MALEACHI
Eschatologie
Das Buch Maleachi zu datieren ist schwierig,
weil im Text keine detaillierten
historischen Ereignisse erwähnt werden.
Die Tradition hat den Propheten stets später
als Haggai und Sacharja angesetzt.
Da
Maleachi deutlich die Existenz eines
praktizierten Tempelbetriebes wiedergibt (
Mal 1, 6- 2,7 ), erscheint es mehr als
vernünftig, ihn nach der Fertigstellung des
Tempels im Jahr 515 v. Chr. einzugliedern;
besonders wenn wir daran denken, dass Leben
und Dienst von Sacharja bis ins fünfte
Jahrhundert hinein andauerten. Der Text von
Sacharja 9-14 könnte um 480 v.Chr.
entstanden sein. Es war sicherlich Sacharjas
Dienst (
Hes 6,16-22 ), der Juda vor dem Absinken
in den Zustand bewahrte, der uns durch den
ganzen Text Maleachis hindurch gezeigt wird.
Als Esra 458 v.Chr. nach Jerusalem kam,
erschreckte ihn zutiefst die Entdeckung,
dass Gottes Überrest das Gesetz hinter sich
gelassen und ausländische Frauen geheiratet
hatte, was wiederum zu weiteren
verabscheuungswürdigen Handlungen führte (
Hes 9,1-2 ).
Könnte die plötzliche Buße Esras, seine
Scham und Selbstentehrung über Judas Sünde (
Hes 9,6; 10,1-16 ) vielleicht die Folge
davon sein, dass er in der jüngsten
Vergangenheit die Prophetien Maleachis
gehört hatte? Offensichtlich übte Esra auf
Juda zwölf Jahre lang einen Einfluss aus bis
zur dritten Heimkehrwelle nach Juda unter
Nehemia. Nehemia hatte bei seiner Ankunft
445 v.Chr. keine Veranlassung, vom
moralischen Verfall des Volkes betroffen zu
sein wie zuvor Esra. Stattdessen inspizierte
er sofort die Mauern der Stadt, erhob den
Anspruch, dass er im Auftrag Gottes gekommen
war, und erhielt sofort die Unterstützung
des Volkes (
Neh 2,11-18 ). Auch angesichts des
äußeren Widerstandes betete das Volk zu Gott
um Kraft und vertraute ihm, dass er seine
Hilfe nicht versagen würde (
Neh 4,4-15 ).
Die Mauern wurden in zweiundfünfzig Tagen
fertig gestellt (
Neh 6,15 ). Nehemia und Esra arbeiteten
zusammen, um sicherzustellen, dass das Volk
über das Gesetz belehrt und dass der Bund
mit Gott wiedereingesetzt würde (
Neh 8,1-10,39 ). Die Reichen ließen sich
von Nehemia wegen der Ausbeutung der Armen
zurechtweisen (
Neh 5 ), und das Volk pries den Herrn
für seinen Segen, den sie von 445 bis 433 v.
Chr. erfahren und dessen sie sich erfreut
hatten (
Neh 5, 13-14 ). Diese Beobachtungen
zwingen zur Datierung Maleachis auf die Zeit
kurz vor Esras Rückkehr (ca. 470 v. Chr.)
oder später gegen Ende des 5. Jahrhunderts
v. Chr., als der Einfluss von Esra und
Nehemia zurückging (ca. 433-400 v.Chr.; vgl.
Neh 13 , wo die kultischen und
verwandtschaftlichen Probleme beschrieben
werden, denen sich Nehemia unter den Juden
nach seiner Rückkehr von Babylon nach
Jerusalem zunehmend gegenübersah).
Durch eine Reihe herausfordernder Fragen
wirft Maleachi Juda Mangel an Gehorsam Gott
gegenüber vor. Seinen Bund haben sie mit
ihrem abscheulichen Verhalten verächtlich
gemacht. Juda stellt Gegenfragen und zeigt
darin eine krasse Missachtung des Willens
Gottes. Das Volk stellt Gottes Liebe für
Juda in Frage (
Mal 1,2-5 ).
Sie verunehren Gott, indem sie ihm die
schlechtesten Tiere ihrer Herden zum Opfer
darbringen, während die Priester vor solchem
Tun die Augen verschließen (
Mal 1,6-2,9 ). Sie verletzen die
Integrität des Bundesvolkes, indem sie
ausländische Frauen heiraten, die heidnische
Götter verehren. Sie verlassen die Frauen
ihrer Jugend und fragen sich dann erstaunt,
weshalb der Herr ihre Scheinopfer nicht
annimmt (
Mal 2,10-16 ). Sie werden selbstgefällig
und unverbesserlich in dem Glauben,
ungerechten Gewinn und Unterdrückung in
Anspruch nehmen zu können, weil Gott nicht
mehr an strenger Gerechtigkeit interessiert
sei (
Mal 2,17-3,16 ). Sie weigern sich
einzugestehen, dass sie ihren Bund mit Gott
verletzt haben, owohl ihre Lebensqualität
doch proportional zur Menge ihrer Opfer
abgenommen hat (
Mal 3, 7-12 ). Sie weigern sich, den
Zusammenhang zwischen ihrer sinkenden
Lebensqualität und ihrem Ungehorsam zu
sehen, lehnen die Autorität Gottes in ihrem
Leben ab und sehen keinerlei Sinn darin,
Gott durch treuen Dienst und erneutes Fragen
nach seiner Gerechtigkeit zu ehren (
Mal 3, 13-21 ). Die Prophetie Maleachis
endet mit der Aufforderung, das Volk möge
sich seiner Bundesbeziehungen zu Gott
erinnern, und mit der Verheißung, dass
Israel durch den Propheten Elia vor dem
großen und furchtbaren Tag des Herrn
wiederhergestellt werde (
Mal 3,22-24 ).
Auf Judas Glaube, der Herr werde nicht
zwischen den Gerechten und den Gottlosen
unterscheiden, denn er sei nicht mehr
interessiert an Gerechtigkeit (
Mal 2,17; 3,13-15 ), antwortet der
Prophet mit Hinweisen auf Gottes
Verheißungen. Judas Auffassung bedeutet,
Gott der Doppelzüngigkeit zu beschuldigen
und ihn der Untreue gegenüber seinem Bund
mit Abraham und gegenüber jeder Verheißung,
die er seinen Kindern seither gegeben hat,
zu bezichtigen.
Eine derart schwere Anschuldigung grenzt an
Frechheit und erfordert eine entsprechende
Reaktion - eine Antwort, die in die Zukunft
hineinreicht und Gottes endgültige Lösung
des Sündenproblems offenbart: der große und
furchtbare Tag des Herrn (
Mal 3,23 )! Wie aber kommen wir zu
diesem Tag des Gerichts? Die Antwort wird
durch den Zusammenhang der beiden
Erwiderungen enthüllt, mit denen Maleachi in
Kapitel 3,1-5 und
3,16-24 auf die Anschuldigungen
reagiert.
In diesen Passagen offenbart Maleachi die
Ankunft von drei verschiedenen Personen: der
Bote des Herrn (
Mal 3,1 ), der Prophet Elia (
Mal 3,23 ) und der Herr selbst (
Mal 3,1-5.23 ). Die Gelehrten sind sich
einig darüber, dass es sich bei dem Boten um
Johannes den Täufer handelt, den Wegbereiter
des ersten Kommens Jesu Christi. Jesaja
spricht von einem, der die Welt auf die
Ankunft des Herrn vorbereiten werde (
Jes 40,3 ) und Jesus bringt Johannes den
Täufer eindeutig mit Jesajas Prophetie in
Zusammenhang (
Mt 3,1-6 ; siehe
Joh 1,23 , wo sich Johannes selbst
unzweideutig als »die "Stimme
eines Rufenden in der Wüste: Macht gerade
den Weg des Herrn"«
ausweist).
Jesus stellt ihn als die
Erfüllung der Prophetie Maleachis dar (
Mt 11,7-10 ). Mit dieser sicheren
Identifikation des Boten wird klar, dass
Mal 3,1 von Johannes dem Täufer spricht,
der den Weg des Herrn bereitet, des Herrn,
der selbst Botschafter oder der »Engel des
Bundes« (Jesus Christus) ist und zum ersten
Mal in die Welt der Menschheit kommen werde
(Eugene H. Merrill identifiziert den »Engel
des Bundes« allerdings als Johannes den
Täufer und wendet
die Verse
2-4 auf seinen Dienst an; Vers
5 ist eschatologisch).
Die
Verse
2-5 beschreiben demnach Ereignisse, die
mit dem zweiten Kommen des Herrn zu tun
haben, wenn er die Anbetung im Tempel einer
Reinigung unterzieht. Die Fragen »Wer aber
kann den Tag seines Kommens ertragen? Und
wer wird bestehen bei seinem Erscheinen?«
werden gestellt, um Maleachis Publikum
deutlich zu machen, dass die Gottlosen an
diesem Tag chancenlos sind und dass Gott
gerecht ist und zu seiner Zeit Gerechtigkeit
walten lassen wird.
Vers
5 macht unmissverständlich klar, dass
Gottlosigkeit in Gottes zukünftigem Reich
keinen Platz hat, ganz gleich, ob sie nun
mit der Anbetung im Tempel zusammenhängt
oder das Leben des Volkes im Allgemeinen
betrifft. Der Gott Abrahams, Isaaks und
Jakobs hat seine Haltung im Hinblick auf die
Ausrottung des Bösen nicht verändert (
Mal 3,6 ). Nach dieser Botschaft, die
sich an ein jüdisches Publikum richtet,
sollte man nicht überrascht sein, wenn hier
das erste und das zweite Kommen des Herrn
als ein einziges Ereignis betrachtet wird.
Maleachis Hauptinteresse besteht darin, auf
die Ablehnung und Beschuldigung durch sein
Publikum mit einer Aussage zu antworten, die
die letzte Absicht des Herrn beschreibt, die
Gottlosigkeit in Judas Anbetung auszurotten.
Fortschreitende weitergehende Offenbarung
lässt uns glücklicherweise das volle
inhaltliche Ausmaß dieser Passage erkennen.
Zur weiteren Entkräftung des unsinnigen
Vorwurfs des Volkes, dass nämlich die
augenblickliche Blüte der Gottlosen auf
deren Verweigerung eines frommen Lebensstils
zurückzuführen sei, stellt Maleachi das
endgültige Schicksal derer, die den Herrn
fürchten, dem Schicksal derer gegenüber, die
sich entschlossen haben, Gott zu verlassen (
Mal 3,16-21 ). Gott macht deutlich, dass
er die Mühen jener nicht vergisst, die ihm
treu bleiben, die den Herrn fürchten (
Mal 3,16-17 ). Der Herr verkündet, dass
ein Tag kommen wird, (
Mal 3,19 ), an dem er sein Eigentum
schonen wird (
Mal 3,17 ), während die Hochmütigen die
Verheerungen seines göttlichen Zorns
erfahren (
Mal 3,19-21 ) und vom Reich
ausgeschlossen werden.
Der Vorbereiter dieses großen und
furchtbaren künftigen Tages ist der Prophet
Elia (
Mal 3,23 ). An dieser Stelle muss man
sich klar machen, dass eine Identifizierung
von Elia mit Johannes dem Täufer nicht
möglich ist.
Es handelt sich um zwei voneinander zu
unterscheidende Personen.
Der
Erstere ist der Wegbereiter des ersten, der
andere der Wegbereiter des zweiten Kommens
Christi. Dieser zweite kommt in den letzten
Tagen vor dem großen und furchtbaren Tag des
Herrn. Die Priester und Leviten, welche die
eschatologischen Bezüge der Botschaft von
Johannes verstanden, bedachten nicht die
Möglichkeit eines zweimaligen Kommens des
Herrn. Ein Messias, der kommen und sterben
würde, war für sie völlig unannehmbar,
obwohl sie dies hätten erwarten sollen (
Jes 53 ). Diese Tatsache veranlasste
sie,
Mal 3,1 mit
3,23 zu verknüpfen und die deshalb
unausweichliche Frage zu stellen: »Bist du
Elia?«, auf die Johannes antwortete: »Nein«
(
Joh 1,19-23 ). Eine gewisse Verwirrung,
die unter den Gelehrten herrscht, ist die
Folge einer Bemerkung, die Jesus gegenüber
seinen Jüngern machte, als die sich fragten,
warum die Schriftgelehrten unverrückbar
behaupteten, dass Elia der Ankunft des
Messias vorausgehen müsse (
Mt 17,10 ). Jesus stimmte der Behauptung
der Schriftgelehrten zu, indem er sagte:
»Elia kommt zwar und wird alle Dinge
wiederherstellen« (
Mt 17,11 ; vgl.
Mal 3,23-24 ). Er stellte aber weiter
fest, »dass Elia schon gekommen ist, und sie
haben ihn nicht erkannt, sondern an ihm
getan, was sie wollten« (
Mt 17,12 ). In welchem Sinne vergleicht
Jesus Johannes mit Elia? Er macht deutlich,
dass der wirkliche Elia noch kommen muss.
Der
Vergleich, den Jesus zwischen Johannes und
Elia anstellt, soll offenbar eher dazu
dienen, die Aufmerksamkeit stärker auf ihn
selbst zu richten - auf den Herrn, den
Messias, dem sowohl der Bote (
Mal 3,1 ) als auch Elia (
Mal 3,23 ) vorausgehen - und weniger
dazu, Johannes, der im Geist und in der
Kraft Elias gekommen war (
Lk 1,13-17 ), zu einem Antitypus von
Elia zu machen.
Gewiss war der Dienst des Johannes dem des
Elia darin ähnlich,
dass er vollmächtig war und mit der gleichen Energie geleistet wurde, und
dass er die Menschen auch mahnte, sich auf
die Ankunft des Messias vorzubereiten, aber
Johannes war nicht Elia. Auch Jesu
Feststellung, der Dienst des Johannes hätte
das Reich herbeibringen und das
Wiederherstellungswerk Elias vollbringen
können,
wenn Israel gewillt wäre, die Botschaft
des Reiches anzunehmen (
Mt 11,14 ), ist rein philosophischer
Natur. Denn Jesus wusste, dass ihrer beider
Zurückweisung - die des Johannes und die
seiner selbst - unvermeidlich war (
Mt 17,12 ; vgl.
Mt 11,15-19; Joh 2,19-21 ). Aus der
Perspektive des allwissenden Gottes und aus
der vollständigen Offenbarung ist
offensichtlich, dass der Bote in
Mal 3,1 Johannes der Täufer ist, der den
Weg der Herrn bei seinem ersten Kommen
bereitet; Elia in
Mal 3,23 ist der Prophet, der dem
zweiten Kommen des Herrn vor dessen großem
und furchtbarem Tag vorausgeht. Die
Gelehrten sind sich uneins darüber, ob hier
der wirkliche Prophet Elia gemeint ist oder
ob es sich um einen anderen handelt, der in
der Kraft und im Geist des Elia kommen wird.
Jedenfalls wird nur von Johannes gesagt, er
sei in der Kraft und im Geist Elias
gekommen; es besteht keinerlei
Notwendigkeit, eine solche Aussage über
jemand zu machen, bei dem es sich um die
betreffende Person selbst handelt. Es hat
auch einen Autor gegeben, der Johannes den
Täufer sowohl in
Mal 3,1 als auch in
Kapitel 3,23 sah, aber dass diese
Interpretation zutrifft, ist eher
unwahrscheinlich.
Mit seinen Prophezeiungen antwortet Maleachi
erfolgreich auf die unhaltbare Position der
Juden, indem er ihnen versichert, dass Gott
seinen Tag haben wird, an dem Gottlosigkeit
gerichtet und Gerechtigkeit den Sieg
davontragen wird. Es ist für jeden wichtig,
die letzte Ermahnung Maleachis zu beachten:
»Haltet im Gedächtnis das Gesetz meines
Knechtes Mose, dem ich am Horeb für ganz
Israel Ordnungen und Rechtsbestimmungen
geboten habe« (
Mal 3,22 ). Nur durch die Kenntnis des
Wortes Gottes können die Menschen die Liebe
Gottes verstehen, können sie ihn ehren und
fürchten, können sie auf den künftigen Tag
hoffen, wenn einfür alle Mal Gerechtigkeit
herrschen wird.
Siehe auch:
Abrahamitischer Bund .
Gary P. Stewart
Robert L. Alden,
Maleach i, in:
The Expositor���s Bible Commentar y,
hrsg. von Frank E. Gaebelein (Grand Rapids:
Zondervan, 1985); Craig A. Blaising,
Maleach i, in:
Der Kommentar zur Bibe l, hrsg. von John
F. Walvoord und Roy B. Zuck (Wheaton: Victor
Books, 1985); D. A. Carson,
Matthäu s, in:
The Expositor���s Bible Commentary ,
hrsg. von Frank E. Gaebelein (Grand Rapids:
Zondervan, 1985); Arnold G. Fruchtenbaum,
The Footsteps of the Messiah, A Study of the
Sequence of Prophetic Events (Tustin,
Californien: Ariel Ministries Press, 1983);
Walter C. Kaiser jr.,
Maleachi, God's Unchanging Love (Grand
Rapids: Baker, 1984); J. Randall Price,
The Desecration and Restoration of the
Temple as an Eschatological Motive in the
Old Testament {Jewish Apocalyptic
Literature, and the New Testamen t} (Ann
Arbor, Michigan: UMI Publications, 1994);
Eugene H. Merrill,
Haggai, Zechariah, Malachi: An Exegetical
Commentary (Chicago: Moody Press, 1994);
John F. Walvoord,
Prophecy Knowledge Handbook (Wheaton:
Victor Books, 1990).
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