Erneute Prüfung der ewigen Sohnschaft Christi
John F. MacArthur
Es kann nur von Nutzen sein, wenn wir uns mit John MacArthur erneut Gedanken
über die ewige Sohnschaft unseres HERRN Jesus Christus ma-chen. Bei solch einem
schwierigen und zugleich wichtigen Thema tut es gut, die Überlegungen
ernsthafter Schriftforscher nachzuvollziehen, um zu erkennen, wie sie zu ihren
Ergebnissen kamen und warum sie ihre Meinung geändert haben. Aus diesem Grund
haben wir die Verteidigung der Lehre, dass Jesus Christus erst bei seiner
Menschwerdung Sohn wurde, im letzten Heft (99-4) stehen lassen und bringen nun
den lesens-werten Widerruf.
d.Red.
Gegen Ende seines Lebens hatte Augustinus von Hippo alles, was er je publiziert
hatte, gewissenhaft durchgesehen. Er schrieb einen Gesamtkatalog seiner eigenen
Werke - eine peinlich genau mit Anmerkungen versehene Bibliographie mit
Hunderten Revisionen und Richtigstellungen, um Fehler zu korrigieren, die er in
seinem früheren Material sah. Das Buch Retractations ("Widerruf") ist ein
eindrucksvoller Beweis von Augustins Demut und Eifer für die Wahrheit. Nicht
eine seiner früheren Publikationen entkam der Prüfung des reiferen Theologen.
Und Augustinus widerrief die Irrtümer, die er in seinem Werk wahrgenommen hatte
mit derselben Kühnheit, mit der er einst die Häresien seiner theologischen
Gegner widerlegt hatte. Da Augustinus sein Werk in chronologischer Reihenfolge
durchsah, wurde " Retractations " zu einer wundervollen Aufzeichnung von
seinem unerbittlichen lebenslangen Streben nach geistlicher Reife und
theologischer Genauigkeit. Die Aufrichtigkeit, mit der er seine eigenen
Unzulänglichkeiten anspricht, liefert einen guten Beleg dafür, warum Augustinus
als seltenes Vorbild von Frömmigkeit und Gelehrsamkeit geschätzt wird.
Ich habe mir oft die Möglichkeit gewünscht, all mein eigenes publiziertes
Material durchzusehen und abzuändern, doch ich bezweifle, dass ich je Zeit und
Kraft haben werden, diese Aufgabe in Angriff zu nehmen. In unserer Zeit der
elektronischen Aufzeichnungen bestehen meine Veröffentlichungen nicht nur aus
den Büchern, die ich geschrieben, sondern auch aus fast jeder Predigt, die ich
gehalten habe - über 3000 bisher. Das ist viel zu viel Material, um es nach
meinen Vorstellungen einer vollständigen Durchsicht zu unterziehen.
Das heißt nicht, dass ich in einer Generalrevision alles auf den Kopf stellen
würde. Während meines gesamten Dienstes ist meine theologische Sicht
grundsätzlich unverändert geblieben. Die grundlegenden Lehraussagen, die ich
heute gutheiße, sind dieselben, die ich vertrat, als ich vor fast 40 Jahren zum
Dienst ordiniert wurde. Ich bin kein Mensch von leicht wechselnden
Überzeugungen. Ich bin sicher, dass ich kein Rohr bin, das vom Wind hin und
herbewegt wird, oder zu den Leuten gehöre, die vom Wind verschiedener Lehren hin
und hergeworfen werden.
Doch gleichzeitig will ich auch nicht dem Wachstum und der Korrektur
widerstehen, besonders dann nicht, wenn mein Schriftverständnis dadurch
geschärft werden kann. Wenn ein genaueres Verständnis bezüglich eines wichtigen
Lehrthemas eine Änderung in meinem Denken verlangt, möchte ich die nötigen
Änderungen willig vornehmen - auch wenn das Abänderungen und Korrekturen an
meinem bereits publizierten Material bedeutet.
Über die Jahre hinweg habe ich viele solcher Revisionen eingeleitet und Schritte
unternommen, um irrtümliche oder verwirrende Aussagen von meinen eigenen
Tonbändern zu löschen. Manchmal habe ich sogar noch einmal über solche
Schriftstellen gepredigt - mit einem besseren Verständnis des Textes. Wann immer
ich meine Meinung zu irgendeinem bedeutenden Lehrthema geändert habe, war ich
bestrebt, meine Meinungsänderung und die Gründe dafür so klar wie möglich
darzulegen.
Ich betrachte die Sohnschaft Christi nicht länger als eine Rolle, die er bei
seiner Inkarnation annahm
Zu diesem Zweck möchte ich öffentlich erklären, dass ich die Lehre von der
"Sohnschaft bei der Fleischwerdung" aufgegeben habe. Sorgfältiges Studium und
Nachdenken führten mich zu dem Verständnis, dass die Schrift das Verhältnis
zwischen Gott dem Vater und Christus dem Sohn tatsächlich als ein ewiges
Vater-Sohn-Verhältnis präsentiert. Ich betrachte die Sohnschaft Christi nicht
länger als eine Rolle, die er bei seiner Inkarnation annahm.
Meine frühere Position ergab sich aus meinem Studium von Hebräer 1,5, wo
scheinbar von der Zeugung des Sohnes seitens des Vaters gesprochen wird als ein
Ereignis, das zu einem Zeitpunkt stattfindet: "Ich habe dich heute
gezeugt"; "Ich will ihm Vater und er soll mir Sohn sein"
(Hervorhebung vom Verfasser).
Dieser Vers enthält einige sehr schwierige Begriffe. "Zeugung" bedeutet
normalerweise Ursprung einer Person. Außerdem sind Söhne im Allgemeinen
ihren Vätern untergeordnet.Daher konnte ich schwer einsehen, wieso ein
ewiges Vater-Sohn-Verhältnis kompatibel sein kann mit der vollkommenen
Gleichheit und Ewigkeit unter den Personen der Dreieinigkeit. "Sohnschaft", so
schloss ich, spricht im Voraus von der freiwilligen Unterordnung, zu der sich
Christus bei seiner Fleischwerdung herabließ (vgl. Phil 2,5-8; Joh 5,19).
Mein Ziel war es, die absolute Gottheit und Ewigkeit Christi zu verteidigen und
nicht etwa in irgendeiner Weise zu unterminieren. Und ich war von Anfang an
bestrebt, dies so klar wie möglich darzulegen.
Dennoch, als ich meine Ansichten über das Thema zum ersten Mal veröffentlichte
(in meinem 1983er Kommentar zum Hebräerbrief), beschuldigten mich ein paar
freimütige Kritiker, ich würde die Gottheit Christi angreifen oder seine ewige
Existenz in Frage stellen. 1989 antwortete ich auf solche Anklagen in einer
Plenarsitzung des jährlichen Konvents der Unabhängigen Fundamentalistischen
Kirchen Amerikas (die Denomination, die mich ordiniert hatte). Kurz nach dieser
Sitzung schrieb ich einen Artikel mit dem Titel "Die Sohnschaft Christi" (1991
veröffentlicht in Form einer Broschüre), um meine Sicht ausführlicher zu
erklären.
Die Sicht von der "Sohnschaft bei der Fleischwerdung" ist eine
Minderheitsmeinung, keine Häresie
Beide Male betonte ich erneut meine vorbehaltlose und unwiderrufliche Bindung an
die biblische Wahrheit, dass Jesus ewiger Gott ist. Die Sicht von der
"Sohnschaft bei der Fleischwerdung", zugegebenermaßen eine Minderheitsmeinung,
ist keinesfalls üble Häresie. Das Herzstück meiner Verteidigung dieser Sicht
waren Aussagen, die so klar wie nur möglich meine absolute Bindung an die
Grundlagen aller Evangelikalen, nämlich die Gottheit und ewige Existenz Christi,
bekräftigten.
Doch die Kontroverse um meine Ansichten über die "Sohnschaft bei der
Fleischwerdung" verursachte weiterhin Wirbel und veranlasste mich, die
entsprechenden Bibeltexte noch einmal zu überprüfen und zu überdenken. Durch
dieses Studium habe ich die Bedeutung und Komplexität dieses Themas neu schätzen
gelernt. Und was noch wichtiger ist: Meine Ansichten zu dieser Sache haben sich
geändert. Hier sind zwei Hauptgründe für meine Meinungsänderung:
1. Ich bin nun überzeugt , dass der Titel "Sohn Gottes", wenn er in der
Schrift auf Christus angewendet wird, immer von seinem göttlichen Wesen
und seiner absoluten Gottgleichheit spricht, und nicht von seiner freiwilligen
Unterordnung. Die jüdischen Führer zur Zeit Jesu verstanden dies sehr gut.
Johannes 5,18 sagt, dass sie für Jesus die Todesstrafe wollten und ihn der
Gotteslästerung anklagten, "weil er nicht allein den Sabbat aufhob, sondern auch
Gott seinen eigenen Vater nannte und sich so selbst Gott gleich machte."
In dieser Kultur wurde der erwachsene Sohn eines Würdenträgers in Stellung und
Befugnis seinem Vater gleichgestellt. Derselbe Respekt, den ein König forderte,
wurde auch seinem erwachsenen Sohn entgegengebracht. Der Sohn war schließlich
seinem Vater im Wesen gleich, Erbe aller Rechte und Privilegien des Vaters - und
daher in jeder bedeutenden Hinsicht gleich. Wenn Jesus somit "Sohn Gottes"
genannt wurde, wurde das von allen prinzipiell als Titel der Gottheit
verstanden, was ihn mit Gott gleichsetzte und (wichtiger noch) ihn
wesensgleich mit dem Vater machte. Das ist genau der Grund, warum die
jüdischen Führer den Titel "Sohn Gottes" als große Lästerung ansahen.
Wenn die Sohnschaft Jesu seine Gottheit und völlige Gleichheit mit dem Vater
kennzeichnet, dann kann das nicht ein Titel sein, der nur mit seiner
Fleischwerdung in Verbindung steht. Tatsächlich muss der Hauptgedanke von dem,
was mit "Sohnschaft" gemeint ist (und das würde das göttliche Wesen Jesu
einbeziehen), mit den ewigen Attributen Christi zu tun haben, nicht nur mit dem
Menschsein, das er annahm.
2. Es ist nun meine Überzeugung, dass die Zeugung, von der in Psalm 2 und
in Hebräer 1 die Rede ist, nicht ein Ereignis ist, dass zu einer bestimmten Zeit
stattfand. Obwohl die Schrift auf den ersten Blick eine Terminologie mit
temporalem Unterton zu verwenden scheint ("ich habe dich heute gezeugt"),
scheint der Kontext von Psalm 2,7 ein Hinweis auf die ewige Verordnung Gottes zu
sein. Daraus kann man vernünftigerweise schließen, dass die Zeugung, von der
hier die Rede ist, ebenfalls mit der Ewigkeit in Verbindung steht, und nicht mit
einem Zeitpunkt. Die temporale Sprache sollte daher im übertragenen Sinne und
nicht wörtlich verstanden werden.
"Ewige Zeugung" ist ein Ausdruck, der einfach nur unsere Unkenntnis bedeckt
Die meisten Theologen erkennen dies an, und wenn sie von der Sohnschaft Christi
sprechen, dann verwenden sie den Begriff "ewige Zeugung". Mir gefällt dieser
Ausdruck nicht. Mit den Worten Spurgeons ist das ein "Ausdruck, der für uns
keine große Bedeutung hat, er bedeckt einfach nur unsere Unkenntnis." Und doch
ist der Gedanke selbst, von dem ich jetzt überzeugt bin, biblisch. Die Schrift
bezeichnet Christus als den "Eingeborenen vom Vater" (Joh 1,14; vgl. V.18;
3,16.18; Hebr 11,17). Das griechische Wort, das mit "Eingeborener" übersetzt
wird, ist monogenes . Die vordergründige Bedeutung hat etwas zu tun mit
der völligen Einzigartigkeit Christi. Wörtlich genommen mag es mit "einzigartig"
übertragen werden - und doch kennzeichnet es deutlich, dass er vom selben Wesen
wie der Vater ist. Dies, so glaube ich, ist das Herzstück dessen, was mit dem
Ausdruck "Eingeborener" gemeint ist.
Zu sagen, dass Christus "gezeugt" wurde, ist allein schon schwer vorstellbar. Im
Reich der Schöpfung bedeutet der Ausdruck "gezeugt" den Ursprung, die
Abstammung von jemand. Die Zeugung eines Sohnes bezeichnet seine Empfängnis -
der Punkt, an welchem er anfängt zu existieren. Daher nehmen einige an, dass
sich "Eingeborener" auf die Empfängnis des menschlichen Jesus im Leib der
Jungfrau Maria bezieht. Doch Matthäus 1,20 schreibt die Empfängnis des
fleischgewordenen Christus dem Heiligen Geist zu und nicht Gott, dem Vater. Die
Zeugung, die in Psalm 2 und Johannes 1,14 erwähnt wird, scheint deutlich mehr zu
sein als die Empfängis des menschlichen Jesus in Marias Leib.
Und tatsächlich gibt es eine weitere, noch wichtigere Bedeutung des Gedankens
von der "Zeugung", als nur der Ursprung von einem Nachkommen. Nach Gottes Plan
zeugt jedes Geschöpf Nachkommen "nach seiner Art" (Gen 1,11-12; 21-25). Die
Nachkommenschaft ist den Eltern vollkommen ähnlich. Die Tatsache, dass ein Sohn
vom Vater gezeugt wird, garantiert, dass der Sohn mit dem Vater wesensgleich
ist.
Christus hatte keinen Anfang und ist genauso zeitlos wie Gott selbst
Ich glaube dies in dem Sinne, wie es die Schrift zu vermitteln sucht, wenn sie
von der Zeugung Christi durch den Vater spricht. Christus ist kein geschaffenes
Wesen (Joh 1,1-3). Er hatte keinen Anfang und ist genauso zeitlos wie Gott
selbst. Daher hat das Wort "zeugen", das in Psalm 2 und seinen Querverweisen
erwähnt wird, nichts mit seinem Ursprung zu tun.
Doch es steht völlig im Zusammenhang mit der Tatsache seiner Wesensgleichheit
mit dem Vater. Ausdrücke wie "ewige Zeugung", "eingeborener Sohn" und andere,
die in Verbindung mit der Abstammung Christi stehen, müssen alle in diesem Sinne
verstanden werden: Die Schrift benutzt sie, um die absolute Wesenseinheit
zwischen Vater und Sohn zu unterstreichen. Mit anderen Worten, solche
Bezeichnungen sollen nicht den Gedanken einer vorherigen Schöpfung wachrufen;
sie sollen die Wahrheit über die Wesenseinheit unter den Gliedern der
Dreieinigkeit vermitteln.
Nach meiner früheren Sicht verwendete die Schrift die Vater-Sohn-Terminologie
anthropomorph - um himmlische Wahrheiten, die für unseren begrenzten
Verstand unfassbar sind, in menschliche Begriffe zu gießen. Nun neige ich dazu,
das Gegenteil für wahr zu halten: Menschliche Vater-Sohn-Beziehungen sind nur
irdische Bilder einer unendlich größeren himmlischen Wahrheit. Die eine, wahre,
archetypische Vater-Sohn-Beziehung existiert ewig innerhalb der Dreieinigkeit.
Alle anderen sind bloß irdische Kopien, unvollkommen, weil sie an unsere
Endlichkeit gebunden sind und doch eine wesentliche ewige Realität illustrieren.
Alle irdischen Vater-Sohn-Beziehungen sind nur unvollkommene Kopien der einen
wahren Beziehung innerhalb der göttlichen Dreieinheit
Wenn es bei der Sohnschaft nur um seine Gottheit ginge, könnte man fragen, warum
dies nur für das zweite Glied der Dreieinigkeit zutrifft und nicht auch für das
dritte. Schließlich bezeichnen wir den Heiligen Geist nicht als Gottes Sohn,
oder? Und doch ist er ebenfalls mit dem Vater wesensgleich, oder etwa nicht?
Natürlich ist er das. Das volle, unverfälschte, ungeteilte Wesen Gottes gehört
dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist gleichermaßen. Gott ist nur
ein Wesen, und doch existiert er in drei Personen. Die drei Personen sind
gleich, doch personal verschieden. Und die Hauptunterscheidungsmerkmale zwischen
den Personen sind eingekleidet in den Eigenschaften, die durch die Namen
Vater, Sohn und Heiliger Geist vermittelt werden. Theologen haben
diese Besonderheiten mit "Vaterschaft", "Sohnschaft" und "Geistschaft"
(engl. spiration) bezeichnet. Dass solche Unterscheidungen für unser
Verständnis von der Dreieinigkeit wichtig sind, geht aus der Schrift klar
hervor. Wie man sie vollständig erklärt, bleibt ein Geheimnis.
In der Tat, viele Aspekte dieser Wahrheiten mögen für immer unergründlich
bleiben, doch dieses grundlegende Verständnis des ewigen Verhältnisses innerhalb
der Dreieinheit präsentiert dennoch den besten Konsens des christlichen
Verständnisses durch viele Jahrhunderte der Kirchengeschichte. Ich bekräftige
daher die Lehre von der ewigen Sohnschaft Christi, während ich sie als ein
Geheimnis anerkenne, von dem wir ein allzu tiefes Eindringen nicht erwarten
sollten.
Dr. John F. MacArthur ist Pastor und Lehrer der Grace Community Church in
Sun Valley, Kalifornien
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