst du
mich dreimal verleugnen" ( Mt 26,34 ). Petrus wußte sofort, daß er
den Herrn im Stich gelassen hatte. Obwohl er ihm noch vor kurzem
versichert hatte, daß er ihn nie verleugnen werde, hatte er genau
das nun öffentlich und mehrmals getan. Voller Scham und Kummer
verließ er den Hof und weinte bitterlich . Seine Tränen entsprangen
echter Reue, daß er den, den er liebte, verraten hatte. Mt 27,1-2 ( Mk 15,1 ): Die ersten
Gerichtsverhandlungen gegen Jesus vor einem jüdischen Tribunal
fanden imSchutz der Dunkelheit statt. Da das jüdische Gesetz jedoch
vorschrieb, daß Prozesse am Tage abgehalten wurden, mußten der
Hohepriester und die Ältesten einsehen, daß sie Jesus noch eine
offizielle Verhandlung gewähren mußten. Der kurze Prozeß, von dem Mt
27,1 berichtet, diente einfach dazu, offiziell zu bestätigen, was
zuvor geschehen war. Das Gericht entschied, Jesus zu töten, war
jedoch nicht bevollmächtigt, diesen Beschluß auszuführen ( Joh 18,31
). Bevor das Todesurteil vollstreckt werden konnte, mußten sie den
Fall vor den Statthalter Pilatus , der von 26 - 36 n. Chr.
Procurator von Judäa und Samaria war (vgl. Lk 3,1 ), bringen. Jesus
wurde also gebunden und zu Pilatus geschleppt. Dessen Amtssitz
befand sich eigentlich in Cäsarea, doch zu Festzeiten hielt er sich
in seinem Stadtpalast in Jerusalem auf. Mt 27,3-10 Als Judas Iskariot von dem Urteil erfuhr,
reute es ihn und er ging zurück zu den Beamten. Er hatte nicht
gedacht, daß sein Verrat solche Konsequenzen haben würde; was er
sich eigentlich von seiner Tat versprochen hatte, ist im Text nicht
überliefert. Jedenfalls wußte er, daß er unschuldiges Blut verraten
hatte und daß Jesus nicht des Todes schuldig war. Als er das auch
den Hohenpriestern und Ältesten sagte, zeigten sie wenig Mitgefühl.
Sie wiesen ihn darauf hin, daß das sein Problem sei und nicht das
ihre. Judas aber wollte nun das Geld, das er für den Verrat erhalten
hatte, unbedingt loswerden, da es ihn wohl ständig an das erinnerte,
was er getan hatte, und ihn der Sünde überführte. So ging er und
warf die Silberlinge in den Tempel ( naos , das Heilige selbst,
nicht die Vorräume des Tempels). Im Gegensatz zu Petrus hatten
Judas' Gewissensbisse jedoch keine heilsame Reue zur Folge, denn er
ging fort und erhängte sich . (Lukas geht genauer auf die Umstände
dieser Tat ein; Apg 1,18-19 .) Daß Judas das Geld in den Tempel warf,
brachte die religiösen Führer in eine gewisse Verlegenheit. Sie
empfanden es als unpassend, das Geld dem Tempelschatz
einzuverleiben, denn es war immerhin Blutgeld , mit dem der Tod
eines Menschen erkauft worden war. Vorher, als sie Judas das Geld
für seine Tat anboten, waren sie allerdings nicht von derartigen
Skrupeln geplagt worden ( Mt 26,15 ). Sie beschlossen daher, ein
Stück Land davon zu kaufen (anscheinend auf Judas' Namen; Apg 1,18
), auf dem sie Fremde begraben wollten. Diese Parzelle, ein
Töpferacker , wo die Töpfer Lehm für ihre Arbeit herholten, wurde
als Blutacker ( Mt 27,8 ) bzw. aramäisch Hakeldamach ( Apg 1,19 )
bekannt. Für Matthäus waren diese Ereignisse die
Erfüllung einer Prophezeiung von Jeremia. Das Zitat, das er in
diesem Zusammenhang anführt, stammt jedoch wahrscheinlich nicht von
Jeremia, sondern von Sacharja; jedenfalls besteht eine enge
Beziehung zwischen Mt 27,9-10 und Sach 11,12-13 . Doch es finden
sich auch Parallelen zwischen Matthäus' Worten und den Gedanken in
Jer 19,1.4.6.11 .Warum aber führt Matthäus nur Jeremia an? Die
Lösung dieses Problems könnte sein, daß er zwar an beide Propheten
dachte, aber nur den Namen des "größeren" erwähnte. (Eine ähnliche
Situation liegt bei Mk 1,2-3 vor, wo Markus nur den Propheten Jesaja
nennt, doch sowohl Jesaja als auch Maleachi zitiert.) Es wäre auch
möglich, daß Jeremia im babylonischen Talmud ( Baba Bathra 14 b) von
allen Propheten an erster Stelle steht und sein Buch deshalb
stellvertretend für alle anderen prophetischen Bücher genannt wird. b. Die Verhandlung vor der römischen
Obrigkeit ( 27,11-26 ) Mt 27,11-14 ( Mk 15,2-5; Lk 23,1-5; Joh 18,28-38 ):
Im Vergleich mit den übrigen Evangelien ist Matthäus' Bericht über
Jesu Prozeß vor Pilatus recht kurz. Lukas erwähnt sogar, daß Pilatus
Jesus noch zu Herodes schickte, als er erfuhr, daß er Galiläer war.
Diese Geste trug dazu bei, das Verhältnis zwischen Pilatus und
Herodes, das vorhernicht allzu freundschaftlich gewesen war, zu
entspannen ( Lk 23,6-12 ). Matthäus dagegen konzentriert sich auf
den einen Prozeß vor Pilatus und die eine "Anklage", die sich auf
die Behauptung Jesu gründete, der König der Juden zu sein. Das
Königtum Jesu war ohnehin ein Hauptanliegen des Evangelisten. Als
Pilatus Jesus fragte: "Bist du der König der Juden?" , bejahte
Jesus. Johannes weist jedoch darauf hin, daß Jesu Königreich zu
diesem Zeitpunkt kein politisches Reich war, das Rom Konkurrenz
hätte machen können ( Joh 18,33-37 ). Jesus war keine Bedrohung für
die römische Herrschaft. Pilatus erkannte das wohl und versuchte,
darauf hinzuwirken, daß Jesus freigelassen würde. Auf die anderen Anklagen des
Hohenpriesters und der Ältesten antwortete Jesus zur Überraschung
des Pilatus ( thaumazein , "verwundert sein") nicht. Da es im Grunde
nicht um diese Anschuldigungen ging, bestand für Jesus überhaupt
keine Notwendigkeit, auf sie einzugehen. Der Grund, weshalb er vor
Gericht stand, lag darin, daß ihm vorgeworfen wurde, er erhebe
Anspruch darauf, der König der Juden, der Messias, zu sein ( Mt
26,63-64 ). Da Pilatus nun jedoch seine Unschuld festgestellt hatte,
hatte er keinen Anlaß, auf die anderen Beschuldigungen zu antworten. Mt 27,15-23 ( Mk 15,6-14; Lk 23,13-23; Joh 18,39-40
): Pilatus war von seiner Frau gewarnt worden, sich in bezug auf
diesen Gefangenen ( diesen Gerechten ) vorsichtig zu verhalten ( Mt
27,19 ). Sie hatte viel erlitten im Traum um seinetwillen und gab
ihrem Mann daher den Rat, sich aus dieser Sache herauszuhalten.
Weitere Spekulationen über ihren Traum sind allerdings sinnlos, der
Text gibt nichts weiter her. Da Pilatus Jesus für unschuldig hielt,
versuchte er, seine Freilassung durchzusetzen. Es war damals Brauch,
daß der Statthalter dem jüdischen Volk jedes Jahr zum Passafest
einen Gefangenen losgab , um die Gunst des Volkes zu erringen. In
der Absicht, diesmal Jesus zu begnadigen, stellte Pilatus ihm einen
berüchtigten Gefangenen, Barabbas , einen Räuber ( Joh 18,40 ) und
Mörder ( Mk 15,7 ), gegenüber. Pilatus ging davon aus, daß das Volk
seinen König, Jesus, ganz sicher liebte und daß nur die religiösen
Führer eifersüchtig auf ihn und seine Geltung im Volk waren ( Mt
27,18 ). Er dachte, daß das Volk, wenn es die Wahl hätte, mit
Sicherheit Jesus, und nicht den berüchtigten Barabbas, frei sehen
wollte. Er unterschätzte dabei jedoch die
Entschlossenheit der religiösen Führer, sich Jesu ein für allemal zu
entledigen: Sie überredeten das Volk, daß sie um Barabbas bitten,
Jesus aber umbringen sollten . Als Pilatus die Menge nun fragte, was
er mit Jesus, von dem gesagt wird, er sei der Christus, machen
solle, antworteten alle: "Laß ihn kreuzigen!" Im Griechischen wird
deutlich, daß sie nur ein Wort schrien: "Kreuzige" ( staurOthEtO ).
Man kann sich die Szene beinahe vorstellen, es ist wie in einem
Fußballstadium, wenn die ganze Menge "Tor!" brüllt. So schrien die
Menschen hier: "Kreuzige, kreuzige!" Als Pilatus wissen wollte,
warum sie diese Strafe verlangten, schrien sie nur noch mehr: "Laß
ihn kreuzigen!" Mt 27,24-26 ( Mk 15,15; Lk 23,23-25; Joh 19,6-16 ) :
Pilatus sah nun, daß er nichts ausrichtete , und ihre Drohung, den
Fall dem Kaiser vorzutragen ( Joh 19,12 ), beunruhigte ihn. Er hatte kein besonders gutes Verhältnis
zum Kaiser und wollte nicht, daß ihm die Kunde von einem Nebenbuhler
zu Ohren käme, vor allem nicht, daß er diesen König freigelassen
hatte. Daher nahm er Wasser und wusch sich die
Hände vor dem Volk und gab damit symbolisch seinem Bedürfnis
Ausdruck, sich selbst von der Schuld, einen Unschuldigen zum Tode
verurteilt zu haben, freizusprechen ( 5Mo 21,6-9 ).
Doch seine Worte, "Ich bin unschuldig an
seinem Blut" , nahmen ihm die Verantwortung für seine Handlungsweise
nicht ab (vgl. Apg 4,27 ) und hoben nicht die Schuld auf, die er mit
diesem Hohn auf jede Gerechtigkeit auf sich geladen hatte. Die Juden waren jedoch gern bereit,
Pilatus die Verantwortung abzunehmen ( Mt 27,24 ). Sie sagten: "Sein Blut komme über uns und
unsere Kinder!" Diese Worte sollten traurige Wirklichkeit
werden, als das Gericht Gottes im Jahre 70 n. Chr. über viele von
ihnen und ihre Kinder kam und die Römer das Volk vernichteten und
den Tempel zerstörten. Trotzdem Pilatus viermal erklärt hatte,
daß Jesus unschuldig sei ( Lk 23,14.20.22; Joh 19,4 ), erfüllte er
seine Verpflichtung gegenüber den Juden, ließ Barabbas frei und
übergab ihnen Jesus, nachdem er ihn zuvor noch hatte auspeitschen
lassen, zur Kreuzigung. 4. Die Kreuzigung des Königs ( 27,27 - 56
) Mt 27,27-31 ( Mk 15,16-20; Joh 19,1-5 ): Jesus wurde
in das Prätorium , einen Versammlungshof, in dem sich zahlreiche
römische Soldaten aufhielten, gebracht. Das Prätorium befand sich wahrscheinlich
in der Residenz des Pilatus, der Festung Antonia. Einige Forscher sind auch der Ansicht, es
habe beim Palast des Herodes gelegen. Es muß sich um ein großes Gelände
gehandelt haben, denn etwa 600 Soldaten hielten sich dort auf ("eine
Abteilung Soldaten" heißt wörtlich "Kohorte", d. i. ein Zehntel
einer Legion). Dort zogen sie ihn aus und verhöhnten
ihn, indem sie ihm einen Purpurmantel , das Gewand eines Königs,
anlegten, eine Dornenkrone aufs Haupt setzten und ihm ein Rohr als
"Zepter" in seine rechte Hand gaben. Sie beugten die Knie vor ihm und
verspotteten ihn und sprachen: "Gegrüßet seist du, der Juden König!"
Was für eine tragische Gestalt war Jesus in diesem Augenblick! Die Soldaten demütigten ihn noch weiter,
spien ihn an und nahmen das Rohr und schlugen damit immer wieder auf
sein Haupt . Sie wußten nicht, daß sie damit Jesajas
Prophezeiung über die Verunstaltung des Retters erfüllten ( Jes
52,14 ). Bei der berüchtigten Grausamkeit der
römischen Soldaten kann man davon ausgehen, daß Jesus so geschlagen
wurde, daß man ihn kaum noch wiedererkennen konnte. Und doch ertrug er schweigend diese
ungerechten Mißhandlungen und unterwarf sich dem Willen des Vaters
(vgl. 1Pet 2,23 ). Als die Soldaten ihren Spaß gehabt
hatten, zogen sie ihm seine Kleider wieder an und führten ihn ab, um
ihn zu kreuzigen . Mt 27,32-38 ( Mk 15,21-28; Lk 23,26-34; Joh 19,17-27
): Matthäus berichtet nur wenig von den Vorgängen, die sich auf dem
Weg zum Hinrichtungsort abspielten. Ein Mann namens Simon aus Kyrene
, einer Stadt in Nordafrika, in der viele Juden lebten, wurde
gezwungen, das Kreuz (den Querbalken) zu tragen, als Jesus, von den
Schlägen geschwächt, zusammenbrach. Schließlich gelangte die
Prozession an einen Hügel, der unter dem Namen Golgatha , aramäisch
Schädelstätte , bekannt war. Der Ort hieß nicht etwa so, weil er ein
Friedhof oder eine Hinrichtungsstätte war, sondern weil seine Form
entfernt an einen Schädel erinnerte. Dieser Hügel lag entweder an
der Stelle der heutigen Grabeskirche, d. h., er befand sich
außerhalb der damaligen Stadtmauern Jerusalems, oder bei "Gordons
Kalvanienberg Golgatha)". Dann gaben sie Jesus Wein zu trinken mit
Galle vermischt , eine Mixtur, die das Schmerzempfinden betäuben und
die Qualen der Kreuzigung etwas erleichtern sollte. Jesus aber
wollte es nicht trinken, er wollte auch am Kreuz bei vollem
Bewußtsein bleiben. Die eigentliche Kreuzigung streift Matthäus nur
kurz. Er beschreibt nicht, wie dem Herrn die Nägel in Hände und Füße
getrieben wurden, sondern erwähnt erst wieder, daß die Soldaten, die
ihn kreuzigten, das Los um seine Kleider warfen und sie unter sich
verteilten. Einige griechische Handschriften ergänzen bei (Vers 35 ,
daß sich in diesem Vorgang die Worte von Ps 22,19 erfüllten. Es
handelt sich dabei höchstwahrscheinlich um eine nachträgliche
Anfügung, die nicht im Originaltext stand, doch immerhin weist
Johannes auf die gleiche prophetische Aussage hin ( Joh 19,24 ). Über dem Haupt eines Menschen, der
gekreuzigt wurde, wurde im allgemeinen eine Inschrift mit der
Ursache, die zu seiner Bestrafung geführt hatte, angebracht. Am
Kreuz Jesu war zu lesen: "DIES IST JESUS, DER JUDEN KÖNIG" , denn
diese Anschuldigung war der eigentliche Grund für seinen Tod. Da die
Inschrift in jedem der vier Evangelien etwas anders wiedergegeben
wird, kann man davon ausgehen, daß der wirkliche Wortlaut eine
Kombination aller vier Varianten war. Sie lautete wohl: "Dies ist
Jesus von Nazareth, der König der Juden." Johannes schreibt, daß
Pilatus die Inschrift in Hebräisch, Lateinisch und Griechisch hatte
anbringen lassen ( Joh 19,20 ). Die Worte "der Juden König" riefen
den Unwillen der Hohenpriester hervor, doch Pilatus weigerte sich,
das einmal Geschriebene noch ändern zu lassen ( Joh 19,21-22 ).
Jesus wurde zwischen zwei Räubern ( Mt 27,38 ) gekreuzigt; Lukas
spricht von "Übeltätern" ( Lk 23,32.33 ). Mt 27,39-44 ( Mk 15,29-32; Lk 23,35-43 ): Während
Jesus am Kreuz hing, war er den fortgesetzten Schmähungen der
Vorübergehenden ausgesetzt. Spöttisch wiederholten sie, was Jesus
früher über die Zerstörung des Tempels und seinen Wiederaufbau in
drei Tagen gesagt hatte ( Joh 2,19; vgl. Mt 26,61 ). Ihrer Ansicht
nach war er ganz einfach ein Schwindler, denn wo war nun seine
angebliche Macht, den Tempel zu zerstören, geblieben? Wenn er
wirklich Gottes Sohn wäre, so müßte er in der Lage sein, ein Wunder
zu vollbringen und vom Kreuz herabzusteigen . Daß er das nicht
konnte, bewies in ihren Augen, daß sein Anspruch ungerechtfertigt
war. Er hatte früher anderen geholfen und konnte nun sich selber
nicht helfen - auch das sprach gegen ihn. Sie sagten, wenn er vom
Kreuz herabstiege, wollten sie an ihn glauben. Wahrscheinlich hätten
sie aber nicht einmal einer solchen Tat geglaubt. Gott solle ihn nun
erlösen, wenn er wirklich Gottes Sohn sei, so hielten sie ihm
höhnisch vor. Außer den Vorübergehenden ( Mt 27,39-40 )
und den religiösen Führern (V. 41 - 43 ) beschimpften ihn auch die
Räuber, die mit ihm gekreuzigt waren (V. 44 ). Lukas berichtet
allerdings, daß in einem der beiden Verbrecher eine Sinnesänderung
vorging ( Lk 23,39-43 ). Die Ironie der ganzen Szene liegt darin,
daß Jesus die Dinge, die die Menge von ihm verlangte, hätte tun
können. Er hätte durchaus vom Kreuz herabsteigen und sein Leben
retten können. Er besaß die Macht, sich zu befreien. Doch das war
nicht der Wille des Vaters. Es war nötig, daß der Sohn Gottes für
die anderen starb. Daher ertrug er geduldig ihre Schmähreden. Mt 27,45-50 ( Mk 15,33-37; Lk 23,44-46; Joh 19,28-30
): Matthäus macht keine Angaben darüber, wann die Kreuzigung begann,
doch nach Markus war es um die "dritte Stunde" ( Mk 15,25 ), also
neun Uhr vormittags. Matthäus schreibt nur, daß von der sechsten
Stunde , also von zwölf Uhr mittags, bis zur neunten Stunde , drei
Uhr nachmittags, eine Finsternis über das ganze Land kam. Während
dieser Zeit der Dunkelheit wurde Jesus das Sühneopfer für die Welt (
Joh 1,29; Röm 5,8; 2Kor 5,21; 1Pet 2,24;3,18 ) und als solches vom
Vater verlassen. Gegen Ende konnte Jesus die Trennung nicht länger
ertragen und schrie laut: "Eli, Eli, lama asabtani?" Diese
aramäischen Worte bedeuten: "Mein Gott, mein Gott, warum hast du
mich verlassen?" (ein Zitat aus Ps 22,2 ). Jesus hatte ein Gefühl
des Verstoßenseins vom Vater, das er nie zuvor kennengelernt hatte,
denn der Vater mußte sich als Richter vom Sohn abwenden, als dieser
zur Sünde wurde ( Röm 3,25-26 ). Einige aber, die in der Nähe des Kreuzes
standen, verstanden seine Worte falsch. Sie hörten "Eli" und
glaubten, daß Jesus nach Elia rufe ( Mt 27,47 ). Da sie dachten,
seine Lippen und seine Kehle seien trocken geworden, boten sie ihm
Essig an, damit er klarer sprechen könne. Andere aber wollten, daß
man abwarte, ob Elia komme und ihm helfe . Ihr Hohn richtete sich
offensichtlich immer noch gegen Jesus. Jesus aber schrie abermals laut ("Vater,
ich befehle meinen Geist in deine Hände" ; Lk 23,46 ) und verschied
. Er war vollkommen Herr über sein Leben und starb genau in dem
Moment, den er bestimmte, indem er seinen Geist aufgab. Wie er
gesagt hatte, nahm ihm niemand das Leben ( Joh 10,11.15.17-18 ).
Gottes Willen erfüllend legte er es nieder und nahm es bei seiner
Auferstehung wieder auf. Mt 27,51-53 ( Mk 15,38; Lk 23,45 ): Zum Zeitpunkt von
Jesu Tod geschahen drei bedeutsame Dinge. Zuerst zerriß der Vorhang
im Tempel in zwei Stücke von oben bis unten . Dieser Vorhang trennte
das Allerheiligste vom übrigen Tempelraum ab ( Hebr 9,2-3 ). Die
Tatsache, daß er von oben nach unten entzweiriß, war ein Zeichen,
daß Gott ihn zerrissen hatte; wäre er von Menschenhand zerrissen
worden, hätte der Riß unten eingesetzt. Gott zeigte damit, daß von
nun an jeder Zugang zu ihm hatte, nicht mehr nur die Hohenpriester
des Alten Testaments ( Hebr 4,14-16;10,19-22 ). Zweitens gab es beim Tod Jesu ein starkes
Erdbeben, bei dem sogar Felsen zerrissen ( Mt 27,52 ). Der Tod
Christi war ein ungeheuerliches, welterschütterndes Ereignis, dessen
Widerhall die ganze Schöpfung in Aufruhr versetzte. Das dritte
Ereignis wird nur bei Matthäus berichtet: Die Gräber taten sich auf,
und viele Leiber der entschlafenen Heiligen (Gerechten) standen auf
(V. 52 ) - wahrscheinlich von einer Begräbnisstätte in Jerusalem.
Manche Bibelübersetzungen legen die Deutung nahe, daß diese Heiligen
auferweckt wurden, als Jesus starb, und nach Jesu Auferstehung nach
Jerusalem gingen. Eine Reihe von Exegeten stimmen dem zu. Viele
andere sagen jedoch, daß die Heiligen erst nach Jesu Auferstehung
auferweckt wurden, denn Christus ist ja der Erstling unter den Toten
( 1Kor 15,23 ). In diesem Fall würde die Wendung "nach seiner
Auferstehung" zu den Worten "standen auf und gingen aus den Gräbern"
gehören. Das ist vom Griechischen her möglich und wurde in manchen
Ausgaben auch so übersetzt. Die Gräber taten sich demnach bei
Christi Tod, wahrscheinlich bei dem Erdbeben, auf und verkündeten
bereits seinen Triumph über den Tod, doch die Leiber der Toten
erstanden erst, als Christus auferstanden war. Die Heiligen kehrten nach Jerusalem ( in
die heilige Stadt ) zurück, wo sie von Freunden und
Familienangehörigen erkannt wurden. Wie Lazarus ( Joh 11,43-44 ),
Jarus' Tochter ( Lk 8,52-56 ) und der Sohn der Witwe aus Nain ( Lk
7,13-15 ) wurden sie wieder zu leiblichem Leben erweckt. Manche
Forscher vertreten allerdings auch die These, daß sie, wie der Herr,
mit verklärtem Leib auferstanden. Nach Walvoord war dieses Ereignis
"die Erfüllung des Festes der Erstlinge der Ernte, von dem in 3Mo
23,10-14 die Rede ist. Zu diesem Anlaß brachten die Menschen den
Priestern eine Handvoll Korn als Zeichen der kommenden Ernte. Die
Auferstehung dieser Heiligen nach der Auferstehung Jesu ist ein
Zeichen der kommenden Ernte, bei der alle Heiligen auferweckt
werden" (Walvoord, Matthäus: Thy Kingdom Come , S. 236). Mt 27,54-56 ( Mk 15,39-41; Lk 23,47-49 ): Ein
römischer Hauptmann (vgl. Mt 8,5; genauere Ausführungen über die
Hauptleute s. Lk 7,2 ) und andere römische Wachen waren beeindruckt
und erschrocken durch die ungewöhnlichen, auf etwas Großes
hindeutenden Geschehnisse beim Tod dieses Mannes, denn solche
Begleiterscheinungen waren bei früheren Kreuzigungen nie beobachtet
worden. Sie reagierten darauf mit Furcht und mit einer Art von
Bekenntnis: "Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen!" Auch viele Frauen waren da, die von ferne
dem Tod Jesu zugesehen hatten. Sie waren Jesus aus Galiläa
nachgefolgt und hatten für ihn gesorgt. Zu ihnen gehörten Maria von
Magdala (vgl. Mt 28,1; Mk 16,9; Joh 20,18 ), Maria, die Mutter des
Jakobus und Josef (vielleicht identisch mit Maria, der Frau des
Klopas) und die Mutter der Söhne des Zebedäus , Jakobus und Johannes
( Mt 4,21;10,2 ). Johannes schreibt, daß auch Maria, die Mutter
Jesu, und deren Schwester am Fuß des Kreuzes standen ( Joh 19,25-27
). Matthäus berichtet nicht, was die Frauen sprachen oder fühlten,
doch es muß ihnen das Herz gebrochen haben, als sie den Tod ihres
Herrn beobachteten, den sie liebten und dem sie gedient hatten. Bei
Einbruch der Nacht gingen sie anscheinend in die Stadt zurück und
übernachteten dort, denn nach ein paar Tagen wollten sie Jesu Körper
für das Begräbnis vorbereiten ( Mt 28,1; Mk 16,1-3; Lk 24,1 ). 5. Das Begräbnis des Königs ( 27,57-66 ) Mt 27,57-61 ( Mk 15,42-47; Lk 23,50-56; Joh 19,38-42
): Für Jesu Begräbnis waren keinerlei Vorbereitungen getroffen
worden, denn normalerweise wurde die Leiche eines gekreuzigten
Verbrechers ohne Feier einfach verscharrt. Ein reicher Mann aus
Arimathäa (eine Stadt östlich von Joppe), der Josef hieß , bat
Pilatus jedoch um den Leib Jesu . Er war Mitglied des Hohen Rats und
war mit der Entscheidung, Jesus zu kreuzigen, nicht einverstanden
gewesen ( Lk 23,51 ), denn er glaubte an Jesus und hatte auf das
Reich Gottes gewartet. Pilatus, überrascht, daß Jesus bereits tot
war ( Mk 15,44-45 ), erfüllte seine Bitte. In einem anderen Bericht
steht, daß Josef bei der Begräbnisprozedur von Nikodemus ( Joh
19,39; vgl. Joh 3,1-21 ) unterstützt wurde. Die beiden Männer nahmen
den Leib Jesu ab und wickelten ihn in ein Leinentuch, in das sie
Myrrhe und Aloe, Kräuter, die bei Begräbnissen verwendet wurden,
taten ( Joh 19,40; vgl. Mt 2,11 ). Sie beeilten sich dabei, um
fertig zu sein, bevor mit dem Abend der Sabbat anbrach. Josef legte
den eingewickelten Leib in sein eigenes neues Grab, das er in einen
Felsen hatte hauen lassen , nahe beim Ort der Kreuzigung. Warum
Josef aus Arimathäa ein Grab in Jerusalem besaß, können wir heute
nicht mehr feststellen. Möglicherweise hatte Jesus es schon vorher
so mit ihm abgesprochen, und er hatte das Grab ausdrücklich zu
diesem Zweck gekauft. Josef und Nikodemus wälzten einen großen Stein
vor die Tür des Grabes und gingen davon . Matthäus berichtet, daß Maria von Magdala
und die andere Maria dem Grab gegenübersaßen ( Mt 27,61 ),
zweifellos, um zu trauern. Diese Frauen begleiteten den Leib Jesu
also, bis er begraben wurde, wohingegen die Jünger ihn alle
verlassen hatten ( 26,56 ). Mt 27,62-66 Man ist ein bißchen überrascht, wenn man
hört, daß ausgerechnet eine Gruppe Ungläubiger sich an Jesu
Vorhersage erinnert, daß er nach drei Tagen auferstehen werde,
während die Gläubigen es anscheinend vergaßen. Gleich am nächsten
Tag nach seinem Tod, d. h. am Sabbat, kamen die Hohenpriester mit
den Pharisäern zu Pilatus und erzählten ihm von Jesu Worten. Sie
glaubten zwar nicht an Jesus (den sie blasphemisch "diesen
Verführer" nannten), argwöhnten aber, daß seine Jünger kommen und
ihn stehlen könnten, um dann Lügen über seine Auferstehung zu
verbreiten. Wenn es dazu käme, wäre der Betrug ärger als alles, was
Jesus in seinem Leben vollbracht hatte. Die Befürchtungen der Führer
richteten sich nun ganz auf die Auferstehung, und daher schlugen sie
vor, daß man das Grab bewache bis zum dritten Tag . Pilatus stimmte ihrem Vorschlag zu und
stellte eine Wache für das Grab ab, um es so gut wie möglich zu
sichern. Die römische Wache versiegelte nicht nur das Grab
(wahrscheinlich mit dem offiziellen römischen Siegel sowie mit
Schnur und Wachs, damit man feststellen konnte, ob sich ein
Unbefugter daran zu schaffen gemacht hatte), sondern wachte auch vor
Ort, so daß es praktisch unmöglich war, den Leichnam zu stehlen. VII. Jesu Auferstehung ( Mt 28 ) A. Das leere Grab ( 28,1 - 8 ) ( Mk 16,1-8; Lk 24,1-12; Joh
20,1-15 ) 1. Das Ereignis ( 28,1 - 4 ) Mt 28,1-4 Als der erste Tag der Woche anbrach ,
kamen mehrere Frauen, um nach dem Grab Jesu zu sehen. Sie wußten, wo
der Leichnam hingelegt worden war, denn sie hatten gesehen, wie
Josef und Nikodemus den Stein vor die Tür des Eingangs rollten ( Mt
27,60 ). Die Frauen kehrten am Sonntagmorgen zum Grab zurück, als
der Sabbat vorüber war , um den Leib Jesu einzubalsamieren ( Mk 16,1
). Doch plötzlich geschah ein großes Erdbeben , und der Engel des
Herrn kam vom Himmel herab und trat hinzu und wälzte den Stein weg.
Die Gestalt des Engels war wie der Blitz und sein Gewand weiß wie
der Schnee . Die römischen Soldaten, die das Grab bewachten,
erschraken bei seinem Anblick so sehr, daß sie "wurden, als wären
sie tot" , d. h., sie fielen wahrscheinlich in Ohnmacht. Sie hatten
den Auftrag, das Grab zu versiegeln und zu bewachen, doch vor diesem
Engelsboten wurde ihre Macht zunichte. Matthäus 2. Die Verkündigung ( 28,5 - 8 ) Mt 28,5-8 Die Soldaten fürchteten sich, doch für
die Frauen hatte der Engel eine besondere Botschaft. Ihnen
verkündigte er die Auferstehung: Der, den sie suchten, war nicht
mehr da, er war vielmehr auferstanden, wie er gesagt hatte . Jesus
hatte mehrere Male davon gesprochen, daß er am dritten Tag
auferstehen werde ( Mt 16,21;17,23;20,19 ).Ohne die Auferstehung
wäre er wirklich ein Betrüger und ihrer weiteren Liebe nicht wert
gewesen. Ein erster Beweis dafür, daß er tatsächlich auferstanden
war, war das leere Grab. Der Engel forderte die Frauen auf, zu
kommen und die Stätte, wo der Herr gelegen hatte, zu sehen. Dann
gebot er ihnen, eilends umzukehren und den Jüngern zu sagen, daß
Jesus von den Toten auferstanden sei und vor ihnen nach Galiläa
gehen werde , wie er es ihnen angekündigt hatte ( Mt 26,32 ). Dort
würden sie ihn sehen. Die Jünger sollten Jesus also in Galiläa
treffen, und so war es auch ( Mt 28,16-20; Joh 21,1-23 ). Doch er
erschien ihnen auch noch zu anderen Gelegenheiten, z. B. später an
demselben Tag ( Joh 20,19-25 ). Die Frauen gehorchten dem Engel; sie
gingen eilends weg vom Grabe , um die Jünger zu suchen und ihnen die
gute Nachricht zu verkündigen. Sie waren voll großer Freude über die
Auferstehung, doch zugleich auch voller Furcht , denn sie konnten
die volle Bedeutung dieses Ereignisses noch gar nicht ganz fassen. B. Das persönliche Erscheinen ( 28,9 - 10 ) Mt 28,9-10 Als die Frauen liefen, um den Jüngern zu
erzählen, was geschehen war, begegenete ihnen plötzlich Jesus . Sie
hörten seinen Gruß, erkannten ihn sofort, fielen vor ihm nieder und
umfaßten seine Füße . Durch dieses Erscheinen nahm Jesus ihnen die
Furcht; er wiederholte die Botschaft, die sie bereits von dem Engel
gehört hatten: "Fürchtet euch nicht!" (V. 10 ; vgl. V. 5 ). Er gebot
ihnen, den Jüngern (meinen Brüdern) zu verkündigen, daß sie nach
Galiläa gehen sollten und daß er ihnen dort erscheinen wolle. Das
Wirken Jesu in Galiläa hat im Matthäusevangelium eine
Vorrangstellung, so war es ganz natürlich, daß Jesus die Jünger dort
traf. Sie stammten außerdem alle aus Galiläa und wollten nach dem
Fest dorthin zurückkehren. C. Die "offizielle" Version der
Ereignisse ( 28,11 - 15 ) Mt 28,11-15 Während die Frauen noch hingingen, um die
Jünger zu suchen und ihnen von der Auferstehung zu erzählen, war
bereits eine andere Gruppe unterwegs, um die Verbreitung der
Wahrheit zu verhindern. Einige der Wachen, die beim Grab gewesen
waren, überwanden ihre Furcht, gingen in die Stadt und verkündigten
den Hohenpriestern alles, was geschehen war . Diese mußten nun
dringend eine Erklärung finden, die die Wahrheit verschleierte. Nach
sorgfältiger Überlegung heckten die Hohenpriester und Ältesten
erneut einen Plan aus. Sie gaben den Soldaten , die das Grab bewacht
hatten, viel Geld und schärften ihnen genau ein, was sie ihren
Vorgesetzten über das Geschehene berichten sollten. Die Geschichte,
die sie sich ausgedacht hatten, lief darauf hinaus, daß die Jünger
Jesu in der Nacht gekommen seien und den Leichnam gestohlen hätten,
während die Wächter schliefen. Ein solcher Rapport wäre allerdings
von den römischen Offizieren nicht sehr günstig aufgenommen worden -
ein Soldat, der auf der Wache einschlief, wurde zum Tode verurteilt
( Apg 12,19 ). Das wußten auch die jüdischen Führer, doch sie
versprachen, die Offiziere zugunsten der Soldaten zu beeinflussen
und den Statthalter, wenn es ihm zu Ohren kommen sollte, zu
beschwichtigen und dafür zu sorgen, daß die Soldaten sicher waren.
Dabei kalkulierten sie offensichtlich die Zahlung einer weiteren
großen Bestechungssumme ein. Die Soldaten nahmen das Geld, das ihnen
angeboten wurde, und taten, wie sie angewiesen worden waren. So kam es, daß diese Version des
Geschehens am Auferstehungstag bei den Juden bis auf den heutigen
Tag zum Gerede wurde und viele tatsächlich glaubten, daß die Jünger
den Leichnam Jesu gestohlen hätten. Dabei fehlt dieser Erklärung
jede Logik. Wenn die Soldaten schliefen, wie hätten sie dann wissen
können, was mit dem Leib Jesu geschehen war? Und warum sollten sie
zugeben, daß sie eingeschlafen waren? Außerdem hätten die Jünger zu
diesem Zeitpunkt überhaupt nicht den Mut gehabt, einen solchen Plan
auszuführen. Sie waren verängstigt und hatten sich zerstreut, als
Jesus gefangengenommen wurde. Den Leichnam Jesu zu stehlen, hätte
ihre Entschlußkraft bei weitem überfordert. Doch die Wahrheit ist
manchmal schwerer zu glauben als eine Lüge, die denn auch viele bis
heute geschluckt haben. D. Der Missionsauftrag ( 28,16 - 20 ) ( Lk 24,36-49 ) Mt 28,16-20 Matthäus berichtet nichts über die
Begegnung zwischen Jesus und zehn Jüngern noch an demselben Tag (
Joh 20,19-23 ) oder über sein Erscheinen vor den elf Jüngern acht
Tage später ( Joh 20,26-29 ). Er erwähnt jedoch eine Zusammenkunft
einige Zeit später in Galiläa, auf einem Berg ( Mt 26,32; vgl. Mt
28,7.10 ). Um welchen Berg es sich handelte, wissen wir nicht. Als
Jesus vor den Jüngern erschien, fielen sie vor ihm nieder; einige
aber zweifelten . Da der Herr ihnen bereits zuvor begegnet war und
sich ihnen zu erkennen gegeben hatte, zweifelten sie bei dieser
Gelegenheit sicher nicht an der Auferstehung. Wahrscheinlich
tauschten sie nur einige erstaunte Bemerkungen darüber, ob es
wirklich Jesus war, der ihnen hier erschien. Es gab keinen Hinweis,
daß mit diesem Auftreten irgend etwas Wunderbares verbunden war, wie
bei seinen vorherigen Besuchen, und daher wunderten sie sich wohl. Ihre Zweifel wurden jedoch rasch
zerstreut, denn Jesus sprach zu ihnen und sagte: "Mir ist gegeben
alle Gewalt im Himmel und auf Erden." Diese Autorität ( exousia ,
"offizielles Recht oder Macht") war Jesus vom Vater gegeben worden,
und kraft dieser Macht wies er nun die Jünger an, hinzugehen und zu
missionieren. Ihr Aufgabenfeld erstreckte sich auf alle Völker ,
nicht nur auf Israel (vgl. den Kommentar zu Mt 10,5-6 ). Sie sollten
allen Menschen die Wahrheit über Jesus verkünden und sie zu Jüngern
machen . Die, die zum Glauben kamen, sollten sie mit Wasser auf den
Namen des Vaters und des Sohnes und des heiligen Geistes taufen .
Durch diese Handlung würde der Gläubige mit der Person Jesu Christi
und mit dem dreieinigen Gott, dem die Apostel dienten, Vater, Sohn
und Heiliger Geist, verbunden werden. Wer an Jesus glaubte, sollte
auch in die Wahrheiten, die ihnen der Herr ganz persönlich
mitgeteilt hatte, eingeweiht werden. Die Jünger verbreiteten zwar
nicht alles, was sie von Jesus gehört hatten, doch bei ihrem Wirken
im Ausland trugen sie durch ihre Lehre Entscheidendes zum Aufbau der
Kirche bei und spielten eine wichtige Rolle beim Beginn des neuen
Zeitalters der Kirche. Jesu Auftrag, der allen galt, die ihm
nachfolgten, enthielt den einen Befehl: "Machet zu Jüngern." Diesem
Auftrag sind im Griechischen drei Partizipien beigegeben:
"hingehend", "taufend" und "lehrend" . Die letzten Worte des Herrn, die Matthäus
berichtet, waren das Versprechen: "Und siehe, ich bin bei euch alle
Tage bis an der Welt Ende." Der Herr blieb zwar nicht physisch bei
den Elfen, doch geistlich war er gegenwärtig, bis ihre Aufgabe auf
Erden erfüllt war. Diese letzten Worte des Herrn wurden von den
Aposteln in die Welt getragen, als sie umherreisten und überall die
Geschichte von ihrem Messias, Jesus Christus, dem König der Juden,
verkündeten. |