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Hallo zusammen

Sprüche 10,1:
Sprüche Salomos: Ein weiser Sohn macht seinem Vater Freude, aber ein törichter Sohn ist der Kummer seiner Mutter. (Schlachter 2000)

Warum wird öfters zuerst beim "guten" der Vater genannt, und dann beim "schlechten" die Mutter?

Gruss
Michael / CH

Das hat nichts mit der Mutter und dem Vater an sich zu tun, sondern damit das beide zusammengehörend und doch verschieden sind. Dieses wird für eine besondere Form der orientalischen Poesie genutzt.

Während die deutsche Dichtungstradition besonders auf das Stilmittel des Reims vertraut, ist die hebräische Poesie durch eine für unser Verständnis besonders auffällige Eigenheit der sprachlichen Rhythmisierung geprägt: den Parallelismus der Satzglieder („Parallelismus membrorum“). Dabei bilden meistens zwei, manchmal auch drei Zeilen eine kleine zusammengehörige poetische Einheit, wobei alle Glieder mit derselben Aussage beschäftigt sind, ohne jedoch einfache Doppelungen zu bieten. 

  Gott, du bist mein Gott, den ich suche /es dürstet meine Seele nach dir ... . (63,2)

oder:

  Die Berge hüpften wie die Lämmer, die Hügel wie die jungen Schafe ... . (114,4) 

Diese Technik des Parallelismus membrorum, in der eine Sache durch Wiederholung von verschiedenen Aspekten her umkreist wird, ist im ganzen alten Orient weit verbreitet. Sie entspricht der orientalischen Vorliebe, etwas möglichst plastisch darzustellen, es in seinen verschiedenen Aspekten zu zeigen. Während unser abendländisch griechisches Denken eher auf Präzision und Einfachheit abzielt, sind für hebräisches Denken die Dinge von größerer Komplexität, so dass unterschiedliche Perspektiven nötig sind, um einen sprachlichen Zugang zu ihnen zu finden. 

Unterschiedliche Arten des Parallelismus membrorum 

a) Der (am häufigsten auftretende) synonyme Parallelismus membrorum variiert mit der zweiten Zeile die Aussage der ersten Zeile:

  Schafft Gerechtigkeit dem Armen und dem Waisen,

  Und helft dem Elenden und Bedürftigen zum Recht. 

b) Der polare Parallelismus membrorum. Eine Ganzheit wird durch zwei gegensätzliche Aspekte sichtbar gemacht, z.B.:

  Tag und Nacht = immer,

  Himmel und Erde = Weltganze,

  gut und böse = Erkenntnis des Ganzen. 

c) Der antithetische Parallelismus. Die zweite Zeile zeigt den antithetischen Kontrast zur Aussage der ersten Zeile.

  Sie sind gestürzt und fallen,

  Wir aber stehen und halten stand ... . (20,9) 

  Jhwh kennt den Weg der Gerechten,

  doch der Weg der Gottlosen führt in den Abgrund ... .  

d) Der synthetische Parallelismus. Die zweite Zeile führt den Gedanken der ersten Zeile weiter. 

  Jhwh ist König  und herrlich geschmückt,

  Jhwh ist geschmückt und umgürtet mit Kraft ... . (93,1) 

  Jhwh ist mein Licht und mein Heil,

  vor wem soll ich mich fürchten?  

Dies sind die wesentlichen Grundformen der Poesie. Daneben gibt es noch erheblich kunstvollere Formen. Zu solchen gehört das Alphabetgedicht (Akrostichon), bei dem jede neue Zeile mit dem jeweils nächsten Buchstaben des Alphabets beginnt. Die Psalmen 9; 10; 11; 25; 34 u.a. sind nach diesem Prinzip aufgebaut, das man in der deutschen Übersetzung nicht wiedergeben kann.

Grüße Konrad

 

Hallo Konrad

<<Das hat nichts mit der Mutter und dem Vater an sich zu tun, sondern damit das beide zusammengehörend und doch verschieden sind. Dieses wird für eine besondere Form der orientalischen Poesie genutzt.<<

Danke für deine Antwort!
Nur finde ich sie ein wenig zu kurz gegriffen! Kommt es wirklich nicht darauf an und muss ein solches Wort (Vater / Mutter) "einfach" der orientalischen Poesie Untertan sein? Das ist mir zu einfach, sorry. Und eine solche Auslegung ist mir auch ein wenig unheimlich. Denn ich bin der Überzeugung, das wir aus diesem Bibelwort etwas lernen können, auch weil gerade Mutter und Vater an diesen Stellen stehen, und nicht einfach weil sie halt der Poesie halber dort stehen. Es muss einen tieferen Sinn geben, warum sie gerade SO dort stehen und nicht anders! Es muss mit der Position der Familie, Eltern, etc. zu tun haben, weil die schöpfungsgegebene Realität so ist, es soll ja ins Leben sprechen... Aber warum das so ist, das ist meine Frage?
Hätte man dann alles nicht einfach als folgendes schreiben können:
Sprüche 10,1: Sprüche Salomos: Ein weiser Sohn macht seiner Mutter Freude, aber ein törichter Sohn ist der Kummer seines Vaters. (Michael / CH 2005)
oder als: Sprüche 10,1: Sprüche Salomos: Ein weiser Sohn macht seinem Vater Freude, aber ein törichter Sohn ist der Kummer seines Vaters. (Michael / CH 2005)
Achtung: Ich habe das Bibelwort abgeändert!
Hätte das Obige dann immer noch die gleiche Bedeutung, würde es die gleiche Situation beschreiben wie das Original? Oder hat es eben doch mit der Vater oder der Mutter als Person, als Wesen, als Mensch, als Geschlecht zu tun?

Gruss
Michael / CH
 

Lieber Michael/CH

Der Vater als Haupt der Familie ist über die Anweisungen des Gesetzes bestens unterrichtet und gibt diese an seine Frau weiter,
so wie es für seine Familie individuell angebracht ist. Die Mutter setzt diese Anweisungen um (natürlich auch der Vater), da sie aber
mehr Zeit mit dem Sohn verbringt, so liegt bei ihr die Hauptaufgabe der Erziehung.
Sowie die Mutter auch den Vater ehrt, so kommen in diesem Sinne auch die Anweisungen des Vaters vor dem Sohn deutlich zur Geltung.
Spr 10,1 Ein weiser Sohn erfreut den Vater, aber ein törichter Sohn ist seiner Mutter Kummer.

Wird der Sohn weise, so erfreut dies den Vater mehr wie die Mutter, nicht nur weil  der Sohn weise ist, sondern auch seine Frau.
Hat man einen törichten Sohn, so hat die Mutter den größeren Kummer, nicht nur wegen dem Sohn, sondern auch gegenüber dem Mann,
weil sie seinen Anweisungen nicht nachgekommen ist.

So verstehe ich diesen Vers als eine Zustandsbeschreibung der Erziehung und deren Auswirkung auf Vater und Mutter.


Lieben Gruß
Kurt R.

 

Hallo Kurt

Ahhh! Schön Antwort. Ja das kann die Lösung sein!

Danke dir!

Gruss

Michael / CH

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