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Wilsom <--> C.G. Jung)

Spiritus contra Spiritum

 

Briefwechsel zwischen William G. Wilson und C. G. Jung

 

Spiritus contra Spiritum - Geist anstelle von Weingeist, eine Formulierung von C. G, Jung, und mehr noch, eine Formel, die eine gewaltige Bewegung auslöste und Veränderungen im Leben von Millionen Menschen in über 90 Ländern bewirkte, die, da sie sich nur in Randgruppen abspielen, auch nur am Rande wahrgenommen werden. Aber auch eine Formel, die - wenn Menschen in helfenden Berufen sie verstünden und an sich selbst erführen, den heillosen Zauber aufheben könnte, der von den Begriffen „Alkoholismus" im engen und „Sucht“ im weiteren Sinne ausgeht. Es würde klar erkennbar werden, dass der Arzt Magnus Huss, als er 1849 den Begriff „Alkoholismus“ prägte, damit bis zum heutigen Tag Forschung und therapeutisches Handeln vom Wesentlichen ablenkte und Nebensächliches zur Hauptsache erhob. Es würde sich herausstellen, dass Anschauungen, Methoden und Behandlungsstrategien, die auf diesem Missverständnis beruhen, nicht - wie erwartet - die Lösung sein können, sondern eine oder die Störung selbst bilden, in der sogenannte Süchtige und ihre Helfer sich gegenseitig stabilisieren. Nachstehend möchten wir den kurzen Briefwechsel zwischen dem Mitbegründer der Anonymen Alkoholiker William Griffith Wilson und Carl Gustav Jung zur Kenntnis bringen. Der kurze Brief C. G. Jungs stellt einen bedeutenden Beitrag zur Frage des Alkoholismus und der Sucht dar.                                                                 Walther H. Lechler

 

Williarn Griffith Wilson schrieb am 23. Januar 1961 den folgenden Brief an C. G. Jung:

 

Mein lieber Herr Dr. Jung,

dieser Brief, Ausdruck großer Wertschätzung, ist längst überfällig.

 

Darf ich mich zuerst Ihnen als Bill W. vorstellen, ein Mitbegründer der Gemeinschaft der Anonymen Alkoholiker. Obwohl Sie sicherlich schon von uns gehört haben, so zweifle ich doch daran, ob Sie wissen, dass ein gewisses Gespräch, welches Sie einst mit einem Ihrer Patienten hatten, mit einem gewissen Mr. Roland H., schon Anfang der dreißiger Jahre zurückliegend, eine entscheidende Rolle bei der Begründung unserer Gemeinschaft gespielt hat.

 

Obwohl Roland H. seitdem schon lange dahingeschieden ist, sind doch die Erinnerungen an seine bedeutende Erfahrung, während er bei Ihnen zur Behandlung war, in entscheidender Weise zu einem Teil der Geschichte von AA geworden. Unsere Erinnerung an das, was Roland H. über seine Erfahrungen mit Ihnen mitgeteilt hat, ist folgendermaßen:

 

Nachdem alle Versuche, vom Alkohol zu genesen, erschöpft waren, werde er um 1931 herum Ihr Patient. Ich vermute, dass er etwa ein Jahr lang in Ihrer Behandlung blieb. Seine Bewunderung für Sie war grenzenlos, und er verließ Sie mit einem Gefühl von tiefem Vertrauen.

 

Zu seiner großen Bestürzung fiel er bald wieder in sein Suchtverhalten zurück. Dessen gewiss, dass Sie seine letzte Instanz sind, kehrte er wieder in Ihre Betreuung zurück. Dann folgte das Gespräch mit Ihnen, welches das erste Glied in der Kette der Ereignisse werden sollte, welche zur Gründung der Anonymen Alkoholiker führten. Meine Erinnerung an seinen Bericht von dem Gespräch ist die folgende: Zuallererst erklärten Sie ihm offen, dass er ein hoffnungsloser Fall sei, insofern irgend eine weitere medizinische oder psychiatrische Behandlung in Frage käme. Diese ehrliche und demütige Feststellung Ihrerseits war zweifellos der erste Grundstein, auf welchem sich seitdem unsere Gemeinschaft aufgebaut hat. Da er Ihnen vertraute und Sie bewunderte, war gerade deshalb die Auswirkung Ihrer Äußerungen auf ihn grenzenlos.

 

Als er dann die Frage stellte, ob es denn keine andere Hoffnung gäbe, sagten Sie ihm, dass dies vielleicht möglich wäre, vorausgesetzt er erlebe eine spirituelle oder religiöse Erfahrung - kurzum, eine echte Bekehrung. Sie zeigten auf, wie eine solche Erfahrung, wenn es dazu käme, ihm eine neue Lebenseinstellung vermitteln könnte, wenn alles andere versagt habe. Sie haben ihn jedoch gewarnt, dass, obwohl solche Erfahrungen manchmal zur Genesung von Alkoholikern geführt haben, sie vergleichsweise selten seien. Sie empfahlen, dass er sich selbst in ein religiöses Umfeld einbringe und das Beste hoffen sollte. Dies, glaube ich, gibt das Wesentliche Ihres Rates wieder.

 

Kurz danach schloss sich Mr. H. den Oxford-Gruppen an, einer evangelikalen Bewegung, die damals auf der Höhe ihres Erfolges in Europa war und mit der Sie zweifelsohne vertraut sind. Sie werden sich sicher an die starke Betonung der folgenden Prinzipien erinnern: Selbstinventur, Beichte, Wiedergutmachung und der Dienst am andern. Sie legten großen Wert auf Meditation und beten. In deren Umgebung erlebte Roland H. ein Bekehrungserlebnis, das ihn fürs erste von seinem Drang zum Trinken befreite.

 

Nach New York zurückgekehrt, wurde er sehr aktiv in den hiesigen Oxford-Gruppen. Der episkopale Geistliche Dr. Samuel Shoemaker war einer der Begründer jener Bewegung, und er war eine machtvolle Persönlichkeit, der grenzenlose Aufrichtigkeit und Überzeugungskraft übertrug.

 

Zu dieser Zeit (1932-1934) hatten die Oxford-Gruppen bereits einer Anzahl Alkoholiker zur Nüchternheit verholfen und Roland, der das Gefühl hatte, sich besonders mit diesen Leidenden identifizieren zu können, setzte sich ein, anderen zu helfen. Einer von diesen sollte einer meiner alten Schulkameraden sein, mit dem Namen Edwin T. Ihm drohte die Zwangseinweisung, jedoch Mr. H. und ein anderer ehemaliger Alkoholiker. Mitglied der Oxford-Gruppen, bewirkte eine Bewährung und verhalfen ihm zur Nüchternheit.

 

Mittlerweile hat sich mein Alkoholismus derart entwickelt, dass mir selbst die Zwangseinweisung drohte. Glücklicherweise kam ich in die Behandlung eines Arztes - eines Dr. William D. Silkworth - der in einer wundervollen Weise fähig war, Alkoholiker zu verstehen. Aber genauso wie Sie Roland H. aufgegeben haben, so gab er auch mich auf. Nach seiner Theorie hatte der Alkoholismus zwei Komponenten - eine Besessenheit, die den Leidenden gegen seinen Willen und seine Interessen zum Trinken trieb und eine Art Stoffwechselstörung, die er dann eine Allergie nannte. Des Alkoholikers Drang sorgte dafür, dass der Alkoholiker weitertrank und die Allergie machte gewiss, dass der Leidende schlussendlich abbaute, verrückt wurde oder starb. Obwohl ich einer der wenigen war, denen er glaubte, helfen zu können, war er doch gezwungen, mich als hoffnungslosen Fall zu erklären. Auch ich musste eingesperrt werden. Für mich war dies ein zerschmetternder Schlag. Genau wie Roland H. für seine Bekehrungserfahrung durch Sie vorbereitet wurde, so hat mich mein wunderbarer Freund, Dr. Silkworth, vorbereitet.

 

Mein Freund Edwin T., der von meinem Zustand erfahren hatte, besuchte mich daheim, wo ich gerade am Trinken war. Es war inzwischen November 1934. Eine lange Zeit bezeichnete ich meinen Freund Edwin als einen hoffnungslosen Fall. Hier befand er sich jedoch in einem sehr deutlichen Zustand der Befreiung, der keineswegs nur allein der sehr kurzen Zugehörigkeit zu den Oxford-Gruppen zugeschrieben werden konnte. Dieser offensichtliche Zustand der Befreiung, die sich von der übrigen Depression abhob, war außerordentlich überzeugend. Da er ein Leidensverwandter war, konnte er fraglos sehr tiefgehend mit mir in Verbindung kommen. Ich wusste sofort, dass ich eine Erfahrung, wie er sie erlebt hatte, finden oder sterben musste.

 

Noch einmal begab ich mich in die Behandlung von Dr. Silkworth, wo ich noch einmal ausgenüchtert wurde und somit eine deutliche Schau für das befreiende Erlebnis meines Freundes gewinnen konnte und für Roland H.’s Zugang zu ihm.

 

Wiederum vom Alkohol befreit, versank ich in eine furchtbare Depression. Die Ursache dafür schien meine Unfähigkeit zu sein, auch nur eine Spur von Glauben zu erlangen. Edwin T. besuchte mich wieder und wiederholte die einfachen Formeln der Oxford-Gruppen. Kurz nachdem er mich verlassen hatte, wurde ich noch deprimierter. In tiefster Verzweiflung rief ich aus: "Wenn es einen Gott gibt, so soll er sich zeigen.“ Da trat unmittelbar danach bei mir eine Erleuchtung von enormer Wirkungskraft und Tragweite auf, die ich in dem Buch „Anonyme Alkoholiker“ und auch in „AA wird mündig“ zu beschreiben versucht habe. Diese Basistexte werde ich Ihnen zusenden.

 

Ich erlebte sofort die Befreiung von meiner Alkoholbesessenheit. Sofort wusste ich, dass ich ein freier Mann war.

 

Kurz nach meiner Erfahrung kam mein Freund Edwin zum Krankenhaus und brachte mir eine Kopie von William James „Varieties of Religious Experiences“. Durch dieses Buch ist mir klar geworden, dass die meisten Bekehrungserlebnisse, welcher Art sie auch .immer gewesen sein mögen, einen gemeinsamen Nenner haben, nämlich ein tiefgehender Ich-Zusammenbruch. Das Individuum steht einem unmöglichen Dilemma gegenüber. In meinem Fall wurde das Dilemma durch mein zwanghaftes Trinken hervorgerufen durch das tief empfundene Gefühl der Hoffnungslosigkeit, das weitgehend durch meinen Arzt verstärkt wurde. Es wurde durch meinen alkoholischen Freund sogar noch mehr vertieft, als er mich bekannt machte mit Ihrem Schiedsspruch der Hoffnungslosigkeit, was Roland H. anbelangte.

 

Im Kielwasser meiner spirituellen Erfahrung kam mir die Vision einer Gemeinschaft von Alkoholikern, in der jeder sich mit dem andern identifizieren konnte - in Form einer Kette. Wenn jeder Leidende in der Lage wäre, die Nachricht von der wissenschaftlichen Hilflosigkeit, was den Alkoholismus anbelangte, zu jedem neuen Anwärter zu bringen, könnte er jeden Neuen weit öffnen für eine verwandelnde spirituelle Erfahrung. Dieses Konzept erwies sich als Grundlage für einen solchen Erfolg, wie ihn die Anonymen Alkoholiker seither erzielt haben. Dadurch wurden Bekehrungserfahrungen - nahezu von jeder Art wie sie James berichtet hatte - auf breiter Basis erreichbar. Unsere Dauergenesungen im Verlauf des letzten Vierteljahrhunderts erreichten ungefähr die Zahl von 300 000. In Amerika und in der Welt gibt es heute 8 000 AA-Gruppen[1]).

 

Ihnen, Dr. Shoemaker von den Oxford-Gruppen. William James und meinem Arzt, Dr. Silkworth, verdanken wir von AA diesen ungeheuren Segen. Wie Sie nun deutlich sehen, begann diese erstaunliche Kette von Ereignissen tatsächlich vor langer Zeit in Ihrem Sprechzimmer, und dies war direkt begründet in Ihrer Demut und tiefen Wahrnehmungsfähigkeit.

 

Sehr viele nachdenkende AAs studierten Ihre Schriften. Aufgrund Ihrer Überzeugung, dass der Mensch mehr ist als Intellekt, Emotion und Chemikalien im Wert von 2 Dollar, sind Sie uns besonders ans Herz gewachsen.

 

Wie unsere Gemeinschaft wuchs, ihre Traditionen für Einheit entwickelte und ihr Wirken strukturieren, können Sie aus den Texten und Heften ersehen, die ich Ihnen zusende.

 

Sicherlich wird es Sie interessieren, zu erfahren, dass in Ergänzung zu der „Spirituellen Erfahrung“ viele AAs eine Vielzahl von psychischen Phänomenen mitteilen, deren wachsende Bedeutung sehr beachtenswert ist.

 

Zahlreiche andere haben nach der Genesung in AA eine große Hilfe bei ihren Schülern gefunden. Einige sind durch das Buch „I Ging“ und Ihre bemerkenswerte Einführung in jenes Werk angeregt worden. Seien Sie versichert, dass Ihr Platz in der Zuneigung und in der Geschichte unserer Gemeinschaft wie kein anderer ist.

 

Ihr dankbarer William G. Wilson.

Mitbegründer Anonyme Alkoholiker.

 

(Unterschrift)


In der Folge nun die Antwort von Professor C. G. Jung in seinem Brief aus Küssnacht-Zürich, vom 30. Januar 1961:

 

Lieber Herr Wilson,

Ihr Brief war mir in der Tat sehr willkommen.

 

Ich bekam keine Nachricht mehr von Roland H. und habe mich oft gefragt, was wohl sein Schicksal gewesen ist. Unsere Unterhaltung, die er Ihnen hinlänglich Berichtete, hatte einen Aspekt, den er nicht kannte. Der Grund, dass ich ihm nicht alles sagen konnte, war, dass ich in jenen Tagen außerordentlich vorsichtig sein musste, was ich sagte. Ich kam dahinter, dass ich in jeder möglichen Weise missverstanden wurde. So war ich sehr vorsichtig, als ich mit Roland H. sprach. Woran ich aber wirklich dachte, war das Ergebnis vieler Erfahrungen mit Menschen seiner Art.

 

Sein Drang noch Alkohol war der Ausdruck auf einer mittleren Stufe des spirituellen Durstes unseres Wesens nach Ganzheit, in der Sprache des Mittelalters: Nach der Einung mit Gott (Fußnote „Wie der Hirsch lechzt nach frischem Wasser, so lechzt meine Seele, Gott, nach Dir“ [Psalm 42,1]).

Wie konnte man eine solche Erkenntnis in einer Sprache formulieren, die heutzutage nicht missverstanden wird.

 

Der einzige richtige und legitime Weg zu einer solchen Erfahrung ist, dass sie uns in Wirklichkeit widerfährt, und dies kann sich bei uns nur dann ereignen, wenn wir auf einem Weg gehen, der uns zu einem höheren Verständnis führt. Zu jenem Ziel mögen wir durch einen Akt der Gnade oder durch einen persönlichen im aufrichtigen Kontakt mit Freunden oder durch eine höhere Ausbildung des Geistes über die Grenzen des reinen Rationalismus hinausgeführt werden. Ich erfahre durch Ihren Brief, dass Roland H. den zweiten Weg gewählt hat, der, unter den gegebenen Umständen, offensichtlich, der beste war. Ich bin fest davon überzeugt, dass das Prinzip des Bösen, das in dieser Welt vorherrscht, das nicht begriffene geistige Bedürfnis ins Verderben führt, wenn nicht wirkliche religiöse Erkenntnis oder der Schutzwall einer menschlichen Gemeinschaft ihm entgegengesetzt wird. Ein gewöhnlicher Mensch, der nicht durch das Eingreifen von Oben geschützt ist und in der Gesellschaft isoliert dasteht, kann der Macht des Bösen kaum widerstehen, die in zutreffender Weise der Teufel (devil) genannt wird. Jedoch der Gebrauch solcher Worte ruft so viele Missverständnisse hervor, dass man sich so viel wie möglich von ihnen fernhalten muß.

 

Dies sind die Gründe, warum ich Roland H. keine volle und ausreichende Erklärung geben konnte, aber Ihnen gegenüber wage ich es, weil ich aus Ihrem ehrlichen und aufrichtigen Brief schließe, dass Sie sich eine Auffassung erworben haben, die sich über die irreführenden Plattheiten erbebt, die man gewöhnlich über Alkoholismus hört.

 

Sehen Sie, Alkohol heißt auf lateinisch „spiritus“, und man verwendet das gleiche Wort für die höchste religiöse Erfahrung wie auch für das verderblichste Gift. Die hilfreiche Formel ist daher: SPIRITUS CONTRA SPIRITUM. Indem ich Ihnen nochmals für Ihren freundlichen Brief danke, verbleibe ich

Ihr aufrichtiger

C. G. Jung.



[1]) 1978 betrug die Weltmitgliedschaft der Anonymen Alkoholiker schätzungsweise 1 Million; die Zahl der Gruppen wurde auf über 30 000 geschätzt.