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VOLK GOTTES
Der Begriff
Das Volk Gottes (VG)
ist eng mit den biblischen Bündnissen verknüpft, besonders mit den
Verwaltungsbündnissen (Alter-/Mosaischer-
und Neuer Bund). Die Zugehörigkeit zum VG
setzt die Teilhabe an einem Bündnis voraus.
Diese Teilhabe gründete in der
alttestamentlichen Haushaltung auf der
Zugehörigkeit zum Volk Israel, auf der
Befreiung des Volkes und dem Mosaischen
Bund. Dieser Bund verheißt Israel die
Wiederherstellung als VG bei der zukünftigen
Rückführung. Da auch die Gemeinde am Neuen
Bund teilhat
(siehe:
Neuer Bund, Theologie ), wird sie
auf dieser Grundlage zu einem Teil des VG.
Sie rückt Israel nicht als Gottes Volk
beiseite. Der Begriff VG ist vielmehr so
umfassend, dass er das alttestamentliche
Israel, die neutestamentliche Gemeinde und
zukünftige Gläubige noch einschließt. Das
bedeutet aber nicht, dass es im Volk Gottes
keine Unterscheidungen mehr gibt - Israel
und die Gemeinde bleiben je unabhängige
Werkzeuge Gottes in der Welt. Das VG ist
nicht einfach »ein Sammelbecken der Erlösten
aller Zeitalter«, denn diese
Betrachtungsweise würde es begrifflich eher
der Erlösung als dem Bündnis zuordnen. Am
Kreuz findet eine Umgestaltung des Volkes
Gottes statt, denn hier ereignet sich eine
Veränderung in den Bündnissen. Die Struktur
und Zwecke der Bündnisse ändern sich. So
steht der Neue Bund nicht mehr nur den
Angehörigen einer bestimmten Nation, sondern
jedem Gläubigen offen. Da der Alte Bund ein
Verwaltungsbündnis war, der das Leben eines
Volkes regelte, schloss er alle Menschen
dieses Volkes ein. Der Neue Bund hingegen
ist aber ein geistgewirkter Bund, der das
Leben all jener Menschen regelt, die wahre
Gläubige durch das innere Wirken des
Heiligen Geistes geworden sind, der das
Gesetz Gottes in menschliche Herzen
schreibt. In seiner künftigen Rolle im
Tausendjährigen Reich wird der Neue Bund
auch öffentliche Angelegenheiten regeln und
gleichzeitig geistlich im Leben der
Gläubigen wirken.
Der Begriff
Volk Gottes ruft zahlreiche theologische
Fragen zu den Beziehungen der verschiedenen
Gruppen von Menschen hervor, die an der
Verwirklichung der Ziele Gottes in der Welt
beteiligt sind. Das betrifft besonders das
Verhältnis zwischen Israel und der Gemeinde.
Einige Ausleger gehen davon aus, dass die
Gemeinde Israel als VG abgelöst habe. Andere
meinen, im VG eine Kontinuität zu erkennen,
dass nämlich Glaubende aus den Nationen
hinzugefügt und und ungläubige Juden
herausgenommen werden. Daneben wird auch
eine zwiegespaltene Position zum VG
vertreten: Im Alten Testament war Israel als
VG erwählt, damit Gott sich durch es
offenbarte, bekannt machte; im Neuen
Testament ist Zugehörigkeit zum Volk Gottes
mit der Erlösung verbunden und steht sowohl
Juden als auch Nationen offen. VG kann als
eine umfassende Kategorie definiert werden,
die unterschiedliche Gruppen vereinigt.
Andere wiederum sehen zwei separate Völker
Gottes: Israel und die Gemeinde. Obwohl es
sich hierbei nicht um eine ausschließlich an
der Lehre von den Heilszeiten orientierte
Sichtweise handelt, ist diese Auffassung von
den zwei Völkern Gottes wahrscheinlich von
der klassischen Lehre von den Heilszeiten
her am besten bekannt: Es gibt ein irdisches
und ein himmlisches VG mit unterschiedlichen
Zielen und Aufgaben.
Der Ausdruck »Volk Gottes« (hebr.:
´am ´elohim und griech.:
laos theo u) erscheint nur fünfmal in
der Bibel:
Ri 20,2; 2Sam 14,13; Hebr 4,9; 11,25 und
1.Pet 2,10 . Noch weit mehr Bibelstellen
sprechen allerdings von dieser Gruppe. Sie
wird auch durch die allein stehenden Wörter
´am oder
laos gekennzeichnet. Ausdrücke wie
Volk des Herrn ,
dein Volk ,
sein Volk ,
mein Volk usw. stehen oft synonym für
´am ´elohim und
laos theo u. Sie verweisen annähernd
vierhundertmal in der Bibel auf das VG. Es
gibt zahlreiche verwandte Begriffe, die
diese Zahl noch beträchtlich erhöhen (z.B.
Gott Israels, Familie Gottes usw.).
In
2Mo 5,22-6,8 finden wir eine Aussage
über das VG, die Gottes Plan mit ihm
offenbart; sie steht an einem entscheidenden
Punkt von Gottes segnendem Wirken in der
Menschheitsgeschichte. Die Bedeutung dieser
Textstelle für die Definition des VG ist mit
Gottes Handeln an Israel verbunden: Gott
will aus ihnen eine Nation machen, die sein
Eigentum ist und zu der er eine besondere
Beziehung hat. Diese Feststellung ist eine
Vorankündigung der großen Befreiung aus
Ägypten, die kurz darauf ihren Höhepunkt in
den Ereignissen am Sinai fand. Der Begriff
»Erlösung« in Bezug auf Gottes Volk wird in
2Mo 6,6 eingeführt und ist
verschiedentlich mit Israels Status als Volk
verknüpft. Gemeint ist hier die von Gott
bewirkte leibliche Befreiung des Volkes aus
der Sklaverei, nicht seine geistliche
Wiederherstellung. Mit Bezug auf dieses
Ereignis spricht David von
deinem Volk als 1. einer Nation, 2.
befreit aus Ägypten, 3. zur Ehre Gottes und
4. gegründet auf eine besondere Beziehung zu
Gott (
2Sam 7,23-24 ). Davids Lobgesang umfasst
nicht nur den Exodus, sondern auch die
Ereignisse am Sinai und die Landnahme.
Obgleich es nicht ausdrücklich gesagt wird,
scheint hier der Bündnisgedanke die
Grundlage zu sein, auf der Israels nationale
Existenz und seine Beziehung zu Gott steht.
Die Betonung von Erlösung (Befreiung aus der
ägyptischen Sklaverei) legt nahe, dass sie
die Grundlage ist, auf der die Beziehung
Israels zu Gott ruht und auf der Gott seinen
Besitzanspruch auf Israel als sein
Eigentumsvolk geltend macht.
Erwählung ist im AT immer an einen
Vertragsschluss gebunden. Die klassische
Bibelstelle über Israels Erwählung ist
5Mo 7,6-8 . Israels Stellung als das
erwählte VG hebt es aus allen anderen
Völkern der Erde hervor und erklärt es zu
Gottes wertgeschätztem Besitz. Mose betont
hier die Grundlage der Erwählung. Sie
basiert nicht auf Verdienst, Wert oder
Stellung; sie ist bedingungslos -
ausschließlich auf Gottes Liebe und seine
Eidestreue gegründet, die den
abrahamitischen Bund aufrechterhält. Von
größter Wichtigkeit ist hier die
Feststellung: »Dich hat der Herr, dein Gott,
erwählt, dass du ihm als Eigentumsvolk
gehörst.« Das Ziel der Wahl Gottes war,
Israel als sein Volk aufzubauen.
Beginnend in
2Mo 6,7 wird die Zusage: »Ich werde dein
Gott sein, und du wirst mein Volk sein« zu
einer Wendung, die das ganze Alte Testament
durchzieht. Die erste Erwähnung weist auf
zukünftiges Handeln Gottes hin, spätere
Bezugnahmen (z.B.
1Chr 17,22; Jer 7,23; 11,4 ) blicken
zurück auf den Anfang der Bundesbeziehung.
Obwohl diese Wendung nicht ausdrücklich im
Bericht über die Ereignisse am Sinai
erscheint, ist sie wahrscheinlich
grundlegend für die Aufrichtung des Alten
Bundes. Das wird nicht nur durch die
Vorausschau und die Rückblicke deutlich, die
am Sinaigeschehen zusammenlaufen, sondern
auch durch diese Wendung selbst: Sie ist die
Bundesformel (Vertragsformel) des Alten
Testaments. Wir finden sie etwa zwei Dutzend
Mal in der Heiligen Schrift: Das Alte
Testament verbindet sie fünfmal mit dem
Alten und siebzehnmal mit dem Neuen Bund.
Dreimal finden wir sie im Neuen Testament.
Schloss man in der Antike im Vorderen Orient
Bündnisse, verwendete man eine
Standardformel, genannt
die Bundesforme l. Sie regelte die
Beziehung zwischen den beiden
Bündnispartnern (siehe Kalluveettil). In
gewissem Sinn mag die Beziehung bereits
existiert haben, aber erst durch diese
Bündnisformel wurde sie amtlich. Diese
Formel war für die Vertragspartner wichtig:
Sie definiert die Art der Beziehung und
beschreibt sie. So wie Iatar-Ami erklärt:
»Zimri-Lim ist mein Vater«, und wie der
Sprecher des Königs erwidert: »Iatar-Ami ist
(ein) ergebener Sohn« (Dossin,
RA 35,120; zitiert bei Kalluveettil,
95), so erklärt auch die alttestamentliche
Formel, dass Gott der Gott Israels ist und
dass Israel Gottes Volk ist. Das legt den
Gedanken nahe, dass sich die
»Dein-Gott«-«mein-Volk«-Beziehung auf diesen
Bund gründet. Wer in eine Bündnisbeziehung
zu Gott tritt, wird Teil des VG.
Wie der Alte Bund die Grundlage für Israels
Identität als Volk war, so beziehen sich die
Verheißungen des Neuen Bundes für das VG auf
das Verwaltungsbündnis, das eines Tages den
alten Bund ablösen wird. Jeremia erwähnt
direkt nach der Ankündigung des Neuen Bundes
die bekannte Bündnisformel: »Ich werde dein
Gott sein, und du wirst mein Volk sein« (
Jer 31,33 , siehe auch
32,38 ). Auch Hesekiel verwendet die
Bündnisformel verschiedentlich in Verbindung
mit dem Neuen Bund (
11,20; 34,25-31; 36,28; 37,23.27 ),
ebenso wie Sacharja (
8,8; 13,7-9 ).
Der Begriff VG bezieht sich im Alten
Testament zwar meistens ausschließlich auf
Israel, aber nicht immer. Es gibt
Textpassagen, die eine künftige Einbeziehung
von Heidenvölkern zusammen mit Israel in das
VG voraussagen. Dazu gehören unter anderen
Ps 87,5; Jes 19,25; Jer 12,16 und
Sach 2,11 . Wenn es auch kein Hauptthema
ist, wird doch deutlich, dass das Alte
Testament eine Erweiterung des Gottesvolkes
in der Endzeit vorausahnt. Israel scheitert
im ganzen Alten Testament durch seine
Untreue an dieser Bündnisbeziehung, die sich
so eindeutig klar in der Bündnisformel
ausdrückt. Da die gleiche Beziehung und die
gleiche Formel in den Texten über den Neuen
Bund eine so große Rolle spielen, liegt es
nahe, dass auch die künftige Ausweitung des
VG auf der Grundlage eines Bündnisses
stattfindet. Alle, die hinzukommen werden,
sind dann Teil des VG und Teilhaber des
Neuen Bundes.
Im Neuen Testament erscheint die Bezeichnung
VG viel seltener als im Alten. In
Röm 9 erklärt Paulus Gottes souveräne
Erwählung Israels. Er legt dar, dass Israels
negative Reaktion auf den Messias kein
Anzeichen für ein Scheitern von Gottes Wort
ist. Es ist allein die Gnade Gottes, die
jetzt den Reichtum seiner Herrlichkeit auf
Juden und Heiden ausdehnt. Zur Unterstützung
dieses Erweiterungsgedankens greift Paulus
typologisch auf
Hos 2,1 und
2,23 zurück, um zu zeigen, dass die
Gemeinde jetzt ein Teil des VG ist. Es wird
nicht einfach nur festgestellt, dass die
Gemeinde jetzt eine ähnliche Stellung
einnimmt wie Israel, sondern dass sie
tatsächlich Gottes Volk ist. Menschen, die
vorher in keiner Bundesbeziehung zu Gott
standen, werden durch die Teilhabe am Neuen
Bund zu seinem Bundesvolk. Die Gemeinde hat
Teilhabe am Neuen Bund und wird also auf
dieser Grundlage zum VG.
In
2.Korinther 6,16 findet man durch das
Zitat aus
Hes 37,37 ein ähnliches Argument. Der
Gebrauch der Bundesformel im Hinblick auf
die Gläubigen in Korinth ist bedeutsam.
Paulus nennt die Gläubigen des Neuen
Testaments VG. Eine aus alttestamentlichen
Zitaten zusammengestellte Anspielung auf
Israels Stellung im Alten Bund finden wir in
1.Petrus 2,9-10 . Petrus verbindet Verse
aus
2Mo 19; Jes 43 und
Hos 1-2 , die vom
Vol k handeln. Diese dreifache Anwendung
von
laos auf Christen, besonders die
ausdrückliche
nun de laos theou (
jetzt aber ein Volk Gotte s) in Vers 10,
lässt kaum Zweifel: Petrus betrachtet die
Gläubigen, die Teil der Gemeinde sind, auch
als Teil des VG.
Ein umstrittener Text ist
Apg 15 . Die Punkte, über die Einigkeit
besteht, können folgendermaßen
zusammengefasst werden: Bei den Beratungen
des Jerusalemer Konzils über Stellung und
Pflichten der Heidenchristen führt Jakobus
alttestamentliche Beweise für Gottes
Einbeziehung der Nationen in seinen
Heilsplan an (
Am 9,11-12 ). Er bezieht dies auf Petrus"
frühere Darstellung, Gott habe aus den
Nationen ein Volk für seinen Namen erwählt (
Apg 15,14 ). Das verweist auf die Verse
7-11 , wo Petrus über seine Erfahrung
berichtet, als er das Evangelium zu den
Nationen brachte - zu dem Hauptmann
Cornelius in
Apg 10 . Obwohl Jakobus"Worte
in Vers
14 kein alttestamentliches Zitat sind,
klingen in ihnen doch die Worte
verschiedener alttestamentlicher Passagen
über das VG an (
2Mo 6,7; 2Sam 7,23 ). Dass Jakobus hier
die alttestamentliche Sprache benutzt, um
die Ausbreitung des Evangeliums unter den
Nationen zu beschreiben, ist bemerkenswert.
Er schien eine gewisse Kontinuität des VG im
Alten und im Neuen Testament zu sehen, und
hielt so die alttestamentlichen Begriffe für
angemessen.
In
Tit 2,14 wird Jesus so beschrieben: »Der
hat sich selbst für uns gegeben, damit er
uns loskaufte von aller Gesetzlosigkeit und
sich selbst ein Eigentumsvolk
[laos periousio n] reinigte, eifrig in
guten Werken.« Dieser Ausdruck ist eine
andere alttestamentliche Bezeichnung für das
VG (
2Mo 19,5; 5Mo 7,6; 14,2; 26,18 ). Dass
sie hier von Paulus verwendet wird,
bestätigt, dass neutestamentliche Gläubige
ein Teil des VG sind.
Das letzte Mal erscheint das Wort
laos im Neuen Testament in Johannes
Vision von neuen Himmeln und neuer Erde. Am
Beginn dieser ewigen Gemeinschaft wird vom
Thron aus verkündet: »Sie werden sein Volk
sein, und er selbst, Gott mit ihnen, wird
ihr Gott sein« (
Offb 21,3 ). Die Bündnisformel zeigt an
diesem Scheitelpunkt von Weltgeschichte und
Ewigkeit das Ziel, zu dem uns Gott mit
seinem Heilsplan führen will.
Das neutestamentliche VG-Konzept spiegelt
seine alttestamentlichen Ursprünge wider.
Einige Passagen zitieren präzise
alttestamentliche Texte über das VG; andere
benutzen das alttestamentliche Vokabular für
entsprechende Anspielungen. Die Bündnisbasis
für das VG ist hier eindeutig, besonders
dort, wo die Bündnisformel gebraucht wird.
Die Gläubigen der Gemeinde gehören zum VG,
und zwar auf der Grundlage des Neuen Bundes.
Die Gemeinde ist nicht ein neues VG, um das
alte Bundesvolk zu ersetzen. Ebenso müssen
Hinweise auf das VG im eschatologischen
Zusammenhang gesehen werden, die das Volk
Gottes über den irdischen Geschichtshorizont
hinaus bestehen lassen, denn das VG wird
sich tatsächlich in der Ewigkeit der
Bündnisbeziehung erfreuen.
Siehe auch:
Bundesschlüsse ;
Neuer Bund .
Rodney Decker
W.E. Gl enny,
Dispensational Hermeneutics and the People
of God in Romans 9:25-26 in:
Bib Sac 152,42-59 (1995); Walter C.
Kaiser jr.,
Israel as the People of God in:
The People of God: Essays on the
Believers��� Church (Nashville:
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Two Peoples of God in:
Handbook to Biblical Prophecy (Grand
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Covenant and Communion in 1 Corinthians
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Continuity of the People of God in the Old
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»The New Covenant and the People(s) of Go
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Dispensationalism, Israel, and the Church
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68-97.
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