Home       Bibelkreis.ch     Bibelkreis Forum

 

Paul Humburg
Ewige Erwählung

 

FRANCKE

Verlag der Francke-Buchhandlung GmbH

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

 

Humburg, Paul:

Ewige Erwählung und Von Grund auf edel / Paul Humburg.

Marburg an der Lahn: Francke, 1991

(Das erweckliche Wort - Klassiker)

ISBN 3-88224933-1

 

 

Alle Rechte vorbehalten

© 1991 by Verlag der Francke-Buchhandlung GmbH

3550 Marburg an der Lahn

Umschlaggestaltung: Uno-Design, Baden-Baden

Satz: Druckerei Schröder, 3552 Wetter/Hessen

Druck: Schönbach-Druck GmbH, 6106 Erzhausen

 

Das erweckliche Wort - Klassiker

 

 

Aufklärung über Martin Luther:

Humburg vertritt wissentlich?  unwissentlich? die 50 % TULIP Irrlehre.

 

 

Einführung in
den Calvinismus
Dave Hunt  10Mb
Johannes Calvin und
Augustinus
10Mb
Merkwürdigkeiten
des Calvinismus
  10Mb
Die Souveränität
 Gottes.  10Mb
Begrenzte Sühnung
Besondere Erlösung 10Mb
Gottes Liebe die sich
 an alle richtet.
10Mb

 

 

INHALTSVERZEICHNIS

Ewige Erwählung

 

Ein Wort zuvor ..........................................................................8

Die Lehre von der Erwählung ist kein reformiertes Sondergut   8

Wir müssen uns allein an die Schrift halten .............................10

Ein Brautgeheimnis der Jünger des Herrn ................................13

Paulus über die Erwählung .......................................................14

Deutliche Worte Jesu ...............................................................15

Wie kam ich zum Heil? ............................................................16

Wie war's bei Paulus? ...............................................................17

Die Krone auf das rechte Haupt! ..............................................18

Gott sah voraus und dann erwählte er? .....................................19

Niemand hat bei Gott etwas zu fordern ....................................21

Wir können nur als Bettler kommen ..........................................22

Was ist es mit dem »freien Willen«? ..........................................23

Der Mensch ist mit dabei! ..........................................................25

Schaffet - denn Gott wirkt!« ....................................................26

Der Glaube: Gottes Werk und des Menschen Tat .....................28

Die öffentliche Predigt und das geheime Ziehen Gottes .............29

Gott wird die Seinen bewahren ...................................................30

Macht die Lehre von der Bewahrung nicht leichtfertig? .............33

Wir werden unseres Glaubens aus seinen Früchten gewiß .........34

Nicht fleischliche Sicherheit, sondern Glaubensgewissheit ..........35

Und wenn nun doch einige abfallen? ...........................................37

Warum werden nicht alle begnadigt? ............................................37

Wie kam in Gottes gute Welt die Sünde hinein? ..........................38

»Ihr habt nicht gewollt!« ..............................................................39

Die Reformatoren sind zu weit gegangen .....................................40

Gott läßt ein Heilsangebot an alle ergehen ...................................41

Und die Heiden? ...........................................................................43

Die dunkle Stelle Römer 9 ...........................................................44

Gott ist es ernst mit unserem Seligwerden ..................................45

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Ein Wort zuvor

 

Lange habe ich geschwankt, ob ich diese Gedanken über die Erwählung veröffentlichen sollte. Darf man mit seinen Ansichten hervortreten, wenn noch so mancher Punkt nicht völlig geklärt ist und an wichtigen Stellen das Bekenntnis lauten muß: ich weiß es nicht? In dieser Lage aber wird sich wohl mehr oder weniger jeder befinden, der über die Fragen der Erwählung nachdenkt. Ich halte es nicht für eine Schande, ein solches Geständnis ablegen zu müssen, wie es auch nur eine Ehre für die Heilige Schrift ist und für die Tiefe ihrer Gedanken spricht, wenn wir sie nicht ganz verstehen können. Es wird noch vieles und das Tiefste für die himmlische Akademie übrigbleiben.

Aber doch dürfen und sollen wir uns über diese tief in unser Glaubensleben eingreifenden Fragen austauschen und einander dienen mit dem, was uns gegeben wurde. In diesem Sinne möchte auch diese Abhandlung angesehen werden: als eine Anregung, der Frage von der ewigen Erwählung der Gläubigen weiter nachzugehen und die einschlägigen Aussagen der Heiligen Schrift zu über­denken.

Ich schreibe nicht für Leute, die gern spekulieren oder gar an der »Seuche der Fragen und Wortkriege« leiden (1. Tim. 6, 4). Ich würde nichts über diese Dinge sagen, nur um einem Bedürfnis des Spekulierens und Kombinierens nachzugeben. Es geht mir nur um den Trost für die Kinder Gottes, der in den Aussagen der Schrift über die Erwählung enthalten ist.

 

 

Die Lehre von der Erwählung ist kein reformiertes Sondergut

 

 

Ehe ich in die Behandlung des Themas selbst eintrete, seien einige Vorbemerkungen gestattet.

»Ich glaube, daß ich nicht aus eigener Vernunft noch Kraft an Jesum Christum glauben oder zu ihm kommen kann«, sagt Luther in der Erklärung des dritten Artikels. Das ist ein kräftiger Ausdruck der Lehre von der Erwählung der Gläubigen. Wir haben es hier nicht mit einer reformierten Sonderlehre zu tun. Immer wieder

 

stößt man in unseren christlichen Kreisen auf diesen großen Irrtum. Keiner von den Reformatoren hat die Erwählung der Gläubigen mit solcher Deutlichkeit, ja Schärfe gelehrt wie Luther; und zwar auch in der Form, wie sie von den meisten immer als die eigentümlich reformierte Lehre verabscheut wird, nämlich daß er auch die Verwerfung eines Teils der Menschen aus Gottes Bestimmung lehrte. Diese Lehre hat Luther zuerst ausgesprochen.

Einige Zeit danach hat die lutherische Kirche angefangen, die Lehre von der Erwählung umzubiegen und abzuschwächen. Schon Melanchthon in seinen späteren Jahren begann damit; aber das war ihre Schuld. Damit ist sie von ihrem Meister abgewichen, denn dieser hat bis zuletzt festgehalten an dieser Lehre.

Wenn man die populäre Ansicht der meisten lutherischen Brüder heutzutage hört, so könnte man meinen, Luther habe den freien Willen gelehrt. Es wird ihnen schwer, sich daran zu erinnern, daß Luther als eine seiner Hauptschriften geschrieben hat »De servo arbitrio«. Darin stellt er dar, daß der freie Wille nichts sei.

Alle echt lutherischen Brüder standen daher damals und stehen heute ebenso wie ihr Meister auf der Lehre von der Gnadenwahl: Man hält diese Lehre darum weithin für eine besondere reformierte, nicht weil sie Calvin so besonders scharf gelehrt hat - das hat er getan, und er ist meines Erachtens darin zu weit gegangen -, sondern deshalb, weil die reformierte Kirche an diesem Punkt mehr an der reinen, ursprünglichen Lehre aller Reformatoren festgehal­ten hat. Das ist ohne Zweifel ihre Stärke.

Es gibt ein Buch von Klimptsius über die Gnadenwahl vom Jahre 1712 von »einem evangelisch-lutherischen Diener des Wortes zu Fischbach in Schlesien, samt einem nachdenklichen Anhang, worin klar vorgestellt wird, daß in der Lehre von der Gnadenwahl alle wahren Reformierten recht gut lutherisch gesinnt sind«. Man muß dem Märchen entgegentreten, als ob die Lehre von der Erwählung eine besondere Lehre Calvins gewesen sei. Man tut Luther bitter Unrecht, wenn man meint, er habe diese allerköstlichste Lehre von dem tiefsten Trost der Kinder Gottes nicht gekannt oder geliebt. Paul Gerhardt, der doch wohl nicht als reformiert verdächtigt werden kann (denn um seines Kampfes gegen die Reformierten willen ist er aus Amt und Beruf gegangen), singt: »Da ich noch nicht geboren war, da bist du mir geboren und hast mich dir zu eigen gar, eh ich dich kannt, erkoren.« Und Joh. Gottfried Herrmann singt in

seinem Lied: »Geht hin, ihr gläubigen Gedanken, ins weite Feld der Ewigkeit«

»Der Grund der Welt war nicht geleget, der Himmel war noch nicht gemacht, so hat Gott schon den Trieb geheget, der mir das Beste zugedacht.

Da ich noch nicht geschaffen war, da reicht er mir schon Gnade dar.

O Wunderliebe, die mich wählte vor allem Anbeginn der Welt;

die mich zu ihren Kindern zählte, für welche sie das Reich bestellt!

O Vaterhand, o Gnadentrieb, der mich ins Buch des Lebens schrieb!

Noch im Jahre 1543 hat Melanchthon, als ein gewisser Pighius an Kampen die Erwählungslehre von Luther, Calvin und Melanchthon angegriffen hatte, mit der Verteidigung der gemeinsamen Anschauung der Reformatoren Calvin beauftragt. Wir handeln also nicht über eine konfessionelle Sonderlehre, sondern über eine Botschaft, die Allgemeingut aller Reformatoren gewesen ist. Unser Stammbaum geht über Calvin und Luther sowie alle großen Theologen aller Zeiten, über Augustin und Paulus auf Christus zurück«, sagt Charles Haddon Spurgeon, der große englische Baptistenprediger.

Wir müssen uns allein an die Schrift halten

.Natürlich kann man auf den Seiten eines kleinen Heftes nicht alles sagen, was hier zu sagen wäre. Ich bitte, mir keinen Vorwurf daraus zu machen, wenn ich nicht alle einschlägigen Fragen eingehend und erschöpfend besprechen kann.Ich möchte auch nicht Gedanken von Menschen, die über diese Lehre geschrieben und geredet haben, aufführen und besprechen. Es soll sich hier nicht um Gedankengebilde von Menschen handeln

sondern um den Versuch, Gottes Wort und seine Aussagen allein maßgebend sein zu lassen.

 Man darf die Erwählungslehre nicht dadurch in Mißkredit bringen, daß man ein kaltes Lehrgebäude daraus macht und dieses auch noch in möglichst abschreckender Form vorträgt vielleicht so: Gott hat die einen zum Heil, die andern zum Verderben bestimmt. Sie unterliegen beide einem unabänderlichen Schicksal. Wenn man das sagt, dann wird alsbald die Entrüstung laut: Das ist kein Gott der Liebe und der Gerechtigkeit, das ist ein grausamer Tyrann.

So darf man diese Lehre nicht darstellen. Das ist nicht das biblische Wort von der Erwählung. Die starken Ausdrücke der Reformatoren, die beinahe und ungefähr so lauten, sind sicher nicht daher zu erklären, daß diese Männer Gottes den Gott der Liebe nicht gekannt hätten. Die Reformatoren sind mit ihren Aussprüchen ohne Zweifel der Wahrheit, auch der Wahrheit über Gottes Liebe, viel näher als viele weichliche und schwächliche Theologen, die sich vor diesen Aussagen so schrecklich fürchten.

Aber ich bin auch der Meinung, daß die Reformatoren in den verstandesmäßigen Konsequenzen, die sie gezogen haben, zu weit gegangen sind. Gleich zu Anfang will ich sagen, daß ich nicht glaube, in der Bibel werde gelehrt, daß ein Teil der Menschen von Ewigkeit her zum ewigen Verderben bestimmt sei. Gottes Zorn ist nicht der erste und nicht der letzte Wille Gottes (Adolf Schlatter). Gottes Zorn ist die Antwort auf unsere Sünde.Wir müssen uns bei der Lehre von der Erwählung vor allem verstandesmäßigen, logischen Konsequent-Sein-Wollen hüten. Am springenden Punkt, das möchte ich gleich vorwegnehmen, werde ich jedesmal eine Auffassung vertreten, die verstandesmäßig ganz unkonsequent ist, sich logisch nicht reimen läßt und die doch das einzige ist, was ich zu sagen weiß. Wir haben es nicht zu tun mit einem Gedankengebäude oder gar mit Gedankenkunststücken, die uns eine Erklärung geben sollen, wie es nur kommt, daß einige Menschen selig werden und andere nicht, und wodurch wir dieses drückende und schwere Rätsel aus der Welt schaffen wollen. Wir werden es nie aus der Welt schaffen.Wir haben es bei dieser Lehre nur zu tun mit einem Trost für die Gläubigen. Nur so weit geht auch die Schrift. Sie gibt uns dieLehre vom,Heil für alle, die danach dürstet und hungert, nicht die Lehre

vom Heil und Unheil. Sie zeigt uns den Weg, wie man selig werden kann, »erklärt« aber nicht, warum viele nicht selig werden. Und wir wollen uns in allen Stücken an die Schrift allein halten. Soweit diese uns Klarheit gibt, wollen und müssen wir sie annehmen. »Aber sobald der Herr seinen Mund zutut, muß auch der Mensch den Weg, weiter zu forschen, verlassen; denn jeder Schritt, den wir außerhalb des Wortes Gottes tun, muß uns in die Irre führen. Wir müssen uns gewöhnen, uns zu bescheiden, denn hier ist Unwissenheit die rechte Gelehrsamkeit« (Calvin).

Denselben Standpunkt vertritt Luther. Zwar betont er, »man muß über diese Dinge nicht mit einem überhinrauschenden, gemarterten oder zweifelhaftigen und auch wohl lasterhaftigen Glößlein zufrieden sein, aber man darf sich nur von der Schrift führen lassen. Denn wer wissen will, was Gott verborgen hat und will sich weise dünken, der sieht nicht, daß dies das Übel ist, daran Adam und Eva samt ihren Nachkommen den ewigen Tod gefressen haben.« Gottes Wort müssen wir fragen, und »es ist mit Gottes Wort nicht zu scherzen. Kannst du es nicht verstehen, so zeuch den Hut vor ihm ab« (Luther).

Es gilt, sich mit ganzer Entschlossenheit unter Gottes Wort zu beugen, auch wenn man es nicht versteht. Es ist für Gottes Wort eine Ehre, wenn es nicht so flach ist, daß man ihm alsbald auf den Grund sehen kann. Und wir werden, wenn wir überhaupt davon überzeugt sind, daß unser Wissen Stückwerk ist, uns daran ganz besonders erinnern müssen, wenn wir nachzudenken beginnen über die Tiefen der göttlichen Weisheit, die nicht mehr im Bereich dieser Welt und ihrer Geschichte liegen, sondern in die Ewigkeit hineinreichen. Da wird Bescheidenheit in den Aussagen doppelt angebracht sein. Manchmal beim Gewitter wird das Telefon abgestellt, weil man sonst elektrische Schläge bekommen könnte. So gibt es Gebiete im Reich des Glaubens, wo man gut tut, das Telefon abzustellen. Man telefoniert nicht ungestraft hinein. Wenn man keine Schläge bekommen und Schaden leiden will, so bescheide man sich.

»Ich laß die Runen stehen, es kommt ein Sonnentag,

 da bei des Morgens Wehen kein Rätsel bleiben mag.«     

(Gottlob Schrenk)

 

 

Ein Brautgeheimnis der Jünger des Herrn

Noch eins ist zu sagen, ehe wir an den Gegenstannäher herantreten. Wir haben es bei den Aussagen über die Erwählung in der Schrift mit Glaubensaussagen zu tun, die von persönlichem Glaubensleben nicht abzutrennen sind. Mit anderen Worten: Diese Lehre ist nur für die gläubigen Kinder Gottes bestimmt. Wer über diese Fragen nachdenkt und sucht dabei in Gottes geheime Kanzlei einzudringen mit seinem Vorwitz, ob er wohl erwählt sei, der sucht die Wahrheit »neben dem Weg« und stürzt in Abgründe der Verzweiflung (Calvin).

Auch Luther warnt davor. Man solle nicht den Römerbrief bei Kapitel 9 anfangen zu lesen. Viele gehen an diese Stelle zuerst heran und wollen erst den Abgrund der göttlichen Versehung verstehen. Das ist falsch. »Folge der Epistel in ihrer Reihenfolge, suche erst die Wahrheit über Sünde und Gnade zu erreichen, dann erst hindurch durch Trübsal und Leiden, von denen Kapitel 8 spricht. Dann wirst du erst fähig sein, die Tiefe der Lehre von der Versehung zu verstehen. Ohne Kreuz, Leiden und Todesnöte kann man die Versehung nicht ohne Schaden und heimlichen Zorn wider Gott handeln. Eine jegliche Lehre hat ihr Maß, Zeit und Alter, und Säuglinge sollen nicht starken Wein trinken.« Zumal aber sollen die überhaupt nicht an diese Lehre herangehen, die noch nicht in Christo sind, die noch nicht wiedergeboren sind zu dem Leben aus Gott. Erwählung ist eine Tat der Liebe; nur der kann sie verstehen, der die Liebe Gottes selbst erfahren hat. Und alles, was Liebe ist, ist ein Geheimnis, auch Gottes Liebe. Die Lehre von der Erwählung ist eine Wahrheit des Glaubens, nicht der Philosophie. Das Grübeln nach der Weise des Verstandes hilft hier keinen Schritt weiter. Das Wort von der Erwählung ist ein Brautgeheimnis der Jünger des Herrn. Die sein eigen sind, die lernen es verstehen. So wie die bemalten Kirchenfenster von außen gesehen uns nur den Anblick verworrener Linien und unverständli­cher Bleifassungen darbieten, aus dem Innern der Kirche gesehen aber, wenn das Licht hindurchscheint, herrliche Gemälde zeigen, so ist es auch mit dieser Lehre. Wer außen steht, außerhalb Christus, sieht nur verworrene Linien, die ihn selbst verwirren. Wer innen steht, in der Gemeinschaft mit Christus, der hat klare Bilder, deutliche Wahrheiten.

»Das Geheimnis des Herrn ist bei denen, die ihn fürchten.« Die verstehen ihn, die haben es nicht zu tun mit Rätseln des Kopfes, sondern mit Geheimnissen Gottes für ihr Herz, hinter denen Gottes Herz steht. Außen an der engen Pforte steht der Spruch: »Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid.« Und dieses Wort ist ernst gemeint für alle, die darauf merken. Wenn einer nun gekommen und hindurchgegangen ist durch die enge Pforte und sieht sich dann noch einmal um und sinnt darüber nach: »Wie kam ich dazu?«, dann sieht er plötzlich, daß innen andere Worte stehen: »Ich habe dich je und je geliebt, darum habe ich dich zu mir gezogen aus lauter Güte« Jer. 31, 3). »Er hat uns erwählt in Christus  ehe der Welt Grund gelegt war« (Eph.1,4).

 

 

 

Paulus über die Erwählung

 

Das Wort von der Erwählung vor Grundlegung der Welt ist ein Wort des Paulus. Von den vielen Äußerungen, mit denen dieser Apostel diese Lehre bezeugt hat, wollen wir nur einige herausgreifen. 2.Timotheus 1, 9: »Gott hat uns berufen mit einem heiligen Ruf, nicht nach unseren Werken, sondern nach seinem Vorsatz und der Gnade, die uns gegeben ist in Christo Jesu vor der Zeit der Welt«; 2.Thessalonicher 2, 13, 14: »Wir aber sollen Gott danken ... , daß euch Gott erwählt hat von Anfang zur Seligkeit, in der Heiligung des Geistes und im Glauben der Wahrheit
.«Von den andern sagt Paulus in Vers 10, von »denen, die verloren werden«, daß sie »die Liebe zur Wahrheit nicht haben angenommen, sondern haben Lust an der Ungerechtigkeit.« Von den Gläubigen sagt er also nicht: »Wir danken Gott, daß ihr der Wahrheit geglaubt habt und der Gerechtigkeit gehorsam geworden sein.« Sondern er sagt: »Wir danken, daß euch Gott erwählt hat.«Wir wollen jetzt die Stelle von Römer 9: »Welchem ich gnädig bin, dem bin ich gnädig ... So liegt es nun nicht an jemandes Wollen oder Laufen, sondern an Gottes Erbarmen . . ., auf daß der Vorsatz Gottes bestünde nach der Wahl« zunächst zurückstellen und auf den wichtigsten Ausspruch achten, der hierhin gehört. Das ist der Vers in Römer 8, 28, dessen Schluß fast immer ausgelassen wird: »Wir wissen aber, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum Besten dienen, denen, die nach dem Vorsatz berufen sind.“ Und dann Vers 29 u. 30: »Welche er zuvor ersehen hat, die hat er auch verordnet, daß sie gleich sein sollten dem Ebenbilde seines Sohnes ... Welche er aber verordnet hat, die hat er auch berufen; welche er aber berufen hat, die hat er auch gerecht gemacht; welche er aber hat gerecht gemacht, die hat er auch herrlich gemacht.«

 

Deutliche Worte Jesu

 

Lasst uns, ohne jetzt auf alle anderen Apostel zu lauschen, vor allem auf des Meisters Aussagen selbst achten! Da sind zunächst die Stellen zu nennen, wo Jesus von den »Auserwählten« spricht, die der Teufel zu verführen sucht, um derentwillen die Tage der Trübsal verkürzt werden. Andere Stellen beziehen sich ohne Zweifel in besonderer Weise zunächst auf die 12 Jünger: »Ihr habt mich nicht erwählt, sondern ich habe euch erwählt« (Joh. 15, 16). »Ich bitte für sie und bitte nicht für die Welt, sondern für die, die du mir gegeben hast, denn sie sind dein« (Joh. 17, 9).

Von den allgemeiner lautenden Stellen seien hier nur einige angeführt: »Alles, was mir mein Vater gibt, das kommt zu mir; und wer zu mir kommt, den werde ich nicht hinausstoßen« Joh. 6, 37). Der zweite Teil dieses Verses ist uns sehr geläufig. Wir sollten auch die Wurzel der Gnade betrachten, auf die der erste Teil hinweist. Joh. 6, 39: »Das ist aber der Wille des Vaters, der mich gesandt hat, daß ich nichts verliere von allem, was er mir gegeben hat.« Joh. 6, 44: »Es kann niemand zu mir kommen, es sei denn, daß ihn ziehe der Vater.«

Derartige Aussprüche finden sich nicht nur im Johannesevangelium. Matth. 11, 27 spricht Jesus von denen, die ihn kennen, denen »es der Sohn will offenbaren«. Das ist die Wurzel des Spruches Vers 28: »Kommet her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid!«

Das sind einige von vielen Stellen, und es sind gerade solche Aussagen des Herrn, um die viele, auch Gotteskinder, mit eigentümlicher Scheu herumgehen. Sie lesen sie nicht gern, lesen darüber hinweg, lassen sie aus, lesen sie nicht ganz oder deuten sie um. Das ist nicht recht! Diese Stellen beweisen, daß die, die von ewiger Erwählung der Kinder Gottes reden, in der Schrift sitzen und die anderen daneben. Sie nötigen uns aber auch, über diese Dinge

nachzudenken. Wenn wir nicht von dieser Lehre reden, so unterdrücken und unterschlagen wir einen Teil der Gabe und Wahrheit Gottes, so berauben wir die Gemeinde des Herrn einer von Gott geoffenbarten Wahrheit. Und das kann nicht ohne Schaden und Strafe geschehen, ist auch nicht ohne betrübende Folgen geblieben.

Wenn aber jemand sagt, man dürfe über diese Lehre nicht reden, um die Seelen nicht zu verwirren, diese Lehre sei eine Gefahr, der beschuldigt Gott einer törichten Veranstaltung und lästert Gott, als ob ihm unbesonnenerweise etwas entfallen wäre, was der Gemeinde schädlich sei (Calvin). Für den vollen Sieg bedürfen wir der ganzen Waffenrüstung, sonst kommen wir nicht durch. Gerade der Glaube an ihre Erwählung ist vielen Gottesmännern in entschei­denden Stunden ihres Lebens ihr starker Halt gewesen. Im Kriege haben sich manche Gotteskinder in Stunden der Todesgefahr, wo man scharfe Waffen braucht, an diese starke Offenbarung der Gnade Gottes gehalten, andere auch in Stunden der Verfolgung, die auch noch über uns kommen mögen. Und Jesus selbst hat sich, als die Tage heißer wurden, daran gestärkt, daß der Vater ihn erwählt hatte.

 

 

Wie kam ich zum Heil?

 

Wollen wir die Lehre von der ewigen Erwählung verstehen, so dürfen wir nicht beim Dach zu bauen anfangen, sondern müssen sie von unten an im Zusammenhang des Glaubenslebens betrachten. Wie kam ich zum Heil? Habe ich in meiner »Freiheit« Glauben an das Evangelium gefaßt? Niemand sagt das von sich, der ehrlich ist und der seine wirklichen Erfahrungen zu Worte kommen lassen will, sondern dies ist unser Zeugnis: In mir ist Trägheit, Sünden­knechtschaft, Leidenschaft, Gebundenheit, Abneigung und Flucht vor Gott. Für viele ist jene Schwalbe, die in der Scheune des Bauern vor diesem hin und her flüchtet aus Angst, er wolle sie töten und die, als sie endlich niedersinkt, von dem freundlichen Mann hinausgetragen wird in die Freiheit, das richtige Bild ihrer Bekeh­rung. Sie flohen vor Gott und hatten Angst vor ihm, aber er hat in seiner Gnade durch ihre Lebensführungen, durch Freud und Leid, durch das Zeugnis seine Wortes hinter ihnen hergegriffen, bis er sie hatte.

Ich habe nicht aus mir Gott ergriffen im Glauben. In mir ist Sünde. Jede ernsthafte Versuchung zeigt, was in mir wohnt. Wie der Bodensatz eines Glases Wasser, so kommt dann die Sünde herauf, wenn ein Stoß der Freude oder des Leides mich trifft. Aber der, der sogar die Starken zum Raube haben will (Jes. 53, 12), der hat auch mich ergriffen. Ich bin nicht besser als die Ungläubigen. In mir ist also kein Grund zu finden, warum Gott mich annahm.

Lind wenn ich vor vielem bewahrt wurde, wem verdanke ich das? Etwa mir selbst? Ich habe mir meine Eltern, vielleicht darf ich sagen meine gläubigen Eltern, meine Erziehung, meine Umgebung, meine Gaben und Anlagen nicht selbst gegeben. Sie sind von Gott. In mir ist ein Abgrund des Verderbens. Es ist ein reines Wunder der Gnade, daß ich errettet bin, daß er mir Glauben geschenkt hat.

Gott hat es getan. Wenn ich ein Lied von ganzem Herzen singen kann und muß, dann ist es dieses: »Du mußt ziehen! Mein Bemühen ist zu mangelhaft. Wo ihr's fehle, fühlt die Seele; aber du hast Kraft, weil dein Wort ein Leben bringt, und dein Geist das Herz durchdringt. Dort wird's tönen bei dem Krönen: Gott ist's, der es schafft. « Was hier gepriesen wird, das ist der heimliche Untergrund des ganzen lebenswahren Liedes, das wir ebenso freudig wie diesen Vers singen wollen: »Ich will streben nach dem Leben, wo ich selig bin«; »Fortgerungen, durchgedrungen bis zum Kleinod hin.«

Gott hat es getan. Er hat uns seinen Sohn zum Eigentum geschenkt. Das gibt Trost und Heilsgewißheit. Ich bin in Gott geborgen. Meine Kraft kann wanken, meinem Glauben ist nicht zu trauen, aber weil er in Gottes Kraft und Werk ruht, darum hat er Bestand.

 

Wie war's bei Paulus?

 

Dies alles ist denen nicht so klar, die von Jugend an in christlicher Umgebung gelebt haben und vor großen Sünden bewahrt geblieben sind. Denen verwischen sich leicht die Grenzen von Natur und Gnade. Aber Männer wie Augustin, die ein Sündenleben hinter sich hatten, oder wie Paulus und Luther, die sich mit dem Gesetz abquälten, können uns hier Führer sein. Wie sagt Paulus? Christus hat ihn überwunden. Sooft er von seiner Bekehrung spricht, preist

er die Gnade des Herrn, die ihn niedergeworfen und dann aufgerichtet hat. Der Herr hat ihn nicht gefragt, ob er wolle, sondern hat den Saulus besiegt.

»Es wird dir schwer sein, wider den Stachel auszuschlagen«, hat der Herr zu ihm gesagt (Apg. 26, 14). Er reibt sich auf im Kampf gegen Gottes Willen, aber der Herr treibt sein auserwähltes Rüstzeug so bestimmt zu seinem vorgesetzten Ziel wie ein Treiber das Lasttier. Gottes Gnade ist eine unwiderstehliche Gnade. Paulus ist von Christus ergriffen (Phil. 3, 12). Es gefiel Gott, ihm seinen Sohn zu offenbaren (Gal. 1, 16). Das sind Ausdrücke, die die Freimacht der Gnade preisen.

Römer 7, 24 fragt der Apostel: »Ich elender Mensch, wer wird mich erretten von diesem Todesleibe?« Wer? Sein »guter Wille«? Seine »besten Absichten«, die vorhanden waren? Nein: Gott, durch Jesus Christus, seinen Herrn. Man muß diese starken Ausdrücke auf sich wirken lassen, dann wird man zustimmen: »So war es auch bei mir.« Dabei wird man aber an sich selbst ganz zuschanden, man wird ganz zum Sünder, der sich selbst nicht helfen kann.

 

Die Krone auf das rechte Haupt!

 

Dann geht es uns, wie Luther es von sich sagt: »Ich muß bekennen, daß mich die Gedanken hart vor den Kopf gestoßen haben, bis schier aufs tiefste Verzagen und Verzweifeln, ehe ich lernte und erkannte, wie nützlich das Verzagen ist, und wie nahe dahinter liegt die Gnade.«

Ja, da kommt man zum Verzagen an sich selbst und zu dem Bekenntnis, daß Gott allein die Ehre gebührt dafür, daß wir errettet sind. Er allein ist der Urheber unseres Heiles, so spricht dann aus uns die tiefste Demut. »Das ist das tiefe, von der Welt her in Gott verborgene Geheimnis unserer unerforschlichen Gnadenwahl. Glaube macht hier alles, Vernunft und Werke nichts. Wo Glaube ist, ist auch demütiger Dank« (Johann Albrecht Bengel zu Epheser 4).

Das soll die Frucht alles Nachdenkens über diese Frage sein, daß wir lernen, ganz anders als bisher dem Herrn zu danken für seine unverdiente, unergründliche Gnade. Wir müssen die Krone auf das

 

 

rechte Haupt setzen (Spurgeon), nicht auf unser, sondern auf Gottes Haupt. Gnade hat alles, alles getan. So singt man im Himmel, so werden auch wir einst mit einstimmen, wenn wir am Ziel sind. Nun, so wollen wir auch auf Erden singen: »Nichts hab ich zu bringen, alles, Herr, bist du. - »Erbarmung ist's und weiter nichts.«

 

Gott sah voraus und dann erwählte er?

 

Manche wollen der Wahrheit von der Erwählung entgehen, indem sie sie umbiegen und sagen: »Gott sah voraus, welche sich für ihn entscheiden und Glauben halten würden, und diese hat er erwählt.« Mit Bedauern sah ich, daß auch die sonst so treffliche Stuttgarter Jubiläumsbibel zu Römer 8, 29-30 so lehrt: »Die er zuvor erkannt hat als solche, die glauben werden, die hat er auch ... vorher bestimmt, und er lenkt alle ihre Lebensumstände so, daß sie darunter für das ihnen zugedachte Erbgut ausreifen können.«

Sollte das unsere Erwählung sein? Die so reden, die muß man bitten, das Wort Erwählung für ihre Ansicht nicht zu gebrauchen. Die Rose ist doch nicht die Urheberin ihrer Wurzel, der Glaube doch nicht der Urheber der Gnade. Das ist ein Trugschluß! Man sagt etwas, das ähnlich klingt wie die Schriftaussagen, aber ganz das Gegenteil bedeutet. Wenn irgend etwas in mir die Ursache ist, daß Gott mir Gnade zuteil werden läßt, und sei das, was in mir gesucht wird, auch noch so dünn und wenig, etwa nur die Anlage oder Empfänglichkeit oder Neigung für Gott, so ist doch das ganze Gebäude meines Heils auf mich und damit auf Sand gegründet, dann ist alle Heilsgewißheit dahin. Ich kann wanken, ich werde auch wanken.

Nein, Gott sah nicht vorher, daß ich Buße tun und Glauben halten würde. Sondern Gott gibt die Buße, Gott schenkt den Glauben: »Wir glauben nach der Wirkung seiner mächtigen Stärke« (Eph. 1, 19); »... ob ihnen Gott dermaleinst Buße gebe« (2. Tim. 2, 25). Petrus sagt (Apg. 5, 31): »... zu geben Israel Buße und Vergebung der Sünden«; und Jeremia betet: »Bekehre du mich, so werde ich bekehrt« Ger. 31, 18).

Gott findet nicht die Seligwerdenden, sondern er macht sie (Augustin). Gott segnet nicht die, die zu ihm rufen, sondern ihr

 

Rufen hat er schon auf ihre Lippen gelegt (Spurgeon). Der Acker selbst, auf dem das Sehnen nach Gott und alle guten Früchte wachsen, ist uns von Gott geschenkt (Calvin). Wer ihn sucht, tut es, weil Gott ihn zuerst gesucht hat. Und der Mensch fängt an zu beten, weil Gott Gnade in sein Herz gegeben hat.

Gott fängt das Werk an. Wasser steigt nie höher als seine Quelle. Unsere Natur steigt nicht über sich selbst hinauf, und unserer Natur ist es nicht natürlich, Gott zu suchen, sondern ihn zu fliehen. Erst unter der Wirkung des Heiligen Geistes suchen wir ihn, wiewohl wir uns dessen nicht sofort bewußt sind, sondern erst später die Zusammenhänge entdecken. Der gute Hirte rühmt nicht: »Mein Schaf ist heimgekehrt«, sondern: »Ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war.« Er hat es gesucht. Gott offenbart den Unmündigen seine Herrlichkeit. Er wirkt hinein in ihr Inneres und wirkt dort den Glauben. Es bleibt für alle, die zum Glauben gekommen sind, bei dem Wort Christian Gregors, des Dichters aus der Brüdergemeine: »Hätt'st du dich nicht zuerst an mich gehangen, ich wär von selbst dich wohl nicht suchen gangen. Drum sucht'st du mich und nahmst mich voll Erbarmen in deine Arme.«Das folgende Gedicht ist für uns ein Gleichnis, das dem Glau­bensleben entspricht:

»Nicht weil die Rose blühet, scheint die Sonne.

Der warme Strahl rief sie erst wach zur Wonne

Es bliebe dürr und tot der Rosenstrauch,

wenn ihn nicht mild belebt der Frühlingshauch

Das Kind auch siehst du an der Mutter hangen,

doch wer hat. wohl zu lieben angefangen?

Schon eh' das Kindlein zum Bewußtsein kam,

der Mutter Lieb' es in die Arme nahm.

Ach, Kind und Rose haben nichts erworben,

sie wären beid' erstorben und verdorben,

wo nicht der warme Strahl in sie gedrungen

und sie zum Blüh'n und Lieben nicht gezwungen,

so daß nun Ros' und Kind nichts anderes wissen,

als daß sie lieben, lieben, lieben müssen.«

 

 

 

 

Niemand hat bei Gott etwas zu fordern

Wenn der gläubige Christ über die Tatsache seines Gläubigwerdens nachdenkt, so kommt ihm aus Gottes Wort die Offenbarung: »Mein Gläubigwerden ist im letzten Grund nur daraus zu erklären, daß Gott mich erwählt hat vor Grundlegung der Welt. « Diese Lehre ist cor ecclesiae, das Herz der Kirche (Melanchthon). Es bleibt uns, wenn wir eine Erklärung suchen, warum es so mit uns kam, nur diese eine: » Vater, es war also wohlgefällig vor dir. « Niemand wird in Gottes Wort aufgefordert oder darf von uns aufgefordert werden, zunächst nach seiner Erwählung zu forschen. Nein, er soll sich klar werden, daß Gott ihn berufen, d. h. gerufen hat und diese seine Berufung nehmen als Aufschluß über seine Erwählung. Aber wenn er dann in Gottes Wort forscht, dann bleibt nichts anderes als diese Erkenntnis: »Ich bin erwählt nach dem Wohlgefallen Gottes ohne alles Verdienst. Kein Grund ist zu sehen, warum es geschah; nur weil Gott wollte, nur aus Gnade.«

Und zwar: erwählt vor der Zeit der Welt. Das ist dann eine ganz natürliche Folge für den, der ernst damit macht, daß in Gott keine Zeit ist, kein Gestern und Ehegestern, und daß auch die Schöpfung der Welt nur ein Meilenstein ist auf dem Weg der Liebe Gottes. Der Glaube muß zu dieser Aussage kommen, daß er von Ewigkeit her erwählt ist; denn ohne diese Wurzel in der Ewigkeit würde die Blüte der Gnade verwelken. In diesem Wort .vor Grundlegung der Welt« ist eigentlich nur dies ausgesagt: Mein Glaube stammt nicht aus dieser Welt. Er ist gar nicht zu erklären aus den Dingen, aus den Umständen und Einflüssen meiner Umgebung, meines Lebens, meiner Geschichte oder meiner Vorgeschichte, sondern gehört der Ewigkeit an und ist Gottes Werk. Ich gehe in der Zeit einher, aber getragen von der Gnade, zwischen zwei »Ewigkeiten«. Indem die Apostel dieses Wort sagen »erwählt«, machen sie auch mit dem Gedanken einer Wahl vollen Ernst. Gott muß niemand gnädig sein. An solche Reden hat man sich in weiten Kreisen gewöhnt, als ob Gott gewissermaßen verpflichtet wäre, jeden anzunehmen, der sich nur vornähme, irgendwann einmal in seinem Leben, etwa auf dem Sterbebett, zu ihm zu kommen. Es ist ein gottloses Wort, das Wort von Heinrich Heine: »Dieu me pardon­nera, car tel est son metier« (Gott wird mir verzeihen, denn das ist sein Beruf). Nein, Gott erwählt, welche er will. Es mag uns oft

 

 

gestoßen haben, aber es steht da: »Nicht viel Weise nach dem Fleisch, nicht viel Edle sind berufen« (1. Kor. 1, 26). »Könige werden übergangen, Bettler werden erwählt; Weise zurückgelassen, Toren gerufen; Zöllner und Huren durch leisen Druck überwunden, daß sie kommen, aber Pharisäer bleiben draußen. Gott hat die übergangen, die wir erwählen würden, und die erwählt, von denen wir nicht dachten, daß sie zu ihm gehörten« (Spurgeon).

Ja, Gott macht alles menschliche Verdienst zuschanden. Es geht ganz allein nach Gnade, nach seiner Gunst; denn bei ihm hat niemand etwas zu fordern. Wer sein Recht verlangt, der empfängt nichts als die Flammen der Hölle. Gnade kann man nicht verlangen und fordern, sondern um sie kann man nur bitten, sie kann einem nur geschenkt werden. Hier haben wir es zu tun mit einer Lehre, die uns so unsympathisch wie möglich ist, und die zumal den modernen Menschen, der viel zu sagen weiß vom Recht der Persönlichkeit, vor den Kopf stößt. Das ist uns so ganz zuwider. Sollen wir denn gar nichts fordern können, ganz zum Bettler werden?

 

Wir können nur als Bettler kommen

 

Viele lästern die Lehre von der Erwählung und sagen sogar, sie wollten dann lieber mit den Verlorenen in der Hölle sein, als so auserwählt Gottes Gnade empfangen. Nun, die Steine der Lästerung, die sie gegen Gott emporwerfen, werden ihn nicht treffen, aber auf ihr eigenes Haupt zurückfallen. Es ist uns sehr heilsam, daß wir uns an dies alles erinnern lassen und auch an die Ermahnung des Apostels, der dem, der sich erkühnt, Gott ungerecht zu nennen, antwortet: »Wer bist du, o Mensch, daß du mit Gott rechtest? Hat er nicht Macht, zu tun, was er will« (Röm. 9)?Wenn wir der Wahrheit von der Gnadenwahl voll ins Gesicht sehen, so haben wir nur zu danken und müssen fragen: »Was hat dich, Herr, bewogen, daß du mich vorgezogen?« (1. Kor. 4, 7). Durch diese Erkenntnis werden Gottes Kinder tief gebeugt. O würden wir es doch! Es tut uns not, daß wir dies wieder mit aller Kraft predigen: Die Wahl schließt die Werke aus und alles Verdienst. Da bleibt nichts, gar nichts als nur Gnade. Da zerbricht aller Stolz. Ich habe wohl einem gesagt, der sich über seine innere Not

aussprach: »Frage einmal den Herrn, ob er dich annimmt! Es ist nicht sicher, es ist noch sehr die Frage.« Da hat mich mancher verwundert angeschaut. Man meint, es sei doch ganz sicher, daß Gott den annimmt, der zu ihm kommt. Ja, wenn du kommst als Bettler mit einem zerschlagenen Herzen, dem in Schuld und Sünde alle Wege ausgegangen sind, und der nun keinen Rat mehr weiß, Ja, dann nimmt er dich an, sonst nicht. Erst muß man sich klarmachen: Es steht bei Gott, ob er mich annimmt oder nicht annimmt.

Die Bekehrung ist nicht so wie ein chemischer Prozeß: Wenn man dies und das durchgemacht hat, seine Sünden bekennt und niederkniet und aufsteht, dann ist man bekehrt. Sondern man muß mit seiner Last zu einer Person gehen, zu einem Herzen. Von einem Herzen kann man nicht Liebe fordern. Frage den Herrn, ob er dich liebt, ob er dir gnädig ist! Da kommt der Mensch erst in die ganze Not hinein, da muß er erst vor Gott ganz arm werden und kommt zu dem Schrei aus der Tiefe: »Ich habe es nicht verdient, Herr, aber laß mich nicht liegen in meinem Blute, gehe nicht an mir vorüber!« Da mündet alles Suchen und Verlangen des verzagten und zerbrochenen Herzens aus in den Schrei des kanaanäischen Weibes: »Ja, Herr! Aber doch, Herr!,

Wenn diese Wahrheit mehr betont würde, dann gäbe es nicht so viele oberflächliche »Bekehrungen«, nicht so viele unechte Münzen unter Gottes Volk, sondern es wäre mehr Gründlichkeit und Echtheit im geistlichen Leben zu finden. Dann gäbe es mehr Christen von Eichenholz, in sich selbst zerbrochen, aber fest, weil sie gegründet sind in der Ewigkeit, die stehen können im Kampf des Lebens, die sich nicht biegen wie die Weiden und Birken. Und dann würde mehr als bisher und tiefer emporquellen, weil wir alles Eigenen beraubt sind und nur Christus und die Gnade haben, der Dank, daß wir ihn preisen, daß er uns herausgerissen hat ganz aus Gnaden.

Was ist es mit dem »freien Willen,?

Aber hat denn der Mensch nicht einen freien Willen? Hier muß alles Philosophische ausgeschlossen werden. Man predigt heute vielfach: Gott hat zu viel Achtung vor unserer Menschenwürde, darum läßt er uns die Freiheit, die Gnade anzunehmen oder abzuweisen und

seiner Liebe zu widerstehen. Das klingt so richtig und ist doch nach der Schrift ganz falsch. Nein, wir haben in dem Sinne, wie hier behauptet wird, keinen freien Willen. In unserem Vater Adam hat die ganze Familie bankrott gemacht. Nun sind sie alle ganz arm. Er hatte den freien Willen, das Gute zu tun oder das Böse, aber seitdem er in die Sünde hineingegangen ist, ist Adams Geschlecht verknechtet unter die Herrschaft der Sünde.

Von Achtung vor unserer Menschenwürde, die Gott haben sollte, weiß Paulus nichts zu sagen und Jesus auch nicht. Wie stark sind die Ausdrücke, die Paulus anwendet, daß Gott ihn überwunden habe. Er nennt sich einen, der in der Sünde Gesetz gefangen ist (Röm. 7, 23). Die Menschen sind gefangen in des Teufels Strick (2. Tim. 2, 26). Und Jesus sagt: »Wer Sünde tut, der ist der Sünde Sklave« (Ich. 8, 34). Da ist nichts von Menschenwürde erwähnt. Luther vergleicht den Willen des Menschen mit einem Pferde, das sich nach eigener Lust bewegt und darin seine Freiheit hat, ob es die Füße hebt oder mit dem Kopf schlägt usw.; aber die Richtung, in der es geht, wird ihm vom Reiter angetan. So sei es auch mit dem menschlichen Willen. In manchen äußeren Dingen habe der Mensch eine gewisse Freiheit, aber die Grundrichtung wird ihm angetan vom Satan oder von Gott.

Und wiederum erinnere ich daran, daß Luthers grundlegende Schrift heißt: »De servo abitrio«, daß der freie Wille nichts sei. Er sagt einmal: »Sind wir des Teufels Gefangene, dann muß der liebe freie Wille wohl des Teufels Wille und keine Freiheit sein.« Nein, die Apostel und Reformatoren waren weit entfernt von jener Lehre, als ob Gott uns nicht überwinden könnte und dürfte.

Daß es so nicht ist, ist allen Kindern Gottes in der Praxis auch klar. Mag auch jemand in der Theorie behaupten: »Nein, Gott kann die Freiheit eines Menschen nicht umgehen, sondern dieser muß sich selbst entscheiden und ist darin völlig frei«, so wird derselbe Christ doch im Kämmerlein Gott anhalten: »Bekehre meine Kinder, meine Freunde!« Wie kann er das reimen? Es ist so, daß er nach der Wirkung des Geistes Gottes »unwillkürlich« das Richtige tut, ob er auch das Falsche denkt. Er bittet Gott um Geisteswirkungen, die den Menschen und seinen bösen Willen überwinden, und er dankt Gott für solche Siege der Gnade und zeigt damit, daß er es weiß: Gott überwindet die Menschen.

 

 

Der Mensch ist mit dabei!

 

Aber wohl ist in dem Betonen des Willens des Menschen ein Körnlein Wahrheit. Soll ich das ausdrücken, was hier zu sagen ist, so kann ich es nach allem Nachdenken nur in einem ganz unvoll­kommenen Wort tun: Der Mensch ist mit dabei. Und hier haben wir nun zu reden von der Verantwortlichkeit des Menschen, daß er selig wird. Die Lehre von der freien Gnade Gottes ist das Segel unseres Schiffleins. Aber wir bedürfen auch Ballast, sonst kippt das Schifflein um. Und dies ist der Ballast: Wir sind selbst verantwortlich für unser Seligwerden. Wir dürfen nie nur eine Seite treiben, sondern Gottes Wort verkündigen, und das hat beide Seiten.

Daß der Mensch selbst verantwortlich ist für sein Seligwerden, das zeigt schon das ganze Angebot des Heils in der Schrift. Wie liebevoll ist Gottes Einladung! Er bittet sogar, wir sollen uns versöhnen lassen. Immer wieder wird der Mensch aufgefordert, aufzuwachen, umzukehren, sich zu bekehren, anzunehmen, zu suchen, zu beten. Immer wieder wird ihm das Heil und die Gnade angeboten; also soll er sie ergreifen.

Das muß der Mensch tun, und doch tut es Gott. Da stehen wir vor dem wunderbaren Ineinander von Gottes Tun und des Men­schen Tun. Sicher ist eins: Gott fängt immer an. Wir sind tot, und er erweckt uns aus dem Tode. Das muß das Erste sein, aber der Mensch muß Glauben fassen, und das kann er nicht ohne seinen Willen. Niemand kann gegen seinen Willen Gott lieben. Also muß ein Eingehen des menschlichen Willens auf Gottes Gnadenangebot statthaben.

Und doch möchte man fast zweifeln, ob es so richtig ausgedrückt ist. Denn Gottes Wille setzt den menschlichen Willen in Bewegung. Der menschliche Wille ist nicht neben, sondern unter Gottes Willen. Dieser menschliche Wille, der Gottes Gnade annimmt, ist die Wirkung, die Gabe Gottes. Und doch ist es der Wille des Menschen!

Es kann hier nicht auf Formulierungen ankommen, sondern auf einen Versuch der Darstellung der Wirklichkeit. Und da finden wir in der Schrift die beiden Linien nebeneinander: Gott gibt es, aber der Mensch muß zugreifen! Immer wieder finden wir in der Schrift dieses Ineinander von Gottes und des Menschen Wirken unWollen: »Es gefiel Gott wohl, dass er seinen Sohn offenbarte in mir

-alsobald fuhr ich zu« (Gal.1, 16). Gott tat der Lydia das Herz auf - daß sie achthatte und gläubig wurde (Apg. 16, 14-15). Petrus bekannte seinen Heiland als Gottes Sohn - und Jesus sagt. »Das hat dir nicht Fleisch und Blut offenbart, sondern mein Vater im Himmel« (Matth. 16, 17). Jesus bittet für Petrus - daß sein Glaube nicht aufhöre (Luk. 22, 32). Durch Gottes Macht - durch den Glauben werden wir bewahrt (l. Petr. 1, 5).

Was ist das erste, was kommt an zweiter Stelle? Gott wirkt, aber der Mensch ist mit dabei! Immer finden wir das Ineinander von göttlichem und menschlichem Wollen. Dem Mann mit der lahmen Hand in der Schule sagt Jesus: »Strecke die Hand aus!« Was geschieht? »Und er streckte sie aus; und sie ward ihm wieder gesund« (Matth. 12, 13). Wie kann der Herr sagen: »Strecke die Hand aus?« Das kann der Mann ja gerade nicht, die Hand ist ja lahm.

Und doch tat er es. Er streckte sie aus, und sie ward gesund. Was war das erste, die Tat Gottes, daß die Hand gesund wurde, oder die Tat des Menschen, daß er sie ausstreckte? Glaube und Gesundwerden lag ineinander, aber das erste war das Schöpfungswort Jesu: »Strecke die Hand aus!« An ihm entzündete sich der Glaube. Aber ohne den Glauben war die Heilung nicht möglich. (Vergl. Matth. 13, 58: »Er tat daselbst nicht viel Zeichen um ihres Unglaubens willen.«)

»Schaffet - denn Gott wirkt!«

So wird der ganze Wille im Menschen aufgerufen und gefordert. Man kommt nicht im Schlaf in Gottes Reich, sondern es kostet einen Kampf, ein Ringen, ein Suchen, ein Schaffen mit Furcht und Zittern (Phil. 2, 12-13). Diese Stelle ist besonders bemerkenswert: »Schaf­fet, daß ihr selig werdet, mit Furcht und Zittern, denn Gott ist es, der in euch wirket beides, das Wollen und das Vollbringen.«

Wir würden entweder sagen: »Schafft, wirkt eure Seligkeit aus­denn ihr müßt nicht meinen, Gott täte es.« Oder: »Regt euch nicht auf - denn Gott wirkt schon alles, Wollen und Vollbringen.« So würde es nach menschlicher Logik heißen, aber hier steht: »Gott wirkt und setzt euer Wollen in Bewegung und schafft das Vollbrin­gen. Darum ist es wichtig, daß ihr euch aufmacht, daß ihr zugreift.

 

Jetzt, wenn Gott wirkt, ist Gnadenzeit, dann gilt es ganzen Ernst: mit Furcht und Zittern.« Wenn und wo Gott nicht wirkte, da wäre es einem Menschen unmöglich, selig zu werden, dann wäre es hoffnungslos. Aber wenn du Gottes Wirken verspürst, dann schlägt deine Gnadenstunde. Dann darfst du wissen, daß Gott in dir auch das Heil vollenden will, dann mache dich auf, dann stehe im Kampf!

In einem Rettungsboot trieb eine Anzahl schiffbrüchiger Seeleute in dunkler Nacht umher. Die Gefahr bestand, daß sie von der Dampferstraße abtrieben und dann von keinem Schiff aufgenom­men wurden. Von weitem fährt ein hellerleuchteter Dampfer vorüber. Jetzt gilt es, sich bemerkbar zu machen. Eine Laterne ist vorhanden und völlig in Ordnung, aber alle Männer sind durchnäßt und haben kein trockenes Streichholz. Endlich entdeckt ein Matrose noch eins im Futter seiner Weste. Er reicht es von Mann zu Mann zum Kapitän. Der zündet es an, und die Lampe brennt. Die Seeleute können Zeichen geben und werden gerettet. Später sagt der Kapitän: »Ich habe in meinem ganzen Leben niemals so sehr das Bewußtsein der Verantwortlichkeit gehabt wie in dem Augenblick, da ich das Streichholz anzündete. Da habe ich gezittert und gebebt.«

Kann man da nicht sagen: »Kapitän, du hättest vorher zittern und beben sollen, als kein Streichholz da war? Aber als das Streichholz in deiner Hand war, konntest du es doch getrost anzünden, nun war ja Rettung vorhanden.« Nein, solange kein Streichholz gefunden wurde, lag der Kapitän mit seiner Mannschaft unter dumpfer Verzweiflung. Als aber das Feuerzeug in seiner Hand war, da konnte er nicht unbesorgt einfach das Streichholz anzünden, weil ja nun alles gut war. Nein, weil die Möglichkeit der Rettung in diesem Streichholz lag, darum galt es nun mit aller Vorsicht jeden Windzug abzuhalten und mit Geschick die Laterne zu entzünden. Darum kam dem Mann das Zittern und Beben, ob nun auch wohl die Rettung gelingen würde. - Das ist ein Gleichnis für Philipper 2,12 und 13.

Dies wird oft mißverstanden. Man hört die leichtfertigen Reden: »Bin ich erwählt, so brauche ich nichts zu tun, Gott wird mich doch in die Hand bekommen. Bin ich nicht erwählt, so hilft all mein Suchen nichts.« Das ist eine gottlose Rede. Sucht irgendeiner nach Gott, ist es ihm wichtig geworden, trauert er etwa darüber, daß er nicht erwählt sei, so ist das ja ein Zeichen dafür, daß er erwählt ist.

Woher kommt denn dieses Suchen, dieses Trauern, wenn es nicht das Werk des Geistes Gottes ist? Niemand kann Gott vorwerfen, es mühe sich einer vergeblich ab, er könne aber nicht zu ihm kommen. Wer sich abmüht, der ist von Gott ergriffen und kommt zum Ziel.

 

Der Glaube: Gottes Werk und des Menschen Tat

 

Aber solche Redensarten sind vielen Menschen sehr bequem. Ich kam in Scheveningen mit einigen Schiffern ins Gespräch und endlich auf die Frage, ob sie Gotteskinder seien. Bezeichnend war die Antwort: »Ja, Herr, wer das erleben dürfte!« Sie wollten sich dahinter verstecken, als ob Gott sie nicht gerufen hätte, obwohl sie eigentlich gerne kämen. Aber ehe ich mich verabschiedete, baten sie mich um Geld für Schnaps, und Schnapsgeruch ging von ihnen aus. So werden sich immer hinter eine Verkehrung und Verdrehung der Lehre von der Erwählung die Menschen zu verstecken suchen, die, obwohl sie gerufen sind, nicht kommen wollen.

Gewiß, Gott wirkt den Glauben, aber nicht naturhaft oder magisch, sondern innerlich bewegt er unseren Willen. Wir müssen wollen, aber Gott wirkt auch das Wollen. Wenn Gott wirkt, dann gibt er uns von Natur Gebundenen damit die Freiheit, das Glauben­können, das Nehmenkönnen. Aber dann gilt es zu wollen, zu nehmen, zuzugreifen.

Darum müssen wir betonen, daß Gottes Gnadenangebot immer ernst gemeint ist, daß man Gottes Angebot trauen darf. »Wer da will, der nehme Wasser des Lebens umsonst« (Offb. 22, 17). Wen das Wort trifft, wer dadurch bewegt und ergriffen wird, der ist berufen, der ist erwählt, der soll zugreifen, aber er muß auch zugreifen. Der Glaube ist Gottes Werk und des Menschen Tat. Man darf keine von beiden Seiten vernachlässigen: Der Mensch ist mit dabei.

Zwei gläubige Schotten fuhren über einen See. Der eine sprach immer von Gottes Wirken beim Gläubigwerden der Menschen, der andere betonte ebenso einseitig die Verantwortlichkeit des Men­schen. Der Fährmann, der still zugehört hatte, zog ein Ruder ein und fuhr nur mit einem Ruder. Und als die beiden Männer ihn schalten, daß er immer im Kreise herumfahre, machte er es umgekehrt und ruderte nur mit dem anderen Ruder. Und so ging es

wieder im Kreise. Verwundert fragten sie ihn, was er tue. Die Antwort lautete: »So macht ihr es ja auch! Der eine spricht nur von Gottes Gnadenwahl, der andere nur von des Menschen Verant­wortlichkeit. Ihr müßt beide Ruder gebrauchen, sonst kommt ihr nicht voran. sondern fahrt immer im Kreise herum.«

 

Die öffentliche Predigt und das geheime Ziehen Gottes

 

Es mag einer fragen: »Wenn Gott die Menschen erwählt hat, warum ist dann noch die Predigt nötig, sie kommen ja doch zu ihm?« Hier kommen wir auf einen wichtigen Punkt zu sprechen. Wir sind in Christo erwählt. Gott sucht sich nicht hier und da die Seinen heraus, sondern Christus ist von ihm erwählt, daß er das Haupt einer neuen Menschheit sei. Er ist der eigentlich Erwählte, daß in ihm die Verlorenen gerettet würden. Darum hat Gott uns Christus gegeben als den Heiland der Welt und hat seine Gemeinde gestiftet. Und nun geht die Predigt von ihm durch alle Welt, und er zieht die Menschen an. Niemand kommt zum Vater denn durch ihn, und der Vater wiederum zieht die Menschen hin zum Sohn und gibt sie ihm.

Das ist der Weg, wie einer seiner Erwählung gewiß wird: Unter der öffentlichen Predigt von Christus geht bei ihm das geheime Ziehen des Vaters vor sich. Er wird überwunden durch die Gestalt des Heilandes, durch sein Kreuz, durch seine Liebe, er kommt zu Jesus. Und dann, als einer, der in Christus ist durch den Glauben, weiß er, daß er in Christo erwählt ist und Gottes Eigentum von Ewigkeit her. Also durch das Wort Gottes, und zwar durch die Predigt von Christus zieht Gott die Seelen zu sich und wirkt sich seine ewige Erwählung aus. Darum muß Christus verkündigt werden überall und immer aufs neue und muß den Seelen vor die Augen gestellt werden, als wäre er unter uns gekreuzigt, damit durch diesen Magnet gezogen die zerstreuten Kinder Gottes zu ihm kommen.

Will also jemand in all diesen Fragen sichergehen, so muß er nur Christus ansehen, ihn allein. Ist er mein Heiland, wird mir das innerlich bezeugt durch Gottes Geist und gewiß gemacht im Glauben, dann bin ich sein, dann bin ich erwählt. Es ist also unsinnig zu sagen: Wer erwählt ist, der wird selig, ob er glaubt oder

 

nicht. Und wer nicht erwählt ist, mag anstellen was er will, er geht verloren.

Die Sache steht vielmehr so: Christus ist der Auserwählte Gottes. In Christus sind wir geschaffen. Wenn wir zum Glauben kommen, so kommen wir wieder zu Christus und kommen dadurch wieder zu unserer ursprünglichen Bestimmung, zu der uns Gott seinem Vorsatz gemäß geschaffen hat.

Die in Christus sind, das sind die Erwählten. Wer sich dem Glauben verschließt, mag sonst anstellen, was er will: Er erreicht nie seine gottgewollte Bestimmung, er bleibt außerhalb des Heils.

Es hängt also tatsächlich alles am Glauben, am Glauben an Christus als unseren Heiland. Wer an ihn glaubt, der ist ins Buch des Lebens geschrieben. Wir kommen zur Heilsgewißheit durch die Begegnung mit Christus. Und diese Tatsache ist wichtiger als alle Theorie. Darum muß mit ganzem Ernst betont werden: Die Entscheidung über dein Leben fällt nicht durch irgendeine Theorie oder einen Gedanken, ob du erwählt bist oder nicht. Darüber kannst du zunächst überhaupt nichts wissen, sondern die Entscheidung über dein ewiges Heil fällt an Christus, ob du ihn angenommen, ob du dich zu ihm bekehrt hast. Er allein ist der Mittler zwischen Gott und den Menschen.

Und darum ist für jeden, der noch nicht in Christo ist, nichts anderes als diese eine Sache wichtig: Jesus steht vor deiner Tür, Jesus, in dem Gott Mensch wurde, der Gott der Herrlichkeit, der in die Geschichte eingetreten ist. Und diese Gottesgeschichte kreuzt heute deine Lebensgeschichte. Das ist die Entscheidung. In Jesus greift Gottes ewige Hand nach dir. Laß dich greifen! Schlag ein, und gib dich ihm und komm! Das ist das eine, was wichtig ist. Und wenn du dann gekommen bist, dann wirst du es durch Gottes Gnade erkennen: Dieses mein Ergreifen Christi war ewige Gotteswirkung.

Gott wird die Seinen bewahren

Der köstlichste Trost in der Lehre von der Erwählung ist die Versicherung des Wortes Gottes, daß Gott die Seinen auch bewahren wird. Wir werden durch Gottes Macht bewahrt durch den Glauben (l. Petr. 1, 5). Durch Gottes Macht! Wenn wir uns selbst

bewahren müßten, dann würden wir abfallen, und wir hätten Grund mit David zu sagen: »Ich werde der Tage einem Saul in die Hände fallen« (1. Sam. 27, 1). Aber wir werden bewahrt. Das ist ja eigentlich die Hauptsache für das praktische Christenleben. Wir wollen es einmal so ausdrücken: Nicht die »Ewigkeit hinter mir«, sondern die »Ewigkeit vor mir« ist es, die mir Sorge macht. Werde ich auch das ewige Ziel erreichen? Und das ist nun der herrlichste Trost: Ja, denn der Herr bewahrt mich. Es gibt keinen Abfall der Gläubigen. Es gibt kein Herausgerissenwerden aus der Hand des Herrn, für die, die glauben, weil der Vater sie dem Sohn gegeben hat (Job. 10, 29).

Vor diesem Wort schrecken viele zurück. Ist es nicht so: Wenn wir treu bleiben, dann werden wir bewahrt werden?

Auch hier haben wir wieder, wie beim Gläubigwerden, die beiden Linien derSchrift: »Aus Gottes Macht-durch den Glauben« (1. Petr. 1, 5). Und ob sie uns nach unserem logischen Denken unvereinbar scheinen - wir müssen sie beide voll zur Wirkung kommen lassen. Es liegt auch hier beides ganz ineinander; darauf ist zu achten, wenn wir es auch nur nacheinander darstellen können. Wenn es darauf ankommt, daß ich Treue halte, so ist mir das ganze Gesetz wieder aufgelegt. Und dann ist mein Zustand nach der Bekehrung schlimmer als vorher; denn die Leistung, Treue zu halten, ist viel schwerer, als die, irgendein anderes Gebot zu erfüllen. Und dazu kommt, daß ich nun weiß, daß das Gesetz geistlich gehalten werden muß, nicht nur buchstäblich.

Also um so mehr Angst und Not kommt über den Gläubigen, wenn es daran liegt, ob er treu bleibt. Und wenn es so steht, dann ist allerdings die Behauptung: »Wir werden nicht verlorengehen«, eine ungeheuerliche Anmaßung. Wenn es auf mein Treubleiben ankommt, ob ich verlorengehe oder nicht, so kann ich nicht verlorengehen, sondern dann gehe ich verloren. Niemand kann nämlich sagen: »Ich bleibe treu, was auch kommen mag.« Das wäre Überhebung und Prahlerei. Was weißt du, in welche Not und Verzweiflung du noch hineinkommst, durch welche Proben du noch hindurchmußt?

Aber das ist nun der wunderbare Trost des Wortes Gottes: »Das ist der Wille meines Vaters, daß ich nichts verliere von dem, was er mir gegeben hat (Job. 6, 39). »Alle Pflanzen, die mein himmlischer Vater nicht pflanzte, werden ausgerottet« (Matth. 15, 13).

Also, die er gepflanzt hat, die bleiben. »Niemand wird meine Schafe aus meiner Hand reißen; sie werden nimmermehr umkommen; ich gebe ihnen das ewige Leben« (Joh. 10, 28). »Ich habe für dich gebeten, daß dein Glaube nicht aufhöre« (Luk. 22, 32). Weil Jesus das alles verheißen hat, kann Paulus sagen: »Ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben ... mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserm Herrn« (Röm. 8, 38-39). »Er kann mir bewahren, was mir beigelegt ist, bis an jenen Tag« (2. Tim. 1, 12). »Der in euch angefangen hat das gute Werk, der wird's auch vollführen bis an den Tag Jesu Christi« (Phil. 1, 6).

Gott läßt. sein Werk nicht ermüdet oder enttäuscht liegen, er führt es bis zum Ziel. Es gibt keine Gnade, keine Erwählung auf Kündigung. Niemand und nichts kann mich aus Gottes Hand reißen. Was die Welt mir nicht gegeben hat, das ewige Leben, das kann sie mir auch nicht nehmen. Und was durch meine Schwachheit nicht zustande kam, kann durch meine Schwachheit auch nicht zerstört werden. Es ist eine goldene Kette, die die Worte von Römer 8 bilden: zuvor ersehen, verordnet, berufen, gerecht gemacht, herrlich gemacht. Wer eins von diesen herrlichen Dingen erfahren hat, der darf wissen, daß er auch die anderen erfahren wird: Die Kette reißt nicht. Wer nur erfahren hat, daß er berufen ist, der kann an dieser Kette entlang gehen: Dann bin ich auch von Ewigkeit verordnet, ersehen - und in Ewigkeit gerecht und herrlich gemacht. Ich komme an Gottes Ziel, weil ich von Gott ergriffen bin.

Laßt uns wohl darauf achten! Hier ist nirgend ein »Wenn« eingeschoben, etwa »wenn ich treu bleibe«, sondern nur Taten Gottes sind genannt. Er macht uns herrlich, wenn er uns berufen hat; er bringt uns ans Ziel. Wenn eine Bedingung erfüllt werden müßte, z. B. treu bleiben, und wenn auf der andern Seite ein Christ doch eine Art von geistlichem Selbstmord begehen könnte, dann wäre ich in ewiger Unsicherheit. Dann müßte ich mir immer den Puls fühlen, wie es wohl mit meiner Treue steht. Dann wäre ich gleich einem Schiffer, der den Anker in das Schiff wirft. Da hat er keinen Halt. Ich muß den Anker nicht in das Schiff werfen, sondern in festen Ankergrund außer mir, in Gottes Treue.

Dies ist der ewige Trost der Gotteskinder: »Non vicisset Christus mundum, si membra vinci pateretur« (Melanchthon). »Christus hätte die Welt nicht überwunden, wenn er zuließe, daß seine

Glieder von der Welt überwunden würden.« Aber er hat die Welt überwunden, und wir kommen ans Ziel. Das ganze Weltall wird sich wundern, wenn wir durch die Tore Zions gehen, denn es ist ein Wunder. »Dann staunt die ganze Welt uns an und ruft: Das hat der Herr getan.« (Ps. 126). Und das wollen auch wir jetzt schon im Glauben singen. »Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen« (Röm. 11, 29).

Macht die Lehre von der Bewahrung nicht leichtfertig?

»Macht aber diese Lehre nicht sorglose und verruchte Leute?« Macht sie nicht leichtfertig, so daß der Mensch spricht: »Werde ich bewahrt durch Gottes Macht, nun, dann kann ich mich ja gehenlassen, ich komme ja doch ans Ziel?« Allerdings, wie alle Lehren des Wortes Gottes, so kann auch diese mißbraucht werden. Es kann jemand, der sich einbildet, er sei errettet, nun durch eine falsche Auslegung dieser Lehre sich in gefährliche Sicherheit wiegen. Gewiß, der Balsam für die Wunden der Gotteskinder kann auch als Gift mißbraucht werden von denen, denen diese Worte noch gar nicht gelten.

Man kann ein Rettungsseil nehmen und sich daran aufhängen. So kann auch das Wort von der freien Gnade und von der Bewahrung der Gläubigen mißbraucht werden, aber das darf uns nicht dazu bringen, daß wir diese Lehre aufgeben. »Es ist unmöglich, daß die, so Christo durch wahren Glauben sind eingeleibt, nicht Frucht der Dankbarkeit bringen sollen.« Sie sind ja verordnet, daß sie gleich gestaltet werden sollen dem Ebenbilde des Sohnes Gottes, und durch die Zucht des Geistes, der nun in ihnen wirkt, wird dieses Ziel auch je länger je mehr bei ihnen erreicht werden.

So kommt es, daß gerade diese Lehre, daß Gott die Seinen bewahrt, sie besonders gottesfürchtig macht und sie es genau nehmen läßt. Soll der, der zum König erwählt ist, nun sich benehmen wie ein Bettler? Soll der nun nur Lumpen tragen, der zum Thron berufen ist? Wer erwählt ist zu Gottes Kind, soll der deshalb nun leben wie ein Kind des Teufels? Nein, nimmermehr! Wer wirklich Gottes Kind geworden ist und in der Zucht des Geistes steht, der wird aus der Aussonderung aus der Welt, die Gott vorgenommen hat, nun auch die Pflicht erkennen, sich auszusondern von dem Wesen der Welt.

Darf er nun leben, wie es ihm gefällt? Gewiß, man kann sagen: »Ja, jetzt dürfen wir fluchen, lügen, stehlen und Schlimmeres tun, soviel es uns gefällt. Aber es gefällt uns nicht mehr, wir hassen es« (Spurgeon). Unser Durst steht nicht mehr nach Laster, sondern nach Heiligkeit. Unsere Furcht ist es, unseren Vater zu beleidigen. Das ist Bewahrung durch die Zucht des Geistes Gottes, und nichts wird den Menschen so stählen zum Wandel im Licht wie die Tatsache und das Bewußtsein: »Gott hat mich geliebt und herausgerissen, und Gott bewahrt mich für sein herrliches Erbe. Wie sollte ich in der Sünde weiterleben wollen!« So wird ein Kind Gottes durch die Zucht des Geistes Gottes immer wieder von der falschen Bahn zurückgehalten werden.

 

Wir werden unseres Glaubens aus seinen Früchten gewiß

 

So können wir nur bei unserer Aussage bleiben: »Gott bewahrt uns, und es gibt keinen Abfall der Heiligen.« Warum lehren manche die Möglichkeit, daß Gottes Kinder abfallen können? Nur um dadurch die Christen bange zu machen, daß sie doch ja auf der Hut sein möchten, und sie zu größerer Vorsicht zu treiben. Aber das ist so, als ob man durch immer neue Peitschenhiebe sie auf ihrem Wege antriebe.

Wir wollen in Gottes Gedanken bleiben. Gewiß gilt es, vorsichtig zu sein und seine Seele auf den Händen zu tragen. Gewiß müssen wir uns fürchten vor dem Abfall, der unserer Natur so naheliegt, Aber diese Furcht und Vorsicht bringt Gottes Geist auf viel wirksamere Weise zustande, als es das Treiben mit gesetzlicher Furcht zuwege bringen kann. Gottes Geist macht uns elend, wenn wir fern vom Heiland sind. Er läßt unser Herz verdorren in der Gottesferne. Er weckt Erinnerung an früheres Glück in Christo: »Wie waret ihr dazumal so selig« (Gal. 4, 15)! Und so zieht er ein verirrtes Kind immer wieder zu seinem Vater zurück.

Und dazu dienen vor allem die Mahnungen der Schrift. Alle die vielen Ermahnungen der Briefe der Apostel, die Warnungen vor groben Sünden sind ja an Gläubige gerichtet. Gottes Geist bewahrt uns nicht, indem er Mauern von Stein um uns baut oder uns

unversuchlich macht. Nein, wir werden versucht und kommen auch oft zu Fall; darum die Mahnungen, darum auch die vielen Warnungen vor dem Abfall in Gottes Wort.

Gottes Wort ist ein Lebensbuch, nicht eine Glaubenslehre, wo alles nach Begriffen und Paragraphen nebeneinander steht. Die Apostel sind nicht Dogmatiker, sondern Prediger. Alle ihre Ermahnungen gehen an Leute, die mitten im Kampf des Lebens und seiner Versuchungen stehen. Deshalb sind die Warnungen vor der Sünde, vor dem Satan, vor dem Abfall nötig. Darum auch die Ermahnun­gen zu Übungen der Liebe und zur Erfüllung des Gesetzes; denn wenn wir nicht Frucht des Geistes bringen, so ist unser Leben nicht in Ordnung, so sind wir wohl gar nicht Reben am Weinstock.

Wir werden unseres Glaubens selbst aus seinen Früchten gewiß. So war es bei einem Sohn meiner ersten Gemeinde, der sich über seinen Gnadenstand gar nicht klar werden konnte. Er wurde aber mit Freuden seiner Annahme bei Gott gewiß, als er bei einer militärischen Reserveübung wahrnahm, daß er an all den gottlosen und unreinen Reden seiner Kameraden, in die er früher eingestimmt hatte, keine Freude mehr empfand. »So jemand Gott liebt, der ist von ihm erkannt« (1. Kor. 8, 3). »Wir wissen, daß wir aus dem Tode in das Leben gekommen sind, denn wir lieben die Brüder« (l. Joh. 3, 14). Und darum auch alle Ermahnungen, nicht vom Glauben abzufallen; denn wir haben unsere Gewißheit ja nur im Glauben. Nirgendwo ist meine Heilsgewißheit deponiert, nicht in mir, nicht in einem Sakrament, nicht in einer Kirche, nicht in einem Dogma, sondern ich habe sie nur im Glauben. Darum bedarf ich der Ermahnung: fester im Glauben an Christus zu hängen. Und je mehr ich ihr folge, um so mehr wird im engen Umgang mit dem Herrn meine Heilsgewißheit vertieft.

 

 

Nicht fleischliche Sicherheit, sondern Glaubensgewißheit

 

So also ist das frühere Wort zu verstehen: »Nirgendwo ist ein ,Wenn` eingeschoben!« Wir reden hier nur von den Gläubigen! Das eine große »Wenn«, die Voraussetzung des Glaubens liegt hier allem zugrunde. Es wird uns nicht ein Treuehalten als ein Gesetz aufgelegt. Aber statt Treue sage man: Glauben! Glauben halten, an

 

Christus hangen, alles immer und überall von ihm erwarten, das ist der Weg, um bewahrt zu werden. »So ihr in mir bleibet«, sagt der Herr, aber das ist keine Leistung, die uns aufgelegt wird. Gott stellt uns heilig und unsträflich und ohne Tadel dar vor ihm selbst, »so ihr anders bleibet im Glauben gegründet und fest« (Kol. 1, 23). Also von uns wird kein Werk und keine Leistung erwartet, sondern nur, daß wir bleiben in unserer Festung (2. Petr. 3, 17), und dauernd alles, was zum Seligwerden gehört, von Gott erwarten im Glauben, den Gott uns geschenkt hat und in' uns erhält. Damit ich in diesem Glauben, da ich nichts von mir und alles von der Gnade erwarte, bleibe, darum geschieht die mannigfache Wirksamkeit des Wortes Gottes an mir. Durch sein Wort erhält mich der Herr im Glauben und bringt mich bei Gefährdung oder Trübung dieser Glaubensstellung wieder zurecht. Er braucht das eine Mal den Stab Sanft, das andere Mal den Stab Wehe. Er läßt mich frohlocken über seine Güte und erzittern vor seinem Ernst. Man hört die Gläubigen rühmen: »Mit meinem Gott kann ich über die Mauer springen«, und hört sie jammern: »Wenn du entziehst das Deine, bleibt Sünd und Schwachheit meine.« Gott redet in seinem Wort auf allerlei Weise auf die Seinen ein. Er tröstet die Betrübten wunderbar, richtet die Niedergebeugten liebreich auf, macht den Kleinmütigen Mut, belehrt die Unwissenden väterlich, warnt die Leichtsinnigen mit ganzem Ernst, weckt die sicher Gewordenen und schreckt sie. Und allen ruft er immer wieder zu: Wachet! Betet!

Laßt uns bei all dem Zuspruch der Schrift und bei all unseren Lebensführungen daran denken: Das sagt Gott mir, das tut er an mir, weil er versprochen hat, mich selig zu machen. Dann muß uns alles dienen; wir werden »vorsichtig wandeln«, das Gebet im Herzen: »Herr, habe acht auf mich!« Und er bringt uns ans Ziel: Wir werden »beharren bis ans Ende!«

Darum noch einmal: Wir werden bewahrt aus Gottes Macht. Dieser Trost hat nichts zu tun mit der leichtfertigen Rede: »Bin ich errettet, so bin ich errettet«, wobei der Mensch sehr oft kräftig in der Sünde lebt. Wer so spricht, dem möchte man sagen: »Du bist auch deren einer, deine Sprache verrät dich, du wirst bald deinen Heiland verleugnen.« - Nein, nicht fleischliche Sicherheit, sondern Glaubensgewißheit, das ist es, was Gott uns schenkt durch sein Wort. Er gibt uns nicht die lose Rede: »Bin ich errettet, so bin ich errettet, so kann es mir nicht fehlen«, sondern die Verheißung für ein bekümmertes Gemüt: »Der Bund meines Friedens soll nicht hinfallen« (Jes. 54, 10).

An diesem Trost wollen wir festhalten, und diese Lehre wollen wir wie ein Panier, wie wir sie von unsern Vätern überkommen haben, hochhalten. Wie sie von Jahrhundert zu Jahrhundert von einer Hand zur anderen gegeben wurde, so wollen auch wir sie weitergeben und davon nicht schweigen.

»Stark ist meines Jesu Hand,

 und er wird mich ewig fassen,

 hat zu viel an mich gewandt,

 um mich wieder los zu lassen!

 Mein Erbarmer läßt mich nicht,

das ist meine Zuversicht.«

 

Und wenn nun doch einige abfallen?

 

Und wenn nun doch einige abfallen, wie es oft zutage zu liegen scheint? Ich kann darauf nur antworten: Entweder sie kommen wieder zurecht, wenn auch erst im Tode, wie ein Brand aus dem Feuer gerettet. Oder es gilt trotz allem gegenteiligen Schein das Wort 1. Johannes 2, 19: »Sie sind von uns ausgegangen, aber sie waren nicht von uns. Denn wo sie von uns gewesen wären, so wären sie ja bei uns geblieben. Aber es sollte offenbar werden, daß sie nicht alle von uns sind.« Es hat einmal ein Gottesmann gesagt: »Wir werden uns im Himmel wundern, manche dort zu finden, die wir dort nicht erwartet hätten, und manche dort nicht zu finden, die wir dort erwartet hätten.«

 

 

 

Warum werden nicht alle begnadigt?

 

 

 

 

Noch eine letzte, schwere Frage: Warum werden nicht alle begna­digt? Gibt es eine Verwerfung? Sind die Verworfenen schuld an ihrem Verderben? Hier bleiben Rätsel. Ich möchte gleich von vornherein sagen: Die schlechteste Lösung dieser Rätsel ist nach

meiner Meinung die Lehre von der Wiederbringung, nach der noch einmal alle Menschen selig werden. Wenn diese Lehre im Hintergrund steht, dann können wir alles Gesagte widerrufen, uns überhaupt die Mühe sparen, über dies alles nachzudenken. Dann sind alle Grundlagen erschüttert und Gottes Wort außer Kraft gesetzt (das ist hier nicht weiter auszuführen).

Nein, hier bleiben Rätsel und Geheimnisse. Alle widerstreben dem Wort Gottes, die Erwählten und die Verworfenen-wir gehen nicht verloren, wir sind verloren. - Und doch, die einen überwindet Gott, die anderen nicht. Warum nicht? Der Anspruch Jesu auf alles Fleisch steht fest, und doch gibt ihm der Vater nicht alle. Die Predigt des Heils hat immer eine doppelte Wirkung, die einen nehmen sie an, die andern nicht. Warum? Wie kommt das?

 

 

Wie kam in Gottes gute Welt die Sünde hinein?

 

 

Das hängt zusammen mit dem größten Rätsel, das unser Verstand nicht löst: »Wie kam in Gottes gute Welt die Sünde hinein?,, Ich glaube, es gehört zum Wesen der Sünde, daß wir sie nicht erklären können. Weil wir in der Sünde sind, ist unser Verstand von ihr verdunkelt, so daß wir auf diese Fragen keine Antwort wissen. Es ist ein unerklärbarer und für unsere Vernunft unverständlicher Tatbestand, daß die Sünde in Gottes Welt hineingekommen ist. Er muß wohl unerklärt bleiben, denn wenn man sie erklären könnte, dann wäre ja die Sünde nicht eine Durchbrechung von Gottes Welt.

Die Sünde in der Welt Gottes? Da merken wir wiederum: Unser Wissen ist Stückwerk. Und darum werden wir auch nie erklären können, warum nicht alle selig werden, und wie das zusammen­hängt. Hier müßten wir einen Blick haben auf das unsern Augen zum größten Teil verhüllte Schlachtfeld, auf dem der Kampf zwischen Gott und Satan ausgefochten wird. Wir müßten einen Blick tun hinein in die Abgründe der Finsternis und in das Wirken des Satans, der Gottes Wege kreuzt und in dieser Welt der Ungläubigen Sinne verblendet hat, »daß sie nicht sehen das helle Licht des Evangeliums von der Klarheit Christi, welcher ist das Ebenbild Gottes« (2. Kor. 4, 4).

„Ihr habt nicht gewollt!“

 

Eins aber müssen wir sagen: Schrift und Erfahrung stellen beide fest: Niemand geht verloren ohne durch seine eigene Schuld. Das Wort an Jerusalem: »Ihr habt nicht gewollt«, wird schließlich die letzte Antwort Jesu sein, wenn er gefragt wird von den Verdammten, warum sie nicht selig werden. »Ihr habt nicht gewollt.« Es wird niemand in der Verdammnis sein, der sagen könnte: »Gott, du hast mich zu streng behandelt, strenger als ich es verdient habe.« Nein, das gerade wird die Hölle in der Hölle sein, daß die Verdammten es klar vor Augen haben: Auch wir waren berufen! Auch die linke Hand, die uns von sich weist, ist durchbohrt, trägt die Spur, daß er auch für uns gestorben ist, daß auch wir hätten kommen können, aber wir haben nicht gewollt.«

Das ist der schlimmste Stachel, die Hölle in der Hölle, wenn die Verworfenen ihre Augen aufheben wie der reiche Mann, da er in der Hölle und in der Qual war, und sehen die Ruhe und die Herrlichkeit der Kinder Gottes mit dem beständigen Selbstvorwurf: »Auch ich war geladen, ich habe es verscherzt, ich habe es gewußt, aber ich habe nicht gewollt!«

 

Gottes Wort unterläßt es nie, darauf hinzuweisen, daß die Menschen sich durch ihre eigene Schuld ihr Verderben zuziehen. »Es wurden gläubig, wie viele ihrer zum ewigen Leben verordnet waren« heißt es in Apostelgeschichte 13, 48. Aber vorher wird von den anderen gesagt: »Ihr stoßt Gottes Wort von euch und achtet euch selbst nicht wert des ewigen Lebens« (V. 46). Es ist ihre Schuld, und es bleibt bei dem furchtbaren Ernst: »Wer Gottes Wort hört und verachtet, der bindet sich selbst Holzbündel zum ewigen Feuer« (Spurgeon).

Woher kommt das Verlorengehen des einen Teiles der Menschen? Kommt es von Gott? Woher kommt der Schatten? Kommt er vom Licht? Ja, zuletzt kommt er vom Licht, aber doch daher, daß sich ein Körper dem Lichtstrahl in den Weg stellt. Zuletzt, das liegt ja in dem Wort »Verwerfung«, geht das Reformatoren sind zu weit gegangen

Luther Urteil über die Verdammten von Gott aus. Sie werden von Gott verworfen. Aber haben sie sich nicht selbst ihm entgegengestellt? Es bleibt die Verantwortung des Menschen.

 

Die Reformatoren sind zu weit gegangen

 

Luther, Calvin und Zwingli haben gelehrt: Gott hat, um seine Heiligkeit zu bezeugen, einen Teil der Menschen von Ewigkeit her zum Verderben bestimmt. Die Reformatoren haben geglaubt, das im Gehorsam gegen Gottes Wort lehren zu müssen, aber sie sind nach meiner Erkenntnis zu weit gegangen und haben mit ihrem Verstand und ihrer Logik Linien ausgezogen, die sie nicht ausziehen durften, und Schlüsse gezogen, die sie nicht ziehen durften, weil die Schrift sie nicht zieht.

Wir haben es hier mit zwei Linien zu tun, mit der Wahl Gottes aus lauter Gnade und der Verantwortlichkeit des Menschen, die sich für unseren Verstand nicht vereinigen lassen. Sie werden sich einmal vereinigen, diese beiden Linien: in der Ewigkeit; da wird uns alles klar sein. Und sie vereinigen sich jetzt schon in unserem Gewissen. Da wird es jedem, der der Sache ernstlich auf den Grund geht, bezeugt: »Ich muß Christus annehmen«, und zugleich: »Gott allein kann mir das schenken.«

Wenn man, wie es die Reformatoren getan haben, aus Gründen der menschlichen Logik den Schluß zieht: »Weil Gott die einen erwählt hat, so muß er die anderen verworfen haben«, dann bringt, das zwei Konsequenzen mit sich. 1. Dann ist Gott schuld an dem Untergang der Verworfenen. Aber nach Gottes Wort ist Gott nie die Ursache des Bösen und trägt nie die Schuld an dem Untergang der Sünder. Wo er die Menschen verstockt und ihre Sünden sich verschärfen läßt, da lag vorher Schuld der Menschen zugrunde. 2. Dann haben die Verworfenen selbst keine Schuld an ihrer Verdammnis.

Die Reformatoren haben beide Schlüsse nicht gezogen. Ihre Ehrfurcht vor Gott verbot ihnen das. So dürfen wir auch nicht so weit gehen, wie sie es schon taten. Die göttliche Wahrheit verträgt es nicht, daß man von ihr aus mit menschlicher Logik Schlüsse zieht.

Die einzige Stelle, die eine absolute Verwerfung zu lehren scheint, falls sie so verstanden werden muß, ist Römer 9, das Wort von Jakob und Esau: »Jakob habe ich geliebt, aber Esau habe ich gehaßt« (V. 13). Auf diese Stelle werden wir noch zurückkommen. Sie kann auch in anderem Sinne verstanden werden. Die dunklen Stellen in der Schrift müssen immer ihr Licht empfangen von den

hellen und klaren. Und so meine ich sagen zu müssen: Die Schrift hat keine Lehre von der ewigen Bestimmung eines Teiles der Menschen zur Verdammnis. Die Schrift lehrt einen ewigen Gnadenrat für die Erwählten, aber sie lehrt nicht parallel dazu auch eine Prädestination zur Verdammnis. Da klafft eine Kluft, aber die Schrift läßt sie klaffen und sagt nichts darüber; und wir tun gut, auch nichts zu sagen.

Wir finden diese Zurückhaltung der Schrift an vielen Stellen. Römer 9, 22 z. B. heißt es: »Gefäße des Zornes, die da zugerichtet sind«, nicht: »die er zugerichtet hat, zur Verdammnis«; während Vers 23 froh bezeugt: »Gefäße der Barmherzigkeit, die er bereitet hat zur Herrlichkeit.« In Matthäus 25 wird von den Erwählten gesagt: »Ererbet das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt« (V. 34); und von den anderen: »Gehet hin von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln« (V. 41). Also war es nicht für die Menschen bereitet. Die einen nennt der Herr »Ihr Gesegneten meines Vaters«, die anderen nur »Ihr Verfluchten«, nicht: »Die von meinem Vater Verfluchten«, wiewohl das letzten Endes so gemeint ist. Das ist eine zarte, bemerkenswerte Zurückhaltung der Schrift, bei der im Hintergrund die Wahrheit steht: Wer verlorengeht, geht durch eigene Schuld verloren.

Gott läßt ein Heilsangebot an alle ergehen

Ein solcher Rat zur Verdammnis, wie die Reformatoren ihn gelehrt haben, hat keinen Raum in der Schrift, die vielmehr eine Allgemeinheit der Gnade lehrt. Nicht, als ob jedermann selig würde, aber Gottes Gnade geht über alle Menschen und geht allen nach. Dabei möchte ich nicht vor allem besonderen Nachdruck legen auf einzelne Stellen. Immerhin ist hinzuweisen z. B. auf 1. Timotheus 2, 4: »Gott will, daß alle Menschen gerettet werden und sie zur Erkenntnis der Wahrheit kommen«, wenn auch hier zunächst Menschen aus allerlei Ständen und Schichten der Welt gemeint sind; auf 1. Johannes 2, 2: »Derselbe ist die Versöhnung für unsere Sünden, nicht allein aber für die unseren, sondern auch für die der ganzen Welt«; auf Apostelgeschichte 17, 31: »In Christus hält er jedermann vor den Glauben, nachdem er ihn hat von den Toten

 

auferweckt«; und vor allem auf Johannes 3, 16: »Also hat Gott die Welt geliebt, daß er seinen eingeborenen Sohn gab, auf daß alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden, sondern das ewige Leben haben.«

Diese Stellen könnten nicht so lauten, wenn die Schrift einen Rat Gottes lehrte, der einen Teil der Menschen von vornherein für die Hölle bestimmt hat. Aber vor allem ist darauf zu achten, daß Jesus, des Menschen Sohn, der Heiland der ganzen Menschheit ist. Er ist von Gott der ganzen Menschheit zum Mittler ihres Heils gesandt: »Gott war in Christo und versöhnte die Welt mit ihm selber« (2. Kor. 5, 19). Nicht nur die Auserwählten sind versöhnt! Nicht nur für sie ist Christus gestorben, sondern für der ganzen Welt Sünde. »Also hat Gott die Welt geliebt ... « Darum soll auch aller Welt das Evangelium verkündigt werden.

So dürfen wir vielleicht folgendes sagen: Hätte Gott die abgefallene Menschheit, Adam und Eva, vom Erdboden vertilgt und von seinem Angesicht verworfen, so wäre das gerecht gewesen. Aber Gott läßt die Menschheit, die sich von ihm losgerissen hat, wachsen. Dadurch entsteht eine Menschheit, die in die Sünde hineinkommt durch Verhängnis. Sie wird hineingeboren. Die Sünde ist nicht nur Verbrechen, sondern auch Gebrechen. Die Sünde kommt in sie hinein durch ihre Abstammung, nicht durch eigenen Willensentschluß. Aber in Gottes Absicht lag es von Anfang an, für diese Menschheit, die zusammenhängt in einer Sünde, nun auch einen Heiland zu geben in der Fülle der Zeit, einen Heilsmittler für alle. Gott will der Sünde durch eine geschichtliche Veranstaltung ein Ende bereiten durch das Kreuz und die Auferstehung Christi. Daraus ergibt sich die Forderung für die Gerechtigkeit Gottes, daß er auch jeden Menschen vor die Entscheidung stellt, ob er das Heil in Christo annimmt, daß er jedes Menschen Sündengeschichte irgendwie und irgendwann einmal begegnen läßt seiner Heilsgeschichte, daß das Wort vom Kreuz ihn trifft und seine Entscheidungsstunde damit schlägt.

Darum ergibt sich die Forderung für die Gerechtigkeit Gottes, daß er ein Heilsangebot ergehen lasse für alle Welt. Darum dieses universale Heilsangebot in Christo und die Predigt von ihm. An Christus entscheidet sich das ewige Geschick aller Menschen. Man kann nur durch Jesus selig werden. Man kann nur an Jesus verlorengehen. Gott verwirft keinen Menschen wegen seiner allgemeinen Sündhaftigkeit, sondern allein wegen der Ablehnung seines Heils und seiner Gnade, die ihm in Christus begegnet. Niemand geht wegen seiner Sünde verloren. Verloren geht einer nur durch seinen Unglauben, daß er den Heiland Gottes von sich stößt.

 

 

 

 

Und die Heiden?

 

 

 

 

Wenn wir nun noch einen Blick auf die Heiden werfen, so gestehe ich hier, in manchen Fragen noch keine Klarheit zu haben. Entwe. der ist zu sagen: Sie sind schuldig oder gerecht vor Gott nach ihrem Tun, weil das Gesetz Gottes in ihrem Herzen geschrieben ist, wenn  auch nur dunkel (Röm. 2). Oder man kann aus 1. Petrus 3 und 4 annehmen, daß im Verfolg des Abstieges des Heilandes in die Unterwelt dort noch ein Heilsangebot an die erfolgt, denen das Wort von ihm in dieser Welt nicht begegnet ist. Mir ist dieser Punkt nicht klar. Es ist mir fraglich, ob von einer Predigt des Evangeliums in der Unterwelt gesprochen werden darf. Dann könnten wir ja schließlich alle Heiden bis zu diesem Zeitpunkt auf das Evangelium  warten lassen. Sie würden zwar in der Zeit ihres Lebens unter dem furchtbaren Fluch der Sünde weiter dahingehen, aber schließlich für die Ewigkeit doch noch ebenso stark ein Heilsangebot empfangen, wie wenn die Missionare zu ihnen kämen. Oder wird das Heilsangebot in der Unterwelt nicht so stark und kräftig sein 0-der schwereren Hemmungen begegnen?

Eins scheint mir wichtig zu sein: Falls in der Unterwelt ein Angebot des Heils erfolgt, so kann es nur für die sein, die noch nie vor die Entscheidung gestellt waren. Wer sich also darauf vertröstet will, er könnte sich dann entscheiden, der spricht sich selbst das Urteil. Er weiß, daß er sich entscheiden muß, also muß er es jetzt tun, sonst gibt es für ihn keine Gnade mehr. Im Blick auf das Los der Heiden halte ich mich nur an die Wahrheit der Schrift: Gott ist gerecht, und er wird keinen ungerecht verdammen, auch keinen Heiden. Das steht für den Glauben fest.

 

 

 

 

Die dunkle Stelle Römer 9

 

Es bleibt nun noch immer Römer 9. Die Stelle ist mir dunkel. Ob Paulus Römer 9 bis 11 gar nicht sagen will, was er denkt, sondern sich nur abmüht mit der Frage: »Wie kann das auserwählte Volk verworfen sein?« Er schlägt Israel alle Ansprüche aus der Hand: »Und wenn Gott euch verworfen hätte, was willst du dagegen sagen? Kann Gott nicht tun, was er will?« Aber 11, 25: Gott hat Israel gar nicht verworfen, sondern »Israel ist Blindheit zum Teil widerfahren, so lange, bis die Fülle der Heiden eingegangen sei und also das ganze Israel selig werde.«

Ist das Ganze heilsgeschichtlich zu verstehen und nicht einzelgeschichtlich, so daß also nichts gesagt wäre über Jakob und Esau als Personen und über ihr ewiges Heil, sondern darüber, wer der Träger der Verheißung, des Segens würde? Dagegen spricht wiederum das ernste Wort 9, 22: »... zugerichtet zur Verdammnis.« Ich weiß es nicht.

Die biblischen Erzählungen im ersten Buch Mose bringen uns nicht darauf, an eine Vorherbestimmung zur Seligkeit oder zur Verdammnis zu denken. Auch das Römer 9, 13 angeführte Wort Maleachi 1, 2-3: »Jakob habe ich geliebt, Esau habe ich gehaßt«, braucht nicht in diesem absoluten Sinn verstanden zu werden. Das Wort »hassen« kommt auch in einem abgeschwächten Sinn vor = zurücksetzen. 1. Mose 29, 31 heißt Lea Rahel gegenüber die Gehaßte, die Verworfene (vgl. 1. Sam. 16, 7; Luk. 14, 26). So könnte auch im Verhältnis von Esau zu Jakob die Meinung sein: verworfen für einen bestimmten Zweck oder eine bestimmte Auf­gabe.

Denken wir an Israel und die Heiden, so kann der Gedanke des Paulus auch dieser sein: Die Verheißung Gottes von dem in Christus der Welt bereiteten Heil gilt unzweifelhaft, aber nicht die Werke der einen oder anderen, sondern Gottes Vorsatz und Wahl wird darüber entscheiden, in welcher Reihenfolge die Völker dem Reich Christi einverleibt werden.

Wir sehen in Kapitel 11, daß es sich tatsächlich bei der jetzigen Verwerfung Israels im Grunde nur um die heilsgeschichtliche Aufgabe handelt, und daß die Frage nach dem Seligwerden der einzelnen hiervon unabhängig ist.

 

 

 

Gott ist es ernst mit unserem Seligwerden

 

Und nun noch zum Schluß: Über all diesen Dingen ist das Wort des Meisters zu bedenken, der dem Mann, der ihn fragte: »Meinst du, daß wenige selig werden?« diese Frage seines Verstandes aus der Hand nahm und es ihm zu einer Sache seines Gewissens machte: »Ringet danach, daß ihr durch die enge Pforte eingehet« (Luk. 13, 23-24). Da wird die theoretische Frage zu einer Not des Gewissens, die nur Gott stillen kann durch seine Gnade. Da wird es jedem klar: Das ist gewiß, alles Heil kommt von Gott, und alles Verderben und alle Verdammnis ist Schuld der Menschen. Wird einer selig, so muß er bekennen: »Du hast mich selig gemacht.  Geht einer verloren, so muß er sagen: »Ich bin selber schuld. Das ist logisch nicht richtig, sogar unvernünftig, aber die Männer des Neuen Testaments gehen nicht weiter und wir auch nicht.

Jedenfalls ist die Lehre von der Erwählung keine Entschuldigung für die Unbußfertigen. Alle Entschuldigungen, die sich jemand daraus machen wollte vor dem lebendigen Gott, werden zerreißen wie Spinnengewebe. Wir haben es mit dem allwissenden Gott zu tun, und nur mit ihm. Er weiß, wie oft und wie stark er geworben hat um dein Herz.

Und das ist auch gewiß: Die Lehre von der Erwählung ist nicht dazu gegeben, um jemand traurig zu machen. Wohl dem, der hier in mehr als einer Hinsicht die Erfahrung macht: »Einst wollt ich's erzwingen mit Denken, jetzt laß ich mir's bringen und schenken.« Ist jemand bekümmert, weil er nicht erwählt zu sein glaubt? Woher kommt dieser Kummer? Von Gottes Geist! Freund, greif zu, du bist gerufen, dann bist du auch erwählt. Gottes Ruf ist immer ernst gemeint. Man darf ihm trauen. Gott spielt nicht mit einem Menschenherzen. Ihm ist es ernst mit dem Seligwerden der Menschen, und er will uns durchaus nicht verlorengehen lassen. Es bleibt sein Ruhm:

»Hat ihn je ein Herz gefragt

nach dem ewigen Leben,

hat er immer mild gesagt:

Komm, ich will dir's geben.«