Werner Tietze

 

Heiliger Geist oder Schwarmgeist?

 

In einem Blatt über Kraft und Gaben des Heiligen Geistes wird von einem "Frontenkrieg" zwischen zwei Lagern geschrieben und es werden dabei Begriffe wie das "Kriegsbeil ausgraben" usw. verwendet.  Sicherlich  stehen wir in Gefahr, unsere Überzeugungen und Lehrmeinungen oftmals mit ungeistlichen Mitteln zu vertreten.  Wie können wir nun der Aufforderung, die Geister zu prüfen, auf eine geistliche Weise nachkommen?  Ein Inspektor im Falschgelddezernat von Scotland Yard wurde einmal gefragt, ob er damit beschäftigt sei, alle Merkmale von Falschgeld zu studieren.  Darauf erwiderte er, dass er ganz im Gegenteil sich ausschliesslich mit den Merkmalen des echten Geldes befasse und auf diese Weise automatisch jedes Falschgeld erkenne.  So sollen auch wir, anstatt uns ständig mit dem "Falschgeld" (mit falschen Lehren und Praktiken) zu beschäftigen,  uns viel mehr die "echten" Dinge vor Augen halten. 

Wenn wir im Gehorsam gegenüber der Anweisung in Gottes Wort "die Geister prüfen, ob sie aus Gott sind" (1. Joh. 4,1), wird uns oftmals unterstellt, dass wir den Heiligen Geist und Seine Gaben ablehnen, obwohl das nicht der Fall ist.  Was wir ablehnen sind nicht die echten Gaben des Heiligen Geistes, sondern die Manifestationen des endzeitlichen Geistes der Verführung, vor denen uns der Herr und Seine Apostel gewarnt haben. Die Heilige Schrift zeigt uns an vielen Stellen, was das Wesen und die Wirksamkeit des Heiligen Geistes ist.  Ein Stelle wollen wir betrachten:

 

"Denn Gott hat uns nicht einen Geist der Furchtsamkeit gegeben, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit"  (2.Tim. 1,7).

 

Hier werden uns drei Wesensmerkmale des Geistes Gottes gezeigt:  Kraft, Liebe, Besonnenheit.  Diese Wesenszüge des Geistes Gottes gehören zusammen!  Der Geist Gottes ist immer verbunden mit Kraft, Liebe und Besonnenheit. 

 

Der Geist der Kraft.

Die Schrift sagt nicht, daß der Heilige Geist dem Menschen Kraft gibt, über welche er dann verfügen könnte.  Der Heilige Geist ist die Kraft.  Die Kraft ist im Heiligen Geist.  Der Herr sagte:  "Ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird" (Apg. 1,8)  Es heißt nicht: die auf euch kommen wird!  Nicht "die Kraft" kommt über den Menschen, sondern der Heilige Geist mit seiner Kraft.  "Der auf euch kommen wird",  so steht es geschrieben!  Der Heilige Geist und seine Kraft sind unzertrennbar miteinander verbunden.  Das ist die Verheißung des Herrn. Den falschen Geist erkennen wir daran, dass er den Menschen gross macht und in den Mittelpunkt stellt.  Der Heilige Geist macht Jesus gross und verherrlicht Ihn : "Er wird mich verherrlichen" (Joh. 16,14) und offenbart sich mit Seiner Kraft in schwachen Menschen:  "Mein Kraft ist in den Schwachen mächtig" (2.Kor. 12,9).

 

Der Geist der Liebe

Was für viele Christen die pfingstlich/charismatischen Kreise anziehend macht,  ist die Wärme, Herzlichkeit und Spontanität,  während in manchen gläubigen Gemeinden eine Steifheit und Reserviertheit bis hin zur einer Gefühlslosigkeit zu finden ist. Dabei müssen wir allerdings unterscheiden zwischen geistlicher und seelischer Liebe.  Eine Gefühlsbetontheit kann sehr leicht in eine fleischliche Liebe führen, die nicht selten in sexuellen Verfehlungen endet.  Ein "heiliger Kuß" kann zwischen den Geschlechtern sehr unheilige Gefühle auslösen".  Die Liebe des Geistes ist die göttliche Liebe, die Agape.  Sie wird in 1.Kor. 13,4-7 beschrieben; eine Unterweisung, die gerade die "geistbegabten" Korinther sehr nötig hatten:  Die göttliche Liebe ist langmütig und gütig, sie beneidet nicht den andern und prahlt nicht mit besonderen Erfahrungen und Er-lebnissen. Sie  bläht sich nicht auf.  Sie ist vor allem selbstlos - sie sucht nicht das Ihre.  Sie läßt sich auch nicht erbittern und rechnet bei anderen das Böse nicht zu!  Sie führt nicht Buch über angetanes Unrecht und erträgt und vergibt. -  Das sind nur ein paar Wesenszüge der echten Liebe, die auch Frucht des Geistes genannt wird. 

 

Der Geist der Besonnenheit

Besonnenheit (sophronismos ) bedeutet Vernunft, Einsicht, gesunder Sinn, Nüchternheit, Selbstbeherrschung.  Der Geist Gottes schaltet nicht unseren Verstand aus, sondern erleuchtet ihn, so daß wir ihn recht gebrauchen können.  Er macht uns nicht passiv, sondern aktiviert und steigert unser Wahrnehmungsvermögen.  Unter dem Einfluss der Heiligen Geistes verlieren wir nicht die Selbstbeherrschung, er führt nicht in Ekstase und unkontrollierbare Manifestationen.  Gerade in Verbindung mit geistlichen Gaben ermahnt der Apostel in 1.Kor. 14,20: "Brüder, seid nicht Kinder am Verstande" (phren = Denken, Einsicht, Bewusstsein, Verständnis und Urteilsvermögen).  Und er sagt weiter: " Die Geister der Propheten sind den Propheten untertan".  Er erinnert die Korinther daran, dass sie vormals zu den Götzen hingezogen und fortgerissen wurden (1.Kor. 12,2). 

 

Der Heilige Geist

In Römer 1,4 wird er "der Geist der Heiligkeit" genannt.  Wenn Menschen geistliche Gaben praktizieren und dabei in Sünde, Weltförmigkeit und Unreinheit leben,  muß man dann nicht fragen, welcher Geist hier am Werk ist?  Nach den Worten unseres Herrn gibt es Menschen, die  sogar "in seinem Namen" weissagen, Teufel austreiben und Zeichen und Wunder vollbringen und von Ihm als "Übeltäter" bezeichnet werden.  (Matth. 7,21-23).  Diese Worte des Herrn zeigen, daß nicht alle Geisteswirkungen, auch wenn sie im Namen Jesu geschehen,  vom Geist Gottes gewirkt sein müssen.  In seiner Endzeitrede warnt der Herr die Seinen ja ausdrücklich vor der Verführung und vor vielen falschen Propheten (Matth. 24,4.11).  Gottes Wort warnt uns auch insbesondere vor "lügenhaften Zeichen und Wundern" (2.Thess. 2,9.10).  Es deshalb naiv anzunehmen, daß alle Zeichen und Wunder und Prophezeiungen, die im Namen Jesus geschehen,  vom Heiligen Geist stammen müssen!  Deshalb ist uns aufgetragen,  die Geister zu prüfen, ob sie von Gott sind  (1.Joh. 4,1). 

 

Der Geist der "Wahrheit

Dieser Wesenszug unterscheidet den Geist Gottes von jedem falschem Geist oder Schwarmgeist, der sich immer einer Prüfung durch den Geist der Wahrheit zu entziehen sucht.  Nur ein falscher Geist scheut die Wahrheit!  Er droht sogar damit, dass diejenigen "die Sünde wider den Heiligen Geist" begehen, welche die fraglichen Manifestationen prüfen.  Auch müssen wir uns nicht vorwerfen lassen, daß wir gegen den Heiligen Geist und seine Gaben eingestellt seien, wenn wir im Gehorsam gegenüber Gottes Wort die Geister prüfen.   Einer Lästerung des Heiligen Geistes gleichen viel eher die widerlichen Manifestationen mit sich Auf-dem-Boden-Wälzen, hysterischem Lachen, usw., die von extremen Charismatikern dem Heiligen Geist zugeschrieben werden.  Der Heilige Geist verbindet sich nicht mit Unaufrichtigkeit, Übertreibung, Lüge. 

 

Gibt es einen  'anderer' Geist?

 

Der Apostel Paulus warnt in 2.Kor. 11,4 die Korinther vor dem Empfang eines "anderen Geistes", das heisst, eines "fremdartigen, verschiedenartigen" (heteros) Geistes.  Diese Gefahr besteht, wenn wir nicht dem Wort Gottes glauben und mit drängendem Bitten eine sinnlich wahrnehmbare subjektive mystische Erfahrung machen wollen. Gottes Wort sagt uns: " Denn in ihm wohnt die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig; und ihr seid vollendet in ihm" (Kol. 2,9.10).  Gibt es denn noch etwas Größeres als "die ganze Fülle der Gottheit", die in unserem Herrn Jesus Christus ist?  Ist es nicht wahr, daß "seine göttliche Kraft uns alles in betreff des Lebens und der Gottseligkeit geschenkt hat" (2.Petr. 1,3)?  Hat der Herr uns nicht in der Wiedergeburt durch den Heiligen Geist erneuert, "den er reichlich über uns ausgegossen hat" (Titus 3,5.6)?  Sind wir nicht "durch einen Geist alle zu einem Leib getauft" (1.Kor. 12,13).  Wer dann sich noch nach einer sogenannten "Geistestaufe" "ausstreckt",  darf sich nicht wundern, wenn er wegen seines Unglaubens dem Wort Gottes gegenüber von einem falschen Geist heimgesucht wird. 

 

Frucht des Geistes

 

Ob jemand vom Heiligen Geist erfüllt ist zeigt sich nicht an dem Vorhandensein von spektakulären Gaben, sondern an der Frucht des Geistes.  So lehrte auch der Herr:  "An ihren Früchten sollte ihr sie erkennen"  (Matth. 7,16).  Das sagte der Herr gerade im Zusammenhang mit der Warnung vor den falschen Propheten (Vers.15).  Wir brauchen nicht um etwas bitten, das wir bereits besitzen.  Aber wir befolgen die Ermahnung des Apostels: "Werdet voll Geistes", oder anders übersetzt: "Laßt euch vom Geist erfüllen" (Eph. 5,18).  Das Wort für "erfüllen" oder "voll werden" (plêroô) steht im Griechischen in der Zeitform der dauernden Gegenwart, d.h. der ständigen Wiederholung.  Deshalb sollen wir dem in uns wohnenden Heiligen Geist immer mehr Raum geben, so dass er die ganze Herrschaft über unser Denken und Tut hat und ihn nicht betrüben und uns seelisch "berauschen" (Eph. 4,30; 5,18).  Geistesfülle hat nichts zu tun mit ekstatischen und zweifelhaften sinnlichen Erfahrungen. Während ein falscher Geist den Menschen in seinem Drang nach Selbstverwirklichung gross macht, verklärt der Heilige Geist Jesus und wirkt in uns die Frucht des Geistes: "Liebe, Freude, Friede, Langmut, Freundlichkeit, Gütigkeit, Treue, Sanftmut, Enthaltsamkeit" (Gal.5,22).

 

Nachtrag

 

Die typische Pfingstlehre gründet sich immer auf ein paar Bibelverse aus der Apostelgeschichte und argumentiert: Weil die Jünger eine spektakuläre "Geistestaufe" mit dem Zeichen der "Zungenrede" erfahren haben, müssten alle Gläubigen eine derartige Erfahrung machen. Dazu wird auch die "Geistestaufe" der Samariter und der Johannesjünger (Apg. 8 und 19) angeführt, die erst nach Auflegung der Hände der Apostel geschah.  Es sollte uns jedoch bewusst sein, das die in der Apostelgeschichte genannten Erfahrungen einmalige Ereignisse in einer Übergangszeit vom jüdischen Gesetz zum Zeitalter der Gemeinde und nicht Lehre für die Gemeinde sind!  Auch haben wir heute keine Apostel des Herrn mehr.   Es geht bei den beschriebenen Ereignissen um das souveräne Handeln Gottes beim Anbruch eines neuen Zeitalters, und Gott handelt dabei auf verschiedene Weise.  Vor Pfingsten warteten die Jünger 10 Tage auf die Erfüllung der Verheissung.  Es steht nicht geschrieben, dass sie sich nach einer Geistestaufe "ausstreckten".  Sie warteten ganz einfach, und das Ereignis kam plötzlich über sie (Apg. 2,2).  Im Hause Kornelius fiel der Heilige Geist auf die Zuhörer, während Petrus sprach.  Aus welchem Grunde wurde den in Samaria (Apg 8) zum Glauben Gekommenen die Gabe des Heiligen Geistes verwehrt, bis Apostel aus Jerusalem kamen.  Die Schrift zeigt uns in Joh. 4,9, daß die Juden keine Gemeinschaft mit den Samaritern hatten.  Bestand hier nicht die Gefahr der Bildung einer eigenen samaritischen Gemeinde oder Kirche.  Dass hätte zur Folge gehabt,  dass es zwei verschiedene Gemeinden gegeben hätte und der eine Leib Christi dadurch zerissen wäre. Die Apostel aus Jerusalem  identifizierten sich mit den samaritischen Gläubigen durch Handauflegung als Zeichen ihrer geistlichen Einheit.  Jetzt empfingen auch die gläubigen Samariter den Heiligen Geist und wurden "durch einen Geist in einen Leib getauft" (1.Kor. 12,13).  Ebenso kann von der Erfahrung der Johannesjünger in Apg. 19  keine verbindliche biblische Lehre abgeleitet werden.  Paulus belehrte sie über Jesus Christus und den Heiligen Geist, von dem sie noch nie gehört hatten, und durch die Identifikation durch Handauflegung wurden sie durch den Heiligen Geist zum Leib Christi hinzugetan.  Wir lesen nichts von einem "Sich-Austrecken" nach geistlichen Gaben, von einem Ringen nach der Kraft des Heiligen Geistes.

 

Die Lehre über das Wesen und Wirken des Heiligen Geistes gab uns der Herr selbst in Joh. 14-16.  Und der Apostel  Paulus sagt als 'Lehrer der Nationen':  "Denn in einem Geist sind wir alle zu einem Leib getauft worden..." (1.Kor. 12,13).  Er sagt nicht, daß nur diejenigen "geistgetauft" seien, die eine zweite Erfahrung nach der Wiedergeburt gemacht hätten.  Wir finden auch in den apostolischen Schriften keine Aufforderung, um den Heiligen Geist zu bitten oder uns nach den Gaben des Heiligen Geistes "auszustrecken".  (Bedeutet ein "Ausstrecken" vielleicht, daß man sich größer machen möchte?)  Der Empfang des Heiligen Geistes, man mag es auch das persönliche Pfingsten eines Gläubigen nennen, geschieht in der Wiedergeburt:  "Er errettet uns ... durch das Bad der Wiedergeburt und Erneuerung im Heiligen Geist, den er über uns reichlich ausgegossen hat durch Jesus Christus, unsern Heiland" (Titus 3,5.6). 

Werner Tietze, Mai 2003