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Frage 1984

Hallo,

ich habe nächste Woche eine mündliche Prüfung über Max Webers Religionssoziologie. Beim Lesen habe ich dann doch einige Schwierigkeiten bekommen. Ich verstehe zum Beispiel nicht, wie sich im Pietismus die Prädestinationslehre und der Bußkampf verbinden können.
Kann mir das vielleicht jemand erklären?

Ich wäre für Antworten sehr dankbar!

Grüße

Ruth
Liebe Ruth,  8.2.05

Max Weber geht ja davon aus, dass für den aufkommenden Kapitalismus die protestantische Ethik (mit)verantwortlich sein soll. Zeitlich gibt's da zwar schon Parallelen, aber ob das wirklich kausale Zusammenhänge sind, ist sehr umstritten - so einfach macht man sich die komplexen Zusammenhänge eigentlich nicht mehr. Die Theorie Webers würde ich persönlich mehr als subjektives Deutungsmuster sehen.

>Ich verstehe zum Beispiel nicht, wie sich im Pietismus die Prädestinationslehre und der Bußkampf verbinden können.


Nun, die Prädestionationslehre - so wie sie Weber m.E. sieht - hat zur Folge, dass deren Anhänger sich durch eigene Leistungen ihrer Zugehörigkeit zur Gruppe der zum Himmel Auserwählten vergewissern wollen/sollen/müssen. Im Kern geht es darum, wie man wissen kann, dass man auserwählt ist. Anhänger der Prädestionationslehre wollen also ihr Erwähltsein irgendwie in Handlungen/Werken/Buße ableiten - dies geschieht dann über die Buße bzw. den Bußkampf, wie Du es bezeichnet hast (ist ein Ausdruck, der in der Bibel m.W. nicht vorkommt, aber darum geht's ja jetzt nicht), also dadurch dass ich mich bußfertig verhalte, leite ich ab, dass ich zum Himmel auserwählt bin. Weber geht ja dann weiter und argumentiert, dass wirtschaftlicher Erfolg i.V.m. diszipliniertem bußfertigen Lebenswandel die Folge der calvinistischen Lehre ist - das wiederum würde den aufkommenden Kapitalismus erklären.
 
Wir können uns gerne noch über Fragen zu M. Weber und der Folge der Prädestionationslehre unterhalten - habe ich Deinen Punkt getroffen ?
 
Viel Erfolg bei der Prüfung !
 
Peter
 
P.S. Die calvinistische Prädestionationslehre ist jedoch keine Lehre der Heiligen Schrift - Gott will, dass _alle_ Menschen gerettet werden und hat somit keine Vorauswahl getroffen. Jeder, der Christus persönlich annimmt, indem er seine Sünden erkennt und bekennt, wird ein Kind Gottes (Joh 1,12; 1Joh 1,9). Zudem ist natürlich die Ableitung der Zugehörigkeit zu der Gruppe der Erwählten qua bußfertigem Lebenswandel und Ethik ebenso problematisch.
 
 
 
8.2.05

Also das geht schon so in die Richtung. Vielen, vielen Dank erst einmal für die Antwort. Das ist wirklich das erste Mal, dass jemand diese Frage nicht ignoriert.

Der Begriff "Bußkampf" stammt auch nicht von mir. Weber selbst verwendet ihn in diesem Zusammenhang.

Ganz genau meinte ich damit:

Die Prädestinationslehre geht ja gerade davon aus, dass Gott in seiner allmächtigen Position alles schuf und von jeher Jedermanns Schicksal vorherbestimmt, von ihm bestimmt ist. Ich verstehe nun nicht, ob der Pietismus sich an den Calvinisten (denn Calvin selbst hat diesen Gedanken der Erkennbarkeit der Bestimmtheit durch Erfolg usw. ja nicht

geprägt) orientiert, die ja von der Unabänderlichkeit dieser Vorherbestimmung ausgehen und arbeiten um sich ihres Heils gewiss zu werden, denn aus dieser Perspektive würde ein Bußkampf bzw. Buße ja überhaupt keinen Sinn machen, da eh alles vorherbestimmt ist.

Oder orientieren sich die Pietisten schon an der Prädestinationslehre, aber nicht in dem Sinne, wie Calvin das sah (also die Unabänderlichkeit), sondern, dass man das jenseitige Heil durch ein bußfertiges Verhalten im Diesseits erhalten kann. Weber spricht von dem Problem auf den Seiten 136 bis 138 im ersten Teil seiner Religionssoziologie.

Für mich würde nur letztere Theorie Sinn machen...aber irgendwie wird Weber da nicht ganz deutlich.

Nochmal vielen, vielen Dank...das macht mich richtig froh, dass noch jemand sich die Zeit nimmt zu antworten!

Liebe Grüße!

Ruth

 

Liebe Ruth,

also bei Weber sieht man irgendwie schon, dass er eher Soziologe als Theologe war (und vielleicht auch argumentativ in seinem Lager hätte bleiben sollen) und das christliche Lager und die Auswirkungen innerchristlicher Lehren aus gewisser Distanz beurteilt, d.h. _die_ protestantische Ethik müsste m.E. genauer differenziert werden (s.u.).
Daher ist es für mich immer noch nicht ganz eingänglich, wie er in vereinfachender Weise darauf kommt, theologische Streitfragen, als soziologisches Deutungsmuster zur Gesellschaftsentwicklung zu verwenden. Das nicht-katholische, christliche Lager ist nämlich alles andere als homogen - die verschiedene Schattierungen der Prädestionationslehre machen das allein schon sehr deutlich (von Calvin bis Luther über Arminius und deren Epigonen bis in unsere Tage).
Ich seh' nicht, dass man die Pietisten mit Calvinisten gleichsetzen sollte. Calvinisten haben ja die doppelte Prädestionationslehre als Glaubensgrundlage. Als Pietisten werden ja - nach kirchengeschichtlichem Verständnis - die "frommen" (= von Pietas, die Frömmigkeit) innerhalb der evangelischen (!) Landeskirche bezeichnet (P.J. Spener, A.H. Francke als Leitfiguren). Diese Abteilung hatte sicher nicht diese ausdifferenzierte Grundlage der (m.E. falschen) Prädestinationslehre nach Calvin, obwohl sie sich - abgesehen davon - um ein heiliges, bußfertiges Leben bemüht haben - allerdings nicht in Ableitung ihrer Zugehörigkeit zur Erwähltengruppe, wie es Weber für die Anhänger der Prädestionationslehre Calvins vorsieht. Also ich will damit nur sagen: Calvinisten und Pietisten sollte man schon voneinander trennen und ich weiß jetzt nicht genau, ob Weber das wirklich so gesehen hat. Pietisten sind also eher Lutheraner und habe nicht grundlegend die doppelte Prädestionationslehre, wie man es bei den Calvinisten sieht. Die Reformation muss man m.E. in zwei Bahnen sehen: lutherisch-- reformiert und calvinistisch-reformiert. Letztere Gruppe hat in Folge v.a. in Holland Einzug gehalten und auch in einigen Teilen Westdeutschlands. Dann gab's ja natürlich in den USA auch beide Lager - abgesehen von den übrigen christlichen Gruppierungen (die Brüderbewegung und Baptisten etc. - v.a. von England her kommend etc.).

Der Bezug der Pietisten zu calv. Prädestionationslehre ist m.E. nicht nachweisbar - ich würde daher eher sagen, (s.o.) man sollte die Lager trennen. Viele Menschen, darunter auch i.d.R. die Pietisten, die durch Buße und Glauben an Jesus Christus zu neuem Leben gefunden haben, führen in der Folge ein Leben, dass von Sünde getrennt sein will. Das hat in eigentlichem Sinn nichts mit der Prädestionationslehre Calvins zu tun - man will aus ganz anderen Gründen ein Leben führen, das aus vertikaler Perspektive als richtig verstanden wird (m.E. in erster Linie aus Dankbarkeit Gott gegenüber, dass er die Sünden vergeben hat). Calvinisten hingegen wollen wohl aus den subjektiven Gründen der Erlangung von Gewissheit zur Gruppe der Erwählten gehören. Ist ja auch klar: die Leute aus dem Lager wollen ja schließlich wissen, wie's in der Ewigkeit mit ihnen aussieht und was Gott mit ihnen persönlich geplant und festgelegt hat. Auch wenn Gott schon (angeblich) alles festgelegt hat, will man natürlich schon bei der Gruppe sein, die das bessere Schicksal erwartet - ist ja nachvollziehbar. Also obwohl Gott nach diesem Verständnis schon alles festgelegt hat (wie etwa das Kismet bzw. Inch-Allah-Denken), will man nicht zu den Verworfenen gehören, sondern durch Buße und entsprechenden Lebensstil zur Gruppe der Erwählten gehören.
 
>Oder orientieren sich die Pietisten schon an der Prädestinationslehre, aber nicht in dem Sinne, wie Calvin das sah (also die Unabänderlichkeit), >sondern, dass man das jenseitige Heil durch ein bußfertiges Verhalten im Diesseits erhalten kann.

Die Werksgerechtigkeit (d.h. den späterer Eingang in den Himmel durch bestimmtes diesseitige Verhalten bewirken) wurde von den Pietisten klar abgelehnt: SOLA FIDE heißt ja das Motto, durch das man (m.E. zurecht) selig werden will/kann. Der bußfertige Lebensstil ist bei den Pietisten die Folge des erfahrenen Heils aus Glauben an Christus allein, als weniger die Voraussetzung dafür. Bei den Calvinisten ist das wieder etwas anders: hier ist alles festgelegt - aber um zu wissen in welche (bereits ja festgelegte) Gruppe man gehört, verhält man sich besser so, dass man sich zur Erwähltengruppe zählen kann. Das ist weder dasselbe wie bei den Pietisten, noch wie die katholische Werksgerechtigkeit, sondern eine eigene Sache. Werksgerechtigkeit in katholischem Sinne (per Eigenleistung in Richtung Himmel streben) lehnen sowohl die Pietisten wie auch die Calvinisten ab. Also ich würde das bei den Pietisten in etwa so sehen, wie Du geschrieben hast, jedoch das entsprechende Verhalten bei den Pietisten als FOLGE des durch Glauben erfahrenen Heils verstehen und nicht als die _Voraussetzung_ dafür. Pietisten sagen hier zurecht: jeder muss persönlich an Christus glauben, um gerettet zu werden - UND DANN ist man prädestiniert für den Himmel. Calvinisten hingegen gehen davon aus, dass Gott diese Entscheidung souverän schon vorweltlich festgelegt hat: dann also besser so verhalten, dass man bei der richtigen Gruppe dabei ist. Also mit dieser Einschränkung würde ich sagen, dass Du den Nagel auf den Kopf getroffen hast.

Aber, um auf Weber zu kommen: er wirft dabei so manches in einen Topf (er ist halt eher Soziologe als Theologe) und wird dadurch den theologischen Fragen m.E. nicht ganz gerecht. Die Grundlage für das Ethiksystem bei Calvinisten und bei Pietisten ist etwas anderes. Auch wenn die Folgen (hier kann man vielleicht dann wieder eher Weber folgen) für den Lebenswandel vergleichbar sind.

Mit besten Grüßen
Peter

 

Hallo,  22.02.05

ich wollte mich noch mal für die Hilfe neulich im Forum bedanken. Das hat wirklich geholfen. Ich habe meine Prüfung über Max Weber mit einer Eins bestanden!

Vielen, vielen Dank!

Liebe Grüße!

Ruth

 

22.05.05

Wir freuen uns natürlich mit Dir!

Liebe Grüsse

Hans Peter